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Kurz Notiert

Kurz Notiert

Von der Schönheit des Händewaschens

„Und? Was sind deine Pläne für heute?“. Seit dem großen Schul-Lockdown ertappe ich mich auffällig oft dabei, meinen Teenagertöchtern mit dieser Frage auf die Nerven zu gehen. Und ihre Antwort ist fast immer die gleiche: „Erst mal chillen“. „Chillen“, so habe ich gelernt, ist nicht etwa gleichzusetzen mit „Abhängen“, denn das tut man mit Freunden. Gechillt werden kann hingegen ganz ohne die Anwesenheit weiterer Personen. In Pandemie-Zeiten also eine Top-Freizeitbeschäftigung mit enorm ausgeprägter Social Distance. Dass man tatsächlich auch in der Ausübung körperlicher und geistiger Regungslosigkeit eine Art von Exzellenz entwickeln kann, ist mir erst vor kurzem klar geworden. In normalen Zeiten bzw. in einer vorpandemischen Vergangenheit hätte mich der Schlendrian meiner Kinder wahrscheinlich ziemlich flott auf die Palme gebracht.

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Chillen kann bei genauer Betrachtung sogar als wertvoller Beitrag für den Schutz der Volksgesundheit gewertet werden.

Erstaunlicher Weise tut er das jetzt nicht mehr. Im Gegenteil. Ich versuche sogar, mir ein Stück weit ein Beispiel an ihnen zu nehmen. Das Ausbleiben jedweder Aufträge und Einkünfte hätte mich, als freiberuflichen Kreativarbeiter, durchaus in eine tiefe Sinn- und natürlich auch Finanzkrise stürzen können. Hat es aber nicht. Ganz wesentlich geholfen hat da sicher die bisherige Abwesenheit bedrohlicher Erkrankungen in meinem privaten Umfeld und die unbürokratische und demütigungsfreie Liquiditätshilfe für Soloselbständige durch Vater Staat – aber auch die Tatsache, dass die Auftragslage bei Kollegen und Konkurrenten nicht viel besser aussieht. Das plötzliche Aussetzen des Wettbewerbs hat schlagartig den Druck aus dem Kessel genommen und mich in einen Zustand emotionaler und kreativer Schwerelosigkeit versetzt. Seit vielen Jahren bin ich zum ersten Mal wieder dem Gefühl der Langweile begegnet und zwar ohne den Ad-hoc-Impuls, sie sofort bekämpfen zu müssen. Da ist es ein Segen, dass meine Kinder schon älter sind und ich gerade nicht in der Haut von Kleinkindeltern stecke. Langeweile, was für ein Luxus! Plötzlich erscheinen alltägliche Handlungen in einem ganz neuen Licht. Das Händewaschen zum Beispiel. Meine Töchter haben mir eingebläut: Mindestens 20 Sekunden! Sie meinten, einmal „Happy Birthday“ singen, dann hätte man genau diese 20 Sekunden eingehalten, die es braucht, um dem blöden Virus mit Seife den Garaus zu machen. Ich habe das mal gestoppt. Tatsächlich kam ich mit einem durchschnittlich inbrünstigen Vortrag dieses Liedes nur auf 16,65 Sekunden. Um der tödlichen Gefahr zu trotzen, bin ich deshalb dazu übergegangen, „Happy Birthday“ statt im Bariton im Bass zu intonieren. Mit diesem Pitchdown singe ich automatisch langsamer und der antivirale Reinigungsprozess wird damit automatisch effektiver. Wow! Noch vor ein paar Wochen hätte man mich mit dieser Nummer als verhaltensauffälligen Kauz unter psychiatrische Beobachtung gestellt. Meinem Betreuer hätte ich dann aber ein Buch entgegengehalten, das mir kürzlich erst in die Hände gefallen ist und mich sehr beeindruckt hat: „Vom Verschwinden der Rituale – Eine Topologie der Gegenwart“ von Byung-Chul Han. Der koreanischdeutsche Philosoph lässt darin seinem – wunderbar trocken formulierten – Kulturpessimismus freien Lauf. Rituale, sagt Han, stabilisieren das Leben und stärken dessen Haltbarkeit. „Sie machen aus der Welt einen verlässlichen Ort. Sie sind in der Zeit das, was im Raum eine Wohnung ist. Sie machen die Zeit bewohnbar.“ Gleichzeit beklagt er, wie der Konsum- und Produktivitätswahn unserer neoliberalen Gesellschaft, das Verschwinden der Rituale vorantreibt. Die „Gegenwart“, die Han da beschreibt, ist gerade mal ein Jahr alt – sein Essay erschien im Sommer 2019. Nun hoffe ich sehr, dass der kluge Herr Han bald allen Grund hat, seine finsteren Gedanken in die Tonne zu treten. Denn Produktion und Konsum wurden gerade massiv ausgebremst. Beste Voraussetzungen also, um den Wert der Rituale wieder neu zu entdecken und sich mit ihnen in dieser neuen Zeit einzurichten. Ich mach' da mit, meine Töchter sicher auch. Aber jetzt müssen wir erst mal chillen. Unser Kolumnist Christoph Bauer ist zweifacher Vater, Journalist und Filmemacher

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