Leseprobe familie baer hfh

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INHALTSVERZEICHNIS 1 DIAGNOSTISCHE ZIELSETZUNG UND EINSATZBEREICH ............................................................................. 3 2 THEORETISCHER HINTERGRUND ...................................................................................................................... 3 2.1 MATHEMATISCHE BASISKOMPETENZEN ............................................................................................................................... 3 2.2 FUSONS MODELL ....................................................................................................................................................................... 5 2.3 MATHEMATISCHE FERTIGKEITEN DER KINDER UNMITTELBAR NACH DEM SCHULEINTRITT ..................................... 6 2.4 MATHEMATISCHE HOCHBEGABUNG ...................................................................................................................................... 6 3 GRUNDLAGEN DES SCREENINGS ......................................................................................................................... 7 3.1 TEDI-­‐MATH-­‐TEST ..................................................................................................................................................................... 9 3.2 LERNSTANDSERFASSUNG VON MOSER OPITZ MIT DEM GOLDSTÜCKSPIEL ................................................................... 9 3.1 SCREENING VON KRAJEWSKI ................................................................................................................................................... 9 3.2 PRÄDIKTORENFORSCHUNG .................................................................................................................................................... 10 3.3 AUFBAU DER SCHWIERIGKEITSGRADE PRO AUFGABE ...................................................................................................... 11 4 INSTRUKTIONEN FÜR DAS SCREENING ......................................................................................................... 12 5 MATHEMATISCHE TEILBEREICHE UND AUFGABENSTELLUNGEN DES SCREENINGS ..................... 13 5.1 AUFGABEN ZUR ZÄHLKOMPETENZ UND ZU MENGEN ....................................................................................................... 13 5.1.1 Eins-­zu-­eins-­Zuordnung ............................................................................................................................................... 13 5.1.2 Mengen vergleichen ........................................................................................................................................................ 14 5.1.3 Mengen abzählen mit Objekten oder Bildern. Verbindung Zahlwort – Objekt .................................... 15 5.1.4 Zählfertigkeiten ohne Zählmaterial ........................................................................................................................ 16 5.2 SERIATION, MUSTER UND REGELN ...................................................................................................................................... 18 5.2.1 Ordnen nach numerischer Grösse ............................................................................................................................. 18 5.2.2 Muster und Regeln .......................................................................................................................................................... 18 5.2.3 Zahlen der Grösse nach ordnen ................................................................................................................................. 20 5.2.4 Dinge der Grösse nach ordnen ................................................................................................................................... 21 5.2.5 Ordinalaspekt .................................................................................................................................................................... 21 5.3 UNTERSCHIEDE UND GEMEINSAMKEITEN AN GEGENSTÄNDEN: KLASSIFIZIEREN ...................................................... 21 5.4 ERSTE ERFAHRUNGEN MIT ADDITION UND SUBTRAKTION ............................................................................................ 22 5.4.1 Addition bis 10 .................................................................................................................................................................. 23 5.4.2 Ergänzen bis 10 ................................................................................................................................................................ 23 5.4.3 Subtraktion bis 10 ........................................................................................................................................................... 24 5.4.4 Addition, Subtraktion, Ergänzen und Vermindern ........................................................................................... 24 5.4.5 Zerlegen ............................................................................................................................................................................... 25 5.5 ZAHLWÖRTER UND ZIFFERN ................................................................................................................................................. 25 5.5.1 Ziffern erkennen ............................................................................................................................................................... 25 5.5.2 Ziffer der entsprechenden Menge zuordnen ........................................................................................................ 26 5.5.3 Ziffern schreiben .............................................................................................................................................................. 27 5.6 SIMULTANERFASSUNG ............................................................................................................................................................ 28 5.6.1 Anzahlerfassung ............................................................................................................................................................... 28 5.7 INVARIANZ ................................................................................................................................................................................ 29 5.7.1 Identitäts-­ und Äquivalenzinvarianz ...................................................................................................................... 29 5.8 RAUMORIENTIERUNG ............................................................................................................................................................. 30 5.8.1 Bauen nach Vorlage ....................................................................................................................................................... 31 5.8.2 Räumliche Begriffe .......................................................................................................................................................... 31 5.9 ZAHLENSPEED .......................................................................................................................................................................... 32 5.9.1 Ziffern schnell lesen ........................................................................................................................................................ 32 6 AUSWERTUNG ........................................................................................................................................................ 34 6.1 AUSWERTUNGSBOGEN ............................................................................................................................................................ 34 7 SCREENING: ENTWICKLUNG, DURCHFÜHRUNG UND INTERPRETATION DER ERGEBNISSE ....... 34 8 FÖRDERDIAGNOSTIK UND FÖRDEREMPFEHLUNGEN .............................................................................. 36 8.1 FÖRDERINSTRUMENTE ........................................................................................................................................................... 36


9 SCHLUSSBEMERKUNGEN .................................................................................................................................... 38 10 LITERATURVERZEICHNIS ................................................................................................................................ 39 11 TABELLENVERZEICHNIS .................................................................................................................................. 40 12 ABBILDUNGSVERZEICHNIS ............................................................................................................................. 41 13 BEZUGSQUELLE BÄREN UND BILDERQUELLEN ....................................................................................... 42 14 ANHANG ................................................................................................................................................................. 43

2 Screening für den Kindergarten zur Früherkennung von Rechenschwierigkeiten und mathematischen Stärken M. Storz / C. Zollinger


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Diagnostische Zielsetzung und Einsatzbereich

Das vorliegende Screening entstand im Rahmen einer Masterarbeit an der Hochschule für Heilpädagogik und soll dazu verhelfen, dass das Lernangebot im Kindergartenunterricht besser an die Lernausgangslage der Kinder angepasst werden kann. Die Optimierung der pädagogischen Angebote durch differenzierte Lernstandsdiagnosen ist auch immer häufiger eine der aktuellen Forderungen, welche an die Schule und insbesondere an die Schulischen HeilpädagogInnen gestellt wird. Das Screening soll zudem als „Frühwarnsystem“ dienen, um rechtzeitig Vorbeuge- und Fördermassnahmen für lern- und entwicklungsgefährdete Kinder einleiten zu können (vgl. Kretschmann in Grüssing & Peter-Koop, 2010). Besonders kompetente Kinder zu erfassen, um sie nachfolgend entsprechend zu fördern, ist ebenfalls ein Anliegen der Autorinnen. Um die Ergebnisse für die Förderplanung überhaupt nutzen zu können, ist das Verfahren so ausgelegt, dass es Ende des ersten oder zu Beginn des zweiten Kindergartenjahres durchgeführt werden sollte. Für die Kindergartenstufe stehen bislang nur Einzeltests zur Verfügung. Das vorliegende Instrument ist für kleine Gruppen konzipiert und so aufgebaut, dass es für die Kinder mehr eine Spielstunde als eine Testsituation darstellt. Es war den Autorinnen ein grosses Anliegen, nicht eine Reihe von Arbeitsblättern zu kreieren, welche von den Kindern durchgearbeitet werden müssen, sondern es soll mit konkretem, ansprechendem Material gearbeitet werden, um die Kinder zu motivieren. Um verschiedene Repräsentationsformen zu integrieren, werden die enaktiven (handelnden) Aufgaben mit den Bären durch solche auf ikonischer (bildhafter) und symbolischer Ebene ergänzt. Das Screening hilft dabei, den Lernstand eines Kindes im Bereich der mathematischen Basiskenntnisse differenziert und fundiert festzustellen, ist aber selbstverständlich nur ein Baustein einer Gesamtbeurteilung; eine Kind-Umfeld-Diagnostik dient als Ergänzung der personenorientierten Sichtweise dieses Screeningverfahrens. Eine Kombination der verschiedenen zur Verfügung stehenden Methoden zur Überprüfung des Lernstandes und die Berücksichtigung der Persönlichkeit, der Körperstrukturen, der Familie, der Schule, also auch des ganzen Umfeldes des Kindes und der Wechselwirkungen all dieser Faktoren, gehört zu einer umfassenden (Förder-) diagnostik (vgl. Niedermann et al. 2007).

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Theoretischer Hintergrund 2.1

Mathematische Basiskompetenzen

Nach Ansicht von Moser Opitz und Schmassmann (2006) lernen Kinder den Umgang mit Zahlen und Operationen nicht in erster Linie durch das Ausführen von allgemeinen Denkoperationen, sondern indem sie sich mit den mathematischen Inhalten direkt auseinander setzen. Als bedeutungsvoll wird das Verständnis von Klassifikation nach einem Merkmal, die Reihenbildung und der Mengenvergleich durch Eins-zu-eins-Zuordnung erachtet. Diese Fähigkeiten dürfen aber nicht als unabdingbare Voraussetzungen für das Rechnen lernen angesehen werden, sondern sollen den Kindern, eingebettet in Spiel- und Alltagssituationen, vermittelt werden. Um jedoch überhaupt mathematische Einsichten gewinnen zu können, gehen Moser Opitz und Schmassmann (2006) davon aus, dass die Kinder über sogenannte „basale Voraussetzungen“ verfügen müssen. 3 Screening für den Kindergarten zur Früherkennung von Rechenschwierigkeiten und mathematischen Stärken M. Storz / C. Zollinger


Zu den umfassenden basalen Fähigkeiten gehören nach Moser Opitz & Schmassmann (2006): Visuelle Wahrnehmung (z.B. Figur-Grund, visuelle Differenzierung, Wahrnehmungskonstanz)

Gegenstände und Bilder von Gegenständen erkennen sowie voneinander unterscheiden; Muster vor einem Hintergrund erkennen, Teile aus einem Ganzen heraus sehen, aus einer gegebenen Anzahl eine fixe Anzahl herauslösen; ein Ganzes in Teilmengen zerlegen; Augenmass: gleiche Längen und gleich grosse Flächen erkennen.

Auditive Wahrnehmung (z.B. auditive Differenzierung)

Teilbereiche wie auditive Figur-Grund-Wahrnehmung oder die auditive Differenzierung z.B. für folgende Lernsituationen: aus zweistelligen Zahlen den Einer und Zehner einzeln heraushören; Zahlwörter unterscheiden; Anweisungen aufnehmen.

Feinmotorik, Grafomotorik, visuomotorische Koordination

Eins-zu-Eins-Zuordnung beim Vergleichen und Zählen; sicheres Antippen der Elemente beim Abzählen; sichere Strichführung (Zuordnungsstriche, Strichlisten führen, Verbindungslinien ziehen; Pinzettengriff und sicheres Hantieren mit kleinen Gegenständen wie Wendeplättchen.

Raumorientierung (Bewegungsrichtung/ Bewegungsbezeichnung)

Links-rechst-Unterscheidung, räumliche Beziehungen, Raumlage und Bewegungsrichtungen werden als „Raumorientierung“ bezeichnet. Grundlegend ist das Wahrnehmen und Unterscheiden der verschiedenen Seiten am Körper und die unterschiedlichen Bewegungsrichtungen für das Belegen eines Zahlenfeldes oder um spiegelbildliche Darstellungen auseinanderhalten zu können (auch Zeichen). Folgende räumlichen Begriffe sind von grundlegender Bedeutung für mathematische Aktivitäten: obenunten, links-rechts, vorne-hinten, vorwärts-rückwärts, neben, zwischen usw.

Handlungsabläufe, zeitliche Abfolgen, seriale Leistung

Begriffe wie zuerst, dann, vorher-nachher, während, gleichzeitig, sind wichtig für das Zählen, Erzählen, Zusammenfassen, Zerlegen, und Ausführen einzelner Schritte und auch für das Erkennen, Ausführen, Verstehen und Einhalten der Reihenfolgen von Handlungsabläufen und für das Ausführen mehrerer Denkschritte nacheinander.

Visuelle und auditive Speicherung

Zahlwörter, Zahlwortreihe vor- und rückwärts aufsagen; Handlungen und Handlungsabläufe, Denk- und Arbeitsschritte verstehen und Ergebnisse speichern und abrufen können.

Sprache

Situationen, Handlungen und Handlungsabläufe sprachlich begleiten und beschreiben; Begriffe verstehen und in der Schule dann auch Lesefähigkeit erlangen.

Alltagserfahrungen

Grössenbeziehungen herstellen können; Geld: Münzen kennen.

Flexibilität

Wechsel zwischen verschiedenen Darstellungsformen; Handlungsabläufe durchdenken und verändern; sich innerhalb einer Aufgabe auf verschiedene Aspekte konzentrieren können.

Reversibilität

Handlungsabläufe, Arbeits- und Denkschritte umkehren können.

Strukturierungsfähigkeit

Elemente zu einem Ganzen zusammenfassen oder Teilmengen bilden, Gruppen zusammenfassen.

Wesentliches von Unwesentlichem unterscheiden Emotionale Aspekte

Relevante Informationen erkennen und gleichzeitig andere Aspekte ausblenden; Gemeinsamkeiten und Unterschiede erkennen. Sich auf andere Menschen und Meinungen einlassen und verschiedene Lösungen besprechen; etwas weggeben können.

Tab. 1: Basale Fähigkeiten

4 Screening für den Kindergarten zur Früherkennung von Rechenschwierigkeiten und mathematischen Stärken M. Storz / C. Zollinger


Auch Gaidoschik (2010) betont die Wichtigkeit basaler Fähigkeiten beim Erlernen der Kulturtechnik „Rechnen“ und stellt fest, dass sich eine Störung solcher basalen Teilleistungen auch auf Störungen im Erwerb der mathematischen Grundbegriffe auswirken können. Moog und Schulz (2005), welche ein Diagnoseinstrument und ein Training zur Förderung von Kindern mit Rechenstörungen entwickelt haben, sehen die mathematische Denkentwicklung unter zwei Aspekten. Erstens ist dies der Aspekt der psychischen Teilleistungen, welche zur Bewältigung der Aufgabe nötig sind. Der zweite Aspekt ist derjenige der Informationsaufnahme und –verarbeitung. An der Aneignung pränumerischer und numerischer Operationen sind viele verschiedene Leistungsbereiche beteiligt wie die Motorik, die taktilkinästhetisch-vestibuläre Wahrnehmung, die räumliche Orientierungsfähigkeit, die auditive und visuelle Wahrnehmung und die Wahrnehmungsgeschwindigkeit, das Zusammenwirken der Sinne und das Zusammenwirken von Wahrnehmung und Motorik, das Gedächtnis und die Orientierung in der Zeit. Aufbauend auf diesen grundlegenden kognitiven Teilleistungen rücken dann jene Fertigkeiten in den Mittelpunkt, welche direkt mit der mathematischen Zahlbegriffsentwicklung in Beziehung stehen (ebd.).

2.2

Fusons Modell

Eines der am besten akzeptierten und gemäss Moser Opitz (2008) in Publikationen am meisten übernommenen Modelle zum Erwerb der Zahlwortreihe ist jenes von Fuson aus dem Jahr 1988 (vgl. Moser Opitz, 2008). Fuson geht in ihrem Modell von verschiedenen aufeinanderfolgenden Niveaus aus. Die verschiedenen Levels nach Fuson: Ganzheitsauffassung der Zahlwortfolge (String Level): Das Kind erkennt die Zahlwortreihe als Ganzheit. Es sagt diese wie ein Lied oder einen Vers auf. Es zählt noch nicht die einzelnen Elemente und die Zahlworte haben für das Kind noch keine kardinale Bedeutung. Unflexible Zahlwortreihe (Unbreakable List Level): Das Kind erfasst die Zahlwörter als Einheit. Es kann die Zahlwortreihe aufsagen, muss jedoch immer wieder bei eins beginnen. Vorgänger und Nachfolger einer bestimmten Zahl können nur genannt werden, indem das Kind sie innerhalb der Zahlreihe zu bestimmen versucht. Es kann eine Eins-zu-eins-Korrespondenz (Zuordnung) zwischen Zahlwort und Element herstellen. Es kann durch Zählen eine Anzahl Elemente herausfinden. Teilweise flexible Zahlwortreihe (Breakable Chain Level): Das Kind kann von einem beliebigen Zahlwort aus weiterzählen. Vorgänger und Nachfolger können unverzüglich genannt werden. Dem Kind gelingt das Rückwärtszählen nur zum Teil. Flexible Zahlwortreihe (Numberable Chain Level): Jedes Zahlwort wird als Einheit betrachtet. Das Kind kann von jeder Zahl aus eine bestimmte Anzahl weiter zählen, z.B: „Zähle von 14 aus drei Schritte weiter.“ Vollständig reversible Zahlwortreihe (Bidirectional Chain Level): Das Kind kann von jeder Zahl aus vorwärts und rückwärts zählen und Richtungswechsel erfolgen schnell und sicher. 5 Screening für den Kindergarten zur Früherkennung von Rechenschwierigkeiten und mathematischen Stärken M. Storz / C. Zollinger


2.3

Mathematische Fertigkeiten der Kinder unmittelbar nach dem Schuleintritt

Immer wieder wird in der Fachliteratur beschrieben, dass Kinder im Kindergarten und beim Schuleintritt mehr können, als wir ihnen zutrauen. Hasemann (2010) hat in einer Studie die Kenntnisse von Kindern beim Schulbeginn überprüft und kommt zu folgenden Resultaten: Aufgabe

Gelöst durch x % der Kinder

Aufsagen der Zahlwortreihe bis 20

77%

von der Zahl 9 und 15 aus weiterzählen

72%

zählen bereits in Zweierschritten von 2 bis 14

50%

Abzählen von 20 geordneten Klötzen

58%

Abzählen von 20 ungeordneten Klötzen

49%

17 Klötze rückwärts abzählen

32%

Wissen, dass 13 Bonbons mehr sind als 9

69%

Zusammenzählen der Summe von 2 Würfeln

51%

simultanes Erfassen von bis zu 5 Objekte

83%.

Klassifizieren nach zwei Merkmalen

67%

Objekte der Größe nach ordnen

75%

zwei Reihen der Größe nach vergleichen

67%

Objekte Eins-zu-eins zuordnen mit Zählen

75%

Tab. 2: Kenntnisse beim Schuleintritt

Im Kanton Zürich wurde im Jahr 2005 der Lernstand von Kindern kurz nach dem Schuleintritt ebenfalls gemessen (Moser, Stamm & Hollenweger, 2005). Demnach beherrschen knapp vier Fünftel der Kinder bereits bedeutende Teile des Mathematikstoffes der ersten Klasse, ein Fünftel verfügt sogar schon über ein Wissen, welches erst in der zweiten Klasse gebraucht wird. Bereits 52% der Schulanfänger kennen beispielsweise die Zahlen bis 20, sie können eine unvollständige Zahlenreihe mit einzelnen Lücken im Zahlenbereich bis 20 ergänzen und einfache Additionen im Bereich bis 10 lösen.

2.4

Mathematische Hochbegabung

Beim vorliegenden Screening handelt es sich keinesfalls um ein Verfahren, um mathematisch hochbegabte Kinder zu identifizieren. Trotzdem möchten die Autorinnen kurz einen Einblick in diese viel diskutierte Thematik geben. Gemäss Landerl und Kaufmann (2008) verfügen Rechengenies über ein ausgesprochen gut entwickeltes numerisches und arithmetisches Faktenwissen. Das kleine und das grosse Einmaleins beherrschen sie spielend und sie haben auch viele Primzahlen und Quadratwurzeln im Gedächtnis gespeichert, was ihnen bei komplexen Rechnungen sehr dienlich ist. Dadurch wird ihr Arbeitsgedächtnis deutlich entlastet, wenn sie komplexe Rechnungen lösen müssen. Mathematische Prinzipien haben sie gut verstanden und sie sind auch in der Lage, komplexe Rechnungen in Teilschritte zu zerlegen und diese dann aufgrund ihres Faktenwissens zu 6 Screening für den Kindergarten zur Früherkennung von Rechenschwierigkeiten und mathematischen Stärken M. Storz / C. Zollinger


lösen. Rechengenies wissen meist sofort, wie sie ein mathematisches Problem angehen müssen, das heisst, dass sie normalen RechnerInnen bezüglich ihrer Kenntnisse von Rechenalgorithmen überlegen sind. Die Art der Speicherung scheint sich bei mathematisch besonders begabten Kindern nicht von der von unauffälligen RechnerInnen zu unterscheiden, sondern sie ist einfach viel umfangreicher. Dies beschreiben Pesenti und Kollegen (vgl. Landerl & Kaufmann, 2008). Käpnick und Fuchs (in Hasemann, 2010) haben sich mit der Frage von Hochbegabung intensiv auseinander gesetzt. Sie kommen zum Schluss, dass es ungeklärt ist, ob in der frühkindlichen Entwicklungsphase bereits eine besondere mathematische Begabung erkannt werden kann, jedoch streichen sie Anhaltspunkte heraus, welche zumindest eine grosse Bedeutung für eine mathematische Begabungsentwicklung haben. Die Hirnforschung geht davon aus, dass genetische oder bereits vorgeburtlich bedingte Prägungen knapp die Hälfte unserer Persönlichkeit ausmachen. Im Weiteren scheint gemäss Roth (2003) in den ersten drei bis fünf Jahren die Interaktion mit Bezugspersonen besonders wichtig zu sein. Die Erkenntnisse über die Entwicklungsdynamik und die Plastizität des Gehirns unterstreichen die Bedeutung des frühen Kindesalters. Nach neuropsychologischen Erkenntnissen besitzen Menschen einen angeborenen Zahlensinn. Eine verlässliche Diagnose ist nach Ansicht von Käpnick und Fuchs bei Fünf- bis Achtjährigen prinzipiell problematisch, da diese Kinder oftmals noch sehr spontan denken und handeln. Käpnick (in Hasemann, 2010) hat eine Reihe von Merkmalen festgelegt, in welchen sich mathematisch besonders begabte Kinder von ihren Altersgenossen unterscheiden. Es gelingt ihnen, schon in der mittleren Phase der Informationsaufnahme und –speicherung im Kurzzeitgedächtnis Sachverhalte sinnvoll zu strukturieren. Im Weiteren verfügen sie über mathematische Phantasie, über die Fähigkeit, mathematische Sachverhalte zu strukturieren, erkannte Strukturen selbständig zu transferieren und die Repräsentationsebenen selbständig zu wechseln. Es fällt ihnen auch leichter, ihre Gedankengänge umzukehren und sie verfügen über eine „mathematische Sensibilität“, also über ein ausgeprägtes Gefühl für Zahlen und Muster. Fuchs (in Hasemann, 2010) definiert zusätzlich eine Reihe von Persönlichkeitsmerkmalen wie die der intellektuellen Neugier, der Anstrengungsbereitschaft und der Beharrlichkeit. In ihren Förderprojekten haben Käpnick und Fuchs (in Hasemann, 2010) auch immer wieder Kinder beobachten können, welche sich trotz sehr guter Begabung ganz bewusst im mittleren Leistungsniveau einer Klasse befunden haben, vermutlich um nicht aufzufallen. Im Gegenzug bemerken sie, dass ein selbstbewusstes und geschicktes Auftreten sowie die im Schulunterricht geforderten Zähl- und Rechenkompetenzen keinesfalls ein Hinweis auf eine besondere mathematische Begabung sein müssen. Als erschwerend sehen sie es auch an, dass im Vorschulalter die Entwicklung spezieller mathematischer Fähigkeiten offenbar noch eng oder gar untrennbar mit allgemeiner intellektueller Neugier verwoben ist. Bei SchulanfängerInnen erschwert besonders auch die Diskrepanz der verschiedenen Entwicklungsprozesse das Erkennen von besonderen Begabungen.

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Grundlagen des Screenings

Bei der Auswahl der zu prüfenden Teilbereiche des Screenings wurden verschiedene Quellen verwendet. Es wurden diverse Tests für die Kindergartenstufe zur Erfassung des Lernstandes kritisch begutachtet: Der Osnabrücker Test zur Zahlbegriffsentwicklung (OTZ) (van Luit, van de Rijt & Hasemann, 2001), der ZAREKI-K (von Aster, Bzufka, Horn, Weinhold Zulauf & Schweiter, 2009), die Diagnostischen Einschätzungsskalen (DES) (Barth, 2008), wortgewandt & zahlenstark (Moser & Berweger, 2007), die Aufgabensammlung von Lorenz (in 7 Screening für den Kindergarten zur Früherkennung von Rechenschwierigkeiten und mathematischen Stärken M. Storz / C. Zollinger


Grüssing & Peter-Koop, 2010), das ElementarMathematisches BasisInterview (EMBI) (Grüssing & Peter-Koop, 2011), Beurteilen, Beraten, Fördern von Heuer (1997), der Tedi-Math (Kaufmann, Nuerk, Graf, Krinzinger, Delazer & Willmes, 2009), das Screening von Krajewski (2008) und die Lernstandserfassung „Goldstückspiel“ von Moser Opitz (Moser Opitz & Schmassmann, 2006). Letztere drei überzeugten wegen der geprüften mathematischen Bereiche und dienten für die Weiterarbeit. Die Testbereiche und Aufgaben wurden einerseits aus diesen drei genauestens analysierten Instrumenten und andererseits aus der einschlägigen Fachliteratur abgeleitet. Zusätzlich wurde der Lehrplan für den Kindergarten des Kantons Zürich (Bildungsdirektion, 2008) berücksichtigt. Im Vorfeld war für die beiden Autorinnen klar, dass einige Kinder bereits im Kindergarten über hohe bis sehr hohe mathematische Kompetenzen verfügen. Rechenschwierigkeiten jedoch gehörten für sie bisher in den Bereich der Primarschule, wo diese in der Regel zwar oftmals früh erkannt, aber meistens erst ab der zweiten Klasse als solche diagnostiziert werden und gemäss Landerl und Kaufmann (2008) ab etwa dem zweiten Schuljahr auch längerfristig stabil anhalten. Von Aster und Mitarbeiter (2007), Vertreter aus dem Bereich der Neurowissenschaften, haben erforscht, dass Kinder mit diagnostizierten Rechenstörungen bereits im Kindergartenalter Schwierigkeiten beim Umgang mit Zahlen gezeigt haben. Dies ist deshalb messbar, weil in Deutschland und in anderen Ländern bereits in den als Kindergarten oder Vorschule bezeichneten Institutionen der Umgang mit Zahlen geübt wird. Die Diskrepanz zwischen aktuellen Forschungsergebnissen und den Lehrplanzielen führte für die Autorinnen in diesem Bereich zu einem Zwiespalt, da sie bei der Entwicklung ihres Instruments beides berücksichtigen wollten. Sie entschieden sich nicht nur wegen der überzeugenden Ergebnisse von Krajewski (2008) sondern auch aufgrund ihrer langjährigen Erfahrung dazu, das Zahlenvorwissen ebenfalls zu prüfen. Einerseits erleben sie, dass viele Kinder sich bereits im Kindergarten interessiert mit arabischen Ziffern befassen und andererseits, dass Kinder, welche ohne diese Vorkenntnisse eingeschult werden, bereits zu Anfang der Primarschule möglicherweise benachteiligt sind. Sie müssen sehr rasch in der Lage sein, sich dieses Wissen anzueignen, um den Anschluss nicht zu verpassen. Für die Förderung im Kindergarten bedeutet das nach Ansicht der Autorinnen, dass die arabischen Ziffern nicht explizit geübt, aber auf spielerische Weise immer wieder eingebaut werden sollen. Folgende drei Instrumente dienten als Grundlage für das Screening: Die Testaufgaben von Krajewski (2008), der „Tedi-Math“ (Kaufmann et al., 2009) und das „Goldstückspiel“ von Moser Opitz (2006), aus dem Heilpädagogischen Kommentar zum Zahlenbuch 1. Krajewski (2008) gehört mit ihrer Forschungsarbeit zur Zeit zu den renommiertesten Forscherinnen auf dem Gebiet der Prädiktorenforschung (Vorhersagefaktoren) und Moser Opitz (2006) ist ebenfalls sehr anerkannt. Zudem ist ihr Screening auf schweizerische Verhältnisse abgestimmt und kann als bisher einziges Instrument mit einer kleinen Gruppe bearbeitet werden. Der „Tedi-Math“ (Kaufmann et al., 2009) als geeichter Test drängte sich auf, da er als Vergleichstest zum hier entwickelten Verfahren eingesetzt wird.

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