Vorschau "Beook Impulsiver Unterrricht"

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Impulse fĂźr inklusiven Unterricht Ariane BĂźhler und Albin Dietrich


4.1 Wer lernt was und wie? 4.2 Wer lernt was und wie? 4.3 Wer lernt was und wie? 4.4 Wer lernt was und wie?


Vorwort

Die Publikation „Impulse für inklusiven Unterricht“ mit integrierten Filmbeispielen will Unterrichtenden auf eine praxisnahe und pragmatische Weise Impulse für inklusiven Unterricht geben. Dabei liegt der Fokus auf dem Einbezug von Lernenden mit geistiger Behinderung. Die „Impulse für inklusiven Unterricht“ haben das Ziel Schulische Heilpädagoginnen und Heilpädagogen zu einem reflektierten und theoretisch abgestützten Verständnis und Vorgehen für die Planung, Umsetzung und Reflexion ihres Unterrichts zu führen. Die Publikation führt auf praxisnahe Art und Weise in die Thematik ein und konkretisiert diese – ohne den theoretischen Hintergrund ausser Acht zu lassen. Grafische Darstellungen unterstützen die Erschliessung des Inhalts. Die Filmbeispiele und Konkretisierungen entstanden in Zusammenarbeit mit der Schulleitung und Lehrpersonen des Heilpädagogischen Schulzentrums Olten aus den Profilen Geistige Behinderung und Integration. Sie geben einen Einblick wie inklusiver Unterricht in der Praxis aussehen kann.

Eine Bemerkung zu den Filmbeispielen: Wir veranschaulichen unsere Ausführungen mit Filmbeispielen aus der Praxis, aus dem alltäglichen Unterricht. Wir haben uns bewusst entschieden nicht auf ein professionelles Filmequipment zurückzugreifen. Wichtig war uns, dass wir durch unsere Filmaufnahmen in der Praxis möglichst wenig störten und beeinflussten. Das heisst, dass wir uns bemühten möglichst unauffällig zu filmen. Damit nahmen wir bewusst Einbussen in der Filmqualität in Kauf zugunsten grösstmöglicher Authentizität.


1. Worum es geht Wie kann ich Unterricht gestalten, in dem sich niemand langweilt und alle mitkommen? Das Unterrichten sowie der Einbezug von Lernenden mit einer geistigen Behinderung ist in der Praxis eine grosse Herausforderung. Die Fragestellungen, die sich im Zusammenhang mit der Umsetzung inklusiven Unterrichts stellen, sind daher umfassend und vielfältig. • Wie ermögliche ich Annette den Lerngegenstand zu erfassen? • Welche Themen und Inhalte wähle ich für Beat aus? Welche sind für ihn bedeutsam? • Wie vereinfache ich das Thema und präsentiere den Lerngegenstand so, dass alle – auch Chantal – einen Zugang finden können? • Wie gestalte ich sowohl für Dario wie auch für Lukas passende Zugänge zum Lerngegenstand? • Welches sind geeignete Arrangements, die das Lernen aller Kinder unterstützen? Ausgangspunkt der Überlegungen zu den Impulsen inklusiven Unterrichts bildet die Frage: „Wer lernt was und wie?“ Diese Frage leitet durch diesen Text und es werden entsprechende Antworten aufgezeigt. Welches sind relevante Themen und Inhalte, mit denen sich Lernende mit individuell erschwerten Entwicklungs-, Lern- und Lebenssituationen auseinandersetzen sollen und wie schafft man Lernangebote, die diesen Gegebenheiten gerecht werden? „Wer lernt was und wie?“ erinnert an eine ‚klassische’ Forderung der Didaktik: „alle alles ganz und grundlegend lehren“ (Comenius). Dieser Forderung zuzustimmen ist einfach, ihre Umsetzung ist eine Herausforderung. Was heisst im Kontext inklusiver Didaktik alle alles ganz und grundlegend zu lehren, wenn die Voraussetzungen der Lernenden so unterschiedlich sind? Gefragt sind dabei von der Seite der Unterrichtenden unter anderem Offenheit gegenüber den Lernenden, grundlegendes Wissen und Kenntnisse in Bezug auf Förderplanung, Methodik und Didaktik, sowie Kommunikation und Interaktion, Kreativität im Arrangieren von geeigneten Lernumgebungen, Kooperation und immer wieder etwas Pragmatismus. In der Umsetzung jeglichen Unterrichts muss man als Lehrperson manchmal mit dem Machbaren und Möglichen – nicht immer nur mit dem Idealen – zufrieden sein.


Ausgehend von der Frage „Wer lernt was und wie?“ wird beispielhaft aufgezeigt, wie Unterrichtssituationen im Hinblick auf die Passung von Menschen mit geistiger Behinderung geplant und umgesetzt werden können. Orientierungsgrundlage für diesen Unterricht in heterogenen Gruppen bilden die didaktischen Dimensionen und Aufgabenfelder des ‚Didaktischen Modells inklusiven Unterrichts’. Dabei wird klar herausgearbeitet, welches die spezifischen Aufgaben Schulischer Heilpädagoginnen und Heilpädagogen sind.


2. Wer lernt was und wie? – Spannungsfelder und Herausforderungen inklusiven Unterrichts Inklusiver Unterricht bzw. eine inklusive Schule ist eine sinnvolle und gesellschaftlich bedeutungsvolle Perspektive. Die konkrete Umsetzung des Inklusionsgedankens in Schulen und die Planung und Gestaltung inklusiven Unterrichts bringt die Beteiligten jedoch in Spannungsfelder und stellt sie vor Herausforderungen. Diese zeigen sich prägnant, wenn es darum geht Unterricht und Schule so zu gestalten, dass Lernende mit zum Teil sehr unterschiedlichen Voraussetzungen im gemeinsamen Unterricht zu je passenden Lerngelegenheiten kommen und tatsächlich lernen können. Diese Spannungsfelder und Herausforderungen zeigen sich besonders deutlich, wenn Lernende mit einer geistigen Behinderung zusammen mit Lernenden ohne Beeinträchtigung unterrichtet werden. Sie zeigen sich jedoch genauso im Unterricht an heilpädagogischen Schulen, denn die Heterogenität der Voraussetzungen der Lernenden einer Klasse ist dort in der Regel so gross, dass Unterricht nur als inklusiver Unterricht gestaltet werden kann. In diesem Kapitel werden zentrale Spannungsfelder und die damit verbundenen Herausforderungen kurz thematisiert. Damit wird aufgezeigt, von welcher Grundlage die Impulse von inklusivem Unterricht ausgehen und für welche Punkte sie Möglichkeiten und Anregungen bieten.

2.1 Wer lernt was und wie? – ein Beispiel zur Einführung Als Hinführung zu den Spannungsfeldern und Herausforderungen inklusiven Unterrichts sowie zu den Dimensionen des didaktischen Modells, welches den Impulsen für inklusiven Unterricht zu Grunde liegt, wird hier anhand eines Beispiels die Frage „Wer lernt was und wie?“ durchgespielt. Es geht dabei nicht darum, in den Ausführungen alles umfassend und abschliessend zu kommentieren, sondern beispielhaft ein erstes Mal zu verdeutlichen, worum es bei den Elementen der Frage geht.

Film: Geburtstag M. Das Beispiel ist ein Ausschnitt aus einer Einzelförderungssequenz im Rahmen der integrierten Sonderschulung. In der Klasse (Sekundarstufe) steht Mathematik auf dem Stundenplan. Der Heilpädagoge fördert hier ein Mädchen von 14 Jahren in einer Einzelsituation in Mathematik.


2.2 Spannungsfeld und Herausforderung 1: Individuelle Lern- und Entwicklungsvoraussetzungen – gemeinsamer Unterricht Lernen ist eng mit den Lern- und Entwicklungsvoraussetzungen der Lernenden verbunden. Ob und wie ein Schüler oder eine Schülerin sich auf eine Lernsituation einlassen kann, hängt deshalb wesentlich davon ab, ob Inhalte passend zu seinen oder ihren individuellen Lern- und Entwicklungs-voraussetzungen angeboten werden. Welche die individuellen Lern- und Entwicklungsvoraussetzungen eines Schülers oder ei-ner Schülerin sind, ist gelegentlich nicht ohne weiteres klar auszumachen. Die im Unterricht beobachtbaren Aktivitäten der Aneignung können nicht immer als Ausdruck der tatsächlichen Aneignungsmöglichkeiten Lernender interpretiert werden. Es kann sein, dass Lernende wenn ein Inhalt nicht passend angeboten wird, keine Gelegenheit haben, sich ihren Möglichkeiten entsprechend darauf einzulassen. „Kann Beat nicht oder will er nicht?“ ist eine Frage, die – im richtigen Sinne gestellt – auf die erste wichtige Aufgabe inklusiven Unterrichts verweist: die differenzierte Erfassung der indivi-duellen Lern- und Entwicklungsvoraussetzungen. Dabei geht es nicht nur um den kognitiven Aspekt, sondern ebenso um die Aspekte Lebensperspektive, Bedeutsamkeit und Motivation.

Die Erfassung der individuellen Lern- und Entwicklungsvoraussetzungen stellt im inklusiven Unterricht eine Herausforderung dar. Die oft deutliche Verschiedenheit der Voraussetzungen der Lernenden in einer Klasse erzeugt ein Spannungsfeld zwischen individuellen Voraussetzungen und dem Anspruch eines gemeinsamen Unterrichts. Mit diesem Spannungsfeld differenzierend umzugehen ist eine der Bedingungen für das Gelingen inklusiven Unterrichts.


2.3 Spannungsfeld und Herausforderung 2: Lehrplanorientierung – Entwicklungsorientierung In der Unterrichtssequenz im Beispiel geht es um Orientierung in der Zeit im Umgang mit Kalender und Wochentagen. Diese Inhalte werden in einfacher und konkreter Form angeboten. Der Lehrplan für die Klasse der Schülerin sieht für die Lektion etwas anderes vor. Bei der Beobachtung der Aneignungsmöglichkeiten der Schülerin wird deutlich, dass ihre Lern- und Entwicklungsvoraussetzungen nicht dieselben sind wie die Voraussetzungen durchschnittlicher Sekundarschülerinnen und -schüler. Dadurch wird die Orientierung am Lehrplan für die Klassenlehrpersonen und die Heilpädagoginnen und Heilpädagogen im Hinblick auf die Bildung der Schülerin zu einer Herausforderung. Inklusiver Unterricht zeichnet sich dadurch aus, dass er Lernenden mit unterschiedlichen Lernund Entwicklungsvoraussetzungen, also auch Lernenden mit geistiger Behinderung, Lernen und Teilhabe an den Unterrichtsinteraktionen ermöglicht. Dazu genügt die Orientierung am Lehrplan alleine allerdings nicht. Sie muss erweitert werden um die Orientierung an den Lernund Entwicklungsvoraussetzungen. Damit ist nicht nur die Orientierung an den aktuellen Lernund Entwicklungsvoraussetzungen gemeint, sondern auch die Orientierung an möglichen und wahrscheinlichen Entwicklungs- und Lebensperspektiven. Bei einem Mädchen in der Sekundarstufe wird es zum Beispiel darum gehen, mögliche künftige Arbeits- und Wohnperspektiven mit einzubeziehen. Von daher lassen sich die dafür benötigten Kompetenzen eruieren, die in Erweiterung zum Lehrplan eine bedeutsame Orientierungsgrundlage für die Auswahl und Bestimmung von Inhalten und Zielen der schulischen Bildung abgeben. Konkret kann dann gefragt werden, wie bedeutsam die Inhalte für die Schülerin sind, die der Lehrplan für die Klasse vorsieht? Kann daraus etwas ausgewählt und für die Schülerin passend aufbereitet werden? Kann das Unterrichtsthema so gewählt werden, dass innerhalb einer thematischen Klammer Inhalte unterschiedlich aufbereitet und in verschiedenen Formen zugänglich gemacht werden können und so gemeinsames Lernen mit passender Differenzierung und Individualisierung möglich wird? Oder ist es sinnvoller – wie im Beispiel – andere Schwerpunkte zu setzen, die sich von der Bedeutsamkeit im Alltag her begründen lassen (Orientierung in der Zeit)?


Das Spannungsfeld ‚Lehrplanorientierung – Entwicklungsorientierung’ steht auch damit in Zusammenhang, dass aktuelle Lehrpläne und der Lehrplan 21 für die Planung und Gestaltung von Unterricht für Lernende mit geistiger Behinderung höchstens ansatzweise geeignet sind. So sind beim Lehrplan 21 die für den Eintritt in den 1. Zyklus vorausgesetzten Kompetenzen für einen grossen Teil der Lernenden mit geistiger Behinderung zu hoch ansetzt. Zudem liegt ein Hindernis des Lehrplanes 21 im Hinblick auf die schulische Bildung von Lernenden mit einer geistigen Behinderung in der ausschliesslichen Fachorientierung (Sprachen; Mathematik; Natur, Mensch, Gesellschaft; Gestalten; Musik; Bewegung und Sport). Der Lehrplan 21 sieht nur zu Beginn des ersten Zyklus entwicklungsorientierte Zugänge als Brücke zu den Fachbereichslehrplänen vor. Die Betonung entwicklungsorientierter Zugänge und die Beachtung der Lebensperspektiven über alle Zyklen ist wesentlich für einen neu zu konzipierenden ‚Bildungsplan im Förderbereich geistige Entwicklung als Umsetzung zum Lehrplan 21’. Nur so bietet er einen hilfreichen Orientierungsrahmen für die Herausforderungen inklusiven Unterrichtes unter Einbezug von Lernenden mit geistiger Behinderung

2.4 Spannungsfeld und Herausforderung 3: Individuelle Ziele – gemeinsamer Unterricht Oft werden Schülerinnen und Schüler mit geistiger Behinderung in der Inklusion lernzielbefreit unterrichtet. Heisst lernzielbefreit befreit von allem? Womit sollen sich dann Lernende mit Lernzielbefreiung beschäftigen und auseinandersetzen? Und vor allem wozu und worauf hin? Die Lernzielbefreiung alleine räumt nicht die Hindernisse für gemeinsamen Unterricht aus, nur weil es dann für die lernzielbefreiten Lernenden nicht mehr darauf ankommt, ob sie die Lernziele der Klassenstufe erreichen oder nicht. Lernzielbefreiung kann zudem zur Beliebigkeit des Unterrichts und zur Zufälligkeit des Lernens führen. Von dieser Gefahr sind insbesondere Lernende mit geistiger Behinderung betroffen. Lernzielbefreiung heisst nur Befreiung von den Lernzielen eines stufenorientierten Lehrplans und verlangt die Formulierung individueller Lernziele. Diese lassen sich ausgehend von den individuellen Lern- und Entwicklungsvoraussetzungen mit Blick auf mögliche Lern- und Entwicklungsperspektiven sinnvoll bestimmen.


Wie ist gemeinsamer Unterricht bei individuellen Lernzielen möglich? Gemeinsamer Unterricht wird ermöglicht durch die Formulierung von Unterrichtszielen. Diese definieren, welche Aktivitäten im Unterricht stattfinden sollen (z.B. ein Problem lösen, ein Produkt herstellen, etwas gestalten, etwas erkunden). Wenn dabei darauf geachtet wird, dass unter Berücksichtigung der verschiedenen Aneignungsmöglichkeiten für alle Lernenden passende Zugänge geschaffen werden, können im Unterricht Aktivitäten stattfinden, an denen alle teilhaben können und die für alle Lerngelegenheiten beinhalten. Die Lerngelegenheiten unterscheiden sich je nach individuellen Lern- und Entwicklungsvoraussetzungen. Individuelle und individualisierte Lernziele sind dabei notwendige Anhaltspunkte für die Lernenden wie für die Lehrpersonen. Sie zeigen auf, was die einzelnen Schülerinnen und Schüler im Rahmen dieser Aktivitäten lernen können sollen. Gemeinsames Lernen beruht auf gemeinsamen Aktivitäten oder auf verschiedenen Aktivitäten im gemeinsamen Unterricht, die Gelegenheiten bieten für individuell abgestimmtes Lernen.


4. Was wir tun! Konkrete Impulse für inklusiven Unterricht: unterschiedliche Wege zum Thema ‚Wege’ Wie inklusiver Unterricht in der Praxis geplant und umgesetzt werden kann, wird nun konkret aufgezeigt. Die Praxisbeispiele entstanden in Zusammenarbeit mit Schulischen Heilpädagoginnen des HPSZ Olten und Regellehrpersonen, die mit diesen zusammenarbeiten. Sie zeigen unterschiedliche Möglichkeiten auf, wie der Lerngegenstand „Ich finde mich in meiner Welt zurecht – am Beispiel Wege“ für Lernende mit geistiger Behinderung in unterschiedlichen Schulstufen und Settings umgesetzt werden kann. Im Vordergrund steht das Ziel, dass Lernende mit unterschiedlichsten Voraussetzungen an Unterrichtsinteraktionen teilhaben können.

4.1 Wer lernt was und wie? • Wie sieht inklusiver Unterricht ausgehend vom Lerngegenstand ‚Wege’ nun konkret in der Praxis aus? • Wie wird das Thema ‚Wege’ in Klassen mit Lernenden mit unterschiedlichsten Voraussetzungen umgesetzt? • Warum findet man hier auch Beispiele aus dem separativen Setting als Impulse für inklusiven Unterricht? Darf man in diesem Fall überhaupt von inklusivem Unterricht sprechen? Die exemplarischen Beispiele sind als Impulse für einen inklusiven Unterricht gedacht und in keiner Weise vollständig oder umfassend. Ausgangs- und Angelpunkt der Beispiele bilden die unterschiedlichen Bearbeitungs- und Aneignungsmöglichkeiten der Lernenden (mit und ohne geistige Behinderung). Die inneren Repräsentationsmöglichkeiten der Lernenden müssen in Passung zur Form der Präsentation von Inhalten, also den Formen der äusseren Repräsentation, gebracht werden . Es muss deshalb danach gefragt werden, wie das, was gelernt werden können soll (der Gegenstand des Lernens), in den Inhalten und Aktivitäten repräsentiert werden muss, damit es für die Lernenden mit ihren Aneignungsmöglichkeiten zugänglich wird. (vgl. Kap, 3.5)


Eine Besonderheit dieser Darstellung von Impulsen für einen inklusiven Unterricht zeigt sich darin, dass auch Praxisbeispiele aus dem Setting Sonderschule herangezogen werden. Der Beweggrund für diese Entscheidung liegt darin, dass in diesen Praxisbeispielen sehr gut sichtbar wird, wie Lernangebote für Lernende mit konkret-vorstellenden und konkret-gegenständlichen Aneignungsmöglichkeiten ausgestaltet werden müssen. Sie geben Antwort auf die Frage, wie sich z.B. Lernende mit konkret-gegenständlichen Aneignungsmöglichkeiten Inhalte aneignen und schärfen den Blick, was Lernen auf unterschiedlichen Aneignungsniveaus bedeutet. Ein weiterer Beweggrund liegt darin, dass auch in Settings der Sonderschule sehr heterogene Gruppen unterrichtet werden. Angebote im Setting Sonderschule sind in der Regel hoch differenziert und individualisiert und dies ist eine zentrale Forderung an inklusiven Unterricht. Eine weitere Besonderheit, die für den Unterricht von Lernenden mit geistiger Behinderung von zentraler Bedeutung ist, und in den Praxisbeispielen zum Ausdruck kommt, zeigt sich darin, dass sich Unterricht nicht nur auf ‚Schulfächer’ beschränkt, sondern auch weitere Schulsituationen wie das Ankommen, das Umziehen, Pausen, das ‚Znüni’ als Lerngelegenheit mit einbezieht. Der Schwerpunkt bei den Praxisbeispielen aus dem Setting Sonderschule liegt auf individualisierten Sequenzen, da dort Besonderheiten des Lernens von Menschen mit geistiger Behinderung und die Bedeutsamkeit der Passung der Formen der Repräsentation besonders gut sichtbar werden. Dies führt hier aber zu einem verzerrten Bild des Unterrichts in Sonderschulen, denn in der Regel findet Unterricht gemeinsam statt.


Bei den Praxisbeispielen aus dem Setting der Regelschule liegt der Schwerpunkt auf der Darstellung der Dimension, wie Lernangebote in unterschiedlichen Formen der Repräsentation dargeboten werden und somit auch für Lernende mit konkret-vorstellenden Aneignungsmöglichkeiten Zugänge eröffnen. Sie geben Antwort auf die Frage, wie Unterricht gestaltet werden muss, dass nicht nur Lernende mit abstrakt-begrifflichen sondern auch Lernende mit konkret-vorstellenden Aneignungsmöglichkeiten Zugang zum gemeinsamen Lerngegenstand finden. Hier kommt auch zum Ausdruck, dass für eine gelingende Inklusion immer auch individuelle Wege gesucht werden müssen, um alle Lernenden in den Unterricht einzubeziehen. Allen Beteiligten muss immer wieder sicht- und erfahrbar gemacht werden, wie sie sich mit ihren individuellen Fähigkeiten einbringen können. Alle Lernenden – auch diejenigen mit geistiger Behinderung – sollen sich als kompetent erleben. Dabei spielen insbesondere die Möglichkeiten sozialer Teilhabe in der Klasse und im Schulhaus eine zentrale Rolle. Wir sprechen hier von Setting Sonderschule oder Setting Regelschule. Weil es dabei jeweils immer um gemeinsamen Unterricht und gemeinsames Lernen von Schülerinnen und Schülern mit unterschiedlichen Voraussetzungen geht, also um inklusiven Unterricht unabhängig vom jeweiligen schulorganisatorischen Setting, verwenden wir hier und im Folgenden konsequenterweise nicht mehr die Begriffe „integrativ oder Integration“, obwohl diese in der Praxis noch überall anzutreffen sind. Wir arbeiten mit dem umfassendere Perspektiven eröffnenden Begriff Inklusion. Der Begriff Inklusion beinhaltet die Auffassung, dass es die Aufgabe der Schule ist, dafür zu sorgen, dass alle Kinder und Jugendlichen mit ihren jeweiligen Fähigkeiten am Unterricht teilnehmen können.


5. Einblicke: Unterrichtsbeispiele aus den Settings Sonderschule und Regelschule

Wege – ich finde mich in meiner Welt zurecht

Fallvignetten Die Darstellungen der Fallvignetten im Setting Sonderschule sowie im Setting Regelschule nimmt einerseits Bezug auf die Aneignungsmöglichkeiten, Lernen und Formen der Repräsentation (siehe Kap. 3.2) und andererseits Bezug auf die Unterrichtsziele/Lektionsziele und individuelle Lernziele (siehe Kap. 3.4). ÜÜ Abbildung Aneignungsmöglichkeiten, Lernen und Formen der Repräsentation ÜÜ Abbildung Unterrichtsziele/Lektionsziele und individuelle Lernziele

5.1 Setting Sonderschule: Konkrete Impulse für inklusiven Unterricht Folgende Praxisbeispiele vermitteln einen Eindruck, wie Lernangebote für Lernende mit konkret-gegenständlichen und konkret-vorstellenden Aneignungsmöglichkeiten gestaltet werden müssen. Der Lerngegenstand muss sich so präsentieren, dass die Lernenden mit ihren jeweiligen Aneignungsmöglichkeiten Zugang finden können. Im Vordergrund stehen Wahrnehmungs-, Gegenstands- und Handlungsrepräsentationen sowie sprachliche, bildliche und ikonische Repräsentationen.


Die Praxisbeispiele fokussieren vor allem individualisierten Unterricht, der die Besonderheiten des Lernens von Lernenden mit konkret-gegenständlichen und konkret-vorstellenden Aneignungsmöglichkeiten gut sichtbar macht. Wie bereits erwähnt findet in auch gemeinsames Lernen in vielen Unterrichtssequenzen statt, wie z.B. im Morgenkreis, ‚Kommunikationsznüni’, gemeinsames Singen und Bewegen, Kochen, etc., der hier aber nicht abgebildet wird. Insbesondere jüngere oder schwerer beeinträchtigte Lernende sind immer wieder auf individuelle Unterstützung angewiesen. Die Ziel- und Sachorientierung beim Lernen steht noch im Hintergrund. In der folgenden Übersicht sind die einzelnen Praxisbeispiele in einem Lernstrukturgitter verortet, geordnet nach Themenschwerpunkten und Lernniveau. Durch Anklicken gelangt man zu den Fallvignetten und den Filmen.

Niveauspezifische Zuordnung der Umsetzungsbeispiele des Themas „Wege“ im Setting Sonderschule Lerngelegenheiten auf unterschiedlichen Niveaus und in unterschiedlicher Komplexität zum Thema Wege.

Übersicht Setting Sonderschule Weg zurücklegen – im engeren Umfeld Niveau 3 begrifflich-abstrakt (konkret-operativ) Niveau 2b

Sich im Klassenzimmer nach Anweisung durch den Raum bewegen: ÜÜ Film: Niveau 3 und 2b – umfassendes Raumdiktat Gehen mit Richtungswechsel:

konkret-vorstellend (Anschauung) Niveau 2a konkret-gegenständlich (Symbolik)

ÜÜ Film: Niveau 2b – Richtungsgehen Lola abwechselnd an verschieden Orte ablegen und wieder zurückbringen: ÜÜ Film: Niveau 2a – Lola ablegen und holen

Niveau 1b

Einen Weg über Hindernisse gehen:

konkret-gegenständlich Niveau 1a basal-perzeptiv

ÜÜ Film: Niveau 1b – Weg über Hindernisse –


5.1.1 Fokus: Weg zurücklegen im engeren Umfeld (Orientierung im Raum) Lernniveau 1b

Unterrichtsaktivität: Einen Weg über Hindernisse gehen.

Kontext Unterstufe, insgesamt 8 Lernende. Die Fördersequenz findet während des Unterrichts statt. Die Lernenden arbeiten in dieser Sequenz in verschiedenen Gruppen oder einzeln an individualisierten Unterrichtszielen. Klar strukturierte Handlungsabfolgen unterstützt durch ikonische und sprachliche Formen der Repräsentation (gelbes Band, Vers) werden angeboten, um Wesentliches hervorzuheben. Eine pädagogische Mitarbeiterin leitet die Sequenz mit S. an.

Dominierende Aneignungsmöglichkeit und allfällige Besonderheiten der Körperfunktionen S. verfügt grundsätzlich über konkret-gegenständliche Aneignungsmöglichkeiten mit Symbolik (2a). Hier steht das Erlernen von Handlungen im Vordergrund (1b). S. ist gerne in Bewegung und spricht viel.

Ziele S. legt den mit einem gelben Band markierten Weg - vom Start bis zum Stopp - über Hindernisse zurück. Im Vordergrund steht hier der Aspekt „Handlung/Fertigkeit“. Individuelles Lernziel: • S. lernt die Aufforderung den Weg abzuschreiten als Auftrag verstehen (Selbstkompetenz). Stichworte zu weiteren möglichen Lerngelegenheiten hinsichtlich der Kompetenzbereiche: (Fach-Selbst- und Sozialkompetenz siehe Kap. 3.4) • wissen, dass es einen Anfang und ein Ende gibt, ... (Fachwissen) • einen Handlungsablauf erlernen, Hindernisse überwinden, grobmotorische Fertigkeiten einüben, Gleichgewicht halten können, ... (Fachkönnen) • Handlungsimpulse erkennen und steuern, Bildung einer Repräsentation eines Ablaufs, ... (Selbstkompetenz) • Blickkontakt aufnehmen und halten, Berührungen zulassen, ... (Sozialkompetenz)


Impressum ISBN: 978-3-9524363-6-3 Herausgeber: Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik Zürich Lektorat: Karen Ling Layout und Produktion: Digital Learning Center – Reto Schürch 1. Fassung November 2017 @ 2017 Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik Zürich

Adresse Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik Zürich Schaffhauserstrasse 239 Postfach 5850 8050 Zürich

Copyright Das Copyright an den Inhalten der ebooks (Texte, Grafiken, Materialien, Filme, Animationen etc.) liegt bei Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik Zürich. Für die Reproduktion, Weitergabe oder Veröffentlichung von Materialien aus den ebooks ist im Voraus die ausdrückliche, schriftliche Genehmigung der Interkantonalen Hochschule für Heilpädagogik Zürich einzuholen. Vorlagen – soweit vorhanden – dürfen für den persönlichen Gebrauch oder im Rahmen der Lehrtätigkeit unter Nennung der Urheberschaft verwendet und / oder abgeändert werden. beook ist ein Produkt von ionesoft GmbH, 3007 Bern. Die Nutzungsbedingungen finden Sie unter http://beook.ch/nutzungsbedingungen.html


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