HKB-Zeitung
Thema: Mehrheit 4 Interview mit Barbara Balba Weber und Simon Küffer: «Die Menschen machen, was sie wollen.»
N°4/2017 Dezember — Februar 4 × jährlich
Hochschule der Künste Bern HKB
HKB aktuell | Agenda 7 Roland Fischer: Deluxe-Kultur
11 Graziella Contratto: Jury im Universalienstreit
17 L’Europe sauvage – Das wilde Europa im Galgenfeld
20 HKB-Agenda: Dezember 2017 – Februar 2018
10 Tine Melzer: Mehrheiten sind Grenzfälle
12 Peter Rettinghausen: Mehrheit ist Schrott
18 Ausgezeichnet! Interview mit Patricia Kopatchinskaja
23 Der HKB-Studiengang Multimedia Production stellt sich vor
19 Neu an der HKB HKB-Absolvent im Fokus: Martin Möll Zu Gast: Nikola Doll
24 Schaufenster — Arbeiten aus der HKB
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Mehrheit und Kunst: Das ist ein delikates Begriffspaar, geeignet, Bauchschmerzen oder Kopfweh zu verursachen. Sport und Mehrheit passt da schon besser zusammen.
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Christian Pauli *
Mit Vergleichen gerät man schnell in Teufels Küche, aber manchmal sind sie geeignet, das Blickfeld zu öffnen: Fast eine halbe Million Besucherinnen und Besucher zählt die Fondation Beyeler pro Jahr. Das ist mehr Publikum als ein erfolgreicher Fussballklub in der Schweiz jährlich generiert. Oder auch so: In der Schweiz gibt es 1111 Museen, die 2015 insgesamt 12,1 Millionen Eintritte verbuchten. Wer ist die Mehrheit? Wer sind die Rechtshänder? Die Nichtraucherinnen? Die Pendler? – Dies fragt das Y Institut der HKB mit seinem Jahresthema für das Studienjahr 2017/2018 1. Die HKB-Zeitung hat die vermeintlich einfachen Fragen aufgegriffen, deren Beantwortung mehr als knifflig ist. Wir gehen in dieser Ausgabe den Spuren von sprachlichen, künstle rischen, kulturpolitischen und werberischen Mehrheiten nach. Lesen Sie hier, wie sich der Diskurs einer Kunsthochschule im untiefen Wasser der Mehr- und Minderheiten bewegt. Wir wünschen Ihnen eine angeregte Lesefahrt.
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Christian Pauli ist der Leiter der Redaktion der HKB-Zeitung.
1 hkb.bfh.ch/de/hkb/ueber-uns/fachbereiche/y-institut/y-jahresthema/ mehrheit
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Interview: Christian Pauli
I st Schlager gute oder schlechte oder gar keine Musik? Was richtet der Populismus in der Musik an? Hat der Kulturpessimismus ausgedient? Kulturvermittlerin und HKB - Dozentin Barbara Balba Weber und der Rapper und HKBDoktorand Simon Küffer wagen sich auf heikles Terrain.
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Lasst uns zuerst über Schlager reden. Das ist die sprichwörtliche Musik für die Mehrheit und wird von vielen kunstaffinen Menschen leidenschaftlich verabscheut. Woher kommt eigentlich dieser «Sonderhass auf Schlager», wie die WOZ kürzlich schrieb? BW Diese Verachtung beschäftigt mich sehr. Als Kulturvermittlerin bewege ich mich gerne an scheinbar unmöglichen Schnittstellen, zum Beispiel jener zwischen zeitgenössischer Musik und Schlager. Interessanterweise teilen die beiden Musikstile etwas: Sie werden von der anderen Seite stark verachtet, sie eignen sich offenbar besonders gut als Pappkamerad zum Draufhauen. Ich habe bei meinen Recherchen zum Schlager festgestellt, dass diese Musik für Millionen von Menschen eine echte Lebenshilfe ist – sie tröstet sie, findet für sie Worte und Melodien dazu. Das muss man respektieren. SK Bei aller postmodernen Umschlingung von allem und jedem bleibt der Schlager tatsächlich aussen vor: Er ist der noch verbleibende Endgegner. Die Frage, die sich stellt: Schlägt man die Musik und meint eigentlich die soziale Klasse, die Schlager hört? Verabscheut man die Arbeiterinnen und Arbeiter, wenn man deren Musik verabscheut? Meine Antwort ist nein: Schlagermusik ist und bleibt meist primitiv, auch wenn wir die Klassen- und Bildungsproblematik dahinter durchschauen. Die künstlerische Kritik an Schlager hat vorerst noch nichts mit der Desavouierung einer sozialen Klasse zu tun. Apropos: Es gibt auch Schlager, den ich toll finde. Udo Jürgens zum Beispiel.
BW
BW Den finde ich Scheisse … (lacht). Nein, im Ernst: Ich
plädiere dafür, zu differenzieren und genau hinzuhören. Es scheint ein menschliches Grundbedürfnis zu sein, etwas Scheisse zu finden – was wohl mit Distinktion und Identitätsfindung zu tun hat. Meine Erfahrung zeigt aber, dass wir Vorurteile revidieren, sobald wir persönliche Beziehungen eingehen. Ich habe für meine Aktion zur Vermittlung des Kulturvermittlungspreises mit Schlagerstars und -fans gesprochen. Seither habe ich die Abscheu gegenüber Schlager etwas verloren. Ich wage es hier im Rahmen einer Hochschule zwar kaum zu sagen: Aber es gibt Schlagermusik, die ich mag. Und nachlaufen tut sie mir manchmal ganze Tage – aber das ist ja auch ihre Absicht.
BW
« Es gibt Schlagermusik, die ich mag.»
SK Mich
stört am Schlager das aufdringliche Kalkül. Die Melodien sind durchkalkuliert, die Sounds billig, die Worte Hülsen. Eine Produktion ohne Substanz. Schlagermusik ist wie Billigplastikproduktion. Oder ein Dessert, das zu viel Zucker drin hat.
SK
BW SK
« Schlagermusik ist wie Billigplastikproduktion.»
Warum stört dich das? Weil mir schlecht wird, wenn ich zu viel Zucker esse. Es ist ein falscher Gedanke, Schlager zu entschuldigen oder gar gut zu finden, weil es die unteren Schichten gut finden. Die Verachtung gilt ja den Produzenten und nicht den Hörerinnen und Hörern.
Das kann man nicht trennen. Man sollte eher daran arbeiten, die Verachtung in ein anderes Gefühl zu verwandeln …
… in Neugierde? Beispiel.
BW … zum
Der Reflex spielt schon noch: Es gab diesen in der lokalen Presse beschriebenen Zwischenfall, als Besucherinnen und Besucher des Gurtenfestivals in der Gurtenbahn mit Schlagerstar Helene Fischer beschallt wurden. Was für ein Aufreger! Dabei ist ja auch die Musik am Gurtenfestival auf Konsum, Mainstream und Mehrheit getrimmt. SK Helene Fischer singt auf Deutsch. Das spielt wahrscheinlich eine Rolle. BW Dass vielen bei Schlagermusik die Haare zu Berge stehen, hat in der Tat vor allem mit der geografischen Nähe zu tun. Musik von den Fidschi-Inseln ist weit weg, sie lässt mich unter Umständen gleichgültig, auch wenn sie mir fremd ist. Kämpfe finden immer in der Nachbarschaft statt. Hier wird über musikalische Relevanz und Berechtigung gestritten. Warum hat die Schweiz keine Volksmusik hervorgebracht, die die Mehrheit teilen kann? BW Das kann man doch so nicht sagen. Im Berner Oberland, in der Innerschweiz gibt es durchaus eine Volksmusik, die vielen gefällt. Deine Behauptung ist eher Zeichen eines Stadt-Land-Grabens. In anderen europäischen Ländern, in Irland etwa, gibt es doch eine Volksmusik, die einen breiteren Konsens erzeugt. BW Bedauerst du, dass es das in der Schweiz nicht gibt? Ja, doch. Auch wenn ich mir nicht ganz sicher bin: Ist die serbische Brassband, die alle zu Tränen rührt, vielleicht nur eines unserer Klischees? SK Du fragst, warum der Schweizer Ländler nicht die Bedeutung hat wie Folkmusic im Balkan, die dort an jeder Hochzeit gespielt wird? Ich sehe hier einen Unterschied zwischen Ost- und Westeuropa. Bei uns ist es mit dem Ländler wie mit den Trachten – sie sind für das Regionale und das Nationale instrumentalisiert worden. Ist die kulturelle Verwurzelung des Ländlers in der Schweiz so stark wie in anderen Ländern?
Das Diskurspotenzial von Rockmusik hat sich verlebt, sagst du. Gilt das auch für andere Popmusik? SK Im Rap sind soziale Konflikte teilweise immer noch ein Thema. Rap ist auf der Strasse relevant und wird von den Jungen gehört, er reflektiert nach wie vor reale Probleme, egal wie verzerrt. Das zeigt sich etwa darin, dass in Radios, Kulturinstitutionen und Feuilletons dem Rap gegenüber mehrheitlich eine ignorante wenn nicht abschätzige Haltung herrscht. BW Die Differenz zwischen sogenannter Hoch- und Unterhaltungskultur gilt immer noch. Zum Beispiel in der Kulturförderung: Gemessen an der Relevanz in der Bevölkerung wird die klassische Musik stark bevorzugt. Du schlägst dich mit dem Minderheitenstatus der klassischen Musik herum. Wie geht das: E-Musik aus der elitären in die reale Welt zu überführen? Gibt es eine demokratische Version von E-Musik? BW Unbedingt: die Amateure! Die Amateure spielen für die Vermittlung von klassischer Musik eine extrem wichtige Rolle. Das wird im professionellen Betrieb meist komplett unterschätzt. Eine partizipatorisch verstandene Kulturvermittlung muss die Amateure auf, neben und hinter der Bühne einbeziehen. Nicht die klassische Musik verschanzt sich nämlich in Burgen, sondern der professionelle Betrieb. Abgrenzungen in der Musik sind ins Wanken geraten. Wie wohl war es einem doch früher, eingenistet in einer superspeziellen musikalischen Blase. Als Anhänger der experimentellen Musik empfand man sich als «lachender Aussenseiter», wie es ein Buch eines Berner Konzertveranstalters in 90er-Jahren betitelte. So was käme heute niemandem mehr in den Sinn. Jetzt ist Öffnung angesagt und Vermittlung das Zauberwort der Kulturbranche. BW Wer ist schon gerne isoliert? Das ist wie im Kindergarten: Wenn du das einzige Kind bist, das mit einem Spielzeug spielt, wird’s bald langweilig. Die Abgrenzung hat sich überlebt. Geschichte ist, dass sich die neue Musik nach dem Zweiten Weltkrieg vor allem in Deutschland radikal von der bürgerlichen Kultur absetzen wollte. Karlheinz Stockhausen und viele andere suchten aus verständlichen Gründen vehement den Bruch. Theodor W. Adorno mit seiner Kulturkritik hat dann noch den philosophischen Überbau dazu geliefert. Adorno war ein grosser Verächter von Jazz, von Pop. Er hat dem «Sonderhass auf Schlager» den Weg geebnet. Das haben wir nun 50 Jahre später davon: die totale Isolierung der Neuen Musik. Der Kulturpessimismus à la Adorno beklagt, dass der Musikkonsum dem Massengeschmack und der kommerziellen Verführung überlassen wird. Sollten wir Gegensteuer geben und an Radio und TV Quoten für Schweizer Musik oder für klassische Musik einführen? SK Das ist eine schwierige Frage. Im Einzelfall sind Quoten sehr fragwürdig. Ich finde aber schon, dass öffentliche Radio- und Fernsehsender wenigstens zu einer Haltung verpflichtet werden sollten, nicht nur das zu spielen, was sich gerade verkauft. BW Ich bin für Quoten, überall. Sonst bewegt sich nichts. Die Quoten aber müssten natürlich dann
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Früher zeichneten Genres und Stile in der Musik soziale Grenzen. Wer Metal hörte hatte mit Rap nichts am Hut, wer Rock mochte langweilte sich mit Klassik. Heute sind diese Abgrenzungen flüssig geworden. Klassik geht Pop und vice versa. Im medialen Konsum wird zunehmend alles vermischt. Hat die Musik aufgehört, Klassenzugehörigkeit zu definieren? BW Ich sehe das etwas anders. Ich arbeitete jahrelang mit zahlreichen Schulklassen. Meist fragte ich die Jugendlichen zu Beginn, welche Musik sie hören und welche sie nicht mögen und warum. Da konnte ich feststellen: Das Spektrum ist enorm gross und die gegenseitige Ablehnung von Musikstilen wird immer noch gepflegt. SK Innerhalb der Popmusik ist soziale Integration möglich. Das unterscheidet Pop von anderer Musik. Die Subgenres der Popmusik sind durchlässig geworden. Diese Dynamik ist aber auch dem Markt geschuldet. Die Musikindustrie, die extrem unter die digitalen Räder gekommen ist, möchte am liebsten, dass alle Leute alles hören. Zugleich kann man in der Popmusik eine Entpolitisierung beobachten. Die meiste Popmusik hat kein Konfliktpotenzial mehr. Wenn Bundespräsidentin Leuthard an ein AC/DC-Konzert geht, zeigt das uns: Der Rockmusik ist die Rebellion abhandengekommen.
ständig erneuert werden. Was hältst du übrigens von Big Data in der Musik? Alles, was gehört wird, wird umgehend analysiert, um dem Einzelnen ein noch massgeschneiderteres Angebot zu liefern. SK Das finde ich hochproblematisch. Konsequent zu Ende gedacht, sind diese Empfehlungsalgorithmen, wie sie etwa Spotify pflegt, ein Uniformierungsprozess, an dessen Ende nur noch eine Künstlerin, ein Künstler steht, den oder die dann alle hören. BW Ich bin ungern kulturpessimistisch. Deiner Big DataPrognose stelle ich eine andere Vision entgegen: Wenn alles kanalisiert und eindimensional, ein musikalischer Einheitsbrei wird, entsteht daneben ein Freiraum, der genützt werden will. SK Adornos Kritik an der Kulturindustrie ist immer noch relevant. Man darf etwas nicht vergessen: Die Industrie sucht stets und in erster Linie den Profit. Sie hat sehr gute Ohren und verwertet neue Musik umgehend. Der Rap etwa ist Ende 70er-Jahre tatsächlich auf der Strasse entstanden – und wurde von der Industrie unglaublich schnell gefressen. Ebenso sollte man dieser heutigen eklektischen Harmonie in der Musik misstrauen. Du bedienst ein Genre – Mundartrap – das darauf angelegt ist, Leute zu erreichen. Du transportierst ja auch explizit Inhalte, mitunter politische Aussagen. Bist du da auch bereit, musikalische Kompromisse einzugehen? SK Nein. Allerdings aus zwei Gründen, die mir das einfach machen: Erstens, weil ich nicht muss. Musik ist nicht mein Broterwerb. Der zweite Grund: Mein Musikgeschmack ist an sich schon populär genug. Die Produktionen wähle ich ja aus, ich rappe nur selber. Der Populismus, die Kunst politische Mehrheiten zu generieren, ist derzeit beängstigend erfolgreich. Was ist eigentlich mit dem Populismus in der Musik? Betreibt nicht die gute alte Popmusik seit mehr als 50 Jahren musikalischen Populismus? BW Nein. Den Begriff Populismus kann man nicht auf die Musik übertragen. Und Kalkül in der Musik ist für mich nichts Verwerfliches. SK Tatsächlich? Kalkül im Sinne von Profitstreben findest du nicht verwerflich? BW Nein. Ich vertraue auf die Menschen: Die reagieren schon, wenn ihnen eine Musik, eine Entwicklung zu blöd wird. SK Erstaunlich, jetzt sind wir hier gerade dabei, die Rollen zu tauschen … (lacht) Natürlich ist Popmusik Populismus, und dies seit mehr als einem halben Jahrhundert. Die Industrie macht nichts anderes. Zum Glück aber ist das Soziale nicht steuerbar: Aus Kalkuliertem entsteht immer wieder Virtuoses und Geniales. Am Schluss sind es die Menschen, die mit der Musik immer noch machen, was sie wollen. SK
BW
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Auf jeden Fall. Zumindest auf dem Land. Hier wird die Kultur der traditionellen Musik auch von einem grossen Teil der Jungen geteilt. Gar keinen Zugang zur Volksmusik haben aber die meisten Musikhochschulen. Wenn wir von Mehrheit sprechen, muss ich an dieser Stelle die Ignoranz der Institutionen der klassischen Musik kritisieren. Da ich selbst aus der Klassik komme, kann ich das quasi von innen beurteilen. Ich finde, klassische Musiker oder Musikerinnen sollten wissen, welche Mehrheit oder besser Minderheit sie bedienen und was die Musiken sind, die neben ihrer eigenen noch existieren. Wer den Schlager, den Ländler, den Rap und seinen Kontext kennt, verhält sich als Musikakteurin oder -akteur anders.
«Popmusik ist Populismus, und dies seit mehr als einem halben Jahrhundert.»
Ja. Der Mensch ist als grundsätzlich musikalisches und kreatives Wesen konstituiert, um zu überleben. Das wird sich nicht so bald ändern. Und wir sind auch nicht die Letzten, die noch gute Musik erlebt haben.
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« Wir sind auch nicht die Letzten, die noch gute Musik erlebt haben.»
Fotos: Ângela Neto
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Der Hang zum Luxus geht in die Tiefe eines Menschen: Er verrät, dass das Überflüssige und Unmässige das Wasser ist, in dem seine Seele am liebsten schwimmt. Friedrich Nietzsche
einer Demokratie wird die In Kultur von einer Mehrheit für eine Minderheit finanziert. Warum? Ein kulturphilosophischer Essay von profanen Kulturstatistiken über Theodor W. Adorno bis hin zum römischen Künstler-Kaiser Nero. Es soll hier um Zahlen gehen. Um wenige versus alle. Vor allem aber um ein kleines gesellschaftspolitisches Rätsel: Warum bloss wird die Kultur, die doch nur von einer Minderheit «genutzt» wird (um dieses hässliche von den Ökonomen geprägte Wort an erstbester Stelle gleich einzuführen), von einer Mehrheit mitgetragen? Jedenfalls braucht die Kultur demokratische Entscheide nicht so sehr zu fürchten, wie die rasche Zeitgeist-Politanalyse gern suggeriert – Populismus und Spardiktat hin oder her, wenn kulturelle Zuwendungen vors Volk kommen, dann geht das meistens gar nicht so schlecht für die Kultur aus. Man kann nun mit Statistik argumentieren, wie es der Bund mit einigem Brimborium tut. In der seit 2014 jährlich erscheinenden Taschenstatistik Kultur stellen das Bundesamt für Kultur und das Bundesamt für Statistik «in knapper und übersichtlicher Form statistische Informationen zur Kultur und Kulturwirtschaft in der Schweiz zur Verfügung». 1111 Museen im Lande In der unlängst erschienenen Ausgabe 2017 erfährt man zum Beispiel, dass ein Schweizer Haushalt im Jahr 2013 durchschnittlich 238 Franken pro Monat für Kultur und Medien ausgegeben hat. Oder dass über siebzig Prozent der Schweizer Bevölkerung 2014 mindestens ein Museum, ein Konzert oder ein Denkmal besuchten. Oder dass die rund 180 Mitglieder des Schweizer Dachverbands der nicht gewinnorientierten Musikklubs und Musikfestivals (PETZI) im Jahr 2015 rund 11 700 Veranstaltungen mit rund 22 600 Bands und Acts organisierten (davon 56 % Schweizer Künstlerinnen und Künstler). Und dass diese nicht kommerziellen Veranstaltungen von knapp 2,3 Millionen Personen besucht wurden, während die 35 Mitglieder des Branchenverbands der professionellen Schweizer Konzert-, Show- und Festivalveranstalter (SMPA) im Jahr 2016 rund 1660 Veranstaltungen organisierten und damit ein Publikum von 5 Millionen Personen erreichten. Oder dass die 27 grössten Theaterhäuser der Schweiz in der Spielzeit 2015/2016 rund 6800 Aufführungen zeigten, die von rund 1,6 Millionen Zuschauerinnen und Zuschauern besucht wurden, während die freie Theaterszene rund 380 Spielstätten bespielt und damit jährlich rund 1,7 Millionen Besucherinnen und Besucher erreicht (Schätzung für das Jahr 2010). Oder dass es in der Schweiz exakt 1111 Museen gibt, die 2015 insgesamt 12,1 Millionen Eintritte verbuchten. Und dass diese Museen breit über das ganze Land verstreut sind: In mehr als einem Viertel (27 %) der Schweizer Gemeinden befindet sich mindestens ein Museum. Wobei nur elf davon über 200 000 Eintritte jährlich verbuchen: das Verkehrshaus (497 182), die Fondation Beyeler (481 704), das Maison Cailler in Broc (383 033), das Château de Chillon (371 844), das Musée Olympique in Lausanne (303 500), das Kunsthaus Zürich (289 527), das Technorama (256 694), das Musée d’histoire naturelle in Genf (241 624), das Landesmuseum Zürich (230 527), die Fondation Pierre Gianadda in Martigny (203 521) und das Freilichtmuseum Ballenberg (200 253). Kulturindustrie und Volkskunst Wäre Kultur also gar keine so elitäre Angelegenheit? Darauf läuft die Zahlenbeigerei ja hinaus: Alle (gut: fast alle) sind kulturaffin, auf die eine oder andere Art. Und löste sich obiges Rätsel damit gleich wieder in Luft auf? Da hat das BAK die Rechnung allerdings ohne die alten Miesepeter Horkheimer und Adorno gemacht. Denn in seinen statistischen Kulturtopf wirft der Bund querbeet und unbesehen das
ganze kulturelle Angebot, da ist keine Rede von Elite versus Masse, subventioniert versus kommerziell. Gegen eine solche Nivellierung der Kultur hatten sich die beiden Theoretiker noch mit aller Vehemenz gestemmt – was man so sich in Zeiten von Inklusion und Teilhabe natürlich nicht mehr trauen dürfte: «Wir ersetzen den Ausdruck [Massenkultur] durch ‹Kulturindustrie›, um von vornherein die Deutung auszuschalten, die den Anwälten der Sache genehm ist: dass es sich um etwas wie spontan aus den Massen selbst aufsteigende Kultur handele, um die gegenwärtige Gestalt von Volkskunst.»1 . Wenn man die – allerdings in verschiedener Hinsicht fragwürdige – Unterscheidung zwischen Kulturindustrie und wahrer Hochkultur nicht einfach vom Tisch wischen mag, dann stellt sich die Frage nach wie vor, einfach ein wenig enger formuliert: Warum unterstützt eine Mehrheit die Kultur einer Minderheit? Warum leisten wir uns beispielsweise ein Stadttheater, auch wenn nur ein kleiner Teil der Bevölkerung tatsächlich Vorstellungen besucht? Oder utilitaristisch, das heisst ganz auf den Nutzwert hin gefragt (womit das Rätsel ein ökonomisches wird): Welchen Nutzen sehen die Nutzerinnen und Nutzer in der Kultur, wenn sie sie gar nicht direkt nutzen? Vielleicht findet man eine Antwort, wenn man den Utilitarismus noch ein Stück weiterdenkt, bis ans Ende, bis hin zu Überfluss und Verschwendung. Eine Wirtschaft, die nicht mehr nur aus Notwendigkeiten besteht, leistet sich, und damit kommen wir zu einem weiteren zentralen Begriff: Luxus. Man kann es auch umgekehrt sagen: Luxus nennt man den Rahm auf der Milch – all das, was man oben abschöpfen kann, all das Überflüssige, nicht zwingend Notwendige, oder eben auch: zweckfreie. Insofern muss Luxus nicht zwingend despektierlich gemeint sein. Und insofern könnte man die Kultur vielleicht als die Rolex am Handgelenk der Gesellschaft denken. Und die Schauspiel- und Opernhäuser als ihre Sonntagstracht. Der deutsche Soziologe Werner Sombart bringt im Aufsatz Begriff und Wesen des Luxus sehr schön auch noch die Liebe ins Spiel, um diesen Überfluss zu verstehen 2: « [ … ] so dass der erste Antrieb zu etwelcher Luxusentfaltung in der großen Mehrzahl aller Fälle gewiss auf irgendwelches bewusst oder unbewusst wirkende Liebesempfinden zurückzuführen ist. Deshalb wird überall dort, wo Reichtum sich entwickelt und wo das Liebesleben naturgemäß und frei (oder frech) sich gestaltet, auch Luxus herrschen. Während der Reichtum dort, wo das Liebesleben aus irgendwelchem Grunde verkümmert ist, nicht zur Verausgabung, sondern nur zur Vereinnahmung von Gütern: zur Häufung also der Güter, und zwar möglichst in ihrer abstraktesten Form: den ungeformten Edelmetallen und dann dem Gelde führen muss.» Der Nutzen aus Nutzlosigkeit Und so wäre vielleicht zu erklären, warum auch manch einer für Kultur votiert, der mit ihren Produkten gar nicht so viel anfangen kann: Weil es sich gut anfühlt zu wissen, dass sich die Gesellschaft, der er angehört, so einen Luxus leisten kann – und nicht bloss die Anhäufung von ungeformtem Vermögen. Kultur könnte insofern als etwas verstanden werden – man denkt da wieder an Horkheimer und Adorno zurück –, dessen Nutzen sich nicht einfach im Produzieren und Konsumieren erschöpft und auch nicht in einem schwer zu fassenden gesellschaftlichen Bildungsideal, sondern das seinen Nutzen gerade aus der Nutzlosigkeit gewinnt. Oder kurz: Luxus ist das, was man nicht braucht. Und gerade deshalb nicht missen will. Aber vielleicht ist das auch allzu ökonomisch gedacht. Man könnte sich demgegenüber auch an den Soziologen Mark Featherstone von der Keele University halten, der dem Luxus in einem schönen kleinen Aufsatz psychoanalytisch auf die Spur zu kommen versucht. Er holt den Begriff (im
weiteren Sinn als Verschwendungssucht, Übertreibung, Exzess verstanden) ganz aus der negativen Ecke heraus und schreibt ihm eine positive Rolle zu, eine sehr politisch zu verstehende Sprengkraft 3: «Luxus kann als kritisches Werkzeug dienen, um den neoliberalen, kapitalistischen Realismus und das utilitaristische Kalkül zu überwinden, die unsere zeitgenössische Gesellschaft fest im Griff haben.» Er geht dafür bis zur römischen Verschwendungssucht eines Nero zurück, der sich das Spektakel als Teil des Exzesses zunutze machte – womit die Kultur auf überraschende Weise ins Spiel zurückkommt. Nero habe Rom durch das Zirkusspektakel, die Gladiatorenkämpfe, das Theater und die pornografischen Ausschweifungen einen riot of luxury gegeben, der das Volk aus der elenden Welt der Notwendigkeit herausgehoben habe und ihm momentweise Einblick in eine andere Welt gegeben habe, in der keine Grenzen gelten. Dass der Luxus und die Ausschweifung damit für Nero zu einer Art politischer Religion wurden, zu einem Werkzeug des Machterhalts, tut hier nicht unbedingt viel zur Sache. Viel wichtiger ist für Featherstone die Zweischneidigkeit dieses grenzüberschreitenden und alle Sicherheiten unterwandernden Luxusschwerts: «Nun sehen wir aber in unserer postmodernen globalisierten Welt, dass die luxuriöse Welt des Karnevals, der Orgie und der Party, wo der Konsum schon an die äussersten Grenzen der Ressourcen stösst, nicht ohne ihren Gegenpart existieren kann, die moralische, konservative, sich bescheidende Gemeinschaft, die auf materielles Vergnügen verzichtet (oder die darauf zu verzichten gezwungen ist), im Namen irgendeiner höheren Wahrheit.»
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Roland Fischer *
Mit Nero starb ein Künstler Da kommt zum Profanen also etwas Heiliges, ein Versprechen von etwas Grösserem, das jenseits des puren materiellen Luxus liegt – ganz egal ob man sich ihm nun hingibt oder verweigert. Die Pointe dabei: An einem solchen Luxusleben müssten gar nicht alle direkt teilhaben, um von ihm zu profitieren – Kultur könnte also stellvertretend sein in ihrer Verschwendung, in ihrer Nutzlosigkeit. Und womöglich auch in ihrem sexuellen Exzess, schliesslich stand Luxuria ja auch für eine der sieben Todsünden: die Wollust. Das würde dann auch erklären, warum die Gesellschaft der Künstlerin und dem Künstler einen extravaganten Lebensstil nie verwehrt hat, sondern kleine Grenzüberschreitungen geradezu erwartet. Was wohl auch Nero irgendwie gefühlt hat, bis zum bitteren Ende, als sein prekäres Reich furios in die Brüche ging und ihm kein anderer Ausweg als der Selbstmord blieb. Seine letzten Worte, der Überlieferung nach: «Welch ein Künstler stirbt mit mir!» Die Kultur (und der kulturelle Luxus) wäre damit der perfekte Stachel im Fleisch einer auf Optimierung getrimmten Gesellschaft. Da können die Bundesämter noch so viele nüchterne Statistiken produzieren: Diesen riot of luxury werden sich die Kulturschaffenden und -konsumierenden nicht nehmen lassen. Wenn es keine Grenzüberschreitungen mehr gibt, dann bleibt immerhin der pure, sinnlose Exzess. Und dann wäre Kultur die wunderbarste (und subversivste) Zeitverschwendung, die man sich vorstellen kann.
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Roland Fischer ist Wissenschaftsjournalist in Bern.
1 Theodor W. Adorno: Kulturkritik und Gesellschaft, 1951 2 Werner Sombart: Liebe, Luxus und Kapitalismus. Über die Entstehung der modernen Welt aus dem Geist der Verschwendung, 1922 3 Mark Featherstone: Luxus. A Thanatology of Luxury from Nero to Bataille (Cultural Politics 2016, Volume 12, Number 1: 66–82)
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Tine Melzer *
as Wort Mehrheit im D kognitiven Entschleuniger: Was sind die subjektiven Bilder, die wir mit Mehrheit verbinden? Was sind universelle Bedeutungen des Wortes Mehrheit?
Wenn wir ein Wort hören oder lesen, so unternimmt das Gehirn einen unmittelbaren Abgleich mit Bildern und Kontexten, die dem Wort Bedeutungen verleihen könnten. Das ist ein kognitiver Vorgang, schnell und nicht immer nachvollziehbar. Ich denke nach über Mehrheiten. Unter welchen Bedingungen treten die verschiedenen Aspekte hervor, die dieses Wort zu fassen vermögen? Welche Vorstellungen stellen sich spontan mit dem Begriff der Mehrheit ein? Ich lege das Wort Mehrheit unter einen kognitiven Entschleuniger, um diesen Prozess in einer Art Zeitlupe ansehen zu können. Welche der assoziierten Bilder haben subjektiven Charakter, welche sind generische Gewohnheiten, die wir teilen? Mehrheit klingt nach Politik. Da scheinen Wortpaare auf: die grosse Mehrheit, auch die absolute, überwältigende, knappe und schweigende Mehrheit. Vor dem inneren Auge erscheinen Zahlen in Prozenten, Balkendiagramme, schematische Darstellungen von Parlamentsplenen und immer wieder Tortendiagramme, sogenannte chartpies. Ein Vollkreis steht für das Ganze und in der grafischen Darstellung von Anteilen betrachten wir den Kuchen meist von oben: der halbe Kuchen plus (mindestens) ein paar Krümel bedeutet die absolute Mehrheit, zum Beispiel im Parlament (das ebenfalls wie eine segmentierte Torte in Draufsicht dargestellt ist). In diesen Darstellungen sind die Kreissegmente eingefärbt, die als spitze Tortenstücke für Mengenanteile stehen. Mehrheiten zeigen sich mithilfe der Schnitte durchs Ganze. Die Mehrheit benennt die grösste Gruppe von Individuen, die etwas gemeinsam haben. Was jeweils als Kriterium gelten soll für die Einteilung in diese Kategorie hat mit diskreten Definitionen zu tun: Es sind jene Schnitte, die das Ganze in einzelne Teile zertrennen.
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Gefühlte Mehrheiten und Unbehagen Elemente in Mehrheiten sind zählbar und müssen es sein, sobald sie beziffert und vergleichbar werden und statistisch auswertbar sein sollen. Die Auswertung ist bei Abstimmungen eindeutig, weil jede Stimme einer der wählbaren Parteien zugeordnet werden kann. Aber Mehrheiten werden nicht nur bei
Wahlen so genannt, wo die Stimmen in vorab formulierte Fächer gelegt werden sollen, sondern auch dort, wo sie im Nachhinein zu Gruppen gefasst werden oder als solche interpretiert werden. Es gibt auch gefühlte Mehrheiten oder Annahmen, die auf ungenauer Wahrnehmung oder Falschannahmen beruhen. Mehrheiten machen die sie umfassenden Elemente gleich, weil sie mit einem Aspekt zu einer Gruppe zählen. Die Einteilung in Eigenschaften lädt sodann dazu ein, die Dominanz einer Menge zu formulieren. So ist es möglich, verallgemeinernde Aussagen zu treffen über eine grosse Menge an Gleichen. Diese Gleichheit ist jeweils nur ein Aspekt der Einzelnen, was die Vielfalt der Individuen innerhalb einer Gruppe verschleiert. Jeder Einzelne kann gleichzeitig zu mehreren Mehrheiten zählen – es kommt auf die Kriterien an, die aufgestellt werden, ob jemand zur Mehrheit oder zur Minderheit gehört (im Wort Kriterium steckt etymologisch das Wort Urteil oder Grenze). Die Anzahl der Mitglieder einer Gruppe können so miteinander verglichen werden: die grösste Gruppe stellt die Mehrheit. Die Kriterien funktionieren also wie ein Filter, der alle Elemente untersucht und entscheidet, ob sie unter diesem Gesichtspunkt mitzählen oder nicht. Das übt einen Druck aus auf diejenige, die den Minderheiten angehören. Mit behaupteten Mehrheiten als Scheinargument wird Einhelligkeit der Meisten suggeriert. Nicht alle wichtigen Eigenschaften lassen sich unbedingt in diskrete Grenzen fassen. Und jemand zieht diese Grenzen. Mehrheiten lösen deshalb gelegentlich ein Gefühl von Unbehagen aus. Nicht immer will jeder ein Teil der Mehrheit sein. In diesem ungemütlichen Aspekt des Wortes schwingen Begriffe mit, die sich an Massengeschmack, Undifferenziertheit und Trägheit binden. Kommt das auch daher, dass die grösste Masse (physikalisch gesehen) auch die trägste ist? Mehrheit verdeckt Minderheit Bilder von Gruppen kommen mir in den Sinn: Menschengruppen von Fussgängern auf dem Weg zum Bahnhof, Herden von Steppentieren, Schwärme von Insekten und Fischen, gemeinsame Bewegungen Vieler in dieselbe Richtung. Woher das Unbehagen? Weil viele einzelne sich in die gleiche Richtung bewegende Tiere wie ein zäher Strom den Weg versperren können, wie eine Herde Schafe eine Landstrasse? Weil eine gemeinsame Bewegung noch nicht ihre Richtung legitimiert? Weil Mehrheiten im Nachhinein gesehen manchmal als Irrende gelten? Mehrheiten sind die grössten und damit oft sichtbarsten Gruppen im Narrativ der Überlieferung. Das dominante Objekt im Sichtfeld verdeckt andere Gegenstände, die sich dahinter oder daneben befinden.
Dieser vergleichende Aspekt findet sich in Rechnungen um Grössenverhältnisse und Häufigkeiten. Es gibt auch bei den Worten Mehrheiten: die statistischen Werte über die Häufigkeiten auftretender Worte unterliegen den Gewohnheiten der Menschen, die sie benutzen. Die Veränderung der Sprache und die Bedeutungsverschiebungen der Worte werden nachvollziehbar gemacht, indem man sie mit der Gesamtmasse verfügbarer Worte vergleicht. Worte sind nicht gerne allein In Bereichen der angewandten Linguistik werden die Bewegungen von Wortgruppen und ihre Beziehungen zueinander untersucht, um zu verstehen, wie häufig Worte vorkommen und mit wem sie meist auftauchen. Auch Worte sind nicht gern allein und Michael Lewis hat kurz vor der Jahrtausendwende das schöne Wort geprägt: «Words are like people» 1. Nach den aktuellen Einschätzungen der Linguistik können Worte als einzelne Elemente in Netzwerken anderer Worte lokalisiert werden. Wir kennen diese Modelle als word clouds und verstehen – auch durch die Arbeit mit digitalen Geräten, dass Worte mehrheitlich in Begleitung daherkommen. Beim Tippen einer Textnachricht am Smartphone schlägt uns das Programm einige Worte vor, die im Satz mit grosser Wahrscheinlichkeit folgen könnten. Algorithmische Berechnung von Worthäufigkeiten verdanken wir den Rechenleistungen von Computern und den wachsenden Datenmengen digitaler Texte. Ein Teil dieser Technologien gehört in den Bereich der Comparative Corpus Linguistics. CCL untersucht und veranschaulicht, wie (ziemlich) alle Worte (die im Umlauf sind), im Geflecht anderer Worte auftauchen. Dazu werden Begegnungen von einzelnen Worten statistisch gezählt und gezeigt; man kann die linken und die rechten Nachbarn jedes einzelnen Wortes darstellen, weil sie mehrheitlich gemeinsam benutzt werden. Beim Online-Wortschatzportal der Universität Leipzig lässt sich nachsehen, wie allgemeinsprachlich das Wort Mehrheit in diesem Wortgeflecht vernetzt ist 2. Konkrete Satzbeispiele aus dem Korpus für die Aufstellung sind Zitate aus online veröffentlichten Zeitungsartikeln. Mit dem Begriff der Mehrheit wird konkret oft eine Form der Rechtfertigung, Autorisierung oder Legitimierung verbunden. Doch merken wir einigen dieser Sätze an, dass sie Meinungen oder Behauptungen sind und nicht unbedingt wahrheitsgetreuen statistischen Fakten entsprechen. «Die große Mehrheit der Ostdeutschen ist froh, im vereinigten Deutschland zu leben.» noz.de, aufgerufen am 16.1.2011
«Die grosse Mehrheit der befragten Leser von Tagesanzeiger.ch sind vom Rauchverbot begeistert.» tagesanzeiger.ch, aufgerufen am 30.1.2011
«Doch die Mehrheit der Beschuldigten verblieben in Freiheit.» askonline.ch, aufgerufen am 19.12.2010
«Das Nötige zu tun, braucht keine Mehrheit, sondern eine Entscheidung.» bernerzeitung.ch, aufgerufen am 22.12.2010
«Seine Allianz verfügt im Senat über die hauchdünne Mehrheit einer Stimme.» news.ch, aufgerufen am 16.1.2011
«Der Nationalrat folgte der Mehrheit der Rechtskommission und lehnte den Vorstoss ab.» handelszeitung.ch, aufgerufen am 5.1.2011
Wie wir die Sprache brauchen, hinterlässt Spuren in unserem Wortschatz. Manche davon kann man – fast live – online einsehen. Suchmaschinen rechnen mit grossen Datenmengen algorithmische Wortmehrheiten aus. Die Google-Schlagwortsuche bietet diesen Service an: Sie befriedigt eine fast voyeuristische Neugier daran, wie Satzanfänge mehrheitlich enden und welche Fragen am häufigsten gestellt wurden 3. Die vorgeschlagenen Sätze geben preis, was viele andere Benutzer der Suchmaschine eingetippt haben. Die Vorschläge spiegeln Resultate einer Mehrheit wider. Sie sind oft absehbar, manchmal überraschend oder peinlich, selten sogar poetisch oder paradox. Für den Satzanfang «When will minorities …» wird uns diese Frage vorgeschlagen: When will minorities be the majority? Bei Kunstwerken scheint es, als seien die Praxis weniger und die Erneuerung des Geschmacks einer Mehrheit voneinander abhängige Kurven: Provokation, Konventionsbruch, Abkehr, Avantgarde, Autonomie oder Widerstand sind gängige Begriffe der Kunstgeschichte. Da erscheinen Werke von
«Was ist die Mehrheit? Mehrheit ist der Unsinn. Verstand ist stets bei wenigen nur gewesen. » Demetrius, Friedrich Schiller, 1803
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Tine Melzer ist Dozentin am Y Institut der HKB. Sie publiziert regelmässig zu Themen zwischen Sprachphilosophie und visueller Kunst.
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aktuell.ru, aufgerufen am 19.12.2010
Künstlerinnen und Künstlern vor dem inneren Auge, die zu Lebzeiten nicht populär waren und heute zu den mehrheitlich anerkannten Meisterwerken zählen oder aktuell die meisten Mitbieter bei Auktionen auf sich vereinen können. Da fallen mir Texte von Schriftstellerinnen und Schriftstellern ein, die zur Zeit ihrer Entstehung nicht der Auffassung der Mehrheit entsprachen, und heute scheint kaum ein Essay ohne sie auszukommen. Nachhaltige Anerkennung durch ein Massen- und Fachpublikum spielt sich in einem langwierigen Diskurs vor dem Hintergrund und im Umfeld eines (kultur-)geschichtlichen Zusammenhangs ab. Wenn sich Mehrheiten für künstlerische Haltungen ergeben, so machen sie sich verdächtig und stehen genau deshalb oft schon wieder in der Kritik. Das Verhältnis zwischen Autonomie im Atelier und Erfolg ist fragil, weil Hype in den Künsten misstrauisch macht. Die unbehagliche Seite daran, Teil einer Mehrheit zu sein, gibt Anlass, die eigenen Wahrnehmungs- und Geschmackskriterien zu überprüfen. Schaffensprozesse in den Künsten unterliegen anderen Mechanismen als denen der Reproduktion eines Massengeschmacks. Die Qualität einer künstlerischen Äusserung bemisst sich nicht an absoluten Zuschauerzahlen oder Höchstsummen für Kunstwerke. Nicht Mehrheiten können über die Güte eines Werkes entscheiden, sondern jedes Individuum, wie es im Kontakt mit dem Werk aus einer sprachlosen Einsamkeit herausschauen oder -lauschen kann, um eine eigene persönliche Erfahrung des Trostes zu machen. Wenn Trost eine Sache der Kunst ist, so liegt sein Wert in der Erfahrung der Nähe zum anderen. Zuerst ist jeder im Publikum allein mit seinen Wahrnehmungen und findet Verstandensein im Werk, vielleicht sogar im Austausch mit anderen, die das eigene Urteil teilen. Die Bedingungen für die Tiefe dieses Trostes liegen nicht bei vorabformulierten Kriterien – sie zerfallen in heterogene subjektive Splitter, die nur unter grosser Mühe und Sorgfalt kommuniziert werden können. In der Kunst setzt sich das Publikum mehrheitlich aus Minderheiten zusammen.
1 Michael Lewis (Ed.), 2001. Teaching Collocation. Further Developments in the Lexical Approach. Hove: LTP «Words are like people [. . . ] We all feel comfortable when we are surrounded by friends and acquaintances, but anxious in unfamiliar situations when we are surrounded by strangers. We have friendships of different kinds – close, intense relationships which, even if relatively infrequent, are the most important in our lives – loved ones who live abroad, for example. But we also have relationships, which are frequent but unimportant – the person who travels on the same train to and from work, five days a week. There is also the one-night-stand – a serendipitous one-off, creative encounter, which may be more exciting than any regular encounter, but, however sadly, not part of everyday life. The relationships between words closely resemble the rela tionships between people.» 2 corpora.uni-leipzig.de/de/res?corpusId=deu_newscrawl_2011&word=Mehrheit 3 google.ch
Graziella Contratto*
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«Die Oligarchen zahlen sowieso zu wenig, so die überwältigende Mehrheit der Befragten einer Umfrage.»
«Das weiss ich doch selber, dass ich nicht gut singen kann.» Menderes Bagcis, Dschungelcamp, 2016
Das oben erwähnte Schiller-Zitat war vor dreissig Jahren Aufsatzthema in meiner Deutschmatura an der Töchterschule Theresianum Ingenbohl. Ich erinnere mich, dass ich beim Schreiben munter über Substanz und Akzidens drauflosfabulierte. Dazu gesellten sich noch 63 andere Fremdwörter, weswegen der Experte der Maturakommission mir einen Notenabzug verpasste. Dabei setzte ich Fremdwörter doch nur deshalb ein, weil sie mir das Gefühl gaben, etwas Besonderes zu sein. Ohne Fremdwörter hätten meine Aufsätze – wie die damaligen Wangen eines Max Frisch oder Hans-Dietrich Genscher – schlapp gewirkt. Ich verbrachte damals viel Zeit in der Dorfbibliothek und manchmal kam einer der internen Kollegianer in meine Nähe, ging dann aber wieder weg, weil ihn mein mir ständig an irgendeinem Körperteil hängender Geigenkasten wohl abschreckte. Meine Welt war dialektisch-gleissend vor Wissensdurst und in Liebeskummer getränkt. Üben, Lernen, Geprüftwerden bildeten die Handlungszentren meines Alltags. Aber ich war stolz, einer bildungsbürgerlichen Minderheit anzugehören. So werden Pubertäten verhindert.
Als Kompensation dafür ziehe ich mir heutzutage gerne Castingshows rein. Castingshows sind mehrheitsverquollene Handlungszentren. Quasi überzogen von der Orangenhaut der Kunstkritik. Menschen mit Talenten werden von einer Jury beurteilt, am Ende entscheidet eine Mehrheit aus dem Publikum via SMS, wer siegt und sich eine Schönheitsoperation leisten darf. Die Juryurteile sind grosses Kino, Hilfsbegriff Universalienstreit, der da bedeutet: Geht es beim Talent um die Idee oder um ein konkretes Ding? Da sagt zum Beispiel der Aristoteliker Dieter Bohlen zu einer Kandidatin: Ich finde dich sympathisch. Oder sexy. Oder (selten) beides. Damit setzt er auf eine allgemeine Eigenschaft (das Akzidens), möchte aber ein ausserordentliches Talent (die Substanz) ausfindig machen: Das ist logisch gesehen zwar ein No-Go, aber er setzt sich hartnäckig so lange als Produzent für seine Entdeckungen ein, bis sie Karriere machen, bis das Allgemeine zum Besonderen wird. Bei Italienern lobt er ständig das grosse Gefühl. Und im Unisono mit seiner früher karstigen Wangenhaut ist auch sein Charakter mit der Zeit glatter geworden. So werden Karrieren geschmiedet. Der Platoniker DJ Bobo hingegen sagt zu einem Sänger: Du bist eigentlich ein Tänzer. Dadurch setzt er seine eigenen Ideen (Substanz) über die Fakten (Akzidens), weil er denkt, die Begabung wirke unabhängig von den konkreten Anlagen oder
über diese hinaus. DJ Bobo ist ein Phänomen, eine Art eidgenössische, immer schmunzelnde Jeff-Koons-Figur. Sogar in Platons Höhle würde er noch für gute Laune sorgen. Mein Lieblingsjuror ist Samu Haber aus Norwegen (The Voice). Er kann eigentlich nur ein Wort auf Deutsch: Geil. (Ich höre gerade, seine Freundin hat ihn verlassen.) Und mein Lieblingskandidat ever ist Menderes Bagcis. Er wurde 2016 durch das Fernsehpublikum zum Dschungelkönig gekürt. Zuvor hatte er während über gefühlten hundert Ausgaben von Deutschland sucht den Superstar seine sängerische Talentabsenz unter Beweis gestellt, bei jeder Eliminierung brach eine Welt für ihn zusammen. Aber im Dschungelcamp wurde er plötzlich zum gereiften, sozial und empathisch reagierenden Menschen. Die votende Mehrheit entschied sich für ihn als König. Er trug als Dschungelkrone einen Pflanzenkranz mit etwas zu grossen, hibiskusähnlichen Blüten. Das war schön anzuschauen. Substanz und Akzidens schwangen sich in Harmonie ein, Menderes wurde sozusagen zur menschlichen Schlichtungsmetapher des Universalienstreits. Ob er sich hegelianisch motiviert nun trotzdem wieder bei Bohlen vorstellt, ist mehrheitlich ungewiss.
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Graziella Contratto ist Dirigentin und leitet den Fachbereich Musik HKB.
1 Der sogenannte Universalienstreit war das philosophische Hauptproblem, das seit den Anfängen der Scholastik die ganze mittelalterliche Philosophie durchzog. Strittig war die Frage, ob universelle Gegenstände existieren, von denen die individuellen nur Abbilder wären, ob es im Gegensatz dazu nur universelle Begriffe gibt oder ob sogar nur Wörter/Zeichen existieren, mit denen potenziell mehrere Einzelgegenstände bezeichnet werden können. (Aus: de.mittelalter.wikia.com/wiki/Philosophie)
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Peter Rettinghausen *
Kunst ist für eine Minderheit – Werbung macht man für die Mehrheit: Ein Werber schreibt über Sinn und Blödsinn und ein spannungsreiches Begriffspaar. Die meisten Künstlerinnen und Künstler schrecken vor Werbung zurück wie der Teufel vor dem Weihwasser. Das ist gut so. Kunst hat noch selten eine gute Kampagne gemacht. Ein paar bekannte Künstler haben sich an Werbung versucht. Jean-Luc Godard drehte einen Werbefilm für eine Zigarettenmarke. Es waren schöne Bilder, ein Obdachloser schob mit nackten Füssen Zigarettenpäckchen über den Fussboden. Die Zuschauerinnen und Zuschauer blieben eher ratlos als inspiriert im Kino sitzen. Ein nicht weniger bekannter Schweizer Regisseur aus Hollywood bekam Carte blanche für den Imagefilm einer Fluggesellschaft. Der Film sah aus, als hätte der Künstler sich selbst verwirklicht und das Image der Airline vergessen. Aber die Airline bezahlte und hielt vor lauter Respekt vor dem berühmten Namen des Künstlers die Klappe. Zur Verteidigung der beiden Herren sei gesagt: Die Mehrheit der Werbung ist Schrott. Grosse Werbekampagnen von grossen Konzernen sind auf den Geschmack der Mehrheit getrimmt. Ecken und Kanten werden so lange abgeschliffen, bis die Marktforschenden sagen: Jetzt setzt niemand mehr etwas daran aus. Damit begehen sie einen grossen Fehler. Wenn eine Kampagne so gemacht wird, damit sie der Mehrheit gefällt, fällt sie niemandem mehr auf. Die Leute laufen einfach an den Plakaten vorbei. Denken Sie kurz nach: Erinnern Sie sich an eine Werbung, die Sie in letzter Zeit gesehen haben und die Ihnen gefallen hat? Eben. Die Mehrheit der Werbeagenturen im Land scheint keine Ideen mit dem Potenzial zum Anecken und Auffallen zu haben. Und die grosse Mehrheit der Bevölkerung scheint sich über Werbung eh nur zu nerven. Zählen Sie einmal die Bittekeine-Werbung-Aufkleber auf Schweizer Briefkästen. Auf fast siebzig Prozent klebt einer.
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Schelmische Provokation In der Werbebranche arbeiten ein paar Tausend Personen. Unter ihnen gibt es eine Minderheit. Ein Grüppchen tapferer Kreativer, die gute Werbeideen ausbrüten, haben sich im ADC zusammengeschlossen, dem Art Directors Club Schweiz. Der Club hat 148 Mitglieder. Es ist nicht so, dass Leute, die
Neumitglied werden wollen, dem Verein die Türen einrennen. Die Mehrheit der jungen Werberinnen und Werber scheint den Club als Altmännerverein zu sehen, der sich gegenseitig Auszeichnungen zuschanzt. Das stimmt nicht. Aus der grossen Menge der Schweizer Werbekampagnen zeichnet der ADC jedes Jahr eine kleine Minderheit aus. Überdurchschnittliche Arbeiten mit Bronze, herausragende mit Silber und wegweisende mit Gold. Diese ausgezeichneten Kampagnen haben in der Regel eine Idee, die den Betrachter intelligent, schelmisch oder charmant provoziert und unterhält. Ein schönes Beispiel für das Spiel mit schelmischer Provokation war die Werbung für eine Uhr. Ein Hersteller aus Schaffhausen hatte den brillanten Einfall und den Mut, seine Uhren ausschliesslich als Uhren für Männer zu positionieren. Ein Steilpass für die Kreativen. Die Werbekampagne fiel dementsprechend aus und auf. Man sah grosse Schwarz-WeissFotos der Uhren. Die Schlagzeilen darüber machten Furore. Wie zum Beispiel «Fast so kompliziert wie eine Frau. Aber pünktlich». Die Mehrheit der Männer lachte, und wer es sich leisten konnte, schnallte sich so eine Uhr ans Handgelenk. Die Frauen sahen sich als Minderheit diffamiert. Sie schrieben tonnenweise böse Leserinnenbriefe. Dann erschienen die neusten Verkaufszahlen. Mehr Frauen als jemals zuvor in der Geschichte des Unternehmens hatten eine Uhr aus Schaffhausen gekauft. Daraufhin erschien nochmals eine Anzeige: «Immer mehr Frauen kaufen unsere Uhr. Was haben wir bloss falsch gemacht.» Minderheit der Talente Die Mehrheit der Mitarbeitenden in Werbeagenturen hat heutzutage höhere Diplome in der Tasche. MarketingBachelors, Germanistinnen, Kommunikationsdesigner und wie sie alle heissen. Diplome machen aber noch lange keine gute Art-Direktorin und keinen guten Texter. Es ist dasselbe wie mit eidgenössisch diplomierten Künstlerinnen und Künstlern: Talent hat man oder nicht, lernen oder studieren kann man es nicht. Das Zeug zu genialen Einfällen, die berühren und innehalten lassen, wenn man auf Youtube einen Werbespot oder in einer Ausstellung ein Kunstwerk sieht, hat nur eine kleine Minderheit. Das Entwickeln von Werbekampagnen, die ins Kleinhirn der Mehrheit vordringen und dort haften bleiben, ist Knochenarbeit. Brüten, verwerfen, weitermachen. Bis zum Finden einer Idee, die zuvor noch nie jemand hatte, können Tage und Wochenenden vergehen. Manchmal fallen sie der Art-Direktorin oder dem Texter schon ein, wenn sie dem Kundenbriefing zuhören. Diese Glücksmomente sind aber klar in der Minderheit. Ein kleiner Tipp für alle, die es selber mal versuchen wollen: Gute Ideen entstehen aus guter Laune. Quatschen Sie drauflos, reissen Sie Sprüche. Vergessen Sie Marktfor-
schungen und Balkendiagramme, mit denen Marketing und Kundenberaterinnen Sie überhäufen. Haben Sie Spass und überlegen Sie sich, wie Sie das Benefiz eines Produktes so schlau, frech und unterhaltsam wie möglich einem grossen Publikum erzählen würden. Die Leute lassen sich lieber unterhalten als belehren, sie kaufen lieber von einem Clown als von einem Dozenten. Es gibt auch Werbung, die sich gezielt an kleine Zielgruppen richtet. Diese Arbeit ist genau so anspruchsvoll. Stellen Sie sich das Bild von einem wunderschön fotografierten Porsche vor. Die Schlagzeile darüber: «Das Auto für die Minderheit.» Durchsage verstanden Über fünf Milliarden Franken gehen in der Schweiz pro Jahr für Werbung drauf. Die Mehrheit fliesst in klassische Medien. Online-Medien schlucken etwa eine Milliarde, Tendenz steigend. Das ist viel Geld. Henry Ford, der Erfinder der Fliessbandarbeit, sagte einmal, die Hälfte der Werbegelder sei zum Fenster rausgeschmissen, man wisse nur nicht, welche. Das stimmt bis heute. Die Mehrheit der Werbung ist auch im Web Schrott. Online-Agenturen haben WebDesignerinnen und Content-Schreiber, aber Ideen können auch sie nicht programmieren. Aber es gibt Lichtblicke. In einem Shopping-Center stand kürzlich ein Apparat. Darauf waren ein Bildschirm, ein Knopf und eine Klappe. Der Bildschirm war mit der Webcam auf einem Bio-Bauernhof verbunden. Man sah ein paar Kühe. Wenn man den Knopf drückte, fingen auf dem Hof grosse Bürsten an zu drehen, die Kühe gingen hin und liessen sich genüsslich massieren. Unten aus der Klappe fiel eine Tetra-Pak-Verpackung mit Milch raus. Auf dem Bildschirm stand «Mach die Kuh glücklich, dann macht sie dich glücklich». Durchsage verstanden. Werbung ist Kunst In den Sechzigerjahren verschwanden die Grenzen zwischen Kunst und Werbung. Andy Warhol machte Siebdrucke von Suppendosen. Dann kam Michael Schirner. Nur eine Minderheit dürfte heute noch sein Buch Werbung ist Kunst kennen. Die deutsche Zeitung Die Zeit nannte ihn den Beuys der Reklame. Er begriff das Entwerfen einer Kampagne nicht als überbezahlten Job, sondern als angemessen entlohnte Kunstschöpfung. Im Alter wird er gesagt haben: «Tja, ein Leben lang Kunst gemacht und trotzdem reich geworden.» Damit kann man einverstanden sein oder nicht. Schirner erfand die Werbung in Deutschland neu. Vor ihm gab es nur ganz biedere Sachen. Schirner setzte auf Reduktion. Auf ein Plakat schrieb er einfach nur «schreIBMaschinen». Als die Post ihre ersten Satelliten einsetzte, zeigte er einen Nachthimmel mit funkelnden Sternen und setzte «Einer davon ist von uns» darunter. Wahrscheinlich war Michael Schirner einfach nur ehrlich. Er machte l’art pour l’argent. Man könnte jetzt noch seitenweise darüber schreiben, ob Werbung Kunst ist oder nicht. Werbung will auf- und gefallen. Vermutlich sollte man sagen: Werbung ist Brunst.
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Peter Rettinghausen arbeitet als Senior-Texter in einer Berner Werbeagentur.
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HKB-Zeitung Hochschule der Künste Bern HKB N°4/2017
© Hochschule der Künste Bern HKB. Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil dieser Zeitung darf ohne schriftliche Genehmigung der HKB reproduziert werden.
Herausgeberin: Berner Fachhochschule BFH Hochschule der Künste Bern HKB
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Redaktion: Christian Pauli (Leitung), Brigitte Kasslatter, Peter Kraut, Marco Matti, Raffael von Niederhäusern, Nathalie Pernet, Lara Schaefer, Andi Schoon Gestaltungskonzept und Layout: Atelier HKB, Marco Matti (Leitung), Moana Bischof, Lara Kothe, Renate Salzmann Druck: DZB Druckzentrum Bern Auflage: 9 000 Exemplare Erscheinungsweise: 4 x jährlich
Die Einnahmen aus den Inseraten kommen vollumfänglich dem Stipendienfonds zugute, der HKB-Studierende in prekären finanziellen Verhältnissen gezielt unterstützt. hkb.bfh.ch/stipfonds
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CANTONALE BERNE JURA Dez 2017 → Jan 2018
EAC ( les halles ), Porrentruy Kunsthalle Bern Kunsthaus Centre d’art Pasquart, Biel / Bienne Kunsthaus Interlaken Kunsthaus Langenthal Kunstmuseum Thun La Nef, Le Noirmont Musée jurassien des Arts, Moutier Stadtgalerie Bern
www.cantonale.ch
03.12.2017 → 21.01.2018 22.12.2017 → 04.02.2018 03.12.2017 10.12.2017 07.12.2017 09.12.2017 10.12.2017
→ → → → →
14.01.2018 28.01.2018 14.01.2018 04.02.2018 21.01.2018
10.12.2017 → 28.01.2018 15.12.2017 → 27.01.2018
12. «Der Bund»-Essay-Wettbewerb. Schreiben Sie zum Thema «Wir sind ein Einwanderungsland – schmeckt Ihnen das?»
«Wir sind ein Einwanderungsland – schmeckt Ihnen das?» Schreiben Sie einen Essay und nehmen Sie am Wettbewerb teil. Zu gewinnen ist ein Preisgeld von insgesamt 9000 Franken. Teilnahmebedingungen: www.essay.derbund.ch Einsendeschluss: 31. Dezember 2017 www.essay.derbund.ch
00.– 0 9 F H C ld ! P r e i s ge
ONO Das Kulturlokal
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HKB aktuell | Agenda
N°4/2017
L’Europe sauvage – Das wilde Europa im Galgenfeld Datum Do, 25. bis Sa, 27.1.2018 Ort Shedhalle, Underground Parking, alter Hörsaal, High-Tech-Auditorium, Theatersaal rund um die HKB Standorte Ostermundigenstrasse 103 und Zikadenweg 35 Weitere Infos im 3. Bund dieser Zeitung
«So reiss, ihn dir doch aus der Seele / den sündhaften Irrglauben, dem die Inkas huldigen! / Du hast es meiner Liebe versprochen. / Was zögerst du? Nein, du liebst mich nicht!» – das klingt dramatisch, und es wäre jetzt viel Kontextwissen nötig, um diesen offenbar zornigen Menschen zu situieren. Also andersrum: Les Indes galantes ist eine Barockoper des französischen Komponisten Jean-Philippe Rameau aus dem Jahre 1735. In vier Aufzügen wird die Praxis der Liebe in fernen Ländern beschrieben – es ist der europäische Blick auf das Fremde. Der Zeit geschuldet finden sich darin viele tänzerische Anteile, die Oper wurde mit grossem Kostüm- und Bühnenaufwand inszeniert. Rameau war aber nicht nur
Opernkomponist, sondern auch Musiktheoretiker und einflussreicher Kulturakteur. Alles zusammen also eine perfekte Startrampe für ein HKB-Labortorium! In einem Laboratorium kommen Menschen und Inhalte aus verschiedensten Bereichen der HKB zusammen, und das wird man an vier Spielorten sehen und hören können. Nebst den beiden HKB-Sälen im Theater am Zikadenweg und in der Musik an der Ostermundigenstrasse werden ein leicht angejahrt anmutender Hörsaal im Swisscom Tower und eine leerstehende Shedhalle in Beschlag genommen werden. L,Europe sauvage, wie das Projekt mittlerweile heisst, wird von Regisseur Joachim
Schloemer mit kräftiger Unterstützung von zahlreichen Studiengangsleiterinnen und -leitern in Szene gesetzt. Von Rameau selbst werden am Ende bloss noch Ausschnitte zu hören sein, wichtiger sind vielmehr Beiträge von Studierenden fast aller Studienrichtungen der HKB. L,Europe sauvage – der Titel ist eine verpflichtende Ansage für ein wunderbares Spektakel.
Bild: Stefan Wermuth
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In Kürze
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Der Kulturpreis der Stadt Biel 2017 geht auf Antrag der Kulturkommission Biel an den Schriftsteller, Lyriker und Literaturvermittler Rolf Hermann. Hermann schreibt vorwiegend Lyrik, aber auch Prosa, Hörspiele, Theaterund Mundarttexte. Am Schweizerischen Literaturinstitut in Biel ist er als Dozent tätig. Bei der diesjährigen Austria Barock Akademie in Gmunden, Österreich, haben zwei Studierende der Klasse von Christian Hilz einen Preis gewonnen: Nicole Wacker, Sopran, Bachelor, 5. Semester, erhielt eine Einladung zu einem Konzert bei den Schwetzinger Winter-Festspielen 2019 und darüber hinaus den Publikumspreis. David Zürcher, Bass, Master Music Pedagogy, 1. Semester, erhielt eine Einladung zu einem Preisträger-Konzert im Radiokulturhaus des ORF in Wien.
Ausgezeichnet!
«Ich gestalte Musik nicht, die Musik gestaltet mich» Patricia Kopatchinskaja
Wanda Winzenried, Bachelorstudentin Theater Schauspiel, 4. Semester, wurde am diesjährigen Schauspielwettbewerb des Migros Kulturprozent mit einem Studienpreis in der Höhe von 14 400 Franken ausgezeichnet. Nach dem Förderstipendium der Friedl Wald Stiftung ist es bereits der zweite Preis in diesem Jahr, über den sie sich freuen kann. Zwei von vier Gewinnerinnen und Gewinnern des Berner Musikpreises 2017 in der Höhe von je 15 000 Franken sind HKB-Dozierende. Meret Lüthi, Dozentin für Barockvioline und künstlerische Leiterin des Ensembles Les Passions de l,Âme, ist Spezialistin für Alte Musik und regelmässig bei Radio SRF 2 Kultur als Fachexpertin zu Gast. Der zweite Gewinner ist Ernesto Molinari, Professor für Klarinette und Bassklarinette, Kammermusik, zeitgenössische Musik und Improvisation an der HKB. Charlotte Huldi, Regisseurin und Lehrbeauftragte im Master Musik und Bewegung (Rhythmik), erhält den mit 30 000 Franken dotierten Kulturpreis 2017 des Kantons Bern mit ihrem Theaterensemble Théâtre de la Grenouille. Mit dem Kulturpreis würdigen das Amt für Kultur und die Kulturkommission des Kantons Bern das langjährige Wirken des Théâtre de la Grenouille, das bildhafte, poetische Stücke für Kinder, Jugendliche und Erwachsene produziert und dabei zu einem einzigartigen Umgang mit Zweisprachigkeit gefunden hat. Andréas Netthoevel, HKB-Forscher und Dozent für Visualisierenim Fachbereich Gestaltung und Kunst, hat einen Red Dot Award gewonnen. Ausgezeichnet wurde er für das Corporate Design, das er mit seinem Gestaltungsbüro 2. stock süd für das Psychiatriezentrum Münsingen (PZM) neu entwickelt hat. Der Red Dot Design Award wird vom Design Zentrum Nordrhein-Westfalen organisiert und ist einer der grössten Designwettbewerbe der Welt. Zwei Wettbewerbserfolge für die Klavierklasse von Tomasz Herbut: Nikita Tonkonogov, Masterstudent in Specialized Music Performance, wurde am 7. Internationalen SiegfriedWeishaupt-Klavierwettbewerb in Deutschland mit dem 2. Preis ausgezeichnet. Die Bachelorstudentin Daria Korotkova gewann den 1. Preis am internationalen Concerto-Wettbewerb an der Tel-Hai International Piano Academy, der renommierten Schmiede für Nachwuchspianistinnen und -pianisten in Israel. Soeben haben fünf Doktorierende der Graduate School of the Arts Bern promoviert: Leo Dick, Zwischen Konversation und Urlaut. Der Sprechauftritt im Composed Theatre; Luzia Hürzeler, How to sleep among wolves; Fabienne Kilchör, Archäologie visualisieren. Entwicklung einer standardisierten Zeichenschrift zur Analyse und Vermittlung archäologischer Funde und Befunde; Simeon Thompson, Schweizerisch-deutsche Kulturbeziehungen und Romantikrezeption im Nationalsozialismus. Die Eichendorff-Oper «Das Schloss Dürande» von Othmar Schoeck und Hermann Burte; Johannes Gebauer, Der Klassikervortrag – Die Interpretationspraxis bei Joseph Joachim.
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Leo Hofmann und Benjamin van Bebber wurden mit dem Performancepreis Schweiz 2017 ausgezeichnet. Die mit 30 000 Franken dotierte Auszeichnung wurde den beiden Künstlern für ihre Performance «Winterreise / Preliminary Study for a Nomadic Life» verliehen. Leo Hofmann studierte Sound Arts an der HKB. Seinem Bachelor schloss er je einen Master in Contemporary Arts Practice und in Research in the Arts an.
Foto: Marco Borggreve
Herzlichen Glückwunsch zum Schweizer Musikpreis 2017! Jetzt hat die Schweizer Kultur Sie definitiv für sich beansprucht – wie fühlen Sie sich dabei? Es ist eine grosse Anerkennung und Freude, zugleich eine Verpflichtung und die Chance, Neues auszuprobieren. Wie viel Dressage Ihrer ungestümen genialischen Talente haben Sie während des Studiums in Bern erfahren – oder war es am Ende etwas ganz Anderes, was Sie in Bern gesucht (und gefunden) hatten? Ich kann nur immer wieder meinem damaligen Lehrer Igor Ozim am Berner Konsi ein Kränzchen winden. Er gab mir unendlich viel – aber vor allem die Selbstständigkeit. Bei Igor war es nur die Frage des Fleisses. Er gab das vollständige und sehr wertvolle Wunderrezept zum Üben. Wir witzelten damals, dass er sogar einem Affen Geige spielen beibringen könnte. Er versuchte mich auch nicht zu ändern, sondern arbeitete detailliert und streng an objektiven Dingen, an der technischen Sicherheit, am offensichtlichen musikalischen Verständnis. Es kam nicht infrage, dass jemand ohne Partitur in die Stunde kam. Heute sind wir gute Freunde geworden und ich suche bis heute seine Gesellschaft und seinen Rat. Wie man in den Berner Lauben munkeln hört, sind Sie mittlerweile auch als Diseuse in Schönbergs Pierrot Lunaire unterwegs: Wie erleben Sie als eine der kommunikativsten Geigerinnen unserer Zeit das instrumentenlose Sprechen und warum dieses Abenteuer? Der Pierrot ist ein Schlüsselwerk des 20. Jahrhunderts, er wirkt bis heute nach, man denke nur an Kurtags Kafka-Fragmente. Ich habe den Pierrot oft als Geigerin gespielt und hatte immer den Traum, diese Sprechgesangsrolle zu lernen – nur: Wie wollte man Zeit und Mut finden? Die letzten Jahre waren musikalisch unmenschlich, aber sehr spannend, intensiv, mit wahnsinnig vielen Konzerten, Stress rundum, Reisen um den Globus und mit ständigen Herausforderungen:
Daraus entwickelte sich eine Sehnenscheidenentzündung an meinen beiden Armen. Ich musste Konzerte absagen und konnte bis vor Kurzem nur reduziert üben. Da dachte ich – es ist Zeit für Pierrot! Mit professioneller Hilfe von Esther de Bros lernte ich ab und zu ein paar Stücklein draus. Bisher haben wir das Werk mit Studierenden zu Hause in Bern aufgeführt und nun folgt der Kopfsprung vor Publikum in den USA. Sie haben in Ihrer Karriere bereits unglaublich viel geleistet, spielen im Konzert immer mit einem existenziellen Anspruch an Wahrheit, Sie sind Mutter, internationale Solistin mit gefeierten Auftritten und CD-Aufnahmen, Sie sind die neue künstlerische Leiterin der Camerata Bern, Vermittlerin mit einer kultursozialen Botschaft … und wirken daneben immer noch wie eine unverbraucht-unschuldige Figur aus einem Kleist-Roman. Wie steht es mit Geben und Nehmen in Ihrem Leben? Ja, wenn ich das wüsste. Durch die erwähnte Sehnenscheidenentzündung habe ich doch einsehen müssen, dass einem beim Geben Grenzen gesetzt sind. Was das Nehmen betrifft, so bin ich heute in der wunderbaren Situation, dass ich mir meine Mitmusiker aussuchen kann. Wenn man mit langjährigen musikalischen Freunden wie der ausserirdischen Pianistin Polina Leschenko, dem Dirigenten Philippe Herreweghe, Sir Simon Rattle, Teodor Currentzis oder dem Komponisten Heinz Holliger spielen darf, wenn man seine Ideen zusammen mit begeisterten jungen Musikerinnen und Musikern realisieren kann, wie neulich am Lucerne Festival, so ist man mehr als reich beschenkt. Auf dem CD-Cover der Aufnahme des TchaikowskyViolinkonzerts sieht man Sie verkleidet als russische Landbraut neben dem Dirigenten Teodor Currentzis als Gemahl – das ist ebenso witzig wie hintersinnig. Bei Ihnen beiden spürt man die Lust zur Irreführung, gepaart mit einem unbändigen Drang, die musikalische Gestaltung bis zum Undenklichen auszureizen. Wie werden Sie in 10 Jahren wohl Musik gestalten? Ich gestalte Musik nicht, die Musik gestaltet mich. Irgendwann werde ich nur noch
zeitgenössische Musik spielen und aufnehmen, etwas unterrichten. Im Moment hoffe ich, mehr zu Hause zu sein und zu komponieren. In einem Ihrer Filmporträts sieht man Sie unter Schneefall über ein Feld gehen, dazu hört man den langsamen Satz aus Beethovens Violinkonzert und Sie beschreiben Ihr inneres Bild, wie Sie als Vogel über die Notenlandschaft des Werks schweben. Bei jeder anderen Persönlichkeit würde man die Metapher für leicht überladen halten, nur bei Ihnen denkt man: Ich muss mein Leben ändern! Haben Sie manchmal Bedenken, dass diese Ihre Wahrhaftigkeit mit den Jahren verloren gehen könnte? Wäre das schlimm oder eine Chance? Ich würde das Bild mit dem Vogel über der Landschaft tatsächlich nur für das Beethovenkonzert verwenden. In den grossen Violinkonzerten von Mendelssohn oder Brahms ist die Violine das agierende Subjekt, das die Themen vorträgt, im Sinne – hier komme ich. Aber bei Beethoven umspielt die Geige die Landschaft, die im Orchester ausgebreitet wird, und kommentiert, fast wie eine improvisierende Verzierung. Man nimmt dieser Stimme jeden Reiz, wenn man sie didaktisch und rechthaberisch in den Vordergrund stellt. So fasse ich das Beethovenkonzert als Sinfonie mit improvisierender Geige auf. Natürlich muss man täglich um Wahrhaftigkeit kämpfen. Wenn man sie verliert, ist man verloren. Das Interview führte Graziella Contratto schriftlich
Die Violinistin Patricia Kopatchinskaja studierte von 1998 bis 2000 am Konservatorium Bern, einer Vorläuferinstitution der HKB. Sie ist für ihre radikalen Interpretationen von Werken aller Epochen und Stile bekannt. Als Weltstar und Querdenkerin zugleich überschreitet Kopatchinskaja gerne Grenzen, führt neue und neueste Musik auf und hinterfragt Konzertrituale. Ab September 2018 übernimmt sie die künstlerische Leitung der Camerata Bern. Auf Empfehlung der Eidgenössischen Jury für Musik wurde Patricia Kopatchinskaja mit dem 100 000 Franken dotierten Schweizer Grand Prix Musik 2017 ausgezeichnet. patriciakopatchinskaja.com
Annaïk Lou Pitteloud ist die neue künstlerische Dozentin mit Ansprüchen an die Fine Arts in BA und MA CAP: Bienvenue! In Lausanne geboren, zu Hause in Brüssel, ausgebildet in Bern und an der Rijksakademie Amsterdam, verbindet sie breite internationale Erfahrung mit Vernetzung in Bern. Verdichtung der Kunst ist bei ihr mehr als eine rein konzeptuelle Toolbox. Der Fachbereich Musik hat mit Christian Kobi und Marc Unternährer zwei international renommierte Improvisatoren für die HKB gewinnen können. Wir heissen sie an der HKB herzlich willkommen! Der in Luzern und Chicago ausgebildete Tubist Marc Unternährer ist auf vielen Bühnen unterwegs und weiss die Grenzen klassischer wie jazziger Genres auszuloten und mit anderen Disziplinen zu verbinden. Seine Engagements u.a. in Ruedi Häusermanns Theaterproduktionen, beim Tonhalle Orchester Zürich, mit dem Ensemble Phoenix Basel, mit den Bands Le Rex oder Trampeltier of Love zeigen exemplarisch die Bandbreite, in der sich Unternährer bewegt. Christian Kobi ist Komponist und Musiker. Sein künstlerisches Interesse gilt der improvisierten Musik. Dabei erforscht er die Beziehungen zwischen Klang, Aktion, Geräusch und Stille. Seit mehreren Jahren erarbeitet er Performances für Saxofon solo und präsentiert diese an internationalen Konzertreihen und Festivals. Einladungen für Gastvorträge, Seminare und Lehraufträge führten ihn u. a. nach Helsinki, Tokio und Budapest. Er ist Mitglied von Konus Quartett | vier Saxophone. Seit 2004 ist er Leiter des Festivals für improvisierte und experimentelle Musik »zoom in« im Berner Münster. André Lottaz unterrichtet seit September 2017 das Nebenfach Klavier im Fachbereich Musik. Herzlich willkommen! Der in Bern, Lausanne und Barcelona ausgebildete Pianist ist künstlerisch vor allem als Liedbegleiter und Kammermusiker in verschiedenen Formationen tätig. Neben seiner reichen Erfahrung und Leidenschaft als Klavierpädagoge arbeitete er auch als Forschungs- und Unterrichtsassistent der spanischen Literaturwissenschaft an der Uni Bern und in leitender Position an der Kalaidos Fachhochschule sowie an der Musikschule Konservatorium Bern. Herzlich willkommen! Der Studiengang MAS Pop & Rock hat am Standort Ostermundigenstrasse 103 ein neues Soundlabor eingerichtet: Dort stehen elektronische Medien, welche die Popmusik entscheidend geprägt haben, im Raum 107 zum Ausprobieren. Ab November 2017 ist eine öffentliche Session geplant, die zweiwöchentlich stattfinden soll. Input-Kurse zum Thema Sound starten im FS 2017. Geplant ist ein CAS Sound im Unterricht ab HS2018. Einführungskurse können bei Interesse direkt bei Immanuel Brockhaus und Robert Michler gebucht werden. Marc Stucki ist neu Dozent und Leiter Pädagogik Jazz an der HKB Musik. Er studierte Saxofon bei Donat Fisch in Bern und Samuel Zingg an der Swiss Jazz School. Später zog es ihn nach Luzern, wo er Saxofon, Improvisation und Komposition an der Musikhochschule bei Nat Su, John Voirol, David Angel und Ed Neumeister studierte. 2006 nahm er Unterricht bei Ellery Eskelin und Tim Berne in New York. Marc Stucki spielt Saxofon und Bassklarinette bei King Pepe, Le Rex, Skyjack und Stucki & Steiner. Er ist Mitbegründer der Jazzwerkstatt Bern und sitzt im Vorstand des Schweizer Musik - Syndikats. Herzlich willkommen an der HKB!
Martin Möll von Brigitte Kasslatter
Er habe den Master in Contemporary Arts Practice CAP an der HKB nicht wegen seiner fächerübergreifenden Ausrichtung gewählt. Als Autodidakt suchte der Berner Martin Möll damals schlicht den Austausch mit anderen Kunstschaffenden. Er wünschte sich Inputs, um eine breiter abgestützte Basis für sein künstlerisches Schaffen zu definieren. Die Zeit an der HKB sei sehr positiv gewesen, eine äusserst intensive Phase in seinem Leben, ein Eintauchen in eine völlig neue Welt. Doch dann kam der Bruch. Plötzlich merkte Martin, dass er «genug von diesem Kunstkuchen» hatte. Sein Blick auf die Kunst veränderte sich. Es war der Beginn einer neuen Leidenschaft: Pilze sammeln. Gesammelt habe er immer schon für seine Kunst, zum Beispiel verlorene Handschuhe. Oder Matratzen. Nicht physisch, aber auf Bildaufnahmen: In Paris hat er über 500 Stück davon fotografiert, herumliegend auf den Trottoirs der Stadt. Damals lief Martin jede Strasse der Metropole ab. 2000 Kilometer in sechs Monaten, acht Stunden pro Tag. Er kam mit tausenden Bildern in der Tasche zurück. Was ihn an solchen Gebrauchsgegenständen interessiere? Es seien die Lebensspuren, die sich davon ablesen lassen und viele Geschichten erzählen. Warum aber Pilze sammeln? Da gäbe es viele Aspekte zu nennen: seine Erscheinungsform, seine Art der Fortpflanzung, Sagen und Mythen rund um den Pilz. Aber besonders der Akt des Sammelns selbst: das Herumschweifen im Wald, die nötige Achtsamkeit, die Recherche über neu entdeckte Arten. Auch hier folge man immer einer Spur. Inzwischen haben ihn die Pilze vereinnahmt, ja, man könnte fast sagen süchtig gemacht. Heute sammelt der Fünfundvierzigjährige nicht nur Pilze, er ist auch Sänger einer Band, in deren Liedtexten es ausschliesslich
DE Z E MB E R 2017 – FE B RUAR 201 8
Die erste Dissertation der Graduate School of the Arts liegt nun als Buch vor: Immanuel Brockhaus analysiert in Kultsounds. Die prägendsten Klänge der Popmusik 1960 – 2014 (transcript 2017) erstmals umfassend Einzelsounds in ihrem Entstehungs- und Entwicklungskontext und liefert damit Einblicke in Technologie, Anwendungspraxis und Ästhetik von Kultsounds sowie den damit verbundenen Netzwerken. Interviews mit Roger Linn, Boris Blank, And.Ypsilon und vielen anderen bekannten Akteuren ergänzen die Studie und verdeutlichen die Popularität und Komplexität von Sounds und Soundeffekten.
HKB-Absolvent im Fokus
Foto: Sha
um Pilze geht. Er schaut sich Filme über Pilze an, liest Bücher darüber, beteiligt sich an Foren. Mindestens ein bis zweimal pro Woche geht Martin in den Wald, um zu sammeln. Überhaupt lässt er seine Kunst meistens draussen entstehen. Unorte faszinieren ihn, unattraktive Orte, die unvermittelt erscheinen. Seine Vorliebe gilt den kleinen Dingen auf der Welt, die sonst niemandem auffallen. Was er in nächster Zeit vorhabe? Im vergangenen Sommer sei er mit einem befreundeten Künstler im Tessin gewesen, um sich dort mit Pilzen zu beschäftigen. Ergebnisse
der Residenz werden diesen Winter an der Cantonale Berne Jura gezeigt. Er habe aber auch ein neues Sammelobjekt: Postkarten mit einem roten Farbfleck. Und ein neues Projekt: eine analoge, fotografische Arbeit, ausgelöst durch diese Sammlung. Denn der Pilz habe überhandgenommen, er untergrabe seine Kunst. Martin möchte den Ausgleich zwischen Kunst mit Pilzen und Kunst ohne Pilze wiederfinden. Sich wieder für «Nicht-Pilziges» begeistern können sei sein Ziel – für Martin Möll eine grosse Herausforderung.
HKB -ZEITUNG
Neu an der HKB
Zu Gast
Nikola Doll von Verena Andel und Floria Segieth-Wuelfert
Raub und Handel, Zwischen Kunst, Wissenschaft und Besatzungspolitik – so lauten nur zwei Themen, mit denen sich die international renommierte Kuratorin und Provenienzforscherin Nikola Doll auseinandersetzt. Seit Mai 2017 tut sie dies in der Schweiz in ihrer Funktion als Abteilungsleiterin der Provenienzforschung am Kunstmuseum Bern. Sie ist Kunst- und Zeithistorikerin und hat zu Mäzenatentum und Kunstförderung im Nationalsozialismus promoviert. Mit der aktuellen Auseinandersetzung um das Gurlitterbe hat dieser wissenschaftliche Hintergrund für das Kunstmuseum Bern neue Bedeutung gewonnen, wie Provenienzforschung überhaupt für das Museum neue Dimensionen angenommen hat. Nikola Doll ist im kuratorischen Team zur Vorbereitung der Ausstellung Bestandsaufnahme Gurlitt. Entartete Kunst – beschlagnahmt und verkauft, die ab November zu sehen ist. Ausserdem wurde eine Forschungsstelle mit mehreren Mitarbeitenden unter ihrer Leitung eingerichtet. Hier haben in den letzten Monaten zehn Studierende aus unterschiedlichen Vertiefungsrichtungen des Fachbereichs Konservierung und Restaurierung der HKB die Arbeit in den Restaurierungsateliers unterstützt. Auf Initiative des Fachbereichs Konservierung und Restaurierung und mit der fachlichen Beratung des Kunstmuseums Bern wurde zudem ein neuer Studienschwerpunkt entwickelt: Werkzuschreibung und Provenienzrecherche interdisziplinär heisst das neue Ausund Weiterbildungsprogramm der HKB. So wird die erfolgreiche Zusammenarbeit der beiden Institutionen ab Dezember auch durch die Lehre getragen. Das Programm wird sowohl Studierenden als auch Berufspraktikern verschiedener Disziplinen und Institutionen offenstehen. Interdisziplinär eben, denn die Identifikation von Kunstwerken und die
Foto: Adrian Moser
Rekonstruktion ihrer Herkunftsgeschichte kann nur durch die Kooperation zahlreicher Fachgebiete sinnvoll erfolgen: Restauratorinnen, Kunsttechnologen, Kunsthistoriker und Historikerinnen wie auch fallweise Forensikerinnen, die Polizei oder spezialisierte Rechtswissenschaftler gehören hier zum Netzwerk. Auf diese vielseitige Gruppe von Studierenden und Berufstätigen wird Nikola Doll im neuen Aus- und Weiterbildungsprogramm nun als Gastdozentin treffen. Sie kennt die Arbeitspraxis, die vor Fachgrenzen nicht haltmacht, aus Projekten an Universitäten, im Museums- und Ausstellungsbereich. An
der HKB wird sie ihre reiche Erfahrung im besonderen Fall der Provenienzforschung an NS-verfolgungsbedingter Raubkunst weitergeben. Ausgewählte Werke aus dem Museumsbestand werden ihr zur Vermittlung von Hintergrundwissen und Recherchemöglichkeiten in dem praxisorientierten Lehrprogramm dienen. Die HKB freut sich auf Nikola Doll und die erneute Zusammenarbeit mit dem Kunstmuseum Bern!
hkb.bfh.ch /cas-provenienzrecherche
19
Dezember 2017 – Februar 2018
Mi
HKB-Agenda DE Z E MB E R 2017 – FE B RUAR 201 8
D E Z
So
Musik und Bewegung
3
Impro-Cocktail Klavierimprovisationen mit Studierenden des Bachelors Musik und Bewegung (Rhythmik) anlässlich der Balade de Noël. 16.00 Uhr HKB Burg Biel, Grosser Rhythmiksaal
OKT bis Fr
4
Klassenauditionen
19
HKB -ZEITUNG
Vom 16. Oktober 2017 bis 19. Januar 2018 finden zahlreiche JAN Klassenauditionen statt, mit Studierenden aus verschiedenen Instrumentenklassen. hkb.bfh.ch/auditionen
Do
2
DEZ
Symposium
Future Sound of Pop Music Symposium über die Klangästhetik in der populären Musik der letzten Jahrzehnte. futuresoundofpopmusic.net HKB Ostermundigenstrasse
Fr
Musik Klassik
1
Open Chamber Music Mit David Eggert (Violoncello), Thomas Müller (Horn) und Studierenden. Programm: Franz Joseph Haydn Divertimento in D-Dur, HobX:10; 12 Cassationsstücke, Hob XII:19; Barytontrio Nr. 5 in A-Dur, Hob XI:5 und eine Auftragskomposition von Marc Sabat für 2 Barytone. 19.30 Uhr Konservatorium Bern, Grosser Saal
Sa
Musik / Forschung
2
Musik nach Bildern
Mi
Gestaltung und Kunst
6
A Tiny Country With Big Ideas, A Documentary GK-Screening mit Peter Bilak und Robert Lzicar. 17.30 Uhr HKB Fellerstrasse, Auditorium
Fr
Forschung
8
Art Research Work
und Sa
9
Lange über Lange Liste
11
DKSJ Exchange Nights – S.M.S. / Kleinmond S.M.S. Tobias Pfister (ts), Mischa Frey (b), Márcio de Sousa (dr) / Kleinmond Mirjam Hässig (voc), Victor Rossé (b/tp), Daniel McAlavey (p), Marie Jeger (vla), Maïté Klockenbring (vlc), Michael Cina (dr) 20.30 Uhr HKB Ostermundigenstrasse, Auditorium
Abbildung: Hermann Meier, Nr. 247a, 20. April 1979 (Paul Sacher Stiftung)
11
Hybridium Studierende der HKB bespielen das Kellergewölbe des ONO mit zeitgenössischer Musik und Werken alter Musik. 19.30 Uhr ONO Das Kulturlokal
Excellence
Die besten Kammermusikgruppen der HKB präsentieren sich mit Meisterwerken und Raritäten der Kammermusikliteratur. 19.30 Uhr HKB Papiermühlestrasse 13d, Grosser Konzertsaal
Sound Arts
12
à suivre #32
bis Sa
13
Klanginstallationen,Videovertonungen, Performances. In unterschiedlichsten Formen, Medien und Formaten präsentieren die Studierenden Sound Arts ihre Semesterarbeiten. Fr ab 17.00 Uhr Installationen, 20.00 Uhr Konzert Sa ab 14.30 Uhr Installationen, 17.00 Uhr Konzert HKB Papiermühlestrasse 13d
Foto: Christian Lange
Mi
Musik
13
IZM & HAP Auditionen
bis Do
14
Fr
J A N
Interpretation zeitgenössischer Musik sowie historische Aufführungspraxis. 19.30 Uhr HKB Papiermühlestrasse 13d, Grosser Konzertsaal
Musik
15
Meisterkurs Zeitgenössi17 sches Lied mit Jan Philip Schulze
Musik / Forschung
17
Öffentliche Führung mit Kurzkonzert Im Rahmen der Ausstellung im Kunstmuseum Solothurn MondrianMusik. Die graphischen Welten des Komponisten Hermann Meier. 11.00 Uhr Kunstmuseum Solothurn
Mo Jazz
Jazz am Montag – R&M Fantasies Präsentation der Abschlussarbeiten der Kompositionsklasse Jazz im Fach Rhythmik & Metrik unter der Leitung von Klaus König. 20.30 Uhr HKB Ostermundigenstrasse, Auditorium
Musik Klassik
16
Offenes Haus La Prairie Ein abwechslungsreiches Programm von Jungstudierenden des PreCollege Bern HKB für alle, die klassische Musik in einem ungezwungenen Rahmen mögen. 20.00 Uhr La Prairie
Do
Konservierung und Restaurierung / Forschung
Vortrag Vortrag aus dem Forschungsschwerpunkt Materialität in Kunst und Kultur und dem Fachbereich Konservierung und Restaurierung. Referentin: Bianca Burkhardt, Restaurierungsprojekt PolyBasel. 17.00 Uhr HKB Schwabstrasse, Multifunktionsraum
Der Pianist Jan Philip Schulze ist gefragter Liedbegleiter und Kammermusiker und gilt als herausragender Interpret zeitgenössischer Musik. Die Studierenden werden als Liedduo unterrichtet: Gesang und Klavier. 10.00–13.00 und 14.00–17.00 Uhr HKB Papiermühlestrasse 13a, Kammermusiksaal
So
Di
18
bis So
18 Mo Musik
20 Kammermusik
Fr
Afterwork Lecture mit Christian Lange. Dieser studierte visuelle Kommunikation und betreibt heute sein eigenes Studio mit den Schwerpunkten Buchgestaltung, Erscheinungsbilder und Ausstellungsgestaltung im kulturellen Bereich. Seine Publikation Lange Liste 79 – 97 vollzieht anhand von Tausenden Listeneinträgen eine experimentelle Erzählweise seiner Kindheit und Jugend. Langes Arbeiten wurden bei den Wettbewerben der schönsten Schweizer Bücher, schönsten deutschen Bücher und schönsten Bücher aus aller Welt ausgezeichnet. coccu.de 18.00 Uhr HKB Fellerstrasse, Grosse Aula
Swiss Artistic Research Network Conference 2017. sarn.ch ZHdK, Kaskadenhalle
Mo Jazz
4 Kurzkonzerte, Kurzführung und CD-Taufe von Dominik Blum. Werke von Hermann Meier, Earle Brown und Morton Feldman. Gaudenz Badrutt (Objekte/Elektronik), Dominik Blum (Klavier), Marc Kilchenmann (Objekte), Stefan Thut (Cello/Objekte). Im Rahmen der Ausstellung im Kunstmuseum Solothurn Mondrian-Musik. Die graphischen Welten des Komponisten Hermann Meier. hkb-interpretation.ch/mondrian-musik 13.30 Uhr Konzertsaal Solothurn
20
13
DKSJ Exchange Nights – WeePack / Tribute To Animals As Leaders WeePack Pascal Fernandes (tp), Raphael Kalt (tp), Mirjam Scherrer (s), Benjamin Knecht (bs), Simon Ruckli (tb), Nico Stettler (g), Emanuel Wildeisen (p, synth), Florian Bolliger (eb), Michael Rickli (dr), Jwan Steiner (perc) / Tribute To Animals As Leaders Matthieu Grillet (g), Jonathan Hohl (g), Léonard Juston (dr) 20.30 Uhr HKB Ostermundigenstrasse, Auditorium
30 The NOV bis Sa
Gestaltung und Kunst
Mo Jazz
Mo Musik Klassik
16
Mi
Musik Klassik
Mi
Théâtre musical & Composition
10
Playtime: Miniatures et autres histoires Studierende des Théâtre musical und der Komposition zeigen Uraufführungen, (Repertoire-)Werke und Projekte aus ihren Studienbereichen – eine abwechslungsreiche Werkschau. Dazu gehört dieses Jahr auch die Präsentation der Arbeit mit dem Komponisten und Gastprofessor Simon Steen-Andersen. 19.30 Uhr HKB Ostermundigenstrasse, Auditorium Foto: zVg.
Fr
Literatur
19
Kartenpost Erkundung eines neuen literarischen Formats: Studierende des Kurses Kartenpost präsentieren ihre Arbeiten, die rund um Jörg Steiners Im Sessel von Robert Walser entstanden sind. Mit Friederike Kretzen, Hanne Kulessa und Samuel Moser. Auftakt zum Festival Steiner: Ruth Schweikert, Dorothee Elmiger und Peter Bichsel schreiben Jörg Steiners Figuren weiter. (20.1.18 ab 11.00 Uhr, verschiedene Veranstaltungsorte in Biel). 20.00 Uhr HKB Schweizerisches Literaturinstitut Biel
Sa
Musik und Bewegung
20 Klang-
geschichten Studierende des 1. Studienjahres Bachelor Musik und Bewegung (Rhythmik) verzaubern die Burg. Für Kinder ab 4 Jahren. 14.00 und 16.00 Uhr HKB Burg Biel
Jazz
Singer’s Night
Oper
16
Opernskizzen: unstillbarer 17 Schmerz
Di, 12.12.2017 Annina Mossoni Di, 19.12.2017 Mirjam Hässig 21.00 Uhr Café Kairo
bis Mi
Der Filmemacher, Schriftsteller und Drehbuchautor Alexander Kluge bezeichnete Oper als ein «Kraftwerk der Gefühle». Starke, überwältigende, faszinierende Momente werden auf der Opernbühne erzeugt. Oft sind es Leid, Traurigkeit, Verzweiflung und Wahnsinn, die in Opernklängen, Musiktheaterszenen und Arien ausgedrückt werden. Magische Wirkung erzielten die exemplarischen Opernproduktionen der explosiv-fantasievollen Opernregisseurin Ruth Berghaus jedoch aus anderer Quelle – aus dem Nachdenken und Hinterfragen von Emotionen. Damit beschäftigen sich die Studierenden Specialized Master Oper in ihrem ersten Projekt. Musikalische Leitung: Franco Trinca, Inszenierung: Mathias Behrends. 19.30 Uhr Volkshaus Biel, Grosser Saal
Mi, 17.1.2018 Gestaltung und Kunst, Konservierung-Restaurierung, MA Contemporary Arts Practice, Forschung, Weiterbildung Ab 10.00 Uhr HKB Fellerstrasse und Schwabstrasse Mi, 21.2.2018 Schweizerisches Literaturinstitut Bachelor in Literarischem Schreiben HKB Schweizerisches Literaturinstitut Biel Mo, 26.2. bis Mi, 28.2.2018 Musik Jazz Unterrichtsbesuch für Studieninteressierte und individuelle Studienberatung mit der Studiengangsleitung 9.00 – 16.00 Uhr HKB Eigerplatz
Foto: Dersu Huber
Mo Oper
So
22 Recitar
28 Tryout!
cantando
Theater
Studierende des Bachelors Theater präsentieren eigenständig entwickelte Projekte. 18.00 Uhr Vidmarhallen, Vidmar+
Erfahrungsraum historische Aufführungspraxis Oper. Workshop mit Leonardo García Alarcon und Studierenden des Masters Specialized Performance Oper. Italienisches Repertoire des 16. und 17. Jh. 9.30 – 12.30 und 13.30 – 15.30 Uhr HKB Burg Biel
Mi
F E B
Design
24 MA bis Do
Design Examination
25 Öffentliche Verteidigungen der
Master-Thesen in den Vertiefungen Entrepreneurship und Research. Studierende präsentieren ihre Unternehmenskonzepte bzw. ihren Forschungsplan und stellen sich den Fragen der Prüfungskommission. 9.15–12.15 und 13.15–17.00 Uhr HKB Fellerstrasse, Auditorium
Mi
Fr
Musik Klassik
16
Sprichst Du noch, oder singst Du schon?
und So
18
Musik und Bewegung
«Erzähle! Es liegt darin ein wenig Klang, ein wenig Wohllaut und Gesang und eine ganze Seele» (Marie Ebner von Eschenbach). Opernworkshop HKB Musik / Gesangsstudierende Bachelor Musik Klassik. Fr, 16.2., 19.30 Uhr, HKB Burg Biel So, 18.2., 17.00 Uhr, HKB Papiermühlestrasse 13d, Grosser Konzertsaal
24 Kinderstück bis Sa
27
Mi
24
Bewegtes Musiktheater von Studierenden im 2. Studienjahr Bachelor Musik und Bewegung (Rhythmik). Für Kinder ab 4 Jahren. Unterschiedliche Uhrzeiten Rennweg 26 Biel
Musik / Oper / Theater / Gestaltung und Kunst / Literatur
L’Europe 27 sauvage bis Sa
Les Indes galantes (1735) ist eine Barockoper des französischen Komponisten Jean-Philippe Rameau. Unter der künstlerischen Leitung des international renommierten Choreografen und Regisseurs Joachim Schlömer nehmen verschiedene Fachbereiche der HKB das Werk als Ideenlage und Ausgangspunkt für eine heutige Reise durch Genres und Zeiten, Räume und Medien. Weitere Informationen im 3. Bund dieser Zeitung HKB Ostermundigenstrasse und Zikadenweg
Fr
Musik und Bewegung
26 Solo bis Sa
27
x9
Solistische Abschlussarbeiten der Studierenden des Bachelors Musik und Bewegung (Rhythmik) 19.00 Uhr Volkshaus Biel
DE Z E MB E R 2017 – FE B RUAR 201 8
Infotage HKB
Mi
Gestaltung und Kunst
28 For
the time being Afterwork Lecture mit Inex Cox. 18.00 Uhr HKB Fellerstrasse, Grosse Aula
VERANSTALTUNGSREIHEN Jazz
Projektwoche HKB Jazz Mo, 15.1.2018 Masterorientierung Composition & Arrangement / Masterorientierung Performance MO Composition & Arrangement Studierende aus dem dritten Bachelorjahr spielen eigene Kompositionen / MO Performance Trio Benjamin Hasler (tp), Colin Vallon (p), Michael Cina (dr)
Di, 16.1.2018 Masterorientierung Performance MO Performance Trios Mirjam Hässig (voc), Manuel Sidler (g), Efrat Alony (voc) / Manuel Schwab (as), Ronny Graupe (g), Tobias Sommer (dr) / Felix Grandjean (tp), Andreas Schaerer (voc), Felix Wolf (dr) / Jaronas Höhener (tp), Joel Müller (g), Ronny Graupe (g) Mi, 17.1.2018 Master Performance Solo/Duo/Trio Ensembles Lada Obradovic (dr) / Oscar Holliger (g) / Nicola Habegger (tp) Do, 18.1.2018 Master Performance Students meet teachers ensembles Nicola Habegger (tp), Matthieu Michel (tp), Bernhard Bamert (tb), Oscar Holliger (g), Lada Obradovic (dr) Fr, 19.1.2018 Masterorientierung Performance MO Performance Ensemble A Mirjam Hässig (voc), Benjamin Hasler (tp), Manuel Sidler (g), Patrice Moret (b), Michael Cina (dr), Felix Wolf (dr) / MO Performance Ensemble B Felix Grandjean (tp), Jaronas Höhener (tp), Manuel Schwab (as), Joel Müller (g), Patrice Moret (b), Tobias Sommer (dr) – Leitung: Patrice Moret Jeweils 19.30 Uhr PROGR, Sonarraum U64
Y Institut
Y-Talks Do, 30.11.2017 Peter Stamm Peter Stamm liest aus seinem Roman Weit über das Land. Moderation: Alexander Sury,«Der Bund» 18.30 Uhr Zentrum Paul Klee So, 10.12.2017 Friederike Kretzen Friederike Kretzen liest aus Schule der Indienfahrer: Ein Abend mit Engeln im Wald von Krofdorf, irgendwann in den Siebzigerjahren, es schneit, ein Film wird gedreht. So beginnt das Buch, das eine Schule ist – eine, die ist wie das Leben: verwirrend, ungewiss und bis zuletzt gefährlich. Eine Suche nach verlorenen Freunden, alten Träumen und einem gelobten Land. Friederike Kretzen, 1956 in Leverkusen geboren, ist freie Autorin, unterrichtet literarisches Schreiben und ist als Mentorin tätig. Eine Kooperation des Y Instituts der HKB mit dem Zentrum Paul Klee. Moderation: Simon Deckert 11.00 Uhr Zentrum Paul Klee Foto: Ute Schendel
Forschungsmittwoch Mi, 6.12.2017 Praktiken des ästhetischen Denkens mit Thomas Strässle und Aurel Sieber. Host: Priska Gisler, Forschungsschwerpunkt Intermedialität HKB Schwabstrasse, Multifunktionsraum Mi, 10.1.2018 Teilnehmende Beobachtung – beobachtende Teilnahme Zur Methodik einer künstlerischen Feldforschung im Composed Theatre. Grenzbereiche zwischen Musik und Theater werden in den Blick genommen. Mit Leopold Dick Host: Martin Skamletz, Forschungsschwerpunkt Interpretation. HKB Ostermundigenstrasse Mi, 17.1.2018 Materialität in Kunst und Kultur Mit Sebastian Dobrusskin HKB Schwabstrasse, Multifunktionsraum Jeweils 17.00 Uhr hkb.bfh.ch/forschungs-mittwoch
Verzeichnis Veranstaltungsorte Café Kairo Dammweg 43, 3013 Bern HKB Burg Biel Jakob-Rosius-Strasse 16, 2502 Biel/Bienne HKB Eigerplatz Eigerplatz 5a, 3007 Bern HKB Fellerstrasse Fellerstrasse 11, 3027 Bern HKB Ostermundigenstrasse Ostermundigenstrasse 103, 3006 Bern HKB Papiermühlestrasse Papiermühlestrasse 13a/d/h, 3014 Bern
Schwabstrasse 10, 3018 Bern HKB Zikadenweg
Master-Thesen Theater
Forschung
Mo, 5.3.2018 Oper HKB Burg Biel
HKB Schwabstrasse
Theater
Studierende des Masters Expanded Theater zeigen ihre Abschlussarbeiten Fr, 2. und Sa, 3.2.2018 Fr, 9. und Sa, 10.2.2018 Fr, 16. und Sa, 17.2.2018 Fr, 23. und Sa, 24.2.2018 HKB Zikadenweg
Mo, 26.2. bis Fr, 2.3.2018 Musik und Bewegung Unterrichtsbesuch für Studieninteressierte Bachelor: Mo, 26.2. bis Fr, 2.3.2018 Master: Di, 27.2. bis Do, 1.3.2018 9.00 – 18.30 Uhr HKB Burg Biel
HKB -ZEITUNG
Di
Zikadenweg 35, 3006 Bern HKB Schweizerisches Literaturinstitut Biel Rockhall IV, Seevorstadt 99, 2502 Biel/Bienne Konservatorium Bern Kramgasse 36, 3011 Bern Konzertsaal Solothurn Musik
Halt auf Verlangen! Die besten Studierenden der Instrumentalklassen präsentieren sich in der Kapelle des Berner Generationenhauses mit ausgewählten Solo- und Kammermusikwerken. Do, 7.12.2017 Studierende der Klassen von Antonio Meneses (Violoncello), Matthias Arter und Jaime González (beide Oboe) spielen Werke von u.a. Wilhelm Friedemann Bach und Antonio Pasculli. Di, 19.12.2017 In einem hochschulinternen Wettbewerb ausgewählte Kammermusikgruppen präsentieren sich mit Meisterwerken der Kammermusikliteratur. Do, 11.1.2018 Die Kammermusikklassen von Michael Form (Blockflöte, Dozent für Historische Aufführungspraxis) präsentieren Johann Sebastian Bachs Opus magnum Die Kunst der Fuge, BWV 1080, in zwei verschiedenen Bearbeitungen, zum einen für eine Streicher-, zum anderen für eine Bläserbesetzung. Jeweils 18.00 Uhr Spittelkapelle im Burgerspital begh.ch
Untere Steingrubenstrasse 1, 4500 Solothurn Kunstmuseum Solothurn Werkhofstrasse 30, 4500 Solothurn La Prairie Sulgeneckstrasse 7, 3007 Bern ONO Das Kulturlokal Kramgasse 6, 3011 Bern PROGR Speichergasse 4, 3011 Bern Rennweg 26 Biel Rennweg 26, 2504 Biel/Bienne Spittelkapelle im Burgerspital Bahnhofplatz 2, 3001 Bern Vidmarhallen Könizstrasse 161, 3097 Liebefeld Volkshaus Biel Aarbergstrasse 112, 2502 Biel/Bienne Zentrum Paul Klee Monument im Fruchtland 3, 3006 Bern Zürcher Hochschule der Künste, Toni-Areal Pfingstweidstrasse 96, 8005 Zürich
Weiterführende Infos: hkb.bfh.ch / veranstaltungen
21
DE Z E MB E R 2017 – FE B RUAR 201 8 HKB -ZEITUNG
Helvetiaplatz 1, CH–3005 Bern T +41 31 350 00 40 info@kunsthalle-bern.ch kunsthalle-bern.ch Öffnungszeiten: Di–Fr 11–18 Uhr, Sa–So 10–18 Uhr
Weiterbildung
— Werkzuschreibung und Provenienzrecherche In Zusammenarbeit mit dem Kunstmuseum Bern
Studienbeginn: 10. Januar 2018 — hkb.bfh.ch/cas-provenienzrecherche
Weiterbildung
Dokumentarfilm MOV
REC Studienbeginn 2. März 2018 — hkb.bfh.ch/cas-dokfilm 22
Ein HKB-Studiengang stellt sich vor
derte Leistung abliefern. Es gibt keinen Chef, die Selbstverantwortung wird grossgeschrieben. Das Studium ist in diesem Sinne eine «Lebensschule».
Heiner Butz ist stellvertretender Leiter des Studiengangs Multimedia Production und leitet den Standort in Bern. Butz arbeitete als Journalist – erst frei und dann viele Jahre beim ZDF.
Wenn du die jüngsten Entwicklungen in eurer Branche betrachtest, was würdest du den Verantwortlichen des Studiengangs empfehlen? Was muss aus deiner Sicht unerlässlicher Bestandteil einer guten Ausbildung im Bereich Multimedia Production sein? Aus Sicht der Agentur ist das breite Generalwissen wichtig! Die Kunden schlafen
Warum hast du dich für dieses Studium entschieden? Ich habe 2014 mit dem BWL-Studium begonnen. Jedoch habe ich schnell gemerkt, dass dieses Fach nicht zu meinen Zukunftsvisionen passt. Also habe ich nach einem anderen passenden Studiengang gesucht. Dabei bin ich auf MMP gestossen und mir wurde schnell klar, dass diese Ausbildung genau meinen Vorstellungen entspricht. Was sind deine Erwartungen an den Studiengang? Dass ich Kenntnisse und Fertigkeiten im multimedialen Bereich erlange, die mir meine
HKB -ZEITUNG
Wir leben im Zeitalter der Kommunikation. Das machen nicht nur die unglaublichen Börsenwerte der Kommunikationsunternehmen deutlich. Das tagtägliche Erleben von Kommunikation geht über alle Grenzen hinweg. Im Privaten, im öffentlichen Raum und in den Unternehmen – unabhängig von Branche und Grösse. Die Veränderung der Kommunikationskultur durch die schier grenzenlosen Möglichkeiten wirkt sich aus auf unser Miteinander, unsere persönliche und professionelle Kommunikation. Kommunikation ist zum Kern vieler Unternehmen geworden und längst nicht mehr nur Instrument der Verkaufsförderung. Ebenso ist es in der Politik und im öffentlichen Raum: Die Menschen können nicht mehr so einfach massenmedial berieselt, stillgehalten und kauflustig gemacht werden, sondern sie fordern von ihrem Gegenüber einen wahrFoto: Manuel Berger und Lisa Erard haftigen Dialog. Interaktiv kommunizieren ist anspruchsvoll und Der Studiengang in Kürze Kontakt muss die Wirklichkeit abbilden. • Studienort: Bern und /oder Chur • Was MMP bietet: praxisorientiertes • Informationen: Bachelorstudium, Vernetzung mit hkb.bfh.ch /multimediaproduction Vor diesem Hintergrund bilden • Unterrichtssprache: Deutsch Wirtschaftsunternehmen, öffentlichen • Tel. + 41 31 848 34 83 • Dauer: 3 Jahre wir im Bachelorstudiengang Institutionen und Kulturbetrieben • Mail: multimediaproduction@bfh.ch • Titel/Abschluss: Multimedia Production der HTW Joint Degree «Bachelor of Science • Berufsfeld: Unternehmenskommunikation, • Leitung: Ruedi A. Müller-Beyeler FHO & BFH in Media Engineering» Marketing, Journalismus, Produktions• Stv. Studienleitung: Heiner Butz Chur und der BFH junge Mentechnik in Grossunternehmen sowie in • Berufsbefähigung: ja • Ansprechperson an der BFH: schen aus, die in dieser KommuniPia Hess, pia.hess@bfh.ch kleinen Agenturen • Studieninhalte: Informatik, Journalismus, kationsgesellschaft leben und Unternehmenskommunikation, Film, Schwerpunkte / Radio arbeiten werden. Wir versuchen, Vertiefungsrichtungen • Kenntnisse und Fertigkeiten in den den Studierenden die Werkzeuge, • Public Communication (Bern) Bereichen Visualisieren, Schreiben, Fähigkeiten, und Kompetenzen zu Sprechen, Programmieren, Filmen • Journalismus – multimedial (Bern/Chur) • Zulassungsbedingungen: Berufsmaturität, • Media Applications (Chur) vermitteln, mit denen sie sich Gymnasialmatura mit einjährigem • Videoformate nonfiktional (Chur) professionell in der Welt der Praktikum oder vergleichbare Ausbildung; • Radio Production (Chur) Kommunikation bewegen können. gute Englischkenntnisse erforderlich • Digital Communication Management (Chur) • Branded Motion (Bern/Chur) Wir bilden nicht zielgerichtet auf ein Berufsbild hin aus und trotzdem ist unsere Ausbildung Im Gespräch mit berufsbefähigend. Am Ende entscheidet die Haltung darüber, Fabian Müller und Shkurte Berisha ob eine Studentin oder ein Fabian, du hast das Studium Multimedia Produc- nicht. Wir sind als SEO-Experten, Webkonzep- künftige Laufbahn erleichtern. Wir MMPStudent in der Unternehmenstion MMP vor fünf Jahren beendet. Was hat dir das ter, Webentwicklerinnen, Designer, Anima- Studierenden müssen mit den neusten Techkommunikation arbeitet oder Studium gebracht? tionkünstlerinnen, Texter etc. gefragt. Ganz nologien vertraut und immer à jour sein. im Journalismus, ob sich ein Fachlich gesehen ein breites General- klar, dass wir dies nicht alles selbstständig Natürlich ist das nicht immer einfach, aber Master in Communication Design wissen für die heutigen Ansprüche einer umsetzen können – aber wir müssen der ich bin überzeugt, dass mir der Abschluss in digital getriebenen Kommunikation, mit einer Kundschaft beratend zur Seite stehen und Multimedia Production helfen wird, mit dem anschliesst, einer im Bereich klaren Vertiefung in Corporate Communica- Fachleute zuziehen können. Persönlich finde Fortschritt mitzuhalten. Journalismus oder in Corporate tion. Was in unserem Fall – ich habe mit zwei ich, dass eine gewisse kritische Haltung geStudienkollegen eine Agentur gegründet – lehrt werden muss: Welche Trends bringen Was versprichst du dir für die Zukunft? Wo siehst Communication. aber noch viel wichtiger ist: Ich konnte ein dem Markt langfristigen Erfolg? Welchen du dich in ein paar Jahren beruflich? Unser Zugang zu den jungen breites Netzwerk aufbauen, von welchem wir Hype kann ich beruhigt ignorieren? Ich wünsche mir, dass ich mein Wissen Menschen ist auch in der Ausnun profitieren. Unsere Studienkolleginnen und Können im Bereich Multimedia erweiund -kollegen sind für uns wichtige Botschaf- Shkurte, vor rund vier Wochen hast du mit dem tern und mir etwas aufbauen kann. Da mich bildung kommunikativ. Immer ter in der Wirtschaft. Studium Multimedia Production angefangen. Wie Audio und Kamera sehr interessieren, ist es stärker wird Coaching eingeist dein erster Eindruck? durchaus möglich, dass ich in Zukunft diese setzt, immer weniger wird doziert. Inwiefern hat dich dein Studium bei der GrünMein erster Eindruck ist sehr positiv. Die Richtung einschlage. Jedoch kann sich im dung eurer Agentur auf die Selbstständigkeit vor- Dozierenden sind offen, unkompliziert und MMP-Studium alles schnell ändern. Ich lasse Die Kultur des Lernens ist die bereitet? faszinierend. Die Stimmung ist sympathisch mich überraschen und freue mich riesig, des Miteinanders und prägt Eigentlich ist Studieren ähnlich wie die und gleicht nicht dem typischen Schulleben, ein Teil dieser Community zu sein. den Studiengang Multimedia Tätigkeit als Selbstständiger. Man arbeitet welches ich von früher kenne. Die Fragen stellte Pia Hess eigenständig und muss am Tag X eine geforProduction wesentlich.
DE Z E MB E R 2017 – FE B RUAR 201 8
Multimedia Production
Fabian Müller ist MMP-Absolvent und Mitbegründer der Agentur MIND in Winterthur. Shkurte Berisha machte eine Ausbildung an der Handelsmittelschule La Neuveville und arbeitete als Sachbearbeiterin bei Swisscom und Gebäudeversicherung Bern (GVB), heute studiert sie im ersten Semester MMP.
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DE Z E MB E R 2017 – FE B RUAR 201 8
Schaufenster — Arbeiten aus der HKB
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Die hier präsentierte Zeichnung gibt einen Einblick in die Reportage Mit blauem Pulli und Falafelfladenbrot von Selina Ursprung. Aus den 300 Illustrationen, Texten, Notizen und Skizzen vor Ort ist eine zeichnerische Reportage in Buchform entstanden, Erzählungen über die Kultur und das Geschehen rund um Dönerimbisse. Die Bachelor–Thesis von Selina Ursprung wird im Herbst 2018 in der Edition Moderne, Zürich, erscheinen.
DONNERSTAG — SAMSTAG, 25.—27. JANUAR 2018 Regie: JOACHIM SCHLOEMER
Zwischenstationen zeigen ein Panorama der Gefühle. Es ist, um in einer barocken Begrifflichkeit zu blei ben, ein Pool der Affekte. Und ja, es ist ein Loop für die Darsteller, weil sie alle Stationen, bis auf den Schlussteil, dreimal wiederholen werden. Die Zu schauerin wird eine Variante erleben. Dafür sieht sie eine Reihenfolge, bevor es losgeht. Jede Station hat nur eine bestimmte Anzahl von Plätzen. Und schon ist man auf der Reise. Das heisst, jedes Drit tel des Publikums wird sich eine andere Geschichte dazu bauen. Identisch ist nur der Schlussteil. Die dramaturgische Herausforderung ist, dass sich für jeden Zuschauer und jede Zuschauerin im Schlussteil die Einzelteile auch zusammenfügen. Das ist uns wichtig.
L’EUROPE SAUVAGE
EIN MUSIKTHEATER STATIONENDRAMA DER HKB IM GALGENFELD, BERN
STUDIERENDE AUS ALLEN BEREICHEN DER HKB
� Ist dieser Zugang zu einem Stoff, sind diese for malen Prämissen typisch für Ihre Arbeitsweise? Oder liesse sich das auch auf einer Guckkastenbühne inszenieren? Diese Art der Erzählweise ist auch neu für mich. Ich habe öfter Spektakel dieser Art als Zu schauer mitverfolgt und war jedes Mal von der Frei heit des Sichbewegens in einem Themenfeld sehr begeistert. Ich bin sehr froh, dass ich an der HKB jetzt die Möglichkeit bekomme, das in die Realität umzusetzen. � Darf das noch – oder schon wieder – als Oper bezeichnet werden? Oder ist es doch etwas ganz anderes? Es ist auf jeden Fall noch eine Oper. Eine sehr zeitgenössische Stationenoper, in der alle Teile, jede Ecke und jeder Winkel inhaltlich wie musikalisch durchdacht sein werden.
«ZERRISSEN, VERFÜHRERISCH UND HEISS»
Für die Inszenierung von L’Europe sauvage konnte der international tätige Regis seur Joachim Schloemer gewonnen werden. Seine grosse Erfahrung im historischen wie im zeitgenössischen Musiktheater, seine Arbeit als Leiter diverser Tanzkompagnien und Ballett ensembles ist beste Voraussetzung, um Darstellerinnen, Musiker und Pub likum durch die Räume und Zonen rund um den HKB-Standort an der Oster mundigenstrasse zu führen. Joachim Schloemer gibt im Gespräch Auskunft zu den wichtigsten Überlegungen, die dem «Musiktheaterstationendrama» zugrunde liegen. Interview: PETER KRAUT
� L’Europe sauvage wird rund um die HKB Ostermun digenstrasse gespielt, hiess mal Les Indes galantes und das wiederum ist eine Barockoper von Jean-Phi lippe Rameau. Ein langer Weg. Wie kam es dazu? Joachim Schloemer: Die ursprüngliche Idee, Les Indes galantes von Rameau zu nehmen und die vier Entrées eher als Arbeitsmaterial zum Zwecke einer Abhandlung zu betrachten, stammt von Lennart Dohms, Leiter der Masterstudiengänge Performance in Klassik. Von dieser Idee habe ich mich inspirieren lassen und untersucht, aus welchem Gedanken her aus Rameau und andere seiner Zeitgenossen sich mit der Fremde, dem Fremden, dem Kolonialisierten beschäftigt haben. Herausgekommen ist eine Über setzung des Stoffes in unser heutiges Europa. In unserem Europa, wenn wir uns einmal den Wildwuchs und die Verwerfung von Moral im Umgang mit dem Fremden anschauen wie in Ungarn, Polen und jetzt noch Österreich, Flandern oder Katalonien, ist wieder alles denkbar: ein Ruck hin zum nationalso zialistischen Gedankengut bis zur endgültigen Durchsetzung eines freien, demokratischen Europas. Es ist wie bei Karl May – ab durch das wilde Kurdis tan, jeder kämpft für sich. Ein Europe sauvage. � Rameau beschreibt in Les Indes galantes aus euro päischer Sicht die Liebe in fernen Ländern – wie kann man so etwas in unsere Zeit übersetzen? Es geht bei Rameau weniger um Liebe als um Sehnsucht, Macht, Entfremdung, Freiheit. Liebe ist das Überthema, aber nicht der Handlungsimpuls. Liebe als Begriff, vor allem im kolonialen Zusam menhang, ist sehr schwammig. Wir konzentrieren uns dabei auf die Aspekte im Heute, die ich eben er wähnt habe, zum Beispiel: Wie sieht das Sehnen nach der richtigen Freiheit heute aus? � L’Europe sauvage wird auf vier Bühnen stattfinden, zum Teil parallel. Lässt sich so eine Geschichte er zählen? Oder ist das eher ein Loop? Das werden wir sehen. Die ersten drei Haupt stationen sowie die auf dem Weg liegenden sechs
� Es steckt nur noch wenig Rameau in diesem Spektakel, dafür aber viel Input von Studierenden. Was bringen diese konkret ein? Die Studierenden bringen die Ausarbeitung der Inhalte, ihren physischen Einsatz, ihre Perfor mance, ihre kreativen Kräfte mit ein. Gemeinsam mit den Studiengangsleitenden, den beteiligten Dozie renden leiten wir an und legen die Zündschnur aus. Ohne die Inhalte, die alle von den Studierenden unter Anleitung bearbeitet werden, und ohne deren hundertprozentigen Einsatz geht gar nichts. Wir brauchen alle von ihnen, um das Ganze auf die Büh ne zu wuchten und zum Leben zu erwecken. � Was verpasst, wer nicht hingeht? Eine verdammt aufregende Reise in ein zerris senes, verführerisches, heisses Europa im Galgen feld von heute.
WARUM DAS WILDE EUROPA KEIN GALANTES INDIEN SEIN KANN
Jean-Philippe Rameau, Barockkompo nist und Musiktheoretiker, liefert einen spannenden Hintergrund, um aus den «galanten Indern» eine durchaus gut organisierte, aber wilde Musik zu machen. Von: LENNART DOHMS
«Il ne suffit donc pas de sentir les effets d’une Science ou d’un Art, il faut de plus les concevoir de façon qu’on puisse les rendre intelligibles.» (Jean Philippe Rameau, Traité de l’harmonie, 1722)
Wer das wilde Europa im Galgenfeld besuchen will, der wird auf Rameau und sein galantes Indien ver zichten müssen. Oder genauer: auf die Artikulation seiner Musik im originalen Gewand. Keine histori schen Instrumente im galanten Indien barocker Mach art. Vielmehr trifft man auf gänzlich unbarocke Klänge unter anderem von Bassklarinette, E-Gitarre, Eufonium, Schlagzeug und Lautsprecher. Das aber muss auch so sein, da wir sonst Rameau untreu würden. Er selbst wäre doch der Verwendung seiner Musik ohne reflektierenden Moment kritisch gegen übergestanden. Zumindest lässt sich die oben stehende Äusserung so lesen: keine Musik als Unter haltung. Ein Umstand, der einen vielleicht erstaunt, wenn man bedenkt, dass das mit Rameau wie mit kaum einem Zweiten in Verbindung gebrachte Dispositiv Barockoper im Umfeld des Sonnenkönigs (Rameau war in der zweiten Hälfte seines Lebens der angestellte Hausmusiker des Finanzberaters von Louis XIV.) meist eine bestimmte Assoziation weckt: «special effects» – Musik als eine von zahlreichen würzigen Gefühlszutaten des überbordenden, pracht vollen, verschwenderischen Repräsentationsthea ters. Tatsächlich aber war Rameau ein Konzeptualist,
«SO REISS’ IHN DIR D DEN SÜNDHAFTEN IRRGLAUBE
DU HAST ES MEINER L WAS ZÖGERST DU? NEIN,
DOCH AUS DER SEELE EN, DEM DIE INKAS HULDIGEN!
LIEBE VERSPROCHEN. DU LIEBST MICH NICHT!»
bei welchem Wissenschaft und Musik, Forschung und Kosmos, Geschichte und Gegenwart ineinander verwoben sein mussten. Anders gesagt: Rameau gibt sich nicht mit Musik als Effekt zufrieden. Viel mehr braucht es ein Konzept, um sicherzustellen, dass diese überhaupt eine Wirkung entfalten kann. Ändert sich also das Umfeld – kein Sonnen könig, kein galantes Indien, kein Versailles –, so ändert sich die Musik. Der Grad ihrer Veränderung ist Massstab dafür, ob sie uns herausfordern, ob sie eine Wahrheit für uns enthalten und etwas mitteilen kann. Wenn wir uns daher der (Wieder-)Entdeckung des wilden Europas widmen, dann ist es nur richtig, den Zeitstrahl der Musik über die fast drei Jahrhun derte, die seit der Uraufführung von «Les Indes ga lantes» vergangen sind, bis in die Gegenwart reichen zu lassen. Die Studierenden der HKB im Fach Kom position, Sound Arts und Théâtre musical, die mit ihren Kolleginnen und Kollegen aus den weiteren Fachbereichen die einzelnen Stationen zum Leben erwecken, kleiden daher nicht nur ihre Beschäfti gung und Erforschung von Rameaus originaler Musik in ein neues Gewand, sondern schaffen mit Quer verweisen – zum Beispiel zur Musik des wilden Europas im 20. Jahrhundert – und eigenen Werken neue klangliche Biotope – sinnlich, spielfreudig, konzeptuell, schräg, aber immer de façon qu’on puisse les rendre intelligibles. � Lennart Dohms ist Studien gangleiter MA Music Performance / Specialized Music Performance an der HKB und betreut die musikalische Konzeption von L’Europe sauvage.
STATION, DRAMA, MUSIK – EIN SPIELFELD Mit Europera II von John Cage, Angelus Novus II von Helmut Oehring oder einem eigenwilligen Fliegenden Holländer im Zentrum Paul Klee realisierte die HKB in den letzten Jahren vier ganz unterschiedliche Musiktheaterproduk tionen. L’Europe sauvage erweitert diese Experimente nochmals um viele Aspekte. Von: PETER KRAUT Am Ende kommt es natürlich anders, als man es sich zu Beginn ausdenkt. Erst war da 2016 die Idee einer Barockoper – Les Indes galantes von Jean-Philippe Rameau – die den europäischen Blick aufs Fremde prachtvoll und mit viel Effekt inszeniert. Und jetzt, Ende Oktober 2017, haben wir eine Folie, durch die wir blicken, und wir sehen: Im Galgenfeld, Bern, wo die HKB Räume hat, gibt es weitaus mehr Mög lichkeiten als zuerst angenommen, wenn man denn nur die Räume verlässt. Aus den vier Entrées des Opéra-Ballet sind vier Stationen geworden: ein nüch terner Hörsaal mit 220 Plätzen, ein ehemals moderner Sitzungssaal mit einzelnen Kabinen, die sorgfältig in einer Shedhalle platziert wurden, sowie der Thea tersaal der HKB und das Auditorium des Fachbe reichs Musik. Und sofort stellt sich die Frage: Was ist adäquat für jeden Raum, in welche Richtung inszeniert man wo und warum, mit welcher Illusions technologie schafft man Effekte, arbeitet man mit oder gegen die Raumatmosphäre, was passiert unterwegs? Und das sind nur die naheliegenden Fragen, sie multiplizieren sich mit jedem gesetzten Entscheid. Vielleicht wäre es naheliegender, L’Europe sauvage auf einer grossen Bühne in Szene zu setzen, dann wäre man in der vertrauten Logik herkömmli cher Projekte, die sich frontal dem Publikum präsen tieren. Wir haben uns jedoch entschieden, durch räumliche Beschränkungen Fantasien freizusetzen. So werden in jedem Raum mit eigenen Teams spezi fische Bilder, Klänge und Erzählungen geschaffen und im Transfer dazwischen poetische Verknüpfungen kreiert. Im besten Fall setzt man als Publikum die vier Stationen im Rückblick als eine schlüssige Mög lichkeit unter vielen selber zusammen, zum Beispiel
mit rauchenden Autos, Barockklängen, Recycling fantasien, Filmrissen und Theaterfetzen, Musik von Edgar Varèse und Tanzeinlagen. Die Versuche, Kunst und Leben zu verbinden, sind lang und durchziehen die Kunstgeschichte in vielfältigster Weise, Dada und Fluxus sind nur zwei markante Beispiele. Viele Kulturhäuser – Opern, Museen, Theater – öffnen sich heute dem Publikum viel breiter als noch vor 20 oder 30 Jahren, Ver mittlungsprogramme umarmen oder fordern das Publikum, man inszeniert in die Stadt hinein oder in die Landschaft hinaus, der öffentliche Raum wird zum Möglichkeitsfeld der Kunst. L’Europe sauvage ist ein weiterer Versuch in dieser Richtung. Black Boxes, White Cubes, Konzertsäle und Aufnahme studios, Theaterbühnen und Konservierungslabors kennen wir an der HKB im Detail, sie werden rege genutzt. Auch städtische Bühnen und Säle werden oft von unseren Produktionen in Beschlag genom men. Nun lassen wir diese Umgebung für die Dauer eines Projektes hinter uns, verlassen die hermeti schen, rituellen Räume und inszenieren mit und gegen die Widerstände der Realität der HKB Oster mundigenstrasse. Hier stehen leere Räume und offerieren sich einer noch undefinierten zukünftigen Nutzung. L’Europe sauvage kann auch als Versuch gesehen werden, die Möglichkeiten dieser Räume zu testen, sie werden zum musikdramatischen Spielfeld mit noch ungewissem Ausgang. Sicher ist jedoch: Aus allen Bereichen der HKB kommen in L’Europe sauvage Studierende und Dozierende zusammen, um über die Grenzen ihrer jeweiligen Disziplin an einem Stationenspiel teilzunehmen, das sich bis kurz vor seiner Premiere selbst erfinden muss. Von den Rändern ungewohnter Räume her bis ins Zent rum einer Ausbildung im Theatersaal am Zikadenweg, wo der Schlussteil des Spektakels stattfindet. In sofern gleicht die Anlage den harten Realitäten des aktuellen Europas.
TEXTE SCHREIBEN Die fünf beteiligten Studierenden aus dem Litera turinstitut reagieren schreibend auf ein französi sches Libretto aus dem 18. Jahrhundert über Liebe und Macht in kolonialen Zusammenhängen und ein interdisziplinäres Inszenierungskonzept über ein durcheinandergebrachtes Europa. Sie schreiben den Eifersuchtskonflikt zwischen europäischen Be siedlern und Indios für einen Kurzfilm in der urba nen Gegenwart um und entwickeln, ausgehend vom barocken Inka-Sonnenpriester, einen Dialog für misanthropische Zwillinge. Sie liefern Texte, die vertont, gesungen, verfilmt, in Improvisationen wei terentwickelt werden; die Grundlegendes setzen und doch flexibel genug bleiben, um zu reagieren auf andere Räume, neue Instrumente, eine sich noch verändernde Dramaturgie. � Simone von Büren mentoriert Studierende der Literatur.
ORTE ENTWICKELN Die Herausforderung liegt vor allem darin, den zehn Stationen des Stückes ein Bild zu geben, einen Ausdruck. Im Laufe der nächsten drei Monate wer den wir die komplette Ausstattung, also Kostüm und Bühne, künstlerisch entwickeln und dann baulich umsetzen. Für das Team und mich ist die spannende Aufgabe an diesem Projekt, sich dem sich ständig weiterentwickelnden Prozess der Darstellerinnen und Darsteller zu stellen, neuen Erkenntnissen offen zu begegnen, um eventuell dann wieder neu zu be ginnen. Wir gestalten die Innen- wie die Aussenräume und bespielen damit ein weitläufiges Gelände, das bereits eine eigene Geschichte mit sich bringt: das Galgenfeld. Es liegt genau zwischen Ostermun digen und der Innenstadt, dem Friedhof und der Eishalle. Es ist eine raue Ecke, ein Ort, an dem vieles entsteht und auch schnell wieder vergeht. Eine tolle Inspiration für L’Europe sauvage. � Anne-Sophie Raemy verantwortet zusammen mit Studierenden die Bühnenbilder, Bauten und Kostüme.
sauvage il se métamorphose en garçon de café transcrivant la commande d’un client sauvage, mais toujours galant, à un compositeur européen et sou vent francophone. «Je conclus que les Français n’ont point de musique et n’en peuvent avoir; ou que si jamais ils en ont une, ce sera tant pis pour eux.» Si les Français n’ont point de musique selon Rousseau au XVIIIe siècle qu’en est-il de l’Europe au XXIe siècle? A-t-elle une musique? Si oui ressemble-t-elle un aboiement sauvage ou à une tendre cantilène? Dans les deux cas ce sera tant mieux pour nous, rendez-vous pris le 25 janvier 2018. � Xavier Dayer leitet den Studiengang MA Composition & Theory und begleitet die Kompositionsstudierenden im Projekt.
TEXTE ERHITZEN L’Europe sauvage ist als halbjähriges Laboratorium angelegt, das Ende Januar 2018 in einer komplexen Premiere uraufgeführt wird. Ein Laboratorium be deutet Experiment im geschützten Raum, Premiere ist aber eine Präsentation im öffentlichen «unge schützten» Raum. Diese anspruchsvollen, sich pro duktiv widersprechenden Prozesse gilt es für die Studierenden reflektierbar zu gestalten. Momentan werden von den Schreibenden (Literaturinstitut) gemeinsam mit den Spielenden (Theater) Texte aus dem Libretto überschrieben. Die Luft ist wunderbar geladen, wenn ein Schreibender seine Textfassung einer Spielenden gibt und auf der Probe die Umset zung und damit die Weiterentwicklung erlebt. Dabei entstehen neue Kontakte, und disziplinäre Arbeitsmethoden werden speziell adaptiert. Die Vision, die Joachim Schloemer mit L’Europe sauvage angestossen hat, bringt die HKB in den beteiligten Bereichen an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit. Das damit verbundene Risiko, Mitwirkende und Infrastruktur der Institution zu überfordern, fungiert aus meiner Sicht als Durchlauferhitzer für die ge meinsam zu generierende künstlerische Qualität des Projektes. � Johannes Mager, Dozent Schauspiel, mentoriert die Schauspielstudierenden im Projekt.
SITUATIONSPLAN UND ABLAUF Spieldaten: Donnerstag – Samstag, 25.–27. Januar 2018, jeweils 19 Uhr. Vorverkauf in der Buchhandlung zum Zytglogge, Hotelgasse 1, 3011 Bern, sowie an den Standorten Fellerstrasse 11 und Papiermühlestrasse 13a der HKB. Anreise: Bushaltestelle Schosshaldenfriedhof, Bus Nr. 10 Richtung Ostermundigen. Öffentliche Park plätze entlang der Ostermundigenstrasse. Abend kasse und Besammlung bei Station B. Jeder der drei Teile der ersten Hälfte (A–C, je ca. 30 Minuten) und alle dazwischenliegenden Stationen werden je drei Mal wiederholt. Danach gibt es eine Pause mit Imbiss. Darauf folgt der Schlussteil D am Zikadenweg mit allen Beteiligten. Dauer insgesamt inkl. Pause knapp 3 Stunden.
IMPRESSUM
per 16. November, Änderungen vorbehalten
KÜNSTLERISCHE LEITUNG / REGIE Joachim Schloemer PRODUKTION Peter Kraut, Virginie Halter, Daniela Ruocco, Mayfield Asset und Property Management GmbH BÜHNE / KOSTÜME Anne-Sophie Raemy LICHT Christoph Gorgé FILM Jörg Gruber, DOP und Team, Gianni Forteleoni (Editing) VIDEOPROJEKTION MediaLab HKB: Hugo Ryser AUDIOTECHNIK Team Sound Arts HKB, Benoît Piccand, Beat Müller REDAKTION Peter Kraut, HKB Kommunikation FOTO Stefan Wermuth stefanwermuth.com GESTALTUNG Atelier HKB KÜNSTLERISCHE BEGLEITUNG STUDIERENDE Lennart Dohms musikalische Performance Christian Hilz Gesang Barbara Balba Weber künstlerische Musikvermittlung Xavier Dayer Komposition Pierre Sublet, Mathieu Corajod Théâtre musical Johannes Mager Schauspiel Daniel Weissberg, Michael Harenberg, Cathy van Eck Sound Arts Mathias Behrends Oper Simone von Büren Literatur Claudia Wagner Tanz Jacqueline Baum, Maren Polte Kunstvermittlung Anne-Sophie Raemy Bühnenbild und Kostümbild STUDIERENDE Schauspiel Stefan Schönholzer, Daniela Schneider, Katharina Schmidt, David Brückner, Julius Schröder, Sandrine Zenner
Text Lou Meli, Milena Keller, Anja Delz, Sara DiAddezio Théâtre musical Stanislas Pili, Mara Johanna Probst, Katyhuska Robinson, María Fernanda Rodríguez, Mathilde Bernard, Yesid Fonseca Komposition John Michet, Timmy Schenk, Charlotte Torres Tanz / Musik & Bewegung Laura Dicembrino, Ursina Bösch, Meret Wasser, Marie Jeger Sound Arts Steve Valentin, Emile Van Helleputte
D
Instrumentalistinnen und Instrumentalisten Johannes Feuchter, Kalle Moberg, João Pereira, Correntin Barro, Ensemble Vertigo (HKB)
B Besammlung
A C
Bushaltestelle Schosshaldenfriedhof
A Shedhalle, Ostermundigenstrasse 99 B HKB Musik, Auditorium, Ostermundigenstrasse 103 → Besammlung C Hörsaal im ehemaligen Swisscom Tower, Ostermundigenstrasse 93 D HKB Theater, Zikadenweg 35
Gesang Arion Rudari, Ruben Monteiro, Lisa Läng, Moritz Achermann, Qingran Zhao, Tereza Leuenberger, Aurelia Würsch, Yi-An Chen, Viktoria Kadar, Buga Šimić, Xiang Ting Teng Chorleitung (Laienchor) Moritz Achermann Bühne Sofie Hänni, Mara Schenk, Mirko Kirchner, Ksenia Sadilova, Nadja Knuchel Mit grossem Dank an die Eigentümer und ihr REInvest Art Project für die Zurverfügungstellung der Räumlich keiten, ihre Kuratorin Georgina Casparis sowie Mayfield Asset und Property Management GmbH für die Unterstüt zung hinsichtlich der Infrastruktur
KOMPONIEREN FÜR ODER GEGEN? Le processus de travail d’Europe sauvage est haut en couleurs, les descriptifs de commandes saisis sants: ici on nous demande une danse étrange et puissante «unheimlich und powerful», là un rythme devant impérativement être clairement perceptible et encore ailleurs un tremblement de terre devant être joué sur des débris. En d’autres circonstances, le professeur de composition aurait pu se percevoir comme l’intermédiaire entre le «moi» profond et le «moi» moins profond de l’étudiant. Ici dans l’Europe
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