HKB-Zeitung 4/2016

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Thema: Kulturelle Teilhabe 4 «Möglichkeiten erkennen»: Roundtable mit Brian McGowan, Isabella Spirig und Martin Schweiger 8 Das Herz soll Blut pumpen: Tom Kummer sucht die Heitere Fahne auf 10 Inklusion als Transformation: Wolfgang Ullrich über 40 Jahre «Kunst für alle»

N°4/2016 Aktuelles aus der Hochschule der Künste Bern HKB

September–November 5 × jährlich

HKB innen – aussen 12 «Behinderung ist kein stabiler Zustand, sondern ein relatives und temporäres Phänomen»: Michael Fehr formuliert neun Gedanken

16 Lesen ist so wichtig wie laufen lernen: Andréas Netthoevel und Fabienne Meyer berichten von einem Forschungsprojekt mit HKB-Beteiligung

14 Allen Hindernissen zum Trotz: Beatrice Bösiger über den fast gehörlosen HKB-Studenten Yannick Neuhaus

17 More than playing: Daria Shmitko über ihre Dissertation zu inklusiver Bildung 18 Auf dem Weg zu einer inklusiven Kultur: Christoph Brunner beschreibt, wie die HKB durchlässiger und diverser wird

22 Ausgezeichnet! Interview mit Wolfram Höll

24 HKB-Agenda: September–November 2016

23 Neu an der HKB / Zu Gast Das HKB-Highlight im September: Im Irrgarten des Musiktheaters

27 Ein Studiengang stellt sich vor: MA Communication Design 28 Schaufenster – Arbeiten aus der HKB


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THEMA  — Anfang 2016 hat sich die HKB dem Label Kultur inklusiv angeschlossen. Kultur inklusiv wird von 15 unterschiedlichen Berner Kulturinstitutionen getragen, die sich für die Inklusion von Menschen mit Behinderungen in das kulturelle Leben einsetzen. Für die HKB ist dies der Auftakt zu einem Abenteuer, das uns noch viel Arbeit bescheren wird. Aber das Abenteuer ist hochspannend. Neue Perspektiven sind zu entdecken, vorgespurte Wege zu verlassen. In dieser HKB-Zeitung leuchten wir den künstlerischen und kulturpolitischen Trend der kulturellen Teilhabe und Inklusion aus. Lesen Sie, was Expertinnen und Experten in den Sinn kommt, wenn sie sich Gedanken machen zu Inklusion als Innovation oder zu Behinderung als künstlerischem Potenzial. Christian Pauli Leiter Redaktion HKB-Zeitung

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«WIR SOLLTEN NICHT BARRIEREN SEHEN, SONDERN MOGLICHKEITEN ERKENNEN»

INTERVIEW VON CHRISTIAN PAULI


Seit Jahren wird in der Kulturförderung von Integration gesprochen. Nun wird der Begriff ausgeweitet: Inklusion. Was verstehen Sie darunter? MCGOWAN Integration meint, dass einer Gesellschaft etwas Aussenstehendes eingefügt wird. Inklusion hingegen geht davon aus, dass alle Elemente selbstverständlicher Bestandteil eines Ganzen sind und dazugehören – in unserem Falle: Menschen mit Behinderungen in all ihren Varianten, – von Anfang an Teil der Gesellschaft sind. Ich als Mensch mit Behinderung bin also ein normaler Teil der Gesellschaft und nicht einer, der anders behandelt werden muss, beispielsweise in Sonderstrukturen. ISABELLA SPIRIG Inklusion meint die Teilhabe aller. Die Frage lautet: Was für Voraussetzungen sind notwendig, damit diese Teilhabe aller möglich ist? Das beginnt ganz konkret bei der Barrierefreiheit, bei Zugängen und Aufzügen für Elektrorollstühle, bei der Mobilität. Inklusion aber meint noch mehr: Es müssen die Voraussetzungen geschaffen werden, dass die unterschiedlichsten Menschen mit unterschiedlichsten Bedürfnissen am kulturellen Leben teilnehmen können. Es geht bei der Inklusion auch sehr stark um mentale Aspekte, um eine Haltung. MCGOWAN Das ist sehr wichtig: Die Gesellschaft soll Regelstrukturen schaffen, bei denen Menschen mit Behinderungen von Beginn mitbedacht sind und selbstverständlich dazugehören. Wir wollen also weg von Sonderstrukturen hin zu Regelstrukturen, architektonisch gesprochen: hin zu einem design for all. Was heisst das? Sollen am Schluss alle gleich sein? MCGOWAN Nein. Die Bedürfnisgruppen sind selbstverständlich verschieden – so verschieden, wie alle Menschen eben sind. Menschen haben je nach Geschlecht, Religion, Behinderung etc. verschiedene Bedürfnisse, sind aber Bestandteil unserer Gesellschaft. Die UNO-Behindertenrechtskonvention beinhaltet das Gleiche wie die allgemeinen Menschenrechte – sie erklärt die allgemeinen Menschenrechte lediglich mit Bezug auf Menschen mit Behinderungen. PETER SCHWEIGER Ich habe eine Verständnisfrage. Geht’s beim Label Kultur inklusiv um körperliche oder auch um mentale Behinderung? Sollte die HKB hier einen besonderen Status für «Verrücktheit» schaffen müssen? Inklusion heisst grundsätzlich, dass die verschiedenen Formen von Behinderungen als gegeben angesehen werden. Die verschiedenen Behinderungen schaffen unterschiedliche Situationen und Herausforderungen, so wie an einer Kunsthochschule die verschiedenen Disziplinen sich auch in ganz unterschiedlichen Welten abspielen und unterschiedliche Voraussetzungen schaffen. Die beiden Seiten zusammenzubringen, wenn es möglich und sinnvoll ist, das will dieses Label. Ist Ihre Frage damit beantwortet? SCHWEIGER Inklusion in einem so umfassenden und allgemein gültigen Sinne ist mit einem philosophischen Problem konfrontiert. Es nützt uns wenig, wenn wir sagen: Alle Menschen sind doch gleich oder alle haben einen Tick. Und mit diesem Ausgangspunkt ein Regelwerk für alle schaffen und es auch ausführen wollen. In der konkreten Situation, bei einer Konfrontation mit einer Behinderung ist Differenzierung gefragt, bei der keine allgemeinen Regeln helfen. Inklusion ist humanistisch und zivilisatorisch gesehen sehr zu begrüssen – in der Praxis, bei der Anwendung ist Vorsicht angesagt. MCGOWAN Die UNO-Konvention spricht von «angemessenen Vorkehrungen». Das ist richtig und wichtig. An diese Differenzierung muss

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Brian McGowan, zu Beginn unseres Gesprächs eine blöde Frage: Bei unserem Thema ist die adäquate oder korrekte Sprachregelung eine grosse Herausforderung. Wie wollen Menschen wie Sie bezeichnet werden? BRIAN MCGOWAN Menschen mit Behinderungen. Der Begriff Behinderung umfasst zwei Seiten: die individuelle Einschränkung, also die Beeinträchtigung, und die Realität der Umwelt, die Umweltfaktoren. Beide Seiten im Wechselspiel führen zu einer Behinderung. Es gibt diesen neuen Trend, von Menschen mit Beeinträchtigung zu sprechen. Ich finde das falsch. Der Begriff Beeinträchtigung blendet die politische Dimension, die Umweltfaktoren, aus. Ausserdem wird in der Gleichstellungsgesetzgebung der Schweiz wie auch in der UNO-Behindertenrechtskonvention von Behinderung gesprochen.

immer wieder erinnert werden, damit individuelle Bedürfnisse nicht verwischt werden. SPIRIG Zu Beginn meines Projekts IntegrART legte ich den Fokus auf Künstlerinnen und Künstler mit einer körperlichen Behinderung. Im Verlaufe der Jahre haben künstlerische Erlebnisse mir die Augen geöffnet: Es gibt ein so grosses kreatives Potenzial in Produktionen mit Künstlerinnen und Künstlern mit unterschiedlichsten Behinderungen! Die Idee der Inklusion heisst zunächst: offen zu sein. Wir sollten nicht die Barrieren sehen, sondern die Möglichkeiten erkennen. Es gibt derer viel mehr, als wir denken. Denken Sie zum Beispiel an Pablo Pineda, den spanischen Schauspieler mit einem Downsyndrom, der nicht nur einen Abschluss an der Uni gemacht hat, sondern auch eine tragende Rolle in dem Kinofilm «Yo, también» spielt. Inklusion heisst möglich machen und die Win-win-Situation erkennen. Bei der Entwicklung von Kultur inklusiv war ich Mitglied einer beratenden Gruppe. Die Treffen mit Vertreterinnen und Vertretern verschiedener Behindertengruppen sowie Kulturschaffenden gehören zu den kompliziertesten, aber auch überraschendsten Gesprächen, die ich je erlebt habe. MCGOWAN Für mich ist es eine Selbstverständlichkeit, dass Vertreterinnen und Vertreter aller Behindertengruppen an einem Tisch sitzen, so wie zum Beispiel bei der Erarbeitung des Labels Kultur inklusiv. Behindertenaktivisten haben lange genug nur Einzelinteressen vertreten und einander gegenseitig ausgespielt. SCHWEIGER Ich habe dennoch Fragen. Nehmen Sie die Theatergruppe Hora, die aus behinderten Schauspielerinnen und Schauspielern besteht und mit grosser Selbstverständlichkeit und Erfolg agiert. Aber haben wir es hier nicht mit vorauseilendem Beifall zu tun? Ist es nicht so, dass die behinderten Künstlerinnen und Künstler im Sinne einer originellen Aufwertung einer Produktion benutzt werden? Das war zumindest mein Eindruck bei Der schönste

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Spätestens mit der bundesrätlichen Kulturbotschaft 2016–2020 ist kulturelle Teilhabe auch in der Schweiz ganz oben auf der kulturpolitischen Agenda angekommen. Im Interview mit der HKB-Zeitung nehmen eine Expertin und zwei Experten Stellung.

«INKLUSION IST HUMANISTISCH UND ZIVILISATORISCH GESEHEN SEHR ZU BEGRÜSSEN—IN DER PRAXIS, BEI DER ANWENDUNG IST VORSICHT ANGESAGT.»

SCHWEIGER

Tag, der jüngsten Produktion, die ich gesehen habe. Ich finde es als jemand, der eine Produktion zu verantworten hat, aber auch als Theaterbesucher extrem schwierig, die Arbeit eines behinderten Schauspielers und einer nicht behinderten Schauspielerin zu beurteilen, ohne zu vergleichen oder die Unterschiede einfach beiseite zu schieben. Isabella Spirig, die Kritik, behinderte Künstlerinnen und Künstler würden instrumentalisiert, ist immer wieder zu hören. Was sagen Sie dazu? SPIRIG Dieser Vorwurf wird vor allem bei Produktionen mit Menschen mit einer geistigen Behinderung angebracht. Und in der Tat: Es ist schwierig, die Balance zwischen emotionaler Wirkung und Zurschaustellung zu halten. Als Veranstalterin kann ich sagen: Wenn das Publikum berührt wird, ist es gut. Als Zuschauerin frage ich mich auch immer wieder: Warum haben diese Schauspieler eine so starke Wirkung? Weil sie so emotional sind und authentisch wirken? Ich habe keine abschliessenden Antworten. Bei der Hora-Produktion Disable Theater von Jérôme Bel zum Beispiel habe ich mich anfänglich über einzelne Szenen gewundert. Ich war mir nicht sicher, ob das In-der-Nase-Bohren bewusst gesetzt war oder nicht. Die Wahrnehmung verändert sich stark, wenn man neuralgische Szenen mehrmals anschaut und dann realisiert, dass sie bewusst so gespielt werden. Die Ensemblemitglieder von Hora nehmen sich selber als professionelle Schauspielerinnen und Schauspieler wahr und haben eine entsprechende Ausbildung absolviert. MCGOWAN Natürlich gibt es nach wie vor und immer wieder eine Instrumentalisierung von behinderten Künstlerinnen und Künstlern auf der Bühne. Geschieht dies, muss dies von Seiten der Kunst als solches thematisiert und angeprangert werden. Wichtig ist einfach, auch mal den Mut zu haben, schlechte Kunst von Menschen mit Behinderungen auch als das zu bezeichnen, was sie ist, womöglich: Scheisse.

Von oben: Isabella Spirig, Brian McGowan und Peter Schweiger

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Können Sie uns dafür ein Beispiel nennen? MCGOWAN Ich nenne Ihnen lieber ein gutes Beispiel: das Kollektiv Freiraum aus Bern. Die machen eine grossartige Arbeit, bei der jeder und jede für sich steht, egal ob behindert oder nicht. SCHWEIGER Genau das macht Theater so essenziell. Die Zuschauerin, der Zuschauer hat den unverwechselbaren einzelnen Menschen vor sich. So stellt sich neben die kritische Überlegung, ob die Rolle, der Kontext für den jeweiligen Schauspieler, die jeweilige Schauspielerin stimmt, die viel schwieriger zu beantwortende Frage: Konnte die Authentizität der oder des Betreffenden bewahrt werden?

«ES LIEGT EIN KÜNSTLERISCHES POTENZIAL BRACH UND WIR WÄREN BLÖD, WENN WIR ES NICHT NÜTZEN WÜRDEN»

SPIRIG

Peter Schweiger, Sie haben eine Gehbehinderung. War diese Beeinträchtigung in Ihrem Berufsleben je ein Nachteil oder auch ein Vorteil? SCHWEIGER Weder noch. Mein Klassenlehrer hat mir eindringlich nahegelegt, meine Behinderung als meine Besonderheit anzunehmen und nicht darauf zu achten, was meine Umgebung dazu findet. Das war wichtig, der Rest vergleichsweise einfach. Gewisse Rollen konnte ich wohl aus physischen Gründen nicht spielen, obwohl sie zu mir als Person gepasst hätten. Andererseits konnte ich Figuren gestalten, die durch meine körperliche Beschränkung eine besondere Note erhielten. MCGOWAN Ich möchte nochmals auf das künstlerische Potenzial von inklusiver Kultur zurückkommen. Kunst ist so wichtig, weil sie andere, verschiedene Perspektiven zulässt. Menschen mit Behinderung haben eine alternative Sicht aufs Leben; genau aus diesem Grunde sind sie eine Bereicherung für die Kunst, die meiner Ansicht nach ein Ort des Austausches über verschiedene Sichtweisen auf das Leben ist. Der Diskurs über Normen und Antinormen ist in der Kunst zentral. Ergibt sich daraus eine verwandtschaftliche Nähe zum Anspruch der inklusiven Kultur? SPIRIG Die Idee der inklusiven Gesellschaft ist der Kunst insgesamt sehr nahe. Auf der Bühne können Utopien gelebt werden. Mit inklusiver Kultur können wir zeigen, dass solche Utopien auch im Alltag gelebt werden können. Viele Menschen haben Angst vor der Konfrontation mit Menschen mit einer Behinderung. Inklusive Kultur baut solche Berührungsängste ab. Je mehr Begegnungen stattfinden, desto stärker werden Hemmschwellen abgebaut, desto mehr erkennen wir die Menschen hinter den Behinderungen. Ich glaube an die Kraft der Kunst, hier den Motor am Leben zu erhalten. SCHWEIGER An dieser Stelle muss ich einen provokativen Gedanken äussern: An einer Kunsthochschule muss ja nicht entschieden werden, was Kunst ist und was nicht, ob der zukünftige Künstler, die zukünftige Künstlerin hervorragend sein wird oder nicht. Diese Frage

wird erst später im Berufsleben entschieden. Für den Unterricht, das Studium muss jedoch der inklusive Ansatz unbedingte Voraussetzung sein. MCGOWAN Womit wir wieder bei der UNO und den «angemessenen Vorkehrungen» wären. Kulturinstitutionen sollten die Chance sehen, hier eine Vorreiterrolle zu spielen: Sie können Dinge ausprobieren, die für die ganze Gesellschaft interessant sind. Am Mikrokosmos eines Kulturbetriebs kann ausserdem gezeigt werden, wie es möglich ist, Menschen mit Behinderungen anzustellen und Gäste mit und ohne Behinderungen hindernisfrei zu empfangen. Das künstlerische Gedankengut ist zum Glück offen. Das darf durchaus auch zeigen, wie eine inklusive Kultur gelebt wird. An einer Kunsthochschule werden Normen gesetzt, Professionalität eingefordert und exzellente künstlerische Leistungen verlangt. Es wird ein harter Numerus clausus gefahren, die Zugangsbarrieren sind hoch. Steht dies nicht im Widerspruch zu einem integrativen, gar inklusiven Kulturkonzept? SPIRIG Wir bei IntegrART unterscheiden sehr deutlich zwischen inklusiver Kunstarbeit und Community Work. Es ist die Unterscheidung zwischen professioneller Arbeit und Laienkunst unter Anleitung von Profis. Das stellt ein absurdes Problem dar: Wie definieren wir Professionalität, wenn es so wenige Künstlerinnen und Künstler mit Behinderung und einem Kunsthochschulabschluss gibt? Bei IntegrART mussten wir deshalb eigene Massstäbe setzen: ein bestimmtes Mass an Bühnenerfahrung und regelmässiges Training. Ich bin sehr froh, wenn die Kunsthochschulen das kreative Potenzial der inklusiven Kultur erkennen und sich ihr gegenüber öffnen. MCGOWAN Ihre Frage erinnert mich ein bisschen an eine Barriere im Kopf, sprich an Vorurteile, welche für Menschen mit Behinderungen oft das grösste Hindernis darstellen. Professionalität ist keine Frage der Behinderung, sondern eine der Haltung. Das Erwähnen von Numerus clausus impliziert, dass Menschen mit Behinderung dort einfacher reinkommen, wo es keine Studienplatzbeschränkung gibt. Wie gesagt: Das inklusive Kulturverständnis verlangt Offenheit und dass keine Urteile gefällt werden, bevor die Möglichkeiten ausgeleuchtet wurden.

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Alle Menschen haben Barrieren im Kopf – und zum Glück auch die Fähigkeit, sie zu hinterfragen. Ich möchte nun noch auf einen anderen schwierigen Aspekt zu reden kommen, für den die inklusive Kultur nichts kann. Die Ansprüche an die Kunst insgesamt sind unermesslich geworden. Kultur für Ausländerinnen und Ausländer, Kinder, Jugendliche, Senioren, Behinderte. Kunst als politisch relevanter

Diskurs. Kunst zur gesellschaftlichen Bereicherung, ja als Verpflichtung. Können wir diese Ansprüche je erfüllen oder laufen wir nicht Gefahr, unter dieser moralischen Last zusammenzubrechen? SCHWEIGER Ist das tatsächlich eine Frage der Moral? Die Moral hilft uns nichts. Wer hier mit Moral argumentiert … MCGOWAN … hat von der Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen im Bereich der Kunst nichts begriffen. Bei der Kunst geht’s um Interesse und Leidenschaft, nicht um Verpflichtung. SCHWEIGER Genau. Nicht um die Moral geht es, sondern um eine zivilisatorische Idee, ja um eine gesellschaftsrelevante Leistung. Aber ich verstehe Ihre Frage auf der praktischen Ebene durchaus. Auf Hochschulebene heisst es: Die Kriterien und Beurteilungen, ob jemand für ein Studium geeignet ist, werden immer komplexer. SPIRIG Ich kenne das Problem natürlich. Wir leben in einer Leistungsgesellschaft. Wir wollen immer mehr, immer mehr Ansprüche erfüllen und es allen recht machen. Ich meine, Inklusion hat durchaus einen moralischen Aspekt, aber das darf auf keinen Fall das Hauptargument sein. Wie oben mehrfach gesagt: Es liegt ein künstlerisches Potenzial brach und wir wären blöd, wenn wir es nicht nützen würden. Kunst kann inklusiv sein, aber auch das Gegenteil: ein Distinktionsmittel. Ich frage darum ganz einfach: Darf oder muss Kunst elitär, nicht partizipativ, schwer verständlich und teuer sein? MCGOWAN Ich gehe in Zürich sowohl in die Rote Fabrik wie auch ins Opernhaus. Kunst ist immer auch ein Spiegel der Gesellschaft. Die Kunstschaffenden und die Kunstkonsumierenden haben es auch in der Hand, die Gesellschaft ein Stück zu verändern, z.B. in Richtung einer inklusiven Gesellschaft. SCHWEIGER Auch wenn der elitäre Kulturbegriff obsolet geworden ist, ein Konstrukt des 19. Jahrhunderts, müssen wir den radikalen Anspruch von Kunst stets verteidigen. Ob im hoch organisierten Opernhaus oder in freien Ad-hoc-Produktionen: Mich begeistert, was einen neuen Blick auf das heutige Leben und die aktuellen gesellschaftlichen Umstände erlaubt. SPIRIG Ich bewege mich vor allem in der sogenannten freien Szene. Ich meine, da werden die richtigen Fragen gestellt, wichtige Forderungen gestellt. Obschon Teile davon natürlich auch selbstgenügsam sind, ist die Aufmüpfigkeit der freien Szene enorm wichtig.

Brian McGowan hat Geschichte, Religions- und Politikwissenschaften studiert und dann nach einer Tätigkeit beim Bund (EBGB) die Fachstelle Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen der Stadt Bern aufgebaut und geleitet. Ausserdem ist er Co-Founder von Sensability (sensability.ch). Isabella Spirig war als Tanzpädagogin, Tänzerin und Produktionsleiterin tätig. 1995 gründete sie die Frauentangogruppe Las Tangueras und tourte mit dieser in der Schweiz, Deutschland und Frankreich. 1998 hat sie die Leitung des Fachbereiches Tanz und somit auch die künstlerische Leitung des Migros-Kulturprozent-Tanzfestivals Steps übernommen. 2005 gründete sie das Projekt IntegrART (integrart.ch). Peter Schweiger wurde in Wien geboren und lebt seit 1965 in der Schweiz. Als Regisseur bevorzugt er zeitgenössische Stücke. Als Interpret beschäftigt er sich vor allem mit Werken, die zwischen Musik und Szene angesiedelt sind. Er war Mitglied der Aargauischen Kleintheater, Direktor des Theaters am Neumarkt Zürich, Schauspieldirektor am Theater St. Gallen und wurde 2001 für sein Gesamtschaffen mit dem Hans Reinhart-Ring geehrt.


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DAS HERZ SOLL BLUT PUMPEN— Wenn das nur gut geht: «Bad Boy Kummer» besucht die Heitere Fahne in Wabern. Und ob das gut geht! Ein Plädoyer für das kräftig pumpende soziokulturelle Herz in der alten Brauereiwirtschaft am Fuss des Berner Hausbergs.

Es schlägt ein Herz am Gurten. Es pumpt Fragen in unsere Welt. Es ist ein Riesenherz, gross und schön – und ehrlich. Irgendetwas hängt in der Luft. Aber was? Das Pumpen ist laut und wild, und die Aura des Guten unübersehbar. Schon beim Anmarsch sind Vibrationen zu spüren. Plopp-plopp-plopp. Sind es Bassbeats von oben auf dem Gurten, wo gerade die Festival-Lautsprecher getestet werden? Auf dem Weg von der Dorfstrasse Wabern Richtung Gurtenbahn pulsiert eine unsichtbare Energie, so viel ist klar, besonders dort in der Strassengabelung, wo die alte, traditionsreiche Brauereiwirtschaft thront. Könnte es sein, dass hier ein Signal des Nachdenkens über neue Utopien entstanden ist? Ich sehe jetzt junge Menschen an Kisten, Geräten und Mobiliar hantieren. Hier wird ständig gearbeitet. Ein geordnetes Chaos. Ja, diese Leute hier sehen aus wie richtige Menschen, Bernerinnen und Berner. Besondere Äusserlichkeiten fallen nicht auf. Es gibt kleine Hinweise auf Punk, vielleicht Techno, Beuys, Psychedelic, Mad Max, Dalí, Dieter Roth, Pipilotti, St.-Pauli-Power  …  doch nichts ist offensichtlich. Was hier in erster Linie floriert: ein fantastischer Realismus. Arbeiten. Im weitesten Sinne: Arte povera. Darauf spreche ich gut an. Hier existieren keine offensichtlichen Moden und Gegenwartstrends, so wie sie sich in den nächsten Tagen über den Gurten ergiessen werden. Und doch pumpt hier ein Rhythmus der Gegenwart. Das Pumpen eines grossen Herzens. Es kommt aus dem Inneren des Wirtshauses mit geräumigem Theatersaal und holzverschalten, stuckverzierten Stübeli – Berner Beizentradition. Doch noch vor drei Jahren war dieser Ort heruntergekommen, versaut, tot. Und jetzt, heitere Fahne, wiederauferstanden aus Ruinen. Das Gefühl dabei ist eindeutig: Hier haben alle Platz. Freaks und Stars, Normalos und Exzentrikerinnen, Gesunde und Kranke, Stadtneurotikerinnen und Borderliner, vielleicht sogar: Arm und Reich.

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Noch weiss ich nichts Genaueres. Es ist ein regnerischer Tag. Aber die Signale an unsere Gegenwart könnten nicht deutlicher sein. Dabei wird in ein paar Stunden die hegemoniale Macht der kommerziellen Popkultur zuschlagen: das 33. Gurtenfestival. Und Tausende werden am grössten Herzen von Bern vorbeimarschieren – vielleicht ohne es zu merken. In der «Heiteren Fahne» operieren Aktivisten in einer Art sozialem Kulturkampf. Obwohl diese Leute weder Aktivistinnen und Aktivisten genannt werden wollen noch sich selbst in einen Kampf verwickelt sehen möchten. Es sind einfach Menschen mit einer scheinbar selbstlosen und idealistischen Hoffnung auf eine bessere Welt. Für mich ist das ein ganz grosser Kampf. Das Riesenherz im Atelier-Stübli pumpt jedoch kein echtes Blut, es steht versteckt in einem der unzähligen kleinen Laboratorien der «Heiteren Fahne», diesem grandiosen sozialutopischen Kulturprojekt, wo Liebe fürs Detail und besonders für den Menschen – du und ich – im Vordergrund

stehen. War das nicht schon immer eine der grossen Stärken – und Schwächen – von Bern? Der kleinkrämerisch wirkende Idealismus, der Künstlerinnen und Künstler mit globalen Ambitionen aus unserer Stadt vertrieben hat. Ich nähere mich ganz vorsichtig. Noch weiss ich nichts von dem mindestens zwei Meter hohen blutroten Muskel aus Styropor und Aluminiumröhren, der hier von einem Aktivisten namens Beda erschaffen wurde. Ein Riesenherz. In Zeiten, in denen man von Trendscouts der diversen global agierenden Symbolkonzerne «entdeckt» und als Hipster des Kunst- und Lebensstilbetriebs gepflegt und entmündigt wird, tut diese Sorte von Solidarisierung extrem gut. Besonders angesichts der Auflösung des kritischen Potenzials von Jugendkultur. Hier sind die Leute noch eindeutig: wir. Das wird schon nach dem ersten Zusammensitzen mit dem inneren Kern der Bewegung klar: Rahel und Hannes. Was für ein Paar. Ich erkenne in ihnen ein bisschen Serge Gainsbourg und Jane Birkin oder auch Yoko und John, so kommen sie mir jedenfalls vor. Aber das ist womöglich bloss mein Ding, mein Glaube an den fantastischen Realismus. Da ist die engelhafte Sanftheit von Rahel, die ihr Baby vor sich im Tuch trägt. Die wilde Energie von Hannes, der tausend Dinge gleichzeitig durch Hirn und Herz zirkulieren lässt. «Big Daddy» Hannes, der Stimmungsmacher, Sozialarbeiter, zuständig für die Infrastruktur, Konfliktlöser und Schlichter. Er und seine Partnerin Rahel sind sofort in mein Herz vorgestossen: der schöne, helle, optimistische Blick von Rahel, die kämpferische, revolutionäre Haltung von Hannes, der die Strenge und Konzentration im ernsten Gesicht immer wieder mit herzhaftem Lachen durchbricht. Eine zauberhafte Paarung. Rahel kennt sich

aus mit der Dramaturgie der Dinge, Tänzerin, Journalistin, Dramaturgin, Erfahrung mit Behindertentheater. Hannes kennt die Abgründe, die Höhen und Tiefen. Vielleicht sogar die Zukunft. Das Ich zieht sich in diesem Ambiente sofort zurück. Als ich ein Selfie schiessen will vor einem hölzernen Objekt, das wie von Joseph Beuys erschaffen aussieht, komme ich mir komisch vor. Das hier ist keine Selfielandschaft. Sondern eine Märchenlandschaft, die eine der gemeinnützigsten aller Fragen stellt: Wie können wir zusammenleben, obwohl wir verschiedene Kulturen tradieren und dabei neue schaffen? Die Antwort lautet: Es ist möglich, wenn wir eine liberale Rahmenkultur haben und Raum für Gemeinschaftskulturen schaffen, die traditionell oder utopisch sein können. Das ist die Heitere Fahne. Hier wird ein Grundrecht gefordert auf eine eigene Kultur und eine Moral der wechselseitigen Achtung, nicht bloss der Toleranz, der Differenz. Es geht um Harmonie. Liebe. Es ist eine Kreuzung, wo Arm und Reich, Gesund und Krank aufeinanderstossen und sich dabei nicht bloss wie wilde verstossene Tiere anstarren. Aber alle diese Anliegen stehen hier auf keiner Fahne, auf keinem Transparent. Hier sind wir in einer entpolitisierten Zone. Hier sollen Harmonie und Spass und «Idylle» herrschen. Das Herz soll Blut pumpen. Nichts anderes zählt. Diese herzhafte Idylle wiederum ist nur möglich, wenn man sich gegenseitig kennt und – kommuniziert! Alleine kommen wir heute nirgendwohin. Es geht um «Findungsprozesse». Das sagt Hannes irgendwann. Am liebsten würde er hier jede Stelle doppelt besetzen, damit es nie einen Ausfall geben kann. Und auch die ganze Liegenschaft kaufen, wenn es bloss die reiche Sponsorin, den reichen Sponsor gäbe. Er kennt sich aus mit Krisen. Er hat im Contact gearbeitet. Seine Eltern leiteten ein Behindertenheim, als er noch ein Bub war. Er kennt sich aber auch in der Partywelt aus, hat dort organisatorisch mitgewirkt. Seinem Denken liegt nicht die Vorstellung der geschlossenen kulturellen Blöcke zugrunde, sondern der offenen kulturellen Gemeinschaften, die alle integrieren, Alt und Jung, körperlich und geistig behinderte, minderbemittelte Menschen. Alle integriert. Ein Lebenszirkus. Heitere Fahne – dieses fantastische Wortspiel wirkt überall. Es ist ein «Berner Ding», das ein weltweites «Ding» verkörpert. Obwohl niemand genau weiss, was Hannes unter «Ding» versteht. Und wie die Zukunft von Bern wirklich aussehen soll. Klar ist bloss: Heitere Fahne, wie alle wissen, ist ein Fluchausdruck – wenn jemand vielleicht ungeduldig ist, was Hannes wohl öfters ist, etwa so im Sinne von «heitere Fahne, muess das itz wider sy!» Oder auch: Wenn ein religiöser Mensch vielleicht nicht «Gopferdammi» sagen will, sondern verspielter: heitere Fahne. Dabei ist dieses «Ding» wichtig. Zukunftsweisend. Die Heitere Fahne hat einen langfristigen Mietvertrag. Sie werden hier nicht vertrieben, sondern bleiben. Und sie tun was dafür, dass in Wabern ein Juwel unserer Gegenwart Bestand haben kann. 50 000 Franken betragen allein die Heizkosten. Da braucht es einen guten Buchhalter. Den haben sie gefunden. Ein Profi. Ein Freak. Die Heitere Fahne ist ein neuer Typus der Intervention in die

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urbane Welt. Fragt man Fahne-Aktivistinnen und -Aktivisten nach ihrem Kunstanspruch, wird zuerst gelacht. Hier existiert keine marktambitionierte Kunst-Kunst-Stossrichtung. Hier wird eine Kunst «nach der Kunst» betrieben, eine Ironie «nach dem Ende der Postironie» demonstriert. Dazu zählen die radikale Entmythisierung des Künstlerindividuums, die Neutralisierung des sogenannten «Kunstwerks» bis hin zu «No-art-Manifestationen», die Suche nach einer Kunst, die übergeordneten Prinzipien oder Intentionen und nicht beliebigen persönlichen Befindlichkeiten folgt. Deshalb steht hier eigentlich immer auch ein künstlerisches «Recycling» im Vordergrund. Ein Remix der Generationen, die nur ein Ziel kennen können: das Herz.

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«HIER SIND DIE LEUTE NOCH EINDEUTIG WIR. DAS ICH ZIEHT SICH IN DIESEM AMBIENTE SOFORT ZURÜCK.»

Langsam, fast andächtig, wandere ich jetzt durch die «Fahnenlandschaft», wo Objekte ins Auge stechen, die an Niki de Saint Phalle erinnern, Marcel Duchamp, Daniel Spörri, an das Puppenmassaker von Mike Kelley, Elemente von Hippiekultur – aber völlig entpolitisiert. Und das ist entscheidend. «Politik» bleibt hier unsichtbar. Draussen. Und trotzdem ist ja immer klar, in welche Richtung die Fahne weht. Dieses Kollektiv gleichberechtigter Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bewegt sich durch die Räume wie in einer perfekt choreografierten Fluxus Performance. Zur Erinnerung: Fluxus gönnte sich Freiheit nach allen Richtungen. Aller-

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«Big Daddy» Hannes ist oft auf Recyclingtouren durch die Mülldeponien von Bern. Er kennt die geheimen Orte voller abgestossener Schätze. Dort findet er seine Materialien zur Gestaltung dieses Zauberorts. Wer das «Heitere-Fahne»-Territorium betritt, wird verstehen, dass «die Stadt» längst nicht mehr als Ort der ökonomischen und politischen Macht zu verstehen ist. Die Stadt, wie es Jean Baudrillard sich schon 1975 vorstellte, ist «nicht mehr das politisch-industrielle Vieleck, das sie im 19. Jahrhundert gewesen ist», sondern «ein Vieleck aus Zeichen, Medien und Codes»1. Die Heitere Fahne will in ein mediales Vieleck einbrechen und gegen die Ich-Besessenheit der Kulturarbeit anarbeiten. Die Heitere Fahne operiert mit sozialer Aktionskunst und bleibt sich dabei immer treu: Sie versucht es meistens mit stillem Humor, der sich als Spurenelement an verfestigten und verkrusteten Strukturen festsetzt und irritieren soll. Auf dem Weg hinauf zum Gurtenfestival haben sich womöglich viele Besucherinnen und Besucher gefragt, wie es wohl in dieser riesengrossen Brauereiwirtschaft weitergehen wird. So was kann doch nicht überleben!? Aber es geht immer weiter! dings sieht es hier nach einem bereinigten Begriff von Fluxus aus, der die chaotisch-anarchischen Grenzüberschreitungen ausspart. Ich würde es Verspieltheit mit Materialien nennen und einen chaotischen Professionalismus, der es diesen Aktivistinnen und Aktivisten erlaubt, ihre Freizone immer wieder einem breiten Feld von Fans anzubieten, die meist in Scharen kommen, wenn die Heitere Fahne zu Veranstaltungen ruft. Dabei ist das pulsierende Riesenherz aus Styropor in der Hinterstube rein symbolisch und für die meisten Besucher unsichtbar. Es verkörpert die Pumpstation dieser fantastischen Organisation der Liebe. Es ist das Herzstück schlechthin. Das menschliche Herz schlägt im Laufe eines 70-jährigen Lebens durchschnittlich 2,6 Milliarden Mal. Dabei pumpt es über 200 Millionen Liter Blut in den Körperkreislauf – also etwa 7000 Liter am Tag, circa 50 Badewannen! Es ist der wichtigste Muskel unseres Körpers. Sämtliche mit Blut durchströmten Leitungsbahnen des Kreislaufs bekämen aneinandergereiht die unvorstellbare Gesamtlänge von bis zu 100 000 Kilometern – was dem zweieinhalbfachen Erdumfang entspräche! 2

sich gerne auch mal zum Clown, gibt sich der Lächerlichkeit preis, weil nur so Distanz zu einem immer mehr auf Stärke ausgerichteten gesellschaftlichen Wertesystem geschaffen werden kann. Weil die «wahre Kunst» der «Heiteren Fahne» nur so den Blick auf etwas Grundlegendes lenken kann: Die Voraussetzung dafür, Schwäche zeigen zu wollen, ist ein sehr bewusster Verzicht darauf, Macht zu benutzen. Daraus können wir lernen. Das neue Verzichten. Machtverzicht! Egoverzicht! Selfieverzicht! Energien, die aus der Manifestation der Krise heraus entstehen, sind vielleicht die stärksten und wirksamsten Energien der Kunst. Und alles passiert hier, in unserer Stadt. Schaut hin: Heitere Fahne, es geht um Liebe! 1 Jean Baudrillard: Agonie des Realen, Merve 1978 2 medizininfo.de

Und damit sind wir beim Kern der Botschaft dieser magischen Beiz am Fuss des Gurtens. Es ist der fantastische Körperkreislauf der «Heiteren Fahne», der mich jetzt in die perfekte Blutbahn treiben lässt: Das Komische wird zum Mittel, um Schwäche zu demonstrieren. Weil menschliche Schwäche neu definiert sein muss. Körperliche Schwäche, geistige Schwäche. Die Heitere Fahne macht

NICHTS ANDERES ZAHLT.

Tom Kummer, geboren in Bern, bezeichnet sich als Antijournalist. Seit Beginn seiner Karriere bei «Tempo», «SZ-Magazin», «Das Magazin» oder «Die Zeit» legte er es darauf an, den Medien den Zerrspiegel vorzuhalten. Wegen einer Reihe fiktiver Interviews mit US-Berühmtheiten löste er im Jahr 2000 einen Medienskandal aus. Jüngst hat die «NZZ »aufgedeckt, dass «Bad Boy Kummer», der seit Kurzem wieder in Bern lebt, in neuen Texten ohne Deklaration von anderen Journalisten gesampelt hatte. Im Frühjahr 2017 wird beim Aufbau Verlag Berlin Kummers neuer Roman «Nina & Tom» erscheinen.

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Seit 40 Jahren proklamiert namentlich die Kulturförderung den Leitsatz «Kunst für alle». Ein Blick zurück, in die verschiedenen Kunstdisziplinen zeigt auf, mit welchen Motiven die Kunstwelt auf den Anspruch der kulturellen Teilhabe reagiert hat.

Seit den 1970er-Jahren hat sich der Anspruch, Museen und andere Orte der Hochkultur sollten möglichst allen Menschen offenstehen, immer weiter durchgesetzt. Die Legitimation von Institutionen wie Museum, Oper oder Theater gilt mittlerweile nicht mehr als hinreichend erfüllt, wenn sie etwas als «an sich» für wertvoll Befundenes bewahren und aktuell halten, sondern sie müssen sich zugleich darum bemühen, viel mehr als nur ein bildungsbürgerliches Publikum anzusprechen, an das sie sich lange Zeit fast ausschliesslich adressiert haben. Gerade soweit Hochkultur als etwas gilt, das sinnstiftend, identitätsbildend und therapeutisch wirken kann, wird es auch als sozialpolitisch fatal angesehen, kämen ihre Kräfte nur einzelnen Milieus zugute, ja begünstigten die ihnen gewidmeten Institutionen gar Formen von Exklusivität. Die hohen Erwartungen, die auf Artefakte der Hochkultur spätestens seit der Romantik gerichtet sind und die die Künste in den Status religionsähnlicher Instanzen versetzt haben, sind in den letzten Jahrzehnten also mit Diskursen von Gerechtigkeit und Demokratisierung verbunden worden. Der Imperativ, Kunst und Hochkultur allen Menschen aktiv zu vermitteln, stellt nichts anderes als eine Symbiose von Kunstreligion und Sozialdemokratie dar. Kunstvermittlung für Demenzkranke Allerdings fällt auf, dass die Vermittlungsanstrengungen in den verschiedenen Sparten nicht gleichermassen gross und umfassend sind. Während sich Kunstmuseen um viele gesellschaftliche Gruppen eigens kümmern, wird in Opernhäusern und Theatern und erst recht in den grossen staatlichen Bibliotheken bei Weitem nicht dasselbe Engagement gezeigt. Hier gibt es kaum einmal Spezialprogramme für Kinder oder für Eltern mit Babys, für Erwerbslose oder für Singles, und während in Theatern auch so gut wie nie Gebärdendolmetscher zum Einsatz kommen, um Taubstummen die Teilnahme an einer Vorstellung zu ermöglichen, sind Führungen für Blinde bei Kunstausstellungen schon fast eine Selbstverständlichkeit. Selbst Demenzkranken werden Vermittlungsprogramme angeboten. Zudem sind höchst unterschiedliche Formate entstanden, die von wissensorientierten Führungen bis hin zu performativen Aktionen reichen. Kaum ein Museum und kaum ein Jahr, in dem nicht nochmals neue Wege der Vermittlung etabliert werden.

Wolfgang Ullrich, geboren 1967, ist Philosoph und Kunsthistoriker in München und Leipzig. Ab 2006 war Ullrich Professor für Kunstwissenschaft und Medientheorie an der Hochschule für Gestaltung Karlsruhe, seit 2014 Prorektor für Forschung. 2015 legte Ullrich seine Professur nieder und arbeitet seither als freier Autor.

Dass sich gerade Orte, die der bildenden Kunst gewidmet sind, den Imperativ «Kultur für alle» so stark zu eigen machen, ist überraschend und naheliegend zugleich. Es ist überraschend, weil andere Sparten der Hochkultur eigentlich besser auf denselben Imperativ vorbereitet waren. So ist etwa Literatur seit vielen Jahrhunderten darauf angelegt, allgemein zugänglich zu sein. In alten Zeiten wurden Manuskripte deshalb wieder und wieder abgeschrieben; Bibliotheken sorgten dafür, dass wichtige Texte bereitstanden. Der Buchdruck gilt als eine der wichtigsten Erfindungen, weil er die Verbreitung von Literatur

vereinfacht hat und es möglich wurde, Texte schnell und der jeweiligen Nachfrage entsprechend zu publizieren. Dank Digitalisierung und Internet hat sich die Idee unbeschränkter Zugänglichkeit von Literatur weiter verwirklicht. Allerdings ist damit oft nicht mehr als eine technische Zugänglichkeit gemeint, wie sich daran zeigt, dass es etwa zur Vermittlung von Lyrik oder grossen Romanen des 18. bis 20. Jahrhunderts an leseferne Milieus der Gesellschaft nahezu keine Initiativen gibt. Da Literatur nicht im materiellen Sinn exklusiv ist, geht offenbar leicht vergessen, dass sie in einem intellektuellen Sinn nach wie vor nur einigen wenigen Milieus vorbehalten ist. Strategien der Verrätselung Für bildende Kunst bestand hingegen in früheren Jahrhunderten nie ein vergleichbarer Anspruch auf Zugänglichkeit wie für Literatur. Das hat vor allem damit zu tun, dass es sich bei ihren Werken meist um Unikate handelt, sie also von einem einzelnen besessen werden können und somit dazu disponiert sind, exklusiv zu sein. Selbst Techniken wie die Druckgrafik änderten daran kaum etwas; die Limitierung des Angebots war nicht grundsätzlich zu beseitigen, die Blätter einer Auflage reichten jeweils nur für wenige. Reproduktionstechniken halfen zwar, das Wissen über Kunst zu verbreiten, doch wurde ihnen nicht zugetraut, dieselben Erfahrungen zu ermöglichen wie die originalen Werke. Zugleich ist die Limitiertheit von Kunst für ihre Besitzerinnen und Besitzer aber auch immer von Vorteil gewesen. Sie können sie als Geldanlage oder Statussymbol verwenden, können sich anderen überlegen fühlen und entscheiden, wie sie ihre Verfügungsgewalt über die Werke nutzen. Die Interessen der Besitzerinnen und Besitzer haben aber auch den Charakter bildender Kunst beeinflusst. Ihre materielle Exklusivität spiegelt sich oft in Formen von Verschlüsselung. Sie verlangt Eingeweihtheit oder suggeriert zumindest, diejenigen, die sie besitzen, verfügten über einen solchen Status. Aus demselben Grund wirkt sie häufig abweisend-kühl,

Formen der Verrätselung und Strategien der Verweigerung von Zugänglichkeit wurden in der Kunst der Moderne nicht nur deswegen eingesetzt, weil sich die Kunstschaffenden als dissident begriffen und keinen fremden Interessen dienen wollten. Genauso (oder vielleicht sogar noch häufiger) wollten sie sich vor dem von Besitzerinnen und Besitzern gerne gezogenen Schluss schützen, die materielle Aneignung eines Werkes sei schon gleichbedeutend damit, Zugang zu dessen künstlerischer Substanz zu haben.Viele bei moderner Kunst beliebte Effekte wie etwa Verfremdungen, Stilbrüche oder konzeptuelle Aufladungen lassen sich somit als Versuche interpretieren, die privilegierte Sonderrolle der Besitzerin, des Besitzers zu relativieren und dafür der oder dem – nicht besitzenden – Rezipientin oder Rezipienten die Chance zu geben, durch Bildung und Hartnäckigkeit ihrerseits exklusiven Zugang zur Kunst zu finden. Die Hermetik von Werken stellt somit die Vergeltung für die Exklusivität des Besitzens dar, ist aber nur eine andere, zweite Form von Zugangslimitierung. Je exklusiver die Kunst, desto mehr Arbeit Daher ist es nicht nur überraschend, sondern auch naheliegend, dass im Bereich bildender Kunst heute so viel mehr Vermittlungsanstrengungen existieren als in anderen Sparten der Hochkultur. Gemälde und Skulpturen müssen gleich doppelt von einem Hang zu Exklusivität befreit werden, um sie für Milieus zu öffnen, die weder reich noch gebildet sind. Das heisst aber auch, dass die Werke, zu denen allgemeiner Zugang geschaffen werden soll, im Gegensatz zu ihrer Bestimmung behandelt werden. Tatsächlich könnte die Kunstvermittlung als etwas angesehen werden, das der Kunst nicht etwa einen Resonanzraum verschafft, sondern sich vielmehr in Widerstand zu ihr begibt. Zumindest aber bewirkt der Imperativ umfassender Zugänglichkeit eine Transformation – und nicht nur eine Übersetzung – des Charakters der Kunst.

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hermetisch, vielleicht sogar in irgendeiner Hinsicht unschön. Tatsächlich geht es vielen Besitzerinnen und Besitzern bildender Kunst darum, etwas zu erwerben, das auf keinen Fall als harmonisch, gefällig, zugänglich klassifiziert werden kann, denn dann würden sie selbst einen viel zu harmlosen Eindruck machen: Sie könnten mit braven Vertreterinnen und Vertretern des Mainstreams verwechselt werden, während ihr Reichtum, ihre Macht, ihre gesellschaftliche Stellung nicht genügend zur Geltung kämen. Je kälter hingegen die Kunst ist, desto cooler kann auch das Image sein, das sich damit prägen lässt. Und je unfreundlicher – heftiger, unkonventioneller – die Werke wirken, desto mehr Distinktionskraft haben sie, erscheinen doch dann auch diejenigen unheimlich und überlegen, die viel Geld dafür ausgeben.

HKB -ZEITUNG

INKLUSION ALS TRANSFORMATION

Je exklusiver eine Kunst angelegt ist, desto mehr Arbeit bereitet sie all denen, die sich um ihre Vermittlung bemühen: desto mehr Aufwand verlangt ihre Transformation und desto mehr Stoff bietet sie dafür. Das lässt die Aufgabe der Inklusion geradezu unerschöpflich erscheinen, ist doch nicht absehbar, wann alles in der langen Geschichte exklusiver Kunst Entstandene in Werke umgewandelt sein wird, die grundsätzlich jedem Menschen zugänglich geworden sind. Museen sind jedenfalls, sofern sie sich die Formel «Kultur für alle» zu eigen machen und sich über ihre Vermittlungsarbeit definieren, nicht länger Institutionen der Bewahrung als vielmehr Institutionen der Transformation von Kunst.

VON WOLFGANG ULLRICH

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S E PTE MB E R– NOVE MB E R 201 6 HKB -ZEITUNG

ICH DIENE NICHT UND ICH WERDE Technik aneignet, beziehungsweise wem die Gesellschaft genügend Technik angedeihen lässt, dass er von seiner Differenz zur Norm nichts merkt, der ist nicht behindert, sondern normal. Wer ohnehin sich auf keine Normen bezieht, auf keine sich zu beziehen gezwungen findet, der ist nicht behindert, der ist einfach.

Ein zweiter Gedanke dazu ist: Was bedeutet denn Behinderung? Behinderung bedeutet, eines Verhaltens nicht mächtig zu sein, welches als solches, nämlich als ein Verhalten verstanden ist. Ein Verhalten ist eine Leistung, Behinderung also eine Leistungsunfähigkeit, ein Leistungsunvermögen. Wer dieses oder jenes im Verhältnis zu den anderen markant schlechter kann und auch nicht in der Lage ist, es innert nützlicher Frist besser zu lernen, der ist behindert. Behinderung ist ein Mangel an Leistungsfähigkeit. Wem die Fähigkeit abgeht, sich in bestimmten Situationen, für welche die Gesellschaft Verhaltensweisen gefunden und festgelegt hat, konform oder adäquat zu verhalten, der ist behindert.

NICHT BEDIENT, Michael Fehr, der fast blinde Autor, Performer und HKB-Absolvent, formuliert neun Gedanken zur kulturellen Inklusion.

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Ein Gedanke dazu ist: Behinderung ist kein stabiler Zustand, sondern ein relatives und temporäres Phänomen. Ich allein bin nicht behindert, ich bin so, wie und das, was ich bin. Meine Möglichkeiten und Beschränkungen sind, was sie sind und was mich ausmacht, worüber ich mich also, in der Umwelt handelnd und von ihr betroffen, wahrnehme. Erst im Moment, in dem ich etwas anderes, nämlich eine Vielzahl von anderem für mir so ähnlich, nämlich so vergleichbar halte, dass ich mich eben damit vergleiche, erhalte ich eine normale oder gar normative Referenz, nämlich etwa den Menschen. Würde ein Mensch sich für vergleichbar mit Adlern halten, wäre er ziemlich immer stark sehbehindert, gegenüber Geparden ziemlich immer stark gehbehindert, gegenüber Fledermäusen ziemlich immer stark hör- und flugbehindert. Zu denen ich mich zugehörig fühle, sind jene, die mich als Existenz aussen vor lassen oder unter ihresgleichen beherbergen können. Ein Wolfskind erlebt sich unter Wölfen nicht als sprachbehindert, erst wenn die Menschen es zu sich nehmen und sagen: «Das Kind kann nicht sprechen», wird das Kind irgendwann merken, dass man es mindestens auf gewisse Weise für unfähig, unzulänglich, für ein mangelhaftes, noch in ein gewisses Vermögen hinein zu erziehendes Wesen bewertet. Behindert bin ich immer referenziell, behindert bin ich immer unter zeitlichen und gesellschaftlichen Umständen. Es ist der Umstand der normalen oder gar normativen Gegenwartsgesellschaft, der mich behindert. Je nachdem, wie viel Technik ich entwickle, beziehungsweise wie viel Technik die normale Gesellschaft entwickelt zur Kompensation von Differenzen zur Norm, ist eine Behinderung intensiver oder weniger intensiv. Wer sich selbst genügend

Ein dritter Gedanke dazu ist: Wenn die Gesellschaft Behinderte überleben lässt, ist sie schuld, dass Behinderte ein Leben haben, und muss dieser Schuld gerecht werden, indem sie Behinderten ein Leben ermöglicht, das diesen Namen unter den gegebenen gesellschaftlichen Umständen, welche vor allem der Wohlstand sind, auch verdient. Sie tut allerdings gut daran, Behinderte überleben zu lassen und sich neue Gedanken zu Leistungsvermögen zu machen, gerade in Zeiten, in denen sie im Begriff dazu ist, Leistung an noch vermögendere Systeme, als es Menschen sind, abzutreten. Sonst kommt eine Gesellschaft plötzlich zum Schluss, dass sie sich aus Effizienzgründen insgesamt besser nicht überleben lassen sollte, sich also sogenannt hinfortrationalisiert – was Befürchtungen sind, die von jeher in einer Gesellschaft herumgeistern, die einen Technikbegriff errungen hat, also darüber hinaus gewachsen ist, von der Hand in den Mund zu leben. Hinzu kommt, und das sage ich nicht als generell ungläubiger Mensch, aber gerade in diesem Moment als ungläubiger Mensch, dass jedes Kind, eigentlich überhaupt jede als solche verstandene Existenz gottgegeben ist und damit jede Gesellschaft absolut dazu verpflichtet, in jedem Kind ihre, eigentlich überhaupt in jeder Existenz eben deren absolute Vollendung zu erkennen und ein jedes, eine jede als märchenhaften Goldschatz zu behandeln. Ein vierter Gedanke ist: Das Grosskapital sitzt in der Kutsche, denn es hat Zeit, denn es hat eben Geld. Draussen geschirrt sich, schickt sich einmal dieser, einmal jener politische Schindgaul an, den Karren kreuz und quer durch den Dreck zu zerren. Dem Kapital ist es egal, denn es hat Zeit, denn es hat eben Geld, solange nur draussen im Dreck alles immer schön zu müde ist, einmal nachzusehen, was es denn so Schweres in der Kutsche gebe, als

dass sich draussen einmal dieses, einmal jenes, letztlich eben alles daran zu Schanden mache. Eine demokratische Gesellschaft nämlich wird repräsentiert und diktiert von gewählten Schindgäulen, die sich wohl einspannen, aber eben käuflich sind wie alle, sobald sie etwas zu verlieren haben. Behinderung ist, wie viele andere Umstände, wohl als beruhigende Füllmasse Teil einer solchen Gesellschaft – einer Gesellschaft, die von der je eigenen Arbeit, per Diktat direkt im Dreck zu wühlen oder sich indirekter, ätherischer zu betätigen, schön müde ist und zuschaut, wie ihre Repräsentanz und Diktatur kreuz und quer am Karren reisse, auf dass dabei für diesen und jenen Einzelnen etwas herausspringe, weil Ruhe, also Zeit und Raum zu ungestörter Machenschaft, im direkten Umfeld des Kapitals profitabel ist und überhaupt weil man sie sich eben leisten kann –, spielt aber gemäss gegenwärtig installiertem und portiertem Gedankengut todsicher keine darüber hinaus reichende Rolle. Ein fünfter Gedanke ist: Was braucht ein Behinderter zur Einbettung, Gesundung, Aufhebung? Eine Gesellschaft, in der es Behinderung als Kategorie nicht gibt, sondern nur beispielsweise Menschen oder gar Lebewesen oder gar überhaupt Existierendes. Ein solcher Gedanke ist ein blosses Potenzial, aus Sicht jeglicher Realität längst zu weit gegriffen. Oder dann halt eine Gesellschaft, in der jeder und jede behindert ist, fraglich nur, inwiefern. Dann aber müsste gerechterweise ein Referenzwesen geschaffen werden, das heisst ersonnen, worauf sich ein jeder, eine jede bezieht. Ein Mensch wird dann definiert als jemand, der dies und das kann. Wer dies und das nicht kann, ist entsprechend ein behinderter Mensch, dem die Gesellschaft Abhilfe zu schaffen nach Kräften streben sollte, was heisst, Techniken zu entwickeln, vermittels derer der Behinderte dies und das dann kann. Wenn aber der behinderte Mensch der nicht könnende oder nicht ganz könnende ist, erstreckt sich die Kategorie der Behinderung sehr viel weiter als auf die Gebiete Seh-, Geh-, Hör-, Rechen-, Lese-, Konzentrationsbehinderung, nämlich auf jegliches Nichtkönnen im Verhältnis zum Referenzmenschen. Ungefähr so verhält sich unsere aktuelle Gesellschaft. Besser als nichts. Allerdings nennt sie nicht explizit den Referenzmenschen, obwohl sie ihn implizit anhand des ungefähr Normalen stets denkt. Sie hütet sich sogar davor, weil sich sonst ein jeder und eine jede explizit mit seinem, ihrem Unvermögen konfrontiert sähe. Gerade Menschen, die sich als Macher unserer Gesellschaft verstehen und inszenieren und verstanden werden und sich zu wirtschaftlichen oder politischen Repräsentanten wählen lassen, vor allem vermittels Geld, würden es wirtschaftlich – nicht zwingend, aber doch ein jeder und eine jede möglicherweise – nicht überleben, weil je ihr Unvermögen vor allen offensichtlich würde. Gesellschaftlichen Entscheidungsträgern spielt es in die Hände,

«BEHINDERUNG IST KEIN STABILER ZUSTAND, SONDERN EIN RELATIVES UND TEMPORÄRES PHÄNOMEN.»


Ein sechster Gedanke dazu ist: Was braucht ein Behinderter wirklich? Er braucht nicht die Verheissung der totalen Aufnahme in die Gesellschaft durch deren gewählte Repräsentanz, denn mögliche Teilhabe an allem ist nicht menschlich, sondern übermenschlich, sondern braucht ganz einfach zweierlei: zum einen Fantasie, welche die Kraft ist, sich etwas vorzustellen, das jetzt hier nicht ist oder eben noch nicht ist, und das Vertrauen darauf; zum anderen Hilfe, das heisst Menschen, Tiere, Dinge, die helfen, relative Erschwernisse zu kompensieren, und zwar nicht im Sinne eines Handels, sondern im Sinne einer Handlung: Ich helfe dir, weil ich helfen will und helfen kann, und zwar nicht auf dass du mir deswegen etwas schuldest. Beispielsweise angesichts gewisser Tierarten dünkt es mich, dass, wie lauter oder grausam die Handlungen des Verbandes auch erscheinen mögen, ein Rudel

ICH GEBE

erfolgreicher ist als eine vereinzelte Existenz. Beispielsweise dies zu sehen, ist doch immerhin ein erster Schritt. Unser moderner Hyperindividualismus ist ganz sicher nicht das erfolgreichste Modell, selbst wenn er das bislang erfolgreichste Modell sein sollte, selbst wenn wir ihn seit einigen Generationen kultivieren und tradieren. Er basiert auf Repression. Nur weil zahllose andere Existenzen ihr Blut lassen, habe ich jetzt hier entgegen meinen Leiden erfolgreichste Spitzenmedizin zu meiner Verfügung. Stattdessen sind Modelle, die auf Equilibrium basieren, durchaus vorstellbar. Damit ist nicht verheissen, dass es gar keinen Unfrieden, keine Gewalt, keine Repression mehr gebe, sondern lediglich, dass das sogenannt bis anhin möglicherweise effizienteste gesellschaftliche System das Blutopfer, auf dem es erwächst, nicht mehr durch seine Effizienz legitimiert – und durch die Realisation von neueren Vorstellungen, die Erfolg auf Gleichgewichten zu schaffen trachten, ersetzt werde. In einer Gruppe, die sich gegenseitig aushilft, ist jegliche Art von Erschwernis eher und leichter wettzumachen, weil in einer Gruppe eine gerade erforderliche Kompetenz wahrscheinlicher vorhanden ist. Freilich müssten wir uns dann als Existenzen begreifen lernen, die etwas für andere, und sei es in einem ersten Schritt nur ein Rudel, tun, ohne dass sie persönlich in der ersten Sekunde nach der Handlung merklich davon profitieren. Ich kann es nur wiederholen, jeder Einzelne ist tendenziell schwächer als mehrere, tendenziell schwächer als unzählige, letztlich sicher schwächer als alles. Deswegen ist es, in überwältigender Dimension gedacht, stets klüger, mit allem zu gehen statt sich zu verwehren. Kreativität ist dabei insofern von Belang, als sie neben der Hilfe die Möglichkeit zur Selbsthilfe darstellt – kann ich mir vorstellen, etwas auf eine Weise zu meistern, das mir nach dem, was ich weiss, nicht zu meistern scheint? Ja, letztlich geht es für uns alle um die Bewältigung je unseres persönlichen Lebens. Und aber nein, niemand hat alles in seinem Leben alleine erreicht, möge er sich in seinem Körper und seinem Vermögen noch so abgegrenzt vorkommen. Eben dies dürften wir uns getrost eine Lehre zur Besserung und Verbesserung sein lassen. Freilich behaupte ich, aber auf Beweislasten lasse ich mich hier nicht ein, es gab lange Zeit Leute, die konnten höchst erfolgreich beweisen, dass sich Sonne, Mond und Sterne gewaltig um die Erde drehen, und zwar endgültig, und zwar mit Gott. Die Gültigkeit von Beweisen ist wiederum zu oft eine Frage von Machtstrukturen, also Kraftverhältnissen. Geld und damit unsere sogenannte Wirtschaft und damit unser gegenwärtiges Verständnis von Erfolg sind Glaubensangelegenheiten, keine wahren Gegenstände.

und daneben vertraue ich auf meine Fantasie als Möglichkeit zur Selbsthilfe. Das wäre doch vielleicht einmal eine Einstellung, die den Beinamen gesellschaftlich verdient hätte. Ein achter Gedanke dazu ist: Mir ist egal, ob ich in meine Umwelt integriert oder inkludiert oder eingebettet oder von ihr geheilt oder aufgehoben werde. Wenn man meint, eine neue Art des Enthaltenseins von etwas in etwas es Umgebendes ersonnen zu haben, täte man wohl gut daran, was man meint, nach Kräften exakt in einer Phrase, statt nur in einem Wort, festzuhalten, die eben beschreibt, was man meint, einfach der besseren Verständlichkeit wegen. Wichtig im Sinn einer Möglichkeit zur Verbesserung gegenwärtiger weltgesellschaftlicher Zustände – in denen, wie gemunkelt wird, Armut verringert, jedoch dennoch der Unterschied zwischen Bevorteilung und Benachteiligung grösser denn je wird – scheint mir lediglich, dass wir Kinder unterstützen, ihre Fantasie zu kultivieren und im Erwachsen zu behalten, sowie ihnen ganz einfach das Prinzip der Hilfe als Kultur vorleben.

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VON MICHAEL FEHR

HKB -ZEITUNG

wenn Behinderung wie jegliche anderen Umständlichkeiten an keine explizite Referenz gebunden ist, denn dadurch sind Behinderung und andere Umständlichkeiten als stets dosierbare Füllmasse Teil des Spiels zur Beruhigung der Gesamtgesellschaft. Eines Spiels, in dem man gemäss einigen Verordnungen, die selbstverständlich ebenfalls von Repräsentanten der Gesellschaft verfasst sind, und weiter frei nach Gutdünken Gerechtigkeit im Sinn von eben Gesellschaftlichkeit an Behinderten und einer Menge oder gar Masse anderer Unvermögenderer statuieren kann – soweit es das Bewahren gesellschaftlicher Ruhe erfordert, in der den Unvermögenderen stets insofern unter die Arme gegriffen wird, als sie sich gerade noch mit einer Normalität vergleichbar und daher eingebettet vorkommen und nicht darauf kommen, einmal nachzudenken, ob sie nicht gebündelt eine Kraft entwickelten, derer sich die Vermögenderen nicht zu erwehren vermöchten –, worauf, das heisst in welchem ruhigen, nämlich sicheren Umfeld sich Geld verdienen lässt.

Ein neunter Gedanke dazu ist: Sich entgegenzusetzen, verschlungen und tauglich gemacht, nämlich so normal wie irgend möglich zu werden mit dem Ziel des reibungslosesten Umgangs unter lauter Gleichem, sei wahrscheinlich empfohlen, denn das Ziel endgültiger Gleichmacherei ist genauso verlogen wie das Verfechten von Effizienz auf Kosten Unvermögenderer. Indessen, je enger die Platzverhältnisse werden, desto weniger empfohlen sei es wahrscheinlich, sich der Gesellschaft zu entziehen, denn ohne Umwelt ist niemand, ja, in einer Gruppe gibt es Verantwortung zur Teilgabe, auf dass sich reihum Teilhabe ergebe, genau so gibt es in einer Gruppe Verantwortung zur Teilnahme – ich diene nicht und ich werde nicht bedient, ich gebe und ich nehme. Das wäre doch vielleicht einmal eine Einstellung, die zu probieren sich lohnen könnte.

Ein siebenter Gedanke dazu ist: Ameisen dünken mich ungeheuer erfolgreich, und wie ich es von fern einschätze, trachtet eine einzelne Ameise nicht nach persönlichem Erfolg auf Kosten übriger Ameisen ihres Verbandes. In einen solchen Staat möchte ich einmal zur Veranschaulichung und Probe inkludiert werden – ich helfe, wo ich nur irgend helfen kann,

Michael Fehr (*1982) ist ein Erzähler aus Bern. Er hat am Schweizerischen Literaturinstitut und am Y Institut der HKB studiert. Kurz vor der Erlösung (2013) und Simeliberg (2015) sind seine beim Verlag Der gesunde Menschenversand erschienenen Buchpublikationen. Fehr ist u.a. Juror für den Literaturwettbewerb Treibhaus sowie seit 2013 und noch bis 2016 Teil der internationalen Projektleitung von Babelsprech zur Förderung junger deutschsprachiger Poesie.

UND ICH NEHME

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Erst nachfragen müssen, wenn Kollegen untereinander scherzen, Schwierigkeiten, in Bars und Restaurants mit lautem Geräuschpegel einem Gespräch zu folgen oder bei einem Musikkonzert nicht alle Töne richtig geniessen können. Was die meisten Menschen nur hie und da aus Unaufmerksamkeit oder während einer starken Erkältung erleben, ist für Yannick Neuhaus Alltag. Der 21-Jährige ist fast gehörlos und trägt zwei Hörgeräte. Unterkriegen lässt er sich davon allerdings nicht. Täglich pendelt er von Langenthal nach Bern, wo er an der HKB Visuelle Kommunikation studiert und soeben das erste Jahr abgeschlossen hat. Beeinträchtigt durch sein eingeschränktes Hören fühlt er sich im Unterricht eigentlich kaum, erzählt Neuhaus, der seine langen, dunklen Haare zu einem Rossschwanz zusammengebunden trägt. An der HKB fühle er sich gut aufgehoben. Neuhaus will hier sein Bachelorstudium abschliessen. Was danach kommt, überlegt er sich noch und spielt mit dem Gedanken, möglicherweise ein zusätzliches Studium anzuhängen. Die Sommerferien hat er erst mal damit verbracht, in einem Praktikum zu erproben, wie virtuelle 3-D-Objekte gebaut werden. «Immer wieder treffe ich im Alltag auf Menschen, die ich nur sehr schwer verstehe», sagt Neuhaus. Dazu gehören insbesondere solche, die mit einer hohen Stimme sprechen. Bei den meisten anderen Menschen, deren Gehör beeinträchtigt ist, ist es dagegen umgekehrt. Sie hören tiefere Töne schlechter als hohe. Sein Hörgerät musste deswegen speziell für ihn umprogrammiert werden, erzählt Neuhaus, der bereits mit seiner Hörbeeinträchtigung geboren wurde. Lange Zeit blieb diese jedoch unentdeckt. Diagnostiziert wurde sie erst mit dreieinhalb Jahren. Die deutsche Sprache korrekt zu lernen, war für ihn ein schwieriger Prozess: «Ich habe Deutsch gelernt, wie Hörende eine Fremdsprache lernen», erinnert er sich. Grammatik, Deklinationen und Konjugationen konnte er sich nicht übers Zuhören, über das Sprachgefühl aneignen, sondern musste alles mühsam auswendig lernen. Dass er seine sprachlichen Fähigkeiten so gut entwickelt hat, ist für jemanden mit seiner Hörbehinderung nicht selbstverständlich, meint er nicht ohne Stolz auf das Erreichte. In der Schule erbrachte er gute Leistungen, schaffte den Übertritt in das Gymnasium.

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ALLEN HINDERNISSEN

Wie der fast gehörlose Student Yannick Neuhaus den Alltag an der HKB meistert.

Während Neuhaus erzählt, ist seine Hörbehinderung kaum zu bemerken. Was das Hörgerät nicht hergibt, kompensiert er unter anderem mit Lippenlesen. Es erfordert jedoch starke Konzentration, einem langen Gespräch zu folgen. Das mache müde, meint er. Zur Ablenkung liest er gerne japanische Comics, Mangas oder Animes, hört Musik und treibt Sport. Am liebsten Fitness, Biken oder Schwimmen. Musikhören musste er allerdings erst für sich entdecken. «Höre ich die Musik nur über den Lautsprecher, klingt das eher wie ein MP3, das in einer schlechten Qualität kodiert wurde», zieht Neuhaus einen Vergleich. Um Musik auch wirklich geniessen und spüren zu können, braucht er einen richtig grossen Kopfhörer. Deshalb ist er auch erst im Alter von dreizehn Jahren auf den Geschmack gekommen. Dafür sind seine Empathie sowie seine anderen Sinne, der Tastsinn und das Sehen, stärker entwickelt als bei vielen besser Hörenden. Letzteres äussert sich in Neuhaus’ Liebe zu Comics und der Wahl des Studiengangs Visuelle Kommu-

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ZUM TROTZ

VON BEATRICE BÖSIGER

nikation. Stärkeres Fühlen und Spüren hat aber auch unangenehme Nebeneffekte: Geht mitten in der Nacht ein Gewitter nieder, können ihn laute Donnerschläge aus dem Schlaf schrecken. Das sei manchmal ein ziemlicher Schock, erzählt Neuhaus, sei das doch das Einzige, was er, ganz unvermittelt, von einem Unwetter höre und spüre. Während des Unterrichts verwendet Neuhaus eine sogenannte FM-Anlage. Die Lehrperson spricht in ein Mikrofon, dieses verstärkt ihre Stimme und überträgt sie als elektrisches Funksignal. Neuhaus seinerseits ist mit einem Empfänger ausgerüstet, der den Ton an sein Hörgerät weiterleitet. Damit fällt er allerdings auf. Da er vor Beginn der Lehrveranstaltung die Lehrperson bitten muss, in das Mikrofon zu sprechen, weiss diese immer gleich, ob er anwesend ist oder fehlt. Mal eben in der anonymen Masse der Studierenden zu verschwinden, ist für ihn damit nahezu unmöglich. Regelmässig müssen die Hörgeräte ausgewechselt werden. Diese Anschaffung, die alle fünf bis sechs Jahre anfällt, ist teuer. In der Schweiz übernimmt die Invalidenversicherung (IV) nur die Kosten für die billigste Kategorie von Hörgeräten. Er selbst trägt zwei Geräte aus der mittleren Kategorie, die mehrere tausend Franken kosten. Täglich mit einem solchen Gerät hantieren zu müssen, sei mühsam. Nun bekommt er schon bald ein neues, das ähnlich wie ein Richtmikrofon funktioniert und Nebengeräusche herausfiltert. In einer Gruppe muss sich Neuhaus damit nur in die Richtung des Sprechers drehen und kann sich so besser auf das Gesagte konzentrieren. Doch noch so viele technische Hilfsmittel und grosse persönliche Anstrengung reichen nicht aus, um alle Hindernisse aus der Welt zu räumen. «Meine Hörbehinderung macht mich auch einsam», sagt Neuhaus. Der Unterricht in der HKB findet in grossen Räumen statt, die produzieren einen starken Hall. Daraus einzelne Geräusche herauszufiltern, ist schwierig, einen Club oder eine Bar mit lauter Musik zu besuchen, anstrengend. Er habe Mühe, zu identifizieren, wer genau spreche, und dem Gespräch zu folgen – auch sei es unangenehm, ständig darum zu bitten, das Gesagte noch einmal zu wiederholen. «Eine Pointe wird nicht besser, wenn sie wiederholt wird», kommentiert Neuhaus die Situation, wenn er gemeinsam mit seinen Freunden unterwegs ist und jemand einen Witz erzählt. Beatrice Bösiger arbeitet als freie Journalistin in Moskau und in der Schweiz.


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LESEN IST SO WICHTIG WIE LAUFEN LERNEN.

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VON ANDRÉAS NETTHOEVEL UND FABIENNE MEYER

Wie können blinde und sehbehinderte Kinder im Vorschulalter taktil an die Brailleschrift herangeführt werden? Diese Frage stellten sich Forschende der HKB und der Pädagogischen Hochschule Heidelberg. In ihrem gemeinsamen Forschungsprojekt Punkt, Punkt, Komma, Strich entwickelten sie zwei prototypische Lernmittel. Diese sollen die Finger seheingeschränkter Kinder für Formen, Materialien und Umrisse sensibilisieren –  unter Einbezug der sehenden Menschen in ihrem Umfeld. Es gibt verschiedene Unterrichtsmaterialien für Kinder zum Erlernen der Blinden- respektive Brailleschrift, aber die wenigsten beschäftigen sich speziell mit der Sensibilisierung des Tastsinns von Kindern im Vorschulalter oder bereiten diese auf das Erlernen der Brailleschrift vor. Noch seltener sind sinnvolle Unterrichtsmaterialien, Bücher oder Spiele, die sich dieser Thematik annehmen und die gleichzeitig sowohl für Blinde als auch für Sehende gedacht sind. Lesen ist eine der wichtigsten Kulturtechniken unserer Gesellschaft. Lesekompetenz bildet und befähigt zu einer anspruchsvollen Kommunikation. Lesen ist der Grundstein für lebenslanges Lernen sowohl im kognitiven wie auch im affektiven Bereich und ist Fundament für die soziale Integration in eine Gemeinschaft. Lesen ist so wichtig wie laufen lernen und muss früh gefördert werden, in der Schule, von der Familie und dem ganzen persönlichen Umfeld des Kindes. Dieser Grundsatz gilt sowohl für sehende Kinder wie auch für Kinder, die in ihrer Sehkraft geschwächt oder blind sind. An diesem Punkt setzt das Projekt an.

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Mit den Fingerkuppen lesen Das Ziel eines ersten von der Berner Fachhochschule finanzierten Forschungsprojekts Punkt für Punkt war es, die gestalterischen Grundlagen für Übungs- und Lehrmittel zu erforschen, die der Sensibilisierung des Tastsinns von blinden und sehbehinderten Kindern im Vorschulalter dienen und gleich-

zeitig ihre sehenden Geschwister, Eltern und Freunde in den Lernprozess mit einbeziehen. Die gestaltungstheoretischen und praktischen Grundlagen hierzu lagen nicht vor. Mit dem im Forschungsprojekt erarbeiteten Prototyp wurde die Absicht verfolgt, die Kinder spielerisch auf das bevorstehende Erlernen der Brailleschrift vorzubereiten und ihre Finger für Formen, Materialien, Umrisse zu sensibilisieren. Auch ermöglicht dieses Übungsmaterial den Kindern, sich mit den sehenden Menschen in ihrem Umfeld auszutauschen und gemeinsam auf Entdeckungsreise zu gehen. Diese Vorgehensweise steigert die Motivation für den Lernprozess des blinden oder sehbehinderten Kindes. Gleichzeitig können Sehende spielerisch an die Brailleschrift herangeführt werden und erlangen so Verständnis für das andere Schriftsystem. Die Ergebnisse dieses Vorprojekts flossen in das vom Schweizerischen Nationalfonds finanzierte Projekt Punkt, Punkt, Komma, Strich. Das interdisziplinäre Forschungsteam startete im Mai 2013 mit der Entwicklung prototypischer Lehr- und Lernszenarien. Danach wurden Lerninhalte und Themengebiete für zwei Prototypen von Fördermitteln für blinde und hochgradig sehbehinderte Kinder im Vorschulalter festgelegt und die Forschungsfragen bezüglich ihrer taktilen Wahrnehmung und ihres spezifischen Entwicklungsstandes sowie des Einbezugs von Eltern und Geschwistern in den Lernprozess formuliert. Um die unterschiedlichen Lernstände zu berücksichtigen, legte sich die Forschungsgruppe auf neun Lernhefte fest, jeweils drei für eine Altersstufe, die inhaltlich aufeinander aufbauen, wobei jeder Band in sich abgeschlossen ist. Pro Ausgabe wurden entsprechende pädagogische Lernziele und die zu vermittelnden Taststrategien definiert. Weitere Schritte waren die Ausgestaltung von Übungen und Materialien für die Eltern sowie die Formulierung von Lernzielen für sehende Kinder – der Einbezug beider Gruppen war ein Kernanliegen des Forschungsprojekts. Form follows function Die Erarbeitung des Gestaltungskonzepts erfolgte auf der Grundlage eines vorangegangenen Tests anhand einer Auswahl von unterschiedlichen Texturen mit 25 Kindern im Alter von 4 bis 10 Jahren. Das gewählte C4-Format erlaubt es, Text und Bild in angemessener Grösse darzustellen, und bietet trotzdem noch ein handliches und übersichtliches Format für Kinder im Vorschulalter.

Um so nahe wie möglich an formale Konventionen von Heften oder Büchern für Sehende anzuknüpfen und die visuelle Barriere so klein wie möglich zu halten, sind die Hefte fadengebunden. Dadurch kann eine Doppelseite ganz geöffnet und somit verhindert werden, dass im Bund eine haptische Irritation stattfindet, wenn die Hand über die Seiten gleitet. Zur Unterstützung der Lesebedürfnisse von hochgradig sehbehinderten Kindern wurde eine kontrastreiche Farbwahl getroffen. Über die jeweils 24 Seiten bildet immer eine Doppelseite eine Text-/Bild- bzw. Tastübungseinheit, was ein einfaches Navigieren und Orientieren innerhalb des Hefts ermöglicht. Im Mittelpunkt der Erzählungen steht ein personifizierter und als «Alex» benannter, tastbarer Punkt in Originalbraillegrösse; die Tastübungsaufgaben auf den Doppelseiten sind eingebettet in eine durchgehende Geschichte. Am Ende der Hefte finden sich wertvolle Tipps für die vorlesende Bezugsperson zur Gestaltung der Vorlesesituation und zur aktiven weiteren Vertiefung. Bei der technischen Umsetzung lag der Fokus auf einem möglichst ökonomischen Verfahren, um die Hefte bei einer späteren Realisation in grösserer Auflage zu einem bezahlbaren Preis verkaufen zu können. Nach der Analyse und weiteren Experimenten mit unterschiedlichsten Trägermaterialien (vom Kunststoff bis zum einfachen Papier), Druckstoffen und Prägetechniken wurden die beiden Prototypen schliesslich aus einem haptisch angenehmen Papier und in einem hybriden Druckverfahren hergestellt. Nach der Produktion die Evaluation Die beiden produzierten Fördermittelprototypen Alex und die Reise zu den Musterinseln und Alex im Land der Unterschiede wurden in einem mehrstufigen Evaluationsprozess mit Fragebögen und Videoaufzeichnungen im Einsatz mit Kindern im Kindergartenalter erprobt. Die Evaluation zeigt deutlich, dass das Material für blinde, sehbehinderte und sehende Kinder einen hohen Aufforderungscharakter hat, der Inhalt der Geschichten für das Zielpublikum angemessen ist und die Such- und Tastaufgaben von den Kindern gut gelöst werden können. Insgesamt ist die positive Bewertung durch die Eltern sehender und sehbehinderter Kinder insbesondere der sehr ergonomischen visuellen Gestaltung in Kombination mit den taktilen Angeboten hervorzuheben. Die in den Heften umschriebenen konkreten Lehr- und Lernsituationen könnten der wissenschaftlichen Inklusionsdiskussion wichtige Impulse verleihen. An der Schule für Sehbehinderte der Stadt Zürich wurden die beiden Bände ebenfalls im Unterricht mit sehbehinderten und blinden Kindern erprobt, wobei sie sowohl vonseiten der Schülerinnen und Schüler als auch von der Lehrerschaft positiv beurteilt wurden. Am Ende des Projekts soll ein evaluiertes Fördermittel, bestehend aus neun Heften, für den deutschsprachigen Raum vorliegen. Die Menschen hinter dem Projekt Fabienne Meyer ist visuelle Gestalterin FH und künstlerisch-wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungsschwerpunkt Kommunikationsdesign an der HKB. Andréas Netthoevel ist Grafikdesigner sowie Dozent für Visuelle Kommunikation und Mitarbeiter im Forschungsschwerpunkt Kommunikationsdesign an der HKB. Martin Gaberthüel ist Grafikdesigner und Mitarbeiter im Forschungsschwerpunkt Kommunikationsdesign an der HKB. Markus Lang ist Blindenpädagoge und vertritt die Professur für Blinden- und Sehbehindertenpädagogik an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg. Frank Laemers ist akademischer Mitarbeiter an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg und dort am Institut für Sonderpädagogik in der Lehreinheit Blinden- und Sehbehindertenpädagogik.

Das Projekt unterstützen Neben der zugesagten Finanzierung durch zwei namhafte Institutionen fehlen für die Realisierung des Fördermittels heute noch rund 500 000 CHF. Das Projektteam wird in diesem Jahr noch ein Crowdfunding starten. Wer heute schon das Projekt unterstützen möchte, kann das mit einer Spende auf das unten stehende Konto tun. Sollte das Projekt nicht realisiert werden können, wird der Betrag selbstverständlich zurückerstattet. Berner Kantonalbank AG, IBAN: CH45 0079 0016 9396 4671 2, Für: Verein «Punkt, Punkt, Komma, Strich», Schläflirain 9, 3013 Bern


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Ein Braille-Prototyp von punkt.punkt.komma.strich Bruno Munari, Prebooks (Vorbücher) and laboratories with children

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MORE THAN PLAYING BY DARIA SHMITKO

When I was asked to write an article for the HKB-Zeitung about the project which I submitted to the Graduate School of the Arts, I felt a rush of adrenaline. For the first time this is definitely the occasion to talk so widely about what I’m going to do in Bern as a doctoral student. The proposal Universally designed tactile tools for inclusive education stands in the area of social anthropology. It concerns the cultivation of “social good practice” sustained and developed together with specifically designed apparatus. My interest started when I learnt about one of the ambitious projects launched by HKB, named Punkt. Punkt. Komma. Strich. At that

time, I was exploring how to move forward in my research, which began while I studied at ISIA Urbino, Italy. This was centered on tactile maps for the orientation of visually impaired people. Immediately my work flowed out into a new, enormous enquiry: the education of visually impaired children. The aforementioned HKB project has already raised the issue of inclusive education, an approach considered today to be the most efficient option for all students. Feeling included is not limited just to physical and cognitive challenges, but it also accommodates the full range of human diversity such as language, culture, gender, age and other forms of personal differences. This integrative model of education is often highly valued when combined with teaching such as the Montessori educational techniques. Maria Montessori (1870–1952), an Italian physician and educator, based her educational methods on the scientific observation of children’s learning processes. Guided by her discovery that children teach themselves, she designed an environment in which they could freely choose an activity from hundreds of possibilities. The numerous Montessori schools worldwide (one of which was opened in Bern in 1984) emphasize learning through all five senses, so that it becomes an exciting process of discovery, leading to concentration and independence, motivation, self-discipline, and a love for learning. These are only a few of the insights for the future project Universally designed tactile tools for inclusive education in cooperation with the Social Anthropology Department of Bern University (prof. Michaela Schäuble) and also the Communication Design Department of HKB (prof. Arne Scheuermann). The research plans are to first collect and analyze critiques of already existing tools now in use by visually impaired children. Based on interviews with their educators, observation and participation in the children’s activities, the project then aims to design and prototype educational tactile material accessible to visually impaired as well as to sighted preschool children. This would favor them to learn using the same equipment: the same toys, books and images. Their realization is intended to follow the principles of the universal design and aims to improve the design approach for producing sustainable devices for inclusive classrooms.

As it is for constructing buildings, manufacturing products and environments, the universal approach in design describes the concept of invention and production as aesthetic and usable for the greatest radius possible, regardless of the consumers’ ages, abilities, or status in life. Considering that life expectancy is rising and modern medicine increases the survival rate of those with significant injuries and illness, there is a growing interest in this method. Some examples of universally designed products include automatic doors with sensors at the entrance which are convenient for all users, instruction manuals with drawings instead of text, moving sidewalks or escalators in public spaces and many others. Institutions such as the National Gallery in London announce their commitment to offering the widest access possible to the national collection “regardless of education, income, residence or personal circumstances”, in other words to help improve physical and intellectual contact with its spaces and content. At the very end of this short introduction, let me remind you of the wonderfully designed multisensorial objects, the Prebooks of Bruno Munari. During his laboratories with children, this Italian designer promoted the active exploration of various techniques of artistic expression and communication. He encouraged children to perceive all the different sensations that this experience could provide them, without following any guidelines being previously prepared, and without aiming to realize a precise artwork. Being “only” books of 10 x10 cm, the Prebooks offer a variety of surprises that help small children to develop their senses of smell, touch, sight and to “taste” the objects they have around them. “Culture comes out of surprises, which are things that were unknown before”, Munari used to say. The multisensory surprises are ideal to introduce culture to children with different abilities and backgrounds, and to help transmit integration and inclusion among them. Daria Shmitko wurde 1982 in St. Petersburg geboren, lebt zurzeit in Mailand und arbeitet dort als Informationsdesignerin. Im Herbstsemester 2016/17 wird sie ihr Doktoratsstudium an der Graduate School of the Arts beginnen.

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MIND THE GAP— Die lakonische Aussage von Joachim Ringelnatz bringt die Haltung breiter Bevölkerungskreise gegenüber kulturellen Angeboten – zumal der sogenannten Hochkultur – auf den Punkt: Weder fühlt man sich willkommen, noch hat man Lust, dabei zu sein. Wieso ist das so? Und was können wir als Kunsthochschule dazu beitragen, dass sich der Kulturbetrieb strukturell verändert und er durchlässiger und diverser wird?

Dass Kunstschaffende mit einer Behinderung selbstverständlicher Teil des regulären Kulturund Bildungsbetriebs werden, ist nicht allein eine Frage von sozialer Gerechtigkeit: Durch sie kommen neue Formen und Erfahrungen in die Kunst, und diese erweitern das Spektrum an Möglichkeiten. Das traditionelle Verständnis von Integration geht dabei von zwei Gruppen aus; Menschen mit und Menschen ohne Behinderung. Es dominiert das Bild einer Bewegung in ein bestehendes System hinein: Kinder mit Behinderung besuchen «auch» die Regelschule, sie sind «auch» dabei und profitieren vom Dabeisein. Inklusion hingegen bezeichnet eine rhizomatische Verbindung aller: Alle sind in ihrer individuellen Verschiedenheit von Anfang an zusammen da. Mit der UNO-Behindertenrechtskonvention, die 2014 auch durch die Schweiz ratifiziert worden ist, rücken die beiden Paradigmen Teilhabe und Inklusion auch in den Fokus der politischen Diskussion. So ist die Stärkung kultureller Teilhabe eine der drei strategischen Handlungsachsen der Kulturpolitik des Bundes. Das Inklusionsprinzip ist ähnlich wie das Recht auf kulturelle Teilhabe ein Anspruch, der sich an alle Bildungs- und Kultureinrichtungen richtet. Es ist ein unbequemer Anspruch, der herkömmliche Praxisformen herausfordert und hohe Ansprüche an die Umsetzung stellt, weil die Bedingungen und Kontexte, Genres, künstlerischen Medien und Sprachen sehr unterschiedlich sind. Hinzu kommen die jeweiligen Behinderungsformen, die sich voneinander fundamental unterscheiden. Welches sind nun entscheidende Paradigmenwechsel, die durch die UNO-Konvention angestossen worden sind? Zum einen werden Menschen in ihrer Verschiedenheit nicht länger als problembehaftete Mängelwesen, sondern als Menschen mit Entwicklungspotenzial gesehen und es wird ihnen das Recht zugesprochen, dieses Potenzial in allen Lebensbereichen zu entfalten. Zum anderen wird auch die Gesellschaft gefordert, ihren Umgang mit der Verschiedenheit zu reflektieren und sich im Sinne des gelassenen und akzeptierenden Umgangs mit allen Mitgliedern der Gesellschaft weiterzuentwickeln. Aber auch alle Institutionen, die auf künstlerische, soziale und pädagogische Berufe vorbereiten, haben nun den Auftrag, die künftigen Akteure auf die Gestaltung einer inklusiven Gesellschaft vorzubereiten.

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VON CHRISTOPH BRUNNER

«Inklusion bedeutet, dass jeder Mensch die Möglichkeit erhält, sich vollständig und gleichberechtigt an allen gesellschaftlichen Prozessen zu beteiligen – und zwar von Anfang an und unabhängig von individuellen Fähigkeiten, ethnischer wie sozialer Herkunft, Geschlecht oder Alter.» (Aus Aktion Mensch [Hrsg.], Themenheft Inklusion, Bonn 2014) Die Humanisierung und Demokratisierung der Gesellschaft durch Kultur war ein zentraler Anspruch der Kulturpolitik der 1970erJahre. Dabei blieben die Gründungsappelle («Kulturelle Teilhabe für alle») trotz wohlintendierten Vorschlägen und vielversprechenden Modellprojekten allzu oft Programm. Der «Neuen Kulturpolitik» ist es gelungen, den Nimbus des Engagierten herzustellen, ohne wirklich zu handeln. Im Zweifelsfall und unter Rechtfertigungsdruck argumentiert die Kultur nach wie vor zugunsten einer Priorität der inhaltlichen Arbeit und der Freiheit der Künstlerin, des Künstlers – und macht damit einen Konflikt auf, der so gar nicht existiert. Auch der erweiterte Kunstbegriff von Joseph Beuys scheint im Kulturbetrieb – und hier besonders im Musikbetrieb – eher als historische Fussnote behandelt zu werden und nicht als emanzipatorisches Postulat. Als Gesellschaft neigen wir nach wie vor dazu, Kultur und die kulturellen Präferenzen des oder der Einzelnen als Unterscheidungsmerkmale wahrzunehmen: Man bildet seine eigene Identität durch kulturelle Vorlieben und Stile, definiert seine kleine, ausgewählte Peergroup durch gemeinsame kulturelle Interessen und grenzt sich gegenüber anderen Gruppen ab. Sozialpolitisch gesprochen, neigen kulturelle Bildungsangebote ausserhalb der Schule also tendenziell nicht zur Inklusion, sondern zur Segregation.

reiterrolle einzunehmen, ist die HKB daher mit Pro Infirmis Kanton Bern eine Labelpartnerschaft eingegangen. In den Jahren 2016 bis 2019 werden verschiedene Massnahmen in den Bereichen Barrierefreiheit, baulicher Zugang, Kommunikation, Lehre und Forschung sowie Sensibilisierung der Mitarbeitenden dazu beitragen, dass die HKB ihren inklusiven Bildungsauftrag optimieren kann. Kultur inklusiv, das Pilotprojekt von Pro Infirmis, zeichnet Kulturinstitutionen aus, die sich nachhaltig und längerfristig für die ganzheitliche Inklusion von Menschen mit Behinderungen in das kulturelle Leben einsetzen. Der hindernisfreie Zugang zu den Kulturangeboten steht dabei im Vordergrund seines Wirkens. Eine erste Verleihung an 14 Berner Kulturinstitutionen hat im Frühling 2016 stattgefunden, eine nationale Ausweitung ist in Arbeit. Das Projekt wird unter anderem vom Eidgenössischen Büro für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen unterstützt. Christoph Brunner ist Gleichstellungsbeauftragter der HKB und verantwortlich für die Umsetzung des Labels Kultur inklusiv (kulturinklusiv.ch).

Inklusive Kultur an der HKB Die HKB hat sich das Ziel einer inklusiven und möglichst hindernisfreien Hochschule gesetzt. Wir wollen mit all unseren Mitarbeitenden und Studierenden eine inklusive Kultur leben. Körperliche oder psychische Beeinträchtigungen sowie chronische Krankheiten dürfen kein Hemmnis für ein Studium oder eine Anstellung sein. Um ihrem Anspruch gerecht zu werden, im Kanton Bern und im nationalen Quervergleich eine Vor-

AUF DEM WEG ZU EINER INKLUSIVEN KULTUR


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INFOWOCHEN HKB 22.10. – 4.11.2016

HKB.BFH.CH

Impressum HKB-Zeitung Aktuelles aus der Hochschule der Künste Bern HKB N°4/2016 Herausgeberin: Berner Fachhochschule BFH Hochschule der Künste Bern HKB Fellerstrasse 11, CH-3027 Bern hkb.bfh.ch facebook.com/hkb.bern

Redaktion: Christian Pauli (Leitung) Maria Beglerbegovic Regina Dürig Peter Kraut Yeboaa Ofosu Markus Reichenbach Andi Schoon Raffael von Niederhäusern

Fotografie (S. 5, 9, 14): Franziska Rothenbühler Illustrationen: Silvan Zurbriggen Gestaltungskonzept und Layout: Atelier HKB, Markus Reichenbach (Leitung) Moana Bischof Christoph Miler Renate Salzmann

Druck: DZB Druckzentrum Bern Auflage: 10 000 Exemplare Erscheinungsweise: 5 x jährlich © Hochschule der Künste Bern HKB. Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil dieser Zeitung darf ohne schriftliche Genehmigung der HKB reproduziert werden. Gratis-Abo bestellen unter: publikationen@hkb.bfh.ch

Die Einnahmen aus den Inseraten kommen vollumfänglich dem Stipendienfonds zugute, der HKBStudierende in prekären finanziellen Verhältnissen gezielt unterstützt. hkb.bfh.ch/stipfonds

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nicht im Original abgebildet, sondern in einer eigenen künstlerischen Adaption. In dieser Ausgabe: Christoph Miler.

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HKB innen – aussen

In mehreren aufeinanderfolgenden Ausgaben der HKB-Zeitung ziert ein Bild des Fotografen Fabian Unternährer das Titelblatt des zweiten Bunds. Es wird jedoch

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Ausgezeichnet!

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Bewegungen eines Theaterstücks nachvollziehen Marie Popall, Studentin im MA Theater der HKB, wurde mit ihrer Solo-Performance Pink Shell, die sie im Rahmen ihres BA-Abschlusses an der HKB entwickelt hatte, ans renommierte ITs-Festival nach Amsterdam eingeladen.

Der mit 15 000 Euro dotierte Mülheimer Dramatikerpreis, eine der begehrtesten Theaterauszeichnungen Deutschlands, geht dieses Jahr zum zweiten Mal an Wolfram Höll, der an der HKB Literarisches Schreiben und Theater studiert hat (vgl. auch nebenstehendes Interview). Der Preis wird von einer Jury aus Theaterschaffenden, Kritikerinnen und Dramatikern vergeben.

Anlässlich des diesjährigen Diplomkonzerts des MA Specialized Music Performance wurde der englische Posaunist Michael Buchanan mit dem Eduard-Tschumi-Preis 2016 für die beste Solistenprüfung ausgezeichnet. Buchanan, der in der Klasse von Ian Bousfield studiert hat, konnte als Orchestermusiker schon vielfältige Erfahrungen sammeln, so etwa bei den Wiener Philharmonikern, an der Wiener Staatsoper, beim Philharmonia Orchestra London und beim Royal Philharmonic Orchestra. Elisa Shua Dusapin, Abgängerin des Schweizerischen Literaturinstituts, gewinnt mit ihrem Buch Hiver à Sokcho den 16. RobertWalser-Preis der Stadt Biel und des Kantons Bern. Der Preis ist mit 20 000 CHF dotiert und wird alle zwei Jahre für ein deutsch- oder französischsprachiges Erstlingswerk in Prosa verliehen. Anfang Oktober erhält der Bereich Weiterbildung und Dienstleistungen der HKB eine neue Leitung. Die 37-jährige Verena Andel übernimmt die Funktion nach sechs Jahren von Regula Stibi. Andel ist Musikwissenschaftlerin mit einer Weiterbildung in Theater- und Musikmanagement und war zuletzt als Projektkoordinatorin und stellvertretende Verwaltungsleiterin am Career College der Universität der Künste Berlin tätig. Die Masterstudentin in Music Pedagogy aus der Klasse von Tomasz Herbut, Polina Ushakova, ging als Siegerin (1. Preis in der Kategorie der 18- bis 25-Jährigen) aus dem 1. New York Piano Competition (Juni/Juli 2016, New York, USA) hervor, der im Rahmen des 8. New York Piano Festivals erstmals durchgeführt wurde. Das Galakonzert mit den Preisgewinnerinnen und -gewinnern und die Preisverleihung fanden am 1. Juli in der legendären Carnegie Hall in New York statt. Regina Dürig und Meral Kureyshi, beide Absolventinnen des Schweizerischen Literaturinstituts, sowie Dagny Giouliami, die an der HKB den MA Contemporary Arts Practice absolviert hat, haben je einen Literaturpreis 2016 des Kantons Bern von 10 000 CHF erhalten. Ein Berner Schreibstipendium in gleicher Höhe geht an Bettina Gugger, ebenfalls Absolventin des Literaturinstituts.

In der Ausgabe 5/2015 der HKB-Zeitung wurde an dieser Stelle das Erscheinen des Erstlingswerks des Genfer Autoren und Abgängers des Schweizerischen Literaturinstituts Arthur Brügger vermeldet. Für eben dieses Buch mit dem Titel L’œil de l’espadon gewann er nun in Lausanne den mit 5000 CHF dotierten Prix Bibliomedia Suisse 2016.

Wolfram Höll Du hast gerade zum zweiten Mal den Mühlheimer Dramatikerpreis gewonnen mit deinem Stück Drei sind wir. Gratulation! Wie und warum bist du zum Genre Drama gekommen? Seit meiner Jugendzeit habe ich Theaterstücke gelesen, viel lieber als Romane. Wahrscheinlich, weil man nicht so an die Hand genommen wird, sondern da so viel Raum ist auf dem Papier. Das ist derselbe Raum, der später auf der Bühne von Körpern, Stimmen, Bewegung, Bühnenbild, Licht etc. gefüllt wird (aber auch nie ganz), und auf dem Papier macht das der Leser selbst, und die Schreibende auch. Nach dem Bachelor in Literarischem Schreiben hast du den Master inTheater gemacht. Verkörperst du also eine Art Doppelperspektive? Die Theaterinszenierungsperspektive hilft mir: mit dem Wissen, dass im Theater der Text nur eines von vielen Elementen ist, die etwas zu sagen haben (siehe oben). Ich finde das befreiend für den Text und schreibe auch so, dass die anderen Elemente ihren Platz haben. Du hast mal gesagt, dass viele Dramatikerinnen und Dramatiker erst richtig gute Stücke schreiben, nachdem sie Stücke von anderen übersetzt haben. Welche Rolle spielt die Fremdsprache für dich? Es geht eigentlich gar nicht um die Fremdsprache, sondern um das Nachvollziehen, wenn man Feydeau oder Molière übersetzt. Und dabei lernt, wie die Mechaniken und Bewegungen eines Theaterstücks funktionieren (und die sind meiner Meinung nach immer gleich, von Sophokles bis Jelinek). Wovon hättest du gerne ein Stück? Von Bruce Springsteen, aber wie geht das? Wolfram Höll wurde 1986 in Leipzig geboren und wohnt in Biel. Er hat an der HKB Literarisches Schreiben und Theater studiert. Wolfram Höll ist freier Autor sowie Hörspielregisseur und -dramaturg beim Schweizer Radio und Fernsehen SRF.

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Die Studentin im MA Contemporary Arts Practice, Marina Skalova, hat den Prix de Poésie de la Vocation der Fondation Marcel Bleustein-Blanchet gewonnen. Mit dem Literaturreis unterstützt die in Paris ansässige Stiftung motivierte junge Dichterinnen und Dichter französischer Sprache im Alter von 18 bis 30 Jahren. Patrick Bianco, Jazz-Absolvent der HKB, gewann mit seiner Formation Patrick Bianco’s Cannonsoul die 10. Durchführung und Jubiläumsausgabe des Swiss Jazz Awards. Die Band vermochte mit ihrem hervorragenden Zusammenspiel, ihrer starken Bühnenpräsenz und den überraschenden Soli sowohl das Publikum als auch die Jury zu überzeugen. Zusätzlich zum Award erhalten die Gewinner Auftrittsmöglichkeiten in Schweizer Jazzclubs sowie an Schweizer Festivals wie dem Festival da Jazz 2016 in St. Moritz und am JazzAscona 2017. Die Inszenierung von Pierre Boulez’ Anthèmes II unter der Leitung von Claudia Wagner, Leiterin des Studienbereichs Musik und Bewegung (Rhythmik) an der HKB, wurde beim Stückwettbewerb der Internationalen Rhythmikwerkstatt im Festspielhaus Hellerau bei Dresden mit dem 1. Preis ausgezeichnet. Die Komplexität der Choreografie, das tänzerische Niveau und die kontrapunktische Arbeitsweise haben die international besetzte Jury, die auch das virtuose Live-Geigenspiel von Malwina Sosnowski und das Lichtdesign von Patrick Hunka positiv hervorgehoben hat, überzeugt. Für die drei Masterstudentinnen Naja Parejas, Jessica Raas und Stefanie Scheuner sowie den Bachelorabsolventen Dorian Kaufeisen war es eine grosse Chance, sich an diesem historisch so bedeutsamen Festspielhaus, der Geburtsstätte der Rhythmik, präsentieren zu dürfen.


Das HKB-Highlight im September

Neu an der HKB

PreCollege Bern HKB

Im Irrgarten des Musiktheaters

Eva-Maria Neidhart ist Leiterin des PreCollege Bern HKB.

Zu Gast

Ganz schön langsam von Peter Kraut

Das 20. Jahrhundert hat viele neue Kunstströmungen hervorgebracht, und noch sind wir in der glücklichen Lage, vielen Pionieren zu begegnen. Phill Niblock ist so ein Pionier. Sein in New York seit den frühen 1970er Jahren entstandenes Werk ist so etwas wie die versteckte Geschichte der Minimal Music, und dies jenseits von populären Vertretern wie Steve Reich oder Phil Glass. In seinem Loft in Chinatown hat er weit über 1000 Konzerte veranstaltet, seine Experimental Intermedia Foundation ist seit Jahren Pilgerort, Begegnungszentrum und Archiv der Minimal Music. Thurston Moore, Tony Conrad oder Jim O’Rourke geben sich hier die Klinke in die Hand. Auch als Komponist und Filmer hat der heute 83-jährige Niblock ein grosses Werk geschaffen. Da er kaum Rhythmen oder klare Melodien verwendet, ist Niblocks Prägung der Minimal Music näher an experimentellen Formen zwischen Ambient, Drone Music oder Klanginstallation als an herkömmlichen Konzertformaten. Seine Musik, sei sie nun mit Instrumenten oder elektronisch erzeugt, bewegt sich vielmehr im miktrotonalen Bereich: Veränderungen von Klangtexturen und Tonhöhen dehnen sich langsam in Raum und Zeit aus. Nun kommt Phill Niblock nach Bern, Anlass ist das Festival »zoom in« im Münster, bestimmt der musikalisch mutigste Anlass in der Bundesstadt. Und das Ensemble Vertigo der HKB interpretiert mit Phill Niblock zusammen seine Orchesterkomposition #9 für rund 40 Musikerinnen und Musiker, bei der es ganz sicher ganz langsam und hoch spannend zu Werke gehen wird. Sa, 22. Oktober 2016, 20.00 Uhr, Berner Münster zoominfestival.ch phillniblock.com Peter Kraut ist stellvertretender Leiter des Fachbereichs Musik an der HKB.

Momentaufnahme von der Aufführung im Frühsommer an der Münchener Biennale für Neues Musiktheater 2016 (Foto: Franz Kimmel)

Nach einer Aufführungsserie an der Münchener Biennale für Neues Musiktheater kommt die HKB-Produktion The Navidson Records im September nach Bern. von Leopold Dick

«Wir wissen nicht, was Sie erwartet.» Mit solchen oder ähnlichen Ankündigungen empfingen Till Wyler von Ballmoos und Tassilo Tesche die Besucherinnen und Besucher ihrer Produktion The Navidson Records am Eingang der Lothringer13 in München. Nach den Aufführungen im Rahmen der diesjährigen Münchener Biennale für Neues Musiktheater kommt die Produktion, an der die Klasse Théâtre musical der HKB massgeblich beteiligt ist, nach Bern – und auch jetzt, nach längst überstandener Premiere, bleibt weitgehend unvorhersehbar, was sich zwischen dem 8. und 11. September genau abspielen wird in den Räumlichkeiten der Reithalle. The Navidson Records ist nämlich ein «offenes» Kunstwerk ohne von vornherein festgelegte Stückstruktur: Jede Vorstellung läuft anders ab, jede Zuschauerin und jeder Zuschauer erlebt einen anderen Abend. Die künstlerischen Leiter Wyler von Ballmoos und Tesche haben anstelle eines klassischen Theatersettings mit säuberlicher Trennung von Bühne und Zuschauerraum ein begehbares Klanglabyrinth konstruiert, durch das sich das Publikum individuell seinen Weg bahnen darf: ein «Musiktheater als Installation». Ausgangspunkt des Projekts war die Beschäftigung mit einer literarischen Vorlage. Der postmoderne Horrorroman The House of Leaves von Marc Z. Danielewski schildert die mysteriösen, grauenhaften Geschehnisse in einem Häuschen in Virginia, in das der Fotoreporter und Pulitzer-Preisträger Will Navidson mit seiner Frau Karen und den beiden kleinen Kindern eingezogen ist. Beim genauen Vermessen der Innen- und Aussenwände des neuen Heims zeigt sich, dass das Haus innen grösser ist als aussen. Die Familie stösst sodann auf eine bis anhin nicht vorhandene Tür, hinter der sich ein finsterer, offenbar ins Nichts führender Flur verbirgt. Verschiedene Expeditionsgruppen begeben sich daraufhin immer tiefer in die Struktur dieses sich ständig ausweitenden häuslichen Labyrinths und tauchen nicht mehr auf. Diesen Plot, um den sich noch viele weitere Erzählstränge ranken, spielt die Theaterproduktion selbstverständlich nicht einfach 1:1 nach. Tatsächlich werden im Lauf des Abends überhaupt keine Passagen des Romans direkt zitiert. Danielewskis Buch liefert vielmehr

einfach das Raummodell der Performance. In München wurde das Publikum in kleinen Gruppen, halbstündlich zwischen 18 und 23 Uhr, in die Installation eingelassen und durfte sich fortan frei durch die Szenerie bewegen. Der Szenograf Tassilo Tesche hatte in den Ausstellungsraum Lothringer13 eine provisorische Labyrintharchitektur implantiert. Mit Wänden aus Pappe und Sperrholz und mit flexibel hängbaren Plastikfolien wurden die Hallen in kleine bis mittelgrosse Zimmer unterteilt. Wyler von Ballmoos gab den Zuschauergruppen des Öfteren das Motto «Türen öffnen!» mit auf den Weg. Die auch metaphorisch zu verstehende Aufforderung entpuppte sich schnell vor allem als konkrete Spielanweisung: Die Zuschauerinnen und Zuschauer stiessen auf Pforten mit und ohne Klinken, auf einen mit Gipskarton zugemauerten Türrahmen, auf schmale Spalten zwischen diversen transparenten Abhängungen, auf eine 50 cm über dem Boden schwebende, fensterlose Holzhütte und auf schmale, dunkle Treppen, die ins Obergeschoss führten. Um in die einzelnen Räume hineinzugelangen, mussten die Besucherinnen und Besucher folglich aktiv werden: räumliche Widerstände überwinden, Hindernisse beseitigen und bewusst Schwellen – auch «Hemmschwellen» – übertreten. Belebt und unter Klang gesetzt wurde diese Szenerie durch ein vielköpfiges Ensemble: Zwei Tenöre, diverse Instrumentalistinnen und Instrumentalisten (Studierende der HKB) und das Produktionsteam selbst nutzten den Raum als Spielwiese für eine Vielzahl kleiner, teils vorbereiteter, teils ad hoc konzipierter oder spontan improvisierter Aktionen. Laufend entstanden aus dem Zusammenspiel mehrerer Akteure simultan an verschiedenen Orten flüchtige und instabile Einheiten aus Bild, Klang und Bewegung, oft unter Einbezug von Live-Videos und elektroakustischen Zuspielungen. Ein vordefinierter Aktionsplan existierte nicht. Die Performerinnen und Performer handelten stattdessen untereinander offen vor dem Publikum Zeit, Ort und Besetzung für die Realisierung ihrer audiovisuellen Miniaturen aus. Absprachen, räumliches Arrangement und technische Installation nahmen oft mehr Zeit in Anspruch als die «eigentlichen» Präsentationen. Das Einrichten von Scheinwerfern, Mikrofonen, Live-Cams und Videobeamern, die Auswahl und Anprobe von Kostümteilen und Perücken, die Soundchecks, das Stimmen der Instrumente, die Verständigung über den Ablauf der jeweiligen Sequenz – kurz alles, was normalerweise vor der Aufführung geschieht und dem Publikum somit verborgen bleibt, – wurde zum integralen Teil der Performance selbst. Die vorbereitenden Tätigkeiten erhielten dabei dasselbe strukturelle Gewicht wie der

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Es ist so weit – das PreCollege Bern HKB startet in die erste Runde! Mit dem Beginn des kommenden Herbstsemesters öffnet die HKB im Rahmen des neuen PreCollege zehn motivierten jungen Menschen die Tür, um sich inhouse auf die hohen Anforderungen eines klassischen Musikstudiums an der Hochschule vorzubereiten. Auf dieser letzten Wegstrecke zum Bachelorstudium erarbeiten sich die Teilnehmenden das musiktheoretische Rüstzeug für eine erfolgreiche Eignungsprüfung. Sie schleifen weiter an ihren instrumentalen oder vokalen Fertigkeiten und tauchen ein in die unverwechselbare Vielfalt der HKB. Sie nehmen an verschiedenen Kursen aus dem ganzen Studienangebot des Fachbereichs Musik teil und erhalten die Gelegenheit, in Klassenstunden und Konzerten das Auftreten vor Publikum zu trainieren. Das flexible Angebot des PreCollege Bern HKB ermöglicht es acht von ihnen, bereits mit einer Hochschuldozentin, einem Hochschuldozenten der HKB im Kernfach zu arbeiten, während zwei weiterhin von ihren bisherigen externen Lehrpersonen betreut werden und vor allem die Theorie- und Projektangebote an der HKB wahrnehmen. Die erste Generation am PreCollege besucht die Kernfächer Gesang, Klavier, Horn, Schlagzeug, Gitarre und Orgel. Aber damit nicht genug! Die Teilnehmenden, die zum Grossteil aus dem Kanton Bern stammen und durchschnittlich 19 Jahre alt sind, werden in dieser Zeit eng betreut und in ihren Schwerpunkten und persönlichen beruflichen Zielen individuell beraten. In dieser wichtigen Phase der Entwicklung weiten sie so auch den Blick auf das, was sie als junge Schweizerinnen und Schweizer angesichts der wachsenden ausländischen Konkurrenz in Studium und Beruf zu erwarten haben. Eingebettet in das Hochschulleben, treffen sie im PreCollege auf Gleichgesinnte, tauschen sich aus, messen sich aneinander und nähern sich gemeinsam dem Ziel, die Bachelor-Eignungsprüfung im nächsten April zu bestehen.

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von Eva-Maria Neidhart

jeweils anschliessende Vortrag von kammermusikalischen Stücken der Komponistin Rosalba Quindici und der Komponisten Ole Hübner und Benedikt Schiefer. Ganz allgemein zielt die Versuchsanordnung von The Navidson Records darauf ab, die Grenzen zwischen Probensituation, Inszenierungsarbeit und Aufführung systematisch zu verwischen. Für gewöhnlich findet der Probenprozess im Theater mit der Premiere seinen zumindest vorläufigen Abschluss. Wyler von Ballmoos und Tesche versuchen hingegen, den Zustand der Probe respektive des Probierens noch während sämtlicher Vorstellungen so weit wie möglich aufrechtzuerhalten.

The Navidson Records Premiere: Do, 8. September 2016, 18 Uhr Weitere Aufführungen: Sa, 10. September 2016, 18 Uhr So, 11. September 2016, 18 Uhr Reitschule Bern, Neubrückstrasse 8, 3001 Bern, Grosse Halle Eintritt: 10 CHF Musikalische Leitung: Pierre Sublet; künstlerische Leitung: Tassilo Tesche & Till Wyler von Ballmoos; Raum & Videoinstallation: Tassilo Tesche; Komposition: Ole Hübner, Rosalba Quindici, Benedikt Schiefer, Cyrill Lim; Sound und design: Kristian Hverring, Katy Limek; mit Andries Cloete, Michael Feyfar und Musikerinnen und Musikern der HKB HKB-Studierende Théâtre musical: Noémie Brun (Klavier), Estelle Costanzo (Harfe), Marie-Clémence Delprat (Blockflöte), Béatrice Gaudreault-Laplante (Oboe), Katelyn King (Perkussion), Lana Kostic (Cello), Ruben Mattia Santorsa (Gitarre), Sibill Urweider (Klavier) The Navidson Records ist eine Kooperation zwischen Konzert Theater Bern, der HKB sowie der Münchener Biennale für Neues Musiktheater.

Entgegen den theaterpraktischen Gepflogenheiten wurden Inszenierung und Komposition keineswegs im Vorfeld der Premiere abgeschlossen, sondern als integraler Bestandteil der Aufführung selbst begriffen. Auch während der bevorstehenden Berner Aufführungen wird am Design von The Navidson Records weiter gewerkelt, gebastelt und geschraubt werden: Der Probenprozess wird selbst zum Theaterstück. Damit greift das Projektteam einen ästhetischen Trend im Bereich des sogenannten Composed Theatre auf: Das bis anhin so sehr auf festgefügten Partituren und Stückstrukturen basierende Musiktheater nähert sich gegenwärtig der offenen, prozessorientierten Performance-Kunst immer weiter an. Theaterereignisse wie The Navidson Records fordern dazu auf, über veraltete Spartengrenzen neu nachzudenken. Leopold Dick ist Lehrbeauftragter im Studienbereich Théâtre musical an der HKB und forscht im Forschungsschwerpunkt Interpretation.

23


NRIETTE ENGBERSEN September–November 2016

Jazz

HKB-Agenda

Master-Diplomkonzerte Jazz

ALISTIN BEIM SCHWEIZER FERNSEHEN – SRF

AS ATA Z S E PTE MB E R– NOVE MB E R 201 6

S E P

Fr

Theater

2

MA-Thesen Theater

und Sa

HKB -ZEITUNG

3

Do

Do

Viz Lecture #2

1

Henriette Engbersen (SRF): Breaking News – Breaking Workflow

Théâtre musical

The Navidson 10 Records 8

19.30 – Lukas Rutzen IISMUUS Rea Dubach (voc), Nico van Wersch (g), Lukas Rutzen (dr) 21.15 – Bastian Weber MONKEY STRIKES BACK Nicola Habegger (tp/flh), Lukas Andrae (as/ss), Gabriel Wenger (ts), Jonas Beck (tb), Luka Mandic (g), Billy Utermann (keys), Julius Windisch (keys), César Gonin (b), Bastian Weber (dr/comp)

11

Fr

Nach einer Aufführungsserie an der Münchener Biennale für Neues Musiktheater kommt die HKBProduktion The Navidson Records im September nach Bern. Weitere Informationen auf S. 23 Jeweils 18.00 Uhr Eintritt: 10 CHF Reitschule Bern, Grosse Halle

Fr

23 Zwischen

Strom und Gestein

MA-Thesen

Während eines ganzen Tages präsentieren neun Studierende der Konservierung und Restaurierung ihre Master-Thesen: Sophie Bunz Die Erhaltung der computerbasierten Installation Green Plant Entertainment (1994/95) von Hervé Graumann unter Berücksichtigung der werkzugehörigen Komponenten sowie der vom Künstler geschriebenen SoftwareAnwendung Céline Buser Untersuchungen zu Konstruktion, Materialien und Alterung einer ozeanischen Schallrohrmaske Kevin Cilurzo Das Schreibbuch mit Sprungrücken: buchtechnische Entwicklung von 1799 bis heute im Staatsarchiv Bern Monika Cornu Fehlstellenergänzungen an Transparentpapier Andreas Hochuli Firnis Ergänzungs- und Schutzsysteme für gespielte historische Streichinstrumente Gaby Petrak Frost im Gesicht – Ausblühungen am Kunststoff der Sasha-Puppen Pauline Piszczek Forensik in der Restaurierung? Die Verwendung von Tiersehnen als Wergersatz an mittelalterlichen Holztafeln Giulia Presti Fritz Glarner (1899–1972) – i Relational Painting – dagli schizzi, bozze, progetti all’analisi della tecnica pittorica Claudia Röck Preservation of digital video artworks in a museum context: Recommendations for the automation of the workflow from acquisition to storage 8.30–16.20 Uhr HKB Fellerstrasse, Grosse Aula

19.30 – Ricardo Castillo PRISM PROJECT Michael Gilsenan (ts), Tobias Pfister (bcl/ts), Jan Herzog (g), Philipp Eden (p), César Gonin (b), Ricardo Castillo (dr) 21.15 – Benjamin Muralt LEGOBOYS Michael Gilsenan (ts), Gabriel Wenger (ts), Michael Haudenschild (rhodes/keys), Benjamin Muralt (eb), Paul Amereller (dr) Do 8.9.2016 19.30 – Christophe Dayer TRIO PROJECT Christophe Dayer (g), Christophe Muheim (b), Nicolas Bianco (dr/cajon) 21.15 – Slawek Plizga

Fr

Master-Thesen 17 Théâtre musical Sa

Sa

Musik Klassik

24 Meisterkurs

Querflöte mit Emmanuel Pahud Der Meisterkurs ist für Studierende der HKB. Externe Zuhörende sind willkommen (Kosten: 20 CHF). 10.30–13.00/14.30–17.00 Uhr HKB Papiermühlestrasse 13d, Grosser Konzertsaal

Fr

Symposium

9

«Als Schweizer bin ich neutral» – Schoecks Oper Das Schloss Dürande und ihr Umfeld

bis So

11

Ausstellung

30 Diplom-

ausstellung CAS Data Visualization

Master-Thesis Theater von Cornelius Danneberg – ein Soloabend über den Sinn und Unsinn unseres (Alltags-) Lebens 19.30 Uhr Die Badische Landesbühne Bruchsal Weitere Spieltermine: 30.9. und 6./7./8.10.2016

16

24

Theater

Die Studierenden des ersten Jahrgangs der neuen HKB-Weiterbildung in Datenvisualisierung präsentieren ihre Abschlussprojekte. 18.00 Uhr HKB Fellerstrasse, Raum 229

Fr

Musik Klassik

30 Herbstkonzert

Sinfonieorchester der HKB

Dirigent: Michael Sanderling / Solist: Mischa Kozlowski Aufgeführte Werke: B. Smetana: Die Moldau, op. 43 E. Grieg: Klavierkonzert a-Moll, op. 16 L. van Beethoven, Sinfonie Nr. 2 D-Dur, op. 36 19.30 Uhr Kultur Casino Bern, Grosser Saal

2016 jährt sich der Geburtstag des Komponisten und Dirigenten Othmar Schoeck zum 130. Mal. Dazu wird in Brunnen, an Schoecks Geburtsort, ein Festival mit zahlreichen Konzerten, Ausstellungen und anderen Veranstaltungen durchgeführt. In diesem Rahmen findet vom 9. bis 11. September 2016 auch ein internationales Symposium statt, das sich mit Schoecks Oper Das Schloss Dürande und deren Umfeld zur Zeit des Nationalsozialismus beschäftigt. Braune Untertöne in Hermann Burtes Libretto zu Schoecks Werk kommen dabei ebenso zur Sprache wie die Spielplangestaltung in jener Zeit, politische Musiker und der im Projekt unternommene Versuch, Das Schloss Dürande für ein heutiges Publikum zugänglich zu machen, ohne den historischen Ballast zu verleugnen. Hotel Eden Brunnen

19.30 – Sam Spörri 21.15 – Jonas Beck JONAS BECK JAZZ ORCHESTRA – NEVERA Linus Amstad (as/fl), Michael Wyss (as/ ts/cl), Michael Gilsenan (ts), Gabriel Wenger (ts), Lukas Wyss (tb), Maro Widmer (tb), Florian Weiss (tb), Lucas Wirz (btb), Jonas Beck (btb/tb/comp), Dave Blaser (tp), Nolan Quinn (tp), Nicola Habegger (tp), Patrick Anderegg (tp), Philipp Schlotter (p), Benjamin Muralt (b), Silvan Beck (dr), Johny Lippuner (dr) Di 13.9.2016 19.30 – Simone Hager KITOKO Eloi Calame (bcl/cl), Simone Hager (p), Christophe Muheim (b), Philippe Adam (dr) 21.15 – Katrin Züllig KATY AND THE ESCORT ORCHESTRA Katrin Züllig (voc), Djamal Moumene (g), Michael Baumann (keys), Jan Hellweger (b), Tobias Suter (dr), Meret Guignard (backvoc), Roger Molnar (backvoc) Mi 14.9.2016 19.30 – Marena Whitcher MARENA WHITCHER’S SHADY MIDNIGHT ORCHESTRA / GHOSTOLOGY Marena Whitcher (comp/text/voc/g/glasharfe), Tobias Pfister (bcl/ss), Lisa Hasler (voc/toys), Isabelle Ritter (voc/toys), Luzius Schuler (p), Maximilian Grossenbacher (b), Nicolas Stocker (dr/glockenspiel) 21.15 – Sibyl Hofstetter OF DWARFS AND OTHER CREATURES Sibyl Hofstetter (voc), Kristinn Smári Kristinnson (g), Lisa Hoppe (b)

O K T

Do 15.9.2016 19.30 – Kristinn Smáari Kristinsson MINUA // +2 Fabian Willmann (bcl), Luca Aaron (g), Kristinn Smári Kristinsson (g), Lorraine Dinkel (voc), Michael Heidepriem (dr) 21.15 – Hanna Marchand YAAAS Laura Wiesmann (voc), Hanna Marchand (ts/voc), Nicola Habegger (tp), Florian Weiss (tb), Benjamin Muralt (eb/voc), Baptiste Maier (dr)

HKB Papiermühlestrasse 13d, Grosser Konzertsaal

Konservierung-Restaurierung

23 Präsentation

Mo 12.9.2016

Musiktheater

Fr 16.9.2016 18.00 Uhr: Rosalba Quindici – My House 20.00 Uhr: Niklaus Erismann – Auf der Suche nach einer musikalischen Lebensform HKB Papiermühlestrasse l3d, Grosser Konzertsaal Sa 17.9.2016 l9.30 Uhr: Beatrice Laplante – Catastrophe! HKB Burg Biel, Grosser Opernsaal

Fr

Mi 7.9.2016

Sa

So

19.30 – Stefan Bernhard JAHZZ INCORPORATED Stefan Bernhard (tp/comp), Michael Balzan (tp), Nicola Habegger (tp), Jonas Danuser (tb), Jonas Beck (tb/btb), Jan Diggelmann (as), Gabriel Wenger (ts), Loris Knüsel (bs), Christophe Dayer (g), Billy Uterman (keys), César Gonin (b), Nicolas Bianco (dr) 21.30 – Lukas Gernet MAXMANTIS Lukas V. Gernet (p), Rafael Jerjen (b), Samuel Büttiker (dr) Di 6.9.2016

Öffentlicher Abendvortrag im Rahmen des CAS Data Visualization: Die digitale Revolution verändert die Art, Nachrichten zu erzählen. Neue Denkweisen und Formen wie Datenvisualisierungen, interaktive Informationsgrafiken oder Animationen sind vermehrt gefragt. Das verstärkt die Bedeutung von Programmiererinnen und visuellen Gestaltern im journalistischen Alltag. SRF-Journalistin Henriette Engbersen präsentiert die Ergebnisse ihrer Untersuchung an grossen Medienhäusern wie BBC oder New York Times zur Rolle des Kommunikationsdesigns im heutigen medialen Umfeld. 18.30–20.00 Uhr HKB Fellerstrasse, Grosse Aula

Präsentation der Master-Thesen in Theater von Hanna Röhrich, Andrea Zwicky, Julian Schneider und Suramira Vos 20.30 Uhr HKB Zikadenweg

Mo 5.9.2016

Do

Musik Klassik

6

Präsentationskonzert Jochen Schorer, Schlagzeug Mitwirkende: Johannes Mössinger, Klavier, Shizuyo Oka, Bassklarinette und Markus Tillier, Violoncello Werke von Dennis Kuhn, Philippe Manoury, Simon Stehen-Andersen, Anders Koppel, Siegfried Kutterer und Johannes Mössinger 19.30 Uhr Vidmarhallen, Vidmarhalle 2


Sa

7

Ka-ching! The sound of money

29 Präsentation

Geld – Das Mass aller Dinge. Ein musikalisch-tänzerisches Stück ab 15 Jahren 19.00 Uhr HKB Burg Biel, Saal 0-01

Fr

Musik & Bewegung (Rhythmik)

7

Hilde Kappes – Du sollst begehren! Solo-Performance: Voice, Delay, Piano, Tube & Bottles 20.30 HKB Burg Biel, Saal 0-01

Di

Bühne

11

Tryout / Vorsprechen ZAV

Theater

14

Präsentation

Sa

17

Klassenauditionen 2016/17 Musik Klassik

21

Dozierendenkonzert Mit Barlomiej Niziol, Violine, Ruslan Lutsyk, Kontrabass, Andriy Dragan, Klavier 20.00 Uhr Konservatorium Bern, Grosser Saal

Sa

und So

30

Querflöte mit Karl Kaiser

Der Meisterkurs ist für Studierende der HKB. Externe Zuhörende sind willkommen (Kosten: 20 CHF). 10.00–13.00/14.00–17.00 Uhr HKB Papiermühlestrasse 13d, Grosser Konzertsaal

Sa

Bühne

29 Bibellesung bis Do

3

Münster Bern Nähere Infos folgen unter: hkb.bfh.ch/veranstaltungen Berner Münster

N O V Di

Musik Klassik

1

Konzert im Offenen Haus La Prairie

Solistische und kammermusikalische Perlen im Gemeindehaus der Dreifaltigkeitspfarrei. Ein abwechslungsreiches Programm für alle, die klassische Musik in einem ungezwungenen Rahmen mögen. 20.00 Uhr La Prairie

Do

Musik Klassik

3

John Cage – Sonatas and Interludes

Musik & Bewegung (Rhythmik)

Dozierendenkonzert mit Pierre Sublet, Klavier 20.00 Uhr Konservatorium Bern, Grosser Saal

22 Rohkost

Aufführung im Rahmen der Nacht der 1000 Fragen 19.00 Uhr HKB Burg Biel, Saal 0-01

Sa

Musik Klassik

Fr

Musik & Bewegung (Rhythmik)

4

Impro-Cocktail Aufführung im Rahmen des First Friday 19.00 Uhr HKB Burg Biel, Saal 0-01

22 Ensemble

Vertigo meets Phill Niblock Konzert anlässlich des »zoom in«-Festivals Werke von Phil Niblock 20.00 Uhr Berner Münster

Fr

Di

Konzert

8

Pop & Rock Night

Studierende des MAS Pop & Rock präsentieren Songs und Eigenkompositionen 19.30 Uhr Bistro Prima Luna

Konservierung-Restaurierung

28 Master-

Diplomfeier Swiss CRC

Master-Diplomfeier des Swiss Conservation-Restoration Campus inkl. Students Party 17.30 Uhr HKB Fellerstrasse

Mi 9.11.2016

10

Präsentationskonzert Kai Wessel, Gesang

Aus dem Forschungsschwerpunkt Intermedialität Nähere Infos folgen unter: hkb.bfh.ch/veranstaltungen 17.00 Uhr HKB Schwabstrasse, Multifunktionsraum

Mitwirkend: David Blunden, Klavier 20.00 Uhr Konservatorium Bern, Grosser Saal

29 Meisterkurs

Detaillierte Programme unter hkb-musik.ch

Fr

Musik Klassik

Musik Klassik

Mit Studierenden des MA Theater Leitung: Ted Stoffler Nähere Infos folgen unter: hkb.bfh.ch/veranstaltungen HKB Zikadenweg

ab Musik Klassik Mo

Do

Mit Studierenden des MA Theater Leitung: Hans-Werner Kroesinger Nähere Infos folgen unter: hkb.bfh.ch/veranstaltungen HKB Zikadenweg

Die HKB bei KonzertTheaterBern zu Gast mit dem Vorsprechen der ZAV-Absolventinnen und -Absolventen 19.30 Uhr Vidmarhallen, Vidmar

Fr

Theater

Fr

Theater

11

Präsentation

Mit Studierenden des MA Theater Leitung: Ivo Dimchev Nähere Infos folgen unter: hkb.bfh.ch/veranstaltungen HKB Zikadenweg

Musik Klassik

Fr

Meisterkurs Gesang mit 13 Vesselina Kasarova 11 bis So

Der Meisterkurs ist für Studierende der HKB. Externe Zuhörende sind willkommen (Kosten: 20 CHF). 10.00–13.00/14.00–17.00 Uhr HKB Papiermühlestrasse 13a, Kammermusiksaal

Symposium

Do

Musik Klassik

8

Carte blanche #1

Studierende des Studiengangs MA Specialized Music Performance präsentieren sich im ONO 20.00 Uhr ONO Das Kulturlokal

Female Voice Ein Forschungs-Mittwoch aus dem Forschungsschwerpunkt Interpretation über die weibliche Singstimme: Manuel Garcia war einer der wichtigsten Gesangslehrer des 19. Jahrhunderts in Frankreich. Besondere Erfolge zeitigte sein Unterricht bei Frauen. Weshalb? Die schwedische Gastforscherin Ingela Tägil forscht über eine Gesangsschule, deren Einfluss bis heute anhält. Infos zum Ort folgen unter: hkb-interpretation.ch 17.00 Uhr Mi 30.11.2016 Aus dem Forschungsschwerpunkt Materialität in Kunst und Kultur Nähere Informationen folgen unter: hkb.bfh.ch/veranstaltungen 17.00 Uhr HKB Schwabstrasse, Multifunktionsraum

HKB Jazz

Jazz am Montag Ab 3. Oktober 2016 spielen wieder jeden Montag Studierende des Studienbereichs Jazz. Anschliessend Jam-Session Jeweils 20.30 Uhr PROGR Zentrum für Kulturproduktion, Sonarraum U64

HKB Jazz

– Singer’s Night Ecrire en dialo26 guant – Writing as dialogue 24 Wortwechsel bis Sa

Nähere Informationen folgen unter: hkb.bfh.ch/veranstaltungen HKB Schweizerisches Literaturinstitut Biel

Mo Musik Klassik

28 Meisterkurs und Di

Gesang mit 29 Emma Kirkby

Der Meisterkurs ist für Studierende der HKB. Externe Zuhörende sind herzlich willkommen (Kosten 20 CHF). 10.00–13.00/14.00–17.00 Uhr HKB Papiermühlestrasse 13a, Kammermusiksaal

Mi

An drei Dienstagen in den Monaten Oktober und November spielen Studierende des Studienbereichs Jazz im ONO. Di 4.10.2016 / Di 25.10.2016 / Di 22.11.2016 Jeweils 20.15 Uhr ONO Das Kulturlokal

Musik Klassik

Halt auf Verlangen Konzerte im Berner Generationenhaus Eine Kooperation der HKB und des Berner Generationenhauses Do 13.10.2016: Studierende der Klassen Gesang und Querflöte Do 27.10.2016: Studierende der Klassen Violine und Klavier Do 10.11.2016: Studierende der Klassen Schlagzeug und Kontrabass Do 24.11.2016: Studierende der Klassen Horn und Fagott Jeweils 18.00–19.00 Uhr Spittelkapelle im Burgerspital

Mi 21.9.2016 Leichte Sprache – Design für alle (LSDFA) Gast: Sabina Sieghart Aus dem Forschungsschwerpunkt Kommunikationsdesign 17.00 Uhr HKB Schwabstrasse, Multifunktionsraum

Health & Design: It is about people and outcomes Gäste: Dr. Guillermina Noël, Visual Communication Designer / Jorge Frascara, Professor Emeritus, University of Alberta. Aus dem Forschungsschwerpunkt Kommunikationsdesign 17.00 Uhr HKB Schwabstrasse, Multifunktionsraum

Mi 26.10.2016 Tag des offenen Unterrichts Studienbereich Musik und Medienkunst Von 9.30–18.30 Uhr ist der Unterricht frei zugänglich Informationsveranstaltung von 18.30 bis 21 Uhr im Multifunktionsraum HKB Papiermühlestrasse 13d Mi 26.10.2016 AutorIn werden / Devenir auteur-e BA in Literarischem Schreiben / BA en écriture littéraire / MA in Contemporary Arts Practice Infotag: Schnupperatelier, Kursbesuch, Präsentationen und Lesungen / Journée d’information : atelier d’écriture, visite d’un séminaire, présentations et lectures 9h–18h30 Institut littéraire suisse, Bienne / Schweizerisches Literaturinstitut, Biel Mi 2.11.2016 Infotag Gestaltung und Kunst, Konservierung-Restaurierung, MA Contemporary Arts Practice, Forschung, Weiterbildung Informationsveranstaltungen, Führungen durch Ateliers, Werkstätten und Forschungslabors 9.30–17.00 Uhr HKB Fellerstrasse, HKB Schwabstrasse

Verzeichnis Veranstaltungsorte Bernisches Historisches Museum Helvetiaplatz 5, 3005 Bern Berner Münster Münsterplatz 1, 3011 Bern Bistro Prima Luna Effingerstrasse 92, 3008 Bern Die Badische Landesbühne Bruchsal Am Alten Schloss 24, D-76646 Bruchsal HKB Burg Biel Jakob-Rosius-Strasse 16, 2502 Biel/Bienne HKB Fellerstrasse Fellerstrasse 11, 3027 Bern

HKB Zikadenweg Zikadenweg 35, 3006 Bern

Studieren an der HKB

ForschungsMittwoch

Für Studieninteressierte: Besuch des Unterrichts zusammen mit dem 1. Master-Jahrgang Musik & Bewegung (Rhythmik) 9.00–18.30 Uhr HKB Burg Biel

HKB Schweizerisches Literaturinstitut Biel Rockhall IV, Seevorstadt 99, 2502 Biel/Bienne

Historische Aufführungspraxis trifft auf Neue Musik 20.00 Uhr ONO Das Kulturlokal

HKB Forschung

Di 25 – Do 27.10.2016 Schnupperwoche Master Musik & Bewegung (Rhythmik)

HKB Schwabstrasse Schwabstrasse 10, 3018 Bern

30 Hybridium

VERANSTALTUNGSREIHEN

Für Studieninteressierte: Besuch des Unterrichts zusammen mit dem 1. Bachelor-Jahrgang Musik & Bewegung (Rhythmik) 9.00–18.30 Uhr HKB Burg Biel

HKB Papiermühlestrasse Papiermühlestrasse 13a/d/h, 3014 Bern

Musik Klassik

Mi 26.10.2016 Di

Mi 16.11.2016

Mo 24 – Fr 28.10.2016 Schnupperwoche Bachelor Musik & Bewegung (Rhythmik)

S E PTE MB E R– NOVE MB E R 201 6

Musik & Bewegung (Rhythmik)

HKB -ZEITUNG

Fr

Hotel Eden Brunnen Axenstrasse 15, 6440 Brunnen SZ

Infowochen HKB

Konservatorium Bern Kramgasse 36, 3011 Bern

Details zu den Veranstaltungen spätestens Ende September 2016 auf unserer Website. Interessierst du dich für ein Studium in den Bereichen Gestaltung und Kunst, Konservierung und Restaurierung, Literarisches Schreiben, Theater oder Musik? Während zweier Wochen kannst du Einblick in alle an der HKB in diesen Bereichen angebotenen Bachelor- und Masterstudiengänge gewinnen, Informationsveranstaltungen besuchen und Gespräche mit Dozierenden und Studierenden führen.

Kultur Casino Bern Herrengasse 25, 3011 Bern

Sa 22.10.2016 Infotag Theater Mit offenen Unterrichten, Workshops, Präsentationen etc. 10.00–22.00 Uhr HKB Zikadenweg

La Prairie Sulgeneckstrasse 7, 3007 Bern ONO Das Kulturlokal Kramgasse 6, 3011 Bern PROGR Zentrum für Kulturproduktion Speichergasse 4, 3011 Bern Reitschule Bern Neubrückstrasse 8, 3001 Bern Spittelkapelle im Burgerspital Bahnhofplatz 2, 3001 Bern Vidmarhallen Könizstrasse 161, 3097 Liebefeld

Mo 24 – Mi 26.10.2016 Infotage Musik Klassik und Jazz Tage der offenen Tür in den Bachelor- und Masterstudiengängen der Studienbereiche Jazz und Klassik, um 12.30 Uhr jeweils Infostunde an beiden Standorten. 9.00–16.00 Uhr HKB Papiermühlestrasse (Klassik) HKB Eigerplatz (Jazz)

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HKB -ZEITUNG

S E PTE MB E R– NOVE MB E R 201 6


Ein Studiengang stellt sich vor

Robert Lzicar ist Designer und Designhistoriker. An der HKB leitet er den MA Communication Design, lehrt Designgeschichte und koordiniert das SNFSinergia-Projekt Swiss Graphic Design and Typography Revisited im Forschungsschwerpunkt Kommunikationsdesign.

HKB -ZEITUNG

Designerinnen und Designer gestalten nicht für sich, sondern für andere. Die von ihnen gestalteten Produkte und Dienstleistungen wirken auf Personen und Gruppen. Der Master of Arts in Communication Design stellt die gesellschaftliche Relevanz von Design ins Zentrum. Er thematisiert die komplexen Beziehungsnetzwerke zwischen Mensch und Objekt sowie zwischen Mensch und Umwelt. Ein Design- oder Designforschungsprojekt gilt als gesellschaftlich relevant, wenn es sich nicht nur damit auseinandersetzt, ein individuelles Problem zu lösen / eine individuelle Frage zu beantworten, sondern begründen kann, dass die Lösungen/Erkenntnisse langfristig von direktem oder indirektem gesellschaftlichen Nutzen sind. Im MA Communication Design lernen Studierende deshalb, kreative/wissenschaftliche Methoden und Techniken anzuwenden, die es ihnen ermöglichen, den gesellschaftlichen Kontext einer unternehmerischen Idee / einer wissenschaftlichen Fragestellung zu erfassen, basierend darauf innovative Lösungen zu entwickeln / neue Erkenntnisse zu gewinnen und den social impact dieser Lösungen/Erkenntnisse zu kommunizieren. Studierende in der Vertiefung Design Entrepreneurship absolvieren ihr Studium mit einem Konzept für ein designbasiertes Produkt oder eine Dienstleistung, das sie zur Grundlage einer anschliessenden unternehmerischen Karriere machen. Mit ihrer Abschlussarbeit können sie ihr eigenes Unternehmen gründen und sich um Designund Start-Up-Förderung bewerben. Studierende in der Vertiefung Design Research absolvieren ihr Studium mit einem Plan für ein Forschungsprojekt, das sie in ihrer anschliessenden akademischen Karriere durchführen. Mit ihrer Abschlussarbeit können sie sich um die Zulassung zu einem Doktoratsprogramm, insbesondere zur schweizweit einzigartigen Graduate School of the Arts (GSA) der Philosophisch-historischen Fakultät der Universität Bern und der HKB, sowie um Forschungsförderung bewerben.

S E PTE MB E R– NOVE MB E R 201 6

MA Communication Design

Von links nach rechts: Peter Kessel, Kim Corti, Petr Vaněk, Flore Pillet, Anna Griesbach, Marius Disler, Katharina Karras (Foto: Dan Nessler)

Individuelles Projektstudium

• Bewerbung mit einer eigenen Idee für ein Design- oder Designforschungsprojekt mit einer hohen gesellschaftlichen Relevanz oder für ein ausgeschriebenes Projekt • Zusammenstellung eines individuellen Stundenplans anhand projektspezifischer Bedürfnisse mit Kursen auch aus anderen Studienbereichen der HKB, der Berner Fachhochschule sowie vieler anderer Institutionen • Begleitung der Projektentwicklung durch maximal zwei Betreuerinnen und Betreuer, die frei gewählt und je nach Projektphase zu Semesterbeginn gewechselt werden können

Vertiefungen

• Design Entrepreneurship: Entwicklung eines Unternehmenskonzepts, aufbauend auf einem designbasierten Produkt oder einer designbasierten Dienstleistung • Design Research: Entwicklung eines Forschungsplans für ein Designforschungsprojekt

Studienaufbau

• Als Vollzeit- (90 ECTS, 3 Semester) oder berufsbegleitendes Teilzeitstudium (90 ECTS, 5 Semester) • Gegliedert in MA CD Courses (34 ECTS), Individual Courses (11 ECTS) und Project Development (inkl. Master-Thesis, 45 ECTS) • Studienbeginn jeweils im Herbstsemester

Voraussetzung

• Bachelorabschluss oder eine äquivalente, nachgewiesene Qualifikation in einer gestalterischen, unternehmerischen oder forschenden Disziplin • Berufs-, Lehr- und/oder Forschungserfahrung (mindestens in Form eines Praktikums) • gute Sprachkenntnisse in Deutsch und/oder Englisch (mündlich und schriftlich)

Bewerbung

• Digitales oder analoges Portfolio mit ausgewählten Projekten (Ergebnisse und Dokumentationen) • Beurteilt werden Bewerbungsunterlagen, Portfolio und Bewerbungsgespräch

Mehr

• Weiterführende Informationen zum Studiengang: hkb.bfh.ch/de/studium/master/ macommdesign • Vereinbarung eines unverbindlichen Beratungstermins: gk@hkb.bfh.ch

Forschungsdozentin Minou Afzali im Gespräch Minou Afzali, du unterrichtest im MA Communication Design den Kurs Design with Social Impact. Was für Themen stehen da im Fokus? Zunächst lernen die Studierenden anhand eines historischen Abrisses, dass Bestrebungen hinsichtlich gesellschaftlicher Relevanz in Design, aber auch in Architektur und Kunst nichts Neues sind. Auf dieser Grundlage stellen die Studierenden Überlegungen zur gesellschaftlichen Tragweite ihrer eigenen Projekte an. Bereits im Bewerbungsgespräch um die Aufnahme zum MA Communication Design spielt die soziale Relevanz der Projektidee eine entscheidende Rolle. Das Paradigma Design with Social Impact steht denn auch über den beiden Vertiefungen Design Entrepreneurship und Design Research. Wie ermittle ich die gesellschaftliche Tragweite meiner Projektidee? Ein zentraler Punkt ist die Erhebung der Bedürfnisse etwaiger Zielgruppen. Dazu werden verschiedene Methoden aus dem Design, aber auch aus den Sozial- und Kulturwissenschaften vermittelt. Hier ein paar Beispiele: – Für die Entwicklung eines Ladenkonzepts kann ich einige zielführende Fragen formulieren und in einem kurzen Interview von Kundinnen und Kunden eines Konkurrenzbetriebs z.B. erfragen, was ihnen dort fehlt. – Wenn ich an einem Verlagsprojekt arbeite, kann ich in der Buchhandlung mittels Beobachtung Erkenntnisse über potenzielle Kundinnen und Kunden gewinnen. – Shadowing: Um eine Designlösung für die Verbesserung der Kommunikation zwischen Ärztin und Patient zu finden, kann ich die Ärztin während eines halben Tages als «Schatten» begleiten. Die Studierenden testen im Workshop, inwiefern diese Methoden für ihr Projekt sinnvoll sind, mit dem Ziel, dieses über die weitere Dauer des Studiums hinsichtlich seiner gesellschaftlichen Relevanz zu schärfen. Wichtig ist dabei auch, dass die gestaltete Lösung auch wieder an der Zielgruppe getestet wird. Aufgrund der Auswertung der Tests kann der Entwurf dann noch einmal überarbeitet und präzisiert werden.

Der Studiengang richtet sich an Kandidatinnen und Kandidaten nicht nur aus dem Design, sondern etwa auch aus Fotografie, Marketing oder Kunst, die Interesse an designrelevanten Fragestellungen haben. Welche Auswirkungen hat das? Diese Heterogenität macht den gemeinsamen Unterricht äusserst spannend und ermöglicht es den Studierenden, andere Perspektiven, Haltungen oder auch Medien kennenzulernen. In meiner eigenen beruflichen Tätigkeit arbeite ich immer in interdisziplinären Teams, etwa mit Pflegewissenschaftlerinnen, Architekten und Soziologinnen, die sehr unterschiedliche Anforderungen an ein Projekt formulieren. Es kann eigentlich nur von Vorteil sein, wenn die Studierenden schon während des Studiums lernen, ihr Projekt vor einem breiten Publikum zu präsentieren und sich mit den Perspektiven anderer auseinanderzusetzen. Genau das müssen sie in den regelmässig stattfindenden Kolloquien tun, wo neben Dozierenden und Studierenden auch externe Expertinnen und Experten den aktuellen Projektstand kritisieren. Hier wird eingeübt, Feedback von aussen aufzunehmen, als relevant zu betrachten und für die Weiterentwicklung der Design- oder Designforschungsprojekte zu nutzen. Die Fragen stellte Raffael von Niederhäusern

Minou Afzali ist seit 2009 künstlerisch-wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungsschwerpunkt Kommunikationsdesign an der HKB, derzeit forscht sie auf dem Gebiet der Social Communication mit den Schwerpunkten Design und Gesundheit sowie Design und Migration. Nach wiederholten Engagements in der Lehre des Y Instituts unterrichtet sie seit 2015 im neu ausgerichteten MA Communication Design den Kurs Design with Social Impact, in dem es um Fragen der gesellschaftlichen Relevanz von Gestaltung geht. Afzali ist ausgebildete Produktdesignerin und verfügt über reiche berufliche Erfahrung in den Bereichen Produkt-, Ausstellungs- und Kommunikationsdesign.

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S E PTE MB E R– NOVE MB E R 201 6

Schaufenster — Arbeiten aus der HKB

Exzerpt: Anderart [Arbeitstitel] von Baba Lussi

HKB -ZEITUNG

Überhaupt: Rachil war unbeirrt freundlich, gar unseren verdriesslichen Gesichtern gegenübergesetzt, allerlei Scharfzüngiges vernehmend: Jeder Art Verbalangriff, klassenzimmerweit geäussert, garantiert vernehmbar für ihre Ohren, konterte Rachil lippenschürzend, aber jedweitere Rührung verbergend, vorgebend, ebenjener wäre unhörbar vorübergezogen. Nichtsdestotrotz: Gemeinschaftsarbeiten steuerte Rachil ihr Förderlichstes herzu, Allermeistes steuerte Rachil Erwähnten herzu (wir waren, gehörte Rachil zur Arbeitsgruppe, prinzipienhalber gedankenträg), präsentierte vor versammelter Klassenschar überdies protestfrei unser vermeintliches Gemeinschaftswerk. Wiederholt forderten wir Rachil zur Präsentationstafel vor, wiederholt erledigte Rachil Gefordertes – schier mundverschlossen, aber, sehr ehrbar, unser aller Personennamen vertretend. Wir unterhielten ausführliche, wiederkehrende Gespräche darüber: über Rachils Redseligkeit, waren Antworten gefragt; darüber, welcherlei Wissenswerte Rachil erinnerte, bereichsunabhängig (unerträglich, derlei Musterschülerinnen!); darüber (überwiegend darüber!), welcherart Rachil geradediese Wissenswerte vorbrachte – verhalten, raustimmig, ihr Rotlippenpaar immerzu nur spaltbreit für Worte auseinander gebracht. Aber Unsicherheit war fehlplatziert!, meckerten wir einvernehmlich. Immerhin: Rachil war respondierend bisher jeder Frage gerecht geworden, erwies wiederholt ihre geradezu unverschämte Gelehrsamkeit! Wir wiederum führten neidschweres Wunder über zur Spötterei, imitierten Rachil, unterwegs zur wiedernächsten Unterrichtsstunde: Undefinierbare Geräusche pressten wir durch unsere verschlossenen Münder, besserwisserische Zeigefinger hochgereckt. Dafür oder für anderes: Wir straften Rachil, waren geringste Gründe erkennbar oder förderliche Verhältnisse vorhanden. Während einer Handarbeitsstunde katapultierten wir Fixiernadeln fort, Rachils Rücken anvisiert, ihre Schultern, ihren Kragen. Wir trafen; Rachil fixierte Tafelanschriften. Andermal ergriffen wir Rachils Regenparka, trachtend, ihren Regenschutz unter Blattbergen einzugraben; kellertief, waren wir informiert, war der AltpapierContainer einquartiert. Wir würfelten, wer runterstieg – Kellerräume fürchteten wir ausnahmsfrei –, der Würfel sprach für Irina. Zähneknirschend trat Irina raus, triumphal trabte Irina zurück: »Freveltat vollbracht!« Rachil aber, kurz vor Unterrichtsende ihres verschwundenen Parkas gewahr geworden, schritt heimwärts per fünfzehndreissig Uhr – Brimborium versagend, Nachforschungen versagend! Wir waren zugegebenermassen traurig, begruben, Rachil hinterherblickend, unseren streichbefeuernden Hoffnungsschimmer, ihr Tränen abzuringen oder ihr hinterherzusehen, durch Schulkorridore irrend. Unsere Ernüchterung milderten wir vorträumend, welcher Verfassung Rachil anderntags auftreten würde. Aber freitags war Rachil nirgends erblickbar; freitaglang partizipierte Rachil keiner Unterrichtslektion. Tränentrauer war vergessen, dafür grübelten wir: Reichte der Parka-Streich, Rachil fortzutreiben? Wir durften erkennen: Er reichte keinerweise. Zur dritten Unterrichtswoche erschien Rachil wieder, ihren Schultern andere Parkapracht umgeworfen. Rachil war seelenruhig, signalisierte keinerlei Groll oder Verdacht, war überdies üblicherweise kooperativ, waren wir aufgefordert, Kollektivprojekte auszuarbeiten oder Lösungsverfahren vorzuzeigen. Fürs Mittagsbrot trug Rachil ihren Parka allerdings über ihrem Arm hinfort.

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Baba Lussi, Jahrgang 1989, studiert am Schweizerischen Literaturinstitut. Anderart ist in einem Atelier zum Schreiben nach Regelwerken entstanden. Die Contrainte (Begrenzung, Einengung, Zwang), die Baba Lussi ihrem Text zugrunde gelegt hat, war die Bedingung, dass in jedem Wort ein R vorkommen muss.


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