Bruggisser Salome Von Menschen und Maschinen

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VON MENSCHEN UND MASCHINEN


Von Menschen und Maschinen Eine Untersuchung von Digital Craft anhand aktueller Praxisarbeiten im Schmuckdesign

Theoretische Bachelorarbeit

Mentorat

Salome Bruggisser

MĂłnica Gaspar

FrĂźhlingssemester 2019

Expertin

Hochschule Luzern, Design & Kunst

Julia Wild


6 10

44 6

1. Einleitung

9

1.1

Motivation

9

1.2

Fragestellung

10 13

Warum wir uns als Designer mit Digital Craft

15

2.1.1

Handwerkliches Denken und Können

18

2.1.2

Digitale Technologie in der Gestaltung

19

2.2

20

2.2.1

21

2.2.2

Eine Untersuchung von Digital Craft anhand aktueller Praxisarbeiten im Schmuckdesign Digital Craft und die Kontrolle über den Prozess → Lionel Dean Die Funktion der Hand in Digital Craft → Silvia Weidenbach

22 2.2.3

Digital Craft als multifunktionales Werkzeug → Lynne Mac Lachlan

2.3

Konkrete Analyse der Praxisarbeiten im Bezug auf handwerkliche Eigenschaften und den Gebrauch von digitaler Technologie

27

2.4

Analyse des Potenzials von Digital Craft für Schmuckdesign

44 50

3. Fazit 4. Bibliographie

53

4.1

Literaturverzeichnis, gedruckte Medien

55

4.2

Nachweis von Internetadressen

56 60 63

56

2. Von Craft zu Digital Craft und zurück 2.1

beschäftigen sollten

24

50

5. Abbildungsverzeichnis 6. Anhang 6.1

Lauterkeitserklärung

60


1


1.1 Motivation Als klassisch ausgebildete Goldschmiedin bin ich dazu erzogen worden, eine Nostalgikerin und Befürworterin des traditionellen Handwerks zu sein. Trotzdem bin ich mir natürlich bewusst, dass Digital Craft als neue Form des Handwerks in Design und Kunst je länger je relevanter wird, bereits heute praktisch Fakt ist und ein enormes Potenzial birgt. 1 Eine Auseinandersetzung mit der Thematik von Digital Craft erscheint mir unumgänglich, ist persönlich moti­ viert und soll mir helfen, meine Berührungsängste gegen­ über digitalen Technologien zu überwinden, so dass ich diese zeitgenössische Art des kreativen Schaffens zukünftig als Werkzeug in meine Prozesse integrieren kann, in Kombination mit den mir vertrauten analogen Methoden. Digital Craft bietet viele Möglichkeiten für prozesshaftes Arbeiten. Prozesse sind das Thema mei­ ner künstlerisch - gestalterischen Arbeit. Ich möchte mit dieser theoretischen Auseinandersetzung meine Wahrnehmung schärfen für meine praktische Bachelor­ arbeit.

1.2 Fragestellung Unter Berücksichtigung der charakteristischen Eigen­ schaften des theoretischen Konzepts «Handwerk» möchte ich Digital Craft definieren, analysieren und ein­ordnen. Dies soll mir die Grundlage bieten, um heraus­ zufinden, inwiefern auf digitalem Weg Möglichkeiten geschaffen werden, um neue Inhalte und Ästhetiken zu generieren und welche Faktoren berücksichtigt werden müssen, um zu interessanten Ergebnissen zu kommen. Ich möchte das Potenzial von Digital Craft im Bereich Schmuck eruieren. Eine Analyse von Praxisarbeiten unter dem Fokus dieser handwerklichen Charakteristika soll mir dabei helfen, zu verstehen, wie traditionelle ana­loge Herangehensweisen und digitale Prozesse im Objekt verschmelzen. Diese Synthese soll den erschaf­ fenden Menschen im Objekt wahrnehmbar machen, was – so meine These – für das Erleben eines Objektes, das durch Digital Craft entstanden ist, essentiell und

8

9

für Schmuck sehr wichtig ist. 1

Vgl. Johnston 2015, S. 7 f


2


Auf den ersten Blick scheint Digital Craft ein Wortpaar zu sein, das nicht zusammengehört. Ist das Digitale in Kombination mit dem Handwerk nicht ein kompletter Widerspruch? Oder sogar eine gegenseitige Bedrohung? Mensch gegen Maschine? Digital Craft ist eine zeitgenössische Form des krea­ tiven Schaffens. Es ist der Gebrauch von handwerk­ lichem Wissen und handwerklichen Fähigkeiten, unter­ stützt durch digitale Technologien. Es ist eine gestalterische Bewegung, die dem Hand­ werk die Bedeutung zurückgibt, die während der letz­ten Jahrzehnte, bedingt durch technologische Innovatio­ nen, verloren gegangen ist. Es ist eine Gegenbewegung zur industriellen Massenproduktion, hin zu massge­ schneiderten Einzelanfertigungen in grossen Stückzah­ len. Es ist eine neue Ästhetik; eine exakte Schönheit, die nur durch die Fusion von Mensch und Maschine erreicht werden kann. Digital Craft ist ein Spiel zwischen analog und digital, ein Spiel zwischen Mensch und Maschine. 2 Je länger ich mich mit dem Begriff und mit dem beschäftige, was Digital Craft ist und uns als Gestalter­ Innen bietet, desto mehr Parallelen erkenne ich zwischen den Bestandteilen des Wortpaars und umso klarer wird für mich diese Fusion.Ich sehe Gemeinsamkeiten, die sich kombinieren lassen und Unterschiede, die sich ergänzen oder sogar symbiotisch potenzieren können.

2.1 Warum wir uns als DesigernInnen mit Digital Craft beschäftigen sollten Eine Auseinandersetzung mit Digital Craft ist in der heu­ tigen Zeit enorm wichtig, um von den unzähligen Mög­ lichkeiten Gebrauch zu machen, die uns dank den immer besser visualisierten und dadurch einfacher verständ­ lichen Softwares fast schon auf dem Silbertablett serviert werden. Lernen wir mit modernen, digitalen Werkzeu­ gen umzugehen und ihre charakteristische Präzision und Flexibilität zu kombinieren mit den visuellen und fühl­ baren Qualitäten, die wir aus dem traditionellen Handwerk mitbringen, dann sind wir als GestalterInnen fähig,

12

13

aus beiden Welten das Beste herauszunehmen und eine neue, eigene Welt – Digital Craft – zu kreieren. 3


Digitale Technologie in Kunst und Design existiert, um

fügen, die frei kombinierbar sind und Potenzial bieten

gebraucht und beherrscht zu werden, genau so wie

für spannendere Ergebnisse als die Summe von beiden

jedes weitere Werkzeug aus unserer Werkzeugkiste.

Teilen. 7 Ein Exkurs über das Thema Handwerk sowie über

Dieses spezifische Werkzeug scheint sehr anders zu sein, weil der Teil der Datenverarbeitung als versteckter

digi­tale Technologie in der Gestaltung sollen einen

Prozess im Computer erfolgt, weil das Machen, Ver­

direkten Bezug zu Digital Craft schaffen, um dieses Thema

stehen und Kontrollieren des Prozesses vom Konzept bis

besser zu verstehen und dessen Potenzial in der Ge­

zum fertigen Produkt sehr komplex und wenig vertraut

staltung und im speziellen im Schmuckdesign erkennen

ist und definitiv nicht wie Handwerk erscheint. 4

zu können.

Doch die Parallelen zwischen Craft und Digital Craft sind im Bezug auf die Arbeitshaltung überraschend. 2.1.1 Handwerkliches Denken und Können

Laut Malcolm McCullough, einem Professor für Architek­ tur, Stadtplanung und Interaction Design an der Uni­

«It is not craft as ‚handicraft‘ that defines

versität Michigan, soll Digital Craft für DesignerInnen dank gewissen Ähnlichkeiten von digitaler Arbeit und hand­

contemporary craftmanship: it is craft

werklicher Praxis erfolgreich einsetzbar sein. Dies argu­

as knowledge that empowers a maker to

mentiert er mit den Hand- und Hirnaktivitäten, die für

take charge of technology.» 8

das Bedienen eines Computers gebraucht werden. Diese haben Analogien zu den Aktivitäten, die stattfinden

Das Zitat von Peter Dormer aus dem Jahr 1997 zeigt den

bei der Ausführung von handwerklichen Arbeiten. Es ist

hohen Stellenwert des Handwerks als theoretisches

eigentlich nichts Anderes als das Erlernen von etwas

Konzept auf. Diese Rolle des Handwerks ist für Gestalte­

Neuem über Erkenntnis und Erfahrung. Wie das, wie wir

rInnen im Umgang mit Technologie essentiell. Diese

sehen werden, auch beim Erlernen eines Handwerks

Worte lassen ahnen, dass Handwerk und digitale Tech­

5

nologien ergänzend funktionieren und wertvolle Sym­

der Fall ist.

Auch Ann Marie Shillito, Schmuckdesignerin und

biosen generieren können in der Anwendung im Bereich

Gründerin von Anarkik, einer 3D Modell Software, ist da-

von Kunst und Design.

von überzeugt, dass die Hand- und Hirnaktivitäten,

Laut Duden ist Handwerk die «berufsmässig ausge­

die für das Programmieren eines Computers gebraucht

übte Tätigkeit, die in einem durch Tradition geprägten

werden, verwandt sind mit denen, die in der Hand­

Ausbildungsgang erlernt wird und die in einer manuellen,

werkspraxis angewendet werden. Es kann ihrer Meinung

mit Handwerkzeug ausgeführten produzierenden oder

nach kein Zufall sein, dass eine grosse Anzahl an

reparierenden Arbeit besteht». 9

DesignerInnen für ihre Design- und Produktionsprozesse

Diese Definition ist für mich nachvollziehbar, jedoch

Coding als ein Instrument, zum Recherchieren, zum

auch stark einschränkend. Aus dieser historisch ge­

Testen, zum Experimentieren und zum Erarbeiten neuer

prägten, zelebrierenden Perspektive kann sich meiner

Methoden braucht. DesignerInnen sind ihrer Meinung

Meinung nach das Handwerk kaum mehr weiterent­

nach fähig, den Umgang mit digitalen Technologien zu

wickeln oder sich der heutigen, von modernen Technolo­

erlernen, sie wie ein Werkzeug an ihre Bedürfnisse

gien geprägten Zeit anpassen. Deswegen erachte ich

anzupassen, um sie optimal gebrauchen zu können, wenn

es als notwendig, das Handwerk als ein theoretisches

sie darin einen praktischen Vorteil und Komponenten,

Konzept zu betrachten. Glenn Adamson, ein US-amerikanischer Kurator, Autor

die ihre Arbeit vorantreiben oder ausbauen können, sehen. 6 Sie ist sich sicher, dass DesignerInnen den Spagat zwischen der analogen und der digitalen Welt schaffen können und somit über unglaubliche Ressourcen ver­

und Historiker, dessen Forschung sich auf die Schnitt­

14

15

stellen von Design, Handwerk und zeitgenössischer Kunst konzentriert, beschäftigt sich in seinem Buch Thinking Through Craft mit dem Handwerk als eine Art Prozess.


Daraus können wir schliessen, dass HandwerkerInnen

Laut Adamson wurde der Begriff bis anhin als fixe Kate­ gorie oder konkrete Idee verwendet. Er betrachtet und

grundsätzlich Leute sind, die sich praxisorientiert,

analysiert das Handwerk als eine Annäherung, als eine

produzierend mit Objekten auseinandersetzen, wobei sie

Haltung, eine Gewohnheit oder eine Aktion. Handwerk

immer die Kontrolle über ihre Arbeit und Prozesse

existiert seiner Meinung nach nur in Bewegung. Es ist die

haben und auch behalten wollen. Sie haben die Kontrolle

Art etwas zu machen, nicht die Klassifikation von Objek­

aufgrund des persönlichen Wissens, das ihnen erlaubt,

ten, Institutionen oder Leuten. Es ist eine Verschmelzung

gegebene Werkzeuge zu beherrschen, egal ob es sich um

von Wechselwirkungen der Kernprinzipien, die unter

die eigenen Hände, eine von ArbeitskollegInnen er­

dem allumfassenden Begriff des Handwerks in Beziehung

stellte Gussform, eine erworbene, elektrisch betriebene

zueinander stehen. 10

Drehscheibe oder um einen, von SpezialistInnen pro­ grammierten, Computer handelt. 12

Ich möchte die Herangehensweise an Prozesse, das Verwenden von Werkzeug, das Einsetzen von Wissen

Ein weiteres typisches Merkmal für Handwerk oder

und das Kontrollieren ganzer Entwurfs- und Produktions­

handwerkliche Tätigkeiten ist laut Peter Dormer, wie er

prozesse genauer untersuchen. Dadurch erhoffe ich

in seinem Buch The Culture of Craft erklärt, der Aspekt

mir ein grösseres Verständnis von dem zu erlangen, was

des Wissens. «Craft relies on tacit knowledge.» 13 Es han-

Handwerk tatsächlich ausmacht. So möchte ich prüfen,

delt sich um selbstverständliches Wissen, das sich

ob Digital Craft wie es der Name impliziert, tatsächlich

HandwerkerInnen aneignen und dann, wenn es gebraucht

als Form des Handwerks betrachtet werden kann.

wird, abrufen. Ein Handwerker, eine Handwerkerin weiss nicht nur, dass er dieses Wissen hat, es ist eine Art

Im folgenden Abschnitt gehe ich auf drei mir zentral erscheinende Punkte des handwerklichen Könnens

verinnerlichtes Wissen oder ein Gefühl, das er für ein

ein. Es ist das Kontrollieren von Prozessen, der Umgang

bestimmtes Fachgebiet über eine längere Zeitperiode

mit Werkzeug und das selbstverständliche Wissen in

entwickelt. Nebst der theoretischen Grundlage oder wie Dormer

Hand und Kopf.

es nennt, dem expliziten Wissen, das wahrscheinlich

Craft oder Handwerk kann grundsätzlich als ein von HandwerkerInnen von Anfang bis Schluss kontrollierter

durch Sprache erworben wurde, spielt natürlich dieses

Prozess verstanden werden, wobei Werkzeug, das not-

selbstverständliche Wissen in den Händen oder eben

wendig ist, genutzt, angepasst und verbessert wird.

das erworbene Gefühl für ein Fachgebiet eine zentrale

Selbstverständlich muss nicht eine Person fähig sein,

Rolle. Es handelt sich sowohl um motorische, kogni­-

jeden einzelnen Schritt eines kompletten handwerk­

tive und materialspezifische, auf neue Situationen an-

lichen Prozesses inklusive der Werkzeugherstellung

wendbare, spontan abrufbare Erfahrungen. 14

alleine auszuführen. Ich möchte mich hierbei auf das Kon-

Dieses selbstverständliche Wissen in den Händen

zept des «verteilten Wissens», wie Peter Dormer, ein

intensiviert das Wissen des Kopfs und umgekehrt. Daraus

bekannter Autor und Design- und Kunstkritiker des

entsteht ein bedeutender aktiver Kreislauf, der sich

20. Jahrhunderts, es nennt, berufen. Es ist ein Konzept,

gegenseitig immer weiter nähren kann. Die Erfahrung wird

das auf zwei verschiedenen Ideen beruht. Erstens

zur Handlung, die wiederum selber zur Erfahrung wird

leben wir in einem Zeitalter, wo die Mehrheit der handge­

und so weiter… 15 Wie es Dormer sehr schön ausdrückt, ist das Wissen,

fertigten Objekte nur dank eines Zusammenkommens von verschiedenen Disziplinen und / oder Industrien ent­-

ein Gefäss zu drehen, das Gefühl dafür zu haben, ein

stehen können. Zweitens sind wir auch als traditionelle

Gefäss drehen zu können. 16

HandwerkerInnen auf unterschiedlich komplexe Werk­

Laut David Pye, einem geschätzten Handwerker,

zeuge angewiesen. Das Anfertigen dieser Werkzeuge

Theoretiker für Design und Handwerk und Professor für

wird in der Regel von Fachleuten übernommen, womit

Möbeldesign am Royal College of Art, sind «Handwerk»

man auf deren Wissen und Fähigkeiten angewiesen ist. 11

16

17

oder «Handgemacht» Bezeichnungen, die auf histori­ schen oder sozialen Ebenen, nicht aber als technische


Bezeichnungen funktionieren. Er beschreibt in seinem

Heute geht es nicht mehr darum zu beweisen, dass

Buch The Nature and Art of Workmanship, dass Hand­

digitale Technologien in Kunst und Design einsetzbar

werk nicht «technisch» von Hand gemacht bedeutet, wird

und äusserst effizient sind, es geht für GestalterInnen

doch für fast jedes Produkt, das auf handwerklichem

viel mehr darum, die Grenzen auszuloten und neue,

Weg entsteht, Werkzeug von unterschiedlicher Komple­

spannende Ansätze im Umgang mit digitalen Werkzeu­

xität gebraucht. In die Werkzeugkiste gehört alles,

gen zu finden. 20

vom einfachen Hammer bis zum sehr ausgeklügelten

Zu den digitalen Technologien, die im gestalteri­

Werkzeug, welches als zeitsparende Maschine funk­

schen Umfeld relevant sind, gehören sowohl Werkzeuge

tioniert. Zu Recht behauptet Pye, gäbe es nur sehr wenige

aus dem Coumputer Aided Drawing and Designing

Techniken, die auf reines Handwerk zurückzuführen

(CAD), 3D Visualisationsprogramme, 3D Scanning-Tools,

seien, darunter zum Beispiel Korbflechten oder die Wulst­

haptische Eingabeprogramme und flexible, generative

technik als keramische Grundtechnik für Gefässe. Der

Softwares wie Processing oder Grasshopper als auch die

Gebrauch von Werkzeugen unterschiedlicher Komplexi­

industriellen Fertigungstechnologien wie Lasercut,

tät zeichnet also das Handwerk aus. 17

Computer Numerical Controlled Cutting and Milling (CNC),

Der Übergang vom Handwerkzeug zur einfachen

selektives Laserschmelzverfahren, 3D Druck und vieles mehr. 21

Maschine (Bsp. Nagelbohrer, Handbohrmaschine, Stand­ bohrmaschine) und weiter zur komplexeren Maschine

Der Computer hat sich über die Jahre zu einem immer

(Bsp. CNC) ist fliessend und deren Gebrauch für das Hand-

visualisierender werdenden Medium gewandelt. Dank

werk charakteristisch. Bloss aufgrund der Komplexität

dieser Entwicklung wurde der Umgang für GestalterInnen

der verwendeten Maschine kann also Handwerk nicht

einfacher. Heutzutage können DesignerInnen fast los­

von Nicht-Handwerk abgegrenzt werden.

gelöst von den ursprünglichen, formalen und einge­ schränkten Methoden des digitalen Input - Output mit

Zusammenfassend könnte man behaupten, dass Hand­werk Charakteristiken wie die Kontrolle über den

Computern arbeiten. Aus der Sicht der DesignerInnen

Arbeitsprozess, das Wissen, das sich verteilt auf Hand

öffnen digitale Technologien somit Türen für andere und

und Kopf und der Umgang mit Werkzeug, beinhaltet.

neue Ästhetiken und hybride Praktiken. 22 Im folgenden Teil möchte ich Schmuck-Arbeiten aus

Dieses komplexe handwerkliche Können und Wissen basiert laut Richard Sennet, einem britisch-amerikani­

dem Gebiet Digital Craft in Bezug zu den Aspekten

schen Soziologen, mit Forschungsfokus im Bereich

des traditionellen Handwerks stellen, denn ich bin über­

Kultur, Arbeit und Stadt, auf hoch entwickelten Fähigkei­

zeugt, dass in dieser Kombination von analog und

ten und Fertigkeiten. Gut zehntausend Stunden Erfah­

digital noch unerforschtes und unausgeschöpftes Po­-

rung seien nach einem oft verwendeten Massstab nötig,

tenzial liegt.

wenn jemand Meister seines Handwerks werden

will. 18 2.2 Eine Untersuchung von Digital Craft in Schmuck­

2.1.2 Digitale Technologie in der Gestaltung

design anhand von Praxisarbeiten

Der grosse Aufschrei rund um die Möglichkeiten der digi­-

Die drei Schmuckschaffenden der nachfolgenden Unter­

talen Technologien ist bereits Vergangenheit. 3D Druck

suchung sind alle überzeugt, dass die Kombination

beispielsweise existiert seit mehr als 30 Jahren. Seit rund

von Handwerk und digitaler Technologie eine Bereiche­

10 Jahren ist diese Technologie in unseren Breiten­

rung für ihre Arbeit bedeutet. Ich möchte herausfinden,

graden weit verbreitet und beinahe für jeden zugäng­

inwiefern sie das Analoge und das Digitale kombinieren

lich. 19

und wie stark ihr Schaffen jeweils vom handwerk­

18

19

lichen oder digitalen Ansatz geprägt ist. In der nachfol­ genden Analyse der Arbeiten lege ich den Fokus auf jeweils eine charakteristische Eigenschaft von Handwerk.


2.2.1 Digital Craft und die Kontrolle über den Prozess → Lionel Dean Lionel Dean ist ein erfahrener Industrie- und Produkt­ designer und Gründer der FutureFactories, ein Studio in England an der Schnittstelle zwischen Kunst, Hand­ werk und Design, welches seinen Fokus bereits im Jahre 2002 auf 3D Druck gelegt hat. Hervorgebracht hat Dean mit FutureFactories namhafte Designs von Galerie­ einzelstücken bis zu Einzelhandelmassenproduktionen. Abb. 2 → S. 31

Er setzt sich in seinen Schmuckobjekten mit dem Kon­ zept der Massenindividualisation auseinander und er ist sich sicher, dass digitale Produktionsmethoden das

Zukünftige SchmuckträgerInnen werden eingeladen, ein

Paradigma rund um die Massenproduktion auf den Kopf

handflächengrosses Metallblech durch Schläge mit

gestellt haben. 23

einem Hammer zu verformen. Diese, von dritten beein­ flusste Form wird gescannt, digital ausgehöhlt, direkt in Gold gedruckt und manuell überarbeitet. So entstehen in effizienter Art Unikate, die vom Träger beeinflusst werden. Der Anhänger Heartbeat widerspiegelt dessen TrägerIn, Aggressionen oder Herzklopfen werden sichtund spürbar. Gleichzeitig verkörpert das persönliche Schmuckstück die Symbiose von digital und analog ganz im Sinne von Digital Craft. 25

Abb. 1 → S. 30

Dean ist überzeugt, dass uns digitale Technologien Der ikonische Anhänger Icon aus dem Jahr 2008 ist

mehr Möglichkeiten bieten, als wir uns vorstellen können.

Sinnbild für die individualisierte Massenproduktion. Die

Designs werden seiner Meinung nach nicht mehr ein­

Anhänger zeichnen sich aus durch die feinen Unter­

geschränkt durch Prozesse und Prototypen werden über­

schiede in den Wiederholungen, die mit generativen Soft­-

flüssig. Die direkte Übersetzung des Virtuellen ins

wares geschaffen wurden. Eine limitierte Anzahl von

Materielle hat für ihn noch immer etwas Magisches. 26

exakt hundert einzigartigen und individuellen Exemplaren wurden direkt in Titan gedruckt. Diese Art von indivi­ 2.2.2 Das Wissen der Hand in Digital Craft

dueller Massenproduktion ist nur dank digitaler Techno­

→ Silvia Weidenbach

logie, sprich generativen Softwares und industriellen Fertigungstechniken wie dem Metalldruck, möglich und

Ihre Arbeit beschreibt sie als eine Fusion zwischen der

wird laut Dean in Zukunft vom Konzept her führend

Vergangenheit und der Zukunft.

sein. 24

Silvia Weidenbach, die in London lebende deutsche

In der folgenden Arbeit spielt Dean abgesehen von

Gold- und Silberschmiedin und Schmuckdesignerin

der Massenindividualisation zusätzlich damit, dem

mit Abschluss am Royal College of Art, arbeitet und experi­

zukünftigen Träger des Anhängers Heartbeat einen Teil

mentiert im Spannungsfeld von Digital Craft. Sie addiert

der Kontrolle über die Ästhetik abzugeben. Er integriert

zu ihrem traditionellen Fundus an Werkzeugen digitale

in seine Prozesse partizipatorische Aspekte.

Entwurfs-Werkzeuge wie den haptischen Arm und industrielle Technologien wie den 3D Drucker. Das ver-

20

21

­leiht ihr und ihren Arbeiten eine viel grössere spiele­ rische Freiheit. Mit dem haptischen Arm 27, einem digitalen Hilfsmittel, das fähig ist taktile Feedbacks zu geben,


gibt sie den virtuellen Objekten am Computer den letzten

Mac Lachlans Designs spielen mit Licht, Raum und

Schliff. Dieses Werkzeug hat gewisse Ähnlichkeiten

Farbe, mit der Absicht, dem Träger und den Beobachtern

mit der Werkzeugkiste eines Bildhauers. Das Erfassen des

ein visuelles Vergnügen zu bieten. Sie erforscht mit

Objekts wird dank des haptischen Arms nicht auf das

einem experimentellen Ansatz die Grenzen und die Mög­

Visuelle reduziert, sondern man kann das Objekt tat­

lichkeiten von digitalen Werkzeugen. Sie nutzt visuelle,

sächlich spüren. Man kann die Materialität, die Wider­

generative Softwares und 3D Druckverfahren, um ihre

stände und die Strukturen fühlen und mittels unter­

komplexen Formen zu materialisieren. Ihre Arbeiten

schiedlicher Funktionen Material hinzufügen, abtragen,

zeichnen sich durch die Kombination der beiden Werk­

das Objekt modellieren und so weiter.

zeuge und durch sorgfältige Handarbeit aus, die sie für das Färben, Polieren und Montieren der Einzelteile

Silvia Weidenbach geht sehr feinfühlig mit histori­

braucht. 31

schen Objekten um und schafft es, diese in einen neuen Kontext zu rücken, ohne sie zu imitieren. Sie lässt sich

Mac Lachlan hat gelernt, mit Software Programmen

im Bezug auf historische Objekte aus dem Schmuck- und

wie Processing und Grasshopper umzugehen und hat

Alltagsobjektbereich vom sehr sorgfältigen Umgang

sich dank ihrer Doktorarbeit vertieftes Wissen angeeignet

mit den Materialien leiten und findet auch in technischer

über die konzeptuellen Prozesse eines generativen

28

Design Typen, wobei Werkzeuge die Regeln bestimmen.

Hinsicht immer wieder Parallelen zu ihren Arbeiten.

Sie lässt sich inspirieren durch Vorkommnisse wie

Sie ist fasziniert von den unzähligen Möglichkeiten

das Wachstum der Korallen, von barocken Stücken aus

und vom spielerischen Umgang mit Algorithmen und

der Schatzkammer des Victoria and Albert Museums

Regeln. 32

oder durch geschichtliche Ereignisse, wie der weltbe­ rühmten Spaltung des Cullinan Diamanten.

Abb. 3 → S. 32

Abb. 4 → S. 34

Abb. 5 → S. 36

Weidenbach nutzt additive Aufbauverfahren, um auf sehr einfache Art und Weise relativ grosse Hohlformen Abb. 6 → S. 39

generieren zu können. Die Leichtigkeit des Objekts ist für

Abb. 7 → S. 40

Schmuckzwecke ein entscheidender Faktor. Den letzten Schliff verleiht Weidenbach ihren Werken von Hand.

Phase Jewellery ist eine Kollektion von High-Tech

Sowohl das Polieren wie auch das Färben ist Handarbeit

Schmuckstücken. Die filigrane Struktur erzeugt einen

konventioneller Art. 29

schimmernden Moiré Effekt, sobald der Schmuckträger sich bewegt. Die Stücke sind 3D gedruckt in Nylon und von Hand gefärbt. Das Resultat ist eine Serie von sorg­

2.2.3 Digital Craft als multifunktionales Werkzeug

fältig hergestellten Schmuckstücken, die zugleich zeit­genössisch und tragbar sind. 33

→ Lynne Mac Lachlan

Abgesehen davon kreiert Mac Lachlan grosse, aus­

Lynne Mac Lachlan, eine schottische, traditionell ausge­ bildete Schmuckmacherin, Ingenieurin und Master­

sagekräftigere Performance Pieces, mit dem Ziel, einen

absolventin des Royal College of Art, beschäftigt sich

bewegten Dialog zu schaffen zwischen dem Schmuck­

heute hauptsächlich mit generativem Design im Schmuckund Objektbereich. 30

22

23

stück und dem Träger zwischen dem Schmuckstück und dem Träger oder der Trägerin. 34


Diesem handwerklichen Anspruch wird auch Weiden­ bach mit dem Verwenden des haptischen Arms ge­recht. Dank diesem Werkzeug und ihrer grossen Erfahrung im handwerklichen Arbeiten schafft sie es, diesen typischen Kreislauf der haptischen Erfahrung, der das Wissen nährt und umgekehrt, nicht zu unterbrechen. Das Werkzeug lässt sie zwar virtuell im Material arbeiten, aber dank des haptischen Arms ist es für sie möglich, ihre gesammelten Erfahrungen in der Materialität in ihre Stücke zu bringen. Ihre Werke haben einen eigenen Charakter. Sie sind nicht rein technische, über das Visu­Abb. 8 → S. 41

Abb. 9 → S. 42

elle aufgebaute Dateien, sie sind spürbar modelliert. 35

Abb. 10 → S. 43

Ein weiteres haptisches Eingabewerkzeug ist zum Auch diese Stücke wurden in Processing Programmen

Beispiel das digitale Hämmern, das von der schottischen

entwickelt, anschliessend 3D gedruckt in Nylon und

Gold- und Silberschmiedin, Kathryn Hinton, für ihre

handgefärbt. Diese feinen schimmernden, dreidimen­

Gefässe entwickelt wurde. 36 Auch ein schönes Beispiel

sionalen Ornamente funktionieren nur dank maschi­

ist das virtuelle Modellieren, das mittels Laserscannen

neller Produktion, die eine sehr hohe Präzision erreicht.

von Gesten funktioniert. Haptische Eingabewerkzeuge dürften meiner Meinung nach immer populärer werden. Dies, weil es schwieriger wird, sich handwerkliches

2.3 Konkrete Analyse der Praxisarbeiten im Bezug auf

Wissen in traditioneller Weise anzueignen, da wir uns in

handwerkliche Eigenschaften und den Gebrauch

unserem Alltag kaum mehr Zeit nehmen, ein Handwerk

von digitaler Technologie

von Grund auf zu lernen. Ist dieses verinnerlichte Wissen

Dean gibt mit seinen Konzepten der Massenindividuali­

nicht mehr vorhanden, wird der aktive Kreislauf der

sation einen Teil der Kontrolle über den Prozess ab.

Erfahrung, welcher die Handlung beeinflusst und umge­

Beim Anhänger Icon ist es der Computer, der Varianten

kehrt unterbrochen. Fehlt diese Erfahrung in den digital

und alternative Wiederholungen errechnet. Beim Stück

produzierten Objekten, kann es sein, dass die Ergebnisse

Heartbeat ist es der zukünftige Träger oder die Trägerin,

industriellen Charakter aufweisen. Mac Lachlan schöpft das Potenzial, das digitale Werk-

die Einfluss haben auf die Optik und Ästhetik ihres An­ hängers. Wenn man Deans Konzept oberflächlich be­

zeuge bieten, gleich in zwei verschiedenen Aspekten

trachtet, gibt er tatsächlich Kontrolle ab. Schaut man aber

sehr gekonnt aus. In der Entwurfsphase nutzt sie ver­

genauer hin, kann man feststellen, dass er nicht die

schiedene Processing Softwares für das Erzeugen von

Kontrolle abgibt, sondern im Gegenteil, durch das genaue

generativem Design. Abgesehen davon braucht sie

Definieren der Rahmenbedingungen effektiv nur ver­

digitale Technologien für die Produktion ihrer virtuell

meintlich Kontrolle abgibt. Ich würde behaupten, er hat

entworfenen Objekte. Dies zeigt sehr schön auf, wie

in der Konzeptentwicklung unter Umständen klarere

unterschiedlich man ähnliche Werkzeuge brauchen und

Vorstellungen als konventionelle DesignerInnen. Er lässt

an eigene Bedürfnisse anpassen kann. Diese Mehr­

seine Konzepte von einem Computer oder von anderen

fachverwendung von Werkzeugen und der gekonnte Um-

Menschen, immer unter seiner Anleitung, ausführen.

­gang mit den digitalen Hilfsmitteln sind charakteristi­

Deans Anspruch, dank und trotz hoher maschineller Effi­-

sche Eigenschaften handwerklichen Denkens und

­zienz, ein individuelles Produkt herzustellen, scheint

Handelns. 37

mir ein stark handwerklich geprägter Ansatz mit enorm viel Potenzial zu sein.

24

25

Ohne Absicht habe ich die Arbeiten dreier Künstler ausgewählt, die alle einen Master am Royal College of Art in London absolviert haben. Demnach vermute ich,


dass an dieser Universität viel Wert auf technologische

Gemäss meiner Erkenntnis widerspiegeln die ver­

Innovation gelegt wird, um Schritt halten zu können

schiedenen Arbeiten der drei DesignerInnen den Cha­

oder sogar einen Schritt voraus zu sein. Das Royal College

rakter von Digital Craft eindeutig. Die DesignerInnen

of Art ist bekanntermassen eine der führenden Schulen

schöpfen das Potenzial, das ihnen digitale Technologien

in Kunst und Design und verfügt sicherlich über gewaltige

bieten, auf unterschiedliche Weise und immer mit

Ressourcen was Technologie und das dazugehörende

einem handwerklichen Ansatz, gekonnt aus.

fundierte Wissen betrifft. Mac Lachlan bringt neben ihrer künstlerischen Aus­ 2.4 Analyse des Potenzials von Digital Craft für

bildung ein von Grund auf erlerntes Handwerk sowie das

Schmuckdesign

Wissen einer Ingenieurin mit. Diese unterschiedlichen Ausbildungen scheinen ideale Voraussetzungen zu sein

Dank der Untersuchung der Praxisarbeiten bin ich sicher,

für Digital Craft. Auch Weidenbachs Arbeit ist stark

dass im Schmuckdesign sehr viel Potenzial in der

geprägt von ihrer ursprünglichen Arbeit als klassische

Kombination von analog und digital steckt. Ich möchte auf

Gold- und Silberschmiedin. Man kann diese hand­

die mir am wichtigsten erscheinenden Punkte ein­

werkliche Prägung sehr gut beobachten im Umgang mit

gehen. Selbstverständlich ist diese Aufzählung nicht ab-

den haptischen digitalen Werkzeugen. Dean hat, so-

schliessend.

weit ich weiss, keinen traditionellen handwerklichen

In der vorausgehenden Analyse habe ich bereits er-

Hintergrund. Was bei Dean meiner Meinung nach sehr stark

wähnt, dass für mich das Konzept der Massenindivi­

wirkt, sind seine konzeptuellen Ansätze, die sicherlich

dualisation sehr stark handwerklich geprägt ist. Ich

geprägt sind von seiner Arbeit als Produktdesigner. Er

glaube, diese dadurch mögliche Einzigartigkeit, das Indi-

nutzt die Effizienz der digitalen Werkzeuge.

­viduelle und das Persönliche, sind enorm wichtige

Die drei DesignerInnen setzten Digital Craft meiner

Faktoren im Bezug auf Schmuck. Ein Schmuckstück

Auffassung nach sehr gekonnt ein. Ich habe bei jeder

zeichnet sich, abgesehen von dessen Tragbarkeit, auch

Analyse bewusst einen Fokus auf eine charakteristische

durch eine starke und womöglich sehr emotionale

handwerkliche Eigenschaft gesetzt, was nicht heisst,

Beziehung zwischen Träger und Objekt aus. Diese Be-

dass die anderen Punkte irrelevant sind. Dean beispiels­

ziehung lässt sich mit massgeschneiderten Objekten

weise geht sehr gewandt mit den ihm zur Verfügung

unter Umständen leichter herstellen. Ich empfinde Digital

stehenden Werkzeugen um. Je nach dem was gefragt ist,

Craft in Schmuckdesign aufgrund der Möglichkeit,

setzt er sie sowohl für gestalterische, generative Pro­

Einzelanfertigungen in grossen Stückzahlen herzustellen,

zesse, als auch für reine Produktionsarbeiten ein.

sehr attraktiv. Für die Massenindividualisation sind nebst digitalen

Ich wage zu behaupten, dass Mac Lachlan mit ihrem Hintergrund als Ingenieurin, die technischen Prozesse,

Fabrikationsmethoden auch generative Softwares sehr

die im Computer selber ablaufen, am besten versteht. So-

wertvoll und interessant. Die generativen Prozesse werden

­mit wär sie auch für den Aspekt des Kontrollierens von

in fast allen gestalterischen Bereichen immer wie

Prozessen ein Paradebeispiel. Weidenbach hingegen

populärer. Kein Wunder, es bietet abgesehen von der

verwendet meiner Meinung nach am meisten effektives,

Möglichkeit der Massenindividualisation auch eine

traditionelles Handwerk. Sie integriert in ihre Arbeiten

Plattform für eine unglaubliche Bandbreite an neuen und

Teile bestehend aus klassischen Gold- und Silber­

vor allem unerwarteten Ästhetiken. Generative Soft­

schmiede­arbeiten. Diese analog hergestellten Teile kombi­-

wares bieten somit meiner Meinung nach innerhalb von

niert sie sehr geschickt mit den digital hergestellten,

Digital Craft im Schmuckbereich ein sehr grosses Po­

so dass das Stück als Einheit und nicht als analoge und

tenzial.

digitale Fragmente wahrgenommen wird.

26

27

Ein weiteres, noch nicht erwähntes Thema mit Poten­ zial für Schmuck, sind für mich die Scanningtools, die eindeutig ins Gebiet von Digital Craft gehören. Sie erlauben


ein unglaublich präzises Abtasten und Abformen des

2

Vgl. Johnston 2015, S. 7 f

menschlichen Körpers. Somit können individuelle

3

Vgl. Johnston 2015, S. 8

Schmuck­stücke für spezifische Personen und Körper­

4

Vgl. Shillito 2013, S. 9

stellen geschaffen werden. Dies begünstig nach meiner

5

Vgl. McCullough 1996, zitiert nach Shillito 2013, S. 10

Auffassung wiederum einen engen Bezug zum Objekt, respektive zum Schmuckstück, was wie bereits erwähnt

6

Vgl. Shillito 2013, S. 10

für Schmuck essentiell sein kann.

7

Vgl. Shillito 2013, S. 10

8

Dormer 1997, S. 140

staltung, die dank digitalen Technologien in Prozesse

9

Vgl. Webseite Duden, Handwerk

integrierbar sind, bergen für mich ein enormes Potenzial.

10

Vgl. Adamson 2017, S. 3 f.

Partizipation schafft Bezug und eine Verbindung zum

11

Vgl. Dormer 1997, S. 139

Objekt ist, wie bereits erwähnt, meiner Meinung nach

12

Vgl. Dormer 1997, S. 140

wünschenswert.

13

Vgl. Dormer 1997, S. 147

Auch partizipatorische Aspekte in der Schmuckge­

14

Vgl. Dormer 1997, S. 139

schen, also den Gestalter oder die Gestalterin in einem

15

Vgl. Shillito 2013, S. 9

Objekt wahrzunehmen, diese schon genannte Bezie­

16

Vgl. Dormer 1997, S. 139

hung zwischen dem Träger und dem Objekt positiv unter-

17

Vgl. Pye 2015, S. 25

stützen kann. Digital Craft, die gelungene Verschmel­

18

Vgl. Sennet 2013, S. 33

zung von Mensch und Maschine, hat demnach für

19

Vgl. Webseite Freeform,

20

Vgl. Webseite Weidenbach Silvia,

Ich bin überzeugt, dass die Möglichkeit, den Men­

3D Druck, Geschichte

Schmuck einen besonders hohen Stellenwert im Vergleich zu industriell angefertigtem Schmuck.

Interview II

Ich vermute in der handwerklichen Herangehens­ weise an digitale Technologien, also in Digital Craft, noch

21

Vgl. Shillito 2013, S. 9

sehr viel mehr Potenzial. Eventuell ist das konventio­

22

Vgl. Shillito 2013, S. 22

nelle Einsetzen der digitalen Hilfsmittel schon relativ gut

23

Vgl. Webseite FutureFactories

erforscht. Die unkonventionelle Handhabung oder un­

24

Vgl. Shillito 2013, S. 113

erwartete Kombinationen lassen sicherlich noch viel Frei­-

25

Vgl. Webseite Dezeen, Dean Lionel

raum für Neues. 26

Vgl. Shillito 2013, S. 18

27

Vgl. Webseite 3D System, Haptischer Arm

28

Vgl. Webseite Weidenbach Silvia, Interviw III

29

V gl. Webseite Weidenbach Silvia, Interview III

28

29

30

Vgl. Shillito 2013, S. 42

31

Vgl. Webseite Mac Lachlan Lynne

32

Vgl. Shillito 2013, S. 42

33

Vgl. Webseite Mac Lachlan Lynne

34

Vgl. Webseite Mac Lachlan Lynne

35

Vgl. Webseite Weidenbach Silvia, Interview I

36

Vgl. Shillito 2013, S. 92

37

Vgl. Sennet 2013, S. 260


Abb. 1 Lionel Dean, Icon, 2008, Anhänger in Titan (verschiedene Ausführungen)

30

31

Abb. 2 Lionel Dean, Heartbeat, 2015, Anhänger in Gelbgold 750


32

33

Abb. 3 Silvia Weidenbach, Moonlife, 2012, Anhänger in Nylon mit Seidenkordel


34

35

Abb. 4 Silvia Weidenbach, Rorschachburst, 2014, Anhänger in Nylon und Metall mit Seidenkordel


Abb. 5 Silvia Weidenbach, Granny‘s Chips, 2015, Brosche in Nylon, Metall und Stein

36

37


38

39

Abb. 6 Lynne Mac Lachlan, Phase Neckpiece, 2015, Collier in Nylon mit Swarovski Kristallen


Abb. 7 Lynne Mac Lachlan, Phase Bangle, 2015, Bracelet in Nylon

40

41

Abb. 8 Lynne Mac Lachlan, Performance Piece I, 2018, Schmuckobjekt in Nylon


Abb. 9 Lynne Mac Lachlan, Performance Piece II, 2018, Schmuckobjekt in Nylon

42

43

Abb. 10 Lynne Mac Lachlan, Performance Piece III, 2018, Schmuckobjekt in Nylon


3


Abschliessend möchte ich auf das Zusammenspiel von Mensch und Maschine und das damit einhergehende Verfliessen von Prozessen eingehen. Zu Beginn der Arbeit habe ich mir die Frage gestellt, ob man Digital Craft mit Acheiropoíeta vergleichen kann? Acheiropoíeta ist griechisch für «nicht von Hand gemacht», basierend auf der byzantinischen Kunst und Bezug nehmend auf die christliche Vorstellung der vom Himmel herabgeworfenen Götterbilder. 38 Diese Frage kann ich dank der Erkenntnisse aus dieser Arbeit mit einem klaren «Nein» beantworten. In der Disziplin Digital Craft hat der Mensch eine zentrale Funktion inne. Wie bereits erwähnt, scheint das Wortpaar Digital Craft im ersten Moment konträr zu funktionieren. Mir wurde dank der Herleitung über das Handwerk klar, wie viel Hand und somit Mensch tat­ sächlich in Digital Craft steckt. Der Mensch wird in Digital Craft keinesfalls von der Maschine dominiert. Im Gegenteil, digitale Technologie hat in Digital Craft die Funktion eines Werkzeugs, das vom Mensch geführt werden muss. Mensch und Maschine sollten also im Einklang funktionieren. Um es mit Malcolm Mc Culloughs Worten zu sagen: «The quality of the outcome will depend less on the technology than on those of us who master it.» 39 Dank dieser theoretischen Auseinandersetzung ist mir bewusst geworden, dass sich die Grenzen von digital und analog, von handgemacht und maschinell hergestellt und auch von Entwurf und Umsetzung in meiner Wahrnehmung immer mehr vermischen. Digital Craft ist das perfekte Beispiel für eine erfolgreiche Symbiose von analog und digital. Es ist kaum mehr möglich, klare Grenzen zu ziehen. Eines könnte ohne das andere nicht funktionieren. Es ist nicht Entweder-Oder, es ist die gute Mischung, die das grosse Potenzial birgt. Ähnlich wie sich in meiner Wahrnehmung das Analoge und das Digitale vermischen, verfliessen auch die Pro­ zesse des Entwurfs, der Gestaltung des Konzeptes und

46

47

der Umsetzung immer mehr. In meinem Beruf als tradi­ tionelle Goldschmiedin bin ich es gewohnt, nach dem klar unterteilten Modell des Entwurfs und der Umsetzung


zu arbeiten. Je länger je mehr realisiere ich, dass diese Prozesse nicht nacheinander stattfinden müssen und unter anderem dank oder wegen digitalen Technologien nicht mehr eindeutig voneinander trennbar sind. Ich glaube, dass wenn sich die Entwurfs- , Gestaltungs- , Konzept- und Umsetzungsphasen vermischen dürfen, dies ein Zeichen dafür ist, dass man sich offen, viel­ leicht experimentell oder unkonventionell und nicht rein denkerisch auf einen Prozess einlassen kann. Diese sehr freie und offene Herangehensweise an Prozesse kann meiner Meinung nach der Nährboden für Uner­ wartetes sein und zu spannenden Ergebnissen führen. Ich hoffe, diese Erkenntnisse in meine künstlerisch-­ gestalterische Bachelorarbeit einfliessen lassen zu können. Meine praktische Arbeit besteht aus einer Aus­einandersetzung mit unkonventionellen Prozessen in der Schmuckgestaltung. Diese Prozesse sollen ganz­ heitlich funktionieren, im Objekt nachvollziehbar sein und partizipatorische Aspekte beinhalten. Inwiefern sich Analoges und Digitales vermischen wird, weiss ich noch nicht. Wenn es sich nicht für diese Arbeit ergibt, dann wird es mich sicherlich in zukünftigen Arbeiten begleiten. Denn das Potenzial, das Digital Craft in Schmuckdesign birgt, möchte ich nicht unausgeschöpft lassen.

38

48

49

Vgl. Webseite Educalingo, Acheiropoíeta

39

Mc Cullough 1996


4


4.1 Literaturverzeichnis, gedruckte Medien Adamson 2017 «Thinking Through Craft» Glenn Adamson Bloomsbury, London, 2017 Dormer 1997

« The Culture of Craft» Peter Dormer Manchester University Press, Manchester, 1997

Johnston 2015 «Digital Handmade – Craftmanship in the New Industrial Revolution» Lucy Johnston Thames & Hudson Ltd., London, 2015 Pye 2015 «The Nature and Art of Workmanship» [1968] David Pye Bloomsbury, New York, 2015 Sennet 2013 «Handwerk» [2008] Richard Sennet Berlin Verlag, Berlin, 2013 Shillito 2013 «Digital Crafts – Industrial Technologies for applied Artists and Designer Makers» Ann Marie Shillito Bloomsbury, London, 2013 Mc Cullough 1996 «Abstracting Craft – The Practiced Digital Hand» Malcolm Mc Cullough MIT Press, Cambridge, 1996

52

53


4.2 Nachweis von Webseiten 3D System, Haptischer Arm

Weidenbach Silvia, Interview I

de.3dsystems.com/haptics-­

www.vimeo.com/80552655

devices/touch (Abrufdatum, 17. April 2019) Dezeen, Dean Lionel www.dezeen.com/2015/09/ 08/3d-printed-gold-

v=P7a5E5Qf6_A (Abrufdatum, 2. April 2019) Weidenbach Silvia, Interview III

industry-lionel-t-dean/

www.youtube.com/watch?

(Abrufdatum, 3. April 2019) www.duden.de/suchen/ dudenonline/handwerk (Abrufdatum, 26. März 2019) Educalingo, Acheiropoíeta www.educalingo.com/de/ dic-de/acheiropoieton (Abrufdatum, 4. April 2019) Freeform, 3D Druck, Geschichte www.freeform4u.de/3ddruck-shop/ueber-3ddruck/3d-druck-geschichte (Abrufdatum, 4. April 2019) Futurefactories, Dean Lionel www.futurefactories.com (Abrufdatum, 3. April 2019) Mac Lachlan Lynne www.lynnemaclachlan.co.uk/ pages/about-us (Abrufdatum, 3. April 2019) Weidenbach Silvia www.silviaweidenbach.com (Abrufdatum, 1. April 2019)

55

www.youtube.com/watch?

jewellery-­18-carat-reshape-

Duden, Handwerk

54

(Abrufdatum, 2. April 2019) Weidenbach Silvia, Interview II

v=7UgN0AOa1iM (Abrufdatum, 2. April 2019)


5


Abb. 1 Lionel Dean, Icon, 2008 Anhänger in Titan (verschiedene Ausführungen), Fotografie von Lionel Dean persönlich per Email zur Verfügung gestellt am 25. April 2019 Abb. 2 Lionel Dean, Heartbeat, 2015 Anhänger in Gelbgold 750, www.architecturaldigest.com/ gallery/gold-3-d-printing-jewelry (Abrufdatum, 17. April 2019) Abb. 3 Silvia Weidenbach, Moonlife, 2012 Anhänger in Nylon mit Seidenkordel, www.silviaweidenbach.com (Abrufdatum, 2. April 2019) Abb. 4 Silvia Weidenbach, Rorschachburst, 2014 Anhänger in Nylon und Metall mit Seidenkordel, www.silviaweidenbach.com (Abrufdatum, 2. April 2019) Abb. 5 Silvia Weidenbach, Granny‘s Chips, 2015 Brosche in Nylon, Metall und Stein, www.silviaweidenbach.com (Abrufdatum, 2. April 2019) Abb. 6 Lynne Mac Lachlan, Phase Neckpiece, 2015 Collier in Nylon mit Swarovski Kristallen, www.lynnemaclachlan.co.uk/blogs/projects/8039163-­­phasejewellery (Abrufdatum, 3. April 2019) Abb. 7 Lynne Mac Lachlan, Phase Bangle, 2015 Bracelet in Nylon, www.lynnemaclachlan.co.uk/blogs/projects/ 8039163-phase-jewellery (Abrufdatum, 3. April 2019) Abb. 8 Lynne Mac Lachlan, Performance Piece I, 2018 Schmuckobjekt in Nylon, www.lynnemaclachlan.co.uk/blogs/ projects/performance-pieces (Abrufdatum, 3. April 2019) Abb. 9 Lynne Mac Lachlan, Performance Piece II, 2018 Schmuckobjekt in Nylon, www.lynnemaclachlan.co.uk/blogs/ projects/performance-pieces (Abrufdatum, 3. April 2019) Abb. 10 Lynne Mac Lachlan, Performance Piece III, 2018 Schmuckobjekt in Nylon, www.lynnemaclachlan.co.uk/blogs/ projects/performance-pieces (Abrufdatum, 3. April 2019)

58

59


6


Lauterkeitserklärung Diese Lauterkeitserklärung ist zusammen mit schriftlichen Leistungsnachweisen einzureichen, insbesondere zu­sammen mit der Seminararbeit und der schriftlichen Bachelor-­ Arbeit. Ich erkläre, dass es sich bei dem eingereichten Text mit dem Titel Von Menschen und Maschinen Eine Untersuchung von Digital Craft anhand aktueller Praxisarbeiten im Schmuckdesign um eine von mir und ohne unerlaubte Beihilfe in eigenen Worten verfasste Arbeit handelt. Ich bestätige, dass die Arbeit in keinem ihrer wesentlichen Bestandteile bereits anderweitig zur Erbringung von Studienleistungen eingereicht worden ist.

Sämtliche Bezugnahmen auf in der oben genannten Arbeit

enthaltene Quellen sind deutlich als solche gekenn­zeichnet. Ich habe bei Übernahmen von Aussagen anderer Autorinnen und Autoren sowohl in wörtlich übernommenen Aussagen (= Zitate) als auch in anderen Wiedergaben (= Paraphrasen) stets die Urheberschaft nachgewiesen.

Ich nehme zur Kenntnis, dass Arbeiten, denen das Gegen-

teil nachweisbar ist – insbesondere, indem sie Textteile anderer Autoren ohne entsprechenden Nachweis enthalten – als Plagiate im Sinne der Aufnahme- und Prüfungsordnung der Hochschule Luzern (Art. 24) betrachtet und mit rechtlichen und disziplinarischen Konsequenzen geahndet werden können.

Name

Matrikelnummer

Salome Bruggisser

16-487-977

Datum

Unterschrift

6.5.2019

62

63


Dank

Impressum

All den Menschen, die mich im

Autorin

Rahmen dieser Arbeit in irgendeiner

Salome Bruggisser

Weise unterstützt haben, soll an

Studiengang XS Schmuck

dieser Stelle herzlich gedankt sein. Adresse Danke an Mónica Gaspar für die

Museggstrasse 16

wegweisende Unterstützung und die

6004 Luzern

wertvollen inhaltlichen Inputs. Kontakt Danke an Olivier Bucher und Marcel

+41 076 308 84 00

Backscheider für die erfolgreiche

mail@salomebruggisser.ch

grafische Umsetzung.

www.salomebruggisser.ch

Danke an Pia und Christoph

Mentorat

Bruggisser und Yuri Maurer für den

Mónica Gaspar

sorgfältigen, sprachlichen Feinschliff.

Expertin Julia Wild

Danke an meine Familie und meine Freunde für die anregenden Ge-

Layout

spräche und die moralische Unter-

Marcel Backscheider

stützung.

Olivier Bucher Abgabetermin 6. Mai 2019 Zeichenzahl mit Leerzeichen 36‘165 © Salome Bruggisser 2019

64

65



VON MENSCHEN UND MASCHINEN


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