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Dinge und Geschichten Wie Objekte wichtig werden
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Dinge und Geschichten Wie Objekte wichtig werden Theoretische Bachelorarbeit Melanie Burkhard
Hochschule Luzern Design und Kust XS Schmuck Betreuerin
Expertin
Monica Gaspar
Julia Wild
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ÂŤWe owe it to each other to tell storiesÂť Neil Gaiman
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I Dinge
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II Geschichten
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III Eine These über das «Mehr»
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IV Fetische
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V Persönliche Objekte
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VI Evokative Objekte
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VII Was hat das mit Geschichten zu tun?
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VIII Schlussbetrachtung
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Bibliografie 32 Lauterkeitserklärung 35 Index 37
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Inhalt
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Seit es Menschen gibt, gibt es Objekte. Und seit es Objekte, gemachte und gefundene Gegenstände, gibt, gibt es Dinge, die «mehr» als nur ihre physische Form sind. Dinge, die eine Essenz besitzen, die über ihre Materialität und ihren praktischen Nutzen hinausgeht und ihnen einen besonderen Status verleiht. Dieses «Mehr» der Dinge ist für uns in einer aufgeklärten Gesellschaft eine sehr ungemütliche und schwer anzuerkennende Tatsache.1 Wir wissen, dass Dinge ganz klar in die Kategorie der Objekte, nicht in die der handlungsbefähigten Subjekte gehören und trotzdem ertappen wir uns selbst immer wieder dabei, dass wir den Objekten eine Macht und Wirkung zusprechen, die wir mit unserem rationalen Denken nicht erklären können. Wir wissen zwar, dass Objekte unbelebt sind und keine eigene Handlungsmacht haben, schreiben ihnen aber gleichzeitig trotzdem eine Macht, die sie dazu befähigt auf uns Menschen einzuwirken. Dinge sind dann nicht mehr «nur» unbelebte Materie, sondern können aus sich heraus handeln und Einfluss auf uns nehmen.2 Hartmut Böhme verwendet als Beispiel für solches irrationales Verhalten, in seinem Buch Fetischismus und Kultur, die Geschichte eines Mannes, der ein Hufeisen über seiner Tür hängen hat. Der Besitzer glaubt zwar eigentlich nicht an dessen Wirkung, schickt dann aber paradoxerweise den Satz hinterher, dass es ja angeblich auch nützen soll, wenn man nicht an die Wirkung glaubt.3 In dieser widersprüchlichen Aussage lässt sich unsere zwiespältige Beziehung zu Objekten sehr gut zusammenfassen. Wir wissen einerseits, dass die Dinge einfach sie selbst sind und keine autonomen Handlungen ausführen können, andererseits haben wir einen so tief verwurzelten Glauben an eine ihnen innewohnende Kraft, dass diese 1 Turkle 2007a, S. 6. 2 Dörrenbächer 2016, S. 9-10. 3 Böhme 32012, S. 13-14.
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I Dinge
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sogar wirken wird, ohne dass unser aktives Vertrauen in sie erforderlich wäre. Über die Wichtigkeit, die Dinge für uns haben, die über ihren materiellen Nutzen hinaus geht und ihre nicht ganz fassbare Verbindung zu den immateriellen Ebenen unserer Existenz, gibt es eine fast unerschöpfliche Fülle von Texten, aus verschiedenen Forschungsbereichen wie der Anthropologie, den Religionswissenschaften, der Soziologie und den Designtheoretischen Texten. Besonders erwähnenswert sind hier verschiedene Aufsätze sowie das Buch von Hartmut Böhme, Fetischismus und Kultur, das 2006 erschienen ist und die europäische Beziehung zu Fetischen und ihre Bedeutung in einer zunehmend rationalisierten Welt untersucht.4
Zu der Bedeutung die Objekte in sehr persönlichen Beziehungen zu einzelnen Menschen haben können, ist das Buch Geliebte Objekte von Tilmann Habermas zu erwähnen, sowie auch sein Aufsatz ‘Diamonds Are a Girl’s Best Friend’, der 2011 im Sammelband ThinkingJewellery erschienen ist und den Fokus vor allem auf Schmuck als persönliche Objekte legt. Im selben Buch wurde auch der Aufsatz The Magic Object in Modernism von Viola Altrichter publiziert. Darin beschreibt die Autorin die mentalen Strukturen, die dazu führen, dass Menschen Dingen und Handlungen zusätzliche Macht und Bedeutung zuschreiben. Eine weitere Publikation, die die persönlichen Beziehungen zwischen Menschen und ihren Dingen genauer beleuchtet, ist Evocative Objects. Things We Think With, die von Sherry Turkle 2007 herausgegeben wurde. Für einen Blick auf aufgeladene Objekte aus der Perspektive des Designs kann man hier den Sammelband Beseelte Dinge. Design aus der Perspektive des Animismus nennen der 2016 von Judith Dörrenbächer und Kerstin Plüm herausgegeben wurde.
4 Einen ähnlichen Ansatz wie Böhme verfolgt auch das Buch von Karl-Heinz Kohl, Die Macht der Dinge, München 2003, das aber in dieser Arbeit nicht verwendet wird.
der Spur sind. Es geht in den Texten um die nicht ganz fassbare Komponente, die allen besonderen Objekten eigen ist und die sie über normale Gebrauchsund Alltagsgegenstände hinaus besonders macht und die nicht (oder zumindest nicht nur) in ihrer Materialität liegt. Dieses schwer Fassbare, dass all diese Objekte gemeinsam haben, soll hier im Weiteren als das «Mehr» in den Dingen bezeichnet werden und genau diesem soll in dieser Arbeit nachgegangen werden.
5 Als besondere Objekte werden in diese Arbeit alle Objekte bezeichnet, die für mindestens eine Person eine Bedeutung und Wichtigkeit haben, die über ihren praktischen Nutzen und ihre Materialität hinaus geht.
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Trotz ihrer unterschiedlichen Herangehensweisen und Themenschwerpunkten verbindet alle diese Texte, dass sie der nur schwer fassbaren Beziehung des Menschen zu seinen besonderen Objekten5 auf
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Wie kommt das «Mehr» in die Dinge? Wie kann es unbelebten Materialien so viel Einfluss verleihen? Und was verankert dieses «Mehr» so stark in den Objekten und in unserem Bewusstsein, dass sogar unsere rationalen Gegenargumente diese unerklärliche Ebene der Dinge nicht ganz auslöschen können?6
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Altrichter 2011, S.136-137.
Bevor das «Mehr» der Dinge genauer betrachtet werden kann, muss aber die Rolle, die Geschichten in unserem Leben spielen angesprochen werden. Geschichten haben Macht über uns. Seit es Menschen gibt, erzählen wir uns Geschichten über die Welt, um sie uns selbst zu erklären. Wir gestalten mit ihnen unsere Umwelt und machen sie so für uns begreifbar und verständlich. Erst Geschichten ermöglichen es, Ereignisse in eine Form zu bringen und in einen Zusammenhang zu setzen. Durch diesen Prozess, und durch das Weitererzählen von Geschichten ist es uns möglich uns an Ereignisse zu erinnern und unsere Weltbilder zu teilen. Wir erzählen aber nicht nur Geschichten über Begebenheiten, die in der äusseren Welt geschehen, sondern auch unser Selbst ist eine Geschichte, die wir uns selbst und anderen erzählen. Das Ich, das durch diese Geschichte kreiert wird, setzt sich aus unseren Erinnerungen, Hoffnungen und Vorstellungen für die Zukunft zusammen. Das gegenwärtige Ich in der Erzählung wird von diesem Narrativ zusammengehalten, dass eine gedankliche Einheit mit der eigenen Vergangenheit und einer imaginierten Zukunft ermöglicht.7 Wie bei den Dingen auch, wissen wir rational betrachtet, dass diese Erzählungen nur Worte sind, die wir in eine bestimmte Reihenfolge gebracht haben und wenn wir gefragt werden, ob wir an die Wichtigkeit von Geschichten glauben, werden wir im ersten Moment bestreiten, dass sie einen Einfluss auf uns haben. Trotzdem gibt es Geschichten, die zu mehr werden als einer blossen Erzählung; Geschichten, die uns verändern und ein Teil von uns werden. Wir verinnerlichen ihre Figuren, die manchmal wir selbst sind, und machen die darin erteilten Lektionen zu einem Teil von uns.8 7 8
Kearney 2002, S. 3-5. Über die Macht und Wichtigkeit von Geschichten und Mythen schreibt
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II Geschichten
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Der enge Zusammenhang, der zwischen Geschichten und Objekten besteht, ist nicht sofort ersichtlich. Bei einer flüchtigen Betrachtung scheinen sie auf völlig anderen Ebenen zu existieren; Objekte als materielle Dinge, Geschichten als Immaterielle. Das ist aber nur bei einer oberflächlichen Betrachtung der Fall. Dinge sind, wie bereits in Kapitel I ausgeführt, oft mit einer zusätzlichen Qualität erfüllt, die über ihre physischen Eigenschaften hinaus geht. Als Gegenstück dazu haben Geschichten oft Konsequenzen in der physischen Welt.9 Objekte und Geschichten haben aber nicht nur Überschneidungspunkte in ihren jeweiligen Existenzebenen, sondern sind vielmehr auf einer grundlegenden Basis untrennbar miteinander verknüpft.
der Schriftsteller Neil Gaiman in seinem Text Reflections on Myth (with Digressions into Gardening, Comics, and Fairy Tales) und auch darüber, wie ungern wir auf einer emotionalen Ebene mit dieser Tatsache interagieren, siehe Gaiman 1999. Auch im Aufsatz The Magic Object in Modernism von Viola Altrichter wird auf die Funktion von Geschichten als Struktur für ein besseres Verständnis der Welt verweisen, siehe Altrichter 2011. 9 Man denke nur an religiöse Symbole, die Menschen als Schmuck oder Tätowierung tragen und die als eine physische Folge von Geschichten verstanden werden können.
Objekte können mit verschiedenen Bedeutungen aufgeladen sein. Sie können eine besondere Bedeutung haben, weil sie im Kontext einer Religion wichtig sind, weil sie als Glücksbringer fungieren oder weil ein persönlicher oder historischer Bezug zu ihnen vorhanden ist. Aber unabhängig davon ob sie nun magisch, religiös, geschichtlich oder auf einer rein persönlichen Ebene konnotiert sind, gibt es ein verbindendes Element, ein «Mehr» als nur die physische Form der Objekte, das sie besonders macht und das in all diesen Objekten vorhanden ist. Im Folgenden soll hier die These vertreten werden, dass dieses «Mehr» in den Dingen die Schnittstelle zwischen Objekten und Geschichten darstellt. Das was diese Dinge besonders macht, sind nämlich keine ungreifbaren, unsichtbaren Mächte, die in die Dinge gefüllt werden, sondern es sind Geschichten, die wir uns unter Zuhilfenahme von Gegenständen erzählen. Alle besonderen Objekte besitzen also eine Geschichte, die sich untrennbar mit dem jeweiligen Objekt verknüpft und ihm seine Bedeutung verleiht. Das «Mehr» der besonderen Dinge ist eine Verknüpfung, die zwischen Objekt und Geschichte entsteht, und die in diesem Zug beiden mehr Wichtigkeit und Kraft verleiht. Den Geschichten gibt sie eine physische Form und den Objekten die Möglichkeit mehr zu sein als ihr Material und ihre Funktion. Diese besonderen Dinge werden so zu physischen Gefässen und Repräsentationen von Geschichten. Oder einfacher gesagt, bedeutungsvolle Objekte sind zu Material geronnene Geschichten. Um Belege für diese These zu finden sollen im weiteren Verlauf dieser Arbeit verschiedene Theorien, die sich mit der Entstehung und der Wirkungsweise von besonderen Objekten auseinandersetzen analysiert werden. Die Ansätze, die dabei untersucht werden, sind Hartmut Böhmes Theorien über den Fetischismus und die Fetische der Moderne, Tilmann Habermas
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III Eine These über das «Mehr»
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Studie zu geliebten Objekten, als Hilfsmittel zur Identitätsbildung und als dritte Position die Überlegungen zu evokativen Objekten von Sherry Turkle. Der Fokus dieser Betrachtung liegt dabei auf der Rolle, die Geschichten in den jeweiligen Erklärungsansätzen einnehmen und ob sich durch diese die These, dass Geschichten das «Mehr» in besonderen Objekten sind bestärken lässt.
Der Frage, was ein Fetisch in unserer Gesellschaft genau bedeutet und weshalb sie heute noch heute existieren, geht der Kulturwissenschaftler Hartmut Böhme in seinem Buch Fetischismus und Kultur, sowie in verschiedenen Aufsätzen zu Fetischen nach. In seinem Buch betrachtet er die europäische Geschichte der Moderne und untersucht die historische Entwicklung des Begriffs und des Fetischs als Objekt selbst unter verschiedenen Aspekten. Böhme beginnt seine historische Herleitung mit der ersten Verwendung des Wortes Fetisch im 16. Jahrhundert, wo es von europäischen Missionaren und Händlern als Begriff für nicht ganz verstandene und als heidnisch wahrgenommene religiöse und magische Praktiken von afrikanischen Stämmen verwendet wurde. Von da zeichnet er die Entwicklung des Konzeptes Fetisch in Europa nach, welches im Rahmen von Forschungsrichtungen wie den Religionswissenschaften und der Ethnologie immer weitere Verbreitung erfuhr. Im 18. und 19. Jahrhundert entwickelte sich die Erkenntnis, dass der Fetischismus nicht nur in «primitiven» Kulturen verbreitet, sondern auch in Europa selbst anzutreffen ist.10 Böhme erklärt wie das 19. Jahrhundert mit seinem sprunghaften Anstieg an verfügbaren Konsumgütern zu einem Zeitalter der Dinge wurde und wie mit der Fülle an Kulturobjekten auch der Warenfetischismus an Wichtigkeit gewann. Diese Konsumgüter waren und sind, wie auch herkömmliche Fetische, immer noch mit Wünschen und Fantasien der Menschen aufgeladen. Der dadurch entstandene Konsum-Fetischismus durchlief im Europa des 19. und 20. Jahrhunderts eine sagenhafte Karriere, weil er eine Kehrseite der 10 Böhme 32012, S. 178-184. Zur Geschichte des Fetischs im Religiösen Kontext siehe besonders Böhme 32012, Kapitel 2, Fetischismus in Religion und Ethnographie, S.155-282.
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IV Fetische
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«Gesellschaft der Dinge» darstellte.11 Aber Böhme gibt nicht nur einen historischen Überblick über die Entwicklung des Fetischs in der europäischen Geschichte, sondern versucht auch unsere zwiespältige Beziehung zu Objekten zu erklären. Der Fetischismus ist für Böhme grundlegend in unserem Mensch-Ding-Verhältnis angelegt, da wir für unsere Konstruktion des Ichs, die Dinge benötigen. Sie greifen ordnend in unser Selbst ein und stabilisieren uns durch diese Eingriffe in unser Ich-Gefüge. Dinge geben unserem Selbstverständnis einen Rahmen und ohne sie würde unser Selbst zerfallen.12 Dem entsprechend sind sie
auch nie nur Gebrauchsgegenstände, sondern haben immer an einer «kulturellen Mehrdimensionalität» teil, die sich nicht einfach in Materialität und kulturellen Kontext einteilen lässt.13 Ein Fetisch zeichnet sich nach Böhme dadurch aus, dass er immer zwei Elemente beinhaltet; zum einen die Macht oder Wirkung und zum anderen das materielle Objekt selber, das als Gefäss oder Wohnung für die Wirkmacht des Fetischs dient. Diese Kraft ist dem Fetisch aber in der Regel nicht inhärent, sondern muss, mittels verschiedener Rituale und Handlungen durch dazu befähigten Experten in das Objekt gebracht werden. Ein Fetisch ist also immer die Verbindung zwischen einem künstlichen Ding und einer dynamischen Kraft. Der Fetisch macht die Wirkungsmacht, die in ihm angesiedelt ist, erfassbar, und ermöglicht es dadurch auf sie einzuwirken und sie zu nutzen.14 Fetische sind demnach immer zugleich gefertigte und nicht gefertigte Objekte, die aus Materie zum einen und Projektionen, Wünschen und Zeichen zum anderen gemacht sind. In einem Fetisch ist also jeweils auch das Undurchschaubare, das Ungreifbare präsent.15 11 Böhme 2014, S. 31-32. 12 Böhme 32012, S. 94-95. 13 Ebd., S.104-106. 14 Ebd., S.187-188. 15 Böhme 2014, S. 38-39.
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Ebd., S. 31-32.
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Die Dinge sind im Verlauf des 19. Jahrhunderts zwar zu Konsumgütern geworden; sie haben aber ihren Zauber deswegen nicht zwangsläufig verloren. Noch immer sind sie mit Wünschen und Fantasien, mit einer dynamischen Macht aufgeladen. Sie gehen auch heute nicht alleine in ihrem «Zeug sein» auf, sondern werden weiterhin mit Gefühlen und Bedeutung belegt, eine nicht physische Ebene der Dinge, die sehr viel flexibler und vielschichtiger ist als ihre reine Funktion. Die Spannung, die unser heutiges Verhältnis zu den Dingen prägt, besteht genau darin, dass in den Objekten sowohl die funktionalistische Logik wie auch die nicht materielle Aufladung präsent ist, die ihren Fetischcharakter bis heute bewahrt.16
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V Persönliche Objekte In seinem Buch Geliebte Objekte. Symbole und Instrumente der Identitätsbildung schreibt Tilmann Habermas über das Konzept der persönlichen Objekte und darüber, welche Bedeutung sie in unserem Leben haben. Er geht das Phänomen der persönlichen Objekte aus der Perspektive der Psychologie an und versucht sich diesem von unterschiedlichen Standpunkten zu nähern. Zuerst wird der Fokus auf die Beziehung zwischen Objekt und Person gelegt und darauf wie Dinge das Selbsterleben von Personen verändern können. Anschliessend wird der Privatraum im Bezug zum Individuum und die Beziehungen von Personen zu ihrer räumlichen Umwelt betrachtet. Darauf folgt eine Untersuchung der symbolischen Beziehungen zwischen den Menschen und den Objekten. Diese werden in drei verschiedene Kategorien, das öffentliche Kommunizieren von Identität, die privaten Auseinandersetzung mit sich selbst und die Funktion des Erinnerns, eingeteilt. Danach untersucht Habermas persönliche Objekte in Beziehungen auf andere Menschen und vergleicht Mensch-Ding Beziehungen mit zwischenmenschlichen Beziehungen. Zum Schluss wird eine Zusammenfassung der vorher untersuchten Teilaspekte von Mensch-Ding Beziehungen gemacht und versucht eine Definition des Begriffs „persönliches Objekt“ anhand der zuvor erarbeiteten Teilbereiche zu finden.17 Persönliche Objekte müssen verschiedene Kriterien erfüllen. Sie sind meist handlich und leicht transportierbar und fast immer kulturelle Objekte, also menschlich geschaffene Artefakte, sowie individualisierte Dinge, die eine gemeinsame Geschichte mit dem jeweiligen Besitzer haben. Sie müssen von der jeweiligen Person als ihr selbst zugehörig empfunden werden und eine emotionale und kognitive Reaktion bei dieser hervorrufen. Dabei ist nicht die Häufigkeit entscheidend, mit der sich die jeweilige Person 17
Habermas 1999, S. 25-27.
Persönliche Objekte erfüllen primär eine vermittelnde Funktion zwischen der Person und ihrer Umwelt, die sich auf verschiedene Arten zeigt. Sie vermitteln zwischen dem Individuum und seiner jeweiligen Kultur. Diese vermittelnde Rolle können Dinge übernehmen, da sie als gemachte Objekte bereits über eine Bedeutung verfügen und diese durch ihre Benutzung an ihren jeweiligen Benutzer beziehungsweise Besitzer weitergeben. Sie integrieren dadurch eine Person in eine gemeinsame Geschichte und geben ihnen zugleich eine Rolle in dieser. Die privaten Bedeutungen von persönlichen Objekten gehen immer von den bereits vorhandenen kulturellen Bedeutungen aus, die die Objekte in sich tragen und verankern daher die kulturellen Deutungsmuster, Regeln und Motive in der jeweiligen Person, da diese bereits in den Objekten angesiedelt sind.19 Sie können zudem auch zwischen verschiedenen Individuen vermitteln, besonders zwischen sich nahestehenden Personen. Persönliche Objekte können an andere Menschen erinnern und so die Beziehung präsent halten oder die andere Person symbolisch vertreten. Zudem können persönliche Objekte zwischen einer Person und ihren inneren Empfindungen vermitteln; sie können ausgleichen, trösten und Sicherheit geben. Sie vermitteln auch zwischen verschiedenen Orten und Zeitebenen, da in einem Ding Vergangenes wieder präsent gemacht werden kann und sie symbolische Brücken zu anderen Orten schlagen 18 Ebd., S. 494-497. 19 Ebd., S. 497-500. Die Funktionen, die Habermas hier den persönlichen Objekten zuspricht decken sich in weiten Teilen mit denen, die Sherry Turkle den evokativen Objekten zuschreibt, siehe Turkle 2007b.
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mit dem Objekt beschäftigt, sondern die subjektiv wahrgenommene Bedeutsamkeit. Ihre Wichtigkeit und Bedeutung für die Person hängt nicht von ihrem materiellen Wert ab. Persönliche Objekte sind vertraute Dinge, mit denen man reibungslos interagieren kann. Sie haben eine ganz spezifische individuelle Beziehung zu der jeweiligen Person und für diese eine persönliche Bedeutung, die nicht mit vielen Menschen geteilt wird.18
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können.20 Der Vorteil, den Objekte in solchen vermittelnden Rollen gegenüber sprachlichen Zeichen haben, ist dass sie zwar bedeutungsoffener sind, zugleich aber die in ihnen konservierten Mitteilungen über längere Zeiträume stabiler transportieren können. Objekte sind haltbar und auch wenn wir sie als uns zugehörig, also als persönliche Objekte, wahrnehmen, bleiben sie immer Teil einer von uns abgegrenzten Umwelt. Sie verweisen so auch immer über das einzelne Individuum hinaus, sind aber zugleich im Jetzt präsent und dadurch gegenwärtig.21
20 21
Habermas 1999, S. 500-501. Ebd., S. 507-509.
Das Buch Evocative Objects. Thing We Think with, der Soziologin Sherry Turkle beschäftigt sich mit den Objekten um uns herum, die integraler Bestandteil unseres intellektuellen und emotionalen Lebens sind. Die Beziehung, die wir zu solchen Objekten haben, charakterisiert sie als eine uns eher fremde Weise mit Objekten um zu gehen, da wir normalerweise eher daran gewohnt sind Dinge anhand ihrer Nützlichkeit oder ihrer ästhetischen Aspekte zu beurteilen und weniger in Hinsicht auf unsere emotionale Beziehung zu ihnen. Der Grossteil des Buches besteht aus einer Sammlung von 34 Essays, die Wissenschaftler, Geisteswissenschaftler, Künstler und Designer über für sie bedeutende Objekte, geschrieben haben. Gerahmt werden diese autobiografischen Texte von einer Einführung und einem abschliessenden Aufsatz von Sherry Turkle, die in das Thema einführen. In allen Texten liegt der Fokus auf den emotionalen und intellektuellen Aspekten in unseren Dingbeziehungen und darauf warum diese Dinge für die jeweilige Person wichtig sind.22 Die Texte sind nach sechs Kategorien geordnet: 1. Objekte des Designs und des Spiels, 2. Objekte der Disziplin und des Begehrens, 3. Objekte der Geschichte und des Austauschs, 4. Objekte der Transition und des Übergangs, 5. Objekte der Trauer und der Erinnerung und zuletzt 6. Objekte der Meditation und der neuen Visionen.23 In ihrem abschliessenden Text, der sich an den in den Essays beschriebenen Mensch-Ding-Beziehungen orientiert, geht Sherry Turkle der Frage nach, was denn nun ein Ding zu einem evokativen Objekt, also einem Bedeutungsträger, macht. Die einzelnen Beispiele aus den Essays geben ihr dabei Hinweise für eine abstrahierte allgemeine Theorie, die uns dabei helfen soll zu begreifen, wie Objekte zu einem Teil unseres 22 23
Turkle 2007a, S. 5-8. Turkle 2007b.
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VI Evokative Objekte
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Innenlebens werden. Theorie und Objekte stehen also in einer konstanten Wechselwirkung, bei der die Theorie das Konkrete abstrahiert und allgemeingültiger macht, die Objekte aber die Theorie auch wieder gegenständlich und greifbar machen.24 Die verschiedenen Arten, wie
evokative Objekte entstehen, werden anschliessend innerhalb der jeweiligen Kategorien erklärt. So werden Objekte des Designs und des Spiels dadurch evokativ, dass sie uns beim Denken dessen Entwicklung unterstützen, dabei aber auch die emotionale Seite der Begeisterung mit einbinden. Diese Gegenstände helfen uns dabei Dinge zu begreifen und werden so Teil unseres Denkprozesses.25 Objekte der Disziplin und des Begehrens werden auf andere Weise evokativ. Dinge, die uns disziplinieren, formen und verändern unsere Art zu handeln. Solche Objekte werden in der Gesellschaft sehr schnell als «natürlich» angesehen und wir vergessen oft, dass sie nicht immer da waren, sondern unser Denken und Handeln auf eine bestimmte Weise geformt haben. Objekte der Disziplin und des Begehrens führen dazu, dass wir uns ihnen anpassen, und danach verlangen so zu sein, wie sie das von uns fordern und haben also einen starken Einfluss auf unser Verhalten. Sie sind aber spezifisch an ihre Zeit gebunden und können an Wichtigkeit auch wieder verlieren, wenn sich die Gesellschaft verändert.26 Objekte der Geschichte und des Austauschs sind dadurch evokativ, dass sie in soziale und / oder ökonomische Systeme eingebunden sind und diese Netzwerke auch in sich tragen und von ihnen animiert werden. So ist in solchen Dingen immer auch ihr ganzer Kontext präsent, der sie auflädt, und sie können nicht gesehen werden ohne, dass dieser mitschwingt. Spezifisch bei Objekten des Austauschs ist zudem auch der Schenker des Objektes immer im Gegenstand präsent. 24 Ebd., S. 307. Die Wechselwirkung, die Turkle zwischen Objekt und Theorie ausmacht, hat Ähnlichkeit mit der in dieser Arbeit vorgestellten Beziehung zwischen Dingen und Geschichten, siehe Kapitel VIII der vorliegenden Arbeit. 25 Ebd., S. 308-310. 26 Ebd., S.310-311.
zugleich Teil des Menschen und der Aussenwelt sind. Sie ermöglichen es einen Teil der äusseren Welt, die wir allgemein als abgetrennt von uns wahrnehmen, in uns hinein zu tragen und diese zu einem Teil von uns werden zu lassen.28 Objekte der Trauer und der Erinnerung sind mit dem Menschen assoziiert, dem sie zu seinen Lebzeiten zugehörig waren, und werden zu einem Platzhalter für den verlorenen Menschen. Erst wenn der interne Trauerprozess um diesen Menschen abgeschlossen wurde, wird es möglich sich von den Objekten zu lösen, die ihn repräsentieren. Diese Gegenstände können den Heilungsprozess unterstützen und ermöglichen oft erst den Zugang zu den Erinnerungen an die verstorbene Person und spielen daher bei der Trauerverarbeitung eine essenzielle Rolle.29 Die letzte Kategorie, die Turkle bearbeitet, sind Objekte der Meditation und der neuen Visionen; Dinge, die uns zum Nachdenken über Bekanntes anregen. Oft sind dies Objekte, die sich an der Grenze zwischen vertraut und fremdartig bewegen und so unsere Gedanken in neue Richtungen führen. Diese Objekte brechen unsere klare Einteilung der Welt in Ordnung und Unordnung auf und ermöglichen uns so durch Irritationen eine neue Sicht auf bekannte Tatsachen.30
27 28 29 30
Ebd., S. 312-313. Ebd., S. 313-317. Ebd., S. 317-319. Ebd., S. 319-323.
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Zugleich können diese Objekte auch historische und geografische Distanzen auflösen, Narrative brechen und zu subversiven Dingen werden, die althergebrachte Strukturen infrage stellen indem sie eine direkte Verbindung zu Ereignissen und Personen herstellen und diese gegenwärtig halten.27 Objekte der Transition und des Übergangs sind evokativ, da sie
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VII Was hat das mit Geschichten zu tun? Um eine Aussage darüber treffen zu können, welcher Zusammenhang zwischen Geschichten und den hier vorgestellten Theorien zu besonderen Objekten besteht, muss zuerst geklärt werden, was denn eigentlich eine Geschichte oder ein Narrativ genau ausmacht. Eine Geschichte ist etwas, das erzählt werden kann; sie ist aber nicht nur eine Aneinanderreihung von Ereignissen oder Gegebenheiten, sondern stellt sie in einen Zusammenhang und einen Kontext. Oder in anderen Worten: eine Geschichte ist der Vorgang in dem «jemand, jemandem etwas über etwas erzählt»31 Eine Geschichte ist das Ergebnis, das durch das Formen, Organisieren und Ausschmücken von Gegebenheiten geschieht. Dieser Prozess kann dabei auch nur durchgedacht werden und muss nicht linear sein. Oft beginnt er mit einer groben Idee wie die Geschichte strukturiert werden soll, sieht aber neue Zusammenhänge und Strukturen sobald das Narrativ einigermassen Form angenommen hat. Dieser Prozess des Strukturierens wird stark von der eigenen emotionalen Bewertung der Ereignisse beeinflusst und formt so die Geschichte mit.32 In den hier genauer betrachteten Theorien zu besonderen Objekten lassen sich trotz der verschiedenen Erklärungsansätze Gemeinsamkeiten finden. Es lässt sich klar sagen, dass nicht alle bedeutenden Objekte denselben Wirkungskreis haben, sondern sich in drei grobe, sich teilweise überschneidende, Kategorien einteilen lassen.33 Zum ersten sind das die Objekte, die eine Verbindung zwischen dem Individuum und der Gesellschaft oder Umwelt herstellen. Objekte, die dieser Kategorie angehören sind allgemein verständlich. 31 «someone telling something to someone about something», Kearney 2002, S. 5. 32 Goldie 2012, S. 2-13. 33 So könnten beispielsweise alle Objekte, die auf uns selbst verweisen auch in die Kategorie der Dinge, die zwischen Individuum und Kultur vermitteln eingeordnet werden, da sie wie Habermas festgestellt hat immer auch kulturelle Bedeutungen innehaben, siehe Habermas 1999, S. 497-500.
Die zweite Kategorie sind Objekte, die zwischen uns und unseren Mitmenschen vermitteln. Sie erzählen uns, wer uns wichtig ist, und welche gemeinsamen Geschichten wir mit ihnen teilen. Die Geschichten, die in diesen Objekten Form annehmen, sind jeweils nur für eine kleine Gruppe von Menschen verständlich. In der dritten Kategorie finden wir die Objekte, die auf uns selbst verweisen. Mit Hilfe dieser Dinge kontrollieren wir die Geschichten, die wir uns über uns selbst erzählen und meist sind diese Erzählungen nur für uns selbst zugänglich. Die objektbezogenen Fetische, wie Böhme sie beschreibt, gehören in die Kategorie von Gegenständen, die zwischen dem Individuum und der Gesellschaft vermitteln (sowohl die modernen Warenfetische wie auch die religiösen Fetische). Auch Habermas’ persönlichen Objekte, die zwischen einem Individuum und seiner Kultur vermitteln, kann man dieser Kategorie zurechnen. Bei Turkles evokativen Objekten lassen sich die Objekte der Disziplin und des Begehrens, sowie die Objekte der Geschichte klar in diese Kategorie einordnen. Fetische sind neben ihrer materiellen Ebene zusätzlich mit übernatürlicher Macht angefüllt, die durch die physische Präsenz des Fetischs kontrollierbar und verständlich wird. Fetische sind also nach Böhmes Theorie Werkzeuge, mit denen versucht wird die Welt unter Kontrolle zu bringen.35 In dieser Hinsicht erfüllen Fetische dieselbe Funktion die Mythen (auch nur eine 34 Auch in den verschiedenen Texten zu der Bedeutung von Geschichten und Narrativen in unserer Gesellschaft wird häufig unterschieden in Erzählungen, die primär auf ein Individuum einwirken und Geschichten die Relevanz für grössere Gruppen haben. Goldie betrachtet in seinem Buch, The Mess Inside, primär die Rolle die Narrative für einzelne Personen einnehmen, während Kearney sich in On Stories eher auf gruppenübergreifende Geschichten fokussiert, die Rolle von persönlichen Erzählungen aber auch immer wieder mit einbezieht, siehe Goldie 2012 und Kearney 2002. 35 Böhme 32012, S. 190.
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Die Geschichten, die in ihnen und durch sie erzählt werden, sind oft nicht individualisierte, persönliche Narrative, sondern für einen grösseren Kreis von Personen entzifferbar.34
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Form von Geschichten) wahrnehmen. Mit ihnen versuchen wir eine Welt, die wir nicht ganz begreifen, verständlich und kontrollierbar zu machen.36 Jedoch teilen diese beiden Konzepte nur zufälligerweise diese Funktion, sondern man könnte sagen, dass der Fetisch seine Kraft, sein «Mehr», erst erhält, wenn sie ihm durch eine Erzählung zugeschrieben wird. Aus dieser Perspektive ist der Fetisch ein unabdingbarer Teil des Mythos und absorbiert dessen Erzählung zugleich, bis Fetisch und Mythos untrennbar miteinander verknüpft sind.37 Auch in den modernen Fetischen des Konsums kann man Narrative als essenziellen Bestandteil erkennen. Diese neuartigen Fetische sind physische Projektionsflächen für Wünsche und Sehnsüchte der Menschen. In dieser Funktion haben sie eine grosse Ähnlichkeit mit den Dingen, die Sherry Turkle als Objekte des Begehrens bezeichnet. In beiden Fällen formen und fördern die Objekte durch ihre starke allgemein gültige Aufladung das Begehren des Betrachters durch ihr «Mehr». Die Geschichten, die diesen Objekten zugrunde liegen, sind nicht unbedingt solche, die uns die Welt als Ganzes erklären. Ihre Erzählungen sind die der aktuellen Gesellschaft und sie vermittelt uns, welche Werte und Ideale wir anstreben sollen. Durch die Werbung, die heute dieselben Mechanismen für sich vereinnahmt, die auch die ursprünglichen religiösen Fetische mit Wirkung versahen38, werden diese Narrative von begehrenswerten Idealen und Wünschen mit den Objekten zu Fetischen verbunden. Diese werden so zu physischen Repräsentanten ihrer Geschichten. Auch bei den Objekten von Disziplin und Begehren spielen die Wünsche der Gesellschaft in den Objekten eine wichtige Rolle. Die Geschichten, die ihnen ihr «Mehr» verleihen, sind aber stärker autoritativ geprägt und oft bereits in der Funktion oder Handhabung des Gegenstandes selbst angelegt. Im Gegensatz zu den Warenfetischen, denen ihre Geschichten 36 Gaiman 1999, S. 79, Altrichter 2011, S. 140 und Kearney 2002, S. 6-7. 37 Harmut Böhme bezeichnet dies als eine Teilnahme des Fetischs an einer kulturellen Mehrdimensionalität, siehe Böhme 32012, S. 104. 38 Böhme 2014, S. 31-32.
Anders verhält es sich bei Objekten der Geschichte; diese sind zwar auch untrennbar mit einem spezifischen Narrativ verbunden, jedoch ist dieses nicht dazu da das Verhalten der Menschen zu steuern. Viel eher sind sie mit einem «Mehr» erfüllt, das dazu dient die kulturelle Identität einer Gruppe aufrecht zu erhalten. Sie enthalten Geschichten, die sich eine Gruppe über sich selbst erzählt, und halten diese zugleich durch ihre physische Präsenz gegenwärtig und lebendig. Durch diese Gegenstände fühlen sich Individuen an die Identität ihrer Kultur gebunden und verstehen sich als Teil von dieser.40 Die Objekte sind dabei ein nicht wegzudenkender Teil der Erzählungen, da erst durch ihr materielles Vorhandensein die jeweilige Geschichte in der gegenständlichen Welt verankert wird und so Vergangenes gegenwärtig werden lassen kann.Zu der zweiten Kategorie von Objekten gehören die persönliche Objekte, die zwischen verschiedenen Menschen vermitteln41, sowie die Objekte des Austauschs, und die Objekte der Trauer und der Erinnerung. All diesen besonderen Gegenständen ist gemeinsam, dass sie untrennbar mit mindestens einer Person verbunden sind. Die Geschichten, die sie erzählen sind die von Beziehungen und Zugehörigkeiten. Sie sind eine physische Manifestation der Geschichten, die Menschen miteinander verbinden. Dabei nehmen die Objekte der Trauer und der Erinnerung eine 39 Turkle 2007b, S. 311. 40 Kulturen und Gemeinschaften konstruieren sich selbst aus den Geschichten sie sich, also den einzelnen Individuen innerhalb der Gemeinschaft, über sich selbst erzählen und bilden sich so eine Identität, siehe Kearney 2002, S.79-83. 41 In seinem Aufsatz ‘Diamonds Are a Girl’s Best Friend’ zeigt Habermas auf, dass Schmuck sehr oft diese Funktion als Stellvertreter und Kommunikator für zwischenmenschliche Beziehungen übernimmt, siehe Habermas 2011, S. 104-107.
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erst von aussen «eingeflösst» werden, liegen die Geschichten, die uns die Objekte der Disziplin und des Begehrens erzählen bereits von Beginn an in den Gegenständen. Ihr «Mehr» bildet daher eine besonders enge Einheit mit den Dingen, ist jedoch sehr anfällig auf Veränderungen. Wenn ihre Geschichten nicht mehr aktuell sind, verlieren auch die damit verbundenen Dinge ihren Wert.39
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besondere Rolle ein. Sie sind nach dem Tod eines Menschen das einzige materielle Gefäss für die Geschichten, die wir mit ihm verbinden. Die Erinnerungen an die verlorene Person werden oft erst durch das physische Objekt, das mit ihnen verknüpft ist, zugänglich, so dass der Trauerprozess erst durch die Zuhilfenahme von diesen Gegenständen vollzogen werden kann.42
In die letzte Kategorie, die der Dinge ,die auf uns selbst verweisen, fallen die persönlichen Objekte, die zwischen einer Person und ihrem Innenleben vermitteln, sowie die Objekte des Designs und des Spiels, die Objekte der Transition und des Übergangs und die Objekte der Meditation und der neuen Visionen. Durch persönlichen Objekte, die uns einen Zugang zu uns selbst ermöglichen, können wir auf die Geschichten, die wir uns über unser Ich erzählen, zugreifen. Dieses Narrativ des Selbst sagt uns wer wir sind.43 Persönliche Objekte sind der Anker für die Geschichte, die wir uns über uns selbst erzählen, und halten dieses Narrativ, das wir aus unseren Erinnerungen zusammensetzen, gegenwärtig. Objekte des Designs und des Spiels kommunizieren uns Geschichten, davon wie unser eigenes Denken und unsere Begeisterung funktioniert. Sie werden so zu einer physischen Repräsentation unseres Denkens und vermitteln uns, wie wir funktionieren und Lösungen finden können. Objekte der Transition und des Überganges zeigen uns die Grenze, die zwischen uns und unserer Umwelt besteht. Sie verbinden uns gleichzeitig mit der Geschichte, die sie uns über uns selbst und mit den Geschichten, die sie uns über unsere Aussenwelt erzählen. Dadurch, dass sie diese beiden Narrative in sich tragen, machen sie es uns möglich, uns innerhalb dieses Spannungsfeldes zu platzieren und ihre Geschichten über die Welt ausserhalb unseres Ichs in unsere Erzählung des Selbst zu integrieren. Zuletzt gehören auch die Objekte der Meditation und der neuen Visionen 42 Goldie wertet den Vorgang des Trauerns als einen erzählerischen Prozess, bei dem die sinnstiftenden Mechanismen von Geschichten genutzt werden, siehe Goldie 2012, Kapitel 3, Grief. a Case Study, S. 56-75. 43 Kearney 2002, S. 152.
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in die Kategorie der Dinge, die auf uns selbst verweisen. Sie unterstützen jedoch nicht unsere bereits vertrauten Geschichten über uns selbst und die Welt, sondern widersprechen ihnen und irritieren uns dadurch. Diese Irritation unterstützt uns dabei alte Narrative zu hinterfragen und aufzubrechen. Sie öffnen uns dadurch für unsere Umwelt und führen dazu, dass wir uns selbst neue Erzählungen kreieren, die sie mit einbeziehen.
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VIII Schlussbetrachtung Dinge können auf ganz verschiedene Arten «mehr» sein, als nur materielle Objekte. Durch das «Mehr» können sie zu Fetischen, persönlichen Objekten oder evokativen Objekten werden und ganz verschiedene Funktionen und Rollen einnehmen. Was sie aber alle verbindet, sind, dass sie ihr «Mehr» durch Geschichten erhalten, die durch, mit und über Dinge erzählt werden. Die Geschichten, die das «Mehr» der Objekte ausmachen, können dabei helfen die Welt fassbarer und verständlicher zu machen, wie dies vor allem bei Fetischen der Fall ist. Sie können die Geschichte und die Werte einer Kultur oder Gruppe vermitteln, wie unter anderen im Fall der Objekte der Disziplin und des Begehrens. Sie können von zwischenmenschlichen Beziehungen erzählen, wie es beispielsweise die Objekte der Trauer und der Erinnerung tun. Schliesslich können sie uns auch Geschichten über uns selbst erzählen; eine Funktion die, neben anderen, auch von den persönlichen Objekten, die uns den Zugang zu uns selbst ermöglichen, übernommen wird. Dinge sind auf dieses «Mehr» der Geschichten angewiesen, um nicht nur Materie zu sein, aber diese Abhängigkeit ist nicht einseitig: Geschichten brauchen Objekte, um mehr zu sein als nur gedankliche Konstrukte. Erst durch die Gegenstände werden sie in der physischen Welt verankert. Dinge und Geschichten stehen also in einer Wechselwirkung zueinander und brauchen sich gegenseitig um ihre Existenz zu rechtfertigen.
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Bibliografie Altrichter 2011 Viola Altrichter, The Magic Object in Modernism. An Anthropological Constant?, in: ThinkingJewellery. On the Way Towards a Theory of Jewellery, hrsg. v. Wilhelm Lindemann / FH Trier, Idar-Oberstein, Stuttgart 2011, S. 135-152. Böhme 32012 Hartmut Böhme, Fetischismus und Kultur. Eine andere Theorie der Moderne, Hamburg 32012. Böhme 2014 Hartmut Böhme, Das Strahlen fetischistischer Dinge des Konsums. Autos und Mode, in: In Gegenwart des Fetischs. Dingkonjunktur und Fetischbegriff in der Diskussion, hrsg. v. Christine Blättler / Falko Schmieder, Wien 2014, S. 31-52. Dörrenbächer 2016 Judith Dörrenbächer, Beseelte Dinge. Design aus der Perspektive des Animismus. Zur Einführung, in: Beseelte Dinge. Design aus der Perspektive des Animismus, hrsg. v. Dörrenbächer / Kerstin Plüm, Bielefeld 2016, S. 9-24. Gaiman 1999 Neil Gaiman, Some Reflections on Myth (With Several Digressions onto Gardening, Comics and Fairy Tales), in: Columbia. A Journal of Literature and Art 31 (1999), S. 75-84. Goldie 2012 Peter Goldie, The Mess Inside. Narrative, Emotion and the Mind, Oxford 2012. Habermas 1999 Tilmann Habermas, Geliebte Objekte. Symbole und Instrumente der Identitätsausbildung, Frankfurt a. M. 1999.
Kearney 2002 Richard Kearney, On Stories, London 2002. Turkle 2007a Sherry Turkle, Introduction. The Things that Matter, in: Evocative Objects. Things We Think With, hrsg. v. Sherry Turkle, Cambridge MA 2007, S. 3-10. Turkle 2007b Sherry Turkle, What Makes an Object Evocative?, in: Evocative Objects. Things We Think With, hrsg. v. Sherry Turkle, Cambridge MA 2007, S. 307-326.
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Habermas 2011 Tilmann Habermans, ‘Diamonds Are a Girl’s Best Friend’. The Psychology of Jewellery as Beloved Objects, in: ThinkingJewellery. On the Way Towards a Theory of Jewellery, hrsg. v. Wilhelm Lindemann / FH Trier, Idar-Oberstein, Stuttgart 2011, S.94-107.
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Ich erkläre, dass es sich bei dem eingereichten Text mit dem Titel Dinge und Geschichten. Wie Objekte wichtig werden um eine von mir und ohne unerlaubte Beihilfe in eigenen Worten verfasste Arbeit handelt. Ich bestätige, dass die Arbeit in keinem ihrer wesentlichen Bestandteile bereits anderweitig zur Erbringung von Studienleistungen eingereicht worden ist. Sämtliche Bezugnahmen auf in der oben genannten Arbeit enthaltene Quellen sind deutlich als solche gekennzeichnet. Ich habe bei Übernahmen von Aussagen anderer Autorinnen und Autoren sowohl in wörtlich übernommenen Aussagen (= Zitate) als auch in anderen Wiedergaben (= Paraphrasen) stets die Urheberschaft nachgewiesen. Ich nehme zur Kenntnis, dass Arbeiten, denen das Gegenteil nachweisbar ist – insbesondere, indem sie Textteile anderer Autoren ohne entsprechenden Nachweis enthalten – als Plagiate im Sinne der Aufnahmeund Prüfungsordnung der Hochschule Luzern (Art. 24) betrachtet und mit rechtlichen und disziplinarischen Konsequenzen geahndet werden können. Name: Melanie Burkhard Matrikelnummer: 09-104-522 Datum: 6.05.2019
Unterschrift:
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Lauterkeitserklärung
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Dinge und Geschichten Wie Objekte wichtig werden Theoretische Bachelorarbeit FrĂźhjahrssemester 2019 Umfang der Arbeit 37 300 Zeichen
Hochschule Luzern Design und Kust XS Schmuck 6. Semester Betreuerin
Expertin
Monica Gaspar
Julia Wild
Abgabe 6. Mai 2019 Melanie Burkhard +41 79 348 85 68 melanie.burkhard@bluewin.ch Lindhaldenstrasse 69 3076 Worb Schweiz
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Index
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