Lorena Adler und Selina Cadruvi Dokumentation gestalterische Bachelorarbeit 2019
SichtWandel Ein zweites Leben fĂźr Einwegkleidung.
Damien Hirst, Medical Waste, 1994
Lorena Adler und Selina Cadruvi 6. Semester Objektdesign Hochschule Luzern Abgabe: Juni 2019 Mentor: Florian Hauswirth Fachmentor: Prof. Dr. JĂźrg De Pietro (KATZ, Kunststoff Ausbildungs- und Technologie-Zentrum Aarau) Kooperationspartner: KSM, GmbH, Sugiez Bezug Einwegkleidung: Kantonsspital Luzern LUKS, Radiologie und Nuklearmedizin
Inhaltsverzeichnis
Ausgangssituation / 7 Konzept / 8 Inspiration / 12 Prozess / 16 Umsetzung / 38 Produkt / 44 Fazit / 49 Schlusswort und Dank / 50
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Ausgangssituation
Im medizinischen Alltag gilt es die Keimbildung bestmöglich zu verhindern um Infektionen zu vermeiden. Mehrwegprodukte können sterilisiert werden, jedoch ist dies kostspielig und birgt trotz neuer Technologien die Gefahr, dass Mikroorganismen überleben. Aus diesem Grund setzen Gesundheitseinrichtungen auf bequeme Einwegprodukte, die aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken sind. Die Hygiene hat sich dank diesen Produkten merklich verbessert. Die Kehrseite ist die enorme Menge an Abfall, die entsteht. In der Schweiz gibt es insgesamt 281 Spitäler.1 Allein im Kantonsspital Aarau werden pro Tag drei Tonnen Abfall produziert.2 Ein Grossteil dieser Abfälle weist ähnliche Eigenschaften wie Siedlungsabfälle auf und kann gemeinsam mit diesem entsorgt werden.3 Darunter ist auch Kunststoff zu finden, der recycelt werden könnte. Ressourcen zu schonen ist ein wichtiges Thema in allen Bereichen. Längerfristiges Ziel ist es, auf eine Kreislaufwirtschaft hinzuarbeiten, in der Abfall als Rohstoff für Neues dient. Medizinische Einwegprodukte helfen tagtäglich mit, das gesundheitliche Wohl von Menschen zu verbessern oder sogar Leben zu retten.
1 www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/gesundheit/gesundheitswesen/spitaeler.html (letzte Konsultation 15. Januar 2019) 2 www.ksa.ch/sites/default/files/cms/infektologie-und-spitalhygiene/docs/hip-2014-abfallmanagement-spitalhygiene-ksa.pdf (letzte Konsultation 15. Januar 2019) 3 Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft (BUWAL), Entsorgung von medizinischen Abfällen Bern: 2004, www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/abfall/publikationen-studien/publikationen/ entsorgung-von-medizinischen-abfaellen.html (letzte Konsultation 15. Januar 2019)
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Konzept
Wir möchten das Potential eines ausgedienten Einwegproduktes aus einer Gesundheitseinrichtung nutzen um aufzuzeigen, dass es möglich ist dieses durch Recycling in eine neue Form zu bringen und dem Material ein zweites Leben zu geben. Für unser Gestaltungsprojekt verwenden wir gebrauchte Einwegkleidung aus blauem Polypropylen Vlies, die für Untersuchungen in der Radiologie während der Magnetresonanztomographie (MRT) und in der Nuklearmedizin verwendet wird. Die Einwegkleidung wird verwendet, weil Alltagskleidung nicht hygienisch ist. Zudem kann das Risiko eliminiert werden, dass die teuren Geräte durch Verunreinigungen, beispielsweise kleinen Metallsplittern, die in der Kleidung stecken, beschädigt werden. Würde Kleidung aus Baumwolle getragen, könnte es in seltenen Fällen zu Hautverbrennungen kommen, da das Textil Schweiss aufsaugt, der von den Magneten erhitzt wird. Einwegkleidung trägt zum Wohlbefinden der Patienten und Patientinnen bei, da sie sich damit in der Situation zurechtfinden und angezogen fühlen. Wesentlich ist auch, dass Einwegkleidung günstiger ist als das Aufbereiten von wiederverwendbarer Kleidung. Nach der Untersuchung werfen die Patienten die Einwegkleidung in der Umkleidekabine in den Müll, was das getrennte Sammeln der Kleidung vereinfacht. Unser Vorhaben ist es, aus der Einwegkleidung ein Objekt für die Raumgestaltung eines Gesundheitsbaus zu entwickeln. Dieses soll das Potential des Abfalls als Rohstoff aufzeigen. Den Einwegprodukten wird dadurch eine Wertschätzung zugesprochen.
Die durchgestrichene Zwei kennzeichnet Einwegprodukte.
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Gewisser Spitalabfall ist kontaminiert und es geht eine Verletzungsgefahr davon aus. Er muss unter festgelegten Bedingungen vernichtet werden.
Unter dem anfallenden Abfall ist jedoch auch Kunststoff zu finden, der recycelt werden kann. So wie die Einwegkleidung aus Polypropylen.
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Für die Herstellung neuer Einwegkleidung darf Recyclingkunststoff nicht verwendet werden, da die Vorschriften für medizinische Produkte sehr strikt sind. Damit wird ein wörtliches «Recycling», bei dem das gebrauchte Produkt wieder zum Selben wird, verunmöglicht. Die Einwegkleidung, die wir vom Kantonsspital Luzern beziehen, verteibt die Firma KSM. Die blauen Einwegkleider werden in China hergestellt und an viele Einrichtungen und Spitäler geliefert. Eine Separatsammlung durch das LUKS wäre denkbar und auch sinnvoll. Daraus könnte ein Halbfabrikat, beispielsweise in Form von Flakes oder einer Folie hergestellt werden, woraus wieder neue Produkte, die in anderen Bereichen Anwendung finden, gestaltet werden. Für unser Projekt wollen wir das wiederverwendete Material zurück ins Spital bringen – in Form eines Paravents. In unserer Arbeit ist der Paravent eine exemplarische Anwendung, wie aus dem weggeworfenem Material ein hochwertiges Produkt entstehen kann.
Gesundheitseinrichtungen Einwegkleidung
Nach Hause nehmen Energie Verbrennung
Ist Zustand. Unser Vorhaben.
Gesundheitseinrichtungen Einwegkleidung
Produkt
Sammelsystem
Halbfabrikat Andere Produkte
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Inspiration
Ropimex®
Ist-Zustand eines Paravents in Gesundheitsbauten. Unsere Inspiration.
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Ronan & Erwan Bouroullec, Clouds, 2009
Ronan & Erwan Bouroullec, The North Tiles, 2006
Zofia Strumiło-Sukiennik & Anna Łoskiewicz, Prism Folding Screen, 2009
Anish Kapoor Hex Mirror, 2009
Jenny Ekdahl, Dear Disaster, 2013
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Die gezeigten Moodboards begleiteten uns durch den gesamten Prozess. Einerseits wollten wir etwas «Natur» in den sterilen, geometrischen Gesundheitsbau bringen, anderseits soll das Objekt die angespannte Stimmung durch Verspieltheit und Dynamik auflockern. Das Licht- und Schattenspiel waren wichtige Aspekte für uns.
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Prozess
Wir starteten den Prozess sehr planerisch und konzeptionell. Recherchen sowie Visualisierungen steuerten uns durchs Projekt. Wir führten Vor-Ort Visiten bei der Rettungssanität, in Spitälern, Rehakliniken und Altersheimen durch, um diese Örtlichkeiten selbst zu erleben und zu spüren. Welche Produkte werden benötigt? Bei welchen bietet sich ein anderes Design an? Wir sprachen mit Fachpersonen aus dem Gesundheitswesen und befragten mittels Online-Umfrage Patienten, welche Bedürfnisse während eines Aufenthaltes in einem Gesundheitsbau zu kurz kommen. Aufgrund dieser Erkenntnisse kristallisierte sich die Idee eines Raumtrenners heraus. Als weiteren, sehr essentiellen Prozessschritt fragten wir mehrere Spitäler an, ob wir bei Ihnen die gebrauchte Einwegkleidung der Patienten abholen dürften. Das Luzernern Kantonsspital willigte ein und wir konnten unser Material von der Radiologie und der Nuklearmedizin beziehen. Die Experimente und die Formfindung konnte starten.
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  Darstellung der relevanten Attribute unserer Projektidee.
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Konzept und Formskizzen. Die Einwegkleidung wurde unter Einhaltung aller Hygienevorschriften vor der Verarbeitung gewaschen. Die Kleidung aus der Nuklearmedizin ist nicht radioaktiv kontaminiert.
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Materialexperimente
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Backofen, HeissluftfÜhn und Heatpress dienten uns das synthetische Textil zu schmelzen und uns experimentell an den Kunststoff als Ausgangsmaterial anzunähern.
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Ein Set aus Oberteil und Hose entspricht über 100 g Polypropylen.
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Bei den Experimenten fiel uns auf, dass das Grössenetikett sowie die Nähte der Kleidung aus anderem Kunststoff bestehen und einen höheren Schmelzpunkt haben als Polypropylen. Mit der Heatpress schmolzen wir mehrere Lagen Vlies zusammen. Es konnte auch ein Muster darauf geprägt werden.
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Recycelbare Einwegkleidung
Um aufzuzeigen, dass die Polyesternähte sowie das Grössenetikett weggelassen werden könnten, trennten wir ein Set auf und schweissten es wieder zusammen – so würde der Kunststoff sortenrein bleiben.
Die Ultraschall-Schweissmaschine an der FHWN, Modedesign.
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Mit Brandmalkolben – dem mittels Dimmstecker Leistung entzogen wurde – konnte die Grösse direkt auf das Vlies geprägt werden.
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Material – Folienherstellung im KATZ
«Kein Abfall» – wir waren gespannt, ob aus der Einwegkleidung tatsächlich ein brauchbares Halbfabikat hergestellt werden kann.
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Wegen den Polyesternähten mit anderem Schmelzpunkt entstanden Löcher in der Folie. Alle Nähte mussten weggeschnitten werden, bevor wir es nochmals versuchten.
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Je nach Einstellungen und Temperaturen der Walzen entstanden unterschiedliche Oberflächen.
Um ein homogenes Ergebnis zu erzielen wurden alle lรถchrigen Folien zu Flakes geschreddert.
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QR Code scannen um das Prozessvideo anzusehen.
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Mit den Flakes war der Materialfluss konstant und die Polypropylenfolie wurde homogen. Das Ergebnis war eine blickdichte 0.4 mm dicke, dunkelblaue Folie.
Aus rund 60 Einwegkleidungsstücken werden 6 kg Folie.
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Formfindung
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Umsetzung
Wir bauten zwei Prototypen in verschiedenen Grössen. Für die Rahmen wählten wir Aluminium. Aufgrund des Gewichtes erleichtert es die Handhabung. Die Vierkantrohre wurden gebogen, verschweisst und das Ende der Standbeine mit 3D gedruckten Teilen geschlossen. Die Folie wurde mit schlichten, grauen 1.5 mm dicken Gummischnüren und Metallsplinten in den Rahmen gehängt. Wir wählten Gummischnüre, um den Folienstreifen eine gewisse Flexibilität für die Beanspruchung im Alltag zu gewähren. Die Gestaltung soll Assoziation zur Natur oder einem Windsegel wecken. Da unsere Folie nur ca. 23 cm breit ist, entwickelten wir ein Stecksystem, um die Folie ineinander zu verkeilen, damit eine Fläche entsteht. Da wir mit Recycling Material arbeiteten, war uns die Ausnutzung des Materials ein besonderes Anliegen. Die Folie wurde durch den hohen Pigmentanteil in der Einwegkleidung zu einem dunkleren Indigo Blau. Damit trotzdem Licht hindurch scheinen kann, ergänzten wir das blätterförmige Stecksystem mit einer verspielten Perforation, welche nach unten ausläuft. Die Folienteile und Perforationen schnitten wir mit dem Laser. Durch diese Verarbeitung schmolzen die Kanten, wodurch man sich nicht mehr daran verletzen kann. Wir wählten transparente Räder, die Sauberkeit und Eleganz verleihen. Die Räder sind so montiert, dass der Paravent sowohl vertikal stehend wie auch horizontal liegend verwendet oder transportiert werden kann. Zusätzlich bietet es die Möglichkeit, sie als hohe oder tiefe Raumgestaltungselemente einzusetzen. Die Hygienevorschriften der Spitäler berücksichtigten wir weitgehend und sie nahmen Einfluss auf unser Design.
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Produkt
Die beiden Paravents lockern durch die verspielte Gestaltung die Spitalatmosphäre auf. Sie können beliebig angeordnet werden. Durch das geringe Gewicht sind sie leicht zu verschieben und passen auch problemlos in Personenaufzüge sowie durch Türrahmen. Die Bespannung ist zu 100 % aus gebrauchter Einwegkleidung hergestellt, es wurden keine Additive hinzugefügt.
B 89 cm B 80 cm
H 190 cm
H 160 cm
T 55 cm
T 55 cm
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Fazit
Wir sind der festen Überzeugung, dass die Thematik des Weiterverwertens von Ressourcen, gerade im Bereich des Gesundheitswesens, aktuell ist und viel Potential bietet. Der Fokus unserer Bachelorarbeit liegt beim Konzept und dem Aufzeigen, dass sich das Nutzen von bereits vorhandenem Material lohnt. Die Paravents dienen hierbei als Objekt zur Visualisierung. Das Involvieren von Fachspezialisten und Firmen brachte dieser Arbeit einen wirtschaftsnahen Bezug. Bei einer Weiterführung müssten die Eigenschaften der Folie mit Additiven gesteuert werden, da sie bereits nach einem Monat Lagerung sehr spröde geworden ist. In einem nächsten Schritt würden wir versuchen weitere Halbfabrikate zu generieren. Das Biegen, Schweissen und Schleifen von Aluminium muss gekonnt sein, um die gewünschte Perfektion zu erreichen. Diese Prozessschritte müssten von Fachpersonen ausgeführt werden. Die schmale Folienbreite mit dem Stecksystem macht den Paravent fragil. Mit einem anderen Werkzeug in der Produktion wäre es möglich, eine breitere durchgehende Folie herzustellen. Diese würde das Stecksystem überflüssig machen. Diese Bachelorarbeit zu zweit zu absolvieren erwies sich in vielerlei Hinsicht als Bereicherung. Zum einen bewegten wir uns in einem enorm grossen Themenfeld und zum andern brachte uns das Arbeiten im Team einen weiteren Bezug zur Praxisrealität eines Designers. Der Austausch war für uns sehr wertvoll und fand zu jedem Zeitpunkt des Prozesses statt. Natürlich waren wir nicht immer der gleichen Meinung, aber durch Kommunikation und das Abwägen von Optionen konnten wir immer ein für uns beide passender Weg finden.
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Schlusswort und Dank
Die Bachelorarbeit ist vollbracht. Glücklich und stolz blicken wir auf die vergangen Monate in diesem Prozess zurück. Diese Arbeit verlangte all unser organisatorisches, strategisches, kommunikatives und fachliches Können ab. Ohne die Unterstützung der folgenden Personen wäre diese Arbeit nicht möglich gewesen.
Andreas Saxer Hochschule Luzern Arion Bucher Stv. Leit. Fachmann MTR HF Radiologie und Nuklearmedizin, LUKS Barbara Fischer Brigitte Signer Designerin, Création Baumann Dagmar Steffen Hochschule Luzern
Eliane Ernst Produktmanagerin, Création Baumann Eva Ott Leitung Nähatelier, FHNW Florian Hauswirth Hochschule Luzern Josef Rüwe Leitender Dipl. Radiologiefachmann, LUKS Jürg De Pietro Geschäftsleiter, KATZ
Daniela Dubler Leiterin Aktivierungstherapie, Zentrum Breitenhof Rüti
Matthias Mäder Zentrumsleiter Breitenhof Rüti
Daniel Traar Projektmanager, KSM
Mundy Nussbaumer Hochschule Luzern
Denny Rothacher Technik, KATZ
Roger Oswald
Dominique Fischer
Ursula von Andrian Geschäftsführerin, KSM