Japan Dokumentation

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日本 Japan Unser Japan Mein Japan Reiseführer




日本 Japan

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07 Vorwort Prof. Gautschi-san Prof. Ackermann-san

09 Unser Japan Theoretische Annäherung

189 Mein Japan Individuelle Erfahrung

265 ReisefĂźhrer Vorwort Reiseroute Objekte

359 Fotografien Objekte Impressionen Wir

499 Nachwort Anna Jundt Amelie Trautmann

501 Impressum 5


先生 Professoren Gautschi-san Ackermann-san

Ein Vorwort schreiben, einem Nachwort gleich, nämlich ziemlich genau zwei Jahre nach der Reise nach Japan, lässt sowohl das Erleben vor Ort als auch die Vorbereitung im Wahlfach noch einmal Revue passieren. Doch, es ist kein Film, der automatisch abläuft, es sind vielmehr Bilder unterschiedlichster Orte und Situationen, lose Fragmente. Allen ist eines gemeinsam, sie haben tiefe Spuren hinterlassen, die Erinnerungen sind und bleiben im wahrsten Sinne des Wortes wertvoll und prägend. Dass wir die Erfahrung Japan alle in einer fast überwältigenden Intensität erlebt haben, verdeutlicht die Tatsache, dass Anna Jundt und Amelie Trautmann sich entschieden haben, das Material aus Wahlfach und Exkursion aufzuarbeiten und in dieser Dokumentation zusammenzustellen: Unser Japan, das thematische, d.h. vorbereitende Wahlfach, die Reise nach Tokyo, Kyoto und Naoshima zusammen mit Ulf Meyer als Japan kundige Reisebegleitung – ein großes Dankeschön für die profunde Reiseleitung – und Mein Japan, als subjektive und ganz persönliche Reflexion über das Erlebte. An dieser Stelle sei bereits Anna Jundt und Amelie Trautmann für ihr persönliches Engagement gedankt, denn ohne sie würden sowohl Texte als auch Bilder ungeordnet in unseren Datensammlungen mehr oder weniger beachtet liegen bleiben. Aber sind es nicht Ordnung und Reflektion, die erst aus dem Erlebtem einen Werkzeugkoffer machen, auf den wir in unserer Arbeit als Gestalter zurückgreifen können? »Japan ist anders«, umschreibt Cees Nooteboom in seiner Liebesgeschichte Mokusei! das Faszinosum Japan, Adolf Muschg, mit einer Japanerin verheiratet fasst seine lose Sammlung von Kurzgeschichten unter dem Buchtitel Die Insel, die Kolumbus nicht gefunden hat zusammen. Das Unbekannte, das Unverständliche und Unerklärliche eröffnen immer wieder Raum für Projektionen. Mit den beiden Perspektiven von außen betrachtet : von innen erlebt haben wir uns im Sommersemester 2017 Japan genähert. Am Wahlfach haben wesentlich mehr Studierende teilgenommen als mitgereist sind. Dies belegt nicht nur, dass eine Japanreise kostenintensiv ist, sondern v.a. 6


auch, dass bereits eine inhaltliche Auseinandersetzung von fesselnder Aktualität ist und seine Anziehungskraft seit bald hundert Jahren nach den ersten Reisen von Bruno Taut, Gropius und weiteren Zeitgenossen nichts an Faszination verloren hat. Schrieb bereits Gropius 1954 eine enthusiastische Postkarte, »Lieber Corbu, alles wofür wir gekämpft haben, hat seine Parallelen in der Alt-japanischen Kultur, […] Das japanische Haus ist das beste und modernste, das ich kenne und wirklich vorfabriziert«. Auch heute noch begeistern Themen wie Vorfabrikation, Standardisierung, Einfachheit nicht nur durch ihre lange Tradition, sondern als lebendige Gegenwart. Themen wie Typologien von Minihäuser, Dichte und Organisation bevölkerungsreicher Städte oder auch Holzbau und seine konstruktive Ausbildung sind aktuelle Fragen, die die Studierenden heute beschäftigen. In der Auseinandersetzung mit Japan finden sich spannende Denkansätze, wie dies die Auswahl der selbst formulierten Themen des Wahlfachs belegen. Das Nebeneinander von Zukunftsglaube und Tradition auf engem und begrenztem Raum zeigt collageartig auf, dass die japanische Kultur zwar auf Geschichte und Schichten aufbaut, Polaritäten jedoch nebeneinander stehen und bestehen bleiben. Auf der eine Seite z.B. die Dichte Tokios und die überquellende Lebenslust der Jugendlichen im öffentlichen Raum, andererseits die Leere und eine fast stille Ergriffenheit angesichts der Schönheit und Schlichtheit japanischer Räume. Orte der Hochkultur und Orte der Alltagskultur, Kunstwerke und Gebrauchsgegenstände, traditionelle Bühnenauftritte und Straßenszenen nebeneinander und miteinander. Reale Existenz, Projektion und Begehren, Distanz, Nähe und Differenz können dabei nicht aufgelöst werden, stehen vielmehr nebeneinander, übergangslos, abhängig von Standpunkt und Perspektive. Auch wenn uns nach dieser intensiven Auseinandersetzung manches nachvollziehbarer und die Architektur »vertrauter« erscheint, die Kultur bleibt uns fremd. Wir werden alle weiter versuchen, uns ihr anzunähern, denn es bleibt die Sehnsucht. Oder um mit der letzten Zeile aus dem Buch von Roland Barthes Im Reich der Zeichen zu schliessen: »Es gibt nichts zu greifen.«

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私たちの日本 Unser Japan

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11 Theoretische Annäherung

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Big Scale – Small Scale

Der Japanische Architekt

Julia Petkevitsch Katerina Hoffmannova

Josefine Bauer

Teresa Ehrenstraßer

Linda Schönberner Sören Hohner

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Der Japanische Garten

Japans Einflüsse auf westliche Architekten

Leonie Winkler Carolin Hensolt

Elena Dumrauf

Leonie van Kempen

Janine Larsch Antonia Rist Julia Schall

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Japanischer Holzbau

Minihäuser in der Megacity Tokio

Caroline Hintermayr Ralf Meißner

Franziska Mack

Leon Riehl

Robin Vögele Carla Weiland

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Privatsphäre, Lebensraum im Wandel

Raumbedarf in Megastädten

Karthika Jeyakumar

Stella Kappeler

Katharina Brandl

Stefanie Kleiser

Yara Sekinger

Gianna Mechnig

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Die Tatami-Matte

Überlegungen zu Japan

Katharina Alber

Saskia Beck

Marita Klein

Veronika Ferdinand

Carolin Predatsch

Hannah Reinhardt

Vanessa Steinhilbe

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Vom öffentlichen in den privaten Raum

Wabi - Sabi Vanessa Bührle

Sophia Klings

Benjamin Weidmann

Julian Häfele

Marion Probst

Victoria Petrich

172 Zen Anna Jundt Amelie Trautmann Theresa Tacke

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Big Scale – Small Scale Die Struktur der Megacity Tokio Julia Petkevitsch Katerina Hoffmannova Teresa Ehrenstraßer

Seit jeher präsentiert sich die Global City Tokio der Welt als modern und progressiv. Aus europäischer Sichtweise ist sie eine Stadt der Hochhäuser, neben New York und London Standort der wichtigsten Finanz– und Dienstleistungsunternehmen und vor allem die größte Stadt der Welt – so groß, dass sie nach westlichen Maßstäben gar nicht mehr erfassbar ist. Tokio ist effizient, futuristisch und ständig im Wandel. Doch das ist nur ein Seite wie sich Tokio seinen Besuchern zeigt. Es gibt noch ein anderes Tokio: das kleine, wuselige und chaotische Tokio und der Lebensraum der meisten Einwohner dieser Megalopolis. Gleich hinter den Hochglanzfassaden der Finanzzentren beginnen die kleinteiligen, niedrig bebauten Stadtviertel. Dieses Nebeneinander der unterschiedlichen Maßstäbe prägen das Wesen der japanischen Stadtstruktur. Größe bedeutet nicht automatisch auch Großmaßstäblichkeit. Tokio ist strukturell von den kleinen Parzellen geprägt, die im Extremfall nur wenige Meter breit sein können. Die als Machi bezeichneten, kleinräumigen Stadtviertel erstrecken

Tokio aus der Vogelperspektive

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sich wie ein Patchwork flächendeckend über das gesamte Stadtgebiet. Hier herrscht ein dichtes Nebeneinander von Wohnen, kleinen Läden, Garküchen und Handwerksbetrieben in meist schmalen Gassen mit niedrigen, schmalen Holzhäusern. Durch die kleine Hintergassen, als Roji bezeichnet, entsteht ein belebter Straßenraum, der die Dichte erträglicher macht. Die Bewohner sehen sich häufig als Teil einer starken Nachbarschaftsgemeinschaft, vergleichbar mit der Intimität eines Dorfes. Erst durch die Industrialisierung zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde die kleinmaßstäbliche Bebauung durch großmaßstäbliche Planungen, die sogenannte Toshi überlagert. Die Rolle des europäischen Straßennetzes nimmt in Tokio das Bahn– und U-Bahnnetz ein, das diese fraktale Struktur zu einer großen, polyzentrischen Stadtregion zusammenfasst. Die Bahnhöfe definieren dabei die Zentren, um die sich herum Einkaufszentren, Finanz– und Dienstleistungsunternehmen angesiedelt haben. Dies macht Tokio zu einer Stadt der Gegensätze und Schichtungen, denn schon ein paar Schritte weiter werden die Straßen ruhiger und enger. Die großen Straßen gehen in kleine Wohnviertelstraßen (sogenannte roji) über und man

»One of the marvelous things about Tokyo is that people do feel at home in the streets.« Paul Waley

spürt dort sofort die kleinstädtische Atmosphäre. Die extremsten Schichtungen gibt es vor allem zwischen Verkehrswegen und anderen Funktionen. Anstatt Schnellstraßen und Bahngleise quer durch das Quartier zu legen, führen sie einfach über die Dächer der Anwohner. Letztendlich bilden die Flüsse und Kanäle die unterste Ebene der Stadt. Die Züge und U-Bahnen, die alle Viertel und großen Wirtschaftszentren in hoher Taktung erschließen, stellen das schnellste Transportmittel dar, um die oft großen Distanzen zwischen Wohnort und Arbeitsplatz zu erschließen. Durch den Trend der Suburbanisierung müssen viele Arbeitnehmer täglich lange Bahnfahrten auf sich nehmen um von ihrem Wohnort in den Stadtvierteln zu ihrem Arbeitsplatz zu gelangen. Dabei dient das Zuhause häufig nur noch als Schlafplatz, während viele Wohnfunktionen ausgelagert sind und sich über die

U-Bahn Verkehr in Tokio

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Stadt verteilen. Es sind also die Menschen, die als Stadtnomaden auf das Nebeneinander von Machi und Toshi angewiesen sind. Doch wie ist diese Stadtstruktur entstanden? Der frühere Name der heutigen Hauptstadt Japans ist Edo. Urkundlich wurde diese zum ersten Mal im 13. Jahrhundert erwähnt: es war ursprünglich ein Fischerdorf, das im 16. Jahrhundert in den Besitz des Shogun überging und zum Sitz der Feudalherren (Daimyo) zu einer Burgstadt mit primär militärischer und administrativer Funktion wurde. Den Kern des räumlichen Aufbaus der Burgstadt bildete ein locker bebauter und grüner Palastbezirk, der Residenz des Daimyo mit den anschließenden Behausungen für Bedienstete und den Wohnquartieren der Samurai und besaß 2/3 der Fläche. Östlich des großzügig angelegten Palastbezirks, zum Meer hin, drängten das Rückgrat des städtischen Zusammenlebens bildeten. Hinter dem Ordnungssystem der Machi stand keine gezielte Planung. Und dennoch werden dicht besiedelte Wohnviertel auch heute durch die kleinteilige Baustruktur zum lebenswerten und gut funktionierenden Raum.Mit der sogenannten Meiji-Restauration erfuhr die ursprüngliche Stadtstruktur, beruhend auf niedrig bebauten Holzhausvierteln, erhebIllustrierter Stadtplan von Tokio liche stadtplanerische Veränderungen, indem sie nach westlichen sich auf der restlichen Fläche Bürger (Händler, Handwerker, Künstler) zusammen – in sogenannten Machi, kleinräumigen Vierteln mit schmalen Hintergassen, die Vorbildern mit kommerzieller Ausrichtung umgebaut wurde. Im Zuge der Industrialisierung entwickelten sich die Stadtviertel zu eigenständigen Stadtzentren: das ehemalige Quartier der Silberschmiede wurde zum wichtigsten Einzelhandelszentrum Ginza; Samurai-Viertel wurde zum neuen Regierungsviertel und in der Nähe der Brücken über die Festungsgräben siedelte sich Großhandel an. Die Unzugänglichkeit des historischen Stadtkerns für die Bürger bestimmte die polyzentrische Struktur Tokios. Der heutige Kaiserpalast steht noch an derselben Stelle: das riesige Areal liegt wie eine grüne idyllische Insel im Häusermeer der Metropole. Zur Absicherung der Infrastrukturprojekte wurde im Jahre 1919 das erste Stadtplanungsgesetz erlassen. Dieses sah zentralisierte Planungsbürokratie vor und basierte auf westlichen Baugesetzen (Bodenumlegung, Fluchtlinienbestimmung, Flächennutzungszonierung usw.), die allerdings zu dieser Zeit selbst noch in der Entwicklungsphase steckten. Mit der Einführung des Flächennutzungsplans wurde die Stadtfläche in vier Zonen – Wohnen, Gewerbe, Industrie und Grünraum – unterteilt. Als 1923 das Kanto-Erdbeben große Teile der Stadt zerstörte, erfolgte ein rascher Wiederaufbau bei dem sich die neuen Gesetze bereits als unzureichend 14


herausstellten. In den Schadensgebieten konnte durch die Einführung des Bodenumlegungsgesetzes das Anlegen neuer Straßen, sowie Straßenverbreiterungen umgesetzt werden. Auch durch feuerfeste und erdbebensichere Bauweise verschwand zusehends das traditionelle Stadtbild. Im Jahre 1927 wurde die erste U-Bahnlinie in Tokio eingeweiht. An den Bahnhöfen konzentrierte sich urbanes Leben. Angesichts der schnellen städtischen Expansion erhielten private und staatliche Bahnunternehmen bald eine Schlüsselstellung: sie kauften Land auf und es bildeten sich dort Satellitenstädte. Im Laufe der Zeit wurde Tokio so immer mehr und mehr zu einer polyzentrischen Metropole. Während des Zweiten Weltkriegs wurde die nach dem vernichtenden Erdbeben wiedererstandene Hauptstadt erneut durch ein Bombardement dem Boden gleich gemacht. Und noch einmal erstand Tokio aus der Asche. Beim Wiederaufbau lag der Schwerpunkt auf den Katastrophenschutzmaßnahmen. Wohnviertel mit ihren Holzbauten wurden von breiten Geschäftsstraßen eingehegt, die höhere Gebäude aus Stahl und Beton säumten; einige brandgefährdeten Holzhausbebauungen wurden abgerissen und durch Wohnblöcke ersetzt. Wegen der wirtschaftlichen Situation wurde die Neubebauung eher bescheiden gebaut, sodass weder eine strenge Funktionstrennung, noch eine systematische Auflockerung der Wohnviertel entstanden ist. Historische Parzellenzuschnitte und Nutzungsmuster wurden so respektiert. Stattdessen haben die Eigentümer auf ihren kleinen Parzellen Neubauten errichtet und dadurch entwickelte sich eine dichte, kleinteilige und durchmischte Bebauung. Diese Siedlungsstrukturen ähneln der vorindustriellen Zeit, sind aber aus dem 20. Jahrhundert. Deswegen ist typisch für Tokio, dass traditionelle Quartierstrukturen auch ohne eine historisierende Gestaltung weiterhin existieren. Nach dem raschen Wiederaufbau kam eine Ära der Demokratisierung. Am Anfang 50-er erlebte Japan einen Konjunkturaufschwung, welcher einen wirtschaftlichen Wachstum und Bauboom im Privatsektor Tokios hervorrief. Während der Periode wurden die Besitzflächen minimalisiert: die hohen Grundstückspreise überstiegen wesentlich den Wert der Gebäude. Die städtische Bevölkerung wuchs rasant. Aufgrund der Flächenknappheit wurden zahlreiche Wasserwege zugeschüttet, die Ufer befestigt, und so verschwand ein weiterer Wesenszug der Stadtstruktur. Die japanische Hauptstadt transformierte sich allmählich von einer »Stadt des Wassers« in eine »Stadt des Landes« Des Weiteren wurde der Ausbau von Straßenbahnlinien vorangetrieben. Außerdem sollten 1964 zum Anlass der Olympischen Spiele in Tokio die Schnellstraßen verbreitert werden. Als schnellste Lösung erwies sich die räumliche Überlagerung des neuen Autobahnnetzes mit dem vorhandenen kleinteiligen Netz von Straßen und Wassergräben des Kaiserpalastes. Zum Zweck, weitere Stadtentwicklungsprozesse wie die Siedlungsexpansion und bauliche Verdichtung in Wohngebieten unter Kontrolle zu halten, wurde im Jahr 1968 das Zweite Stadtplanungsgesetz und Senbiki-System (»Grenzen ziehen«) eingeführt. Zu den wichtigsten Neuerungen gehörten die Verlagerung von Entscheidungsbefugnissen von der nationalen auf die präfekturale Ebene sowie Verankerung der Bürgerbeteiligung in Planaufstellungsverfahren. Das Senbiki unterteilte dabei das Stadtgebiet in Verstädterungsförderungs– und 15


Verstädterungskontrollgebiete und legte fest, wo gebaut werden durfte. Die Stadterneuerungsprojekte konzentrierten sich auf profitträchtige Stadtflächen, richteten sich auf kommerzielle Nutzungen und wurden meist von großen Baugenossenschaften getragen. Durch private Investoren wurde anstelle der veralteten Gebäude neuer Mietwohnungsbau errichtet. Die ehemaligen Pächter und Mieter der Grundstücke befanden sich mit ihren unbedeuten der Rechten in einer bedenklichen Lage und wurden so häufig gezwungen an den Stadtrand zu ziehen. Die autoritäre, technokratische Stadtentwicklung auf Kosten der Privatleute hat einen gesellschaftlichen Konflikt ausgelöst: Verfechter der Wohnumfeldverbesserungen auf der Mikroebene (»Machizukuri« = »Stadt gestalten «) hatten konträre Zielvorstellungen zukünftiger Entwicklungspolitik. In den 70er Jahren erfolgte ein Versuch, die Stadtplanung in Richtung der Stadterneuerung auf der Grundlage der Bürgerbeteiligung umzudenken. Das moderne Antlitz Tokios wurde jedoch zum Großteil in den 80er Jahren, der Zeit der sogenannten »Bubble Economy« geprägt. Dieses Jahrzehnt war durch die Deregulierungspolitik, Bodenpreissteigerung und die Dezentralisierung der Bevölkerung in der Stadtregion gekennzeichnet. Nach 40 Jahren fast ununterbrochenen Wachstums wurde Tokio zum globalen Wirtschafts– und Finanzzentrum. Die Nachfrage nach Büroräumen stieg enorm. Zugunsten der von externen Investoren finanzierten Projekten wurden gesetzliche Bauvorschriften gemildert. Als Folge der Deregulierungspolitik exploRaum Überlagerung dierten die Bodenpreise in der Kernstadt; die Wohnfunktion wurde zunehmend in die Stadtperipherie Tokios verdrängt. Gleichzeitig wurde durch eine Reform der Distriktplan eingeführt, die sich am deutschen Bebauungsplan orientierte. Ziel war vor allem, lokale Infrastruktur zu verbessern und einzelnen Gebieten gegen den Trend zur Uniformierung ein individuelles Gesicht zu Marunouchi-Linie überquert Kanda Fluss geben. Auch lokale Initiativen zur Machizukuri sollten nun stärker auf einer rechtlichen Grundlage eingebunden werden. In den nächsten Jahrzehnten konnte man die Tendenz der Stadtausbreitung in Richtung der Wasserfläche beobachten: neue Wachstumsspitzen lagen auf den künstlichen Inseln in der Bucht von Tokio. Im Jahr 2004 erreichte die Bevölkerungskurve der Metropole ihren Peak und fällt seit der Zeit rasant. Ein geschichtlicher Rückblick über die Stadtentwicklung Tokios zeigt, dass Stadtplanung in Japan anders gedacht wird, als wir es in Europa gewohnt sind. 16


Sämtliche Planung waren immer die Reaktion auf bereits vorausgegangene Ereignisse, also Auffangplanungen als ein Versuch extreme Entwicklungen im Nachhinein zu steuern. Auch wurden in den Anfängen der japanischen Stadtplanung Verstöße kaum strafrechtlich verfolgt und waren nicht für alle Parteien verbindlich, was die Bedeutung der Maßnahmen minderte. Später lenkte man zu Gunsten der Wirtschaft immer wieder ein und reagierte durch Deregulation auf Wirtschaftsboomzeiten um Stadtplanung, insbesondere Infrastrukturplanungen dem Privatsektor zu überlassen. Aus heutiger Sicht ist dies gewiss ein geschickter Zug gewesen, dem Tokio ein hocheffizientes Transportsystem zu verdanken hat. Also wie geht es weiter? Angesichts der Tatsache, dass durch die weiterhin hohen Bodenpreisen und den Bevölkerungsrückgang der Bestand der leerstehenden Gebäude im Kernbereich weiter zunimmt, werden Projekte zu deren effektiven Weiter– und Umnutzung ins Leben gerufen. Außerdem beschäftigt man sich mit der Frage einer qualitätsorientierten Verdichtung der mit Einfamilienhäusern bebauten Wohndistrikte. Die »Toshi Saisei«, die sogenannte Wiederbelebung und Rückgewinnung der Stadt als Wohnstandort, gilt als gegenläufiger Trend zur Suburbanisierung unter deren Leitspruch mehrere Projekte initiiert wurden. Dies soll der Schlüssel für die Zukunft der Stadt sein. Lebensqualität, zum Beispiel durch aktuell geben die Olympische Spiele, die 2020 in Tokio stattfinden werden einen neuen Entwicklungsschub der zu einer ganzheitlichen Weiterentwicklung der Stadt beiträgt. Dabei wird die sowohl die öffentliche Infrastruktur verbessert, als auch viele neue Finanzzentren errichtet. Aber nicht nur gute Infrastruktur und eine stabile Wirtschaft machen heutzutage die Stadt attraktiv, sondern auch die Lebensqualität, Sicherheit und Wohnlichkeit spielen eine große Rolle. 17


So denkt man jetzt mehr über die Rolle des öffentlichen Raumes nach, der in der japanischen Tradition bisher eine eher untergeordnete Rolle spielte. Wirtschaft und Politik profitieren voneinander, wenn durch die enge Zusammenarbeit Projekte zur Verbesserung der Umwelt und neue öffentliche Grünanlagen entstehen. Auch die Projekte der sogenannten Machizukuri zur Wiederbelebung der Straßen und Hintergassen in den Stadtvierteln, die schon seit den 90en Jahren durchgeführt werden, werden weitergeführt. Die Bürger bekommen immer mehr Entscheidungsmacht zugeteilt und sie werden in die Planung und Gestaltung der Wohnviertel einbezogen. Es haben sich daher Nachbarchaftsorganisationen gebildet ,die vor allem Verwaltungsaufgaben übernehmen, aber auch immer wieder Projekte, wie das der »pot gardens« ins Leben gerufen, bei dem die Bewohner auf Grund des kleinen Grundstücke die Blumentöpfe einfach auf die Straßen stellen. Diese gestalterische Aneignung des öffentlichen Raums wird gerne gesehen und auch als eine Art des Bottom-up Urbanismus akzeptiert, weil sie dadurch kleine Straßen in einen »öffentlichen Garten« verwandelt, ohne Kosten für die Stadtverwaltung. Obwohl Tokio das Ergebnis teils zufälliger, ökonomisch orientierter Entwicklungen ist, hat es heute Vorbild-Funktion als Stadt mit besonders hoher Dichte, Qualitäten der effizienten Infrastruktur, Attraktivität der Stadt und verträgliche Urbanität bei geringer Kriminalität. Da sie dadurch kleine Straßen in einen »öffentlichen Garten« verwandelt, ohne Kosten für die Stadtverwaltung.

Tokio Midtown im Stadtbezirk Minato

»Small-Scale« in Tokio

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建築家 Der japanische Architekt Josefine Bauer Linda Schönberner Sören Hohner

Einleitung Was bedeutet es, Architekt zu sein, und unterscheidet sich das Bild des Architekten in Japan zu jenem in Deutschland? Welche Unterschiede gibt es in der Lehre, dem Büroalltag und den Gesetzen? Diese und weitere Fragen haben wir uns in dem Seminar »Japan – Zwischen Tradition und Moderne« gestellt. Das Wissen, welches wir »...viel Arbeit, viele Entwürfe, durch Recherche erarbeitet haben, immer keine Zeit« konnten wir durch Interviews und Daisuke Komuro auf die Frage was Umfragen mit japanischen Archidie Arbeit eines Architekten in tekturstudenten und praktizieJapan bestimmt renden Architekten überprüfen. Auch führten uns die Antworten der »Baukunst hat eine lange Tradition Umfragen oft auf weitere Fragen, in Japan, Architektur im wesentsodass wir unsere Erkenntnisse lichen Sinne ist hier jedoch erst immer weiter ausbauen konnten. in der Mitte des 19. Jahrhunderts Zusammengefasst haben wir unsere eingeführt worden.« Carola Hein Erkenntnisse dann in einer chronologischen Beschreibung des Weges eines japanischen Architekten, von dem Entschluss zum Architekturstudium bis in den Berufsalltag. Dabei betrachten wir immer wieder den Vergleich zu dem Werdegang eines Architekten in Deutschland. Vor jedem Kapitel finden sich subjektive Auszüge aus Umfragen oder Interviews, die im Text objektiv erläutert werden. Begriffserklärung Das Japanische Wort für Architekt ist 建築家 (Kenchikka). Es setzt sich aus 建 errichten 築 bauen und 家 heim zusammen, Atelier von Tadao Ando in Oyodo

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welche wiederum aus folgenden Wörtern bestehen: 建 errichten aus 廴 gehen und 聿 handgeschrieben 築 bauen enthält 竹 bambus, holz und ホ festhalten 家 heim setzt sich aus 宀 dach und 豕 schwein zusammen1 An der Herkunft des Wortes 建築家 zeigt sich ein erster Eindruck was in Japan mit der Arbeit und dem Sein eines Architektenverbunden wird. Neben Schutz und Heimat wie sie auch wir haben im Wort »Architekt«2 zeigt sich die tiefe Verwurzelung des Bauens in Japan mit dem Material Holz. Auch die Zeit findet sich in Errichten und Bauen doch ist sie nicht wie in »Arche« der Ursprung sondern eher der Prozess, das Vorangehen und Festhalten von Dingen. Auch wenn Festhalten nicht nur in Konstruktion sondern in der Zeit für uns aus dem Westen gerade in Japan nicht stattzufinden scheint. In Handgeschrieben erhaschen wir einen ersten Eindruck der Verbundenheit mit dem Handwerk. Doch warum in Heimat das Schwein unter dem Dach sitzt, ist uns nach wie vor ein Rätsel. Geschichte Baukunst besteht schon sehr lange in Japan. Der Beruf des Architekten wurde allerdings erst im 19. Jahrhundert nach der Meiji-Restauration eingeführt. Davor lagen Konstruktion, Entwurf und Ausführung alles in der Hand der Daiku, der Zimmermeiste.3 Mit der Einführung des Architekten wurde auch die Profession des Ingenieurs eingeführt, was noch bis heute zu einer engen Verbundenheit anhält. Es begann eine Orientierung am Westen und damit ein Bestreben nach westlichen Fachkräften und Professoren. Von November 1871 bis September 1873 wurden in der Iwakura-Mission 4 erste Verbindungen aufgebaut und Studenten ausgetauscht, um sich westliche Ingenieur-Konstruktionsmethoden 1 vgl. http://.wordsense.eu/建築家, (Stand 07.07.2017) 2 Latein: Arche (Archetypus) = Anfang, Tectum = Dach 3 vgl. Hein Carola: Baumeister und Architekten in Japan, München 2012 4 Die Iwakura-Mission bestand aus Politikern und Spezialisten, die nach Europa und Amerika reisten, um sich technologisches, wirtschaftliches und politisches Wissen anzueignen.

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anzueignen. Daraufhin begannen immer mehr Professoren aus dem Westen in Japan zu lehren. Die Ausbildung war sehr auf die Praxis ausgerichtet und wurde ausschließlich in Englisch abgehalten. In sechs Lehrjahren wurden erst allgemeine Ingenieurwissenschaft, später spezialisierte Themen und in den letzten zwei Jahren als Teil eines Büros Architektur unterrichtet. 1875 waren 520 ausländische Spezialisten in Japan. Bis heute führt dieser Einfluss dazu, dass das Studium der Architektur überwiegend an Ingenieurschulen zu finden ist. Die frühe Architekturausbildung ist also geprägt von westlichen Einflüssen und der Rückkehr der im Westen gelehrten Studenten. Erst mit dem Nobi-Erdbeben 1891 begann sich dies zu ändern, als viele neue westliche Strukturen zerstört wurden, traditionelle japanische Holzbauten jedoch unbeschadet erhalten blieben. Westliche Technologien wurden nun den japanischen Besonderheiten angepasst. Insbesondere wurden so erstmals Bauordnungen eingeführt, die japanische Grundstücksgrößen, Brandgefahr und Erdbebenschutz beinhalteten. Auch als 1887 die Debatte, in welchem Baustil der neue Kaiserliche Palast ausgeführt werden sollte, für den traditionellen Stil der Daiku entschieden wurde, wuchs das Selbstbewusstsein für die japanische Architektur. In dieser Zeit begann auch das Verständnis von Architektur als Kunstform und die Ansiedlung an Kunsthochschulen. Wohngebäude wurden meist noch traditionell errichtet, nur öffentliche Großbauten wurden nach westlicher Schule geplant. Dies zeigt sich auch darin, dass das Wort für Architekt (zökagaku) sich aus dem Schriftzeichen »große Bauten« und »lernen« zusammensetzte und erst später zum heutigen Kenchiku wurde.5 Immer wiederkehrende Brände und Erdbeben führten mehr und mehr zu einem Einführen funktionalistischer Prinzipien und Übergangsstrukturen. Besonders nach dem Erdbeben von 1923 begann die Entstehung einer modernen japanischen Architektur, einher mit der Erstellung von Bauordnungen. Bis heute ist das hohe Ansehen der Zimmermeister in der japanischen Gesellschaft mehr und mehr verschwunden. Nur noch religiöse Bauten und vereinzelte Wohngebäude werden vermehrt traditionell errichtet, auch wenn im Westen gerade diese Bautechniken zu schätzen gelernt wurden. Architekten übernahmen verschiedenste Aufgaben in riesigen, an Generalübernehmer erinnernden Strukturen oder auch in kleinen experimentellen Büros. Internationale Wettbewerbe führen weiter zum Austausch und immer mehr zu einer Rückentwicklung und das Gelangen der japanischen Architektur in den Modellbau im Büro Sou Fujimoto 5 vgl. Hein Carola: Baumeister und Architekten in Japan in: Winfried Nerdinger (Ed.), Der Architekt. Geschichte und Gegenwart eines Berufsstandes, München 2012

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Westen. Besonders seit der Nachkriegszeit entwickelte Japan seine führende Kraft in der modernen Architektur. Der relativ junge Beruf Architekt hat eine rasante Entwicklung hinter sich, die nicht zuletzt auch durch die große Anzahl an Naturkatastrophen und die damit verbundene Vielzahl an Chancen für neue Ideen, an Fahrt gewann und Japan heute auf einem internationalem Niveau viel Ansehen einbrachte.6

»Mein Vater war ein Maler. Ich war umgeben von Kunstwerken, Katalogen und Büchern, daher begriff ich die Idee von Kunst und wurde vertraut mit ihr. Ich interessierte mich für Malerei, die zweidimensional ist, aber mehr noch interessierte mich die dreidimensionale Kunst. In der Schule war ich besser in Kunst und Mathematik als in den Geisteswissenschaften. Ich begann mich erst später für kulturelle Aspekte zu interessieren, anfangs dachte ich, ich könnte mein Interesse für Kunst und Mathematik im Fach Architektur kombinieren.« Ryoji Suzuki

Gründe, Architektur zu studieren Wieso möchten junge Japaner Architektur studieren, sind die Bauten in Japan doch nicht für die Ewigkeit gedacht, wie sie in Europa zum Teil erscheinen ?! Ähnlich, wie auch in Deutschland lassen sich viele Japaner durch ihr frühzeitiges Interesse mit der Kunst und der Mathematik leiten, ist Architektur doch die Kombination aus Technologie und Ästhetik. Aber ebenso spielt die Verwandtschaft eine entscheidende Rolle. Ist der Vater z.B. Bauingenieur, so kommt es nicht selten vor, dass das Kind in das Bauwesen einsteigt. Ein weiterer Grund für das Studium der Architektur ist die Erlangung der Lizenz erster Klasse.7 Aufnahmeprüfung Wie in Deutschland gibt es auch in Japan private und staatliche Universitäten. Da die staatlichen Universitäten gebührenfrei sind und zugleich ein hohes Ansehen durch ihre erstklassige Ausbildung genießen, möchten die Japaner an diesen lernen. Doch es ist ein Akt einen Platz an diesen angesehenen Universitäten zu erlangen. Um in Japan Architektur zu studieren, muss man eine Aufnahmeprüfung bestehen und somit einige Strapazen auf sich nehmen. So muss der zukünftige Student meist mehrere Jahre zum Nachhilfeunterricht, der sehr teuer ist und sich oft bis in den späten Abend hineinzieht.8 Dies ist selbst für die guten Schüler 6 vgl Jörg Rainer Noenning, Yoco Fukuda-Noenning: Das System der Architekturproduktion in Japan, in: (Hrsg) Susanne Kothe: Dialoge und Positionen, Architektur in Japan, Basel 2017 7 Weitere Informationen hierzu finden Sie im Kapitel Kenchikushi hô (Das Architektengesetz). 8 Wiarda, Jan-Martin: Das ganze Land ein Geheimtipp, in: ZEIT ONLINE vom 25.02.2010 Nr.09 (http:// www.zeit.de/2010/09/C-Japan (Stand 21.03.2017)

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die Regel. Hat man dann die Prüfung bestanden, so fällt anfänglich im Bachelorstudium der Leistungsdruck ab, während er ab da in Deutschland stetig steigt. Studienverlauf Da der Studienverlauf im Fach »Der jahrelange Besuch von NachArchitektur an den verschieden h ilfesc hu le n i m Vorfeld d er Universitäten etwas variiert, wird Aufnahmeprüfungen, oft bis in den im Folgenden beispielhaft der späten Abend hinein, ist selbst Studienverlauf an der Kyoto Seika für die guten Schüler die Regel. University 9 erklärt. Das Studium Die Besten berichten anschließend in Japan ist unterteilt in Jahre. stolz, dass sie für die erfolgIm ersten Jahr bekommen die reiche Uni-Zulassung nur ein Jahr Studenten eine Einführung in die zur Nachhilfe mussten.« Architektur: Sie erfahren die GrundZEIT ONLINE lagen des Raumdesigns auf der Basis der menschlichen Dimensionen, erhalten Grundkenntnisse im Bereich der Innenarchitektur und des Möbeldesigns und lernen über die Architekturgeschichte. Ziel des ersten Jahres ist das Bewusstsein für die Beziehungen zwischen dem menschlichen Körper, den Objekten und dem Raum zu schulen Im zweiten Jahr ist das Entwerfen für extreme Bedingungen Teil der Chef und Mitarbeiter eines Architekturbüros in Japan Lehre. Die Studenten lernen auch über Ökologie, städtebauliche Gesetze und Regierungssysteme. Die Erarbeitung von konzeptionellen Rahmenbedingungen für die Raumgestaltung ist Ziel dieses Studienjahres. Eine Besonderheit stellt das dritte Studienjahr dar: Hier arbeiten die Studenten in sogenannten On-Campus-Studios10 der Seika-Professoren und erlangen dort erste Praxiserfahrung. Eine weitere Besonderheit ist das offene Jurysystem, bei dem die studentischen Arbeiten nicht nur von Tutoren der Universität, sondern auch von externen renommierten Architekten bewertet werden. Zielsetzung im dritten Jahr ist zum einen die persönlichen Interessensgebiete zu entdecken. Dabei werden die Fähigkeiten am Arbeitsplatz durch direkte Erfahrungen in den Architekturstudios erweitert. Im vierten Studienjahr werden die Abschlussprojekte bearbeitet. Parallel arbeiten die Studenten weiter in ihren On-Campus-Studios. Die Auswahl der Abschlussprojekte bietet viel Spielraum für die Studenten. Von landwirtschaftlichen Projekten, über zeitgenössische Architektur bis zu Innenraumdesigns 9 http://www.kyoto-seika.ac.jp/eng/edu/design/architecture/, (Stand 07.07.2017) 10 On-Cmpus-Studios sind Architekturbüros der Professoren auf dem Campus der Universität

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können die Studenten ihr Projekt frei wählen. Die Graduierungsprojekte werden ebenfalls von einer offenen Jury bewertet. Am Ende dieses Jahres haben die Studenten ihre zukünftige Richtung bestimmt und können kreative, individuelle Konzepte entwickeln. Die Lernziele im Architekturstudium in Japan unterscheiden sich nicht stark von den Lernzielen in Deutschland. Jedoch ist die Arbeit in On-Campus-Studios eine Besonderheit in Japan, welche in Deutschland auf diese Weise nicht praktiziert wird. Shukatsu (Jobsuche in Japan) Die Jobsuche unterscheidet sich deutlich von der Jobsuche in Deutschland. In Japan findet die Jobsuche nicht ganzjährig statt, sondern in einem jährlich von der Wirtschaftsorganisation festgelegten Zeitraum. Wenn man direkt nach der Universität einen Job haben möchte, und das wollen die meisten japanischen Studenten, beginnt die Jobsuche im Herbst des 3. Jahres an der Universität und dauert bis zum Frühsommer des 4. Jahres der Universität. Der Prozess ist langwierig und sehr zeitaufwendig. Im Herbst des 3. Universitätsjahres beginnen die Studenten damit, Voruntersuchungen zu ihren Interessen, Fähigkeiten, Stärken und möglichen Karrierewegen anzustellen. Darüber hinaus nehmen die Studierenden an einem »Career Center« in ihren jeweiligen Universitäten teil, um sicherzustellen, dass sie sowohl mit den Seminaren und Veranstaltungen als auch außerhalb des Campus auf dem Laufenden bleiben. Außerdem beginnen die Studenten in dieser Zeit, Wunscharbeitsplätze herauszusuchen und dort Praktika oder Schülerführungen zu machen. Diesen Büros schickt man dann

Can you discribe a typical day at university? 08:00 Getting up / making a lunch box 10:00 arrived at school 10:00-12:00 architecture history lecture 12:00-13:00 having lunch 13:00-14:30 English academic skill lecture 14:30- 16:10 architecture structure lecture 16:20-17:50 French basic grammar lecture 18:00-19:00 doing a assignment for design 19:00 left the school 19:00-20:00 on the train 20:00-21:00 English conversation prep 21:00-22;00 on the train 22:00 back to my house / having dinner 23:00-25:00 studying/ free time 25:00 going to bed 24


The perfect place of employment Interessensbekundungen, welche for you, what does it need? informeller als offizielle Bewer»We need year-round-recruitment. bungen sind.11 Als Antwort auf Japanese job hunting is a unusual. diese Interessensbekundungen It‘s bad.« bekommen die Studenten in der zweiten Phase, ca. 1 Monat später, Why did you chose to stu dy Informationen der verschiedenen architecture? Büros zugesandt. Wenn man dann »Because I want to get a national eine engere Auswahl getroffen hat, license.« wird es auch verpflichtend, zu Informationsveranstaltungen jener Büros zu gehen. In der dritten Phase der Jobsuche schickt man dann eine Bewerbung in Entry Sheet 12 an die favorisierten Büros. Nachdem die Dokumente durchgesehen wurden, gibt es noch Gruppen– und Einzelinterviews, an denen man teilnimmt. Kurz vor Ende des Studiums bekommt man dann von den Unternehmen die Zu– oder Absagen mitgeteilt. Dieses Verfahren der Jobsuche ist für die Studenten sehr stressig, zum einen, weil es zeitaufwendig ist, zum anderen aber auch, weil es schwierig ist, aus den Massen von Bewerbern herauszustechen und einen positiven Eindruck zu hinterlassen.13 Kenchikushi hô (Das Architektengesetz) Die Bauplanung und Bauausführung darf in Japan nur von staatlich zertifizierten Architekten durchgeführt werden, die als kenchikushi bezeichnet werden (Kenchiku bedeutet »Architekt« und shi steht für »Gelehrter«.) Deren rechtlichen Anforderungen sind im Kenchikushi-hō (deutsch »Architektengesetz«) geregelt, welches 1950 verabschiedet wurde. In diesem Gesetz wird in drei Klassen von Architekten unterteilt: Architekten 1. Klasse (ikkyū kenchikushi), Architekten 2. Klasse (nikyū kenchikushi) und Holzbau-Architekten (mokuzō kenchikushi). Je nach Klasse haben die Architekten unterschiedliche Befugnisse. So dürfen Gebäude mit einer Höhe von über 13 m oder einer Fläche von über 1000 m2 ausschließlich von Architekten 1. Klasse gebaut werden. Darunter fallen auch öffentliche Gebäude wie Schulen, Krankenhäuser, Theater, Kinos und Stadthallen. Mit der Lizenz eines Holzbau-Architekten darf man hingegen nur Gebäude in Holz bis zu 2. Stockwerken bauen, deren Fläche weniger als 300 m2 beträgt.14 11 vgl. DISCO Inc.: Shukatsu – The road to a job in Japan, Hiten Amin Reports, Tokyo 2012 12 »Entry Sheets« beinhalten u.a. eine persönliche Einschätzung der eigenen Studienleistungen und Entwicklung sowie eine Gegenüberstellung der eigenen Stärken und Schwächen 13 In einem Video der Tokyo University of the Arts wird die Problematik der Jobsuche in Japan anschau lich dargestellt. (https://www.youtube.com/watch?v=M6rb6kknj3A (Stand 16.05.2017) 14 vgl. The Japan Architectural Education and Information Center: Public Interest Incorporated Foun dation, Tokyo 2013

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2015 betrug die Zahl registrierter Architekten der 1. Klasse 360.007, der 2. Klasse 752.251 und die der Holz-Architekten 17.534. Um eine Lizenz für die jeweilige Klasse zu bekommen, muss man eine Prüfung bestehen, für deren Anmeldung man jeweils bestimmte Voraussetzungen vorweisen muss. Um sich für die Prüfung des Holz-Architekten oder Architekten 2. Klasse anmelden zu können, muss man beispielsweise einen Universitätsabschluss vorweisen, oder einen Highschool Abschluss sowie 3 Jahre Praxiserfahrung. Man kann sich auch ohne Abschluss für die Prüfung anmelden, sofern man 7 Jahre Praxiserfahrung nachweisen kann. Für die Anmeldung zur Prüfung für die Lizenz zum Architekten 1. Klasse sind die Voraussetzungen noch höher. Hier braucht man entweder einen Universitätsabschluss und 2 Jahre Praxiserfahrung oder ein 3-jähriges Studium an einem Juniorcollege sowie 2 Jahre Praxiserfahrung. Es ist auch möglich sich für die Prüfung anzumelden, wenn man schon die Lizenz zum Architekten 2. Klasse erworben hat und zudem schon 4 Jahre Praxiserfahrung als Architekt 2. Klasse gesammelt hat. Die Prüfungen bestehen jeweils aus einer unterschiedlichen Anzahl von Fragen zu verschiedenen Themenbereichen. Die Prüfungen beinhalten beispielsweise Fragen zu den Themenbereichen Planung und Umwelt, Entwurf und Zeichnen, Konstruktionen sowie Gesetze und Regelungen. Die 1. Klasse Architekten erhalten nach bestandener Prüfung ihre Lizenz vom Bauministerium, die beiden anderen Architektenklassen von ihrer jeweiligen Präfektur. Die Prüfungen zu bestehen ist jedoch nicht so einfach. 2015 bestanden die Prüfung zum Architekten 1. Klasse nur 12,4 % (bei 30.462 Teilnehmern), die zum Architekten 2. Klasse 21,5 % (bei 23.680 Teilnehmern) und die zum Holzbau-Architekten immerhin 27,3 % (bei 556 Teilnehmern). Nach der schriftlichen Prüfung, welche nur zwei mal wiederholt werden darf, gibt es eine mündliche Prüfung, die nur ein mal wiederholt werden darf und worauf im Falle des Scheiterns die schriftliche Prüfung erneut geschrieben werden muss.15 Große und kleine Architekturbüros In der japanischen Bürostruktur wird unterschieden in kleine und große Architekturbüros. Dabei gibt es verhältnismäßig wenige Konglomerate, beispielsweise Obayashi und Takenaka, dennoch wird der größere und lukrativere Teil in der Bauproduktion von ihnen bearbeitet. Die kleinen, meist sehr jungen Büros mit wenigen Mitarbeitern gelten als experimentierfreudig und suchen neue Wege in der Architektur, nicht selten auch auf theoretischer Ebene. Sie sind stark auf den Entwurf von kleinen – mittleren Bauaufgaben fixiert. Kommt es zur Bauausführung, so wird die Werkplanung und Projektüberwachung an externe Baufirmen abgegeben.16 Die großen Büros hingegen beschäftigen bis zu 1000 Mitarbeitern, wobei jegliche Planungspartner 15 vgl. Jürgen Kunzemann: Deutsche Architekten im Ausland – Teil 20: Japan, im Deutschen Architektenblatt Ausgabe 06/2004 16 vgl. ebd.

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wie z.B. Werkplanung und Freif»... diese jungen, meist sehr lächengestaltung intern untergekleinen Büros decken nur einen bracht sind. Bei Neueinstellungen Teil der architektonischen wird ein strenges Auswahlverfahren Produktion ab. Der weitaus durchgeführt, wobei auf Loyagrößere und auch lukrativere Teil lität und absolute Teamfähigkeit wird von großen Architekturgeachtet wird. So unterschiedlich büros bzw. von den architektodie Strukturen auch sind, so gibt nischen Designabteilungen großer es doch auch Gemeinsamkeiten. Baufirmen abgewickelt.« Jürgen Die Mitarbeiter sind sehr stark mit Kunzemann ihrer Arbeit verbunden, denn in der Regel arbeiten sie bis zu 14h täglich Japan Deutschland und nehmen anschließend einen min. 36.477 €/Jahr 35.366 € weiten Heimweg in Kauf, da außermax. 69.183 €/Jahr 52.651 € halb der Ballungszentren die Mieten Ø 52.761 €/Jahr 42.122 € bezahlbar sind. Freizeit nimmt in BIP 35.007 €/Jahr 41.406 Japan nur einen kleinen Stellenwert ein. Die Architekten in Japan 27,76% höhere haben große Freiheiten in Hinblick Lebensunterhaltungskosten auf den städtebaulichen Kontext, 44,25 Arbeitsstunden/Woche da Gebäude nur kurzlebig sind und sich das Stadtbild rasch ändert, dennoch bestehen strenge Vorgaben an die Standsicherheit, die Abstandsflächen und dem Brandschutz.17 Außerdem typisch für Japan sind Verträge per Handschlag – von deutscher Bürokratie ist man hier weit entfernt. Durch persönliche Beziehungen untereinander entsteht infolgedessen eine Intransparenz. Die Zweiteilung der Struktur ist zutiefst charakteristisch für die Stellung der Architekten in Japan. Viele der Absolventen bevorzugen die großen Baufirmen mit der praxisorientierten Arbeit und dem stabilen Lohn. Nur etwa ein Viertel der Absolventen möchten sich auf den reinen Entwurf spezialisieren. Wenn man jedoch aus einem kleinen Büro austritt, um sich selbständig zu machen, werden einem zu Beginn meist kleinere Aufträge vom Büro weitergegeben. Löhne und Arbeitszeiten Vergleicht man die Gehälter der Architekten in Japan und Deutschland, so fällt zunächst auf, dass Japaner durchaus mehr verdienen. Mit einem Durchschnittseinkommen von 52.761 €/ Jahr18 verdienen sie 20 Prozent mehr als die Deutschen (42.122 €/ Jahr). Wie auch hier erhalten Männer einen höheren Lohn als Frauen. In Japan ist scheinbar eine 40-Stunden-Woche gesetzlich festgeschrieben, wobei sich da nur die Wenigsten dran halten, da 14-stündige Arbeitszeiten am 17 Schittich, Christian: Japan: Architekten, Konstruktionen, Stimmungen, u.O. 2005 18 https://www.careercross.com/en/salary-survey/category/1400 (Stand 07.07.2017), http://www.world salaries.org/japan.shtml (Stand 07.07.2017)

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Tag in zahlreichen Artikeln geschildert wurden. Dadurch stellt sich die Frage, ob die Überstunden im Lohn inbegriffen sind oder gesondert zu betrachten sind. Ein weiterer ausschlaggebender Faktor sind die Lebenshaltungskosten, welche in Japan 27,7 % höher sind als die deutschen. Somit ist das Gehalt von japanischen Architekten nur auf der ersten Anschein höher.19

»Das Denken [...] In Deutschland [...] die Art und Weise des Denkens ist klar, in Japan denkt man Ahh das muss machen und das, es gibt so viel, das machen, das machen[...] scheiße.« Daisuke Komuro auf die Frage: Was sind die größten Unterschiede Zwischen Japan und Deutschland?

Das Architektonische System in Japan Der Erfolg der japanischen Architektur ist auch ein Ergebnis eines gut funktionierenden Systems. Die allgemein in Japan fest verankerte Disziplin spielt hierbei eine wichtige Rolle. Grundlegend ist das System der Architekturproduktion in zwei Subsysteme geteilt und wie eine Art symbiotisches Netz miteinander Tadao Ando im Büro, Osaka verbunden. Das erste Subsystem bilden Gestalter und Hersteller, also alle Produzenten, von großen bis kleinen Architekturbüros, und Handwerker. Das zweite besteht aus Verlagen, Medien, Architekturverbänden und Universitäten und ist vielleicht unter dem Wort »Architekturvermittlung« zusammen zu fassen. Zwischen den Systemen gibt es ein komplexes Geflecht aus Abhängigkeiten und Verpflichtungen, wie wir es auch schon bei der Jobsuche kennen gelernt haben. Da die Büros oder On-Campus-Studios auch als Übungsfeld verstanden werden, entsteht eine Art Co-Learning. Jeder Angestellte in einem Büro hat neben seiner Arbeit Lehr– und Lernverpflichtungen, die sich nach einer Hierarchie gemäß dem Alter gliedern. Es entsteht eine Art Lerngemeinschaft, in der die Meister als Mentoren den beruflichen Werdegang ihrer jungen Kollegen führen. Vieles wird beim Arbeiten im Prozess erlernt und verstanden. Es entsteht ein sozialer Zusammenhalt, eine Lebensgemeinschaft, bei der die Angestellten mit 14-Stunden-Tagen sechs Tage die Woche im Grunde im Betrieb leben. Gleichzeitig werden scheidenden Mitarbeitern auch Aufträge vermittelt. Man sieht sie nicht mehr als Konkurrenten, sondern als »Mitarbeiter im Gesamtsystem«. Es gibt wenig öffentliche Architekturwettbewerbe in Japan. Öffentliche Bauaufträge gehen meist direkt an die großen Büros. Die kleinen Büros übernehmen 19 Ettel, Anja: Preisniveau macht aus Deutschland teures Pflaster, 07.05.2014

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hingegen in der Regel spezielle planerische Aufgaben und private Aufträge. Es gibt eine sehr starke Zusammenarbeit, in der die Beziehungen nicht nur zwischen Architekten, Ingenieuren und Handwerkern, sondern auch zu den Bauherren gepflegt werden. Hier ist auch wieder die Disziplin von Bedeutung. Verträge werden oftmals per Handschlag abgeschlossen und gewissenhaft und verantwortungsbewusst ausgeführt. Die oft radikal erscheinende Architektursprache ist ein Produkt aus der Zusammenarbeit von Gestaltern, Bauherren und Handwerkern. Es wird viel Zeit für Kommunikation und gemeinsame Treffen verwendet. Auch die sehr gute Architekturvermittlung an Bauherren durch zahlreiche Zeitschriften und Verbände spielt hierbei natürlich eine wichtige Rolle. Trotz dieser starken Verankerung genießen Architekten in Japan einen sinkenden Stellenwert in der Gesellschaft. Ihr Ansehen ist nicht so hoch wie zum Beispiel bei Ärzten oder Anwälten. Scheinen zu uns einzelne Sterne wie Tadao Ando oder Kazuyo Sejima durch, so ist der Großteil des Himmels doch Dienstleister und Lieferant von Visionen und Kreativität.20 Fazit Jede Antwort ist der Beginn einer neuen Frage. Die Interviews mit Ulf Meyer und Herrn Komuro, sowie die Umfrageergebnisse der japanischen Architekturstudenten halfen uns bei der Recherche von einer Thematik zur nächsten zu gelangen. Dabei stieß man immer wieder auf neue Aspekte, die es beispielsweise in Deutschland so nicht gibt, wie z.B. die beschriebene Jobsuche. Wir sahen durch sie ein anderes Bild, einen anderen Blick auf Architektur sowohl in Japan als auch im Westen. Dennoch wurden wir auch bestätigt, dass es auch Ähnlichkeiten mit Deutschland gibt, wie beispielsweise die Gründe des Architekturstudiums oder das Gehalt. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass all die Ergebnisse nicht verallgemeinert werden können und es den idealen Architekten in Japan nicht gibt, sowohl hierzulande als auch in jedem anderen Land jeder Architekt seinen eigenen Lebenslauf hat. Die Recherche hat uns insofern geholfen, Aspekte der japanischen Architekturausbildung und der Arbeitswelt ein Stück weit zu öffnen. Wir versuchten auf einem Weg der Annäherung Richtung Japan zu gehen doch haben sich mit jedem Schritt neue Wege, neue Aspekte, neue Fassetten eröffnet, sodass wir nur feststellen konnten wie weit uns Japan doch noch entfernt ist und vielleicht bleibt.

20 vgl Jörg Rainer Noenning, Yoco Fukuda-Noenning: Das System der Architekturproduktion in Japan, in: (Hrsg) Susanne Kothe: Dialoge und Positionen, Architektur in Japan, Basel 2017

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庭 Der Japanische Garten Leonie Winkler Carolin Hensolt Leonie van Kempen

Tei –En Schon das japanische Wort für »Garten« lässt bei genauer Betrachtung mehr als nur einen Rückschluss auf die Bedeutung des Gartens für die japanische Bevölkerung, seine Prägung und Entwicklung zu. Es zeigt auf, welche Haltung dem Garten, als auch dessen Gestalter innewohnt. Trennt man die beiden Wortteile, so ist »Tei« die chinesische Übersetzung des japanischen Wortes »niwa«, welches für die freie Natur steht, während »En« die Übersetzung von »sono« ist, das – völlig gegensätzlich – für die gestaltete, kontrollierte Natur steht. Bereits hier wird die Essenz des japanischen Gartens offensichtlich; was unabhängig von Zeitgeschehen und temporären Strömungen über alle Epochen hinweg die oberste Prämisse bei der Gestaltung der Gartenanlagen ist und war: Die Natur wird in ihrer tatsächlichen, ursprünglichen Form belassen – ein Baum bleibt also auch optisch immer ein Baum und wird nicht zu etwas anderem gemacht – jedoch werden Pflanzen und Bäume durch oftmals jahrelange Arbeit und Pflege entsprechend dem japanischen Schönheitsideal perfektioniert und idealisiert, teilweise sogar minimalisiert und Zusammenhänge und Landschaften in abstrahierter Form dargestellt. Aus Wasser werden gerechte Kiesfelder, aus Moos werden Inseln, aus Felsen Berge. Entsprechend der Bedeutung des Wortes »Tei-En« ist der japanische Garten also der bildhafte Ausdruck der Kombination der freien Natur – also der Natur in ihrer ursprünglichen Form – und der gestalteten Natur, die bis in die Blattspitzen von Gärtnern kontrolliert wird. Doch woher kommt der unumgängliche Wille zur Perfektion der Natur ohne ihr dabei ihre tatsächliche Form zu nehmen? Bei unseren Recherchen wurde immer wieder offensichtlich, dass die Japaner ein zweiseitiges Verhältnis mit der Natur verbindet. Auf der einen Seite, steht der tief verwurzelte Respekt vor der Natur, der sich vor allem in den animistischen Naturreligionen Japans wie dem Shintoismus ausdrückt. Flora und Fauna werden mit großer Sorgfalt und Ehrfurcht behandelt und geschützt. Immer wieder werden besonders ausdrucksvolle oder charakteristische Felsen oder Bäume im Shintoismus zu Wohnorten der Gottheiten erklärt und dementsprechend verehrt. Parallel dazu, sind sich die Japaner der allgegenwärtigen Bedrohung durch die Naturgewalten bewusst. Das Land, dass als Inselkette in Mitten des Pazifiks liegt, ist geprägt von Gebirgen, die durch das aufeinandertreffen verschiedener tektonischer Platten entstanden. Durch diese geographischen Gegebenheit ist das Land gleich doppelt potentiell gefährdet: Erdbeben und Vulkanausbrüche erschüttern in regelmäßigen Abständen die japanische Bevölkerung und sorgen wie die mit starken Wind und Regen einhergehenden Taifune für Zerstörung, Ernteausfälle und ein gesteigertes Empfinden für die Vergänglichkeit der Dinge. Wir gehen nach eingehender Beschäftigung 30


mit dem Thema davon aus, dass dieses mehrschichtige Verhältnis zur Natur, gepaart aus Achtung und Furcht vor ihrer Kraft zu einer Art Kompensation in der Gartenkunst führt, bei der der Japaner auf kleinem Raum die ihm dort gegeben Macht über die Natur auslebt und zelebriert ohne seinen Respekt vor ihr zu verlieren. Die Natur wird auf eine ganz neue, sehr intensive Weise analysiert und wahrgenommen, sodass der Gärtner die Freiheit erlangt sie ihrem wahren Wesen nach darzustellen unabhängig von ihrer Materie. Trotz seiner vergleichsweise isolierten Lage im Pazifik entzieht sich Japan nicht dem Einfluss andere, vornehmlich asiatischer Länder. Schon früh besteht ein reger Austausch mit anderen hochentwickelten Kulturen. Insbesondere die Kultur Koreas und Chinas beeinflusst die Entwicklung Japans auf den unterschiedlichsten Gebieten, wie Architektur, sprachlich – wie erneut das Wort »Tei-En« verdeutlicht – und ab dem 6. Jahrhundert die Gartenkultur, die auf dem Festland bereits lange zuvor Teil des kultivierten Lebens war. Während anzunehmen ist, dass die ersten Gartenformen noch fast gänzlich unverändert aus ihren Ursprungsländern China und Korea übernommen wurden, entwickelte sich auf der Insel Japan eine ganz eigene Gartenkultur die in ihrer Form als einzigartig gilt. Eingebettet und angepasst an die politischen und gesellschaftlichen Umstände der Zeit entstehen in Japan seit dem 9. Jahrhundert immer wieder neue Gartentypen, die wir auf ihre Hintergründe hin analysiert haben um dadurch Zugang zu deren Essenz – also deren Sinn und Zweck – zu finden und zu verstehen was »den japanischen Garten« oder viel mehr die japanische Gartenkunst in all ihrer Vielfalt ausmacht. Denn obwohl sich die japanische Gartenkunst einer enormen Varianz an ästhetischen Mitteln und Gestaltungsmerkmalen bedient ergibt sich die faszinierende Gemeinsamkeit ihrer Tiefe, Ruhe und dem bestreben die Natur in ihrem Wesen und nicht in ihrer reinen Gestalt zu erfassen und nachzubilden. Der Teichgarten Den Grundstein für den ersten japanischen Gartentyp legte das »goldene« Heian-Zeitalter. Die Adelsherrschaft der Heianaristokratie errichtete verschiedene Machtzentren die in einer langen Zeit des Friedens parallel zu einander bestanden und ihr Konkurrenzbedürfnis lediglich durch das gegenseitige übertrumpfen in den Belangen Kultur und Prunk auslebten, was eine bisher unbekannte Lebensart begünstigte. An den Höfen der Heian wurden die japanische Kultur, Sitten und die Kunst zu höchster Verfeinerung geführt. Das Zentrum der höfischen Kultur bildete dabei die Ästhetik: eine gesteigerte Empfänglichkeit und Sensibilität für die subtile Schönheit und feiner Eleganz. Besonders im Fokus stand allerdings die Poesie, die die anderen Künste stark beeinflusste und zum Maßstab aller Dinge wurde – auch zu dem der Gärten. Im Zentrum der sonst so streng und rechtwinklig geplanten Herrscherpaläste befand sich fortan der sogenannte »Teichgarten«, welcher sich durch eine großzügige, natürlich geformte Teichanlage auszeichnete, der dem neuen Lebensstil das passende Ambiente bieten sollte. Eingesäumt von einem Rahmen aus bunt blühenden Sträuchern und Bäumen erstreckte sich eine beeindruckende Landschaft aus Teichen, Inseln und Brücken, die den Adeligen das passende 31


Umfeld für das Schreiben von Gedichten, zum musizieren und Festlichkeiten schaffte. Die Teiche konnten mit Booten befahren werden und offerierten auf diese Weise sowohl Unterhaltung als auch eine neue Fülle an Eindrücken und Ausblicken. Der bloße Anblick des Gartens sollte berühren und inspirieren und so dazu einladen immer neuen Beiträge zur höfischen Kultur zu leisten. Die dargestellten Gartenszenen im allgemeinen symbolisierten oftmals Geschichten aus der japanischen und chinesischen Literatur, der Kunst und Malerei oder waren Anlehnungen an reale japanische Landschaftsvorbilder, die in den Gärten allerdings keinesfalls als bloße Nachahmungen existieren sollten. Stattdessen beschäftigten sich die Gartenplaner – meist die Herrscher selbst – intensiv mit den Naturvorbildern um deren Essenz möglichst wirksam einfangen zu können.

Kinkaku-ji in Kyōto

Kare Sansui Die Kamakura und Moromachi Zeit, die Zeit des sogenannten Trockenlandschaftsgartens, war geprägt von politischen Unruhen und kriegerischen Auseinandersetzungen. Die vorherrschende Macht war die Militärherrschaft der Samurai. Die Leere und Stille, die das Erscheinungsbild des Gartens prägt, soll sowohl einen starken Gegensatz zum vorausgegangenen Teichgarten darstellen und somit den Umbruch der Zeit verbildlichen, als auch die starke Hand der Samurai nachbilden. Den eindrücklichsten Gegensatz zum Teichgarten bildet dabei die Farbwahl der beiden Gärten. Während der Teichgarten durch bunte 32


Sträucher und Blumen bestimmt wird, bedient der Kare Sansui eine monochrome Farbwelt aus Grau–, Braun– und Grüntönen. Durch den starken Gegensatz zum Teichgarten und allgemein durch die Schlichtheit und die Kraft, die der Garten ausstrahlt, soll die Macht der Samurai demonstriert werden. Der Garten wird zudem umgangssprachlich als Zen-Garten bezeichnet, da er als Grundlage und Umgebung für Meditationen des Zen Buddhismus dient und von Zen Mönchen angelegt und gepflegt wird. Die starke Reduktion des Gartens fördert dabei die Konzentration des meditierenden Betrachters auf den inhaltlichen Ausdruck des Gartens, weg von der oberflächlichen Ausstrahlung hin zum inneren Erfühlen der verborgenen Qualität des Ortes. Der Betrachter soll auf diese Weise nicht durch das Beobachten der Anlage abgelenkt werden, sondern durch die Reduzierung auf das Wesentliche, diesen in seinen Gedanken vervollständigen. Der Sinn der Trockenlandschaftsgärten liegt dabei allerdings in der reinen Betrachtung des Gartens, es findet somit keinerlei Interaktion mit diesem statt, wie wir das aus europäischen Gärten kennen, sondern der Garten wird von einer Art Veranda beispielsweise eines Tempels beobachtet und nicht betreten. Zudem kann der Garten und die Meditation als ein Zufluchtsort und Gegenpol aus dem gewaltbestimmten Alltag verstanden werden. Die Gesellschaft fand im Kare Sansui damit den Ruhepol und die Divergenz zu den gesellschaftlichen Instabilitäten. Der Zen Buddhismus wurde außerdem von den Samurai vertreten und unterstützt und bekam dadurch eine größere Gewichtung im Alltag der Zeit. Somit rückte mit ihm der Zengarten in den Mittelpunkt. Im Kare Sansui werden wie in allen anderen japanischen Gärten natürliche Landschaften nachgebildet und verbildlicht. Vorbild können dafür die reale Natur oder andere, bekannte Gärten sein. In keinem anderen Garten wird allerdings die Abstraktion und Reduktion so weit getrieben wie in diesem. Kare Sansui Hierbei wird bspw. Wasser durch sorgfältig gerechtes Kies symbolisiert oder große, akribisch positionierte Steine symbolisieren Inseln. Teegarten Nach den politischen Unruhen der Kamakura und Moromachi Zeit folgte in der Moyomama und Edo Zeit eine Zeit die von Frieden geprägt war. Die Menschen hatten somit die Möglichkeit sich wieder mit

Daigo-ji in Kyōto

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schönen Dingen auseinander zu setzen und waren nicht nur damit beschäftigt ihre primären Bedürfnisse zu befriedigen. In dieser Zeit herrschten zwei prägende Strömungen vor. Zum einen die Bestrebung zurück zu den Ursprüngen des Gartens, der Landwirtschaft, zum anderen diente der Teegarten dem Ausdruck der rückgewandten Partei, die sich an der Heianaristokratie orientierten. Grundlage des Teegartens bildet die Teezeremonie, welche in einem kleinen Häuschen – dem Teehaus – abgehalten wird. Ein langer spezifisch gestalteter Weg, der Chado, führt durch den Garten zum Teehaus und ist aufgrund gezielt gelenkter Ausblicke bereits Teil der Teezeremonie. Durch Trittsteine, den so genannten Shin gyo so, wird das bedächtige gehen des Besuchers gefördert, da Konzentration benötigt wird um nicht von diesen abzurutschen. Beim Betreten des Gartens führt der Weg an einem Stein Becken mit Bambusrohr vorbei. Dies wurde früher zur Reinigung nach der Feldarbeit genutzt und soll heute ein Symbol für die geistige Reinigung vor dem Betreten des Gartens sein. Der Weg wird zudem von Steinlaternen gesäumt , die zur Beleuchtung dienen und ebenfalls eine Überlieferung aus den Ursprüngen des Gartens darstellen. Der Besucher des Gartens bereitet sich somit bereits auf dem Weg zum Teehaus auf die Teezeremonie vor, womit ein ruhiges und bedächtiges Ankommen gewährleistet wird und jener sich besser auf die Zeremonie einlassen kann. Dies ist besonders von Nöten da sich die Teegärten heute meist im städtischen Umfeld befinden und somit einen Rückzugsort aus dem hektischen Treiben schaffen. Der größte Teil der Teezeremonie wird dann im Teehaus abgehalten, welches das Ziel des Weges ist. Dieses wird durch gezielte Ausblicke während des Weges bereits im voraus inszeniert und in den Weg mit eingebunden. Wandelgarten Ähnlich dem Teegarten finden inszenierte Ausblicke auch im Wandelgarten ihre Geltung. Die Entstehung dieses Gartentyps war ebenfalls geprägt von dem Frieden der Edo Zeit. Aufgrund der dadurch resultierenden Ruhe im Land finden vor allem wohlhabende Aristokraten und Fürsten viel Zeit, Energie und Muse um prunkvolle Gartenanlagen anzulegen. Außerdem findet der Wandelgarten Anklang an der Heian Zeit durch seinen Schwerpunkt auf Machtdemonstration und Präsentation von Rang und Reichtum. Das europäische Equivalent zu diesem Garten sind die großzügig und sorgfältig angelegten Barockgärten. Wandelgärten sind Gärten, die durch Wege erschlossen werden, welche sich als Wandelpfad wie ein roter Faden durch die Parkanlage ziehen. Dieser Pfad leitet Wandelgarten mit Trittsteinen 34


dabei bewusst die Wahrnehmung des Besuchers. Beispielsweise wird durch einen unebenen Wegebelag und besondere Trittsteine, ähnlich den Elementen des Teegartens, die Aufmerksamkeit auf das Gehen gelenkt. Als Kontrast bieten ebene Wege einen weiten Blick, spannende Ausblicke und interessante Inszenierungen. Somit dient der Wandelgarten vor allem der Nachbildung fiktiver Landschaften aus Literatur oder Poesie und soll dem Besucher Vergnügen und Unterhaltung bescheren. In seiner Gesamtheit zeigt der Wandelgarten Elemente aus allen bisher vorangegangenen Gartentypen. Tsubogarten Das japanische Wort Tsubo steht wörtlich übersetzt für »umschlossener Raum«. Als Gartentypus erlangte dieser vor allem im 16. Jahrhundert bei der städtischen Oberschicht Geltung, da sie ihr Wohnumfeld mit Ästhetik und Geschmack gestalten, Prestige und Bildung demonstrieren und auf diese Weise etwas Grün in die engen BebauTsubogarten ungen der Städte integrieren wollten. Dieser Gartentyp fungiert vor allem als kleiner Innenhof um, ähnlich einem Atrium, für mehr Frischluft und Belichtung in den vorwiegend langen, schmalen Häusern zu sorgen. Er kann dabei von den umliegenden Räumen betrachtet, aber nur selten betreten werden. Auf diese Weise soll auf wenigen Quadratmetern Fläche eine Atmosphäre geschaffen werden, die die Enge des Raumumfeldes auflöst. Zentrale Gestaltungselemente sind vor allem Wasserbecken, ausgewählte Pflanzen, kleine Felsen, Steinlaternen und Kiesflächen, welche sorgfältig arrangiert und kombiniert werden. Dieser Gartentyp hat daher einige Elemente des Kare sansui und Teegartens inne. In der heutigen japanischen Kultur sind Tsubogarten nur selten vorzufinden, da hierfür in den kleinen städtischen Häusern kein Platz mehr besteht. Der Moderne japanische Garten Verschiedene Gestaltungselemente, wie zum Beispiel Kies, Steinlaternen, Felsformationen oder ausgewählte Pflanzen, bilden die Essenz für den Ausdruck des Japanischen Gartens. Auch in den heutigen modernen japanischen Gärten findet diese Essenz noch Relevanz und wird auf unterschiedliche Weise eingesetzt. Im Entwurf des japanischen Architekten Kisho Kurokawa wurde ein moderner Teegarten zwischen urbanen Strukturen auf einer Terrasse im 11. Stockwerk eines Wohngebäudes geschaffen. Der vor der Terrassentür platzierte traditionelle Trittstein, führt zu einem schmalen Pfad, der mit Kiefern, Sträuchern, Kies und Moos gesäumt ist. Am Ziel des Pfads befinden sich traditionell gestaltete Räumlichkeiten worunter auch ein der Teezeremonie gewidmeter Raum ist. Der Blick von hier in den Garten eröffnet den Eindruck von vollkommener 35


Abgeschiedenheit und bildet einen Kontrast zum belebten Großstadttreiben. Auch wenn diesem Garten eine gewisse Erdung fehlt, da er auf eine andere Art in das Wohnumfeld eingebunden wurde, kamen wir zu der Beurteilung, dass aufgrund der Kombination der Elemente, der Haltung gegenüber des traditionellen Gartens und der Rückbezug auf ältere Prinzipien, dieser die Essenz des japanischen Gartens weiterhin innehat. Der Entwurf des Architekten Yoshiji Takehara verdeutlicht jedoch wie leicht die feine Essenz des japanischen Garten verloren gehen kann. Er kombiniert in seiner Arbeit nicht nur zwei Gartentypen miteinander, sondern lässt auch zwei g e g e ns ät zlich e P hil o s o phie n aufeinanderstoßen.

Garten des Appartement in Akasaka von Kisho Kurokawa

Garten von Yoshiji Takehara

Der Kare Sansui, der seinen Ursprung in der Introvertiertheit des Zen Buddhismus hat und in starkem Zusammenhang zur reduzierten Lebensweise der Samurai steht und damit den Kontrast zu den Prunkgärten der Aristokratie darstellt, die die Werte ihrer Herrschaftszeit nicht durch Reduktion, sondern durch ausladende Wandelgärten präsentierten. Zudem werden die Merkmale der jeweiligen Gärten hier plakativ übersetzt. Aus dem feinen, naturbelassenen Kies wird hier ein Geröllfeld, das nicht mehr die Stille des Kare Sansui transportieren kann. Auch die prägenden Linien die in Perfektion in die Kiesfelder der Zengärten gerecht werden lassen sich hier nicht mehr wiederfinden. Die Ausblicke und Inszenierungen, die das wesentliche Merkmal der Wandelgärten sind, finden sich hier umgesetzt in der Wechselwirkung zwischen Architektur und Garten wieder. Teilweise stark pointiert formen Öffnungen ein bestimmtes Bild, welches den Blick des Betrachters lenkt. Im Gegensatz dazu ergeben sich im ursprünglichen Wandelgarten durch geschickte Wegführung und unterbewusste Blickführung die gewünschten Ausblicke ganz natürlich. Fazit Im Bezug auf die ästhetischen Wertvorstellungen des japanischen Gartens haben sich über einen relativ langen Zeitraum durch unterschiedlichen politisch, gesellschaftlichen Umständen vielfältige Ausdrucksmöglichkeiten innerhalb Zudem werden die Merkmale der jeweiligen Gärten hier plakativ übersetzt. 36


Aus dem feinen, naturbelassenen Kies wird hier ein Geröllfeld, das nicht mehr die Stille des Kare Sansui transportieren kann. Auch die prägenden Linien die in Perfektion in die Kiesfelder der Zengärten gerecht werden lassen sich hier nicht mehr wiederfinden. Die Ausblicke und Inszenierungen, die die wesentlichen Merkmale der Wandelgärten sind, finden sich hier umgesetzt in der Wechselwirkung zwischen Architektur und Garten wieder. Teilweise stark pointiert formen Öffnungen ein bestimmtes Bild, welches den Blick des Betrachters lenkt. Im Gegensatz dazu ergeben sich im ursprünglichen Wandelgarten durch geschickte Wegführung und unterbewusste Blickführung die gewünschten Ausblicke ganz natürlich. Fazit Im Bezug auf die ästhetischen Wertvorstellungen des japanischen Gartens haben sich über einen relativ langen Zeitraum durch unterschiedlichen politisch, gesellschaftlichen Umständen vielfältige Ausdrucksmöglichkeiten innerhalb der Gartenkultur entwickelt. Dennoch steht hinter jeder Gartentypologie eine konkrete Idee und Philosophie. Ein Garten ist demnach nicht nur ein Garten sondern ein besonderer Ort, an welchem der Betrachter sich fallen lassen und seine Gedanken schweifen lassen darf und soll. Aus verschiedenen Varianten wählen zu können ermöglicht es außerdem jedem auf seine eigene Weise die Natur spüren und sich spirituell hingeben zu können. In der heutigen Zeit bringen besonders in einem stark bebauten Land wie Japan, die Enge in städtischen Wohnvierteln und der Mangel an Privatraum besondere Probleme mit sich und fordern neue Gartentypologien und metaphysische Lösungen, um den Bewohnern noch etwas Grün in und um ihren Wohnraum zu verschaffen und dadurch die Lebensqualität nachhaltig zu verbessern. Vor allem wenn Menschen in urbanem Umfeld aufgrund entsprechender Arbeitsbelastung ihre Identität aus den Augen verlieren, soll der Garten durch die Wahl verschiedener Komponenten die Qualität bieten um für einen Ausgleich zu sorgen und einen Raum zu bilden, der den Geist zur Ruhe kommen lässt.

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西洋建築家への影響 Einflüsse auf westliche Architekten Elena Dumrauf Janine Larsch Antonia Rist Julia Schall

Einleitung Das Interesse an japanischer Kunst und Architektur war um 1900 im Westen weit verbreitet. So lässt die Analyse der traditionellen japanischen Architektur, deutliche Parallelen zur Architektur der westlichen Moderne erkennen. Die folgende Abhandlung soll durch eine kritische Betrachtung herausarbeiten, inwiefern Japan Einflüsse auf die Architektur der westlichen Moderne hatte. Dafür werden Äquivalente in der Architektur aufgezeigt, die zeitliche Entwicklung der Architekten, weitere Einflüsse und die Bedeutung Japans zur Zeit der Moderne betrachtet. Anhand von Architekten, die für die Entwicklung der Moderne im Westen entscheidend waren, sollen zunächst die Einflüsse Japans auf die Moderne herausgearbeitet werden. Frank Lloyd Wright, Bruno Taut, Walter Gropius und Carlo Scarpa zeigen sowohl in ihrer Annäherung an Japan, als auch in ihrer Interpretation der japanischen Architektur und Ästhetik Ähnlichkeiten, sowie Unterschiede auf, was für eine differenzierte Betrachtung der Thematik von Vorteil ist. Durch Vergleiche exemplarisch gewählter Werke dieser Architekten und der Katsura-Villa werden gemeinsame Merkmale aufgezeigt. Eine zeitliche Einordnung der Thematik führt schließlich zu einer hinterfragenden Betrachtung der Einflüsse Japans auf die Architekten der westlichen Moderne.

»Yes I am very much influenced by Japan, and not just because I visited it, but because even before I went there, I admired their essentiality and above all their supreme good taste.«1

Frank Lloyd Wright, Bruno Taut, Walter Gropius, Carlo Scarpa

1 Radice, Interview mit Scarpa, 1979.

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Japanische Merkmale in der Architektur der Moderne Um gezielt Antwort auf unsere These – ob Japan Einflüsse auf westliche Architekten hatte – geben zu können, gilt es zunächst die Gestaltungsprinzipien der japanischen Architektur zu analysieren, um sie anschließend mit Bauten der ausgewählten Architekten vergleichen zu können.Als Beispiel der traditionellen japanischen Architektur steht die Villa Katsura, die im Jahre 1661 in Kyoto für die kaiserliche Familie errichtet wurde. Auf seiner ersten Japanreise 1933 wird der deutsche Architekt Bruno Taut zur Katsura Villa und deren Gärten geführt und erkennt in ihr Aspekte der Moderne. Begeistert berichtet er über die Einfachheit und die schlichte Schönheit des Holzbaus, der nicht im entferntesten an die protzigen Paläste der westlichen Welt erinnert. Beim Anblick des Bambuszaunes um den Garten ruft er voller Begeisterung aus: »Wie vollkommen modern das aussieht.«2 Bei genauerer Betrachtung der ausgewählten Architekten Wright, Taut, Gropius und Scarpa und deren Bauwerken finden sich unterschiedliche Merkmale der traditionellen japanischen Architektur wieder, die im Folgenden veranschaulicht werden.

Villa Katsura, Kyoto, 1661

Villa Katsura, Blick in den Garten

Querini Stampalia, Scarpa 1961-63

Verbindung von Innen– und Außenraum In der japanische Architektur verschwimmen die Grenzen zwischen Innen– und Außenraum. Durch die verschieblichen Außenwände – »Shoji«, aus transluzentem Papier – können die Innenräume der Villa und der Teepavillons zum Außenraum hin geöffnet werden. Der Blick in den Garten wird inszeniert und Teil des Innenraumes. Auch in Wrights Falling Water House Falling Water, Wright 1935-1939 spielt der Naturbezug eine wichtige Rolle. Die horizontalen Scheiben verzahnen sich mit der Natur, der Wasserfall selbst wird Teil der Architektur. Das Element Wasser inszeniert auch Scarpa bei der Galeria Querini Stampalia, indem er den Kanal in den Innenraum fließen lässt. 2 Kirsch, Stuttgart 1996, S. 11.

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Villa Katsura, Überdachung

Goodrich House, Wright 1909

Robie House, Wright 1909

Ausladendes Dach Die Verbindung des Innen– und Außenraumes wird nicht nur durch den fehlenden äußeren Wandabschluss, sondern auch durch das auskragende Dach begünstigt. Durch die Entfernung der raumteilenden Wände kann ein großer offener Raum entstehen, der nach außen fließt und erst mit dem Dachabschlusses endet. Der überdachte Außenraum wird somit Teil des Innenraums. Die Grenze zwischen Innen– und Außenraum verschwimmt. Dieses Element greift Wright vor allem in seinen frühen Werken auf. Das auskragende Dach entwickelt sich im Laufe der Zeit zum charakteristischen Merkmal seiner »Prairie Houses«. Ehrliche Materialverwendung Das traditionelle Japanische Haus ist in Holzskelettbauweise errichtet. Durch die harmonische Kombination der unterschiedlichen Naturmaterialien wie Holz, Bambus, Stroh, Papier und Moos entsteht der Eindruck von Eleganz, Schlichtheit und Natürlichkeit. Die Materialien werden in ihrer natürlichen Schönheit belassen und inszeniert. Die Kombination unterschiedlicher aufeinander abgestimmter Materialien taucht auch in Scarpas Werken immer wieder auf.

Villa Katsura, Terrasse und Teepavillon

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Querini Stampalia, Scarpa 1961-63

Olivetti Showroom, Scarpa 1958

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Grundrissraster der Tatamimatte Die Tatamimatte dient im japanischen Haus nicht nur als Bodenbelag, sondern entwickelte sich im Laufe der Zeit zur Grundlage einer eigenen Proportionslehre, auf der sich die Räume aufbauen. Die Idee eines allem zu Grunde liegenden Rasters taucht in der Moderne immer wieder auf. Carlo Scarpa formuliert das Motiv der Tatamimatte beispielsweise in der Galeria Querini Stampalia als Steinplatten aus. Das Baumwollband der Tatamimatte übersetzt er hier in glatte Steinbänder, die den rauen Stein einfassen. Im Olivetti Showroom wird der Raum durch unterschiedliche, farbige Bodenfelder gegliedert.

Querini Stampalia, Scarpa 1961-63

Olivetti Showroom, Scarpa 1958

Villa Katsura

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Offenheit der Innenräume Das grundlegende Raster der Tatamimatte in Verbindung mit den verschieblichen Shoji-Wänden ermöglicht eine offene und flexible Raumnutzung. Das japanische Haus ist durch seine Leere geprägt. Im Raum befinden sich keinerlei lose Möbelstücke oder Dekorationen, er wird erst durch die Nutzung des Menschen gefüllt und belebt. Die freie Raumnutzung beeindruckt viele westliche Architekten. Taut und Wright beispielsweise versuchen in ihren Bauten offene, ineinander fließende Räume zu schaffen.

Home in a Prairie Town, Wright 1901

Villa, Taut 1936

Villa Katsura, Innenraum

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Einbaumöbel Die Tokonoma, eine fest eingebaute Schranknische, dient der Ausstellung von Kunstobjekten wie der Kakemono, einem Wandbild. Als einziges dekoratives Element im Raum nimmt sie eine wichtige Rolle ein. Eine ähnliche Rolle spielen in den Werken Wrights die Kamine, die als raumordnendes Element unterschiedlich positioniert sein können und den kulturellen Aspekt der Familienzusammenkunft verdeutlichen. Feste Einbaumöbel sind auch in der Moderne ein wichtiges Element, um den offenen, freien Grundriss zu ermöglichen, wie zum Beispiel auch im Dessauer Direktorenhaus von Walter Gropius.

Harriet Freeman House, Wright 1924

Direktorenhaus Dessau, Gropius 1926

Villa Katsura, Tokonoma

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Treppen Die japanische Gartengestaltung ist geprägt von den Wegen, Treppen und Brücken, bestehend aus einzelnen Trittsteinen. Besonders in Scarpas Bauten stellt die Treppe nicht nur ein verbindendes Element dar, sondern ein skulpturales Objekt im Raum. Die Schichtung und Überlagerung erinnert an die japanischen Trittsteine, die ein bewusstes Begehen erfordern.

Olivetti Showroom, Scarpa 1958

Evaluierung Auch wenn auf den ersten Blick scheinbare Parallelen zwischen der westlichen und traditionellen japanischen Architektur erkennbar sind, so taucht bei genauerer Betrachtung die Frage auf, wie es zu diesen Parallelen kommen konnte. Die zeitliche Einordnung der Japanreisen von Wright, Taut, Gropius und Scarpa zeigt auf, dass diese tendenziell am Ende der jeweiligen Schaffenszeit liegen und somit die Beeinflussung durch Japan schon vorher stattgefunden haben muss. Zur genauen Evaluation werden die Werdegänge der Architekten herangezogen und auf Berührungspunkte mit dem Thema Japan, aber auch anderen möglichen Einflüssen untersucht. Es wird hinterfragt, wie groß der Einfluss Japans auf die Architekten der Moderne wirklich war. Frank Lloyd Wright, als einer der ersten Mitbegründer der westlichen Moderne, reist erstmals bereits 1905 nach Japan. Eine weitere Reise, während der er auch in Japan baut, findet Japanreisen 1915 bis 1922 statt. Auch Bruno Taut verbringt mehrere Jahre in Japan, wo er von 1933 bis

Castelvecchio, Scarpa 1957

Villa Katsura, Trittsteine

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1936 im Exil lebt. Erst 18 Jahre später findet dann auch Walter Gropius den Weg nach Japan und besucht das Land der »Aufgehenden Sonne« im Jahre 1954. Carlo Scarpa folgt dem Beispiel seines Vorbildes Frank Lloyd Wright und besucht Japan ebenso zweimal. Zum ersten Mal im Jahre 1967 und zum zweiten, tragischerweise auch zum letzten Mal, im Jahre 1978. Carlo Scarpa verstirbt aufgrund eines Unfalls während seiner Reise in Japan. 1905

1915-22

1933-36

1954

1967

1978

Wright

Wright

Taut

Gropius

Scarpa

† Scarpa

Zeitliche Einordnung der Japanreisen

Die im Fokus dieser Arbeit stehenden Architekten erfahren verschiedene Einflüsse der japanischen Kultur. Zum einen, weil sie einen relativ großen Altersunterschied zueinander haben und zum anderen, weil sie variierende Interessen aufweisen. Frank Lloyd Wright, 1862 in Wisconsin geboren, widmet sich bereits früh der Literatur und Kultur Japans. Das Buch »Japanese Homes and their surroundings«, von Edward Morse 1886 veröffentlicht, prägt Wright maßgebend. Einige Jahre später findet er den Zugang zu japanischen Holzschnitten und sammelt diese. Zeitgleich findet auch die Weltausstellung in Chicago statt, wo sich Japan auch mit einem Pavillon präsentiert. Erst die Öffnung Japans, die sich zu Beginn der Schaffenszeit Wrights vollzieht, ermöglicht diesen Zugang und weckt das Interesse von Akademikern. Dieser direkte Einfluss Japans spiegelt sich in den Bauten wieder. Auch Bruno Taut, 1880 in Preußen geboren, ist von japanischer Kunst fasziniert. Bald versucht er schon die bunten und leuchtenden Farben der japanischen Kultur nach Deutschland zu bringen. Taut ruft zum »Farbigen Bauen« auf und setzt Projekte, wie die Hufeisensiedlung um. In den Jahren 1933-36 erreicht die Begeisterung für Japan durch den Besuch der Villa Katsura ihren Höhepunkt. Die japanische Literatur und Kultur begeistert auch Walter Gropius. 1883 geboren in Berlin, liest er schon früh japanische Werke. Als Mitbegründer des Bauhaus Bewegung steht Gropius für Funktionalismus, Modularisierung und Ehrlichkeit der Architektur. Diese Prinzipien lassen sich auch deutlich in der japanischen Architektur erkennen. In Italien zählt Carlo Scarpa, 1906 in Venedig geboren, zu einem der bedeutendsten Architekten der Moderne. Seine Herkunft ist unverkennbar. Typische venezianische Elemente wie Treppen, Gärten und das Wasser tauchen in seinen Werken immer wieder auf. Auch die Verbindung zu Wright ist nicht von der Hand zu weisen. 46


Akademikern.esse Dieser chenDieser in seinen immer von direk Akademikern. direk Werken chen in seinenwieder Werken immer wieder te Einfluss sichdie in den auf. Auch Verbindung s Japans spiegelt sich inJapans den spiegelt auf. Auch Verbindung zudie Wright ist zu Wright ist Bauten wieder. von der Hand zu weisen. nicht von der Handnicht zu weisen. wieder. Auch Bruno Taut, 1880 in Ostpreußen uno Taut, 1880 in Ostpreußen geboren, ist von japanischer Kunst ist von japanischer Kunst fasziniert. Bald versucht er schon die . Bald versuchtbunten er schon und die leuchtenden Farben der und leuchtenden Farben der japanischen Kultur nach Deutschland hen Kultur nach Deutschland

30. Frank nk Lloyd WrightLloyd Wright Erscheinung »Japanese Homes Wisconsin

and their surroundings« Edward Morse

Wright sieht vermutlich seinen ersten original japanischen Holzschnitt

Goldrich House

Zweite Japanreise

Falling Water

*1862

1886

1892

1896

1913

1939

1876

1898

1893

1905

1907

Philadelphia Centennial Exhibition

FLW Residnce Oak Park

Weltausstellung Chicago

Erste Japanreise

Robie House

† 1959

Frank Lloyd Wright

30. Frank Lloyd Wright

loyd Wright

Ost preußen

Aufruf »Farbiges Bauen«

Villa Hyuga Atami

*1880

1920

1935

1903

1925

1933

Chorin bei Berlin

Hufeisensiedlung Berlin-Britz

Exil Japan

Buch Architekturlehre

Professor Akademie Istanbul

1936

1937

Exil Türkei

Knabenschule in Trabzon

† 1938

Leiter Bauabteilung Ankara

Istanbul

Bruno Taut

Berlin

Eröffnung Direktorenhaus Bauhaus Dessau

Haus Gropius in Lincoln

*1883

1926

1938

Nachträgliche Studie von Zen Schriften und Einflüsse auf Leben und Kultur in Japan

1903

1905

1954

† 1969

Chorin bei Berlin

Kakuzo Okakura Das Buch vom Tee

Reise nach Japan

Boston

Walter Gropius

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Venedig

Treffen mit Wright

Olivetti Showroom

Besichtigungen Bauten Wrights

Friedhof Brion

*1906

1951

1958

1967

1969-77

1903

1957

1963

1969

† 1978

Chorin bei Berlin

Gipsoteca Canoviana

Querini Stampalia Foundation

Reise nach Japan

Sendai

Carlo Scarpa

Wo kommen die japanischen Einflüsse her? Oder besser gesagt: Hatte Japan überhaupt Einflüsse BAUHAUS INDUSTRIALISIERUNG ARTS & CRAFTS auf die in dieser Arbeit betrachteten FUNKTIONALISMUS westlichen Architekten? HERKUNFT RATIOEs fällt auf, dass die Architekten NALISMO vor ihrer Reise nach Japan Einfluss durch Kultur, Literatur, Kunst und Einflüsse aus Japan und andere Bewegungen Holzschnitte erfahren haben. Das gemeinsame Interesse an Japan ist also deutlich zu erkennen. Ebenso führt auch eine Verbindungen der Architekten untereinander, wie zwischen Carlo Scarpa und Frank Lloyd Wright, dazu, dass Ansichten und Herangehensweisen und somit auch japanische Einflüsse des einen vom anderen übernommen werden. Dem Einfluss Japans auf die Architekten stehen aber auch andere Bewegungen wie z.B. der Funktionalismus, das Bauhaus, der Rationalismus aber auch die Herkunft der jeweiligen Architekten gegenüber. Sie vertreten zwar ähnliche Ansätze wie die japanische Architektur, allerdings ist es unklar ob diese Ähnlichkeiten zueinander wirklich auf den direkten Einfluss Japans zurückzuführen sind. Es ist eher anzunehmen, dass es sich hierbei um parallele Entwicklungen handeln, die einem leichten japanischen Einfluss unterliegen. LITERATUR

JAPANREISE

KULTUR

?

HOLZSCHNITTE

DE STIJL

KUNST

?

?

BRUNO TAUT

FRANK L. WRIGHT

?

WALTER GROPIUS

RAUMPLAN LOOS

CARLO SCARPA

Fazit Durch die Betrachtung der Werke der vier Architekten zeigen sich deutlich Parallelen der westlichen Moderne und der traditionellen japanischen Architektur. 48


Aspekte wie Modularität, Transparenz, Klarheit und Einfachheit sind grundlegende Elemente der Modernen Bewegung, die in Japan bereits seit Jahrhunderten fest verankert sind. Diese Parallelen erkannten die Architekten bereits selbst, so schreibt Gropius auf einer Postkarte aus Kyoto an seinen Kollegen Corbusier: »Lieber Corbu, alles wofür wir gekämpft haben, hat seine Parallelen in der alten japanischen Kultur. [...] Das japanische Haus ist das beste und modernste, das ich kenne und wirklich vorfabriziert.«3 Im Laufe der Untersuchungen für diese Arbeit stellte sich allerdings die Frage, inwiefern die Moderne Bewegung tatsächlich von der japanischen traditionellen Architektur beeinflusst ist, oder ob es sich um eine eigenständige Parallelentwicklung handelt. Grund für diese Hinterfragung waren die recht späten Japanreisen der Architekten. Es ist davon auszugehen, dass die Architekten schon vor ihren Reisen mit der japanischen Architektur vertraut waren und deren wesentliche Aspekte verstanden haben. Dies ist auf die zunehmende Öffnung Japans Ende des 19. Jahrhunderts, die Präsenz Japans bei Weltausstellungen und die vorhandene Literatur zu erklären. Allerdings kann nicht genau geklärt werden, woher die Einflüsse der verschiedenen Architekten stammen. Wie im dritten Teil des Essays bereits dargestellt wurde, entsteht der eigene Stil des jeweiligen Architekten durch die Kombination unterschiedlicher Einflüsse. Alle der vier betrachteten Architekten waren sehr heimatverbunden und entwickelten über die Zeit ihren ganz persönlichen an den Kontext angepassten Baustil. Die Beeinflussung besteht nicht darin die Formensprache oder Ästhetik zu kopieren, sondern die Grundlegenden Prinzipien der japanischen Architektur zu verstehen, auf individuelle Art zu interpretieren und in den eigenen Projekten anzuwenden. So ist auch die unterschiedliche Ästhetik der verglichenen westlichen und japanischen Werke zu erklären. Nicht die Optik, sondern das grundlegende Prinzip der Wahrhaftigen, ehrlichen und nach dem Menschen ausgerichteten Architektur beeindruckte die westlichen Architekten. Die Begeisterung über Japans Architektur und Kultur zeigt deutlich, wie sehr Wright, Taut, Gropius, und Scarpa und mit ihnen viele weitere westliche Architetken sich bis heute von Japan inspiriert lassen.

Literatur Kirsch, Karin: Die neue Wohnung und das alte Japan – Architekten planen für sich selbst, Stuttgart 1996 Radice, Barbara: Interview mit Scarpa 31.10.1978, in Modo 16, 1979, Originaltext: »Si, sono molto influenzato dal Giappone, non solo perchè, an- che 3 Speidel, S. 93.

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prima di essercistato, ammiravo la loro essenzialità e soprattutto il loro sovrano buon gusto. Quello che noi chiamiamo buon gusto loro lo hanno ovunque.« Speidel, Manfred: Träume vom Anderen, in Archimaera »Fremd Sehen«, Januar 2008, S. 79-96 Abbildungsverzeichnis Abb. 1 Wright, https://simple.wikipedia.org/wiki/Frank_Lloyd_Wright#/media/ File:Frank_LloydWright_portrait.jpg, 26.06.17 Abb. 2 Taut, http://www.stadtentwicklung.berlin.de/denkmal/denkmale_in_berlin/ de/weltkulturerbe/siedlungen/farbe.shtml, 26.06.17 Abb. 3 Gropius, http://www.bauhaus-movement.com/designer/walter-gropius. html, 26.06.17 Abb. 4 Scarpa, ht tps:// blog.thedpages.com / flashback-friday- car lo-scarpa-1906-1978/, 26.06.17 Abb. 5 Villa Katsura, Aufnahme Antonia Rist, 2017 Abb. 6 Villa Katsura, https://de.wikipedia.org/wiki/Katsura-Villa#/media/File:Ge ppa-ro.jpg, 13.07.17 Abb. 7 Falling Water, http://interactive.wttw.com/ tenbuildings/fallingwater, 13.07.17 Abb. 8 Querini Stampalia, http://www.albertocanepa.com/portfolio/fondazio ne-querini-stampalia-vene zia/#, 13.07.17 Abb. 9 Villa Katsura, Ri-un-tei, Blaser, Werner: Japan Woh nen+Bauen-Dwelling Houses, Zürich 2005, S. 47 Abb. 10 Robie House, http://flwright.org/visit/robiehouse, 13.07.17 Abb. 11 Goodrich House, Nute, Kevin: Frank Lloyd Wright and Japan, London 2000, S. 65 Abb. 12 Villa Katsura,Blaser, Werner: Japan Wohnen+Bauen-Dwelling Houses, Zürich 2005, S. 34 Abb. 13 Villa Katsura, Aufnahme Janine Larsch, 2017 Abb. 14 Querini Stampalia, http://designlifenetwork.com/interior-alchemy-car lo-scarpas-palazzo-querini-stampalia/, 13.07.17 Abb. 15 Olivetti Showroom, http://www.lifeonsundays.com post/129065219390/ couleursdemma-retail-a rchitecture-le-magasin, 13.07.17 Abb. 16 Villa Katsura, http://www.ashmolean.org/archive/artistsinresidence/ intervention/cooper-10.html, 13.07.17 Abb. 17 Querini Stampalia, https://artchist.files.wordpress.com/2016/08/ fondazione-querini-stampalia-in-venice-by-carloscarpa-mario-botta-valeria no-pastor-34.jpg, 13.07.17 Abb. 18 Olivetti Showroom, http://thevoyageur.net/2016/04/11/the-place-olivettishowroom-by-carlo-scarpa-venice-italy/, 13.07.17 Abb. 19 Villa Katsura, http://socks-studio.com/2016/05/15/the-imperial-villa-of-katsura-japan-1616-1660/, 13.07.17 Abb. 20 Hyuga Villa, http://japanartsandcrafts.com/hyugamansion1.html, 13.07.17 Abb. 21 Home in a Prairie Town, Nute, Kevin: Frank Lloyd Wright and Japan, London 2000, S. 43 50


Abb. 22 Villa Katsura, Tokonoma Blaser, Werner: Japan Woh nen+Bauen-Dwelling Houses, Zürich 2005, S. 57 Abb. 23 Villa Katsura, Kleine Tokonoma, Blaser, Werner: Japan Wohnen+Bauen-Dwelling Houses, Zürich 2005, S. 57 Abb. 24 Harriet Freeman House, http://wrightchat.savewright.org/viewtopic. php?t=4759, 13.04.17 Abb. 25 Direktorenhaus Dessau, http://www.artnet.de/artists/lucia-moholy/eßzim mer-im-wohnhaus-gropius-bauhaus-fyCeMUH7_ h4HE1PPsPcvUQ2, 13.07.17 Abb. 26 Villa Katsura, Aufnahme Antonia Rist, 2017 A bb. 27 Castelvecchio, ht tps:// w w w.flickr.co m /photos / bradydor man/4429834353/, 13.07.17 Abb. 28 Olivetti Showroom, https://theartstack.com/artist/carlo-scarpa/olivettishowroom-venic-2, 13.07.17 Abb. 29 Zeitliche Einordnung der Japanreisen, http://wsimag.com/art/22192carlo-scarpa-to-japan, 13.07.17 Abb. 30 Frank Lloyd Wright http://www.wikiwand.com/fr/Maison_et_studio_ Frank_ Lloyd_Wright, 13.07.17, http://www.oakpark.com/ News/Articles/5-7-2013/ Goodrich-House%27s- past-is-as-fascinating-as-its-future/, 13.07.17, http://www. georgejewell.com/portfolio-items/frederick-c-robie-house/, 13.07.17, http://www. fallingwater.org, 13.07.17 Abb. 31 Bruno Taut http://www.architektur-ausstellungen.de/architekturgalerie-der-tu-kaiserslautern/bruno-taut- meets-hermann-hussong, 13.07.17, http:// www.farbimpulse.de/Rote-Front-und-blaue-Waende.hufeisensiedlung.0.html, 13.07.17, http://davecloughphotography.com/kyu-hyuga-bettei/,13.07.17, http:// www.werkbund-berlin.de/bruno-taut-berlin-ankara-istanbul-izmir-trabzon/, 13.07.17 Abb. 32 Walter Gropius http://www.meisterhaeuser.de/de/Haus_Walter_Gropi us.html, 13.07.17, https://en.wikipedia.org/wiki/Gropius_House#/ media/File:Gropius_ House,_Lincoln,_Massachusetts_-_Front_View.JPG, 13.07.17 Abb. 33 Carlo Scarpa https://costruttoridifuturo.com/2012/02/23/gipsoteca/, 13.07.17, http://www.reinierdejong.com/2011/03/querini-stampalia/, 13.07.17 https://www.flickr.com/ photos/marcosalvador/2541573646/, 13.07.17

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日本の木造 Japanischer Holzbau Caroline Hintermayr Ralf Meißner Leon Riehl

Zu Beginn des Seminars hatten wir uns als Gruppe auf die Recherche der Besonderheiten in der traditionellen japanischen Holzbauweise fokussiert und durch viele Bücher in der Bibliothek gelesen und gestaunt wie diese althergebrachte Kunstform, erstaunliche Faszination auf uns ausübt. Was sich – um das vorwegzunehmen – auch bis zum Verfassen dieser Dokumentation in uns erhalten hat. Wir gingen bei unserer Suche, auch der Frage nach, welche Geschichte wir erzählen wollen und welche Themenbereiche sich lohnen gehört zu werden. Woraufhin wir zunächst die Entstehungshistorie und die zeitgeschichtlichen Einflüsse und Hintergründe beleuchten wollten, woher diese Bauweise stammt. Im nächsten Schritt haben wir das Themengebiet der traditionellen Herstellung und die Produktionsweise der Japaner als besonders und beachtenswert erkoren. Neben der eigentlichen Präsentation der wichtigsten und herausragendsten einzelnen Knotenpunkte lag unser Hauptaugenmerk auf der Botschaft, was wir aus dieser Baukultur ableiten können, um ein Bild über die Lebensweise der damaligen Japaner zu erhalten. Hinter dieser Herangehensweise lag unsere Absicht, eine schematische Annäherung an die allgemeine Japanische Kultur zu verfolgen. Wir wollten verstehen: »Warum sind Japaner so wie sie sind, und was hat sie dazu bewogen?« Als Kontrastprogramm zum Studium der traditionellen Bautechnik haben wir uns für einen dritten Hauptteil entschieden, der den Bezug zu der heutigen Zeit beleuchten soll. Welche Relikte die Entwicklung der Holzbauweise überlebt haben, sowie was der Wandel über die Kultur in Japan für uns aussagt, waren hierbei die Kernfragen. Grundsätzlich wollten wir unsere

Dachkonstruktion der Kyodo Bogenschießhalle

Konstruktionszeichnung von Riegelanschlüssen

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mitgebrachten subjektiven Annahmen weitgehend außer acht lassen und auch durch den Einfluss der wöchentlichen Präsentationen, eine »objektive Perspektive« erreichen. Geschichte der Werkzeuge Traditionellen Verbindungen haben sich stetig mit der Entwicklung der Werkzeuge weiter entwickelt und so liegt es auf der Hand das eine Beschäftigung mit der Entwicklung der Werkzeuge unausweichlich ist. Die bloße Hand und die ersten Stein Äxte machten es möglich Bäume und Äste auf eine gewünschte Länge zu bringen und so ein Geflecht herzustellen welches die erste Möglichkeit des sesshaften Menschen war eine Wand zu erbauen, die ein wenig Schutz bietet. In der Jungsteinzeit konnte der Mensch dann auf Axt und Beil zurückgreifen was ihm den Vorteil verschaffte das nicht mehr auf natürlich gewachsenen Astgabelungen angewiesen sein musste sondern diese selber herstellen konnte. Der nächste größere Schritt in der Entwicklung des Werkzeugs kommt mit der Bronze bzw. Eisenzeit. Hier konnten mittels Schmieden Äxte, Beile und Stemmeisen hergestellt werden wobei der Größte Vorteil im GegenEinfache Bauweise einer Wand satz zum Steinwerkzeug darin bestand das die Form dem tatsächlichen nutzen angepasst werden konnte. Auch war die Befestigung am Holzgriff stabiler. Mit diesen Werkzeugen ließen sich erste Zapfen Verbindungen und die Anfänge der Blockverbindungen (azekura) Herstellen. Ein Versuch hat gezeigt das diese Bauform jedoch schon früher mit einer Steinaxt umsetzbar gewesen wäre. Im Laufe der Eisenzeit gelang es ganz neue Werkzeuge herzustellen die zu den uns heute bekannten Verbindungen führten. So kam Weiterentwicklung der Wand (Zeitlich leider nicht bekannt) die Säge, die den wohl größten Fortschritt des Werkzeugs ausmacht, über Korea aus China nach Japan. Da sie zunächst auf Zug und Druck arbeitete wurde sie umgearbeitet das sie nur noch auf Zug Arbeitet was mit der Arbeitsweise der Handwerker in Japan zu tun hat da diese bis heute viel im Sitzen auf einer Matte arbeiten. Eine auf Stoß arbeitende Säge kann im sitzen nicht genau genug bedient werden außerdem Zapfen– und Blockverbindungen 53


kann eine auf Zug belastete Säge ein viel Dünneres Blatt haben da sie sich nicht verbiegt. Die Japaner nutzten kleine einfache Säge für alle Tätigkeiten bis ende des 14 Jahrhunderts dann wurde die »oga« (wörtlich »Große Säge«) eingeführt die ebenfalls aus China kam sie ist jedoch eine zwei Mann Säge mit deutlich größeren Zähnen. Dafür gedacht aus Baumstämmen Bretter zuschneiden. Über sie Handwerker die den ganzen Tag nur Bretter Sägten (Kobiki-shouni) sagt man: »Kobiki no issho-meshi« »Große Säge« – »Ein kobiki isst fast zwei Liter Reis bei jeder Mahlzeit«. Sie waren also Stärker gebaut als der durchschnittliche Japaner. Erst mit der technischen Revolution des 20. Jahrhunderts wurden ihre Jobs von Motorsägen ersetzt. Trotz der technischen Entwicklung im 20. Jahrhundert sind bis heute viele der herkömmlichen kleineren einseitigen und zweiseitigen Sägen nicht aus einer Japanischen Holzwerkstatt weg zu denken. Wie etwas weiter oben schon beschrieben arbeitet der H olzhandwerker Typisch eingerichtete japanische Werkstatt gerne im sitzen und so lohnt sich ein blick auf die Einrichtung einer Typischen Werkstatt. Der Raum ist immer wieder wandelbar es gibt keine Feste Werkbank wie man es vielleicht von europäischen Werkstätten kennt. Das Werkstück liegt auf Böcken auf und wird dort von Zwingen gehalten. Der Arbeiter sitzt auf einer Matte und neben ihm steht eine Werkzeug Kiste die alle Werkzeuge beinhaltet die für das jeweilige Werkstück benötigt werden. Dabei liegen die Werkzeuge allerdings nicht ungeordnet in der Kiste Hinoki – Scheinzypresse sondern sind darin gut sortiert. Auch Matsu – Kiefer das verwendete Holz unterscheidet Sugi – Sicheltanne-Zeder sich zu dem was man hier zulande Tsuga – Hemlocktanne 54


kennt. So wurden und werden natürlich heimische Hölzer verwendet jedoch wird zunehmen Holz aus Skandinavien und Kanada importiert da es als Bauholz günstiger ist. Hinaki und Sugi sind Edelhölzern und damit dem Prunkbauten und Herrenhäusern vorbeJapanischer Hobel halten, sie sind relativ weich und lassen sich deshalb gut bearbeiten. Die dienen nur begrenzt als konstruktives Holz was jedoch abhängig vom zu bauendem Objekt ist. Matsu und Tsuga sind hingegen Konstruktive Hölzer. Der Hobel gehört zu den neuesten japanischen Werkzeugen (Mitte 15. Jahrhundert) und zu den beliebtesten. Auf Schleifen und die Bearbeitung der Oberflächen mit anderen Mitteln wird in Japan gerne verzichtet sodass der Hobel auch den letzten »Feinschliff« übernimmt. Er Arbeit mit dem Hobel im Stehen kam wie auch die Säge aus China nach Japan und musste umgearbeitet werden da er in seiner ersten Form dazu verpflichtet im Stehen und auf Stoß zu arbeiten. Jedoch zeigen Zeichnungen aus dem frühen 17. Jahrhundert, dass er später wieder in beiden Varianten im Einsatz war. Das hat wohl damit zu tun, dass sich sehr lange Werkstücke doch besser im Stehen und Nuthobel auf Stoß bearbeiten lassen. Dabei wurden auch die chinesischen Hobelbalken übernommen, die allerdings schräg aufgelagert wurden und dadurch eine noch feinere Oberfläche erreicht wurde. Die Vielfalt an verschiedenen Hobeln ist groß es gibt sie für alle möglichen Anwendungen. Hier nur eine kleine Auswahl: Der Nuthobel mit dem man z.B. Nuten in FensterSpitze Wangenhobel rahmen einarbeiten kann. Der spitze Wangenhobel mit dem sich z.B. die Seiten einer Gratfeder säubern lassen. Der Profilhobel mit dem sich verschiedenste Formen auf ein Holz übertragen lassen. Sie dienen der Zierde und kunstvollen Veredelung. Der Kanten Rundungshobel, der wie der Name schon verrät Kanten abrundet. Die Auswahl an verschieden Hobeln ist noch viel größer und Profilhobel zeigt, dass der Hobel zu den Wichtigsten Japanischen Werkzeugen gehört. Das Stemmeisen oder auch Stecheisen ist ein sehr altes Werkzeug und im Vergleich zu Hobel und Säge viel einfacher in 55


der Herstellung. Während der Eisenzeit wurde natürlich der Stein durch Metall ersetzt und die Form konnte genauer bestimmt werden. Die Funktion und das Einsatzgebiet blieben jedoch gleich. So wurde bevor es die Säge gab, Holz mit Techniken gespalten, die beidseitig genutzt werden konnten. Nach Einführung der Auftrennsägen änderte sich das natürlich und die Stecheisen erhielten nur noch eine einseitige Schärfung. Das ist auch das Stecheisen, wie wir es heute kennen. Ähnlich wie beim Hobel gibt es unzählig viele verschiedene Stemmeisen, die mit unter dazu führen, dass sich viele verschiedene Holzverbindungen herstellen lassen. Holzverbindungen Als ab dem 7. Jahrhundert Holzverbindungen der buddhistischen Tempelarchitektur aus China und Korea Japan erstmals beeinflussten, gab es zu Beginn nur wenige verschiedene, eher einfach gehaltene Verbindungen. Erst durch die Entwicklung der Zünfte und die dadurch eigenständigen Betriebe zu Beginn des Mittelalters ermöglichte eine vielfältige Entwicklung von Verbindungstechniken, die innerhalb der Familien weitergegeben wurde. Während also in Hochzeiten bis zu 1000 verschiedene Verbindungen angewendet wurden, gibt es heute wieder eine rückläufige Entwicklung, sodass aktuell in Tempeln nur noch mit 100 verschiedenen Holzverbindungen gearbeitet wird. Da Japan regelmäßig von schweren Erdbeben heimgesucht wird, sind für die Konstruktion der Gebäude flexible Knotenpunkte wichtig und die in Deutschland üblichen Queraussteifungen unüblich. Stattdessen werden bevorzugt durch Längsverbindungen, sogenannte Tsugi, Hölzer verlängert, die dann auch noch eine hohe Zug– und Druckfestigkeit bieten. Wie in Europa sind aber auch stabile Winkelverbände sehr wichtig. Als Europäer ist man in erster Linie wahrscheinlich von der Ästhetik dieser Holzverbindungen beeindruckt, die nicht zuletzt dadurch entsteht, dass die japanischen Schreiner und Zimmermänner die teils feingliedrigen Verbindungen mit größter Sorgfalt bearbeiten. Deshalb hat man vielleicht zuerst kein Verständnis dafür, dass man in Japan alles daran setzt, dass eben diese schönen Holzverbindungen von außen möglichst unsichtbar sind. Allerdings ist eben genau das typisch japanisch, dass man seine genaue Arbeit nicht zur Schau stellt oder sogar damit angibt. „In den ältesten Werken für Zimmerleute finden sich bezeichnenderIm Gegensat z zu deutschen weise so gut wie keine Angaben über Zimmermännern lernen Japaner Holzverbindungen. Sie waren den nicht durch Lehrbücher, sondern Zimmerleuten in einem Ausmaß selbstdurch das Beobachten der Meister. verständlich, dass ihre AufzeichNicht nur diese Tatsache macht nung oder gar ihre Bemaßung übereine Einteilung oder Sortierung der haupt nicht zur Diskussion standen“ japanischen Holzverbindungen [Das Holz und seine Verbindungen, schwierig, wie sie in DeutschKlaus Zwerger] land üblich ist. Auch die deutsche 56


Sprache bietet Probleme, da Begriffe und Namen oft missverständlich und nicht ganz treffend sind. Im Folgenden wurde deshalb nicht der Versuch unternommen, in der Vielzahl der japanischen Holzverbindungen eine gültige Ordnung zu finden, sondern es werden unterschiedliche Verbindungen aufgezeigt. Die einfachste Holzlängsverbindung ist der so genannte Stumpfe Stoß. Dabei stoßen zwei Balken senkrecht aufeinander und werden mit einer Bauklammer in einer dafür vorhergesehenen Einlassung fixiert. Obwohl hier lediglich Druckkräfte in Längsrichtung aufgenommen werden können, findet diese Verbindung weit verbreitete Anwendung. Diese Verbindung ist die Basis für alle komplizierteren LängsverbinSchräger Stoß dungen. Die Weiterentwicklung des Stumpfen Stoßes ist der Schräge Stoß, der sich dahingehend unterscheidet, dass die beiden Balken an der Seite, an der sie aufeinanderstoßen, schräg angeschnitten sind, wodurch die Hölzer eine wesentlich größere Berührungsfläche haben. Eine aufwendigere Variante von diesem Schrägen Stoß ist die in Japan Sabako-sa-tsugi genannte Seitengleiche doppelte Schäftung. Durch die zweifache Abschrägung Seitengleiche doppelte Schäftung in jeweils unterschiedliche Richtungen können die Balken sich weder verdrehen noch zur Seite geschoben werden. Für Längsverbindungen gibt es viele unterschiedliche Formen unter anderem die abgesetzten Zapfen, bei denen der Zapfen immer kürzer sein sollte als sein zugeordnetes Loch. Eine besondere Form ist der Kreuzzapfen, dessen japanischer Name Jyu-mon-ji-tsugi-te. Diesen gibt es auch in unterschiedlichen Zierformen. Wichtig ist, dass die Hölzer in einem trockenen Zustand bearbeitet werden, da es sein könnte, dass schwindende Hölzer nicht Kreuzzapfen mehr aufeinander passen. Besonders beliebte Verbindungen sind auch Schwalbenschwanzverbindungen.Diese sind im Gegensatz zu den bisher Gezeigten nicht nur auf Druckkräfte belastbar, sondern auch auf Zugkräfte. Auch hier ist die Verbindung natürlich umso stabiler, wenn man die Schwalbenschwanzform in beide Hölzer sägt. Diese Verbindung nennt man Schwalbenschwanz Ryo-men-ari-tsugi. Vom Konstruktionsprinzip 57


her ähnlich ist die Sichelzapfenverbindung Koshikake-kama-tsugi. Diese Holzverbindung wird bereits seit über 1000 Jahren in Japan genutzt. Da freistehende Holzpfosten in der japanischen Tempelarchitektur eine wichtige Bedeutung haben, diese allerdings besonders Sichelzapfen anfällig für Fäulnis sind, wurden austauschbare Fußenden gebraucht. Eine gut geeignete Variante für diese wechselbaren Wurzelverbindungen sind die keilförmigen, doppelten Sichelzapfen, die diagonal angeschnitten sind. Der japanische Name für diese Fußverbindung ist Shi-hokama-tsuig-te. Weil die freistehenden Holzpfosten besonders gut von allen Seiten anzusehen sind, müssen japanische Zimmermänner bei der Herstellung besonders darauf achten sauber zu arbeiten. Allerdings nicht weil, wie man glauben könnte, die freistehenden Holzpfosten besonders gut einsehbar sind und die Verbindungen deshalb besonders ästhetisch sein müssen. Doppelter Stabzapfen Wie bereits erwähnt spielen quere Holzverbindungen zur Aussteifung in Japan keine Rolle, da die Elastizität der Gebäude im Falle eines Erdbebens gegeben sein muss. Neben den Längsverbindungen sind also nur noch Winkelverbände genauer zu betrachten. Der Ari-kake funktioniert ähnlich wie die Schwalbenschwanzverbindung. Der Unterschied ist, dass die Öffnung orthogonal zum anderen Holz angebracht wird. Halbes Schwalbenschwanzblatt Durch die Brüstung kann das Holz weder abscheren noch sich verdrehen. Wenn man von oben noch einen Pfostenzapfen einstemmt, kann der obere Balken nicht mehr herausrutschen und die Verbindung ist somit in alle Richtungen belastbar. Ein anderer Winkelverband ist der Jigoku-kusabi. Eine unlösbare Verbindung entsteht hier durch das Verkeilen des Hirnholzes. Der Balken mit Zapfen wird in senkVerkeilter Zapfen rechter Richtung in die über die gesamte Breite des Holzes gehende Öffnung des anderen Holzes gebracht. Dann werden ein oder mehrere Holzkeile von hinten in eine Öffnung des Zapfens eingeschlagen. Dadurch spreizt sich der Zapfen und es entsteht eine Verbindung, die in alle Richtungen belastet werden kann. 58


Bezug zur Moderne Tradition und Moderne im Vergleich Als dritten Hauptpunkt neben der historischen Herstellung der gezeigten Holzknotentechnik, ist der Bezug zur Moderne der abschließende Teil unserer JapanStudie. Hierfür haben wir uns auf die, bis heute, erhaltenen Holzbauten konzentriert und setzen diese in den Vergleich mit ausgewählten Beispielen heutiger japanischer Holzarchitektur. Der Prozess, den wir durchliefen, beinhaltete eine weitreichende Recherche von Gebäuden, die die gesuchte Holzknotentechnik für Ihre Statik nutzen, durch ihre Anmut die Eleganz vergangener Epochen mit heutiger Architektur verbinden, und von einem klassischen japanischen Architekten auf Japan entworfen und erbaut worden sind. Diese Zielvorgabe hat sich im Verlauf der Kolloquien lange, in Gassho Zukuri Häuser von Nihon Minkaen ähnlicher Form gehalten, wurde jedoch zugleich immer schwieriger anzustreben; Bis wir zur der Einsicht kamen, dass in der heutigen globalisierten Bauweise, leider nur noch in seltenen Ausnahmefällen, solche Zapfenverbindungen und Steckverbindungen eingesetzt werden. Um die differenzierte Baukunst der Japaner vermitteln zu können, haben wir uns demzufolge dazu Verschiedene Dachstühle im Vergleich entschieden das Gebäude-Beispiel des »Gasshō« Hausstils vorzustellen. »Gasshō« bedeutet: »Hände verbunden im Gebet« und bezieht sich auf die Steildachform. Diese war häufig in Regionen vertreten, die ein hohes Schneefallaufkommen hatten, weil der Schnee durch den steilen Winkel der Deckschicht die Dachkonstruktion nur wenig belastet. Bei diesem »Haus Emukai« handelt es sich um ein traditionelles Landhaus, das in Kami Hosojima, Nanto City, Toyama Bezirk im frühen 18. Jhd., erbaut wurde und durch Translozierung zu einer Museumsanlage in Kanagawa, Kawasaki, Norobito-Bezirk, im Jahre 1965 hinzugefügt wurde. Die Differenzierung der verschiedenen Dachstühle sieht man im Vergleich der Arten. Die wichtigsten sechs sind: Sasu-gumi; Shinzuka-gumi; Wagoya-gumi; Naboribari-gumi; Orioki-gumi; Kyóro-gumi. Diese Unterscheiden sich hauptsächlich in der Lage und Verwendung der Holzbalken, Pfetten, Streben, Träger, im Einsatz von Hängestützen und der Position der meist durchdringenden Zapfen– /Steckverbindungen. Die beiden abgebildeten Beispiele zeigen Details der traditionellen Baukultur 59


im Kontext eines Bauernhauses auf dem Land, das den Bautyp zeigt, in der der Großteil der damaligen Bevölkerung lebte. Jedoch sind wir auf der Suche nach dem Grund für diese Bauweise auf verschiedene geschichtliche Einflussgrößen gestoßen, welche die Form der Verarbeitung und die Herausbildung »Orioki-gumi« Verbindung dieser speziellen Verbindungsweise von Holz unterstützten. Historisch belegt ist das damalige Staatsgebot für die Verwendung aller geeigneten und geraden langen Hölzer für die Produktion von Schiffen für Wirtschaft und Militär. Somit musste sich die Bevölkerung für ihren Hausbau etwas einfallen lassen, wie sie die übrigen krummen und kurzen Rohstoffe in dennoch tragfähige Strukturen umsetzten konnten, die sowohl hohen Schneelasten als »Kyóro-gumi« Verbindung auch, und vor allem, den immer wiederkehrenden Erdbeben standhalten konnten. Die speziellste Eigenschaft der Zapfverbindungen der alten japanischen Baumeister, besteht – ganz im Gegensatz zu europäischer Holzbauweise – darin eine Flexibilität der statischen Konstruktion zu gewährleisten, um die zerstörerischen Kräfte eines Bebens ableiten zu können. Bügen, wie wir sie kennen, gab es zu jener Zeit in Japan nicht, und wären zerborsten. Weiterhin wurden unzählige LängsverbinIndividuelle Holzverbindung dungen kreiert, die im Regelfall von Vater zu Sohn oder vom Baumeister zum Gesellen überliefert wurden, und daher für eine heutige Kategorisierung mit Namensgebung schlecht einzuordnen sind. Jede Verbindung ist demnach generell individuell. Für den bildlichen Vergleich sind wir in dem Buch »Japanese Folk Architecture« auf das traditionelle »Takeo Se ́nō Haus« gestoßen, »Takeo Se ́nō Haus« das 1718 im Wagoya-gumi Stil erbaut wurde. Diese Dachart ist eine Hängesäulenkonstruktion, welche lange Spannweiten überspannen und trotzdem hohe Schneelasten ableiten kann. Diese traditionelle Bauweise ermöglicht vorzugsweise die typisch japanische Dachform eines Pagodendaches. Besonders die japanischen Tempel und buddhistischen Schreine haben dieser Dachform zu ihrer heutigen Popularität verholfen. 60


Die Recherche im Internet hat uns zu den preisgekrönten japanischen FT Architects geführt, welche den Entwurf einer modernen Sportanlage in Tokio 2013 realisiert haben. Diese Sportanlage enthält zwei Hauptgebäude; Eine Bogenschießhalle und eine Box-Halle, die jeweils eine Grundfläche von 7,2 m x 10,8 m einnehmen, was die Maße eines traditionellen japanischen Tempels bilden. Hier erkennt man die Annäherung in Form und Design an das Wagoyagumi, das das typische Hängesäulenraster bildet. Als Giebelwand erzeugen Sie die Optik eines Shoji. Blickt man jedoch in den Innenraum erkennt man die fehlenden Hängesäulenableitungen, in Träger und Stützen, auf die statisch verzichtet werden konnten, was im Hinblick auf den Einsatz von metallenen Schraub und Zugverbindungen ersichtlich wird. FT Architects, die in unserer Darstellung für die moderne japanische Holzarchitektur stehen, unterstreichen unser Fazit eines baukulturellen Wandels, der sich ähnlich unseres eigenen Baustils, an gestalterischen Formen bedient. Was hier den Gegensatz zur alten Tradition bildet, die Ihre Holzknotenkunst nicht als repräsentatives Werk ansieht, sondern, möglichst ohne Box-Halle von ET Architects bemerkt zu werden, bescheiden seine Funktion erbringt. Doch gerade weil nunmal, im Volksmund die Ausnahme die Regel bestätigt, stießen wir gleich anfangs auf ein Gebäude von Shigeru Ban Architects. Der neue Firmensitz der Mediengruppe Tamedia wurde in Zürich, Schweiz 2013 erbaut. Das Entwurfs – und Konstruktions-Konzept des Gebäude folgt Außenansicht mit Shoji Optik der Idee eines kompletten ModulSteck-Systems für die tragenden Holzelemente. Die Besonderheit bei der Umsetzung ist, das hierbei ausschließlich mit Kiefernholz gearbeitet wurde und keinerlei Klebstoffe oder Metallverbindungen eingesetzt wurden. Dies folgt als ein seltenes Beispiel der traditionellen japanischen Holzbaukunst, auch wenn das Gebäude in der westlichen Hemisphäre steht. Firmensitz Tamedia, Zürich 61


Shigeru Ban ist dafür bekannt japanische Architekturelemente mit der modernen westlichen Architektur in Synthese zu setzten und ist damit international sehr erfolgreich. Die Leimholzträger wurden maschinell gefertigt und sind dadurch hochpräzise, wie es die japanischen Holzknotenkunst vorgemacht hat. Das Fazit welches wir leicht wehmütig aus der Recherche, dem Einlesen und Vergleichen, sowie durch das Kolloqiueren schließen können, ist dass nicht nur die Lebensweise der Japaner sich der Ökonomie anpasst sondern auch die Holzbaukunst und damit die Holzverbindungen in Form und Funktion, der Einfachheit halber, der Wirtschaftlichkeit überlassen Tragende Holzverbindungen wurde, was Einsatz von Metall bedeutet. Selbstverständlich muss man hierbei auch anderen geschichtlichen Hintergründen, wie der zweifachen Zerstörung Tokios, durch Brand und Krieg ihre Beteiligung zuordnen, weil der Holzbau in der Tokio – welche zum Wohnziel »Stadt« fast aller Japaner gehört – aus brandschutztechnischen Gründen generell verboten ist.

Literatur Klaus Zwerger: Das Holz und seine Verbindungen Birkhäuser Verlag Berlin 1/2/3 Toshio Odate: Die Werkzeuge des japanischen Schreiners Verlag Th. Schäfer im Vincentz Network, Hannover 2006 4/5/10/11/12/13/14/15/16/17 http://www.materialarchiv.ch 6/7/8/9 Wolfram Graubner: Holzverbindungen, Gegenüberstellung japanischer und europäischer Lösungen. Deutsche Verlags-Anstalt, 2015 Jap. Folk Architecture, S.166 http://www.archdaily.com/444857/timber-structure-archery- hall-and-boxingclub-ft-architects http-//www.archdaily.com/478633/tamedia-office-building-shigeru-ban-architects

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ミニチュアハウス Minihäuser in der Megacity Tokio Franziska Mack Robin Vögele Carla Weiland

Einleitung Wenn man Passanten auf deutschen Straßen nach Japan befragt bekommt man oft zu hören, dass es dort doch so viel Kleines, ja sogar Miniaturisiertes gäbe. Vielleicht hat der ein oder andere bereits über das Mini-Kochen in Mini-Küchen gehört. Diese verrückte Mode aus Japan nennt sich »Konapun«. Auch der Trend der Bento-Boxen verbreitet sich über das Internet. Mütter kochen und »basteln« eine außergewöhnliche Tupperbox für ihre Kinder. Der Reis wird beispielsweise mit einer Schablone in Form von Hello Kitty gespresst, Fischkuchen in Form eines Minihauses geschnitten und mit Salami als Dach verziert. »Klein« heißt in Japan nicht»verkleinert« oder »minimal«, wie dies in unserem eher deduktiven Verständnis von Gestaltung der Fall ist. Wird aus einer großen Idee eine kleine abgeleitet, so ist diese reduziert, vereinfacht und auf einen Blick erfassbar. In der japanischen Gestaltung geht es eher um Bezüge zwischen Materialien, Formen oder Strukturen. In dieser induktiven Gestaltungsweise ist das große Ganze weniger wichtig. Es ergibt sich aus der Summe der Einzelelemente und ihrer Relationen. Das Kleine wird also nicht als Defizit empfunden, als Abwesenheit von Größe, sondern als eine verdichtete Form jener Bezüge, die auch die Welt als ganze strukturieren. Die Reduktion der Größe ist ein Mittel, die Komplexität dieser Bezüge zu erhöhen – klein also nicht wie eine Besenkammer, sondern wie ein Cockpit. Diese Art zu Denken zeichnet sich auch in der Mentalität der Japaner aus. Es fällt ihnen leichter als uns, sich von Zwängen zu befreien und reduziert zu leben. Sie sehen dieses Loslösen von allem Unwichtigem als Potenzial sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Wo zu viel ist, verlieren wertvolle Gegenstände ihren Wert und nichts hebt sich mehr von der Masse ab. Der Raum zwischen den Dingen heißt im Japanischen »Ma« und fungiert als Fassung oder Rahmen, in dem Gegenstände existieren können und besondere Bedeutung erlangen. Dieses Bewusstsein für Leere wird im Japanischen nicht negativ, sondern vielmehr als Freiraum und Chance für Möglichkeiten angesehen. Mini Service

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Coil Spiral House, 2011, Akihisa Hirata Der Entwurf soll sich von Einschränkungen lösen und sich wie ein Organismus innerhalb der festgelegten Raumgrenzen entwickeln; erst dann kommt die Nutzung ins Spiel, die auf die entstandene Struktur reagiert – »function follows form«. Grundstück: 67m 2 Bebaute Fläche : 35m 2 Nutzfläche : 86m 2 Nutzer: Familie Ebenen: 12

Allgemein Die Grundfläche von nur 35 m2 und die große Gebäudetiefe definiert für die Architektur eine klare Bindung und Notwendigkeit von einer Stapelung der Wohnfunktionen. Doch die innere Raumaufteilung des Hauses folgt ganz anderen Prinzipien. Wirkung nach Außen Klein und unauffällig wirkt das Wohnhaus. Wo sich die Stufen zu Ebenen ausweiten wurden Öf fnungen geplant. Oft kann durch das Fenster nur die Wand des Nachbargebäudes betrachtet werden. Vom Eingang bis hinauf zur Dachterrasse windet sich eine Treppe um drei schmale Stützen. Die Stufen weiten sich mehrfach zu Ebenen auf. Die Stützen und die Treppe bilden eine zusammenhängende Einheit,die zunächst frei von Funktionen ist. Erst in der Überlagerung mit den Anforderungen des Wohnens werden die ineinanderfließenden Raumsequenzen zum Haus. Somit entsteht eine lebendiger Organismus.

Raumsystem

Rückseite

Küche und Essen

Raumstruktur und Privatheit Die Räume stehen in einem offenen und wandelbaren Verhältnis zueinander und erlauben innerhalb des Hauses eine kontinuierliche Neuordnung der Funktionen. Die Treppe wird durch die Überlagerung mit Funktionen und die Aneignung durch die Bewohner zu einer lebendigen Architektur. Die Wechselwirkung zwischen spontanen Elementen wie der Möblierung und situativen Nutzungsszenarien erzeugt ein offenes, dynamisches Raumsystem. Abgeschlossene Räume gibt es bis auf das Bad nicht.

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House & Atelier, 2011, Bow-Wow Yoshiharu Tsukamoto und seine Frau Momoyo Kaijima sind berühmt für ihre Minihäuser, welche auf sehr schmalen Grundstücken stehen. Sie haben ihr Atelier 1992 gegründet und es »Bow-Wow« (japan. für »Wauwau«) Allgemein Die Japaner denken anstatt in zweidimensionalen Grundrissen in Volumen. So auch bei diesem Minihaus. Es entstehen Ebenen mit verschiedenen Raumhöhen und unterschiedlichen Funktionen. Das einzig konstante Element des verschachtelten Haus ist eine breite Treppe, die sich von unten nach oben durch das Haus schlängelt. Unterschiedliche Räume abzweigen von ihr ab. Die Treppe wird als Wohnraum genutzt. Hier stapeln sich die CDs des Bauherrn oder eine Stufe bildet eine Kunstinsel mit Gemälden. Dabei wagt man schon zu sagen, dass das Minihaus gar kein Haus, sondern ein bewohntes Treppenhaus ist. Durch den offenen Umgang mit den verschiedenen Bereichen entstehen Blickbeziehungen zwischen den einzelnen Ebenen.

Grundstück: 211m 2 Bebaute Fläche : 60m 2 Wohneinheiten: 1 Nutzer: Paar Ebenen: 7

Schnittmodell

Wirkung nach Außen Das 3-Meter breite Haus ist schwer zu finden. Es versteckt sich am Ende einer Gasse zwischen zwei Häusern. Das einzige, was das Haus hervorstechen lässt, ist die prägnante Farbe der Fassade.

Eingangssituation

Atelier & House

Raumstruktur und Privatheit Je höher man wandert, desto privater werden die Raumfunktionen. Im Erdgeschoss befindet sich das Atelier des Büros, im obersten Geschoss das Schlafzimmer der zwei Architekten. Dabei ist nichts durch Türen akustisch oder visuell abgetrennt, alles verschwimmt zu einem Volumen. So verschwimmt auch der Alltag von Tsukamoto und Kaijima als Paar mit dem Büroalltag.

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Apartment House, 2009, Sou Fujimoto Sou Fujimoto vergleicht Architektur mit einer Höhle, die der Bewohner in Besitz nimmt. Über das Apartment House sagt er: , »It is more like Tokyo than Tokyo itself, Tokyo that doesn’t exist, the Tokyo which is most like Tokyo.« Allgemein Das Apartment Haus liegt in einem ruhigen Wohngebiet Tokios. Sowohl durch seine besondere Form, als auch die helle Fassade fällt es schnell ins Auge. In dem Wohnhaus befinden sich vier unabhängige Apartments mit je zwei bis drei Zimmern. In jedem der von außen ablesbaren Miniaturhäuser befindet sich ein Zimmer. Die beiden unteren Apartments haben auch Räume im Untergeschoss. Dem Architekten waren wechselnde Ausblicke und unbestimmte Räume, die sich durch die Bewohner formen, besonders wichtig. Die Grundrissorganisation zeigt Parallelen zum Leben in der Stadt. Die Wege generieren zufällige und ungezwungene Begegnungen.

Grundstück: 83 m 2 Wohnfläche : 180 m 2 35 - 60m 2 / Einheit Nutzer: gemischt, 4 Wohneinheiten

Gestapelte Mini-Häuser

Innenraum

Schnitt

Wirkung nach Außen Von außen scheint das Wohnhaus wie die wortwörtliche Übersetzung von dichter Wohnbebauung. Kreuz und quer übereinander gestapelte Häuschen mit Giebeldächern spiegeln den Charakter des Stadtviertels wieder.

Erschließung

Raumstruktur und Privatheit Die Zimmer sind nicht durch Türen abgeschlossen, sondern allein durch die Schwelle der Türöffnung oder der Luke voneinander getrennt. Selbst die Sanitärräume sind nur mit Glaswänden vom restlichen Raum getrennt. Die Eingänge sind separat organisiert, sodass die Bewohner sich stark mit ihrer Wohnung identifizieren. Die Räume werden über Leitern, die sowohl im Innen– als auch im Außenraum liegen, erschlossen. Die Leitern als Element des privaten Raums werden auf den öffentlichen Raum ausgelagert.

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Parzellierung der Grundstücke Die heutigen Baugrundstücke Tokios entstanden im Ackerbau. Sie wurden ursprünglich von Bauern als Reisfelder genutzt. Hatte der Landwirt mehrere Nachkommen, wurde das Reisfeld unter ihnen geteilt. Für den Anbau von Reis war es außerdem sinnvoll das Feld in Längsrichtung zu teilen. So entwickelten sich immer schmalere Grundstücke. Nach der Zerstörung des zweiten Weltkriegs wurde der agrarische Landbesitz durch die Landreform der amerikanischen Besatzer in Einheiten zerteilt und die früheren Eigentumsgrenzen nicht aufgelöst. 1968 wurde in Japan unter dem Namen , »Senbiki« (Grenzen ziehen), ein Planungsgesetz eingeführt, das vordergründig regelte wo gebaut werden durfte. In den Boom Zeiten der 1980er Jahren wurde dieses Gesetz dereguliert. Durch Verdichtung und gesteigerten Bedarf an Konsumgütern sollte die Wirtschaft angekurbelt werden. In Verbindung mit der Privatisierung staatlicher Firmen und dem Verkauf von öffentlichem Land war dies ein wichtiger Faktor in der Immobilienblase, die in den 1990ern platzte und zum , »verlorenen Jahrzehnt« Japans führte. Die sozialen Unterschiede in der Gesellschaft vergrößerten sich und der Trend zu kleinen Häusern wurde durch finanzielle Faktoren wie die Erbschaftssteuer verstärkt. Heute haben Japanische Architekten wenig Einfluss auf den Städtebau in Tokio und somit kaum politische Funktion. Dies liegt vor allem an der Fragmentierung der Planung, der Macht der Bürokratie, sowie an der Stadtentwicklung durch Infrastrukturprojekte. Der Städtebau in Tokio ist daher vor allem durch Nicht-Planung und die U-Bahnlinien geprägt. Die Bahnhöfe bilden die Zentren und sind umgeben von kleinteiligen Strukturen. Auch heute noch ist die Zusammenlegung von Grundstücken meist aus finanziellen Gründen keine Option. Der Grundstückspreis in Tokio ist rund zehnmal höher als das darauf befindliche Haus. Man tut also gut daran seinen Grundbesitz zu behalten. Die Erbschaftssteuer zwingt Erben zum erneuten Teilen der Grundstücke und begünstigt so den Trend der Minihäuser. Die Grundsteuer bemisst sich an der Gebäudebreite und bringt Bauherren dazu, das Haus so schmal wie möglich zu errichten. Meist wird die Grundstücksform,

Fortschreitende Parzellierung, 1940 und 2005

Fortschreitende Parzellierung

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unter Berücksichtigung von Abstandsregeln, als Volumen nach oben gezogen und gibt so bei maximaler Ausnutzung die Form des Grundrisses vor. Kurzlebigkeit der Häuser Grundstücke sind in Japan besonders wertvoll. Das Haus auf dem Grundstück ist nur eine vergängliche Investition. Die Häuser werden nach höchstens zwei Jahrzehnten durch ein anderes Haus ersetzt. Was bei uns als Verschwendung und umweltschädlich bezeichnet wird, ist in Japan normal. Die Japaner haben ein wohl einmaliges Wertverhältnis zu Grund und Gebäude, welches vor allem durch vergangene Erdbeben, Tsunamis und Brände geprägt ist. Diese Kultur schätzt keine Altbauten. Die Japaner sind rigoros. Sogar Gebäude großer Architekten werden nach 20 Jahren abgerissen und erneuert. Bei Betrachtung der Tradition japanischer Baukunst , entdeckt man viele vergängliche, kurzlebige Elemente wie das Material Holz der traditionellen Holzbauweise, das empfindliche Material der Tatami oder der Schiebetüren aus Reispapier. Auch findet man Zusammenhänge mit der Hauptreligion der Japaner. Sie haben ein tiefempfundenes Verständnis der vergänglichen Schönheit der Natur und des menschlichen Lebens, »mono no aware«, dies lässt sich auf die buddhistische Doktrin der Vergänglichkeit »mujo« zurückführen. Tsunami

Holzbau

Allerdings bringt die schnelle Erneuerung der Häuser auch Vorteile mit sich: Hätte man nicht so häufig die Gelegenheit, neue Ideen umzusetzen, wäre man in vielen Bereichen nicht so fortschrittlich. Auf der anderen Seite gibt es Organisationen wie »documation and conversation of the modern movement«, kurz: »docomomo«, welche sich mit dem Denkmalschutz der Moderne auseinandersetzen. Diese Organisationen haben jedoch kaum Erfolge und werden staatlich nicht unterstützt. Es gibt in Tokio kaum noch »Altbauten«. In etwa zwei Handvoll Gebäude wurden Anfang des 19. Jahrhunderts oder früher gebaut. Altbauten wie wir sie in Deutschland kennen, sind für Tokioter etwas sehr Besonderes und deshalb ist es vielleicht verständlich warum es so viele japanische Touristen nach Europa führt. 68


Baugesetze Die Regulierung der Verschattung und die zulässigen Bauhöhen in Abhängigkeit von der Straßenbreite sind wichtige Bauvorschriften. Darüber hinaus sollen sie die Häuser vor Bränden schützen und dafür sorgen, dass die Gebäude Erdbeben möglichst lange standhalten. Ablesen lassen sich die Vorschriften etwa an den »Schluchten« zwischen den Häusern, welche sich durch die Abstandsregeln ergeben oder die in den oberen Stockwerken wie diagonal abgeschnitten wirkenden Bauten, mit denen bei maximal möglicher Gebäudehöhe die Belichtung der Nachbarhäuser sichergestellt werden soll. Höhenbeschränkungen – 3 Bereiche A Bereich, innerhalb dessen in Abhängigkeit von der Straßenbreite Beschränkungen gelten. B Bereich, innerhalb dessen ein– und zweigeschossige Gebäude gemäß der Nordseitenregelung ohne Abschrägungen gebaut werden können (von der Grundstücksgrenze aus gemessen). C Bereich, innerhalb dessen das Gebäude verwirklicht werden kann (insofern nicht noch weitere Regeln zum Tragen kommen).

A

1

1

1,25

1,25

C

B

Abstandsregeln

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Die Stadt wird zum Haus Durch die Auslagerung der Wohnfunktionen auf die Stadt bekommt das Wohnen eine andere Bedeutung. Die Konzeption eines Hauses unterliegt nicht dem Zwang in erster Linie Programm und Funktionschematas erfüllen zu müssen. Der rund um die Uhr geöffnete Supermarkt ersetzt den Kühlschrank, das kleine Restaurant und die überall angebotenen Fertig-Mahlzeiten machen die Küche überflüssig. Das Badezimmer wird ins Badehaus in der Nachbarschaft ausgelagert, mit Freunden trifft man sich in der Karaoke-Bar und das LoveHotel wird zum Ehebett. Das Wohnen außer Haus ist allerdings nur denkbar vor dem Hintergrund eines anderen Umgangs mit der Stadt. Vom ungenierten Schminken in der U-Bahn bis hin zu den oft unverschlossenen Haustüren werden in Japan die Grenzen des Privaten auch psychologisch anders gezogen. Auch eine hochentwickelte Dienstleistungsgesellschaft ist für das Wohnen außer Haus nötig. Das wird z.B. ersichtlich durch die Convenience Stores, die von kleinen Mahlzeiten bis zum Postservice eine Rundumversorgung anbieten und sich der kleinteiligen Stadtstruktur anpassen. Auslagerung des Alltäglichen in den öffentlichen Raum

Belichtung Die Belichtung der Minihäuser in Tokio stellt aufgrund der sehr engen Bebauung eine besondere Herausforderung dar. Das Baurecht in Tokio schreibt einen bestimmten Anteil von Fensterflächen an Wohngebäuden vor, doch grenzen diese häufig fast direkt an die Fassade des Nachbarhauses an. Seitlich angeordnete Fenster sind oft von innen entwickelt und dienen selten dem Zweck der Belichtung oder einer schönen Aussicht. Die Helligkeit von Räumen ist in der japanischen Architektur nicht unbedingt erwünscht. Durch die traditionelle japanische Bauweise mit tief herabgezogenen Vordächern, entdeckte man die Schönheit, die durch Schatten entstehen kann. Dämmerlicht, das auch durch die Verwendung der Shoji entsteht, wird als angenehmer empfunden, als ein gleißender Lichteinfall. Um ausreichend Lichteinfall für die Wohnfunktion zu generieren, finden Architekten von Minihäusern folgende Lösungsansätze.

»Tatsächlich gründet die Schönheit eines japanischen Raumes rein in der Abstufung der Schatten.« [Lob des Schattens, Ta nizaki Jun’ichiro]

Oberlichter: Der Lichteinfall wird vor allem durch Oberlichter generiert, die das Licht in das ganze Haus eindringen lassen. Häufig sind die Fensterflächen der Dachfenster geneigt, um die Lichtstrahlen ganz gezielt lenken zu können. 70


Innenhöfe: Auch patios, die teilweise über mehrere Geschosse in das Gebäude reichen, sorgen für Belichtung der Innenräume und dienen oft als innenliegende Gärten. Lichtlenkung: Bei der Planung wird versucht den Lichtfluss so wenig wie möglich zu durchbrechen und ihn durch das gesamte Haus zu lenken. Beispielsweise werden die Nutzungsebenen versetzt angeordnet, um Zwischenräume für das Licht zu schaffen. Auch die traditionell offene Raumstruktur begünstigt die Belichtung der Minihäuser. Das Licht kann durch die wenigen Wände und Trennungen ungehindert durch die Räume fließen.

Oberlichter

Reflektion: Innenwände und Deckenelemente in Minihäusern sind oft weiß gestrichen und reflektieren so das einfallende Licht und erhellen den Raum.

Oberlichter

Raumstruktur Die grundsätzlich offene und fließende Raumstruktur hat einen Bezug zu traditionellen japanischen Häusern. Die Tatamimattenräume sind grundsätzlich keiner speziellen Nutzung untergeordnet und Möbel werden meist nur temporär eingebracht. Elastizität des traditionellen japanischen Grundrisses und die relative Unbestimmtheit seiner Elemente hängt im Wesentlichen mit dem Fehlen von schweren Möbeln zusammen und endet dort, wo diese ins Spiel kommen. Das Sitzen auf dem Boden, besser gesagt auf Tatamimatten, ist eine hochkultivierte Form des Wohnens, die viel Disziplin erfordert. Es gibt Sitzkissen und

Innenhof

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bewegliche Tische, die sich in Schränken verstauen lassen, um wieder einen leeren Raum zu erhalten. Auch heute noch ist dies ein wichtiger Bestandteil japanischer Wohnräume. Die Raumsequenzen wirken bewegt und lebendig. Die Räume stehen in einem offenen und wandelbaren Verhältnis zueinWohnen in seiner funktional reduander und erlauben innerhalb des ziertesten Form, nur noch Raum Hauses eine kontinuierliche Neuordohne Programm! nung der Funktionen. Die Anwesenheit von Familienmitgliedern spüren zu können gehört für viele Japaner zu den Qualitätsmerkmalen eines Hauses. Der unbestimmte Raum Erst in dem Moment, in dem die leere räumliche Einheit von etwas in »Besitz« genommen wird, verwandelt sie sich in einen Raum. In jedem Fall wird Raum intensiv durch die Vermittlung eines Zeitgefühls wahrgenommen. So bedarf auch die Wahrnehmung der Zeit eines Raumes. Die Raumwahrnehmung lässt es zu, in allen vorhanden Räumen weitere Räume zu sehen, vorhandene und nicht vorhandene. Die vor allem im Zen Buddhismus verankerte Wertschätzung der »Leere« mag weiterhin dazu beigetragen haben, dass in Japan das Entwerfen mit der Abwesenheit von Raum beziehungsweise raumgrenzenden Elementen bereits Tradition hat.

»Apartment House« Sou Fujimoto

»House in Horinouchi«

Treppen Durch den begrenzten Raum in Minihäusern werden Raumhöhen auf das Minimale des jeweiligen Nutzens des Raums angepasst. Somit entstehen verschiedene Ebenen und die Treppe wird zu einem enorm wichtigen Element. Sie sind meistens die einzige Trennung zwischen den verschiedenen

»House in Horinouchi« von Mizuishi Architects Atelier

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Räumen und den verschiedenen Funktionen der Häuser. In Folge dessen nehmen sie nicht nur die Funktion der Etagenverbindung, sondern auch der Tür ein. Des Weiteren wird die Stufe zu einer Wohnfunktion, die gleichzeitig Mobiliar und raumbildendes Element ist. So wird die Treppe zum Beispiel als CD-Halter, als Bücherregal oder als Sitznische umfunktioniert. Es handelt sich hierbei um den Versuch, den kontinuierlichen japanischen Raum beizubehalten und zugleich zu transformieren. Außerdem geben die Stufen Signale, wie mit dem Raum umgegangen werden soll. Sie zeigt wo Schuhe erlaubt sind, wo man mit Pantoffeln vorliebnehmen sollte und ab wann man sich auch von diesen zu verabschieden hat. Ferner ist der Steigungswinkel der Treppen, anders als bei uns, nicht reguliert. Im Gegensatz zu horizontal orientierten Häusern müssen bei Minihäusern die Treppen so eng wie möglich zusammengefaltet werden. So entstehen im Gegensatz zu lang ausgedehnten Treppen bei horizontal orientieren Häusern große Steigungsverhälnisse. Auch gestalterisch ist die Treppe ein deutlich sichtbares Element, da sie meistens zentral im Grundriss liegt oder durch den begrenzten Raum und die hohe Anzahl der Etagen der Minihäuser meistens genauso viel Platz einnimmt wie die eigentliche Wohnfläche. Die Treppe gibt im Minihaus klar die Raumfolge vor. Man

Treppe als Wohnraum

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hat kaum die Wahl verschiedene Wege einzuschlagen, wie es zum Beispiel in einem klassischen Mehrfamilienhaus der Fall wäre. Die Erschließung wird somit spielerisch verwendet und nicht versucht zu verstecken oder in den dunkelsten Raum zu setzen. Die Stufenstruktur ohne feste Nutzungszuordnung entspricht in gewisser Weise der Tatamiflächen, die von den Bewohnern je nach Bedarf genutzt werden. Abschließend lässt sich also sagen, dass die Sitzstufen ein Prinzip der Vermittlung zwischen traditionellen Wohnen und neuen Wohnansprüchen sind, da sie sowohl architektonisches Element als auch Möbelstück sein können. Fazit Minihäuser sind in Japan keine Ausnahme, sondern in den Wohnvierteln Tokios oft die Regel und wurden durch unterschiedliche Einflüsse geprägt. Das Minihaus ist für uns spannend, weil es ein Typus des Wohnhauses ist, der bei uns in Deutschland kaum zu finden ist. Die durch die Geschichte Tokios und seine Architektur, sowie durch die Lebensweise der Japaner entstandenen Eigenschaften der Minihäuser zu untersuchen und so besser zu verstehen, war sehr spannend. Die Architekten bewahren einige historisch entstandenen Merkmale des Wohnbaus, sodass sie der Tradition treu bleiben. Dennoch ist fast jedes Minihaus ein Einzelstück und speziell auf die Bewohner und ihre Lebensweise angepasst.

Literatur ht tp:// w w w.db -bauzeitung.de/db -themen/db -archiv/ japan-rueckt-noch-naeher-zusammen/ h t t p s : // w w w.d e s i g n b o o m .c o m /a r c h i t e c t u r e / akihisa-hirata-architecture-office-coil/ ht tp: // kleinrau mwo hnung.c o m / blog /10 - unglaubliche - minihaeu ser-die-uns-zum-staunen-bringen/ https://www.nzz.ch/feuilleton/kunst_architektur/kultur-der-kleinheit-1.18399803 https://www.iconeye.com/architecture/features/ item/4476-sou-fujimoto-s-tokyo-apartment Literatur 151 ARCH + - Minihäuser in der Megacity Tokio 208 ARCH + - Die Stadt bewohnen Hildner, Claudia, Zeitgenössiche japanische Wohnbauten - Kleine Häuser, Birkhäuser Verlag Hildner, Claudia, Future Living, Gemeinschaftliches Wohnen in Japan, Birkhäuser Verlag Basel

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Privatsphäre – Lebensraum im Wandel Karthika Jeyakumar Katharina Brandl Yara Sekinger

Lebensraum »Der Mensch ist mit seinem WohnDas Wort Lebensraum umfasst zwei orte so nah verwandt, daß die Begriffe – einerseits das Leben und Betrachtung über diesen auch uns andererseits den Raum. Im ersten über den Bewohner aufklären muß.« Teil sollen diese nun zuerst einmal [Johann Wolfgang von Goethe, einzeln analysiert werden, um dann Zit. nach Dobel 1968: 1074] den Lebensraum und seine Anforderungen besser fassen zu können. In der Naturwissenschaft versteht man unter Leben einen zellulären Organismus, eine stoffliche Zusammensetzung, oder auch Evolution und Anpassung. Im Gegensatz hierzu sieht Platon im Leben die Fähigkeit der inneren Bewegungskraft – also die individuelle Selbsterfahrung von Handeln, Denken und Fühlen. Allgemein kann man bei Platon also von den Eigenschaften Zeichnung, Yara Sekinger des Daseins sprechen. Ähnlich verhält es sich mit dem Raum. Mathematisch betrachtet handelt es sich bei einem Raum um ein Element, dass vertikal wie auch horizontal definiert ist. Auch in der Architektur spricht man ständig von Raum – Innenraum, Außenraum, umbauter Raum, Freiraum, privater oder öffentlicher Raum. Ist Raum etwas greifbares beziehungsweise messbares? Oder ist es eine Form unserer Anschauung? Immanuel Kant beschreibt Raum als eine einerseits zeitlich veränderliche Anschauung und andererseits als eine individuelle Vielzahl der Anschauungen. Raum ist also nichts messbares, sondern abhängig vom Individuum. Wenn nun schon diese Begriffe schwer zu greifen sind, was bedeutet denn dann Lebensraum? Was macht Lebensraum aus und wie viel Raum benötigt solch ein Lebensraum? Privatsphäre Die Privatsphäre – oder auch private Sphäre – bezeichnet den Bereich einer Person, der nicht öffentlich ist, also den Bereich, der nur die eigene Person angeht. Dieser Bereich ist besonders geschützt. [Zitat Grundgesetz Art. 2 Abs. 1 und Art. 1 Abs. 1]. Eine weitere Definition der Privatsphäre bezeichnet diese als einen abgeschirmten, persönlichen Bereich, in dem man sich frei und ungezwungen bewegen 75


kann. Hierzu zählen auch Gesetze wie die Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 GG) oder auch das Post – und Fernmeldegeheimnis (Art. 10 GG). Tradition und Kultur In Japan herrschte schon immer ein Wechselspiel aus Isolation und äußeren Einflüssen. Hierbei handelte es sich nicht nur um eine geographische Abgeschiedenheit, sondern auch um die selbst gewählte Abschottung gegenüber dem Ausland. Betrachtet man Japans Geschichte, wird einem vieles klar.

Haus im Alpen Dorf Shirakawago

Einen großen Einfluss auf Japan hatte schon in frühen Jahren sein Nachbarstaat China. Der Buddhismus und die Lehren des Konfuzianismus prägten die Kultur und die Sprache Japans. Im Jahre 1854 kam der westliche Einfluss hinzu – er erzwang die Öffnung und Modernisierung des Landes. Japan entwickelte sich in dieser Zeit zur ersten asiatischen Industrienation. Die Expansion endete mit dem zweiten Weltkrieg, als die Vereinigten Staaten Japan besetzten. Den weitaus größten Einfluss auf die Entwicklung Japans hatte jedoch die Edo-Zeit. Sie erstreckte sich über 265 Jahre (1603–1868) und bildete die längste Friedenszeit in Japans Geschichte. In dieser Zeit herrschten die Tokugawa-Shogune und Edo bildete das Zentrum Japans. Eine Zeit, die sich besonders hervorhob, da sie von vielen Umbrüchen geprägt war, war die Bakumatsu-Zeit von 1853-1867. Während bis dato noch das 4-Stände-System herrschte, entwickelte sich nun langsam ein Klassensystem mit größeren Gruppen. In dieser Zeit wurde der Buddhismus extrem gestärkt. Das Christentum wurde komplett verboten, ausländische Missionare wurden des Landes verwiesen und japanische Christen mussten ihrem Glauben abschwören. Mitte des 17. Jahrhunderts wurde dann die komplette Isolierung Japans festgelegt. Man spricht von einer Abschließungspolitik. Ab jetzt wurden Ausländer verfolgt und getötet. Das Interesse am Westen blieb jedoch trotzdem. Das Wissen wurde sich über Bücher angeeignet und so entstand ein zum Teil verzerrtes Bild Typische Straßenansicht in Kyōto Europas. 76


Trotz oder gerade wegen dieser Isolation blühte die Wirtschaft in Japan auf. Inlandshandel und landwirtschaftliche Produktion stiegen enorm. Mitte des 18. Jahrhunderts kam es zu einer Verstädterung. Der Neokonfuzianismus gewann immer mehr an Bedeutung. Feudale Normen wurden zu Praktiken, es entwickelte sich eine Rechtsstaatlichkeit und neue Gesetze wurden verabschiedet. Der Lebensweg »Chonindo« entstand. Diese Lebensart orientierte sich am Streben nach Qualitäten des Bushido (Weg des Kriegers): Fleiß, Ehrlichkeit, Loyalität und Genügsamkeit. Zur gleichen Zeit entwickelte sich der »Shinto«, eine spirituelle Unterstützung der politischen Ordnung, welcher ein wichtiges Band zwischen Individuum und der Gesellschaft darstellt und das Nationalbewusstsein erhalten soll. Im Jahre 604 n.Chr., als in Japan die erste Verfassung verabschiedet wurde, waren hierin schon Fragen über Manier und Höflichkeit geregelt. Diese Regelungen bilden eine Art Lexikon der sozialen Einordnung. In Japan ist nichts wichtiger als die Harmonie. Der Gemeinschaftssinn steht über allem. Dies spiegelt sich nicht nur in der Verfassung wieder, sondern auch in der Architektur. Früher lebte man in einer Gemeinschaft. Es gab viele kleine Dörfer, in denen man auf die Nachbarschaftshilfe beim Dachdecken angewiesen war. Das traditionelle japanische Haus besaß ein Grasdach, war nach den Regeln des Tatami-Maßes geplant, besitzt einen Teeraum in dem der Geist zur Ruhe kommen kann und traditionelle Reispapierwände, um die Räume untereinander abzutrennen und um den Innenraum vom Außenraum zu separieren. Ein anderes Element, welches den Außenraum vom Innenraum trennt, waren die Stufen im Genkan, welche einen dazu auffordern, seine Schuhe auszuziehen. Damals war es üblich, dass mehrere Generationen unter einem Dach lebten. Alle schliefen gemeinsam im selben Raum, in dem auch gegessen und gewohnt wurde. Es gab kein festes Mobiliar. Heute sieht das Wohnverhältnis in Japan etwas anders aus, einige Dinge sind geblieben, viele haben sich verändert. Privatsphäre im Haus Betrachtet man ein Haus auf dem Land, so lassen sich noch viele dieser traditionellen Elemente finden. Dort gibt es noch die Möglichkeit die klassischen, weiten, ineinander übergehenden Räume zu erhalten. In den Städten jedoch herrscht eine extrem hohe Bevölkerungsdichte (15073 Einwohner/ km2

Tokonoma - Nische für Schmuck Genkan - Eingangsbereich mit Stufe Chabudai - Tisch mit kurzen Beinen Kotatsu - niedriger beheizter Tisch Tatami - Boden mit Tatami-Matte Shoji - Reispapier-Schiebewand Fusuma - Schiebetür aus Pappe Zabuton - »Stuhl« der Japaner Ofuro - Badewanne 77


in Tokio, lt. Wikipedia) und somit auch ein extremer Platzmangel. Dies wird verstärkt durch immer kleinere Haushalte und Singlewohnungen. Die Nachfrage nach kleinen oder Einzimmer Wohnungen von zum Teil gerade mal 8 m2 steigt dadurch an.Heutzutage gibt es sowohl Wohnungen mit abgetrennten Elternschlafzimmer, als auch Wohnungen bei denen sich alles in einem Raum abspielt. Diese multifunktionalen, teilbaren Räume erweisen sich als sehr praktikabel und für traditioJapanischer Raum, Sven Ingmar Thies nelle Wohnelemente nutzbar. Die Privatsphäre im Haus ist somit sehr gering bis gar nicht vorhanden. Auch eine gänzliche Abschirmung zum Nachbarn ist kaum möglich, da die Häuser auf meist kleinen Grundstücken mit ca. 1 m Zwischenraum gebaut sind. Man reduziert sich darauf, die visuelle Privatsphäre zu schützen, beispielsweise durch Noritaka Minami, 1972 kleine Fenster. Es wird in großen Quartiersgemeinschaften sehr dicht beieinander gelebt, jeder weiß alles über jeden – darüber wird allerdings nicht öffentlich gesprochen. Der sogenannte Cockpit-Effekt bedingt das Zusammenleben auf so engem Raum und die platzsparenden Wohnungen. Dieser Cockpit-Effekt beschreibt das Auslagern einiger Wohnfunktionen in das nähere städtische Umfeld. Somit dient die Wohnung – das Cockpit – hauptsächlich zum Schlafen. Dies führt zur Reduzierung des Platzbedarfs in der Wohnung und somit zu kreativen Varianten, den begrenzten Raum gut zu nutzen. Der Stadtraum dient als erweiterte Wohnung. Mit Freunden oder Bekannten trifft man sich in Restaurants oder Garküchen. Kleine durchgehend geöffnete Supermärkte bieten die Möglichkeit immer in kleineren Mengen einzukaufen. Durch diese Verlagerung können Küchen und Esszimmer kleiner ausfallen oder sogar ganz entfallen. Die nach außen ersichtliche, offene und gesellschaftskonforme Seite wird in Japan Omoto genannt, die Seite die weniger gezeigt wird, aber für das Gleichgewicht wichtig ist, nennt sich Ura. Privatsphäre in der Öffentlichkeit Wie im vorangehenden Abschnitt bereits angeschnitten, werden durch das Zusammenleben auf engstem Raum Teile der Privatsphäre in den öffentlichen Raum verlagert. Die Privatsphäre eines Japaners ist ein sehr wertvolles Gut, 78


welches er auch in jeder Hinsicht zu beschützen versucht. Anhand von Tokio wird im Folgenden das Leben und die Privatsphäre in der Öffentlichkeit erläutert. Die Stadt Tokio funktioniert wie ein Uhrwerk und hat eine polyzentrale Struktur, in der es keine Reichen– oder Armenviertel gibt. Das Stadtbild von Tokio zeigt, dass dort kaum Kriminalität oder Drogenkonsum herrscht, obwohl sehr viele Menschen auf minimalem Raum zusammenleben und arbeiten. Der Weg eines Japaners zur Arbeit – meist mit der U-Bahn – verdeutlicht beispielsweise, wie wichtig es den Japanern ist, auf ihre Mitmenschen zu achten. In den überfüllten Zügen und U-Bahnen vermeiden Japaner den Augenkontakt zu ihren Mitmenschen, um sie nicht in eine unangenehme Situation zu bringen. Dieses distanzierte Verhalten wird oft als introvertiert oder auch als der Rückzug in eine »private bubble« beschrieben. Oft halten sie dabei Inemuri, so nennt man das Nickerchen, das viele Japaner in Pausen, bei Bahnfahrten oder anderswo halten. Der Schlaf ist jedoch so flach, dass man seine Umgebung noch im wesentlichen wahrnimmt. Im öffentlichen Straßenraum sind kaum Straßencafés mit Außenbereich vorzufinden, da sich Japaner nicht gerne beim Genuss in der Öffentlichkeit zeigen. In der Öffentlichkeit nimmt man auch keinen Alkohol zu sich. Die Dauerbeschallung im öffentlichen städtischen Raum und die lebhafte Atmosphäre tragen dazu bei, dass die Noritaka Minami, 1972 Straßen belebt sind und dass unangenehme Geräusche oder eventuelle private Gespräche oder ähnliches übertönt werden. Das private Liebesleben der Japaner wird meist in sogenannten »Love-Hotels« ausgelebt, da zuhause oft mehrere Familienmitglieder in einem Haushalt auf minimalem Raum zusammenleben. Auch Gäste werden kaum in den privaten Haushalt eingeladen. Einladungen finden eher in öffentlichen Räumen, wie beispielsweise Restaurants oder Teeräumen statt, die man speziell dafür mieten kann. Einladungen in die typischen Karaoke-Boxen sind ebenfalls üblich, in denen man dann eine gewisse Zeit miteinander verbringt. Diese werden vorwiegend von der jüngeren Generation genutzt. Ein Ort an dem sie unter sich sind und ausgelassen feiern können – ein Stück Privatheit im öffentlichen Raum. Noritaka Minami, 1972 79


Fazit Zu Beginn haben wir uns die Frage gestellt: Ist es tatsächlich ein Wandel der Menschen oder gibt es banalere Gründe für den Wandel des Lebensraumes? Aus all den Recherchen und Interviews heraus hat sich ergeben, dass es nicht die Menschen sind, die sich gewandelt haben, sondern andere Gründe – wie beispielsweise der Platzmangel in den Städten, der auch dadurch begründet ist, dass man nicht auf die Berge ausweichen kann, da diese heilig sind, oder auch neuere Arten und Techniken zu bauen. Auch der Einfluss des Westens und das immer internationaler werdende Bild der Architektur führt zu anderen Bauweisen. Allerdings macht die Tradition und Einstellung der Japaner, dass die Gemeinschaft über allem steht, eine solche Art des Zusammenlebens Noritaka Minami, 1972 überhaupt erst möglich. Man könnte also sagen, dass die traditionelle Lebensweise der Japaner diesen Wandel überhaupt erst ermöglicht und das Festhalten an Jahrhunderte alten Tradition eine Veränderung des Lebensraumes unterstützt.

Anhang Interview mit Felicitas Rahmenbedingungen des Aufenthalts in Japan? Felicitas war von 1997 - 98 für ein Jahr in Japan (im Alter von 27-28 Jahren) Sie lebte in der Präfektur Gifu (Provinz) und arbeitete als Physiotherapeutin in einer Übergangsklinik Wie viel wusstest Du vorher schon über Japan? Durch Karate hatte sie bereits vorher Kontakt zur japanischen Kultur. Es war der erste Besuch, Interesse war aber bereits vorher vorhanden. Die Sprache lernte Sie vor Ort, durch täglich 4 Stunden Sprachunterricht. Lediglich Schriftzeichen wurden im Voraus gelernt. Zu Beginn erfolgte die Kommunikation mit Händen und Füßen da auch Englisch keine Option darstellte. Die Verständigung mit Kollegen und Patienten war am Anfang sehr schwierig. Warum hat man sich für das Land entschieden? Die Stelle wurde über ein Inserat in eine Fachzeitschrift gefunden. Die Bewerbung war trotz fehlender japanisch Kenntnisse offensichtlich erfolgreich. Wie groß war die Umstellung? Was hat Dich am meisten Anpassung gekostet? Vorsichtiger im Umgang mit Männern zu sein. In eine Unterhaltung oder den Kontakt zwischen einer Frau und einem Mann wurde mehr hineininterpretiert als Sie gewohnt war. Man wird durch das Gerede der Kollegen oder etwaige Andeutungen zurückhaltender. 80


Hat sich etwas an Deiner Lebensweise geändert? Was hast Du aus dem Land mitgenommen? Der Umgang mit anderen, ob Freunde und Kollegen, hat sich verändert. Es entstand ein Bewusstsein dafür Kritik anzubringen, darüber zu reden, dies aber nie öffentlich sondern immer ohne jemanden vor anderen bloßzustellen. In Japan ist es wichtig das Gesicht zu wahren, ein Chef würde seinen Mitarbeiter niemals vor den anderen Mitarbeitern zurechtweisen, sondern dies immer in einem Gespräch unter vier Augen tun. Sie selbst hat sich auch angewöhnt sich viel zu Entschuldigen, in manchen Fällen vielleicht mehr als nötig. Rücksichtnahme spielt eine große Rolle, in der U-Bahn wird man nicht angerempelt, in U-Bahnen und Liften vermeiden die Leute es einander anzusehen, damit niemand in seiner Privatsphäre gestört oder in eine unangenehme Situation gebracht wird. In U-Bahnen ist es außerdem verboten zu telefonieren, um die Gruppe nicht zu belästigen. Wer trotzdem ein Telefonat führt wird von den anderen Fahrgästen darauf hingewiesen, dies zu unterlassen. Was waren Deine ersten Eindrücke? Wie soll ich mich zurechtfinden? Schaff ich das? Sprache, Arbeit, Erwartungsdruck etc. Wie hast Du dort gelebt? Was war gut und was war schlecht? Sie lebte in eine Zweizimmerwohnung im Stadtzentrum, mit einem Arbeitsweg in die Klinik von nur einer Minute und in 3 Minuten Entfernung zum nächsten Bahnhof. Die Wohnung befand sich im Obersten Stockwerk eines 6-stöckigen Mehrfamilienhauses. Wohnungen in den oberen Stockwerken sind immer teurer als Wohnungen die weiter unten sind, da die Höhe einen besseren Schutz bei Erdbeben bietet. Für die Wohnung musste keine Miete bezahlt werden, da diesem vom Chef der Klinik zur Verfügung gestellt wurde. Die Arbeitssituation in Japan ist entgegen der hier weit verbreiteten Meinung gut. Mitarbeiter müssen zwar viel Arbeiten und haben viel weniger Urlaubstage als wir hier in Europa aber die Firmen schaffen auch Loyalität bei Ihren Mitarbeiter durch andere Förderungen und Möglichkeiten. Felicitas selbst standen 5 Urlaubstage im Jahr zu, sie hatte tatsächlich sechs, der täglich 4-stündige Sprachkurs sowie die Wohnung wurden ihr bezahlt. Bei Arbeitskollegen konnte sie erleben wie die Arbeit von engagierten Kolleginnen und Kollegen erkannt und honoriert wurde, beispielsweise durch Beförderungen (auch ohne die erforderliche Ausbildung). Dies wird hauptsächlich in rein japanischen Unternehmen praktiziert. Wenn die Mitarbeiter sich durch solche Maßnahmen wertgeschätzt fühlen steigt die Motivation auch auch die Loyalität gegenüber dem Arbeitgeber. Wie viele japanische Wohnungen hast Du gesehen? Sie konnte in ihrer Zeit in Japan sechs japanische Wohnungen besuchen. Als Ausländer wird man von einigen Japanern gerne nach Hause eingeladen. Ansonsten trifft man sich mit Bekannten eher in Restaurants. Sie beschrieb den sogenannten Ausländerbonus, einen Nicht–Japaner zu kennen wird als Statussymbol angesehen. Wie traditionell / modern waren die Wohnungen? Ihre eigenen Wohnung war eine Mischung aus traditionellen und modernen Ele81


menten. Es gab Kotatsus (niedrige Tische mit Heizelementen), meistens normale Betten für die Bewohner, Futtons für Gäste sowie Shoji und Fusuma Schiebeelemente. Jede Wohnung hat mindestens ein Tatamizimmer und es ist auch immer eine Badewanne vorhanden und keine Dusche. In Wohnungsanzeigen wird die Raumgröße mit dem Tatamimaß angegeben. Ist Japan zur Heimat geworden oder warst Du immer »Tourist«? In der Klinik, ihrem Arbeitsplatz hat sie sich zuhause gefühlt, ansonsten meistens als Gast. Die Reaktionen der Menschen auf der Straße, aufgrund des anderen Aussehens waren auffällig und teilweise unangenehm. Insgesamt fühlte sie sich im privaten wohl und im öffentlichen Raum eher weniger. Dort gab es kein untertauchen und man stand ständig unter Beobachtung. Was kommt Dir bei dem Wort »Privatsphäre« in den Sinn? Sie hatte das Gefühl, dass es keine großen Unterschiede zu ihrer Heimat gab. Die Wohnungen wurden als vergleichbar hellhörig wahrgenommen. Die Küche wurde von Gästen nicht betreten. Sie habe nicht wahrgenommen, dass die Menschen bewusst leiser sind in ihren Wohnungen. Vermutlich kann das auch daran gelegen haben, dass sie in einem neuer Mehrfamilienhaus gewohnt hat. Love Hotels, diese sind sehr verbreitet und sehen oft wie Märchenpaläste aus. Es gibt dort separate Ein– und Ausfahrten. Sie werden von vielen Paaren genutzt. Wenn Jugendliche Privatsphäre haben wollen gehen sie in mietbare Karaoke boxen. Diese werden Stundenweise bezahlt und man kann sich mit kleineren Gruppen oder zu zweit dort treffen. Wie ist der Bezug zu Mitmenschen? Sie Empfand das allgemeine Verhalten in der Öffentlichkeit als angenehm und eignete sich auch den typische flachen Schlaf im Zug an. Man kann mit sich alleine sein. Telefonieren ist in Zügen verboten, deshalb ist es dort sehr leise. Mit ihr haben Arbeitskollegen viel geredet, wenn sie einen kennen. Mit Fremden ist der Umgang vorsichtiger man nicht zu viel Interpretationsfreiraum lassen will Interview mit Sayaka und Daniel Wann und warum hast du Japan verlassen? Im Alter von 24 Jahren hat Sayaka Japan verlassen. Sie hatte in Tokio Ihren jetzigen Mann Daniel kennengelernt und ist mit Ihm nach der Heirat in die Schweiz gezogen. Wo und wie hast du in Japan gelebt? Sie ist auf dem Land geboren und aufgewachsen, hat später aber in Tokio gelebt. Sie hatte ein eigenes Zimmer. Was war für dich am Anfang die größte Umstellung? Die Tatsache, dass man hier viel mehr Platz hat (ob in Wohnungen, der Stadt oder auch der Natur (nähe). Was kommt dir bei dem Wort Privatsphäre in den Sinn? Die Privatsphäre die ein Japaner hat unterscheidet sich sehr, je nach Familienstand. Es gibt viele Familien die in kleinen Wohnungen leben (1-1,5 Zimmerwohnungen) und alles spielt sich in einem Tatami Zimmer ab (Wohnen/ Schlafen/ etc.). Es gibt aber auch Familien, in denen es einzelne Schlafzimmer gibt und 82


gemeinsame Aufenthaltsräume. In Tokio gibt es alles. Durch die dünnen Wände achtet man schon darauf, dass man die anderen nicht stört. Sayaka vermutet aber, dass das heute (also seit sie dort nicht mehr lebt) weniger geworden ist, dass die Rücksichtnahme in dieser Hinsicht abgenommen hat. Was fällt dir zu japanischen Wohnungen ein? Tatmaimatten sind noch sehr verbreitet, in Tokio wohnen die Menschen sehr dicht aufeinander. In der Nachbarschaft weiß jeder alles über jeden aber man spricht nicht darüber. Zu seinen Nachbarn hat man ein eher distanziertes Verhältnis und lädt sie nicht zu sich nach Hause ein. Wir man als Gast nach Hause eingeladen? Japaner unter sich laden sich nicht gegenseitig nach Hause ein. Man geht eher ins Restaurant um sich mit Freunden zu treffen. Kannst du den Cockpit-Effekt aus eigener Erfahrung bestätigen? Beide Interviewte hatten darüber noch nie bewusst nachgedacht aber stimmen absolut zu, dass es so ist. Viele Funktionen werden ausgelagert z.B 24 Stunden geöffnete Convenience-Stores und Restaurants. Wie verhält man sich in der U-Bahn? Man hält keinen Augenkontakt, alle schauen heutzutage auf ihr Handy. Früher haben die meisten Leute Zeitung gelesen und hatten eine bestimmte Falttechnik damit die Zeitung sozusagen „Artikelgröße” hatte, um niemanden zu stören. Was hältst du von den Toiletten Gewohnheiten in Japan? Störgeräusche auf Toiletten findet Sayaka selbst auch übertrieben (und vor allem den unnötigen Stromverbrauch) Störgeräusche gibt es in Japan überall (Stadt und Land, nicht nur auf der Toilette), es herrscht eine Dauerbeschallung. Sayaka und Daniel würden sagen, das die Japaner kein besonders hohes Schamgefühl haben (auf dem Land gibt es z.B. teilweise noch gemischte öffentliche Toiletten). Dieser Eindruck entsteht nur durch die große Rücksichtnahme der Leute untereinander, was wiederum durch die hohe Bevölkerungszahl bedingt ist. Das tragen eines Mundschutzes hat auch nichts mit schlechter Luftqualität oder der Angst sich selbst anzustecken zu tun, sondern damit, dass man die anderen nicht anstecken will wenn man selbst krank ist. Wandel im Wohnen: Veränderung der Menschen oder ökonomische Gründe? Daniel meinte es wären absolut Ökonomische Gründe, Sayaka stimmte zu. Die kleinen Häuser, Wohnpreise und Platzverhältnisse z.B. in Tokio bedingen ein anderes Wohnen. Was sollten die Schweizer von der japanischen Kultur übernehmen und umgekehrt? Die Zurückhaltung in der Öffentlichkeit in Japan ist sehr angenehm, man nimmt mehr Rücksicht aufeinander. In den sehr vollen Öffentlichen Verkehrsmitteln bewahren die Japaner ihr stoische Ruhe. Des Weiteren werden Japaner unter Alkoholeinfluss nicht aggressiv. Sie trinken gern, vertragen aber wenig. Zunächst werden sie lustig und danach müde, aber selten aggressiv. Aus Höflichkeit und Rücksichtnahme wirken Japaner oft „unehrlich” – vielleicht das falsche Wort. Bevor sie eine unangenehme/ negative Antwort geben müssen sagen sie lieber gar nichts (Erfahrung von Daniel im Geschäftsleben). 83


Literatur Contemporary Japanese Architects, Dirk Meyhöfer, ©1993 Taschen / Köln ISBN10: 3822894427 Japanese Rooms, Sven Ingmar Thies ©2007 Schwarzerfreitag / Berlin, ISBN10: 3937623906 Japanische Architektur. Geschichte und Gegenwart, Manfred Speidel, ©1983 Hatje / Stuttgart ISBN-10: 3775701818 The Japanese House Reinvented, Philip Jodidio, ©2015 Thames & Hudson / London, ISBN-13: 9780500343081, 1972 Noritaka Minami, ©2015 Kehrer / Heidelberg, ISBN-13: 9783868285482 Wohnkonzepte in Japan: Typologien für den kleinen Raum, Christian Schittich ©2016 Detail / München ISBN-13: 9783955533175 Interviews, siehe Anhang Internetquellen Life in Japan: YouTube BusanKevin Privacy and Sharing Space in Japan – DProgramSF http://www.badische-zeitung.de/ausland-1/leben-wie-ein-vogel-im-kaefig-intokio-ist-der-wohnraum-knapp--58116632.html h t t p : / / b l o g . t a g e s a n z e i g e r. c h / w e l t t h e a t e r / i n d e x . p h p / 3 6 1 5 8 / japans-glaeserne-buerger/ http://www.japantimes.co.jp/news/2012/02/02/national/privacy-and-net-cafesa-tale-of-two-cities/#.WWVSRYjyh3g https://www.nzz.ch/feuilleton/kunst_architektur/kultur-der-kleinheit-1.18399803 http://www.japan-talk.com/jt/new/japanese-houses http://www.tabibito.de/japan/wohnen.html Abbildungsnachweis Abb 1: Zeichnung, Yara Sekinger Abb 2: https://www.tripadvisor.ch/ Abb 3: https://www.reddit.com/ Abb 4: http://www.shoji-bau.de/ Abb 5: Japanese Rooms Sven Ingmar Thies Abb 6: 1972, Noritaka Minami Abb 7: https://500px. com/ Abb 8: https://image.jimcdn.com/ Abb 9: https://allanmcdaniel.files.wordpress.com/

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Raumbedarf in Megastädten ‒ Tokio und London im Vergleich Stella Kappeler Stefanie Kleiser Gianna Mechnig

Geschichtliche Hintergründe im Vergleich Nach dem 2. Weltkrieg war Tokio, die bis dato fast vollkommen aus Holz erbaut war gänzlich zerstört. Die Struktur dieser Stadt entwickelte sich also unter der Architektur der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert. Sie entwickelte sich unabhängig von der des Westens. Japan beschäftigt sich mit dem alltäglichen Stadtraum und dem Verhältnis von Stadt zu Haus. Die Architektur wird in Japan, aber auch als etwas autonomes, eher eine Art Kunstwerk gesehen. Heute entstehen eher Mischformen zwischen der Architektur des Westens und der japanischen Tradition. Zum Beispiel die Okurajama Apartments. Ganz anders als in Europa haben Gebäude in Japan eher eine kurze Bestandsdauer. Ein Gebäude steht dort circa 26 Jahre. Das heißt die Stadtstruktur hat sich seit dem 2. Weltkrieg schon zwei bis drei mal erneuert. Eine zweite Angriffswelle gab es im Juni 1944 bis April 1945. London war also auch vollkommen zerstört. London war also auch vollkommen zerstört. Im Unterschied Luftbild von Tokio zu Tokio dauerte der Wiederaufbau allerdings sehr lange. Man steckte zunächst in einer Art »Schockstarrre«. Jahre später war aber alles größtenteils wieder hergestellt und man hatte sich von der Zerstörung erholt. Der Architekturstil breitet sich oft über mehrere Häuserblocks aus und schafft somit ein einzigartiges Stadtbild. Auch die Gebäude sind aus dieser Zeit fasst alle noch erhalten, da der Lebenszyklus dieser um einiges länger dauert London, nach einem Überfall um 1941 als der in Japan. In London findet man meist ein Wohn– und Geschäftsarchitektur. In Tokio hingegen kann man bei der Stadtstruktur hingegen von einem großen »Pfannkuchen« sprechen, welcher sich in die Vororte hinstreckt. Dies hat den Grund, dass die an Tokio angrenzenden Berge unbebaut bleiben und Tokio von der andren Seite vom Meer begrenzt ist, was einen Wachstum der Stadt erschwert. Auch der geringe Raum zwischen den Häusern, welcher oft nur einen Meter beträgt, wirkt sich 85


auf das Stadtbild aus. Der bevorzugte Wohnraum liegt vor allem im Westen, da in Tokio der Wind meist von Westen weht, und dort somit die besten Luftverhältnisse herrschen. Außerdem ist das Leben in Meeresnähe aufgrund der hohen Tsunamigefahr nicht beliebt. Tokio gilt als eine sehr gepflegte und saubere Stadt, welche, wenn es um ihre Bewohnergruppen geht, um einiges homogener ist als London, auch wenn dies auf den ersten Blick nicht den Anschein macht. Es gibt sehr wenige Ausländer und der Größte Anteil gehört zur japanischen Bevölkerung. Man hat in Tokio im Gegensatz zu London oft nicht Blick vom »Tokyo Sky Tree« das Gefühl, sich in einer Megacity aufzuhalten. Auch dass in Tokio fast niemand ein Auto besitzt spiegelt sich in der Stadtstruktur wieder. So gibt es in der Nähe des Bahnhofs eine sehr hohe Dichte und vergleichsweise höhere Häuser als sonst in der Stadt. Stadtstrukturen Tokio ist eine stadtgewordene Peripherie. Die Stadt erscheint als eine Zusammensetzung aus unterschiedlichen, kleinteiligen Strukturen, die durch ein gut ausgebautes öffentliches Verkehrsnetz zu einer polyzentrischen Stadtstruktur zusammengefasst ist. Großbauten und Hochhäuser be– und entstehen nur an den infrastrukturellen Knotenpunkten, die meist durch Bahnhöfe, sowie Finanzzentren gekennzeichnet sind. Innerhalb der kleinteiligen Wohngebiete gibt es Nachbarschaftsinitiativen mit managementartigen Funktionen, die für ein sehr sauberes, gepflegtes und gestaltetes Erscheinungsbild der Viertel sorgt. Jeder Bewohner hat so eine Mit–Verantwortung für sein Viertel und dessen öffentliches Erscheinungsbild. Man fühlt sich auch nicht zugehörig zur Metropole Tokio, sondern als Bewohner seines jeweiligen Viertels. Auch die Versorgung ist innerhalb eines jeden Viertels organisiert. Durch Mini-Supermärkte erhalten die Bewohner ihre täglichen Lebensmittel. Besonders ist hierbei, dass es üblich ist öfter frisch einzukaufen und nicht viel zuhause zu lagern, was auch durch den begrenzten Platz in den privaten Häusern beeinflusst ist. Infrastrukturell lässt sich sagen, dass aufgrund der städtebaulichen Fragmentierung Tokios eine sogenannte Top-Down Planung besteht, das heißt die Infrastrukturelle Planung geschieht von »oben herab«, ist also von Regierungsseite aus organisiert. Gegensätzlich dazu funktioniert die Planung der Bebauung. Sie ist von den Bürgern aus organisiert und wird demnach als Bottom-Up Planung 86


bezeichnet. Die Folge aus diesen Systemen ist ein durch die Einteilung recht eingeschränktes Handlungsspektrum von Architekten. Die Veränderungsrate der Stadtstruktur Tokios zeigt die Kurzlebigkeit der Bauten. Ein Gebäude in Tokio hat im Durchschnitt nur eine Lebensdauer von 26 Jahren. Die Stadt erneuert sich ständig und die Stadtentwicklung Tokios kann als dynamischer Prozess betrachtet werden. Im Gegensatz zu Tokios polyzentrischer Struktur steht Londons klar strukturiertes Stadtbild, das sich in einen historischen Kern und eine Peripherie gliedert. In London stehen Hochhäuser hauptsächlich im Finanzviertel, vereinzelt auch im Zentrum. Die Stadtteile teilen sich klar nach dem Vermögen der Menschen. Es gibt sowohl sogenannte Reichen-Viertel, als auch Stadtteile, in denen eher ärmere Menschen leben. Die Kluft zwischen Arm und Reich ist in London viel extremer, das Verhältnis gleicht einer Sanduhr, es gibt also nur eine kleine Mittelschicht und allerdings ziemlich viele sehr vermögende Einwohner, als auch viele Londoner, die nur über ein geringes Einkommen verfügen. Auch die Veränderungsrate Londons entspricht überhaupt nicht der Tokios. Mit etwa 100 Jahren Lebensdauer eines Gebäudes liegt die Veränderungsrate Londons im europäischen Durchschnitt.

Impression aus Tokio

Dennoch haben beiden Städte auch einige Gemeinsamkeiten. Sie sind die Hauptstädte von »Unendliches Meer aus Häusern« Inselstaaten, liegen am Meer oder zumindest in Meeresnähe, sind wirtschaftlich wichtige und produktive Standorte, bilden die wichtigsten Finanzzentren ihres Landes. Außerdem sollte man hervorheben, dass in beiden Städten die Infrastruktur effizient und gut organisiert ist und für die Bewohner trotz der hohen Dichte eine vergleichsweise sehr hohe Lebensqualität besteht. In beiden Städten sind Grünflächen für die Bewohner von hoher Bedeutung, sowohl im kleinen, als auch im größeren Maßstab. Nur die Vielfalt der Freiflächen ist aufgrund der Bebauungsdichte sehr unterschiedlich.Während London bekannt für seine vielen und akribisch gepflegten öffentlichen Parks und Grünflächen ist und fast jedes Haus mindestens einen kleinen Vorgarten hat, sind die wenigen Parks in Tokio zwar mindestens genauso aufwändig gepflegt, aber meist mit teuren Eintrittsgeldern verbunden. Da in den Wohnvierteln möglichst jede Fläche der kleinen Grundstücke bebaut ist, gibt es auch 87


im Privaten Raum nur sehr kleine Freiflächen, die aber dennoch sehr sorgfältig genutzt und bepflanzt werden. Auch aus historischer Sicht verbindet die beiden Städte einiges. Auf unterschiedliche Art und Weise haben sowohl Tokio, als auch London von der Globalisierung seit den 1970er Jahren immens profitiert. Beide Städte gehören heute zu den teuersten weltweit. Bauvorschriften, Gesetze und die Auswirkungen auf die Architektur Grundstücksgrößen sind, bedingt durch den früheren Reisanbau, sehr klein. Nach dem 2. Weltkrieg wurden die Eigentumsgrenzen nicht aufgelöst, wie es in Europa der Fall war. Außerdem kommt es in Tokio im Erbfall nur sehr selten zur Zusammenlegung zweier Grundstücke. Auch aufgrund der hohen Erbschaftssteuer müssen die Erben oft einen Teil es Grundstücks veräußern, um die Kosten tragen zu können. Lokale Behörden haben in dem Erbschaftsprozedere kein Mitspracherecht. Die Erben sind also zur Grundstücksteilung gezwungen und müssen so immer kleinere Gebäude bauen. Da der Bedarf an Grundstücken aufgrund des stetigen Bevölkerungswachstums so hoch ist und die Stadt stetig wächst, steigen die Grundstückspreise immer weiter. Aufgrund der Bauvorschriften, Baugesetze und Abstandsflächenregelungen ist ein Bauvorhaben in London deutlich eingeschränkter, als in Tokio. Das führt zu experimentellen Freiheiten in Entwurf und dem deutlich vielfältigeren Stadtbild Tokios im Vergleich zu London.

Greenwich Park in London

»Transparent House« von Sou Fujimoto

Kulturelle Lebensweisen Tokio und London hat nicht nur Städtebaulich ein großer Unterschied, sondern bietet auch Platz für zwei vollkommen verschiedene Kulturen. Während in Tokio eine absolute Kultur des Innenraums herrscht spielt sich in London das Leben der Bewohner auch häufig außen ab. Auch politisch gibt es einige Unterschiede während in Tokio ein historisches Kaiserreich herrscht, in welcher der Kaiser einem Gott gleicht und großes Ansehen bei allen Japanern hat, gibt es in London eine traditionelle Monarchie. Die Queen ist aber nicht bei jedem Londoner beliebt. In Japan wird das Wohnen sehr privat gehalten, man empfängt meist keine Gäste zuhause, sondern verabredet sich außerhalb. Dies aber auch nicht, wie beispielsweise in London in Straßenbars, da man sich nicht gerne beim 88


genießen bzw. beim entspannten zeigt. Da man auf den Straßen beziehungsweise am Arbeitsplatz eigentlich immer von Menschen umgeben ist, bietet das private Haus einen Rückzugsort, auch wenn die akustische Trennung, vor allem bei traditionellen Bauten nicht gegeben ist. Man teilt möglichst viele Funktionen mit anderen Stadtbewohnern. Dies spiegelt sich auch in der Nachbarschaft wieder. Diese geht zurück auf das Kontrollsystem der Tokogawa Herschaft zurück. Es entstand eine enge Verknüpfung, aber auch Kontrolle. Als die Herrschaft endet blieb das Gefühl von Verbundenheit trotzdem bestehen. Beispielsweise bringt der Vermieter einem eine Suppe vorbei, wenn man krank ist. Im Alter wohnen viele ältere Japaner gleich den Londonern in großen Komplexen mit anderen älteren Menschen. Flächenbedarf in Tokio Grün und Freiflächen Wie schon beschrieben gibt es in Tokio nur sehr wenig öffentliche Grünflächen und Parks. Diese werden jedoch als sehr wertvoll angesehen und sind deshalb auch kostenpflichtig. Aufgrund der dichten Stadtstruktur Japans und der engen Straßen gibt es auch im privaten Bereich sehr wenig Grün– und Freiflächen. Eine Folge daraus sind auch die wenigen Autos, da einfach der Platz zum Parken fehlt Private Grün– und Freiflächen werden mit großer Sorgfalt gestaltet und wertgeschätzt. Tokio ist seit 1943 in 23 Bezirke gegliedert. Insgesamt neun Millionen Menschen leben in der Stadt, wobei der Großraum Tokio etwa 36 Millionen Menschen fasst. Innerhalb der Stadt liegt die Einwohnerdichte bei 144 Millionen Menschen pro Hektar. Durch den weitläufigen Großraum um die Stadt selber verschwimmt die Stadtgrenze und lässt sich nicht ganz eindeutig definieren. Nicht nur die Stadtgrenze verschwimmt, sondern auch die Grenze zwischen privatem und öffentlichem Raum ist oft fließend, was durch Zwischen– und halböffentliche Räume zusätzlich verstärkt wird. Teilweise sind auch scheinbar private Räume, wie Küche und Badezimmer von außen erschlossen, sodass

»Seijo Apartments« in Tokio von SANAA

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auch diese Bereiche im halböffentlichen Bereich liegen und in die Stadt übergehen. Grundstücke werden meist nicht durch Zäune abgetrennt, sondern Handläufe bilden die Grenze zwischen Garten und Straße. Diese Zwischenzonen werden durch Steingärten oder kleine Bepflanzungen gestaltet und sind ein sehr wichtiger Bestandteil des städtischen Erscheinungsbildes. Diese Kleinteiligkeit und fließende Übergänge verstärken das Bild Tokios als stadtgewordene Peripherie.

»House Shimouma« von Kazuya Saito Architects

Privatbereiche Aufgrund der erbrechtlichen Vorschriften entstehen sehr kleine Grundstücksflächen, was den Kaufpreis der Grundstücke in die Höhe treibt. So kann man es sich kaum leisten ein Grundstück zu kaufen. Die Mieten für Grundstücke sind wiederum recht gering. Deshalb »S-House« von Yuusuke Karasawa Architects mieten die meisten Bewohner Tokios ein Grundstück und bauen kostengünstig ein Haus darauf, das dann im Schnitt 26 Jahre steht. Dadurch verändert ich das Stadtbild ständig und passt sich an den Lebensrhythmus und die verschiedenen Lebensabschnitte der Menschen an. Innerhalb der Gebäude leben »Back-To-Back Houses« die Menschen in sehr flexiblen Wohnbereichen, die für mehrere Nutzungsmöglichkeiten geeignet sind. Auch halbprivate Räume sind von großer Bedeutung, da sie vielfältig nutzbar sind. Aufgrund des Flächenmangels im privaten Raum ist es wichtig auch in kleinen Räumen eine hohe Raum– und Lebensqualität zu schaffen. Einzelne Projekte im Vergleich Traditionelles Bauen in London Back-To-Back Houses: Bezeichnung für den in Großbritannien und besonders in London typischen Reihenhaus-Typus, das von beiden Seiten erschlossen ist und somit von 2 Parteien bewohnt werden kann. Diese Typen wurden im 18. und 90


19. Jahrhundert massenweise für die Industrie-Arbeiterschaft errichtet, um der vorherrschenden Wohnungsnot in den Großstädten entgegen zu wirken. Weiterentwicklung: Reihenhaus im viktorianischen Stil, die immer mindestens zweigeschossig, aber meistens sogar viergeschossig sind und oft Erker besitzen. Es wird typischerweise in Massivbauweise aus dünnen Backsteinmauern gebaut. Jedes Zimmer hatte einen eignen Kamin zur Beheizung des Raumes, wodurch es pro Haus vergleichsweise viele Schornsteine auf dem Dach gibt. Diese Art von Häusern ist in London bis heute Stadtbild prägend.

Traditionelle Gebäude in Tokio Die Prinzipien des traditionellen japanischen Hauses sind folgende: Das Grundmodul des traditionellen japanischen Hauses ist die Tatamimatte mit standardisierten Maßen von ca. 90 × 180 cm. Die empfindliche Oberfläche der Tatamimatte wird nicht mit Schuhen betreten und von fester Möblierung freigehalten. Der Boden dient als Sitz– und Schlaffläche. Die flexibel nutzbaren Räume werden mit einer Schicht von definierten Bereichen umgeben: Wandschränke, Sanitärräume, Eingänge, Funk tionsbereiche, Tokonoma (Bildnische) etc. Zwischen Innen– und Außenraum liegt der so genannte Engawa. Dieser Übergangsbereich dient je nach Jahreszeit als klimatischer Puffer, Korridor, Veranda und Stauraum. Die Schiebetüren zwischen den Innenräumen und dem Engawa sowie zwischen Engawa und Außenraum können je nach Jahreszeit geschlossen, verschoben oder in seitlichen Kästen verstaut werden. Die Anordnung der Räume folgt einer Binnenlogik des Innenraumes und keiner eindeutigen äußeren Geometrie. Grundrissbeispiel: Kleines Gästewohnhaus am Shorinzan Tempel in Takasaki. Um die beiden Wohnräume legt sich eine Schicht

Reihenhaus

Gästewohnhaus am Shorinzan-Tempel

Pawson House, London

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unterschiedlicher Funktionsbereiche. Als Baumaterialien wurden hauptsächlich Holz und Papier verwendet. Das Dach kann entweder aus Schilfrohr oder Ziegeln bestehen. Die Brandgefahr ist dementsprechend hoch und die Dämmeigenschaften sehr schlecht, weshalb im Zentrum ein Kamin angeordnet ist, der meist im Boden eingelassen ist. Pawson House Architekt + Bauherr: John Pawson

Fassade

Gartenansicht: Küche und Essbereich

Modernes Beispiel London Das Projekt, die Sanierung eines privaten Wohnhauses für den Architekten und seine Familie, befindet sich in einem typischen Londoner Wohnviertel. Es ist in Massivbauweise ausgeführt. Von außen fügt es sich durch seine typische Fassade in die Umgebung ein und besticht durch die extrem genau ausgeführten Details. Es handelt sich um ein Reihenendhaus, welches aus 4 Wohngeschossen besteht. Im Unteren Geschoss befindet sich der Essbereich mit einer auffallenden Küchenzeile, die sich bis in den Garten hinaus erstreckt. Im Geschoss darüber, auf welchem sich der Eingang befindet ist der Wohnraum angeordnet, der sich an dem Vorbild eines viktorianischen Zimmers orientiert, aber völlig neu interpretiert wurde und sich nur auf die wesentlichen Elemente beschränkt. In den beiden darüber liegenden Geschossen befinden sich die Schlafräume, die ebenfalls sehr puristisch gestaltet sind. Die einzelnen Raumeinheiten sind klar voneinander getrennt. Im gesamten Haus werden Einbauschränke eingesetzt, um möglichst unaufgeregte Räume zu schaffen. Ein ausgeklügeltes Lichtkonzept mit viel indirekter Beleuchtung sorgt für eine angenehme Atmosphäre. Die verwendeten Materialien sind sehr hochwertig und genau aufeinander abgestimmt (der Esstisch ist beispielsweise aus dem gleichen Holz wie der Boden). Modernes Beispiel Tokio Das Haus NA steht in einem dicht besiedelten Wohnviertel in Tokio. Das Haus ist als offene, verglaste Baumstruktur konzipiert. Die Analogie zum Baum ergibt sich zum einen aus der räumlichen Staffelung kleiner, im Maßstab von 92


»Möbeln« konzipierter Module, die wie Plattformen in ein Stahlgerüst eingehängt sind. Zum anderen verstärken die aufgrund der geringen Spannweiten sehr dünne Stahlkonstruktion und extrem reduzierte Stärke der Bodenplatten den Eindruck absoluter Leichtigkeit. Es gibt keine klar voneinander abgetrennten Raumeinheiten; die Bodenplatten befinden sich alle auf unterschiedlichen Höhen und sind durch Stufen miteinander verbunden, die gleichzeitig als Sitzmöglichkeiten oder Tische dienen. Die Raumelemente dienen nicht klar zugewiesenen Funktionen, sondern zeigen durch ihre Beschaffenheit nur Möglichkeiten auf. Den vollen Umfang ihrer Nutzbarkeit müssen die Bewohner selbst ausprobieren, notfalls durch Erklettern. So bilden nicht etwa die Glaswände die Grenzen des Hauses, sondern der Lebensraum weitet sich auf die Straße und die Nachbarschaft aus: Die Betonwand des Nachbarhauses erscheint als Teil des Hausinnenraums, während der benachbarte Dachgarten zum eigenen Vorgarten wird.

Haus NA Architekt: Sou Fujimoto

Schnitte und Grundrisse

Fazit Alles in allem ist uns bei der Bearbeitung unseres Themas aufgefallen, dass die beiden Metropolen wesentlich unterschiedlicher sind, als wir es erwartet hatten. Wir gingen davon aus, dass Städte dieser Größe durch die Globalisierung und deren Entwicklungen sich nicht in dem Ausmaß unterscheiden könnten. Blick vom Straßenraum Bei den Städten, die wir bisher besucht haben, war dies immer der Fall gewesen und umso überraschter waren wir über die Erkenntnisse, die wir über die japanische Hauptstadt bekommen haben. Japanische Architektur lässt uns oft sprachlos erscheinen, architektonisch Lösungen der Japaner sind in der europäischen Architektur oft undenkbar. Den größten Einfluss auf die so besondere Entwicklung und Einzigartigkeit dieser Metropole hat unserer Meinung nach die interessante Kultur Japans. Diese unterscheidet sich in vielen Punkten grundlegend von gewohnten, westlichen und für uns normalen Gegebenheiten. Auch die Mentalität der japanischen Bevölkerung hat mit Sicherheit einen großen Beitrag dazu geleistet, dass die Stadt in ihrem Charakter nun so ist, wie sie ist. Für uns war es eine tolle und überraschende Erfahrung sich mit den beiden Großstädten genau auseinanderzusetzen und zu versuchen zu verstehen wie sie funktionieren. 93


畳 Die Tatami-Matte in der Architektur Katharina Alber Marita Klein Carolin Predatsch Vanessa Steinhilber

In Japan verbreitete sich im 17. Jhd. die Nutzung von Reisstrohmatten, den Tatami- Matten. Die Tatami-Matte ist ein Modul für Raumgrößen und wird nach traditionellen Regeln zu einem Fußbodenmuster gelegt. Obwohl sich zu Beginn je nach Region die Maße unterschieden, näherten sich diese mit der Zeit immer mehr an und standen meist in einem Verhältnis von 2:1. Die Maße orientierten sich an ihrer Nutzung, wie Kyoiohi Tsuzuki sagte: »A half a mat to sit on, a whole one to sleep on.« Die Tatami-Matte bildet mit ihrer Größe von 180 x 90 cm ein Flächenmaß von ca. 1,65 m2. Vor allem japanische Teehäuser und Zimmer bauen auf diesem Modul auf und besitzen eine traditionelle Grundfläche von 4,5 Tatami-Matten. Die Tatami-Matte besteht aus einem fest gebundenen 5 cm dicken Reisstrohkern, der von einer Binsenmatte aus Igusa-Gras umhüllt ist und durch seitlich angenähte Stoffbänder fixiert wird.

Schnitt durch eine Tatami-Matte

Das Kiwari-System Da es in Japan ein hohes Holzaufkommen gab, wurde der traditionelle Hausbau überwiegend aus Holz Ästhetische Proportionierung konstruiert. Der japanische Raum wird als eine modular und proportional aufeinander abgestimmte Einheit gesehen. Hierfür verwendet man das Kiwari-System, das System der Holzaufteilung. Es hatte zum Ziel, einen Einklang zwischen den Anforderungen eines rationalen Stützenabstandes und ökonomisch vorfabrizierbaren Holzgrößen zu schaffen. Eine wichtige Rolle spielen dabei auch die modularen Anforderungen eines Tatami-Matten-Systems als Fußboden und die Ambitionen der Japaner für die 94


ästhetische Proportionierung aller Teile. Somit wurde der Stützenquerschnitt auf einen Zehntel des Stützenabstandes, oder des Ken, fixiert. Alle anderen Maße und Proportionen eines Baus konnten in Teilen oder Vielfachen davon dimensioniert werden. Während der Edo-Ära im 17. Jhd. wurde dieses Maß standardisiert, da es sich zunächst je nach Region unterschied. In dieser Periode schrieb Heinouchi Yoshimasa das Buch »Shourma«, in dem das Maßsystem für verschiedene Einsatzbereiche erläutert wird. Dieses Buch trug dazu bei, dass dieses einheitliche System verbreitet wurde. Der Ken bildet mit dem Shaku die Maße des Holzbaus. Das Ken-Maß wird in 6 Shaku unterteilt und gewährt so eine hohe Flexibilität. Das Tatami-Maß wurde ursprünglich mit dem Maß und den Proportionen des menschlichen Körpers und nicht mit dem eines Baumaterials verbunden. Da man aber keine ideale Größe finden konnte, entwickelte man es im Einklang mit dem Ken. Alle Elemente des Hausbaus basieren auf diesem etablierten Proportionssystem.

1 Ken = 6 Shaku 1 Shaku = 30,3 cm Daraus folgt das Maß der Tatami-Matte: 1 x 0,5 Ken 6 x 3 Shaku 1,82 m x 0,91 m

Die Zeichnungen im Bauablauf Vor dem Bau eines Hauses wurde vom Architekten eine »Okoshi-ezu« Zeichnung angefertigt. Diese hat im Zentrum den Grundriss eines Raumes und an den Seiten die abgewickelten Wände. Der Architekt schnitt diese Zeichnung im Anschluss meist aus und faltete die Wände hoch, so dass eine drei-dimensionale Darstellung des Raumes entstand. So konnten die Proportionen und Teilungen des Raumes überprüft werden. Für die Ausführung gab es eine simple »ezu»Kiwari-System« ita« Zeichnung, welche auf einer dünnen Holzplatte angefertigt wurde. Auf ihr wurden wichtige Stützen und Höhen der einzelnen Teile vermerkt. Während des gesamten Bauablaufs gab es einen einzigen Vorsteher, der auf die richtige Ausführung der Zeichnung achtete. Die »ezu-ita« Zeichnung reichte somit alleinig für den korrekten Bauablauf aus, da sie komplett auf dem Kiwari-System beruhte und dieses jedem Handwerker vertraut war. 95


Das typische eingeschossige Wohnhaus und seine Bauteile Für ein typisches eingeschossiges Wohnhaus wird der Fachwerkbau mit nur senkrechten und waagerechten Baugliedern angewendet. Das Dach ist dem Grundriss angepasst und wird in Form des Satteldaches, des Walmdaches oder des Krüppelwalmdaches ausgebildet. Es hat eine Neigung von 45° und seine Flächen sind meist gerade, häufig konvex, seltener konkav. Die Decke wird der Form nach waagerecht angelegt. In den Teeräumen und den Pavillons wird sie dem Dachverlauf schräg angepasst. Die Decke setzt sich aus einem Lattenrost oder aus miteinander verflochtenen Holzstreifen, die auf dem Deckentragrahmen aufliegen, und darunter hängenden rechtwinklig angeordneten Deckenplatten zusammen. Dadurch entsteht eine Kassettierung. Die Oberwand bildet sich als Oberlichtfenster aus und wird nur zur Belüftung verwendet. Sie ist immer offen und gestattet einen ständigen Luftaustausch. Der Raumhöhe liegt eine Faustformel zu Grunde, welche lautet: 190 cm + 9,4 cm x Anzahl der Tatami in einem Raum. Die 9,4 cm entsprechen in etwa der Faustgröße des Menschen. Das Fenster hat die Form der Tür und lenkt den kühlen Wind auf die Bodenfläche. Die Tür hat eine Normalbreite von 0,5 Ken. Beträgt der Pfostenabstand 1 Ken, so werden 2 Schieberahmen eingesetzt. Weitet sich der Pfostenabstand auf 1,5 Ken aus, werden im Normalfall 4 Schieberahmen eingesetzt, bei großen Räumen jedoch nur 2 Schieberahmen. Die Türbreite kann sich also im Sonderfall ändern. Die Wand wird durch die Türstürze in Ober– und Unterwand geteilt. Die Wände haben im traditionellen japanischen Bauen keine tragende Funktion. Die am meisten verwendeten Wandtypen sind die Shoji und die Fusuma. Bis zum Ende der Edo-Zeit (1868) wurden in traditionellen japanischen Gebäuden ausschließlich Schiebeelemente als Öffnungen verwendet, da nur diese die Philosophie des fließenden Raumes erfüllten. Sie sind sehr platzsparend, zerstören, durch

„Okoshi-ezu“ Zeichnung

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fließende Übergänge, die Raumatmosphäre nicht und stehen nicht, wie die erst später hinzugekommenen Drehtüren, im Raum. Die Shoji bestehen aus einem filigranen Holzrahmen und dünnen Gitterstreben (Kumiko), die ebenfalls aus Holz sind. Die Kumiko können dabei verschiedenste Einteilungen besitzen. Bespannt sind die verschiebbaren Elemente, die als Türen, Fenster oder Raumteiler eingesetzt werden, mit einer Schicht aus lichtdurchlässigem Reispapier. Da sie meist an den Außenwänden eingesetzt werden, wurden sie mit dem Beginn der Meiji-Zeit (1868) durch den Einsatz von Glas vor Verwitterung geschützt. Sie erfüllen dabei keinerlei Wärme– oder Schallschutz, sondern dienen lediglich dem Übergang zum Außenraum, da sie das Licht diffus in den Innenraum lenken, aber dennoch vor Einblicken schützen und somit ein angenehmes Raumgefühl ermöglichen. Geführt werden die Elemente an Leisten, die im Boden und der Decke eingelassen sind und sich in den Fugen zwischen den einzelnen Tatami-Matten befinden. Auch heute kommen die Shoji, vornehmlich im Washitsu, dem tradionell gestalteten, mit Tatami-Matten ausgelegten Raum, immer noch zum Einsatz.

Schnitt durch das typische eingeschossige Wohnhaus

»Shoji«

»Fusuma«

Die Fusuma sind die ältesten Schiebeelemente und somit auch der Ursprung der Shoji. Sie bestehen ebenfalls aus einem Holzrahmen und dem Kumiko, welches jedoch unsichtbar bleibt. Sie sind aus einem komplexen Verbund und mit mehreren Schichten Papier oder Pappe bespannt. Durch diese Mehrschichtigkeit ergibt sich eine opake, glatte Oberfläche. Diese wurde oftmals mit ultramariner, grüner, weißer, dunkelroter und schwarzer Tusche, auf einer Grundierung aus Blattgold, opulent bemalt. Motive der Bemalung 97


waren beispielsweise die vier Jahreszeiten, die Schönheit der Natur und Landschaften oder geschichtliche Ereignisse. Geöffnet werden die Fusuma durch eine Griffschale (hikite), die ebenfalls aufwändig gestaltet werden kann. Sie werden hauptsächlich im Gebäudeinneren eingesetzt und dienen der Begrenzung von einzelnen Räumen, Schränken, Abstellräumen oder der sich dahinter befindenden Tokonoma. Dabei können die Schiebeelemente, die ebenfalls in der Fuge der Tatami-Matten geführt werden, auch die gesamte Wandbreite einnehmen. Die Anordnung der Tatami-Matten und der Yojohan Die Anordnung der Tatami kann je nach Bedarf oder Anlass geändert werden und hat rituelle und religiöse Hintergründe, die dem Geist der Wiedergeburt entsprechen. Sie können dabei in einer Reihe (Syugijiki) oder um ein Zentrum (Fusyugijiki) gelegt werden. Durch die Anzahl an Matten entsteht eine Vielzahl an Raumgrößen und –Proportionen. Als der vollkommenste Raum – auch Teeraum – gilt der viereinhalb Matten Raum (Yojohan). Dieser Raum besitzt zwar einen quadratischen Grundriss, hat jedoch keinerlei Symmetrien. Verschiedene Tatami Räume Die Tatami sind dabei windmühlenartig um die quadratische Feuerstelle angeordnet. Die Aufteilung der Gäste und des Gastgebers, sowie die der Einrichtung, entspricht vollkommen dem des »späten Himmels» des I Ging (Sammlung von Strichzeichnungen und Sprüchen), bei dem acht Trigramme in der Form des »späten Himmels» angeordnet sind. Der Raum ist nach Nord–Süd ausgerichtet, wobei sich im Norden die Tokonoma (Wandnische) mit einem Pfosten und im Süden die Öffnung in den Außenraum befindet. Die Tokonoma schützt den Norden – die Gefahr – und verbindet den Himmel mit der Erde. Der Gastgebereingang mit dem Symbol der Erde befindet sich im Südwesten. Von dort aus begeben sich auch die Gäste im Uhrzeigersinn an ihre Plätze. Der Raum gilt somit als vollkommene Abbildung der kosmischen Struktur des I Ging. Auch heute noch nimmt die Teekunst und Teezeremonie eine soziale Rolle ein. So wird in modernen japanischen Wohnhäusern meist lediglich das Teezimmer mit den Proportionen des Kiwari-Systems gestaltet und mit Tatami-Matten ausgelegt. »Yojohan«

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Das Beispiel der Katsura-Villa Die Katsura-Villa, fertiggestellt 1645, befindet sich in Nishikyo-ku, einem westlichen Vorort von Kyoto. Architekten, wie Bruno Taut, haben sich von der schlichten Schönheit dieser Villa beeindrucken lassen. Die Villa besteht aus drei zusammenhängenden Gebäuden, die im Shoin-Stil, einer der drei bedeutendsten Wohnstile der vorindustriellen Zeit, auf traditionelle Weise gebaut sind und sich als beispielhafte Bauten für den Einsatz des Kiwari-Systems darstellen.

Lageplan

Katsura Villa

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Hierdurch ergibt sich ein modularer Aufbau, der sich zugleich durch eine große Schlichtheit in der Ausstattung kennzeichnet. Das Dach ist mit Holzschindeln und Brettern gedeckt und im Innenraum als offenes Schiff erkennbar. Die Wände bestehen meist aus Schiebeelementen (Shoji und Fusuma), die je nach Nutzung mit Tuschezeichnungen verziehrt sind. Die lichtdurchlässigen Shoji trennen eine Art Veranda unter dem Dachüberstand (Engawa) vom Innenraum. Die Beziehung zwischen Innen und Außen ist dabei immens, da der Raumfluss im Vordergrund stand.

Die europäischen Proportionen Im Vergleich zum japanischen Proportionsverständnis finden sich im Europäischen mathematische Proportionslehren. Der Goldene Schnitt, auch die »göttliche Teilung« genannt, bestimmt die ideale Proportion und ist Inbegriff von Ästhetik und Harmonie. Er weist ein bestimmtes Verhältnis zweier Zahlen, meist Längen von Strecken, auf: Eine Strecke ist im Verhältnis des Goldenen Schnittes geteilt, wenn sich beide Teilstücke zueinander verhalten, wie das längere Teilstück zur ganzen Strecke. Hierbei wird die größere Strecke »Major« und die kleinere Strecke »Minor« genannt. Es ergibt sich eine »stetige Teilung«.

Innenraumaufnahme

»Die Villa ist geistige Durchdringung des Bauens: maßvoll, konzentriert, alles Überflüssige weggelassend. Die Tatamimatten bestimmen, wie Japan seit alters her üblich, die Abmessungen der Räume, die – und das hat die westliche Moderne so beeindruckt – keinem festen Zweck d ie ne n, sond er n durch papierbespannte Schiebetüren nach Bedarf voneinander getrennt werden und einen fließenden Raum durchs Haus hindurch ermöglichen.« Bernhard Schulz

Als vitruvianischer Mensch wird eine Darstellung des Menschen nach den vom antiken Architekten und Ingenieur Vitruv(ius) formulierten und idealisierten Proportionen bezeichnet. Das berühmteste Beispiel ist eine 34,4 cm × 24,5 cm große Zeichnung von Leonardo da Vinci, die um 1490 entstand. Es handelt sich um eine Skizze mit Notizen aus einem seiner Tagebücher, die einen Mann mit ausgestreckten Extremitäten in zwei überlagerten Positionen zeigt. 100


Mit den Fingerspitzen und den Sohlen berührt die Figur ein sie umgebendes Quadrat bzw. einen Kreis. Das Verhältnis der Seitenlänge des Quadrates zum Radius des Kreises in da Vincis Bild entspricht mit einer Abweichung von 1,7% dem Goldenen Schnitt, weshalb oft gesagt wird, das Bild sei die »Darstellung des Menschen im Goldenen Schnitt«. Wird bei einem liegenden Menschen mit gespreizten Armen und Beinen gedanklich ein Zirkel am Bauchnabel angesetzt und ein Kreis geschlagen, so passt diese Person genau in den Kreis hinein. Daraus folgt, dass der Nabel der Mittelpunkt des Körpers ist. Stellt sich ein Mensch mit zusammengestellten Füßen und waagerecht ausgestreckten Armen in ein Quadrat, so berühren die Fußsohlen, der Kopf, sowie die Fingerspitzen das Quadrat an diesen Kontaktstellen. Der Mittelpunkt des Quadrates befindet sich im Schritt. Das Verhältnis aus der Quadratseite (a) und dem Kreisradius (b) entspricht dem Verhältnis des Goldenen Schnittes (a : b = 1,618).

»Vitruvianischer Mensch«

»Fibonacci-Zahlenreihe«

Die Fibonacci-Zahlenreihe Auch der Mathematiker Fibonacci beobachtete eine Proportionalität in der Natur. Das Wachstum seiner Kaninchenzucht brachte ihn auf eine Zahlenfolge, die sich aus der Summe der vorigen beiden Zahlen weiterbildet (0, 1, 1, 2, 3, 5, 8, 13, ...). Interessant ist, dass sich das Verhältnis der aufeinanderfolgenden Zahlen mit dem Größerwerden der Zahlen, der Goldenen Zahl immer mehr annähert (bspw. 55 : 34 = 1,6176).

«Modulor«

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Der Modulor Das in der Moderne bekannteste Beispiel angewandter Proportionslehre ist der »Modulor« von Le Corbusier. Le Corbusier strebte an, der Architektur ein »menschliches Maß« und somit eine objektive Ordnung zu geben, die sich an den Proportionen des Menschen orientiert. Eines seiner bekanntesten Beispiele ist die Unité d‘Habitation, in der er eine »Wohnmaschine« schaffte, die sich an den von ihm ermittelten Maßen des Modulor orientiert. Fritz Haller und Walter Segal Während die japanische Architektur auf dem Kiwari-System, das sich auf die kleinste Maßeinheit bezieht, beruht, finden sich in der europäischen Architektur Systeme, die nach einem Baukastenprinzip funktionieren. Das Ziel des Kiwari-Systems war vermutlich die Vereinfachung des Bauablaufs, durch ein allgemein anerkanntes Maßsystem, das eine hohe Vielfalt und zugleich Einheitlichkeit der Bauten ermöglichte. Europäische Architekten suchten dagegen im Zuge der Industriealisierung vor allem effizientere und kostengünstigere Systeme, die eine Massenproduktion zuließen.

Konstruktionsprinzip

Der schweizer Architekt, Fritz Haller, dessen Bauten sich durch keine Kompromissbereitschaft kennzeichnen, konzentrierte sich ausschließlich auf die tragende Struktur, den Funktionalismus, Konstruktivismus und Rationalismus. Stahlskelettbauten bestimmen seine Bauweise. Die Anordung ist geometrisch–orthogonal aufgebaut und folgt dabei den logischen Gesetzen der Vernunft. Sein Ziel war es mit dem geringsten Materialaufwand die maximale Funktion zu erreichen, die rein funktional ist und dem Benutzer dienen soll. Durch die Normierung der einzelnen Teile ergibt sich ein Baukastensystem, welches eine serielle Herstellung ermöglicht und für jeden zugänglich ist. Haller hat drei Stahlbausysteme entwickelt, die Variationen der einzelnen Bausteine, ausgehend von einem allgemeinen System, darstellen. Dies hat zur Folge, dass 102


die universellen Konstruktionen umbaubar und innerhalb des Systems flexibel erweiterbar sind und je nach dem Wandel ihrer Nutzung, den neuen Anforderungen ohne großen Aufwand angepasst werden können. Die Systeme sind unter dem Namen »Maxi« (1963), »Midi« (1969) und »Mini« (1980) benannt, beschreiben verschiedene Gebäudetypologien und sind nach einem Maß von 1,20 m modulierbar. Auch für den Möbelbau hat er ein Baukastensystem entwickelt – das »USM-Haller« Möbelsystem. Durch das geschlossene System des Baukastens lassen sich unterschiedlichste Objekte, von Tischen, Regalen und Sideboards bis hin zu Schränken, bauen und jederzeit wieder zerlegen und umbauen. Daher handelt es sich um kein statisches Möbelstück, welches trotz seiner großen Auflage zudem eine große Individualität und Wandelbarkeit besitzt. Auch hier steht die tragende Struktur in Form eines Gitters im Vordergrund. Die Größe der einzelnen Teile nehmen Bezug auf das Maß der menschlichen Gestalt. Der deutsch–britische Architekt, Walter Segal, hat in seinen Bauten für sich eine Methode gefunden, die auch Segal-Methode genannt wird. Seine Intention war es die Funktionalität so weit in den Vordergrund zu stellen, sodass die Grundrisse und ihre Benutzer funktionieren konnten. Dabei war vor allem sein Bestreben für und mit dem Benutzer zu bauen, sodass das Wohnen für Jedermann zugänglich und erschwinglich wurde. Ebenso hatte er die Fähigkeit alles Wesentliche wegzulassen und mit Verstand an die Wirtschaftlichkeit und Ökonomie seiner Bauten zu denken. »Small is beautiful« – ein Leitsatz von ihm, der sich darauf konzentriert, nur dort Bestrebungen anzusetzen, wo sie auch am Effektivsten erschienen und bspw. hochwertiges Material nur dort einzusetzen, wo es am zweckmäßigsten ist. Seine Materialien beschränkten sich auf Backstein, Holz und Metall, welche er ausschließlich in marktüblichen Größen 103

»USM Haller«

»Segal House« in Highgate

»For m braucht mehr als Proportionen, Textur und Farbe um zu überzeugen.« Walter Segal


verwendete, so dass eine Austauschbarkeit einzelner Teile mühelos möglich war. Meist war sein tragendes Gerüst die »balloon frame« Konstrukion (ursprünglich aus den USA und Kanada), die, dadurch, dass Segal keine Nägel und Schrauben in Trennwänden verwendete und das Dach nur auf der Unterkonstruktion auflag und nicht befestigt wurde, eine große Flexibilität, schnelle Abmontierbarkeit und Austauschbarkeit innerhalb seines Systems ermöglichte. Seine Grundrisse organisierten sich oft um einen Kern, der beheizt wurde und an dem sich alle dienenden Räume anordneten. Denn durch die leichte Bauweise ohne tragende Wände waren Wärme– und Schallschutz meist nicht ausreichend gegeben.

Innenraum mit Fusuma

Fazit In der europäischen Architektur beruht die Proportionslehre auf dem Maß des Menschen. Das japanische Verständnis der Proportion kann hingegen nicht durch mathematische Formeln belegt werden, sondern obliegt dem Verständnis des Architekten und wird durch Zeichnungen, wie die »Okoshi-ezu«, überprüft. Nur durch tragende Stützen im Innenraum entstehen fließende Räume, die europäischen Architekten der Moderne faszinierten. Die Tatami-Matten spielen in der Wahrnehmung des Raumes durch ihre Proportionierung eine wichtige Rolle, sind aber nicht die Grundlage des japanischen Proportionsverständnisses. Sie beruhen ursprünglich auf der Nutzung des Sitzens und Schlafens und wurden erst später standardisiert und dem Kiwari-System angepasst.

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Literatur Fritz Haller, Architekt und Forscher, Laurent Stalder, Georg Vrachliotis, Zürich 2015 Japan‘s folk architecture : traditional thatched farmhouses, Chūji Kawashima,, Kodansha International 2000 Japanstudien. Band 13/2001: Wohnen in Japan, Harald Conrad und Sven Saaler Learning from Segal : Walter Segal‘s life, work and influence, John McKean, Basel, Boston, Berlin 1989 Traditional Japenese Architecture, Mira Kuma, Singapur 2010 Alles Tatami, Bernhard Schulz, Tagesspiegel 6.2.2012 (www.tagesspiegel.de/ kultur/alles-tatmi/6160604.html) Architektur und Ästhetik eines Inselvolkes von Günter Nitschke (http://www. east-asia-architecture.org/ieaau2/bauen-in-japan.pdf) Baunetz_Wissen (https://www.baunetzwissen.de/glossar/t/tatami-3447041) Tatami vs. Vitruv, von Alexander Sin Fei Essen (https://kisd.de/~alex/vd/TATAMIVS-VITRUV.pdf) Traditionelles Wohnhaus - Japan von G. Rüdiger Kujawski (https://duepublico.uni-duisburg-essen.de/servlets/DerivateServlet/Derivate-12819/Ethnolog. JAPAN.pdf) Wohnen in Japan, Markt, Lebensformen, Wohnverhältnisse (https://www.dijtokyo. org/doc/dij- jb_13-conrad_saaler.pdf) Yojohan - Viereinhalb Matten: Eine Welt (www.teeweg.de/de/architektur/details/ yojohan-iging.html)

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日本語についての考察 Überlegungen zu Japan Saskia Beck Veronika Ferdinand Hannah Reinhardt

Überlegungen zu Japan Ein spannendes Thema für eine Annäherung an Japan zu finden kann eine verwirrende Angelegenheit werden: sofort entwickelt man eine Vielzahl an Ideen, an Bildern und Themen über die man sich stundenlang unterhalten kann. Doch das primär Interessante ist doch, weshalb man überhaupt in diese unentschiedene Lage kommt – woher kommen die vielen, unterschiedlichen, spannenden Bilder, denen man nachgehen möchte? Über ein Land das einem eigentlich völlig fremd ist? Auf der Suche nach einem Thema für eine Annäherung an Japan Gemeinsames Frühstück,Beisammen–Sein im Café oder ein Eis in der Sonne – das sind die Treffpunkte unserer Gruppenarbeit. Denn zu Beginn unserer Auseinandersetzung mit Japan haben wir uns einfach viel unterhalten. Über die vielen und langen Unterhaltungen über alle möglichen Themen haben wir bemerkt, dass genau in diesen Überlegungen ein unwahrscheinliches Potenzial liegt und uns die Suche nach einem Thema zu unserem Thema gebracht hat. Nämlich die Auseinandersetzung mit der Frage: »Wenn ich an Japan denke, ... ?« »Wenn ich an Architektur denke, steigen Bilder in mir auf.«1 Dieses Zitat von Peter Zumthor leitet in seinen ersten Artikel seines Buches »Architektur denken« ein. Darauffolgend fügt er Beschreibungen von Bildern aus seinen Erinnerungen, seiner Vorstellung und seiner Wahrnehmung an. Genau das wünschen wir uns auch für unser Projekt »Überlegungen zu Japan«. Mit der Frage »Wenn ich an Japan denke, ... ?« konfrontieren wir Bekannte und Unbekannte, Architekten und nicht Architekten, Alte und Junge, Menschen, die Japan bereits bereist haben und Menschen, die Japan nur aus den Medien kennen. Ganz unterschiedliche Antworten, beziehungsweise Gedanken/ Überlegungen bekommen wir auf unsere Frage – sie reichen von der Kirschblüte bis Robotertechnik. Vorgehensweise – Ein Blick in die Ferne Ein fester Bestandteil unserer Vorgehensweise stellt die Unterhaltung/ Diskussion dar, denn wir merken schnell, dass wir in unserer Dreierkonstellation ganz unterschiedliches Wissen haben, und wir uns durch die bloße Unterhaltung Themen schon sehr stark annähern können. 1 Zumthor, Peter: Architektur Denken, 2005, Seite 7

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»Die Berge, Natur, traditionelle Auf dieses Unterhaltungen folgen Häuser, Enge, zusammen leben mit trotzdem jeweils Recherchen zu den vielen Menschen. Begründen kann Themen um basiertes Wissen festich es nur durch Bilder und Filme.« zuhalten und den anderen näher zu bringen. Über diese Art der Herangehensweise soll ein Netz aus Informationen zu Japan entstehen, die uns eine fundiertere Erwartung vermitteln soll. Das Auge soll so vor der Reise für Unterschiedliches sensibilisiert werden, um bei der Reise, so viel wie möglich zu sehen und zu erkennen. Das Gesehene, durch ein Wissen über das Land und seine »Die große Welle vor Kanagawa« von Katsushika Hokusai Kultur, in einen Kontext bringen zu können, ist das Ziel unserer Arbeit. Durch Gespräche, Diskussionen und Überlegungen möchten wir uns also annähern an Japan. Ein Land, dass mit jedem weiteren Schritt scheinbar weiter in die Ferne rückt, weil wir merken, dass wir noch nichts wissen. Berge/ Fuji [Saskia] Wir müssen aufpassen, dass wir den Rückbezug zur Architektur wieder finden. Zum Beispiel bei dem ersten Zettel, den ich gezogen habe, ging es zu aller erst um »die Berge« ... und dann dacht ich so: hä? [Vero] Darüber hab ich gelesen, dass in Japan nur die Ebene bebaut wird und auf den Bergen alles naturbelassen ist. Deswegen sind die Tempel dort. [Hannah] Das wäre in dem Fall dann ja der architektonische Rückbezug. Oder auf jeden Fall sollten wir immer wieder auf die Grundthemen wie Architektur, Gesellschaft und Tradition zurück kommen. [Saskia] Der einzige Berg der mir in Japan grad spontan einfällt, ist der »Fuji San«, der ein Vulkan ist. [Vero] Stimmt: »Fuji« heisst Berg und »San« heilig. Und dass ist dann also der »Heilige Berg« [Saskia] Und Sou Fujimoto heisst dann »Berg...???« – könnte man das dann auch so übertragen? [Vero] Die geografische Lage von Japan ist auch richtig krass. 95% der Erdbeben weltweit entstehen unter Japan. [Hannah] Ja, das hab ich mal gelesen: das liegt daran, dass sich mehrere Kontinentalplatten dort treffen. Ich glaube die Eurasische, die Pazifische und noch eine??? [Saskia] Deshalb gibt es dort dann auch so viele Vulkane. [Vero] Ich glaube es gibt in Japan 360 Vulkane, die noch aktiv sind. Und der »Fuji San« ist der größte oder höchste oder so davon. [Hannah] Achso, ich dachte Island sei das Land mit den meisten noch aktiven Vulkanen auf der Erde. Ich weiß aber grad gar nicht mehr wie viele. Aber dort 107


ist es das gleiche Prinzip: da trifft die Eurasische mit der Nordamerikanischen Platte zusammen. [Vero] »Hokusai Hiroshigue« greift den Fuji ja auch immer als Element auf, weil der so symmetrisch ist... [Hannah] Hä? Was ist das? [Saskia] Das ist doch der Name von diesem Künstler, der immer den Fuji gezeichnet, hat weil dieser so symmetrisch ist... [Vero] Der Fuji ist halt wie das Image von Japan fast. [Hannah] Aber wird der nur so gerne abgebildet oder als Image verwendet weil das ein Naturhighlight ist oder auch weil er für die Japaner heilig ist? [Saskia] Werden da auch Pflanzen kultiviert weil der Boden so nährstoffreich ist durch die Vulkanerde oder die Lava? Japan ist flächenmäßig etwa so groß wie Deutschland, jedoch sind rund drei Viertel des Landes Bergland. Dort kann man weder etwas anbauen noch bauen, da diese Regionen zu steil sind. Die geografische Lage von Japan wird definiert durch den Zusammenstoß von vier Kontinentalplatten: der Eurasischen, der Pazifischen, der Nordamerikanischen und der Phillippinenplatte. Der Fuji (jap. Fuji-San) ist mit 3776 Metern über NN der höchste Berg Japans und ein aktiver Stratovulkan, seit 2013 gehört er zum UNESCO-Weltkulturerbe. Der Name »Fuji« setzt sich aus den Kanji fu=reich, ji=Krieger und san=Berg zusammen. Wegen seines äußerst symmetrischen Vulkankegels wird der Fuji-San oft in der japanischen Kunst dargestellt und in der Literatur verwendet. Eine der berühmtesten Arbeiten über den Fuji dürfte der Bilderzyklus »36 Ansichten des Berges Fuji« von Katushika Hokusais sein, darunter das Bild »Die große Welle vor Kanagawa«. Unberührter Garten/ Natur Werden angelegte Gärten und Parks auch in Japan als alltäglicher Ort der Entspannung genutzt und geschätzt? Oder stellen sie vielmehr das Unberührte dar, etwas für das Auge, das man ganz bewusst zu einem Anlass oder Fest besucht? [Saskia] Unberührt im Sinne von „es wurde vom Mensch erschaffen und dann unberührt“ oder im Sinne von »es ist einfach da und wird nicht berührt oder verändert«? [Vero] Viele Gärten sind dort auch angelegt um sich in eine andere Welt oder Sphäre zu begeben – ich glaube das war der Sinn der Gärten hinter den Teehäusern. [Hannah] Vielleicht unberührt auch weil die Nutzung oder das Erleben des Gartens auf eine ganz bestimmte, vorgegebene Weise passiert und man davon nicht abweicht, also quasi auch nichts »berührt«. [Vero] Egon Eiermann beschreibt das auch sehr genau in seinen Texten und Untersuchungen zum japanischen Haus... obwohl er nie dort gewesen ist! [Saskia] Bei uns ist ein Garten ja auch einfach nur eine grüne Fläche und auf der bewege ich mich, wie es gerade passt und sehr oft ohne jegliche Wegeführung. Und in Japan gibt es eben immer einen vorgegebenen Weg um auf einer höheren


Ebene einfach den Garten bewusst zu durchschreiten und ihn zu erleben. [Vero] Die Japaner erschaffen ja oft irgendwie bewusste poetische Bilder – zum Beispiel dient der Dachüberstand dazu, dass bei Regen eine Art Schleier entsteht durch das Wasser, das mit Abstand zum Haus vom Dach fließt. [Hannah] Aber ist das wieder etwas was man auch heute noch wahrnimmt, die poetischen Gestaltungselemente in allen möglichen Bereichen? oder geht das eigentlich wieder in der Masse unter wie bei uns? Weil ich hab auch das Gefühl, dass die Tradition dort noch stärker vorhanden ist und diese das auch jetzt noch stark beeinflusst – oder denke ich das nur weil ich mich jetzt halt damit beschäftige? Erlebt man einen japanischen Garten automatisch bewusster weil er auch bewusster angelegt ist als die meisten europäischen Parks? In welchem Maße erlebt man einen so gestalteten Garten anders? Ist es Poetischer? Der Japaner hat ein anderes Verständnis für den Begriff Natur als der Europäer – steht dies in Zusammenhang damit, dass der Umgang mit Grünflächen in der Stadt ein ganz anderer ist [Saskia] Hat nicht auch mal jemand den Satz gesagt von wegen »das Zentrum von Tokio ist leer«? Im Sinne von im Zentrum befindet sich das Areal des Kaiserpalastes und damit fehlt dort die städtische Dichte plötzlich und das eigentliche Zentrum bildet die Natur. [Vero] Das spiegelt dann ja auch wieder die unberührte Natur wieder, nur diesmal mitten in der Stadt. Unberührt einfach auch durch die Unzugänglichkeit – kein Bewohner oder Tourist bekommt Einlass auf das Gelände. [Saskia] Es ist schon absurd eine so gewaltige Grünfläche direkt vor der Nase zu haben aber sie nie betreten zu dürfen. Wenn ich in einer so dichten Stadt wohnen würde, würde ich auf jeden Fall die Möglichkeit haben wollen die Grünflächen zu nutzen. [Hannah] Würde mich mal interessieren, wie viele Grünflächen Tokio hat, die für die Bevölkerung von Nutzen sind. Oder reicht es den Japanern echt, die Natur nur symbolisch um sich zu haben? Also gibt es überhaupt frei zugängliche Parks und Grünflächen und wie werden sie genutzt? Natur bezeichnet in der Regel das, was nicht vom Menschen geschaffen wurde. Natur bezeichnet als Leitkategorie der westlichen Welt im Allgemeinen das, was nicht vom Menschen geschaffen wurde, im Gegensatz zur (vom Menschen geschaffenen) Kultur. Im allgemeinen Sprachgebrauch wird mit Grünfläche eine mit Rasen bepflanzte, parkartig oder gärtnerisch gestaltete Freifläche sowohl im öffentlichen als auch im privaten Bereich bezeichnet. Der japanische Garten ist so angelegt, dass der Besucher viele Entdeckungen machen kann: Das bewusste durchschreiten (und herumschlendern) wird oft durch holprige, unebene Wege intensiviert. »Kaum hat man bemerkt, dass man wirklich in den zentralen Quartieren angelangt ist, da hört die Stadt unvermittelt vor den Gräben des kaiserlichen Palastes auf. Dahinter breitet sich das Laub eines gewaltigen Waldes aus. Ein Wald im Herzen der Stadt. Im Zentrum Tokios: die Natur...


Ein solches Symbol ist machtvoll. Es bedurfte des europäischen Blickes eines Roland Barthes (in »das Reich der Zeichen«), um daraus die noch immer berühmte Schlussvolgerung zu ziehen, dass das Zentrum Tokios leer sei. Leer ist es allerdings nur für den, der die Archetypische Sillhouette europäischer Städte im Gedächtnis bewahrt, deren Zentrum durch die vertikale Achse eines Kirchturms oder Belfrieds in Verbindung mit einem öffentlichen Platz bezeichnet wird: hier die Transzendenz, dort der Ort des politischen Diskurses der Bürger.« [Hannah] Du meinst, dass sich der Japaner dann lieber dort ansiedelt, wo es schon einen baulichen Eingriff gab durch den die Natur sowieso schon zerstört wurde anstatt irgendwo im Land ein neues Dorf zu gründen. Wäre also auch interessant zu wissen, wann das historisch gesehen angefangen hat, dass sich die Besiedelung so stark auf eine Stadt verlagert hat. Saskia] Das ist aber auch irgendwie ein Widerspruch: wenn man die Natur so schätzt, sollte man doch meinen dass man sie dann permanent um sich haben möchte. [Vero] Das ist vermutlich aber aus der Kultur heraus einfach ein unterschiedlicher Denkansatz zu unserem: Wenn ein Europäer die Natur schätzt, dann will er auch mitten im Grünen wohnen, ein Japaner hat aber so großen Respekt davor, dass er sie nicht berühren will und sich daher zurückzieht. [Saskia] Ich hab auch gelesen, dass sich die Japaner überall die Natur zum Beispiel in Form von kleinen Schreinen mit Pflanzen als Schnitzereien in die Stadt holen. Selbst wenn dieser Schrein dann auf dem Dach von einem 20-Stöckigen Gebäude aufgestellt ist und ihn kein Mensch mehr sehen kann, ist es den Japanern trotzdem unglaublich wichtig zu wissen, dass damit die Natur vorhanden ist.

»Skyscraper - Hiroshige Hokusai (Insel) - Fuji - Asia Strasse Leben - Sou Fujimoto - Hiroshi- ma - Sake - Dorf in der großen Stadt (kleine Häuser) - kleine Räume - Gemeinschaftsrau m - Judo - Kimono.«

Shinto-Schreine

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Auszug aus Arch+123/September 1994, Seite 25: »Sie [die symbolische Stadtstruktur] ist der Archetyp der japanischen Gemeinde: Die Natur ist der heilige Pol, der dem Raum der Menschen erst seinen Sinn gibt. Er befindet sich am Fuß des Berges, im Inneren des Waldes. Diese Struktur wiederholt sich metaphorisch auf jeder Ebene über den ganzen japanischen Archipel. Man findet sie sogar in den Stadtvierteln Tokios, wo die shintuistischen und buddhistischen Schutztempel stets so angeordnet sind, dass sie den Menschen auf die Natur verweisen: Durch die Ausformung des Reliefs, der Vegetation oder der Gewässer. Selbst die kleinen, den örtlichen Gottheiten gewidmeten Kapellen, die man oft an Straßenecken findet, mitunter auf die Größe einer Puppenstube reduziert, sind von einigen Wildpflanzen umgeben, die die Heiligkeit des ursprünglichen Waldes wiedererschaffen. Dieser beharrliche Verweis auf die Natur reicht bis ins Innere des gebauten Raumes und findet sich sogar in den Einkaufsgalerien und Untergeschossen der Stadt in einer Dekoration aus rauschendem Wasser und Laubwerk, ja sogar auf den Dächern. Nicht selten, wenn der Bau eines großen Gebäudes zwangsweise eine örtliche Gottheit ausquartiert, wird ihr auf der Spitze des Gebäudes ein kleiner, von Pflanzen umgebener Tempel neu errichtet. So verweist der ursprüngliche, nun in die Höhe transportierte Ort, weiterhin die Stadt symbolisch auf die Natur.« Hokora oder Hokura ist ein kleinerer schintoistischer Schrein. Er befindet sich entweder an der Seite eines größeren Schreins und ist den Volksgöttern gewidmet oder er befindet sich am Straßenrand und beinhaltet Götter ohne die Zugehörigkeit zu einem größeren Schrein. Obwohl die Hokuras eigentlich dem Schintoismus zugehörig sind, sind sie oft mit einer Swastika (verschiedene Bedeutungen in den Religionen) dekoriert, welche in Japan mit dem Buddhismus assoziiert wird. Allgemein: Shinto-Schreine sind religiöse Stätte des Shintoismus (»Weg der Götter«, ethnische Religion ausschließlich in Japan). In Schreinen wird in Form eines Shintai (materieller Gegenstand, vergleichbar mit Reliquien) das Mitama (Geist/Seele eines Kami) entweder eines einzelnen Kami (Gott/ Gottheit oder Seele), mehrerer Kami oder eines Paares, etwa Mutter und Kind, verehrt. Es gibt eine Vielzahl an ganz unterschiedliche Kami, manche gehen auf Natur– und Fruchtbarkeitsgötter aus alten Kulten zurück; auch die Seelen Verstorbener werden als Kami verehrt. Landflucht/Dichte [Hannah] Als ob das das Erste ist an was man bei Japan denkt... [Saskia] Ja doch ich glaub das kann schon zusammenhängen damit, dass man an die Dichte denkt und dann begründen sollte warum!? [Hannah] Was auch interessant ist: ich hab irgendwo gelesen dass etwa 70% der Bevölkerung Japans, oder jedenfalls eine ziemlich hohe Anzahl, im Großraum Tokios lebt. [Vero] Krass - 70%??? 111


[Hannah] Ich bin mir nicht mehr sicher, ob die Zahl stimmt, aber im Vergleich zu anderen Ländern waren es extrem viele. In welchem anderen Land ist das denn noch so? [Vero] Das kann man sich wenn dann noch in irgendeinem Land vorstellen, das ganz wenig dicht besiedelt ist. Skandinavien zum Beispiel. Aber 70%.... Eine Studie des Forschungsinstituts »Japan Policy Council« hat ergeben, dass 896 Gemeinden in Japan, also fast die Hälfte aller 1800 Städte und Dörfer, in den nächsten Jahren einen radikalen Bevölkerungsrückgang erleben werden. Die jungen Leute ziehen zunehmend in die großen »Hier ist es eben sehr voll, Städte, da sie dort Arbeit und Wohlda ist R e g e l k o n for m it ät stand finden, dennoch ist die Geburüberlebenswichtig« tenrate beispielsweise in Tokio niedriger als in anderen Orten Japans, »Und anders als der individualisaufgrund der hohen Lebenserhaltische Westen sind wir kollektitungskosten und dem Platzmangel. vistisch orientiert.« Die Sogwirkung Tokios verstärkt den Bevölkerungsschwund auf dem Land, seit 1950 hat sich der Anteil der Japanerinnen und Japaner, die im Großraum Tokio wohnen, auf fast 30 Prozent verdoppelt. Die Regierung Japans versucht gegen die alternde Bevölkerung anzukommen und Gemeinden, die für jungen Menschen attrakativ sind, zu schaffen. »Hmmmmm. Ich erinnere mich noch gut an die 1950er und 1960er Jahre, als die japanische Wirtschaft boomte. Damals quoll Tokio über und war auch nicht gerade sicher ...«

Skyscrapers/ Dichte/ Infrastruktur [Hannah] In Tokio ist es doch so, dass die Wolkenkratzer hauptsächlich in den Gebieten um die Bahnhöfe herum zentriert sind. Dort ist die größte Dichte an Bewohnern, weil alle Einwohner möglichst gut vernetzt sein möchten, sowohl mit der Stadt als auch mit der Natur außenrum. [Saskia] Und die großen Firmen und Arbeitgeber siedeln sich natürlich auch dort an, um ihren Mitarbeitern eine möglichst gute Lage zum Pendeln zu bieten. [Hannah] Ja, also ist die Stadt doch quasi gegliedert in diese Viertel um die Bahnhöfe herum mit den Skyscrapers und einer verdichteten Bebauung auch in der Vertikalen, und außenrum gibt es dann die »Dorfstrukturen«, welche rein in der Fläche verdichtet sind. [Saskia] Was hat denn der Durchschnittsjapaner so an Grundfläche zum Leben? [Vero] Die Bevölkerungsdichte ist in Japan natürlich ja auch schon sehr hoch. Ist nicht Japan flächenmäßig etwa gleich groß wie Deutschland und hat eine nochmal deutlich größere Bevölkerung? [Hannah] Und die Bevölkerungsdichte auf den Großraum Tokio gesehen ist ja dann nochmal viel höher weil alle da wohnen... 112


[Vero] Aber was man nicht denken würde ist, dass die Dichte in Paris sogar höher ist als in Tokio. Das stand in der Arch+... [Saskia] Das könnte dann ja auch wieder daran liegen, dass in Tokio die hohe Bebauung nur punktuell an den Bahnhöfen ist und in Paris halt überall gleich – also dass es sich ausgleicht: In Tokio gibt es eben eine größere Differenz zwischen niedriger „Dorfbebauung“ und Wolkenkratzern um die Infrastrukturpunkte und in Paris ist es eine gleichmäßigere Struktur in der Bebauung. Obwohl Japan flächenmäßig nur geringfügig größer ist als Deutschland, leben mit 127 Mio Japanern rund 45 Mio Menschen mehr in diesem Land – also rund ein Viertel mehr. So kommt Japan auf eine Dichte von 338 Einwohner pro km2, während Deutschland mit 230 Einwohnern pro km2 logischerweise deutlich unter diesem Wert liegt. Betrachtet man die Dichte Tokios, der Stadt, in der rund ein Viertel der gesamten japanischen Bevölkerung »Unglau blic he Dic hte i n d e n lebt, so kommen hier knappe 15 000 Städten: Wirtschaftliche Gründe, Menschen pro km2 zustande. Vom Land in die Stadt, von der Interessant ist aber, dass beispielsAgrarwirtschaft in die Industrie weise die Dichte von Paris noch - Unberührte Natur: Der Japaner deutlich höher liegt. Mit einer Dichte hat aus der Tradition des Landes von rund 21 000 Pariser pro km2 ist heraus einen großen Respekt vor Paris damit einer der am dichtest der Natur.« bevölkerten Städten der Welt, die Dichteste in Europa. Vergleicht man aber Bilder, die Eindrücke der beiden Städte, so kann man sich dies kaum vorstellen. Während sich Paris in seinem Zentrum durch sechs bis achtgeschossige Bauten auszeichnet, finden wir in dem Polyzentrischen Tokio zwei Extremsituationen vor. Zum Einen zeichnet sich Tokio durch Wirtschaftliche Zentren um die Bahnhöfe aus, die sich aus Wolkenkratzern konstituieren. Und zum anderen zeichnet sich die Bebauung Tokios durch kleinteilige Wohnviertel aus, die durch die Aneinanderreihung kleiner Einfamilienhäusern entstehen. Diese befinden sich in Gebieten, die sich immer weiter von den Bahnhofszentren entfernen. Das Bild eines »Dorfs inmitten der Metropole« kommt daher zustande. Die Kleinteiligkeit der Einfamilienhäuser stammt meist aus der Situation heraus, dass in Erbfällen, der Grund – nicht die Gebäude, denn diese sind meist wertlos – nach Anzahl der Erben aufgeteilt wird. Daher entstehen immer kleinere Parzellen. Da in Japan der Lebenszyklus eines Gebäudes im Durchschnitt rund 26 Jahre beträgt, ist die Stadt in ständiger Veränderung.

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Kimono [Saskia] Der Kimono ist schon etwas, was einem schnell in den Sinn kommt wenn man an Japan denkt.... [Hannah] Das ist glaube ich auch wirklich ein total interessanter Teil der Kultur. Das hängt auch sehr stark zusammen zum Beispiel mit der Geisha-Kultur – weiß ich jetzt halt von dem Hollywood-Film »Die Geisha«. Vor dem Film dachte ich auch immer der Kimono wäre so eine Art Bademantel, also die chillige Kleidung für Zuhause... [Vero] Ja so wird er eben hier bei uns kommuniziert. [Saskia] Mir wurden Kimonos auch kürzlich im Internet vorgeschlagen auf einer Seite.... da dacht ich »oh voll schön«.... zum schlafen... so mit Blumenmuster... [Vero] Werden nicht auch in manchen Modezeitschriften so kurze Bademäntel wirklich als Kimono verkauft? [Hannah] Ja, aber in der Tradition Japans ist der Kimono etwas ganz anderes gewesen. Für den Film »die Geisha« wurde ein ziemlich großer Aufwand wohl betrieben um die Kostüme, also in dem Fall die ganzen Kimonos für die Geishas, möglichst realistisch zu machen. In einem Extra auf der DVD wird das alles super erklärt: Der Kimono bestand in der Tradition aus bis zu 8 oder 9 Schichten und auch für den Film wurden die Kimonos schon mit 5 Schichten entworfen. In ein paar Szenen des Films wird auch gezeigt wie die Geisha angekleidet wird: also erstmal ein Unterkleid, dann ein Unterkleid vom Unterkleid usw. immer mit unterschiedlichen Farben für unterschiedliche Bedeutungen. Wenn dann alle Schichten an sind werden sie von dieser Schleife um den Bauch zusammengehalten, die wird ganz eng gewickelt, vergleichbar mit dem Korsett in der westlichen Kultur. Es war wohl absoluter Modetrend auch eine ganz schmale Taille zu haben und die Frau ganz eng einzupacken quasi auch damit sie sich nur sehr bewusst und grazil bewegen kann. Daher kommt es glaube ich auch dass die immer so »tippel-Schritte« gemacht haben. [Saskia] Das ist schon voll interessant eigentlich, warum der Kimono bei uns schon so bekannt ist und geläufig, aber eben als etwas ganz anderes. Wann ist also diese Kultur zu uns gekommen und wieso wurde sie so verzerrt? [Hannah] Das könnte tatsächlich mit dem Ende des zweiten Weltkrieges und der Besatzung durch die Amerikaner zusammenhängen. In dem Film wird auch beschrieben wie die Amerikaner durch das Einbringen ihrer Kultur die Tradition der Geisha komplett verdrängt haben – aus einer hochangesehenen Person wurden quasi eine billige »typisch Japanisch« gekleidete Unterhaltungsdame, bzw. glaube ich auch schon fast eine Prostituierte gemacht. [Vero] Ja einfach weil sie die Tradition nicht verstanden haben. [Saskia] Könnte aber auch sein, dass die Japaner es erst vielleicht auch ganz spannend fanden, dass andere Einflüsse ins Land kamen und sich nicht dagegen gewehrt haben. Und bestimmt auch weil sie ihre Stellung in der Gesellschaft nur so zu einem Teil noch bewahren konnten. [Hannah] Ich bin gespannt, wie oft man diese Tradition dann wohl in Japan noch antrifft!? Oder wie außergewöhnlich oder normal es ist jemandem im Kiomono zu begegnen, ob das dann etwas ganz besonderes ist oder ob wir vielleicht nach 114


drei Tagen total daran gewöhnt sind?! [Vero] Das ist vermutlich so wie wenn man hier jemandem in bayrischer Tracht begegnet: Schon nicht alltäglich, aber auch kein ganz überraschender Anblick... [Saskia] Du meinst der Kimono ist sowas wie die japanische Lederhose... Der Kimono ist ein traditionelles Kleidungsstück in der japanischen Kultur. Das Wort setzt sich zusammen aus »kiru«=anziehen und »mono«=ding, frei ins deutsche übersetzt also eine »Anziehsache«, weshalb sich das Wort in seinem Ursprung auch auf alle Arten von Kleidungsstücken bezog. Der heutige Gestalt des Kimono stammt bereits aus der Heian-Zeit (794-1192) und hat wurde seither in seinen Grundformen sowohl für Männer als auch für Frauen weitestgehend nicht verändert: eine geradlinige, t-förmige Robe bis zu den Knöcheln mit einem Der Kimono und seine Bestandteile Kragen und weiten Ärmeln, welche um den Körper gewickelt wird. Zusammengehalten wird der Kimono von einem am Rücken geknoteten Band, dem sogenannten »Obi«. Zu einem Kimono gehören auch Holz-Sandalen (Getas) und Schmuck, zu einem Kurzen, hüftlangen Kimono wird außerdem ein weitgeschnittener Hosenrock (Hakama) getragen. Der typische Kimono einer Frau bestand aus zwölf oder mehr Teilen, die jeweils auf eine bestimmte Weise angelegt werden müssen, während der des Mannes aus nur fünf Teile umfasst. Einen traditionellen Kimono anzulegen ist ohne Hilfe kaum möglich. Daher gibt es auch heute noch professionelle Anlegehilfen, eine eigene lizensierte Berufsgruppe welche bei besonderen Anlässen zur Unterstützung angestellt werden kann. Für verschiedene Anlässe, von formell bis legèr, gibt es bestimmte Kimonos: der Förmlichkeitsgrad wird hierbei durch Muster, Stoff und Farbe bestimmt. Da hochwertige Kimonos aus meist handgemachten und aufwändig bemalten Stoffen in Handarbeit geschneidert werden sind sie sehr teuer. Der zumeist aus Seide hergestellte Obi ist aufwendig bestickt und kann in speziellen Fällen sogar teurer als der eigentliche Kimono sein. Bonsai/Kirschblüte [Hannah] Bei Kirschblüten denke ich direkt an den Film »Kirschblüten Hanami«. Ich hab den Film allerdings nie gesehen, er soll aber sehr gut sein. Und über 115


einen Bonsai weiß ich, dass er schwer zu pflegen ist. Das ist auch der Grund warum ich keinen habe... [Saskia] Die Kirschblüten sind ja schon Zierkirschen oder, die tragen keine Früchte. Gibt es die Bäume eigentlich auf der ganzen Insel oder nur in bestimmten Regionen in denen das Klima angemessen ist? [Vero] Ich glaube es gibt sie überall in Japan. Das ganze Land feiert ja das Hanami, auch zu unterschiedlichen Zeitpunkten je nach Region. Und beim Bonsai weiß ich eben wirklich nicht, ob es eine bestimmte Baumart ist? [Saskia] Sehr interessant ist eigentlich die Bedeutung eines Bonsais für die Japaner. Könnte man das vergleichen mit der Tradition bei uns, dass ein Apfelbäumchen gepflanzt wird, wenn ein Kind geboren wird?

Japanische Blütenkirsche

Die Japanische Blütenkirsche (auch Orientalische Kirsche genannt) ist eine Zierpflanze die in Alleen, Parks und Gärten verwendet wird. Sie wächst als sommergrüner Baum und wird 3 bis 8 Meter hoch. In den ersten wärmeren Apriltagen beginnt sie üppig zu blühen und entfaltet ihre Pracht für wenige Tage. Anfang Mai ist die Blütezeit zu Ende und die Blüten fallen zu Boden. In den etwa zehn Tagen in denen der Baum vollständig blüht feiern die Japaner das Hanami (wörtlich »Blütensehen«). Für Japaner ist die Kirschblüte schon seit etlichen Jahrhunderten der Inbegriff aller Blüten. Die Zeit der Kirschblüte markiert einen Höhepunkt im japanischen Kalender und den Anfang des Frühlings. Symbolisch steht dir Kirschblüte dank ihrer Zartheit und ihrem schlichten Duft für Reinheit und Einfachheit. In den Medien wird währenddessen detailliert vom Weg der Kirschblüten in Richtung Nord–Japan berichtet. 116


Symbolhaftigkeit Die Aspekte der Schönheit und der Vergänglichkeit sprechen Japaner dabei besonders an: Ohne Früchte zu tragen, lebt die japanische Kirsche gewissermaßen einzig für das wenige Tage im Jahr andauernde Erblühen in dann überragender Schönheit (siehe auch das japanische Sprichwort »Hana yori dango«). Nach längerem Reifen und nur kurzer Zeit des Blühens fällt die Blüte im Moment vollendeter Schönheit. Die Sakura gibt damit Samurai und der Literatur ein Beispiel für einen würdigen, jungen Tod. Der Begriff Bonsai ist japanisch und bedeutet wörtlich übersetzt »Anpflanzung/ Baum in der Schale«. Er besteht aus den beiden Wörtern bon »Schale« und sai »Pflanze« und geht ursprünglich auf den chinesischen Begriff pézai zurück, was ein Aspekt innerhalb der Kunstform der penjin »Landschaft in der Schale« ist. Penjing ist nach altem chinesischen Verständnis »die Kunst, eine Harmonie zwischen Naturelementen, der belebten Natur und dem Menschen in miniaturisierter Form darzustellen: Die belebte Natur wird hierbei meist durch einen Baum dargestellt. Die Naturkräfte vertritt (...) ein Stein und feiner Kies. Der Mensch wird in Form seines Werks, einer Pflanzenschale, dargestellt.« Diese aus der Gartenpraxis des chinesischen Königreiches entstandene Kunstform wurde in Teilen unter dem Einfluss des japanischen Zen-Buddhismus weiterentwickelt. Ziel der Bonsaikunst ist es, ein miniaturisiertes, aber realistisches Abbild der Natur in Form eines Baumes zu schaffen. Je kleiner ein Bonsai ist (bis hin zu wenigen Zentimetern Größe), desto weiter entfernt sich seine Erscheinung vom natürlichen Vorbild. Bonsai sind keine genetisch zwergwüchsigen Pflanzen, es kann jede Baumart verwendet werden, um ein Bonsai daraus zu gestalten. Durch spezielle Kulturmaßnahmen wie Pinzieren (Formschnitt), Blattschnitt, Drahtung der Äste, Wurzelschnitt und eine gemäßigte Düngung wird das Bäumchen klein gehalten und in die gewünschte Wuchsform gebracht. Beim Bonsai spielen Eigenschaften wie Alter, keine sichtbaren Bearbeitungsspuren, natürliche Ausstrahlung und die »Row-House, Tadao Ando, KirschProportionen eine wichtige Rolle. blüten, sch m atzender Japaner, Der Behälter begrenzt den Wurzelintrovertierter Garten und Bonsai raum und das Nährstoffangebot der Bäumchen.« 117


Pflanze, die bei guter Pflege viele hundert Jahre und somit sehr wertvoll werden kann. Die flachen Schalen bestehen meist aus gebranntem Steinzeug und sind ein wesentlicher Bestandteil des Gesamtkunstwerks. Sie werden entsprechend zu jedem Baum individuell und sorgfältig ausgesucht oder sogar extra hergestellt. Die Schale darf nicht zu sehr durch ihre Erscheinung in der Vordergrund treten. Die Größenklassen wurden ursprünglich daran gemessen, wie viel Männer man brauchte, um den jeweiligen Baum zu tragen. Der Bonsai wird in Japan im Garten oder in der Tokonoma, einer gestalterisch hervorgehobenen Nische im Zimmer aufgestellt. Introvertierter Garten/ Row-House [Saskia] ich hab immer so ein Bild von einem Typischen Garten im Kopf, der halt nicht so wie bei uns genutzt wird oder den man so einfach ständig betritt, sondern der nur zum anschauen da ist. Er hat in meinem Kopf auch immer voll die Hecken außenrum... [Hannah] Beim Row-House von Ando ist es ja quasi auch ein introvertierter Garten... Bzw ein introvertierter Innenhof... ist das Introvertierte aber jetzt so typisch japanisch?? [Saskia] Du meinst ob man das introvertierte vom Garten auch auf andere Bereiche übertragen kann? Oder in dem Fall dass Tadao Ando sein Konzept aus dem klassischen Gartenbau abgelehnt hat? [Vero] Ist eben die Frage, ob das eine so starke Bedeutung hat oder ob jetzt grade dieses Haus eben so introvertiert ist, weil es in einer der am dichtesten besiedelten Metropolen der Welt steht... [Hannah] Das ist eigentlich bei dem Bild von einem Japaner, der in der U-Bahn sitzt und eine unsichtbare Glocke über dem Kopf hat. Dann ist er auch absolut introvertiert und schottet sich gegen seine Umwelt ab. Also introvertiert auch im eigenen Körper... [Saskia] Wenn man an die Papierwände wiederum denkt, ist es ja absolut nicht privat, also auch nicht wirklich introvertiert, oder? Tempel [Hannah] Also Tempel – ehrlich gesagt kommen die mir gar nicht in den Kopf wenn ich an Japan denke. [Saskia] Es gibt ja auch so viele verschiedene Bilder von Tempeln dass die japanischen vielleicht jetzt nicht die bekanntesten sind... [Vero] In dem Buch das ich gelesen habe wird im ersten Kapitel auch beschrieben wie der Autor quasi »nach der Erleuchtung sucht« – also er will die Wahrheit finden und damit die vollkommene Erleuchtung erlangen. Und dabei reist er eben von Tempelanlage zu Tempelanlage zu Tempelanlage usw. weil er danach sucht und es nirgendwo findet. Und im letzten Tempel den er noch erreichen kann, muss er ganz weit und steil hochlaufen auf einer imposanten Treppe. Und als er den Tempel endlich erreicht geht er von einem Raum in den nächsten Raum 118


und in den nächsten Raum, also durch eine endlose Abfolge wieder. Und im letzten Raum in dem er dann die Erleuchtung erwartet steht ein Spiegel und er sieht einfach nur sich selbst – die Erleuchtung ist quasi dass man mit sich selbst konfrontiert wird und ein Bewusstsein für sich selbst erlangt. [Hannah] Voll interessant... ich musste jetzt grade wieder an den Film »Die Geisha« denken, als sie als Kind durch diesen Gang aus aneinandergereihten, roten Bögen rennt. Das ist doch der Weg zu einem dieser ältesten Tempel, oder? und das gleiche Bild von solchen Wegen gibt es doch auch aus ganz eng gewachsenem Bambus... [Saskia] Wenn ich an diesen Weg denke und diese Suche nach sich selbst kommen mir auch diese indischen Stufenbrunnen wieder in den Sinn. Das sind wie riesige Brunnen an dessen Außenwänden ganz viele identische Treppen nach unten führen und man sich immer wieder entscheiden muss, welchen Weg man nimmt. [Vero] Im Buddhismus ist es ja im Gegensatz zu unserer Kultur auch immer der Kreislauf... quasi statt dem Strich. [Hannah] Es geht einfach immer um das bewusste Erleben wieder eines Weges. Nicht einfach ein abruptes Betreten sonder der schon der Weg ist extrem wichtig und wird inszeniert... [Vero] Auch ein großer Unterschied ist, dass es sich ja immer um eine Tempelanlage handelt und nicht um ein einzelnes Gebäude. Zum Beispiel gehört ja auch wieder der durchgestaltete Garten ganz klar als Element dazu. [Saskia] Weiß jemand warum die Tempel dort immer rot sind? [Vero] Weil rot die japanische Farbe ist!? In Japan gibt es vor allem zwei wichtige Religionen – der Shintoismus und der Buddhismus. Diese Religionen sind im 5. und 6. Jahrhundert nach Japan gelangt. Im Japanischen werden die Buddhistischen Sakralbauten als Tempel jiin bezeichnet, während die des Shintos als Schreine jinja gelten. Der Buddhismus, der von China nach Japan kam, brachte eine hoch entwickelte chinesische Tempelarchitektur mit sich, die aber von den Japanern nach ihrem Geschmack angepasst wurde. Diese Tempel stehen nicht allein, sondern sie stehen in einer angelegten Anlage. Hierbei gibt es unterschiedliche Anordnungen. Erdbeben zerstörten einige Tempel, viele Tempel gingen aber während des zweiten Weltkriegs in Flammen auf. Interessant ist hierbei, dass für die Rekonstruktion oftmals neue Baustoffe wie beispielsweise Beton eingesetzt wurden. Dabei wurde das ursprüngliche Holztragwerk einfach nachempfunden. Kiyomizu-dera Tempel in Kyōto 119


Es gibt aber auch Bauwerke, die versuchen, die alte Bauweise, Form und Tradition in die heutige Zeit zu übersetzen und neu zu interpretieren. Ein Beispiel hierfür ist die große Buddhahalle »Shakaden« in Tokio oder der »Komyo-ji« Tempel von Tadao Ando. Die Sakralbauten der Shinto werden Schreine genannt. Der Schrein dient der Anbetung eines einzelnen Kamis, eines Gottes/ einer Seele, oder mehreren Kami. Da Shinto eine sehr heterogene Religion ist, gibt es auch bei den Schreinen keine genau vorgeschriebene Anordnungsweise oder vorgeschriebene Bestandteile. Es ist aber so, dass man von charakteristischen Elementen sprechen kann. Die Torii, die zum einen den Eingang der Schreinanlage definieren, gehören zu einer der Charakteristika. Sie können aber auch der Abgrenzung zweier Areale innerhalb eines Schreins dienen. Brücken, die die reinigende Kraft des Wassers versinnbildlichen und dem Menschen den unreinen Teil seines Selbst nehmen sollen, gehören auch zum Weg zum eigentlichen Hauptgebäude des Schreins. Eine Aneinandereihung mehrerer Tore ist auch Bestandteil der Anlage. Diese Tore sind ganz unterschiedlich ausgebildet, manche ganz gewöhnlich, manche schon sehr aufwendig gestaltet, wie Hauptgebäude. Ein Waschbecken, das sich auf dem Weg zum Hauptgebäude befindet, gehört zum Ritual des Schreinbesuchs und fordert jeden Besucher auf, die Hände und das Gesicht zu reinigen. Dann folgt das Hauptgebäude. Die Schreingebäude werden traditionell aus Holz errichtet, der Hikoki-Scheinzypresse, wobei man auch hier heute teilweise auf Beton zurückgreift. Die Dächer werden entweder mit Chinaschilf oder mit Hinoki gedeckt. Anime/ Manga [Saskia] Ich hab früher immer Pokemon mit meinem großen Bruder geschaut, das ist doch ein Anime-Film oder? also diese ganzen Kinder-Zeichentrick-Filme? [Hannah] Ja ich glaub schon. Und Mangas sind dann quasi die Bücher auf denen die Filme basieren?? [Saskia] Gibt es nicht auch ganz komische Pornos als Anime?? Aber wem gefällt denn sowas??? [Vero] Also ich kenne auch nur Kinderfilme. Für mich sehen sie alle so aus wie Heidi. [Hannah] Mir sind diese Filme glaub ich auch viel zu bunt und zu wild. Mich haben sie bisher einfach nicht interessiert, weil ich die Darstellung nicht so schön finde. Anime ist eine Kurzform des Wortes animeshon (engl. animation). Außerhalb von Japan bezeichnet Anime in Japan produzierte Zeichentrickfilme, wobei es in Japan selbst für alle Arten von Animationsfilmen, ob im eigenen Land oder importiert, steht. Sie sind ein fester Bestandteil der japanischen Kultur. Das Pendant zum Anime bildet der japanische Comic Manga. Animes decken aufgrund ihres breiten Themenspektrums alle Altersstufen ab. Es gibt sowohl 120


Literaturverfilmungen, Kinderfilme, Horrorfilme bis hin zu Science Fiction. Hentai ist der Begriff für pornographische Animes, die aber nur einen kleinen Teil des japanischen Kaufvideomarktes ausmachen. Häufig zu finden sind typischer Merkmalen wie - kindliche bis niedliche Darstellung der Figuren (meist große Augen): Kindchenschema mit großem Kopf und stark vergrößerten »Kulleraugen« - Gegensatz zu westlichen Comics und Trickfiguren: Darstellung der Pupille (Augen vermitteln Gefühle und Persönlichkeit der Figur) - Nase für die Darstellung von Gefühlen und Emotionen kaum Bedeutung: nur angedeutet, sehr klein - Mund auch klein, bei Emotionen kann er übertrieben groß dargestellt werden, wenige Formen des Mundes - Super Deoformed: zur Verniedlichung oder parodistischer Verstärkung; in Extremform dargestellt, bewusst nicht anatomisch korrekt, Körper teile die für die Aktion relevant: besonders betont - Kemonomimi: menschlich gestal tete Figuren mit Merkmalen von Tieren (Tierohren oder Schwänze). Beeinflusst wurden diese Stilelemente sowohl von der japanischen Kunst der Edo-Zeit als auch von westlichen Stilen. Direkt aus der traditionellen japanischen Kunst übernommen wurde jedoch nur wenig, es wurde eher aus westlichen Stilen wie Jugendstil »reimportiert«. Osamu Tezuka hat viele Symbole und Stilelemente des modernen Mangas eingeführt, die stark von europäischen Romanen und amerikanischen Filmen beeinflusst waren. Er hat erheblich zur Popularisierung des Mediums beigetragen. Im Gegensatz zu vielen anderen Ländern, in denen Comics als reine Kinder– und Jugendliteratur bzw. nur als Unterhaltungsmedium gelten, sind Comics in Japan als gleichberechtigtes Medium und Kunstform anerkannt und werden von Menschen aus allen

»Manga ist eine der Hauptsäulen des japanischen Verlagswesen. Im Jahr 2002 machte sie 38,1% aller Druckerzeugnisse in Japan aus. Der Comic-Markt besteht in Japan, anders als in anderen Ländern, fast ausschließlich aus einheimischen Produktionen.« 121


gesellschaftlichen Gruppen konsumiert. Comic lesende Pendler oder Geschäftsleute sind nichts ungewöhnliches, auch Politiker bis zu Premierministern geben Mangalesen als Hobby an oder nutzen Mangas als Medium. Der öffentliche Raum ist besonders während der Fahrt zur Arbeit ein üblicher Ort zur Rezeption von Manga-Magazinen oder Sammelbänden. Die Ästhetik von Manga ist in der japanischen Kultur so weit akzeptiert und verbreitet, dass sie oft als nicht nur für Manga selbst, sondern auch für Schilder, Illustrationen und Werbefiguren oft verwendet wird. Als Werbeträger dienen sowohl etablierte Figuren aus bekannten Mangaserien als auch eigens für die Werbung geschaffene Figuren. Sushi [Hannah] Sushi wird hier halt echt fast immer vom »Zügle« serviert oder? Aber gibt es das dort überhaupt? Sushi ist in meinem Kopf nämlich immer in Bewegung... [Vero] Nein! Das sind eigentlich ja eher die Sushi-Fastfood Läden in denen das so ist. Wenn man richtig gutes Sushi essen geht wird das ganz normal serviert. [Saskia] Sushi wird auch zwangsläufig mit Fisch verbunden, aber es gibt auch ganz viele Sushi-Rollen die mit Gemüse oder ähnlichem gefüllt sind. Ich mag nämlich keinen Fisch... [Vero] Es ist viel mehr als ein Essen, das satt machen soll. Hier spielt auch wieder die Ästhetik der kleinen Dinge eine Rolle. Außerdem ist der Beruf eines Sushi-Kochs ein richtig lange Ausbildung in der man im ersten Jahr glaube ich nur Reis kocht. Sushi ist ursprünglich kein japanisches Gericht, sondern hat seinen Ursprung in einer Konservierungsmethode für Süßwasserfisch, bei der der Fisch zum Fermentieren in Gefäße mit gekochtem Reis eingelegt wurde und so bis zu einem Jahr haltbar wurde.Diese Methode stammt aus China, von wo sie sich nach Japan ausbreitete und in Länder wie Thailand und Taiwan, in denen sie auch heute noch genutzt wird. Das heute verbreitete Sushi entstand in dieser Form in Edo, dem heutigen Tokio, wo sich ab dem 18. Jahrhundert immer mehr Menschen auch den teureren frischen Fisch leisten konnten, welcher zudem im Hafen mit Reis angeboten wurde. Erst während der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde Sushi auch »Se h r ritu ell u n d för m lic h in der westlichen Kultur populär. (Sprache, Tradition), Sa murai, Die erste Sushi-Bar wurde 1966 in Manga, Anime, Mega City, Stäbchen Los Angeles eröffnet. Die in den (Hunger)« 122


westlichen Ländern übliche Art des Verzehrs von Sushi unterscheidet sich stark von der traditionellen japanischen: Wasabi und Sojasauce werden in der Regel nicht vermischt, in Restaurants mit gehobenem Preisniveau wird das einzelne Sushi bereits vom Sushikoch so gewürzt, dass der Kunde nicht nachwürzen muss, nie wird der Reis sondern immer die Fischseite in Sojasauce getunkt. Eingelegter Ingwer (Gari) wird zwischen den einzelnen Sushi gegessen, um den Geschmack der unterschiedlichen Fische zu neutralisieren. Samurai Was sind Samurai eigentlich? Wie werden sie durch Hollywood-Filme in unsere Welt transportiert? Entspricht diese Darstellung der Wirklichkeit? Gibt es Samurai heute noch? Der Wortstamm des Wort Samurai bedeutet »dienen«. Ab dem 7. Jahrhundert herrscht in Japan ein Kaiser, der Tenno. Zu seiner Verteidigung standen zu Beginn des Kaiserreichs Soldaten aus dem Bauernvolk, die durch die Wehrpflicht gezwungen waren zu dienen. Nach der Abschaffung der Wehrpflicht fanden sich immer weniger Freiwillige, die den Willen und das Wohl des Kaisers verteidigten. Deshalb wurden Männer des niederen Landadels dazu berufen und militärisch ausgebildet, um dem Kaiser zu dienen. Den Samurai wurden Ländereien fernab des Kaiserpalastes übergeben, die sie selbst verwalten sollten, damit bis in die hinterste Ecke des Landes der Wille des Kaisers durchgesetzt werden konnte. In der darauffolgenden Zeit bauten die Samurai in den entlegenen Provinzen ihre Macht stetig aus. Bis sie im 12. Jahrhundert sogar die Regierungsform ändern und das Shogunat ausrufen. Der Shogun, der Oberbefehlshaber der Samurai steht nun an der Spitze des Landes. Der Kaiser hat nur noch Symbolcharakter. Bis ins 16. Jahrhundert herrscht in Japan eine grausame Zeit, die geprägt war von Bürgerkriegen und einer unsagbaren Brutalität, mit der die Samurai gegeneinander um Macht, Ruhm und Besitz kämpfen. Der Tenno spielt in dieser grausamen Zeit keine Rolle – vor allem für die Samurai nicht. Einzig dem Shogun wird eine wichtige Rolle zuteil. Der erste Shogun, dem es nach mehreren Jahrhunderten der Grausamkeit gelingt das Land zu befrieden, ist Oda Nobunaga, der das Land in vier Stände teilt. An oberster Stelle stehen damals die Samurai. Die Samurai, die ausgebildet sind, zu kämpfen und Krieg zu führen, werden zu Verwaltungsbeamten und Gelehrten, was langfristig dazu führte, dass sie Ansehen und Ruhm verloren, und nur noch formal zur Oberschicht gehörten. 1870 wird der Samurai-Stand abgeschafft. Japan öffnet sich dem Westen. Das Bild der Samurai, das hierzulande populär ist, wurde vor allem von einem Roman »Bushido – Weg des Kriegers« transportiert, der als Original in englischer Sprache erschienen ist und erst später auf japanisch übersetzt wurde. Der Roman erzählt von den wenigen loyalen und tugendhaften Kriegern, die 123


Japan zu wirtschaftlicher Stärke gebracht haben sollen. Dass diese Samurai-Romantik nicht allzu viel mit der Wirklichkeit zu tun hat, stört in Japan niemanden. Das japanische Haus Inwieweit ist das traditionelle japanische Haus in der zeitgenössischen Architektur noch zu spüren? Aus einer Kultur der Einrichtung mit freien Möbeln und der starken Raumdefinition heraus – wie fühlt sich eine Architektur der leeren, mit Tatami-Matten ausgelegten und frei nutzbaren Räume an? [Hannah] Es könnte entweder sein, dass man z.B. in die Villa Katsura kommt und als Europäer denkt das ist unwohnlich, weil es so leer ist – oder, und so glaube ich wird es einem eher gehen, dass man es als total befreiend wahrnimmt, weil man den Raum je nach Situation unterschiedlich für sich einnehmen kann. [Vero] Könne aber schon auch sein, dass wir uns unwohl fühlen weil wir genau damit überfordert sind. Weil uns keine Nutzung in Form von Möbeln oder so angeboten wird... [Saskia] ...weil wir den Raum dann plötzlich einfach mal Raum sein lassen müssen... Wenn man jetzt mal wieder auf die dichte Stadt zurück kommt ist es auch spannend, weil ich vermuten würde, dass man gerade dann doch eigentlich jedem Raum eine klare Nutzung zuweisen muss.... [Hannah] ... ja oder genau andersrum: Wenn ich so wenig Raum zur Verfügung habe dann darf ich ihm erst recht keine Funktion geben damit er flexibel ist. [Vero] Aber in den großen Städten wird ja auch vermutlich fast gar nicht mehr so gebaut. Also dort wird es nur noch ganz selten mal Wohnungen geben, die noch aus leeren Tatami-Räumen bestehen. Wenn man zum Beispiel auf Airbnb schaut, sehen alle Wohnungen aus wie bei uns. [Saskia] Das ist vielleicht auch nur noch ein Prinzip, das in Hotels oder so, also nur für Touristen angeboten wird. Einen Funktionslosen Raum muss man sich halt auch leisten können... Lichterfest Der Sommer ist in Japan die Zeit des Reifens und Erwachsenwerdens, aber vor allem auch die Zeit der Feste. Die Feste stehen für einen symbolischen Akt der Kommunikation zwischen Mensch und Götterwelt. Die meisten der traditionellen Feste stammen aus dem Schintoismus und markieren wichtige Etappen des Reisanbaus. Die Feste sollen aber auch eine Art Motivation für die Menschen in Zeiten der Sommerhitze sein, um für die Erntezeit noch einmal neue Kräfte zu mobilisieren. Das Kanto-Fest in Akita beispielsweise ist eines der Bekanntesten und findet immer vom 3. bis zum 6. August statt. Hier tragen die Männer Apparaturen aus Bambusstangen an denen zahlreiche Laternen angebracht sind. Hierbei steht jede Laterne symbolisch für ein Reiskorn. Abends in der Dunkelheit werden so die Götter angerufen. Nach dem Neujahrstag ist der Obon-Tag der zweitwichtigste Feiertag der Japaner. An diesem Tag gedenken die Angehörigen ihren Verstorbenen. Sie stellen Lichter an die Gräber und vor die Häuser, um den Weg 124


für die Toten zu beleuchten. Denn nach Buddhistischem Glauben, kehren die Geister einmal jährlich aus dem Jenseits zu den Lebenden zurück. Im Lauf der Zeit bis heute entwickelte sich Obon in Japan zum Ahnen-Fest. Alle Mitglieder der verschiedenen Generationen einer Familie versammeln sich und begehen gemeinsam die Zeremonie, um der Verstorbenen zu gedenken und die Erinnerung an die Ahnen zu wahren.

»Obon-Tag bedeutet Totentag und das heißt, zu meiner Kindheit durften wir nicht im Fluss schwimmen, am Ende würden wir sonst noch einen kleinen Fisch töten. Wir Buddhisten glauben ja an die Reinkarnationslehre: Wir dürfen kein Tier töten. Wenn ich sterbe, wenn ich das gut mache, vielleicht komme ich wieder als Mensch. Aber wenn ich böse bin, komme ich vielleicht als Insekt. Wir haben am 15. August eine Menge Moskitos, aber wir dürfen nicht töten.«

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Öffentlicher und privater Raum Der Weg und seine Gestaltung Sophia Klings Julian Häfele Victoria Petrich

Einleitung Die Verbindung von Innen– und Außenraum in westlichen Ländern unterscheidet sich in vielen Punkten von japanischen Bauweisen und Gestaltungsprinzipien. Bei einem Mauerwerksbau beispielsweise, trennt eine solide Wand innen und außen. Aufgrund ihrer tragenden Funktion, ermöglicht sie damit nur kleine Öffnungen. Im Vergleich dazu ermöglicht die japanische Holzrahmenkonstruktion sehr große Öffnungen zwischen Innen– und Außenraum, da diese Bauweise keine statisch aktive Füllung zwischen Trägern und Pfosten erfordert. Dies ermöglicht den Einbau von Schiebetüren, für die Japan und seine Architektur weit bekannt sind. Der Kern japanischer Ästhetik besteht zu einem Teil darin, etwas Perfektes, wie die Natur, so gut wie möglich nachzubilden. Des weiteren geht es aber auch darum, etwas künstlich erschaffenes, wie Architektur, mit der Natur so gut wie möglich zu verbinden. Japanische Wohnhäuser besitzen keine klare Grenze zwischen Innen und Außen. Stattdessen existiert ein Zwischenraum, der drei Elemente beinhaltet. Einen Eingangsbereich, eine Veranda und unterschiedliche Arten von Schiebewänden, die statt der im Westen verwendeten Fenster und Türen zum Einsatz kommen. Diese Elemente in Kombination sorgen dafür, dass die Natur nahezu grenzenlos in Verbindung mit dem Innenraum treten kann, der Mensch innerhalb des Gebäudes aber trotzdem noch gegen Wetterwirkungen geschützt ist. Der Zwischenraum Im traditionellen japanischen Haus existiert keine klare Trennung zwischen innen und außen. Natur wird durch unterschiedliche Elemente eher in das Haus einbezogen, als klar abgegrenzt. Beispielsweise mit einem Shoji, Bambuselementen/ mit Bambus bestückten Leinwänden. Durch diese Stilmittel kann umgekehrt genau so gut das Innere des Hauses nach außen erweitert werden und somit Wohnen im Einklang mit der Natur erfolgen. Ein Vergleich zwischen arabischen, amerikanischen und japanischen Häusern soll zeigen, wie das arabische Haus um einen Innenhof gebaut und schirmt sich zur Umgebung durch dicke Wände ab. Im Vergleich dazu bildet der Grundriss des amerikanischen Vorstadthauses zwar keine klare Abgrenzung am Ende des Grundstücks ab, dafür ist es aber durch Türen und Fenstern klar abgegrenzt vom Garten. Im Kontrast dazu, zeigt das japanische Haus eine Hecke um das Grundstück und zusätzlich um das Gebäude. Die Begrenzungen des Japanischen Hauses wirken eher weich im Vergleich zu den dicken Wänden des Arabischen Hauses. Auch das amerikanische Haus 126


zeigt eine klare Abgrenzung zwischen innen und außen, während diese Grenze beim Grundriss des japanischen Hauses nicht mehr klar zu unterscheiden ist. Architekturelemente des Weges Japanische Gärten werden so geplant und gestaltet, dass sie normalerweise von einem Bereich des Hauses aus mit einem Zaun oder einer Mauer im Hintergrund betrachtet werden. Dieser Unterschied in der Perspektive ist markant für das Konzept des japanischen Hauses. So überrascht es nicht, dass die japanische Bezeichnung katei eine Kombination aus »Haus« und »Garten« ist. Es zeigt, dass das Konzept von Haus und Garten als ein Ganzes schon seit einer längeren Zeit bestehe. Viele japanische Häuser werden so geplant, dass der Gartenbereich vom Eingangsbereich aus sichtbar ist. Heutzutage, wo der Weg von der Straße bis zum Haus nur noch kurz ist, übernimmt der Vorgarten diese Rolle. In vielen Fällen ersetzt der Vorgarten den Garten auch komplett. In diesen Fällen beeindruckt es dann umso mehr, wenn man als Besucher vom Eingangsbereich aus einen Blick auf einen Innenhof im Haus erhaschen kann. Bei der Gestaltung dieser Innenhöfe existiert eine große Bandbreite an Bauweisen. So kann durch geschickt platzierte Blickachsen der Blick in den Hof ermöglicht werden, ohne gleichzeitig einen Einblick in den privaten Bereich des Hauses preiszugeben. Falls der Garten im Innenhof nur als Dekoration gedacht ist, sollte die Aufmerksamkeit auf den Hintergrund gezogen werden. Dessen Gestaltung beeinflusst die Wirkung des Hofes immens. Auch hier gibt es eine Vielfalt an Gestaltungsmöglichkeiten. Von Farben über Bambus, Steine, Wasser oder Sträuchern. Jedoch könnte das Ambiente durch ein Fehlkonzept des Hintergrundes zerstört/ beeinträchtigt werden. So bietet sich als Gegenstück für eine Wand in Erdtönen oder aus Steinen ein Zaun aus Holz oder Bambus an. Falls sich ein Nachbarhaus im Hintergrund befindet, wie es oftmals nun mal ist; könnte bei Fällen wie diesem Bambusgewächs als Hintergrund dienen. Wenn nur ein Teilbereich des Gartens sichtbar ist, lässt sich vor allem in niedriger liegenden Bereichen effektiv die direkte Einstrahlung von Sonnenlicht vermeiden und die Privatsphäre erhöhen. Falls der obere Teil eines Fensters oder einer Wand durch ein Shoji ersetzt wird, kann ein weiches, gefiltertes Licht einfallen. Dadurch kann der Wechsel der Jahreszeiten weiterhin durch das untere Stück des Hauses beobachtet werden. Im Winter fällt dank Schnee ein wunderschönes, brillantes weißes Licht ein. Der Genkan ist der offizielle Eingangsbereich in japanischen Häusern. Die ursprüngliche religiöse Bedeutung des Begriffes hat sich heute verflüchtigt, aber nach wie vor stellt er durch das Ausziehen der Schuhe die Grenze zwischen Universum, der profanen Welt und der inneren Göttlichkeit dar. Diese abgrenzende Funktion des Eingangsbereiches wird sowohl durch die unterschiedlich gewählten Materialien, die sich von denen im Innen– und Außenbereich unterscheiden; als auch durch die Steintreppe, wo die Schuhe ausgezogen werden; als auch durch den Höhenunterschied des Einganges und dem inneren des 127


Hauses zum Ausdruck gebracht. Zusätzlich zu der Steintreppe und anderen Accessoires, Kissen oder ein Stuhl zum Beispiel, die zum Ausziehen der Schuhe benutzt werden können; beinhaltet der Eingangsbereich in Japan zudem einen Schrank für die Schuhe und Hausschuhe der Familienmitglieder. (Die Schuhe der Gäste werden normalerweise auf dem Boden gelassen, es sei denn, sie bleiben über Nacht.) Obwohl in dem Schrank auch Regenschirme, Mäntel und Hüte verstaut werden, ist der Schuhschrank in dem durchschnittlichen, Japanischen Haus dennoch etwas ganz besonderes. Zudem wird der Kranz (Oberboden) als Ausstellungsfläche verwendet. Der Eingangsbereich ist formell und wird entsprechend dekoriert, um seine Rolle als Übergang zwischen Außen und Innen – formell und zwanglos, sauber und dreckig; symbolisch darzustellen. Jedoch wird die Dekoration aus Platzgründen minimalistisch gehalten. Sollte der Hauseigentümer eine Sammlung besitzen, könnte ein Teil davon ausgestellt sein. Als Alternative werden, passend zur Jahreszeit; Blumengestecke auf einer kleinen Tribüne, einem Regalbrett oder auf dem Schuhschrank platziert. Als attraktive Hintergrundkulisse für die Dekoration könnte ein Shoji, eine aus einem lichtdurchlässigen Papier bestehende Wand, oder die bloße Wand verwendet. Blumensträuße, Blumenkästen, Topfpflanzen oder Bonsai könnten auch als Dekoration verwendet werden. Da der formelle Eingangsbereich hauptsächlich zum Schuhwechseln und als Bereich für dezente Dekoration verwendet wird, ist ein Minimum an Licht ausreichend. Besuchern, die nicht gewohnt sind, die Schuhe auszuziehen, wird es durch die einfach zu verstehende Bauweise verständlich gemacht. Als Beispiel besteht der mit Schuhen begeh»Genkan« bare Teilbereich aus einem Steinboden. Der andere Teilbereich, wo die Schuhe gewechselt werden müssen, wird durch einen Teppich/ Teppichboden, dem Schuhschrank und den Hausschuhen als Grenze deutlich gemacht Um diesen Speziellen Bereich noch mehr zu betonen, könnte ein Punktstrahler oder eine Japanische Papierlampe verwendet. Ein zusätzlicher Punktstrahler könnte als Blick»Okada House« von Sutemi Horiguchi Hokusai fang für die kleine Tribüne eingesetzt 128


werden, jedoch reicht eine Papierlampe aus um ein sehenswertes, japanisches Ambiente zu erzeugen. Die Beleuchtung des Gartens ist genauso wichtig. Vor allem der Teil, der durch den Eingangsbereich sichtbar ist. Eine Steinlaterne, oder eine hängende Laterne, oder ein Punktstrahler, die von außen oder innen den Garten beleuchten. Um die Schönheit des Gartens ganz zur Geltung zu bringen, wird dieser ergänzend von dem Boden aus beleuchtet. Egal welche Beleuchtungstechnik gewählt wird, die Verbindung zwischen dem Menschen und der Natur wird dadurch hervorgehoben. Die Veranda dient als ein gelockerter Bereich, um sowohl Bekannte zu unterhalten, als auch um sich mit der Familie zu entspannen und um im Sommer der Hitze oder im Winter der Kälte zu entkommen – Vor allem um mit der Natur in Einklang zu kommen. Projektbeispiele Okada House by Sutemi Horiguchi, from 1933 – Tokyo, has been described as »the starting point of modernism architecture in Japan« by the prominent architecture historian Terunobu Fujimor. The project represented Horiguchi‘s early integration of modern space, style and materials with Japanese legacies of interconnecting interior and exterior spaces. The house was most noted for the interface with the back gardens, but the house floated within a garden compound.The entry sequence involved entering at the right of a long garden wall, walking between the building and a row of trees, then turning 90 degrees to step up into the house with direct view into the central courtyard. The Saito House by Kiyoshi Seike, from 1952 – Tokyo, exemplified an accomodation of Japanese – and Western–inspired lifestyles and a construction of continuity between interior and exterior spaces. The house was located near the back corner of the site with an entry path at the edge os the site along the garden. The main entry was perpendicular to the path

»Saito House« von Kiyoshi Seike

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at the back corner of the building, creating multiple engagements with the site through the entry sequence. Als ein Projekt für Metabolismus ist das Sky House ein wunderbares Beispiel. Der Grundgedanke des Metabolismus war eine lebende und sich verändernde Architektur. Diese findet sich im Sky House von Kiyonori Kikutake wieder. Er plante das Haus damals so, dass es zu Beginn nur zwei Personen als Unterkunft dient. Später sollte es sich dann nach unten vergrößern und die Möglichkeit bieten, Zimmer einzuhängen. Er ermöglichte das durch das Aufstelzen des Hauses auf vier großen Betonpfeilern. Der Wohnbereich ist umgeben von einer zu der damaligen Zeit uminterpretierten Engawa, von der aus man nicht länger den privaten Garten betrachtet, sondern die gesamte umliegende Nachbarschaft. Er sprengt so für die Bewohner die Grenze des eigenen Grundstücks. Erwähnenswert ist das Sky House, weil es entgegen der kurzen Halbwertszeit von Gebäuden in Japan seit seinem Bau im Jahr 1958 bis heute steht und im Sinne des Metabolismus immer den aktuellen Anforderungen angepasst wurde. So ist es heute einer der letzten Zeugen der damaligen Siedlung in Mitten einer neuen und viel dichteren Bebauung. House before house des japanischen Architekten Sou Fujimoto ist ein Beispiel für die zeitgenössische moderne Architektur Japans. Mehrere kubisch geformte Häuser stehen auf einem Grundstück versetzt zueinander angeordnet und Plätze spannen sich dazwischen auf. Wichtig dabei zu erwähnen ist der Übergang von der Straße auf das Grundstück. Das Öffentliche geht direkt in das Private über,

»Sky House« von Kiyonori Kikutake

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die Grenze zerfließt, der Besucher muss den Weg selbst auf diesem Grundstück erfahren. Das Grundstück wird im Gesamten und unterschiedlich erfahren werden. Durch das Durchschreiten werden immer wieder neue Perspektiven aufgezeigt – der Raum wird Bewegung und der Weg ist das Ziel. Privatsphäre Obwohl der Grundriss des Japanischen Hauses mehrdeutig zu sein scheint, versucht die Japanische Architektur dennoch einen bestimmten Bereich von der Außenwelt abzugrenzen. Das Gefühl, dass Japanische Häuser wenig oder gar keine Privatsphäre bieten, entsteht durch die Tatsache, dass die vielen Trennwände dünn und leicht zu bewegen sind. Doch das stört die Japaner nicht. Für sie ist es etwas Besonderes, wenn beispielsweise durch das Shoji-Papier der Tür stark gedimmte Licht »sickert« oder wenn der Regen zu hören ist, der an das vergitterte Fenster tröpfelt. Die Mehrdeutigkeit des Hauses ist in der Tat angenehm. Genauer betrachtet, wird die Privatsphäre für die Japaner nicht physisch gewährleistet, sondern durch die Distanz. Sei es der privatesten Teil des Hauses, oder der heiligste Teil eines Schreines, Japaner beziehen sich auf den »tiefsten, inneren Frieden«. Darum besitzen die Häuser in Okada und in Saito ihre eigenen formellen Eingänge, die im Neunzig-Grad-Winkel zum öffentlichen Raum stehen. Der Sinn dahinter ist, dass dadurch die Distanz erhöht und der Eingang zur gleichen Zeit vor Blicken geschützt wird. Feng Shui Mögliche Verbindung zu Eingangssituationen, aber auch dem Aufbau des Grundrisses und des Hauses erschloss sich uns durch die Bedeutungen der Himmelsrichtungen und die dazu passenden Eigenschaften der von uns als Beispiel benutzen Gebäude. So stellten wir die Theorie auf, dass unter anderem Feng Shui für die Gestaltung und Ausrichtung der Eingangssituationen in unseren Beispielen mit verantwortlich sein könnte. Ein Problem stellte dabei die Herkunft von Feng Shui dar. Da die Lehre aus China und nicht Japan stammt, galt es zu überprüfen, ob es möglich ist diese Theorie als Grund für die Eingänge weiter zu verfolgen. Dabei stießen wir auf die Information, dass es innerhalb Asiens unterschiedliche Arten von Feng Shui gibt und nicht nur eine einzige, chinesische Lehre. Des Weiteren lernten wir über einen Text von Bruno Taut mehr über Feng Shui in Japan und dessen Ursprünge, anhand der von ihm niedergeschriebenen Aussagen von Japanern. Bruno Taut bereiste Japan in den 1930er-Jahren und lernte dabei einiges über die Kultur, aber auch die Baukultur in Japan. So erfuhr er damals, dass die Praxis des Feng Shui in China wohl ein nützliches Werkzeug zur Gebäudeplanung darstellte, da durch seine Regeln Umweltfaktoren in die Planung und den Bau von Gebäuden einbezogen werden und damit bauhygienisch vorteilhafte Gebäude errichtet werden können. Vom reinen Nutzen für die Bauten könnte man dieses Vorgehen mit den 10 Büchern über Architektur von Vitruv vergleichen. Dieser setze sich in der Antike ebenfalls schon sehr intensiv mit »Winden« und deren Wirkung auf Städte und Gebäude auseinander und 131


»Warum? Leute des verschiedensten Berufes und der verschiedensten Gegenden sag ten ü b ereinsti mmend, daß diese Regel von China gekommen sei, daß sie dort vielleicht infolge der vorherrschenden Windrichtung oder auch der Richtu ng von Wasserläufe n ei ne n vernünftigen Grund gehabt haben mag, der aber in Japan absolut nicht zu entdecken sei.«

entwickelte im Anschluss eine Anleitung zum Bau »gesunder« Städte. Was also in China mit großer Sicherheit seinen Sinn und Nutzen hatte, schwappte über die Zeit auch nach Japan. Wie genau Feng Shui nach Japan gelangte, konnten wir nicht herausfinden. Wir gehen aber davon aus, dass es mit der Zeit seinen Weg unterstützt von Krieg oder Handel zwischen beiden Staaten nach Japan fand. Dort blieb von der eigentlichen Lehre mit ihren funktionierenden Regeln allerdings nicht mehr allzu viel übrig. Es wandelte sich in eine Art von Aberglaube, durch den bei Japanern mit der Zeit die irrationale Angst vor bösen Geistern, schlechten Energien und die Entwicklung von drohenden Krankheiten innerhalb eines Hauses entstand, würde man beim Bau selbiger den Regeln von Feng Shui nicht folgen. So schreibt Taut:

Shintoismus Der Shintoismus oder auch Shintō ist eine der ursprünglichsten Religionen Japans. Erste Bestandteile tauchten wahrscheinlich um 300 vor bis 300 n.Chr. auf, gegen Ende der vorgeschichtlichen Yoyoi-Kultur. 80% der japanischen Bevölkerung sind Anhänger des Shintoismus und er koexistiert friedlich mit Buddhismus (und dem Christentum) in einem Japan, das durch die Jahrtausende hindurch von dieser lebensbejahenden Weltanschauung geprägt wurde. »Shintō« bedeutet »Weg der Götter« und setzt sich aus zwei chinesischen Kanjis zusammen: »shin« bedeutet Gott bzw. Geist, »tō« steht für Weg bzw. Pfad. Darin kommt die Vorstellung zum Ausdruck, dass alles Leben durch einen Prozess geht, einem »Weg der Götter« gleich. Denn alles ist »kami«: Menschen, Tiere, Berge, Flüsse, Bäume, Meere, die Ahnen. Shintoismus unterscheidet sich von anderen Religionen dadurch, dass es keine Gründer, kein Dogma und keine heilige Schrift gibt. Nichtsdestotrotz findet sich auch hier ein Schöpfungsmythos, der in zwei Chroniken festgehalten wurde. Sie berichten, dass die Welt zu Beginn ein wirbelndes Chaos war, das nur von »kami« bewohnt wurde. Nach sieben Generationen entstand das göttliche Geschwisterpaar Izanagi und Izanami, die gemeinsam die japanischen Inseln und mehrere Gottheiten erschufen. Hier wird deutlich, dass das Nach»Itsukushima-Schrein« auf Miyajima leben keine Hauptangelegenheit der 132


Religion ist; der Schwerpunkt liegt auf der Gegenwart, auf dem Sich-einfügen in diese Welt anstatt sich auf bzw. für die nächste vorzubereiten. Interessanterweise ergibt sich in diesem Zusammenhang eine Verschiebung der Dogmen: Für die meisten Japaner ist eine Glaubenszuweisung zu entweder Shintoismus oder Buddhismus überflüssig und im Alltag eher fließend. Kommt es jedoch zu der Frage um ein Leben nach dem Tod, entscheiden sich die meisten für den buddhistischen Ansatz und wollen nach seinen Bräuchen bestattet werden, um in das Nirwana eintreten zu können. Auch heute ist der Shintoimus Bestandteil des Alltags und wird in das moderne Japan integriert: Viele Praktiken haben ihren Ursprung direkt oder indirekt im Shintoismus, beispielsweise das Essen mit den Chopsticks oder das Ablegen der Schuhe bevor man ein Haus betritt. Die Betonung auf Harmonie und Einklang mit der Natur spiegelt sich in mehreren typischen japanischen Künsten wieder, wie die Blumensteckkunst (»ikebana«), traditionelle Architektur und Gartendesign. Harmonie und Reinheit Auch wenn es keine festgelegte Dogmen oder festumrissenen Glaubensansatz gibt, ist der Shintoismus doch reich an Inhalten. Grundsätzlich verehrt ein Gläubiger die Natur und strebt nach Harmonie mit ihr, ihren Göttern und mit »kami«. Alles, was diese Harmonie stört oder zerstört, ist eine schlecht Handlung. Es gibt keinen Begriff für Sünde, die Störung der Harmonie wird eher mit einem Zustand der Unreinheit oder Beschmutzung (»kegare«) beschrieben. Um die Reinheit und Harmonie wiederherzustellen, werden bestimmte Rituale vollzogen. Diese und sowie andere Ritualen und Methoden dienen dazu, die Beziehung zwischen lebenden Menschen und Geistern zu regulieren. Eines der wohl bekanntesten Reinigungsrituale macht deutlich, wie wichtig Reinheit und damit einhergehend Harmonie in dieser Religion sind. Es findet alle 20 Jahre in der Stadt Ise statt, die an der südlichen Küste der Hauptinsel Japans liegt. Im Zuge dieses Rituals werden alle Gebäude des Shinto-Schreines abgerissen und durch detaillierte Nachbildungen ersetzt. Durch diese etwas extrem anmutenden Maßnahmen soll eine Vermoderung des Holzes verhindert werden. Die spirituelle Erklärung ist, dass die innewohnenden Göttinnen auf diese Weise neue Kräfte bekommen sollen, um das Kaiserhaus und die Reisernte zu segnen und schützen. Auch sollen so böse Geister ferngehalten werden. Eigentlich sollten alle Schreine in diesem Zeitabstand erneuert werden, aber aufgrund der hohen Kosten wird das Ritual nur in Ise abgehalten. Shintoismus in der Architektur Die einfachsten Beispiele, die zeigen, welchen Einfluss eine Religion oder Glaubensrichtung auf Architektur hat, sind ihre Tempel, Gotteshäuser oder – wie im Shintoismus – Schreine. »Jinja« ist eine Kultstätte, in der das Allerheiligste, die Reliquie einer Gottheit aufbewahrt wird. Die Größe eines Schreines ist nicht festgelegt und reicht von einem Hausaltar über einen Schrein in unserem Sinne bis zu riesigen Anlagen mit mehreren Hektar Fläche. Das heilige Gelände des Schreins wird durch ein zinnoberrot gestrichenes Tor mit zwei Querbalken von 133


der Umgebung getrennt. Die meisten Schreine haben mehrere sogenannte »torii« im Außenbereich, manchmal trennen sie auch einen Innenbereich ab. Oftmals sind die Gebäude nur über Brücken zu erreichen, wobei sie symbolisch durch das Wasser gereinigt werden. Durch ein weiteres Tor, »karamon«, gelingt man zu dem Bereich »honsha«, in dem die zentralen Gebäude liegen. Nach der Reinigung am Wasserbecken, »chōzuya«, ist der Besucher bereit das Hauptgebäude »Shaden« zu betreten. Nur eine Gebetshalle, »haiden« genannt, ist öffentlich zugänglich. Dort finden Zeremonien statt und Besucher können zu den »kami« beten. Kleine Rituale der Gläubigen umfassen das Werfen von Münzen, in die Hände klatschen und an Glocken ziehen. Auch gibt es dort sogenannte »ema«, kleine Holztäfelchen, auf die Gebete oder Wünsche geschrieben werden. Diese werden in der Nähe des Schreins aufgehängt, wo die »kami« sie erhalten können. Wandel der Weltansicht und die Verbindung zur Privatsphäre Die momentane Gesellschaft in Japan erlebt einen Anstieg der durchschnittlichen Lebenserwartung, lehnt Städte und dicht besiedelte Regionen ab, erblickt leere Straßen und abgesperrte Gewerbeflächen. In einem Interview für das AU-Magazin erklärt Ryue Nishizawa, Träger eines Pritzker-Preises, einen der Gründe für die immer seltener werdenden sozialen Aktivitäten: Die Bequemlichkeit des Internets und das Fehlen von schönen, öffentlichen Räumen, mache aus Menschen immer mehr Gefangene des eigenen Hauses und schließe sie in ihrer eigene Privatsphäre ein. Das erklärt den Wandel und die Aussichten auf die Projekte in Japan in Bezug auf öffentliche Bereiche. In dem Projekt »House Before House«, von Sou Fujimoto, werden Elemente wie Wände entfernt, die ein Haus beschränken, und die Privatsphäre wird nur dort gegeben, wo sie auch wirklich notwendig ist. Der Hauptaspekt dieses Projektes ist die Instandhaltung und die Koexistenz des sozialen Kontaktes. Jedoch ist es wichtig zu betonen, dass die großen Kuben, für die sozialen Bereiche; nicht an die formellen Eingangshallen herankommen, um die Privatsphäre dieser Räume zu gewährleisten. In einem Interview für Casa Vogue, sagt Fujimoto aus, dass »In der Zukunft Räume enden, aber die Privatsphäre wird es nicht«.

Literatur http://casavogue.globo.com/Arquitetura/Gente/noticia/2016/03/sou-fujimoto-salas-e-quartos-podem-acabar-mas-privacidade-nao.html http://www.dn.pt/mundo/interior/japao-vai-perder-38-milhoesde-pessoas-nosproximos-50- anos-6238274.html http://www.au.pini.com.br/arquitetura-urbanismo/200/estilo-japones-191281-1 . aspx

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侘寂 Wabi Sabi Vanessa Bührle Benjamin Weidmann Marion Probst

In einer kurzen Einführung werden wir die zentralen Begriffe und Merkmale des Zen aufgreifen, die für dessen Verständnis und im Zusammenhang mit Wabi Sabi von Bedeutung sind. Die Geschichte des Zen-Buddhismus Der Zen-Buddhismus ist eine Weiterentwicklung des Mahayana-Buddhismus aus Indien. Er kam im sechsten Jahrhundert n. Chr. von China in Form des Chan-Buddhismus nach Japan und wurde dort unter Einfluss der japanischen Kultur zur Form des Zen weiterentwickelt. Der Zen-Buddhismus lehnt alle Formen von Hierarchien und Dogmen ab und bezieht sich im Allgemeinen wenig auf Schriften. Vielmehr wird im Zen angenommen, dass alles bereits vorhanden ist und jeder Mensch die Voraussetzungen zur Erkenntnis in sich trägt. Als wohl wichtigster Philosoph des Zen gilt Dogen, Begründer der Soto-Zen Schule, der von 1200 – 1253 in Japan lebte. Philosophie des Zen Zentraler Gedanke ist die Aufhebung des Leidens. Nach Annahme des Zen basiert Leiden auf dem Gefühl des Getrennt-Seins und in diesem Zuge der Erfahrung der Welt aus einer dualen Perspektive. Diese Dualität, welche zwischen Ich und Du, Licht und Schatten, Innen und Außen, Betrachter und Objekt unterscheidet, wie sie für westliches Denken beispielsweise üblich ist, trübt aus der Sichtweise des Zen den Blick und lässt uns die Lehre, das Eins-Sein der Dinge, nicht erkennen. Durch die ständige Übung der Achtsamkeit bei jeder Tätigkeit hingegen, insbesondere im Sitzen und Gehen, erfährt man eine andere Wahrnehmungsweise, welche das Leiden/die Dualität überwindet. Die Aufmerksamkeit beim Wahrnehmen des Hier-und-Jetzt, von Gerüchen, Tönen und Stimmungen bezieht sich hierbei nicht nur auf das eigene Wesen sondern auch auf die gesamte Umwelt. »Kalligrafie des Ensō« von Kanjuro Shibata 135


Diese Wahrnehmungsweise der Welt ist auch in der Kunst sowie in der Architektur zu beobachten. So wird gerade in der Architektur nicht klar zwischen Innen und Außen unterschieden, sondern Übergänge sind fließend gestaltet, wobei insbesondere das Licht und der Schatten ein wichtiges Gestaltungselement darstellen.

»Hishaku«, japan. für Schöpfkelle

Zen und die Künste Die Kunst ist im Zen tief verankert. Als traditionelle Zen-Künste gelten der Weg der Tee-Zeremonie, der Weg der Blume, der Weg des Schwertes, der Weg des Kampfes und insbesondere auch die Tuschmalerei. Auch die Zen-Gärten sind sehr prägend und aufschlussreich für die Ästhetik des Zen. Im Folgenden werden wir die Tee-Zeremonie, das Teehaus sowie die sieben Merkmale der Zen-Kunst erläutern.

Die Teezeremonie (Chado) Der Tee-Weg ist bei der Auseinandersetzung mit Wabi Sabi von großer Bedeutung, Teeraum mit seinen typischen Elementen da die Herkunft des Wabi Sabi, stark mit dem Tee-Weg verbunden sind. Der Tee-Weg beziehungsweise die Tee-Zeremonie wurde von Murata Shoko (1423 – 1502) geschaffen und später unter Sen no Rikyu (1521 – 1591) zur heutigen Form erneuert und verändert. Auf Sen no Rikyu geht auch die ästhetische Grundlage der Tee-Zeremonie, wie wir sie heute kennen, zurück. Sie beruht auf den Prinzipien des Wabi Sabi, auf dem Einfachen, dem Rauen und Unvollendeten. Sen no Rikyu reduzierte den Tee-Raum auf eine abseits vom Haus gelegene Grashütte und wendete sich einfachen und unscheinbaren Gegenständen, wie z.B. handgearbeitete, schlichten Teetassen zu. Der Tee soll in einer der Natur nachempfundenen Umgebung als auch in Stille und Ruhe sowie in Harmonie mit den Gästen zubereitet, Teeschalen angerichtet und getrunken werden. Auch die Einrichtung des Teehauses ist hierbei auf das Wesentliche reduziert. Jedes Objekt hat seine Aufgabe und verweist über seine Funktion hinaus auf die größeren Zusammenhänge des Zen. 136


Das Teehaus Teehäuser werden speziell für die Teezeremonie gebaut, wobei jedes Detail mit größter Sorgfalt gestaltet wird. Das typische Teehaus ist meist von einem kleinen japanischen Garten, oft mit einem Wasserbecken, umgeben. Im Garten gibt es einen Wartebereich für die Gäste oder einen »taubedeckten Pfad«, der nie in gerader Linie zum Teehaus führt. Ein Teehaus wird meist in Holz und Bambus ausgeführt. Der einzige Eingang in das Teehaus ist eine kleine, rechteckige Schiebetür, die symbolisch den kleinen, einfachen und ruhigen Innenraum von der Welt außerhalb trennt. Sie ist so niedrig, dass sie nur im Knien passiert werden kann. Dies soll Bescheidenheit symbolisieren. Teehäuser bestehen gewöhnlich aus zwei Räumen, einer der zur Vorbereitung des Tees dient und ein anderer, der für die Teezeremonie selbst genutzt wird. Der Hauptraum ist kleiner als 4,5 Tatamimatten groß und die Decke ist niedrig. Es gibt keine Möbel oder Einrichtung. Vorhanden ist meist eine Grube in der Raummitte für ein Holzkohlenfeuer, um das Teewasser zu erwärmen. Der Boden ist mit Tatamimatten bedeckt. Gäste und der Gastgeber sitzen daher im Seia auf dem Boden. Die Dekoration ist minimal, meist gibt es nur eine Tokonoma. Dies ist eine Nische, in der eine Schriftrolle, eine Pinselzeichnung oder ein einfaches, kleines Blumengestecke ausgestellt ist. Alle Materialien sind absichtlich einfach und schlicht gehalten, Türen und Fenster werden im traditionellen Stil, bestehend aus so genannten Shojis, gehalten. Shojis sind dünne Holzleisten aus Zedernholz, die mit durchscheinendem Papier bespannt sind. Sieben Merkmale der Zen-Künste In der Zen-Kunst sind sieben Merkmale von zentraler Bedeutung. Sind alle sieben Merkmale in einem Artefakt vorhanden, kann es als Zen-Kunst klassifiziert werden. Asymmetrie (fukinsei) Asymmetrie in der Form und Anzahl von Gegenständen soll den stetigen Wandel des Lebendigen aufzeigen. Dabei wird versucht, Harmonie und Gleichgewicht innerhalb und zwischen den Objekten ohne Symmetrie zu erlangen. Organischen Strukturen sollen dem Betrachtenden zudem Erkenntnis und Einsichten über das Leben vermitteln. Schlichtheit, Reduktion (kanso) Das zweite Merkmal, Schlichtheit und Reduktion, bezieht sich auf den Dialog von Fülle und Leere. Die Leere, die alles einschließt, ist offen und ermöglicht verschiedene Interpretationen. Schlichtheit und Reduktion spiegeln sich in der Farbgebung wider. Das Farbspektrum wird hierbei auf ein Minimum reduziert und lenkt somit nicht vom Wesentlichen ab. Karge Erhabenheit des Alters im Wandel (koko) Das dritte Merkmal, die kargen Erhabenheit des Alters im Wandel, ist eine Würdigung des Lebenszyklus, der in den Objekten sichtbar gemacht werden soll. So 137


werden Materialien verwendet, denen es möglich ist, eine Patina anzulegen, wie etwa Holz, Leder und Kupfer. Gleichermaßen können auch nicht perfekte oder bereits gealterte Materialien benutzt werden, da sie vom Lauf der Zeit zeugen. Die positive Bewertung des Alterungsprozesses bedeutet, dass Abnutzungserscheinungen und Patina nicht negativ bewertet werden. Natürlichkeit (shizen) Der Beobachtung der Natur wird große Bedeutung zugemessen. Gestaltete Objekte sollen stets natürlich und lebendig wirken. So sind die verwendeten Materialien und Farben der Zen-Künste naturbelassen, einfach, matt und roh. Tiefgründigkeit, Zurückhaltung (yugen) Yugen ist das Mysterium des Unergründlichen und der Schattenwelt. Dies zeigt sich etwa in trüben und matten Farben oder in der Gestaltung von schattigen Räumen. Es bedeutet auch das Offenlassen von letzten Formvollendungen, um somit der Fantasie Freiraum zu lassen. Frei-werden von weltlicher Form (datsuzoku) Das Frei-werden von weltlicher Form, sechste Merkmal, bedeutet, frei von Dogmen und Hierarchien zu sein und sich der Intuition und Spiritualität zu öffnen. Das beinhaltet das Aufgeben der Selbstbezogenheit zugunsten von Achtsamkeit und Mitgefühl. Für den Designprozess wiederum bedeutet es, dass sowohl Gleichberechtigung als auch Mitgestaltungskraft für alle am Schaffensprozess beteiligten Menschen hergestellt wird. Innere Ruhe, Stille im Frieden (seijaku) Das letzte Merkmal, innere Ruhe und Stille im Frieden, verkörpern, dass jede Geste und jeder Ausdruck der Gestaltung von Ruhe und Frieden geprägt sein sollen. Die Stille und Langsamkeit fördert Achtsamkeit und regt zum respektvollen Umgang mit Mensch, Umwelt und verwendeten Materialien an. Wabi Sabi Im Begriff Wabi Sabi vereinen sich die Merkmale wie Unbeständigkeit, Demut, Asymmetrie als auch Schönheitsfehler. Diese Merkmale und Attribute stehen im Kontrast zur westlichen Ästhetik, in der eher Symmetrie, klare Formen, glatte Oberflächen und Vollkommenheit von Gegenständen und Bauwerken verlangt wird. Japanische Kunst hingegen, die vom Geist des Wabi Sabi erfüllt ist, sucht Schönheit und Perfektion in der Natur und lässt sich von dieser inspirieren. Wabi Sabi ist ein aus Wabi und Sabi zusammengesetzter Begriff. Wabi beschreibt das Einfache sowie die Suche nach dem Mangel und Sabi den Ursprung, der sich in der Vergänglichkeit jeglicher Gestalt ausdrückt. Der Begriff Wabi Sabi wurde von Koren (Koren, 1995) umfangreich analysiert der dessen tiefe Verankerung im Zen, insbesondere in der Tee-Zeremonie, beschreibt. In der von Koren verwendeten Form kann Wabi Sabi als umfassende Interpretation der 138


sieben Merkmale der Zen-Künste verstanden werden. Wabi Sabi, das herbe, raue und unvollkommen Scheinende, steht in Kontrast zur westlichen Kultur, die größte Perfektion anstrebt und gerade dem Prozess des Alterns kaum Schönheit zugesteht. Zehn Merkmale der Wabi Sabi-Objekte Wabi Sabi-Objekte haben folgende Merkmale und Beschaffenheiten: – Natürlich, nicht künstlich – Natürliche Materialien die sich mit der Zeit verändern können, wie etwa Holz, Leder, Baumwolle,... – Materialien die eine Patina anlegen können, wodurch ihr Ausdruck verstärkt wird – Natürliche und gedämpfte Farbtöne – Matt, trüb und mysteriös in Material und Farbe, Organische und unregelmäßige Formgebung – Unvollkommen und fehlerhaft - Eher grob und roh – Einzelstücke, von Hand gefertigt – Gewinnen im Lauf der Zeit an Wert Wabi Sabi – Eine Suche Bei der Suche nach einem Thema war Wabi Sabi eher ein Zufall. Dabei sind wir auf verschiedene, mögliche Themen gestoßen: das Japanische Handwerk, Megastadt Tokio oder die Tatami-Matte, welche wegen der Bedeutung in der Japanischen Architektur für uns sehr spannend klang, gerade die Gegenüberstellung zu unseren westlichen Proportionslehren hat uns sehr interessiert. Zufällig sind wir dann auf ein Buch gestoßen: Wabi Sabi für Künstler, Architekten und Designer von Leonard Koren. Nach kurzer Recherche über Wabi Sabi hatten wir uns dazu entschlossen es neben der Tatami-Matte als zweiten Themenvorschlag auf »W a bi-S a bi b eze ic h n et die Liste zu setzen. Mit sehr wenig bis überdie Schönheit unvollkomhaupt keinem Vorwissen ist dann die Auswahl mener, vergänglicher und auf Wabi Sabi gefallen. Dann begannen wir mit unvollständiger Dinge.«1 unserer Suche und besorgten das Buch von Leonard Koren. Wabi Sabi in seiner Gesamtheit zu verstehen ist in einer so kurzen Zeit unmöglich, wenn überhaupt. Genauso schwierig ist es Wabi Sabi in Worte zu fassen. Die Erkenntnisse die wir hatten und die Veränderungen, die die Auseinandersetzung mit diesem Thema bewirkt haben, sollten für jeden eine Aufruf sein, sich mit dem Thema Wabi Sabi zu beschäftigen.

1 Koren, L. (2011). Wabi-sabi für Künstler, Architekten und Designer (7.Aufl.).Tübingen: Ernst Wasmuth Verlag GmbH & Co. (S.7)

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»Der Gletscher war ein beeindruckendes Erlebnis, nach einer vierstündigen Wanderung allein auf einem nur sich schwach von der Um gebung a bzeich nenden Pfad, lag das hunderte Jahre alte Eis vor mir und die Zeit bleibt stehen.«2

Svínafellsjökull Gletscher, September 2016

»Es gilt in der Wiederholung des Gewöhnlichen, des Uralten das Ungewöhnliche zu erblicken«3

Svínafellsjökull Gletscher, September 2016

Herleitung, Gefühlswelt Natur, Island Bilder Wabi Sabi muss als ein komplexes Ganzes verstanden werden, dessen Eigenschaften – wenn man sie so nennen kann – nicht einfach in unsere westliche Weltanschauung übertragen werden können. Mit Wabi Sabi betrachtet man das gesamte Spektrum des Lebens. Besonders geht es bei Wabi Sabi darum die Natürlichkeit in den Objekten zu erkennen. Den Japanern ist es gelungen durch Betrachtung und Leben mit der Natur ihre versteckten Regeln und Eigenschaften zu entdecken und zu verwenden.² Dieses Sehen wie es Wabi Sabi verlangt, ist etwas, das den meisten von uns schwerfallen dürfte. Es erfordert eine tiefer gehende Beziehung zwischen Objekt und Betrachter die zu erst eingegangen werden muss, bevor man die wahre Schönheit der Dinge erlebt. Wenn man es aber schafft so Sehen zu lernen, erkennt man in Objekten die Schönheit, die der Natur zugrunde liegt. Wabi Sabi sucht Schönheit in der natürlichen Umwelt, Reinheit in der natürlichen Unvollkommenheit und schätzt die Natur für ihre Inspiration. Um diese Gefühlswelt, die Japaner vor vielen Jahren bereits entdeckten, spüren zu können, muss man sich an Orte begeben, wo der Einfluss des Menschen noch nicht zu tief in die freie und ungezähmte Natur vorgedrungen ist, sich darauf einlassen und sich selbst aus dem hektischen Treiben heraus begeben. Der Gletscher auf den Bildern befindet sich in Island, an ihm sieht man wie sich Zeit und Natur verhalten, das mehrere hundert Jahre alte Eis rutscht langsam vom Berg auf die Ebene, dabei gräbt es sich tief in den Berg und nimmt dabei Steine und Pflanzen mit. Gleichzeitig schmilzt das Eis und dieses Schmelzwasser erzeugt die bekannten Risse durch die der Gletscher an manchen stellen bricht und sich große Stücke

2 vgl. Crowley J., Crowley S. (2001). Wabi Sabi Style. Layton: Gibbs Smith Publisher (S.7) 3 Byung-Chul Han (2016). Philosophie des Zen-Buddhismuss. Stuttgart: Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG (S.41)

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»D as sich

lösen. Durch diesen Anblick wird einem bewusst, wie gewaltig die Natur ist und wie beeindruckend etwas so vergängliches sein kann. Durch das Eintauchen in diese isolierte Situation bekommt man ein besseres Verständnis für Wabi Sabi und das komplexe Universum, das den Ursprung dessen bildet.

Sch m elzwasser grä bt tief in d as Eis ein.«

J e g e nau e r w ir die D ing e betrachten, desto mehr Unvollkommenheiten kommen zum Vorschein und diese Unvollkommenheiten, Kratzer, Löcher und Macken geben den Dingen eine Schönheit, die Geschichten erzählt. Vieles lässt sich nicht direkt beschreiben und wird erst klar, wenn man sich in der Natur befindet.

Svínafellsjökull Gletscher, September 2016

»Der Nebel wirkt wie ein weißer H i nter g r u n d vor d e m d u n k el und schwer die Bäu me stehen.«

Eibsee, September 2013

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»Wabi Sabi beinhaltet eine ästhetische Aufgeschlossenheit für die Einsicht in die Vergänglichkeit des Lebens«.4 Wie die Natur ist Wabi Sabi durch den Kreislauf von Leben und Tod geprägt. Der Wald ist ein guter Ort um diesen Kreislauf zu beobachten, Bäume wachsen, verteilen ihre Samen, sterben und bilden so die Nährstoffe für das weiter Wachstum. In der Natur werden wir mit unserer eigenen Sterblichkeit konfrontiert und wir fühlen uns vielleicht melancholisch, verlassen und klein; gleichzeitig aber ruft dieser Kreislauf in uns etwas hervor, das uns glücklich macht uns bewusster macht für die kleinen Dinge im Leben. Betrachtet man die Blüte der Japanischen Zierkirsche (Sakura), die nur wenige Tage blüht, was in Japan ein großes Erlebnis ist und Hanami genannt wird, »Kreislauf von Leben und Tod« im Wald sieht man was für eine Schönheit in Vergänglichkeit steckt. Viele Japaner versammeln sich jedes Jahr um die Zierkirschbäume um dieses Spektakel zu beobachten, sie legen Planen unter die Bäume um die herab fallenden Blütenblätter aufzufangen. Diese Hochachtung vor der Vergänglichkeit und die Schönheit darin zu entdecken ist in der Japanischen Kultur tief verwurzelt.

»D a s w a h r e B u c h v o m süd lichen Blütenla nd«, Dschunang Dsi

Auf der Suche nach Wabi Sabi, eine persönliche Reise Vanessa Bührle »Hui Dsï redete zu Dschuang Dsï und sprach: ›Ich habe einen großen Baum. Die Leute nennen ihn Götterbaum. Der hat einen Stamm so knorrig und verwachsen, daß man ihn nicht nach der Richtschnur zersägen kann. Seine Zweige sind so krumm und gewunden, daß man sie nicht nach Zirkel und Winkelmaß verarbeiten kann. Da steht er am Weg, aber kein Zimmermann sieht ihn an. So sind Eure Worte, o Herr, groß und unbrauchbar, und alle wenden sich einmütig von ihnen ab.‹

Buch I. Wandern in Muße Der unnütze Baum, S.48

Dschuang Dsï sprach: ›Habt Ihr noch nie einen Marder gesehen, der geduckten Leibes

»Hanami«

4 Koren, L. (2011). Wabi-sabi für Künstler, Architekten und Designer (7.Aufl.).Tübingen: Ernst Wasmuth Verlag GmbH & Co. (S.52)

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lauert und wartet, ob etwas vorüber kommt? Hin und her springt er über die Balken und scheut sich nicht vor hohem Sprunge, bis er einmal in eine Falle gerät oder in einer Schlinge zugrunde geht. Nun gibt es aber auch den Grunzochsen. Der ist groß wie eine Gewitterwolke; mächtig steht er da. Aber Mäuse fangen kann er freilich nicht. Nun habt Ihr so einen großen Baum und bedauert, daß er zu nichts nütze ist. Warum pflanzt Ihr ihn nicht auf eine öde Heide oder auf ein weites leeres Feld? Da könntet Ihr untätig in seiner Nähe umherstreifen und in Muße unter seinen Zweigen schlafen. Nicht Beil noch Axt bereitet ihm ein vorzeitiges Ende, und niemand kann ihm schaden. Daß etwas keinen Nutzen hat: was braucht man sich darüber zu bekümmern!‹ « So wie Hui Dsï erging es auch mir, verzweifelt auf der Suche nach Orten und Dingen, die Wabi Sabi verkörpern, habe ich das wesentliche übersehen. Erst durch einen Spaziergang durch Konstanz, bepackt mit einer Kamera, sind mir besondere Orte ins Auge gestochen. Orte, die erst auf den zweiten Blick Ihren Charakter und Schönheit entfalten und oftmals nicht mehr von Nutzen sind, aber den Menschen Freude bereiten und Erinnerungen wecken. Auf den folgenden Seiten möchte ich den Leser anhand meiner Bilder mit auf eine Reise durch Konstanz nehmen und zumindest im Ansatz abbilden, was für mich Wabi Sabi ist.

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Auf der Suche nach Wabi Sabi, eine persönliche Reise Benjamin Weidmann Nach der Zeit, in der wir uns theoretisch mit dem Thema Wabi Sabi auseinander gesetzt haben und in den Besprechungen Donnerstags wurde deutlich, dass wir in unserer Gesellschaft den Dingen keine allzu großen Wert zusprechen. Wir suchen nach Dingen, die rund, weich und flach sind, leider sind diese Dinge auch in ihrer Bedeutung für uns genau so flach und weich, was heißt, dass den Objekten kein emotionaler Wert anheftet; wir schmeißen die Dinge sobald sie einen Kratzer oder eine Macke haben einfach weg. Wir – in unserer westlichen, modernen Welt – gehen diese besondere Bindung zwischen Objekt und Betrachter nicht mehr ein. Rückblickend würde ich sagen, dass wir sehr wohl eine Bindung zu unseren Objekten eingehen, aber diese Bindung ist vielmehr eine Abhängigkeit zu den Dingen: wir brauchen ein Mobiltelefon, um in Verbindung mit unserem Umfeld zu bleiben; genau so ist es mit dem Computer; Autos haben einen hohen Stellenwert, aber wir sind abhängig von ihnen, um von einem Ort zum anderen zu gelangen. Im Gegensatz zu diesen Dingen, folgt Wabi Sabi Objekten nicht zwingendermaßen mit einem bestimmten Zweck. Sie sind nicht gebunden, können sogar für andere Zwecke verwendet werden, wie für den ursprünglichen, für den sie geschaffen wurden: zum Beispiel nutzen die Mönche alte Dosen oder Schalen zur Aufbewahrung ihres Tees. Aus diesem Grund sind wir dazu übergegangen in unserem eigenen Umfeld nach Objekten des Wabi Sabi zu suchen. Dabei ist mir aufgefallen, dass ich eigentlich keine emotionale Bindung zu Dingen eingehe, dass es in meiner Wohnung kaum etwas gibt, was nicht einfach ersetzt werden könnte. Dennoch habe ich zumindest ein Möbelstück gefunden, was für mich persönlich Wabi Sabi bedeutet. Auf den folgenden Seiten werde ich genauer auf dieses Objekt eingehen und auch die Suche außerhalb der eigenen vier Wände versuchen zu beschreiben. Während ich Fotos betrachtete, die ich selbst gemacht habe, ist mir als erstes ein Erlebnis in den Sinn gekommen, bei dem ich bereits mit Wabi Sabi und seiner Herkunft aus der Natur in Kontakt kam: meine Reise alleine nach Island. Die einst negative Bedeutung Wabi Sabis, in der die Einsamkeit des Einsiedlers als etwas geringschätziges galt, wandelte sich und diese Einsamkeit wurde zur Möglichkeit der Inspiration und zu tieferer Einsicht in die Schönheit der unscheinbaren Aspekte der Natur.

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Diese Treppe aus Stahl führt auf einen seit circa 4000 Jahren nicht mehr aktiven Vulkan. Der Vulkan befindet sich im Süden Islands und die schmale Treppe führt von seinem Fuß bis an den Kraterrand. Der Blick von dort oben ermöglicht eine weite Sicht auf das Umland und man entdeckt Islands einmalige Vegetation. Man bekommt ein Verständnis dafür, wie Island sich zu der Insel entwickelte, die sie heute ist. Das Land wirkt unwirklich aufgrund seines kargen und doch eindrucksvollen Landschaftsbildes. Das Wetter ist unberechenbar; starke Winde wehen täglich über die Insel, der Winter ist eisig kalt. Die Felsen aus Lavastein sind Überreste von der Entstehung, stechen in der sonst flachen Landschaft heraus. Die Steine wirken zwar tot, doch gleichzeitig ist die Vulkanerde sehr nährstoffreich und bietet den heimischen Pflanzen eine gute Lebensgrundlage. Diese Umstände machen Island zu einem unbeschreiblichen Ort, etwas so karges kann gleichzeitig eine unglaubliche Schönheit ausstrahlen – Wabi Sabi in der Natur.

Island, September 2015

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Genau ein Jahr später bin ich nochmals nach Island gereist und habe Nordlichter (Aurora borealis) beobachten können. Dieses Spektakel entsteht durch elektromagnetisch geladene Teilchen, die auf das Magnetfeld der Erde treffen und dort Sauerstoffund Stickstoffatome ionisieren, die wiederum diese Energie in Form von Licht abgeben. Diese Lichterscheinungen dauern in der Regel nur sehr kurz an und sind zu Beginn leicht zu übersehen, da sie sich erst nur als weißer Dunst, der auch für eine Wolke gehalten werden kann, am Nachthimmel zeigen. Nach einer Weile entwickelt sich aber ein bewegendes Farbenspiel, das sich wie ein lebendiges Wesen über den Himmel bewegt.

September 2016, Die Nordlichter

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Nachdem sich ein allmähliches Verständnis für Wabi Sabi heraus kristallisierte, lag der Blick auf der näheren Umgebung. Als ich nach Konstanz gezogen bin, bekam ich von einem Freund einen Sessel geschenkt, der seinem verstorbenen Großvater gehörte. Dieser Sessel war bereits damals schon etwa 30 Jahre alt und zeigte Spuren des Gebrauchs. Das Netz in den Armstützen war bereits etwas ausgerissen und ein Fuß war gebrochen. Dieser Sessel ist mir erst durch die Befassung mit Wabi Sabi wirklich bewusst geworden, davor wurde er oft als Kleiderablage verwendet und einfach genutzt. Doch seit der intensiven Auseinandersetzung mit dem Wabi Sabi schätze ich diesen Sessel und jeden Kratzer viel mehr wert, da sie Geschichten von vielen Menschen erzählen.

Der Sessel

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AusgerĂźstet mit einer Kamera habe ich mich dann auch in Konstanz auf die Suche nach Wabi Sabi gemacht. Ich will versuchen nur mit den Bildern, die auf dieser Suche entstanden, zu illustrieren, wo man auch bei uns auf Wabi Sabi stoĂ&#x;en kann.

Wabi Sabi in Konstanz

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Auf der Suche nach Wabi Sabi, eine persönliche Reise Marion Probst Das Erleben von Wabi Sabi, erfordert einen aufmerksamen Körper und Geist des Betrachters. Sich Zeit nehmen, um mit Achtsamkeit, d.h. mit vollem Gewährsein in den gegenwärtigen Moment eintauchen, um das wahrnehmen zu können, was im Körper, in den Gefühlen und der Wahrnehmung bei der Betrachtung der Dinge in uns geschieht. Wie bei der Teezeremonie sollten die Gedanken im Hier–und–Jetzt sein, denn nur so ist uns der gegenwärtige Moment zugänglich und oft nehmen wir erst dann die Dinge, besonders die vernachlässigten, wahr und erkennen ihre Schönheit. L. Koren drückt dies in seinem Buch wie folgt aus: »Vielmehr hat es mit dem Nebensächlichen und Verborgenen zu tun, mit dem Vorläufigen und »...wen n du nicht von Flüchtigen: Dinge, die so zart und verschwinDingen Tief in deine m dend klein sind, daß das gewöhnliche Auge sie eigenen Herzen schreibst, nicht zu erkennen vermag. [...] Infolgedessen Was ist denn da der Sinn, bedeutet das Erleben von Wabi Sabi, daß man so viele Worte zu machen.« seinen Schritt verlangsamen, geduldig sein 6 und sehr genau hinsehen muß.«5 Wabi Sabi Gegenstände oder Orte wecken in uns persönliche Erinnerungen, die wir in unserem Geiste vervollständigen und mit Hilfe unseres Gedächtnisses weitertragen. Das Weitergeben und das Erzählen dieser Geschichten, lässt bei den Zuhörern oder Lesern Bilder erzeugen, sodass diese in ihrem Geiste und mit ihrem Vorstellungsvermögen die Geschichten weiterschreiben könnten. Die Bilder die ich auf meiner Suche gemacht habe und die persönlichen Geschichten hinter den Objekten, habe ich mit einigen Zitaten ergänzt. Die Mauer I Der Xiangshan Campus in Hangzhou in China von Wang Shu entworfen, zeigt ein außergewöhnliches Mauerwerk. Die Schichtung ist unregelmäßig mit unterschiedlichsten Materialien. Beim genaueren Betrachten fallen beispielsweise die horizontal gestapelten 5 34 Koren 2011, S. 48 6 Ryōkan 1999, S. 9

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Dachziegel auf, die verschiedenen Materialstärken und –Verfärbungen – die zum einen auf die Verwitterung schließen lässt, zum anderen auf die Spuren, die die Gegenstände bei der Wiederverwendung erfahren und durchlaufen haben könnten. Jede Schicht dieses Mauerwerkes trägt einen unvergleichlichen Abdruck seiner Zeit. Dieses Beispiel habe ich während der SummerSchool in China 2013 fotografiert. Doch nicht nur in Asien können wir Wabi Sabi Objekte aufspüren, sondern auch in unserem gewohnten Umfeld. Die Mauer II Ein mir noch persönlich bekannteres Beispiel ist das Mauerwerk, welches mein Opa im Jahre 2002 bis 2003 herstellte. Das Mauerwerk in der Nähe zu unserem Haus, dient als Stützmauer zwischen der angrenzenden Waldwiese und dem Zufahrtsweg. Nur einige wenige Meter entfernt fließt ein Fluss, aus diesem er die Steine für die Mauer in mühsamer und bedachter Weise gesammelt hatte. Die Steine ließ er in seiner natürlichen Form – unbehandelt, rau und grob. Dennoch setzte er jeden Stein passend zum anderen. Mir ist »Alle Dinge sind heute noch gut in Erinnerung, wie er Stein für vergänglich«7 Stein nahm und in so drehte, dass er zu den »Denn alles vergeht. Die bestehenden Steinen passte. Manchmal legte Planeten und die Sterne, er wieder einen Stein weg und nahm genau den sogar i m m aterielle Stein, der neben mir lag. Wie ein großes Puzzle Dinge [...] - alles gerät fügte er Stein für Stein zu einem Ganzen. schließlich in VergessenEinmal habe ich ihn gefragt, warum er denn heit [...].«8 diesen großen Stein nicht nimmt und er antwortete mir »ach ich werde noch einen passenderen Stein finden«. Diese Gelassenheit und Beständigkeit mit der mein Opa an dieser Mauer gearbeitet hat, ist für mich heute noch zu spüren. Ich kann nicht sagen, ob es an der unregelmäßigen Form, der natürlichen Schwingung entlang der Waldwiese, die die Mauer aufnimmt, an den Erinnerungen an meinen Opa verknüpft mit dem Entstehungsprozess der Mauer liegt, aber für mich trägt sie die Schönheit des Wabi Sabi Gedanken in sich. Vielleicht liegt es auch an den verwischten Spuren durch die Natur, das Moos, das sich zwischen den Steinen mehr und mehr ausbreitet oder die Blüten der Wiese, die auf den Steinen beim Herunterfallen liegen bleiben. 7 Koren 2011, S. 45 8 Ebd. S. 47

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Beim aufmerksamen Betrachten dieser Mauer fiel mir über der eingeritzten Jahreszahl einige Vergissmeinnicht-Blumen auf. Ich musste an meinen Opa denken. Der Gedanke, dass er letztes Jahr gestorben ist ließ meinen Kopf senken und ich bemerkte, dass ein heruntergefallenes Vergissmeinnicht an der Mauer lag, blass und bereits am Vergehen. Blumen »Alle Dinge sind unvollständig. Alle Dinge einschließlich des Universums selbst befinden sich in einem ununterbrochenen, niemals endenden Zustand des Werdens und Vergehens. Oft bezeichnen wir willkürlich Momente oder Punkte entlang des Weges als ›beendet‹ oder ›vollständig‹. Aber wann erreicht etwas seine schicksalhafte Erfüllung? Ist die Pflanze dann vollständig, wenn sie blüht? Wenn sie Samen trägt? Wenn die Samen keimen? Wenn alles zu Dünger wird? Die Vorstellung von der Vollständigkeit besitzt in der Konzeption von Wabi Sabi keine Grundlage.«9 Ein Vergissmeinnicht am Rande einer Waldwiese. Das erste Bild zeigt im selben Bild eine blühende Blühte und eine Blühte die bereits vergeht. Es zeigt einen Moment »in dem Glück und Schmerz nebeneinander bestehen, ja eigentlich eins sind: sobald das Glück seinen Höhepunkt erreicht hat, muß es wieder abnehmen. Das Empfinden der Flüchtigkeit jeden Glücks und der Vergänglichkeit der Welt ist [...]«10 ein Sinnbild für den Kreislauf des Lebens, sowie er auch »in der buddhistischen wie in der taoistischen Philosophie zu finden ist. Die Kirschblüte ist in Japan das allgemein anerkannte Symbol dieser Einheit von Schönheit und Verfall, Leben und Tod.«11 Die beiden nebenstehenden Bildern zeigen Blühten die bereits vom Stängel der Blume losgelassen haben, heruntergefallen sind und an diesem Ort vergehen und sich zum Nichts auflösen werden. Bei genauerer Betrachtung fallen die unterschiedlichen Farbnuancen des Vergeh–Prozesses der Blühten auf. »Neue Dinge entstehen aus dem Nichts. Aber wir können bei flüchtiger Betrachtung kaum bestimmen, ob etwas gerade im Entstehen begriffen ist oder bereits wieder vergeht.«12 9 Koren 2011, S. 47f. 10 Schuster 1977, S. 44 11 Ebd. S. 44 12 Koren 2011, S. 42

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Saxophone Das Tenorsaxophone gehört meinem Vater, dieser hat es als Vermächtnis von seinem Vater bekommen. Sein Vater spielte auf diesem Saxophone und auch meinen Vater höre ich ab und zu auf diesem spielen. Zeugen der Benutzung sind die angelaufenen Stellen, der stumpf gewordene Glanz durch die Abnutzungen der Klappdeckel, trotz dass diese mit Perlmutt besetzt sind. Das Perlmutt befindet sich auf den Klappdeckeln, an der jeweiligen Fingerposition als Knöpfe und dienen dem Instrument auch als Schutz, da diese von den Fingerspitzen etliche Male beim Spielen bedient werden. Die überwiegenden Komponenten des Saxophones, wie der Korpus, Schallbecher, Bogenteil, usw. sind aus Blech gefertigt und sind mit einem Goldlack versehen. Diese Lackierung verflüchtigte sich besonders an dem oberen Teil, kurz nach dem Mundstück, dem sogenannten S-Bogen des Instrumentes. Die matt und trübe gewordenen Stellen sind einzigartige Spuren der Zeit und zeigen sich in der Strukturveränderung des Materials wieder. Meine Erinnerungen sind gewiss andere als die meines Vaters, dennoch ist es das gleiche Instrument, welches durch die verschiedenen Betrachtungen andere Geschichten aufkommen lässt. Die Spuren der Zeit die durch das Material sichtbar werden, die Melancholie die geweckt wird beim genauen Betrachten verflüchtigt sich in pure Freude, sobald das Instrument gespielt wird und Melodien erklingen. Genau diese Gleichzeitigkeit drückt für mich persönlich auf eine sehr eindrucksvollen Art und Weise den Wabi Sabi Gedanken aus. »Alle Dinge sind unvollkommen Nichts was existiert, ist ohne Mängel. Wenn wir etwas wirklich gründlich betrachten, entdecken wir seine kleinen Fehler. Die scharfe Kante des Rasiermessers lässt unter dem Vergrößerungsglas mikroskopisch kleine Vertiefungen, Splitter und bunte Flecken sichtbar werden. [...] Und wenn Dinge anfangen, in die Brüche zu gehen und sich ihrem ursprünglichen Zustand nähern, werden sie noch unvollkommener und unregelmäßiger.«13 »Wabi Sabi-Bilder zwingen uns, über unsere eigene Sterblichkeit nachzusinnen, und sie rufen ein Gefühl existentieller Verlassenheit und zarter Traurigkeit wach. Doch sie lassen in uns zugleich gemischte Regungen bittersüßen Trostes aufkommen, da wir wissen, daß alle Lebewesen das gleiche Schicksal ereilt.«14 Die Objekte und Orte die in meinem Verständnis den Wabi Sabi Geist in sich tragen, habe ich mit Hilfe von Geschichten versucht auszudrücken, um die Gleichzeitigkeit die bei jedem Betrachten solcher Gegenstände im Geiste ausgelöst werden, sprich die äußere Realität und die ablaufende semantische Artikulierung von Bewusstsein – in Wort und Fotografie abzubilden. 13 Koren 2011, S. 47 14 Ebd. S. 52

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Die Suche, sowie meine persönliche Auseinandersetzung mit dieser Thematik, hat noch lange kein Ende, dieses Thema hat meine Begeisterung und Neugierde geweckt. An dieser Stelle möchte ich wieder auf die Worte des Zen-Meisters Ryōkan verweisen: Der Gegensatz zu Wabi Sabi Anschmiegsamkeit und Widerstandslosigkeit sind laut Byung-Chul Han die Wesenszüge der Ästhetik des Glatten, die in der heutigen Zeit oft als schön empfunden wird. Doch warum finden wir heute das Glatte schön? Es verletzt nicht. Von ihm geht auch kein Widerstand aus, zudem wird der menschliche Vorgang der Bearbeitung durch die fugenlosen und vollkommenen Formen völlig verschleiert. Dies führt dazu, dass wir auf den spiegelglatten Oberflächen nicht dem anderen, dem Fremden sondern nur uns selbst begegnen.

»Selbst wenn du so viele Bücher verschlingst, Wie es Sandkörner im Gange gibt, Das ist doch alles nicht so viel wert Wie das wirkliche Erfassen eines einzigen Zen-Verses. Wenn du das Geheimnis des Buddhismus wissen möchtest, Hier ist es: Alle Dinge sind im Herzen!«15

Hierbei nennt er in seinem Buch »Die Errettung des Schönen« Beispiele die einen sehr gegensätzlichen Schönheitssinn zur Wabi Sabi Philosophie verkörpern. Anhand von zwei Beispielen, sowie eigenen Aufnahmen, soll die kontrastreiche Auffassung die in unserer heutigen Zeit existiert abschließend verdeutlichen, was im Kontrast zum Wabi Sabi Gedanken steht. Nach Byung-Chul Han lösen glatte Oberflächen bei Betrachtern einen haptischen Zwang aus – das Objekt »zu betasten, sogar die Lust, daran zu lutschen« wird geweckt. Er begründet dieses Phänomen, das von der Positivität des Glatten ausgeht, mit der fehlenden Negativität, die den Betrachter zu einer Distanzlosigkeit einlädt. Doch um Kunst beurteilen zu können braucht es eine gewisse Distanz, diese wird allerdings durch die glatten Oberflächen abgeschafft, sie laden »den Betrachter zur Distanzlosigkeit, zum Touch ein.« Er geht sogar soweit, dass er behauptet: »der haptische Zwang oder die Lutschlust [sei] nur möglich in der sinnentleerten Kunst des Glatten.« Er ist der Meinung, dass das Glatte lediglich ein angenehmes Gefühl vermittelt, bei dem sich aber kein Sinn, kein Tiefsinn verbinden ließe. »Es erschöpft sich im Wow.«16 15 Ryōkan 1999, S. 139 16 Buch S. 11

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Skulpturen von Jeff Koons Der Künstler ist ein Meister der glatten Oberflächen. Bei seinen Objekten gibt es »keine Verletzungen, keine Brüche, keine Risse, auch keine Nähte« zu sehen. »Alles fließt in weichen, glatten Übergängen. Alles wirkt abgerundet, abgeschliffen, geglättet. Jeff Koons‘ Kunst [...] gibt nichts zu deuten, zu entziffern oder zu denken. [...] Sie ist jeder Tiefe, jeder Untiefe, jedes Tiefsinn entleert.«17 Seine glänzenden Skulpturen wirken auf den Betrachter wie »schwerelose Seifenblasen aus Luft und Leere.«18 Smartphone von LG G Flex Das Smartphone weist eine selbst-heilende Haut auf, die jegliche Kratzer nach kürzester Zeit verschwinden lässt. Die künstliche Haut hält das Smartphone immer glatt. Seine biegsame und flexible Form, die leicht nach innen gebogen ist, soll sich so dem Gesicht und dem Gesäß perfekt anschmiegen.19 Applizierte Wandverkleidungen Beide Wandverkleidungen wurden während der Summer School 2013 in China aufgenommen. Sie stehen im kompletten Gegensatz zu dem Wabi Sabi Gedanken. Durch die glatten, spiegelnden Oberflächen begegnet der Betrachter nicht dem Fremden, sondern nur sich selbst, sowie es bei den hochglanzpolierten Smartphones oder den Skulpturen von Jeff Koons der Fall ist. Es gibt keine Innerlichkeit die sich hinter den glatten Oberflächen verbirgt, wir können lediglich unsere Selbstgewissheit in diesen Objekten bestärken.

»Balloon Dog« von Jeff Koons

LG G Flex

17 Byung-Chul 2015, S. 11 18 Ebd. S. 10 19 Ebd. S. 12 Wandverkleidung in China

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Fazit Die Bilder die während unserer Suche nach Wabi Sabi Gegenständen entstanden sind und die kontrastreichen Bilder aus dem letzten Kapitel verdeutlichen zwei radikal verschiedene Auffassungen der Ästhetik. Wir können nur appellieren sich Zeit zu nehmen, um die Dinge einmal mit »anderen» Augen zu betrachten, genauer zu betrachten und dazu einladen am Schönen zu verweilen. »Der Geist ist ewig, sofern er die Dinge unter dem Aspekt der Ewigkeit begreift. Die Aufgabe der Kunst besteht demnach in der Errettung des Anderen. Errettung des Schönen ist Errettung des Anderen.«20

Literatur Byung-Chul Han: Die Errettung des Schönen, Frankfurt 2015 Koren Leonard: Wabi-sabi. Für Künstler, Architekten und Designer, Tübingen 2011 Meister Ryōkan: Alle Dinge sind im Herzen. Poetische Zenweisheiten, Freiburg/ Basel/Wien 1999 Schuster Ingrid: China und Japan in der deutschen Literatur 1890-1925, Bern/ München 1977

20 Byung-Chul 2015, S. 9

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Zen Einflüsse in der modernen japanischen Architektur Anna Jundt Amelie Trautmann Theresa Tacke

Zen – von der Einfachheit zur Volkskultur Der Zen-Buddhismus stellt eine meditativ abgelegte Art des chinesischen Mahâyâna Buddhismus dar. Der Einfluss des Zen Buddhismus auf die japanische Architektur lässt sich nur im Zusammenhang mit der japanischen Kultur und dem Wesen des japanischen Volkes begreifen. Anhand eines kurzen Rückblicks auf die Geschichte des Zen lässt sich erkennen, wie sich der anfangs elitäre Zen-Buddhismus zu einer Volkskultur entwickelt hat, welche bis heute tief im Wesen des japanischen Volkes verankert ist. Mit bereits 1000 Jahren Geschichte, erreichte der Buddhismus erst im 6. Jahrhundert Japan. Durch sein »optimistisches Menschenbild, sein Glaube an den Erlösungs– und Erleuchtungswillen faszinierte (er) die Menschen.«1 1191 nimmt der Zen mit dem Etablissement der Rinzai-Schule großen Einfluss. Myoan Eisai studierte mehrere Jahre Zen in China und gründete auf dessen Grundlage das erste Rinzai-Kloster in Japan. In ihrem Wesen und Anspruch ist dieser einfacher und fokussierter verglichen mit den älteren Strömungen des Buddhismus, er setzte auf Meditation und mönchisches Leben. Ab dem 14. Jahrhundert schließlich nimmt der Zen-Buddhismus in Form seiner streng enthaltsamen und entsagenden Lebensweise Einfluss auf die Wohn– und Gedankenwelt der Japaner, dessen Ästhetik bis zum heutigen Tag Präsenz zeigt. Zen – Nichts Der Zen-Buddhismus unterscheidet sich in vielen Gesichtspunkten von anderen Glaubensrichtungen, denn Ziel des Zen ist die Seins– und Bewusstseinserfahrung. Diese Immanenz bedeutet ein Bewusstsein für das Hier und Jetzt zu entwickeln. Es stellt das Gegenteil einer Weltflucht, einer angestrebten Transzendenz, dar.2 Der gravierendste Unterschied zwischen dem Zen-Buddhismus und den meisten anderen Religionen stellt jedoch das Fehlen eines Gottes dar. Im Zen wird kein Gott angebetet, vielmehr sucht man den Zustand des »Nichts«. Es verkörpert dabei keine göttliche Kraft. Vom Nichts geht keine Herrschaft aus. Das Nichts kennzeichnet keine substanzielle Macht. Es lässt nichts entstehen oder werden.3 Das Weltbild des Zen-Buddhismus ist daher auf das Hier und nicht auf das göttliche Dort ausgerichtet. 1 Pörtner, Peter: Japan: Von Buddhas Lächeln zum Design; eine Reise durch 2500 Jahre japanischer Kunst und Kultur, DuMont Reiseverlag, 1998, S. 31 2 vgl. Han, Byung-Chul: Philosophie des Zen-Buddhismus, Stuttgart 2002, S. 6 3 vgl. ebd., S, 13

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In der Zen-Meditation wird der Versuch gewagt, sich dem Nichts zu nähern und in einen Zustand der Leere zu gelangen. Das Ziel ist es nicht in einen höheren Seins-Zustand zu gelangen. Dies würde eine Transzendenz bedeuten. Vielmehr geht es in der Meditation darum, die eigene Subjektivität abzulegen und eins zu werden mit dem Hier und den Dingen. Die ganze Welt zeigt sich in den Dingen.4 Nichts verkörpert also kein Fehlen, sondern die Abwesenheit von Wille, Macht und Subjektivität. Es existiert im Nichts keine Konzentration, weder auf einen Herrscher noch auf eine Mitte von welcher eine Kraft ausgehen könnte.5 Es ist keine Ausrichtung vorhanden, das Nichts findet überall zu gleicher Maßen statt. Die Mitte ist überall. Nichts bringt das Gewöhnliche zum Erwachen. Das Nichts bewohnt das Hier und Jetzt. Nichts bedeutet die Versenkung und Vertiefung in das Alltägliche, das Verschmelzen mit den Dingen.6 Zen – Leere Der buddhistische Grundbegriff sûnyatâ bedeutet Leerheit. und steht als Gegenbegriff zur Substanz. Substanz bedeutet soviel wie Aktivität des Bestehens, Aktivität des Beharren. Eine Substanz ist eine Definition des Einzelnen und damit zugleich auch eine Trennung des Einen vom Anderen, sie stellt einen geschlossenen Zustand dar.7 Die Substanz ist gefüllt mit ihrem Eigenen, die buddhistische Leere hingegen stellt einen Enteignungsvorgang dar. Leere intensiviert sich nicht mehr zu einer Substanz, lässt die Grenzen zwischen dem Einen und dem Anderen schwinden. Dinge enthalten nichts Vollkommenes mehr, vielmehr gehen sie ineinander über und durchdringen sich wechselseitig. Die Leere bewirkt einen Fluss, eine Bewegung zwischen den Dingen und Formen.8 Leere bedeutet auch eine Lossagung von Subjekten und Objekten. »Der Blickende wird zum Erblickten«9. Das Eine beginnt im Anderen zu weilen, es lässt sich nicht mehr begreifen wo das Eine beginnt und das Andere endet. Es findet eine Lossagung von der Beengung einer Identität statt, die Dinge bewegen sich immer stärker ineinander und münden in einer All-Einheit.10 Obwohl die Dinge sich vermengen bedeutet Leere nicht eine vollständige Verwertung des Einzelnen. Eine absolute Auflösung würde bedeuten, dass die Dinge sich zu einer Einheit vereinen und damit wieder 4 vgl. ebd., S, 23 5 vgl. ebd., S, 15 6 vgl. ebd., S, 39 7 vgl. ebd., S. 46 8 vgl. ebd., S. 48 9 ebd., S. 47 10 vgl. ebd., S. 49

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zu einem isolierten Zustand zurückgeführt würden. Eine Durchdringung der Dinge stellt vielmehr eine Dynamik dar, in welcher der Charakter des Einzelnen erst begreifbar wird.11 Zen – Weiß Im Zen-Buddhismus besteht ein enger Zusammenhang zwischen dem Begriff der Leere und der Farbe Weiß. Weiß löst die Identität aller anderen Farben in sich auf. Die Farbe Weiß stellt eine All-Einheit aller Farben dar, also ein absolutes Durchdringen aller Farben. Jede Farbe ist demnach in Weiß enthalten, jede Farbe gewinnt im vereinten Weiß an Weite, Tiefe und Stille.12 Zen – Sieben Merkmale Beruhend auf der wesentlichen Begebenheit des Zen, nämlich der Leere, nennt Shin’ichi Hisamatsu in seinem Buch »Zen and the fine Arts« sieben Merkmale des Zen. Anhand der dieser Charakteristika wird erkennbar ob bzw. das eine Sache oder ein Gegenstand vom Zen durchdrungen wurde. Asymmetrie Sie ist als nicht festgelegte Form zu verstehen. Das unheilbare der »Leere« findet in der Asymmetrie ihren Ausdruck als Form. Zudem stellt die Asymmetrie den Gegenpol der Symmetrie, der Perfektion und Endgültigkeit dar.13 Einfachheit Die Einfachheit offenbart das ursprüngliche Wesen der Dinge. Es ist befreit von Verzierungen, Überladungen und Kompliziertheit.14 Innere Ruhe Innere Ruhe impliziert die Abwesenheit von Gedanken und Theorien. Eine Reiznegation ermöglicht die Ausblendung der Umwelt und eine nach innen gerichtete Konzentration.15 Kein Anhaften Das Lossagen von jeglichen Regeln und Definitionen wie Form oder Raum ermöglicht erst eine Durchdringung der Dinge.16 Natürlichkeit Die Natürlichkeit beschreibt die ungekünstelte Erscheinung der Dinge. In der Künstlichkeit herrscht ein Dualismus zwischen Geist und Natur. In der Natürlichkeit hingegen verschmelzen Geist und Natur, Objekt und Subjekt miteinander.17 Subtilität Die Subtilität beschreibt den Zustand der wechselseitigen Durchdringung von 11 vgl. ebd., S. 55 12 vgl. ebd., S. 49 13 vgl. Hisamatsu, Shin’ichi: Zen and the fine Arts, Otawa 1971, S. 29f. 14 vgl. ebd., S. 30f. 15 vgl. ebd., S.31f. 16 vgl. ebd., S. 34f. 17 vgl. ebd., S. 32f.

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Dingen. Das Einzelne wird nie komplett sichtbar. Das Gezeigte verweist nicht auf sich selbst sondern auf das Nichtgezeigte. Eine vollständige Offenbarung bedeutet eine abgeschlossene Darstellung.18 Raue Geläutertheit: Die Betrachtung der Dinge endet nicht an der Oberfläche. Das Begreifen der ganzen Persönlichkeit, also auch die gealterte Schönheit, die Patina, ermöglicht ein Durchdringen zur Essenz der Dinge.19 Die vorgestellten Merkmale müssen als eins verstanden werden. Sie durchdringen sich gegenseitig. Zen – Tadao Ando Die Signifikanz in Andos Architektur basiert auf zwei grundlegenden Methoden. Einerseits verzichtet Ando auf alle Elemente, welche dem Purismus , der Reinheit des Raumes und der damit verbundenen absoluten Raumintensität im Wege stehen könnten. Die Anwendung der Methode umfasst eine Negation jeglicher Ablenkung im Raum. Jede Unterbrechung bedeutet eine Minderung der Wahrnehmungsfähigkeit des Menschen.20 Um Ablenkungen im Raum zu vermeiden lässt Ando von jedem Ausdruck der inszenierten Farbe, Materialität oder übersteigerten Form im Raum ab. Das Resultat dieser Methode zeigt sich in einer schlichten Formensprache, analogen Materialien und einem relativ uniformen Farbspektrum. 21 Diese Reduktion auf einfachste geometrische Formen und gleichartige Farben verbannt in Ando’s Architekturverständnis jegliche visuelle Reize, welche durch eine spektakuläre Form oder Farbe hervorgerufen werden würden.22 Der Blick schweift nicht reizgesteuert umher, er kann zur Ruhe kommen und sich fokussieren. Die Negation von Formen lässt sich auch in Andos Bauweise finden. Er verzichtet auf jede Form der Skelettbauweise und verwendet ausschließlich Wandscheiben. Die Wand als solche fungiert als eingrenzendes Element des Raumes und definiert ein Innen und Außen. Sie schirmt die Außenwelt von der Innenwelt ab. Gleichzeitig hat sie die Funktion des Filters Inne. Die Wand schafft beispielsweise durch Öffnungen einen Übergang von Innen und Außen. Innenraum und Außenraum werden definiert und treten zugleich in Interaktion. Die Wandscheibe fördert demnach den Fluss, die Bewegung im Raum. Säulen oder Stützen hingegen setzen sich als separates Element im Raum ab. Aufgrund ihrer isolierten Präsenz verhindern sie einen fließenden Übergang von Bauteilen im Raum. Ando reduziert also die Faszinationskraft der Form zugunsten der Kraft des Raumes. Die Form wird auf das Einfachste zurückgenommen um den reinen Raum hervor18 vgl. ebd. S. 33f. 19 vgl. ebd., S. 36f. 20 vgl. Blaser, Werner: Tadao Ando; Architektur der Stille, Architecture of silence, Basel 2001, S. 12 21 vgl. ebd., S. 14 22 vgl. ebd., S. 16

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zuheben.23 Die zweite grundlegende Methode in Andos Architektur ist die Spannung im Raum. Diese ist notwendig, um den puristischen Raum nicht eintönig werden zu lassen. Der Raum muss die geometrische Geschlossenheit durchbrechen, eine Dynamik entwickeln um der Monotonie zu entkommen.24 Indem Ando »Form gegen Form, Form gegen Raum und Natur gegen Geometrie«25 stellt, verhindert er, dass die geometrische Ordnung als Einheit wahrgenommen wird. Die Formen und Räume durchdringen sich gegenseitig und schaffen dadurch eine Bewegung, einen Fluss in seiner Architektur. Ando erzeugt eine gegenseitige Durchdringung der Elemente seiner Architektur indem er das Ganzes teilt und somit einzelne Segmente aufzeigt. Anders als bei einer Komposition von Einzelteilen zu einem Ganzen, lassen sich geteilte Segmente aus dem Ganzen nie isoliert erkennen. Ando nutzt den Raum und die Materialität als Bindemittel, sodass ein Segment niemals zu einem Einzelteil ausbrechen kann.26 Die folgenden drei Projekte zeigen beispielhaft die konsequente Umsetzung von Andos Architekturverständnis. Ausgewählt wurde zum Einen der Meditationsraum in Paris. Dieses Bauwerk zeigt wahrscheinlich am deutlichsten das Ereignis der Leere als gebaute Architektur. Zum Anderen werden zwei Wohnhäuser vorgestellt. Das Haus Azuma, ein frühes Bauwerk Andos und das Wohnhaus 4 x 4 aus seiner späteren Schaffenszeit. Anhand der Wohnhäuser soll eine mögliche Entwicklung in Andos Verständnis von Leere in der Architektur dargelegt werden. Meditationsraum In den Jahren 1994 und 1995 ließ Ando zu Ehren des 50. Geburtstages der UNESCO einen Meditationsraum erbauen. Der zylindrische Baukörper steht inmitten eines Wasserbecken vor dem Sitz der Organisation in Paris und wurde als Ort des Gebets errichtet. Der Meditationsraum misst eine Höhe von 6,5 m und ist aus 3,25 m hohen Betonfragmenten zusammengesetzt. Seine Grundfläche umfasst 33 m2 . Ein Betonsteg führt über das künstliche angelegte Wasserbecken zum Zylinder, welcher wie eine Insel in seiner Umgebung sitzt. Neben den gegenüberliegenden Eingangsöffnungen bleibt ein runder Lichtschlitz in der Decke des Raumes die einzige Öffnung.27 Der Meditationsraum stellt mit seiner auf das Einfachste heruntergebogene Form ein gutes Beispiel für Ando’s Architekturtheorie dar. Durch die maximale Zurücknahme der Form wird die Reinheit des Raumes stark hervorgehoben. Beim Betreten des Inneren bleibt dem Blick eine Abwechslung der Formen versagt, er kann sich nur noch auf den eigentlichen Raum fokussieren. Neben dem Purismus der Form lässt sich 23 vgl. Furuyama, Masao: Tadao Ando, Basel 1996, S. 14 24 vgl. ebd., S. 9 25 vgl. ebd., S. 11 26 vgl. ebd., S. 17 27 vgl. Furuyama, Masao: Ando, Köln 2016, S. 69f

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auch der Aspekt der Spannung durch eine Teilung von Bauelementen erkennen. Durch den Schlitz in der Decke des Zylinders dringt ein Lichtstrahl in das Innere des Raumes. Das Wechselspiel von Licht und Schatten erzeugt eine Bewegung im Inneren und löst die Einheit der Form in einzelne Segmente wie Dach und Wand auf. Durch das Bindemittel der Materialität, in diesem Fall Beton, können die Segmente jedoch nicht zu isolierten Einzelteilen zerfallen. Aufgrund des steten Wechselspiels von Anwesenheit und Abwesenheit der Segmente wird ihre Präsenz intensiv wahrgenommen. Im Innenren des Raumes entsteht eine zentrierte Konzentration und die Oberfläche der Betonwand wird zur Projektionsfläche menschlichen Bewusstseins. Die Ruhe des Raumes lässt alle Erregung des Menschen abklingen und überführt ihn in einen Zustand der Meditation. und die Oberfläche der Betonwand Meditationsraum wird zur Projektionsfläche menschlichen Bewusstseins. Haus Azuma Das Haus Azuma wurde 1975 - 1976 in Osaka erbaut. Der zweigeschossiger quaderförmige Betonbau ist über die gesamte Grundstücksfläche gebaut und in drei Teile klassifiziert. Den mittigen Teil des Hauses nimmt ein Innenhof ein. Er trennt die beiden geschlossenen Gebäudeteile voneinander. Ein Steg im 1. Obergeschoss verbindet sie wieder und bietet im Erdgeschoss ein geschützten Übergang zwischen den Gebäudeteilen. Die Treppe zum 1. Obergeschoss befindet sich ebenfalls im Innenhof. Der vordere Teil des Hauses beherbergt im Erdgeschoss den Wohnraum und im Obergeschoss das

Haus Azuma

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Elternschlafzimmer. Im hinteren Teil des Hauses befindet sich im Erdgeschoss das Bad, die Küche und das Esszimmer. Im Obergeschoss ist ein Kinderzimmer untergebracht.28 Die Bewohner sind bei jedem Funktionswechsel dazu gezwungen den Innenhof zu durchqueren und das Wetter wahrzunehmen. Damit wird im Innenhof die 5. Fassade nämlich der Himmel erlebbar. Es entsteht eine Vereinigung des Leben der Bewohner mit der Natur. Auch das Haus Azuma stellt in seiner Haus Azuma stark reduzierten quaderförmigen Erscheinung eine Hervorhebung des reinen Raumes dar. Ando erzeugt im Azuma Haus eine Spannung durch die Dreiteilung des Quaders. Die eigentlichen Innenräume werden durch einen Außenraum separiert, dieser nimmt im Gesamtgefüge jedoch auch die Rolle des Innenraums ein. Die Betonoberflächen weisen sowohl von Außen und Innen ein gleiches Aussehen auf. Ihre Definition als einzelnes Bauteil wird aufgelöst. Es entsteht ein fließender Übergang von Innenraum und Außenraum. Innen und Außen durchdringen sich wechselseitig. Die zum Umfeld verschlossene Außenfassade kann als Ausblenden der Außenwelt wahrgenommen werden und unterstützt damit die nach innen gerichtete Konzentration. 4 x 4 Haus Das 4 x 4 Haus wurde im Jahr 2003 in Kobe realisiert und stellt damit ein späteres Bauwerk Andos dar. Auf einer Grundstücksfläche von nur 65,4 m2 errichtet Ando einen viergeschossigen Turm mit den Grundmaßen von 4 m x 4 m. Im Erdgeschoss befindet sich der Eingang und das Bad. Im ersten Obergeschoss ist das Schlafzimmer untergebracht und im zweiten Oberschoss befindet sich ein Arbeitszimmer. Das dritte Obergeschoss ist im Raster um einen Meter zur Seite und um einen Meter nach Vorne zum Wasser herausgeschoben. Ein großes Panoramafenster fängt die komplette Natursituation ein. Hier sind Wohnen und Kochen untergebracht.29 Auch der Wohnturm offenbart in seiner immens dezimierten Grundform eine Betonung des reinen Raumes. Mittels der Verschiebung des dritten Obergeschosses erzeugt Ando eine Spannung im Gebäude. Durch diese hervorgerufene Asymmetrie schwindet zudem eine Definition von einzelnen Bauteilen. Der Boden des dritten Geschosses wird gleichzeitig zur Außenwand. Die Außenwand wird zur Innenwand im zweiten Geschoss. 28 vgl. Furuyama, Masao: Tadao Ando, Basel 1996, S. 37ff 29 vgl. Jodidio, Philip: Ando, complete works 1975-2014, Köln 2014, S. 467

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Eine Durchdringung Von Innen und Außen findet gleichermaßen statt wie eine Durchdringung der einzelnen Bauteile. Die beiden Wohngebäude scheinen im ersten Augenblick viele Unterschiede und wenig Gemeinsamkeiten aufzuweisen. Allerdings lassen sich bei genauerer Betrachtung etliche wiederkehrende Elemente finden. Neben den offensichtlichen Gemeinsamkeiten wie der absoluten Einfachheit in Form und Materialität, dem Durchdringen der Elemente und der radikalen Eliminierung künstlicher Effekte, findet sich auch im Umgang mit der Umgebung eine Ähnlichkeit. Zwar besitzt das 4 x 4 Haus keinen Innenhof, trotzdem wird durch das Panoramafenster ein starker Bezug zur Umgebung erzeugt. Der Bewohner nimmt nicht aktiv das Wetter wahr, durch die beidseitige Verglasung des 3. Obergeschosses wird aber wie im Haus Azuma der Tagesverlauf anhand des Schattenwurfs ablesbar. Damit durchdringt die Natur auch im 4 x 4 Haus einen Teil des Innenraums. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Tadao Ando im Laufe der Jahre seine Ästhetik weiterentwickelt, seiner Ideologie und Formensprache bleibt er jedoch treu. Alle vorgestellten Bauwerke zeigen deutlich die Charakteristika des Zen. Sein ganzes Werk wirkt wie ein in sich abgeschlossener Prozess bei dem jedes Bauwerk eine Weiterentwicklung seines Vorgängers darstellt. Andos bestimmter durchgängiger Stil bleibt immer erkennbar. 4 x 4 Haus

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Zen – Toyo Ito Den Toyo Ito-Stil gibt es nicht, alle seine Gebäude entstehen im Dialog mit seinen Mitarbeitern, dem Auftraggeber, der Umgebung und der Kultur.30 So entstand auch eines seiner ersten Häuser, das White U in Tokyo, 1976. Dieses Haus entwarf Ito für seine Schwester in einer Zeit, in der er ihr sehr schlecht ging – ihr Mann war gestorben. Daher wünschte sie sich White U ein neues Zuhause, eines das ihr Halt geben kann. Gleichzeitig hatte sie ein Bild von Georges de la Tour im Kopf, welches in ihr den Wunsch nach gebündeltem Licht, das ihre Seele reinigen könne, erweckte. So konzipiert Ito das Haus zu einem Innenhof hin ausgerichtet, abgeschottet und isoliert. Beim Betreten des Hauses sollen alle Reize von außen verklingen und eine innere Ruhe einsetzten, was zusätzlich durch die weiße Farbe der Betonwände betont wird. Das symmetrisch aufgebaute U wird durch einen asymmetrisch gesetzten Eingang durchdrungen. Ein weiterer Wunsch der Schwester war der tatsächliche, physische Kontakt zu Natur, von Ito umgesetzt Lichtstrahl im White U durch den Innenhof. Dieser ist mit nackter Erde als »Urerde« ausformuliert, hier soll sie die Möglichkeit haben ganz zu sich und ihrem natürlichen zustand zurück zu kommen und loszulassen.31 Im Haus selbst sind alle Funktionen in den Schenkeln des Us untergebracht, der gekurvte Teil des Hauses bleibt als bewusste Leerstelle frei, er ist einzig durch einen Schlitz in der Decke akzentuiert, an dem man den Stand der Sonne ablesen kann und der »das Leben mit der Zeit des Weltalls verbindet und nicht 30 vgl. Susanne Kohte, Hubertus Adam, Daniel Hubert: Dialoge und Positionen - Architektur in Japan, 2017, S.41 31 Toyo Ito: Blurring Architecture, Charta, 1999, S. 74

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mit den Städten(...)«32 Diese Verbindung zur Natur über das gebündelte Licht war der ausdrückliche Wunsch seiner Schwester. Ansonsten ist das Haus sehr einfach gestaltet, alle Wände sind weiß gestrichen und es gibt keine weitere Öffnungen nach außen.Hier kann sie, über den architektonischen Raum, die Essenz der Dinge neu erfahren. So entwickelte sie sich weiter, schaffte es, wieder in der Gegenwart anzukommen und sich aus ihrer dunkler Lebensphase zu befreien. Nach zwanzig Jahren zog sie aus, sie sagt, dass Haus habe nicht mehr zu ihrer neuen Lebenssituation gepasst.33 1998 wurde das Haus abgebrochen. Hierin kann man auch eine der Grundelemente des Zen erkennen, alle Dinge seien vergänglich und auch als solche zu begreifen. An nichts wird festgehalten, es besteht ein natürlicher Kreislauf zwischen einer Materialisierung und einem Verschwinden der Dinge. Mediotheque Sendai Die Grundvoraussetzung einer Mediathek ist, dass sie eine Verbindung zum Raum der elektronischen Information herstellt. Eine Mediathek kann nicht als isolierte Einrichtung bestehen, sie ist nur ein Knotenpunkt des weltweiten Netzwerks. In der Planung der Mediathek in Sendai war klar, dass sich die genauen Aktivitäten innerhalb des neuen Gebäudes erst in Zukunft, über Forschung und praktische Anwendung herausfinden lässt. Sie musste also flexibel nutzbar sein. 34 Hierin kann man auch den Aspekt des Vergänglichen der Zenkultur entdecken, der Raum soll mit der Zeit mitgehen, er soll nicht an Funktionen anhaften sondern umnutzbar sein. Umgesetzt ist das über die Struktur von 7 Geschossflächen 50 m mal 50 m, die beliebig ausdehnbar scheinen, sie wirken wie ein Ausschnitt aus dem unendlich fließendem Raum des medialen Netzwerks. Durchdrungen werden

Mediothek Sendai

Asymetrische Konstruktion – Zwischenräume

32 ebd. S. 76 33 vgl. ebd. S. 93 34 vgl. ebd. S. 42-43

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sie von den konstruktiven Säulen mit ihren verschiedenen Durchmessern. Sie durchdringen die stählernen Geschossdächer und tragen diese mit ihrer wabenförmigen Struktur, in ihnen verbindet sich organisches mit mechanischem. Das besondere ist, dass die Säulen nicht in einem Raster angeordnet sind, sondern sich durch die unregelmäßige Verteilung und die unterschiedlichen Durchmesser verschiedene Zwischenräume ergeben. Die Asymmetrie der entstehenden Raume gibt den Menschen Platz, sich selbst darin einzurichten und zur Ruhe zu kommen. Die Transparenz und Offenheit der Struktur suggerieren eine Unendlichkeit, als wäre dies nur ein Ausschnitt des weltweiten Netzwerks, welches an diesem Ort mit einem natürlich fließenden Raum Form angenommen hat. In dem Gebäude ist die Durchdringung des fließenden Raums, der das homogene Raster aufreißt, und eben diese Durchdringung somit transparent macht, sichtbar. In dieser Vereinigung von Geist und Materie entsteht laut Ito eine Natürlichkeit, die den Menschen im Informationszeitalter wieder Raum sie selbst zu sein gibt.35 Minna No Mori Gifu Media Cosmos, Gifu CapitaGreen, Singapur Die Mediathek Minna no Mori, was übersetzt Wald für Jedermann bedeutet, ist von ähnlichen Entwurfsthemen geprägt wie die Mediothek in Sendai. Neu ist aber, dass Ito im Kontext der Omnipräsenz von Informationen Anzeichen für eine steigende Präsenz hin zu Materialist sieht – die Menschen fühlen sich von der Materialität der Dinge angezogen.36 Die Materialität ist hier durch das Holz der Dachkonstruktion präsent, er wirkt im Vergleich zum transparenten, fließenden Raum der Sendai Mediotheque wie ein neuer Reiz. Transluzente Schirme aus Polyestergewebe docken an die Dachkonstruktion an, sie sorgen für den Luftaustausch, die Belichtung und die Akustik. In ihnen, sie sind wie die Stahlkonstruktionen in Sendai asymmetrisch angeordnet, können die Menschen sich einrichten, zur Ruhe kommen und mit dem unendlichen Raum verschmelzen. Anders als in Sendai ist die Durchdringung des homogenen Raums nur noch akustisch erkennbar, nicht mehr durch sichtbare Stahlkonstruktionen. Abschließend lässt sich sagen, dass Toyo Ito, obwohl er dies nie geäußert hat, sehr viele kulturelle Merkmale Mediathek Gifu 35 vgl. ebd. S. 47 36 Susanne Kohte, Hubertus Adam, Daniel Hubert: Dialoge und Positionen - Architektur in Japan, 2017, S.40

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des Zen-Buddhismus in seinen Gebäuden aufnimmt und verarbeitet, sei es die Asymmetrie in den Grundrissen, das Ziel den Menschen innerhalb der schnelllebigen Welt des 21. Jahrhunderts einen Ort zu schaffen, wo sie zur inneren Ruhe kommen können oder sein Bestreben, umnutzbare Räume zu schaffen, die keiner determinierten Funktion anhaften. Mit dem Bau seiner Mediotheque in Gifu versetzt er dem natürlichen, scheinbar unendlichen Raumfluss, der noch in Sendai das Entwurfskonzept war, einen neu en Reiz – das Holz – entgegen, der vielleicht darauf schließen lässt, dass Ito neue Einflüsse und Themen in seinen Entwürfen verarbeitet. Zen – Shigeru Ban Der 1957 in Tokio geborene Shigeru Ban studiert am Southern California Institute of Architecture und macht schließlich seinen Abschluss an der New Yorker Cooper Union School of Architecture. Im Anschluss daran kehrt er zurück in die japanische Hauptstadt, wo er 1985 sein eigenes Architekturbüro gründet. Shigeru Ban Architects expandierte bis nach Paris und New York. Trotz seines Studiums im Westen, sind seine Bauten geprägt von der Einfachheit traditioneller japanischer Formensprache, verknüpft mit einem kreativen Umgang verschiedenster Materialien. Sein frühes Werk beschäftigt sich stark mit Privathäusern, welche sich der Untersuchung auf die zuvor herausgearbeiteten Merkmale des Zen Buddhismus im Bezug auf Architektur besonders eignen. Shigeru Ban

2/5 Haus bei Osaka, Japan – »Universale Fläche« Hierbei handelt sich es um ein sehr frühes Werk und ist beispielhaft für Bans Raumvorstellung als »dreidimensionale Proportionsstudie«37, welche fest in seinem Duktus manifestiert ist. Er formuliert das Verhältnis von 2/5 und bezieht sich damit auf zwei rechnerische Größen. Das Gebäude ist gegliedert in »fünf Streifen à 5 x 15 m«38. Zwei dieser Streifen finden wir als geschlossene Raumvolumina vor. Etwa das gleiche Verhältnis findet sich wieder, wenn man die überbaute Fläche mit der Gesamtgrundstücksfläche vergleicht (182 m2 von 507 m2). Anzumerken ist hierbei, dass der Architekt sich nicht auf das typische Verhältnis einer Tatami Matte bezieht, sondern ein eigenes Verhältnis, auf die Begebenheit des Grundstücks abgestimmt, entwickelt. Das von Ban entworfene Einfamilienhaus 37 Illgner, Susanne: 2/5 Haus, Wohnhaus bei Osaka. in: Bauwelt 33, 2000, S. 41 38 vgl. ebd., S. 41

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in einem dicht besiedelten Vorort von Osaka wird gezeichnet durch seine unattraktive Lage. Von dieser Außenwelt grenzt er den Bewohner gezielt durch je zwei parallele Betonwände und sogenannte »screens«39 an den Vorder– und Rückseiten ab. Ein in der Mitte der fünf Streifen liegender unbegrünter Innenhof mit den Maßen 5 x 15 m kann als Erweiterung zum Wohnraum angesehen werden. Zusammen bildet dieser mit 2/5 Haus Innenhof den beiden äußeren Streifen einen fließenden Raum. Vergleicht man den Bezug des Hauses mit späteren Werken, so fällt auf, dass hier – auch der Lage geschuldet – ein Bezug nach außen in Richtung Himmel hergestellt wird, da sich das Gebäude vom Innenhof her dorthin öffnet. Somit entsteht hier ein ganz anderer Bezug von außen und innen. Die Möglichkeit den Hof mit Hilfe einer textilen Plane zu schließen, erfolgt über das sogenannte »curtain roof«. Das starke Element des »universal floor« 40 , orientiert am typischen Charakter eines japanischen Wohnhauses, wird beim 2/5 Haus verwirklicht. 2/5 Haus Grundriss Es handelt sich hierbei um ambivalente Raumzonen mit mehreren Zuordnungsmöglichkeiten, die je nachdem offen oder geschlossen sein können. Durch bewegliche Zwischenwände verändern sich Charakter, Abfolge und Größe der Räume, wodurch abhängig von den Bedürfnissen des Bewohners immer wieder neue räumliche Kombinationen möglich werden. Somit legt Ban »keine Form fest und die Leere wird zur Form«41. Verglichen mit den folgenden analysierten Gebäuden, finden sich beim 2/5 Haus dezente Bezüge auf die Merkmale des Zen Buddhismus.

39 ebd., S. 41 40 ebd., S. 41. 41 vgl. Hisamatsu, Shin’ichi: Zen and the fine Arts, Otawa 1971, S. 29f.

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Naked House – Wohnhaus in Kawagoe, Japan Das 2000 erbaute »Naked House« am Stadtrand von Kawagoe, einer kleinen Gemeinden in den Bergen, entsteht für das tägliche Leben dreier Generationen. Der Bauherr und seine Frau wünschen sich ein Zuhause für deren Kinder und deren 75-jährige Großmutter, welches wenig Privatsphäre für die einzelnen Familienmitglieder, aber die Möglichkeit, für »individuelle Beschäftigung in gemeinschaftlicher Atmosphäre«42 bieten soll. Davon ausgehend entwirft Ban eine lang gestreckte Hülle von 25 x 6 x 4,5 m, worin »Räume« als verschiebbare Boxen interagieren und die Grenzen zwischen Möbeln und Raum verschwimmen lassen. »Vier bewegliche Raumcontainer mit Schiebetüren« 43 bieten die einzige Möglichkeit des Rückzugs und verfügen gezielt über ein Minimum an persönlicher Ausstattung. Sie sind mit Tatami Matten ausgelegt und werden abends als Schlafstätte genutzt. Die »Dachfläche« der Kuben wird je nach Bedarf zur zusätzlichen Spiel– bzw. Arbeitsebene. Das Bad als einziger, durch Türen und Lamellenfenster fest umschlossener Körper, sitzt an der einen Schmalseite des Gebäudes. Die offene Küche wird lediglich durch weiße Vorhänge zoniert. Diese Architektursprache lässt sich mit den in der traditionell

Naked House Grundriss

Innenansicht

Verschiebbare Boxen

42 Meyer, Ulf: Naked House, Wohnhaus in Kawagoe, Japan. in: Bauwelt 29, 2002, S.24 43 ebd., S. 24

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japanischen Architektur verwendeten verschiebbaren Wände vergleichen und schafft so einen Verweis auf den Begriff der »nicht vorhanden Endgültigkeit«44, deren Leere zur Form wird, dadurch, dass die Form nicht festgelegt ist. Auch die Fensterelemente der Westseite lassen sich komplett aufschieben, wodurch die große Terrasse in den Wohnbereich mit einbezogen werden kann und die bereits beschriebenen »Rollcontainer« problemlos in den Außenraum geschoben werden können, wodurch der Innenraum des Hauses als ununterbrochen fließender Raum wahrgenommen wird. Durch die lineare Fassaden-Gestaltung stellt Ban gezielt eine Ansicht her, die von Einfachheit geprägt ist. Der von ihr umschlossene Raum wirkt also auf den Bewohner als ruhige Instanz und bringt die Reize zum Schweigen. Durch die rollbaren Raumcontainer, wird von der Starrheit losgelassen und Funktionen können frei zugeordnet werden, ohne an einer Regel zu haften. Geschickt nimmt Ban Bezug auf die Landschaft, also auf die Natürlichkeit, indem er die Schmalseiten des Wohnhauses verglast und so Blicke in die Natur frei gibt. Gesteigert wird dies durch die milchigen Elemente der Längsseiten, welche den Tagesablauf durch die verschieden intensive Belichtung spürbar machen. Hier lässt sich ein weiterer Aspekt der Leere feststellen. Durch den vorwiegenden Gebrauch von Milchglas, wird der Bewohner nicht direkt dargestellt, sondern kann von einem Außenstehenden nur angedeutet wahrgenommen werden. Verglichen werden kann dieses milchige Glas mit den »Shoji« Papierwänden eines traditionell japanischen Wohnhauses, welches ebenfalls nur gefiltertes, diffuses Licht ins Innere eindringen lässt. Abschließend kann festgehalten werden, dass das »Naked House« sich gegen die europäische bzw. westliche Glas-Architektur lehnt, Shiergu Ban bezieht sich vielmehr auf die Merkmale der Leere und schafft eine physische Transparenz. Wall Less House – Wohnhaus in Nagano, Japan Shigeru Ban beschäftigt sich während seiner Aufenthalte in den Vereinigten Staaten von Amerika mit den »Case Study Houses«, die durch das Architektur Journal »Arts Wall Less House Schnitt & Architecture« mit Unterstützung der Cooper Union 1945 ins Leben gerufen werden. An der Fallstudie beteiligen sich viele Architekten und geben Ihren Ansatz zur Verbesserung der vorherrschenden Wohnungsnot der Nachkriegsjahre in den Vereinigten Staaten ab. Das Ziel des Projekts besteht in der experimentellen Anwendung neuer konstruktiver Lösungen zur Errichtung von einfachen, kostengünstigen Wohnhäusern. Während der Beschäftigung mit diesen Arbeiten findet Ban zurück zu den Wurzeln der zeitgenössischen Architektur, die ihren Ausgangspunkt in der Baukunst Japans 44 vgl. Hisamatsu, Shin’ichi: Zen and the fine Arts, Otawa 1971, S. 29f.

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hatte. Ban entwirft daraufhin das »Case Study House«, auch »Wall Less House« genannt, welches 1997 in Nagano auf einem 330 m2 großen Hanggrundstück errichtet wird. Der räumlichen Herausforderung, den Innen– und Außenraum miteinander zu verknüpfen ist Ban gewachsen. Auf Grund der Hanglange ist das Grundstück nur beschränkt zugängInnenansicht lich, umso mehr tritt die visuelle Beziehung zur Natur in den Vordergrund und wird fester Bestandteil der Architektur. Abhängig vom Standpunkt des Bewohners und dem Moment, also den äußeren Einflüssen, entstehen ganz subjektive Erfahrungen. Großen Wert legt der Architekt auch auf die Minimierung der Abgrabungsarbeiten und setzt somit wiederum das Haus in Beziehung mit der umliegenden Außenansicht Natur. Der Grundriss des 60 m 2 großen Gebäudes verhält sich im Vergleich zum »Naked House« nochmal offener. Man spricht vom »universal floor«45, welcher multifunktional und völlig frei nutzbar ist. Die komplett zu öffnende Fassaden dreier Seiten geben dem Bewohner den Blick in die Natur frei und lassen ihn somit über die eben nicht vorfindbaren Grenzen hinaus schweifen. Der gezielte Verzicht auf die angesprochenen Grenzen zwischen innen und außen verweigert einen Zustand der Endgültigkeit. Fassaden eliminiert, wodurch lediglich Schiebeelemente und schlanke Stützen von 55 mm Durchmesser zur vertikalen Abtragung bleiben. Shigeru Ban abstrahiert das klassische Vier-Wände-Haus und bewahrt lediglich eine Wand, die ein »Rückgrat« bildet. Dies führt er weiter, indem er Fensterpfosten an den Durch diese Reduktion des architektonischen Ausdrucks kommt die Konstruktion des Hauses transparent zur Geltung. Weiterverfolgt wird der Gedanke des ultimativen Minimums durch die sparsame Möblierung. Diese Einfachheit der Dinge kann dadurch begründet werden, dass Bewegung Spielräume und Offenheit erfordert. Für Küche und Bad definiert Ban Zonen und platziert sie ohne Umbauung im Grundriss, womit sie im »universal floor« interagieren. Schiebetüren geben dem Bewohner die Möglichkeit, diese Bereiche nach Belieben vom sonst fließenden Raum abzuteilen. Infolgedessen richtet der Bewohner sich immer wieder neu ein, wodurch der Raum von jeder Art von 45 Jodidio, Philip: Shigeru Ban: Com plete Works 1985-2015, Köln, 2015, S. 184

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Statik befreit wird. Auf diese Art und Weise schafft der Architekt kein striktes Raumbild und die Dinge haften nicht an Form oder Regel. Verglichen mit seinen Kollegen, stellt man fest, dass Ban die Einfachheit weitaus radikaler in seinem Entwurf des »Wall Less House« zu spüren gibt.

Literatur Blaser, Werner: Tadao Ando: Architektur der Stille, Architecture of silence, Basel 2001 Furuyama, Masao: Ando, Köln 2016 Furuyama, Masao: Tadao Ando, Basel 1996 Han, Byung-Chul: Philosophie des Zen-Buddhismus, Stuttgart 2002 Hisamatsu, Shin’ichi: Zen and the fine Arts, Otawa 1971 Schneider, Urlich: Toyo Ito: Blurring Architecture 1971-2005, Paperback, Charta 1999 Kohte, Susanne, Adam, Hubertus, Hubert, Daniel: Dialoge und Positionen – Architektur in Japan, Birkhäuser, Basel 2017 Illgner, Susanne: 2/5 Haus, Wohnhaus bei Osaka. in: Bauwelt 33, 2000 Jodidio, Philip: Ando, complete works 1975-2014, Köln 2014 Abbildungsverzeichnis Abb. 1 Jodidio, Philip: Ando, complete works 1975-2014, Köln 2014, S. 142 Abb. 2 Jodidio, Philip: Ando, complete works 1975-2014, Köln 2014, S. 146 Abb. 3 Furuyama, Masao: Tadao Ando, Basel 1996, S. 38-39 Abb. 4 Furuyama, Masao: Tadao Ando, Basel 1996, S. 37-38 Abb. 5 Jodidio, Philip: Ando, complete works 1975-2014, Köln 2014, S. 471 Abb. 6 Jodidio, Philip: Ando, complete works 1975-2014, Köln 2014, S. 473 Abb. 7 Ulrich Schneider: Toyo Ito – Blurring Architecture, Charta, 1999, S.75 Abb. 8 Ulrich Schneider: Toyo Ito – Blurring Architecture, Charta, 1999, S.77 Abb. 9 Detail 7, 2007, Sendai Mediothek, Fotos: Andrea Wiegelmann, Hiro Sakaguchi/A to Z, Shinkenchiku-sha, Nacasa & Partners Abb. 10 Detail 7, 2007, Sendai Medio thek, Fotos: Andrea Wiegelmann, Hiro Sakaguchi/A to Z, Shinkenchiku-sha, Nacasa & Partners Abb. 11 Detail 6, 2010, »Minna no Mori« – Mediathek in Gifu, Fotos: Iwan Baan, Kai Nakamura, Daici Ano Abb.12 Shigeru Ban (Quelle: wb form) Abb. 13 Illgner, Susanne: 2/5 Haus, Wohnhaus bei Osaka. in: Bauwelt 33, 2000, S. 40 Abb. 14 Jodidio, Philip: Shigeru Ban: complete works 1985-2015, Köln, 2015, S.163 Abb. 15 Meyer, Ulf: Naked House, Wohnhaus in Kawagoe, Japan. in: Bauwelt 29, 2002, S. 26 Abb. 16 Meyer, Ulf: Naked House, Wohnhaus in Kawagoe, Japan. in: Bauwelt 29, 2002, S. 26 Abb. 17 Meyer, Ulf: Naked House, Wohnhaus in Kawagoe, Japan. in: Bauwelt 29, 2002, S. 27 187


建私の日本 Mein Japan

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Amelie Trautmann

Mein Japan – und eine Kultur, ein Alltag und Menschen, die so anders sind als das, was ich kenne. Immer noch völlig beeindruckt, mitgenommen und vor allen Dingen begeistert blicke ich auf die nun fast drei Wochen alte Reise nach Japan. Freilich könnten jetzt auch Worte über die so begeisternde Architektur in Japan, mit der wir uns während der zwei Wochen so intensiv beschäftigt haben folgen. Ich aber möchte hier von den Japaner selbst und meinen Erfahrungen und Begegnungen mit ihnen erzählen. Angekommen am Flughafen der Megacity Tokio nach fast 18 Stunden Flug, blicken wir entgeistert auf die Schriftzeichen, die keiner von uns entziffern kann. Jetzt wird uns bewusst, dass wir es tatsächlich nach Japan geschafft haben. Für uns alle geht ein Traum in Erfüllung und wie die nächsten Wochen zeigen, wird die Reise zu etwas wirklich Besonderem. Beim Geld wechseln werden wir direkt freundlich in Empfang genommen und bekommen zum Abschied ein shioriningyō in die Hand gedrückt. Wir vermuten, es handle sich um eine Art Schutzengel, der uns auf unserem Weg beschützt. Nach ausführlicher Recherche erfahre ich, dass die Papierpuppen einen lange Geschichte haben: In der japanischen Feudalgesellschaft wurde man in seinen gesellschaftlichen Stand geboren. So waren die Puppen für junge Mädchen der unteren sozialen Klassen ein Weg, ein Teil dieser anderen Klassen zu sein, wenn auch nur durch Phantasie. Sie schmückten die Figuren mit den schönsten Kimonos, die sie sich nur erträumen konnten. Auf dem Weg zum Ryokan Andon fällt uns direkt auf, wie respektvoll die Menschen hier miteinander umgehen, von Gedrängel vor den U-Bahn Türen keine Spur. Die Leute warten Minuten vor der Ankunft in je zwei Reihen vor den eingezeichneten Öffnungen der Türen der bald einfahrenden Bahn. Anfangs ist das noch fremd für uns, so drängeln wir uns übermüdet ohne groß Nachzudenken in den Zug und merken sofort, dass wir uns gar nicht recht verhalten haben. Im Ryokan werden wir von Aya mit Tee und einer Süßigkeit willkommen geheißen. Hier findet sich alles, was man so braucht, vom Shampoo über die Zahnbürste und dem Haargummi liegt alles bereit, was einen sehr heimisch fühlen lässt. In unseren Zimmer finden wir einen kleinen Willkommensgruß auf unserer Tatami-Matte. Wir verbringen tolle Tage in Japans Hauptstadt und erleben schier ein 190


Wunder, als wir an einem Nachmittag Aya in einem der zig Bahnhofsgebäude begegnen. Die Metropolregion wird von 38 Millionen Menschen belebt, einen davon – Aya – kennen wir, ist das nicht verrückt? Knapp eine Woche später kommen wir auf die Insel Naoshima, wo wir einen ganz anderen Alltag, als den der riesigen Städte Tokio und Kyoto kennenlernen. Die ursprünglich von der Industrie geprägte Insel bekam durch den Bau der Museen, Pavillons und dem einhergehenden Dasein wertvoller Kunst einen ganz anderen Charme. Hier haben wir Zeit unsere vielen Gedanken zu sortieren oder andererseits finden durch die beeindruckenden Installationen noch mehr den Weg in die Sprachlosigkeit. Fragen, die mit WIESO, WESHALB, WARUM beginnen, schießen uns durch den Kopf. Man könnte sagen, wir geraten vom einen Extrem ins Andere. Hier hausen wir auf der 100m Luftlinie entfernten Insel Mukojiema. Da fragt man sich, wie Anna und ich – wir waren nicht mehr Teil der offiziellen Exkursion – auf die elf Einwohner große Insel kommen. Unser Gastgeber Yoshio holt uns mit seinem sympathischen Fischerboot ab. Yoshio ist um die 30 Jahre alt, stammt aus Osaka und suchte nach einem Ort, der weniger trubelig ist. Naoshima wäre da nicht der richtige Ort, der vielen Touristen wegen meint er. Aber durch die Unerreichbarkeit von Mukojiema ohne Boot, kann er »ganz in seiner eigenen Welt« leben und seine fünf Katzen pflegen, in seinen vielen Büchern lesen, Plum Wine herstellen und abends zusammen mit seinen Gästen ein richtiges Abendmahl zubereiten. Erst haben wir den Eindruck, er würde den typisch klischeehaften Japaner widerspiegeln, welcher tendenziell reserviert erscheint und nicht viel redet. Nach einiger Zeit merken wir, dass er erst mit uns warm werden muss. Und als wir ihn zufällig am folgenden Tag auf unserer Weiterreise am Hafen Takamatsus treffen und er uns strahlend fast schon in die Arme läuft, direkt ein Foto von uns macht, wirkt er fast schon extrovertiert auf uns. Das hängt auch damit zusammen, dass Japaner alles bildlich festhalten wollen und es deshalb nicht Tabu ist, von Menschen, die man nicht sehr gut kennt, ein Foto zu machen – vielmehr gehört es zum Alltag, es im Anschluss direkt auf die nächste Plattform zu laden und davon mitzuteilen. Bei unserem kurzen Halt in Tanabe – jetzt sind Hannah, Pauli, Anna und ich alleine unterwegs – lässt uns Asami wieder die japanische Gastfreundschaft spüren. Sie empfängt uns mit einem »Konitschiwa Anna, Pauli, Hannah & Amelie« auf einer Tafel, hält niedlich eingepackten Traubenzucker als Unterstützung für unsere Pilgertour bereit, hat Origami Kraniche für uns gebastelt und und und… Als wir sie fragen, ob wir eine Nacht länger bei ihr wohnen könnten, reagiert sie lachend ohne ja oder nein zu sagen. Ein japanisches Wort für »Nein« existiert im Sprachgebrauch quasi nicht, weil es mit Unhöflichkeit und schlechter Sitte in Verbindung gebracht wird. So erwidern wir auf unsere eigens gestellte Frage, ob die Unterkunft von andern Gästen schon gebucht sei: Es stellt sich raus, dass dies der Fall ist! Unseren letzten Halt machen wir in Hongu, einer Pilger Region mit langer Tradition. Hier treffen wir auf Jun, eine Tokioterin, die lange Zeit ihr eigenes Gästehaus 191


in der Hauptstadt geführt hat. Die Besitzer einer Farm haben von ihr gehört und berufen sie, ihre Unterkunft auf der Farm neu aufzuziehen. Sie ist eine der wenigen Personen denen wir begegnen, die wirklich gut Englisch spricht, da sie während ihrer Schullaufbahn einen Austausch nach Amerika mitgemacht hat. Im Vergleich zu unseren vergangenen Begegnungen mit Japanern ist sie sehr redselig und direkt, schon fast sprudelnd. Wir freuen uns wahnsinnig, endlich jemanden zu treffen, mit dem wir uns gut verständigen können, um möglicherweise Fragen, die uns beschäftigen, zu klären. Besonders ist, dass wir hier frisch geerntete Gurken, Kartoffeln und Tomaten kaufen können, genauso wie frisch gelegte Eier. Das liegt daran, dass die Kette 7/11 fast ganz Japan beherrscht und hier kaum frische Produkte anzutreffen sind. Mein Fazit: Japan ist in jedem Fall eine Reise wert: egal ob Architektur, Kunst, unberührte Natur, feines Essen, Sake… Ein Land, das mehr verbirgt, als man sich vorstellen kann!

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Yoshio holt uns aus Naoshima ab

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Anna Jundt

Ein Ereignis Die Reise nach Japan war so vielseitig und lange, dass es mir unmöglich erscheint, einen allgemeinen Text darüber zu verfassen. Daher möchte ich mich auf die Beschreibung eines Erlebnisses beschränken, an dem viele Dinge, die mir aufgefallen und die mich beeindruckt haben, zu entdecken sind. Nach der offiziellen Exkursion blieben Amelie, Hannah, Paulina und ich noch etwa 10 Tage in Japan, wir wollten noch ein bisschen mehr von dem Land sehen. Wir reisten unter anderem nach Taisha, um dort einen Teil des Jahrhunderte alten Kumano Kodo Pilgerwegs zu wandern. Dort wohnten wir auf einer Farm auf einem Berg, abseits von allen umliegenden Dörfern. Auf der Farm lebte nur der Bauer und seine Frau, sowie zwei Frauen, Yun und Tomoko, die ihm halfen und die dort das AirBnB betrieben. Yun konnte im Gegensatz zu sehr vielen Japanern sehr gut Englisch, sie hatte einen Schüleraustausch in die USA gemacht. Sie gab uns auch Tipps bei der Auswahl einer Wanderroute, wobei sie selbst noch keine der Touren gelaufen war. Das war eine Sache, die mir extrem aufgefallen war – in Japan gibt es sehr viel wunderschöne Natur, die aber oft von den Japanern nicht auf eine Weise genutzt wird, wie man es bei uns tun würde. Zum Beispiel waren wir am Tag davor in dem unglaublich blauen Fluss Kitayama baden, was mit einem ungläubigen kichern seitens Yun quittiert wurde, als wir ihr davon erzählten – sie hatte noch nie darin gebadet und fand alleine die Vorstellung offensichtlich absurd. Wir gingen also gegen Mittag am nächsten Tag los, eine 16 km Wanderung über 1000 Höhenmeter hoch und wieder hinunter lag vor uns. Es ging auf wunderschön angelegten Wegen durch die Wälder, wobei uns noch einige Wandertouristen begegneten. Als der Aufstieg begann, trafen wir niemanden mehr. Der teilweise sehr steile Weg führte uns immer weiter weg vom bebauten Tal in die Berge, gesäumt von kleinen Skulpturen. Je weiter wir nach oben kamen, desto beeindruckender wurden die Ausblicke: Die Tatsache, dass in Japan in den Bergen nicht gebaut wird, kam hier vollends zum Tragen. Alle umliegenden Berge waren von grünen Bäumen bedeckt, man sah keine Schneise einer Straße, keine Funktürme oder Aussichtstürme. Was es bei uns fast nicht mehr gibt – die unberührte Natur – konnte man dort sehr eindrucksvoll bestaunen. Es wurde immer später und die Sonne fing an, unterzugehen. Wir hatten uns etwas in der Zeit verschätzt und mussten uns jetzt sputen, noch im Hellen wieder den Berg 194


Sonnenuntergang auf dem Kumano Kodo

hinunter zu kommen. Die Stimmung der untergehenden Sonne zwischen den Bäumen, das Schattenspiel der Bäume auf dem Weg und das besondere Licht in den Tälern werde ich nie vergessen, es machte alle Mühen des Aufstiegs mehr als wett. Als wir wieder im Tal ankamen war es dunkel. Bei uns in Deutschland wäre das kein Problem gewesen, es war erst acht Uhr, es hätte Busse gegeben und Menschen, die den lauen Sommerabend für eine Grillparty oder ähnliches genutzt hätten. Nicht so in Japan – fuhr die letzte U-Bahn in Tokio schon um 24 Uhr, so gab es im abgelegenen Hongu Taisha lange keinen Bus mehr, der uns wieder zu unserem Ausgangspunkt hätte zurück bringen können. Die Straßen waren wie leergefegt, man hörte keine menschlichen Laute außer die der vorbeifahrenden Autos. Leider kam Trampen für uns vier auch nicht in Frage, da wir zu zusammen nicht in die kleinen Autos der Japaner passen konnten. Da zu der Zeit auch kein Laden mehr geöffnet war, konnten wir auch kein WLAN suchen, um Yun zu verständigen. Bei den Menschen anzuklopfen und nach Internet zu fragen, kam uns im sehr zurückgezogenen Japan unglaublich unhöflich und störend vor. Es öffnete auch niemand. Aber wie so oft in Japan fanden wir dann zufällig irgendwo in dem Dorf, nahe einem der Millionen Getränkeautomaten in Japan, einen öffentlichen WLAN-Spot und erreichten Yun, die uns dann besorgt abholte. Ihre Reaktion war für mich so typisch japanisch, unglaublich freundlich und besorgt um uns, als wir ihr die Geschichte erzählten kicherte sie belustigt. Keine Vorwürfe oder ähnliches, in Japan wurden wir ausnahmslos so gastfreundlich behandelt, wie ich es in kaum einem anderen Land jemals erlebt hatte. Yun bot uns noch an, uns zu einem der natürlichen Onsen zum entspannen zu bringen, sie selbst bade dort auch immer nur nachts. Wir nahmen das Angebot am nächsten Tag an, der Luxus in einem natürlichen Onsen, in einem Flussbett gelegen, zu baden, war ein weiteres Highlight auf unserer Japanreise.

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Antonia Rist

Vor Japan hatte ich wenige konkrete Vorstellungen über das Land und seine Menschen. Über Fernsehen und Internet entstand das Bild einer bunten, modernen Welt mit kreativen Menschen und farbigen Plastikprodukten. Erst mit der Auseinandersetzung über das WP Japan kamen Bilder über das traditionelle Japan, seine Kultur und Architektur hinzu. Je vielseitiger die Bilder wurden, desto fremder erschien mir die japanische Welt. In Japan bestätigte sich in Tokio zunächst die Vorstellung der modernen Megametropole. Mit jedem weiteren Ort den wir besuchten wurde das Bild Japans vielschichtiger. Nach Japan bleibt mir vor allem die Unterschiedlichkeit der besuchten Orte in Erinnerung und macht die Reise für mich aus. Im nachfolgenden Bericht möchte Tokio Stimmung Menschenmassen, Hektik Ordnung, kein Gedränge, kaum Autoverkehr Menschen beschäftigt ruhig, eher introvertiert, aufmerksam Besondere Orte House NA Sou Fujimoto Ginza Einkaufsmeile Impressionen Tokio zeigt sich für mich als Stadt der Widersprüche. Eine Metropole, die größer ist als alle anderen Metropolen dieser Welt – und trotzdem habe ich nie eine so saubere, leise und organisierte Stadt erlebt. Unmittelbar neben den Hochhausvierteln befinden sich niedrige, enge Wohnquartiere. Ginza ohne Autos

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Villa Katsura

Kyoto Stimmung wesentlich ruhiger und entspannter als Tokio traditionell überschaubar und kleinteilig, dennoch nicht so organisiert wie Tokio Menschen Viele Touristen – sowohl japanisch als auch interntional traditionelle Kleidung, häufig im Kimono viele Schulklassen unterwegs Besondere Orte Tempel, Schreine, Gärten, Villa Katsura Impressionen In Kyoto bestätigte sich für mich das Bild des traditionellen Japans mit seinen Schreinen, Tempeln und Gärten. Landschaft, Architektur, die Menschen und selbst deren Kleidung unterscheiden sich komplett vom modernen und geschäftigen Tokio. Besonderes Highlight war natürlich die Katsura Villa, die schon so oft zuvor im Seminar betrachtet wurde.

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Naoshima & Teshima Stimmung Idyllisch, unberührte Natur Einheit von Natur und Architektur Menschen Einheimische und viele internationale Touristen Kunstinteressierte Orte Chichu Art Museum, Tadao Ando Teshima Art Museum, Ryue Nishizawa Impressionen Nach dem Trubel der Großstädte stellt sich auf Naoshima schnell ein Urlaubsgefühl ein. Als ganz besonderes Highlight und krönender Abschluss der Reise zeigte sich das Teshima Art Museum, einer der beeindruckendsten Orte die ich je besucht habe. Eine unbeschreibliche Atmosphäre entsteht allein durch das Zusammenspiel von Wind, Licht und Wasser in einem organisch geformten weißen Betongewölbe. Mit so wenigen Mitteln ein so unbeschreiblich schönes Ereignis zu schaffen beeindruckte mich besonders.

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Teshima Art Museum, Ryue Nishizawa und Rei Naito

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Benjamin Weidmann

Über das vergangen Semester habe ich mich besonders mit dem Thema Wabi Sabi auseinandergesetzt, was zu vielen neuen Erkenntnissen geführt hat. Auch die Themen der anderen Gruppen haben mein persönliches Bild von Japan beeinflusst und verändert. Leider konnte ich nicht an der Exkursion nach Japan teilnehmen, doch trotzdem bin ich mir sicher, dass ich nach diesem Semester ein besseres Verständnis der japanischen Kultur habe. Es gibt ein paar Bereiche, die ich hier gerne aufführen möchte, welche mich außerhalb meines eigenen Themas sehr beeindruckt haben. Zum einen ist es das japanische Handwerk, insbesondere der Holzbau, den ich sehr spannend finde – gerade weil die Japaner es schaffen, Holz auf verschiedene Arten zu bearbeiten, um so seine Möglichkeiten voll auszureizen. Gerade da die Verbindungen der Japaner nicht nur einem reinen funktionalen Aspekt folgen, sondern als Gestaltungselement verwendet werden, ist dieses Wissen um die japanischen Holzverbindungen erstrebenswert. Auch das Können der Handwerker in Japan wird hoch geschätzt und sollte für uns hier ein Vorbild sein. Wie akribisch die Japaner ihre Verbindungen geplant haben ist beeindruckend und ich hoffe, über die Zeit einen noch tieferen Einblick in diese Techniken zu bekommen, um in Zukunft vielleicht in meiner beruflichen Laufbahn auf dieses Wissen zurückgreifen zu können. Das Thema, mich dem ich mich nach der Ausarbeitung des Themas Wabi Sabi weiterhin beschäftigen möchte, ist das Thema Zeit. Die Zeit ist ein wichtiger Faktor von Wabi Sabi und auch in unserem alltäglichen Leben. Durch die Auseinandersetzung mit dem Thema wurde mir bewusst, wie oft wir doch die Zeit, die wir haben, nicht wirklich nutzen – dass vieles automatisiert abläuft und man sich seiner Umgebung nicht mehr bewusst ist. Aus Interesse bin ich auf unterschiedliche Aufsätze zum Thema Zeit gestoßen, unter anderem auch auf Stephen Hawkings »Die Detail vom Tōdai-ji Tempel, Nara, 745 200


Spuren der Zeit, Friedhof in Nara

illustrierte Kurze Geschichte der Zeit«. Aber nicht nur Zeit als eine physikalische Größe ist interessant, sondern auch wie wir Zeit erleben und wahrnehmen. Außerdem ist die Frage spannend: wie macht man Zeit sichtbar? Hierbei bin ich auf den Photographen Michael Wesely gestoßen, der besonders mit extremen Langzeitbelichtungen arbeitet. Über selbst gebaute Fotoapparate gelingen ihm Belichtungen über mehrere Monate. Sehr geringe Blendenöffnungen und verschiedene Filter ermöglichen ihm diese langen Belichtungen. Dabei werden ältere, beziehungsweise unveränderte Dinge dunkler und massiver, neue oder sich ändernde Objekte sind nur helle Schemen, fast wie Geister. Er zeigt durch seine Langzeitbelichtungen städtische Entwicklungen, wie z.B. den Neubau des MoMa in New York City, aber auch kleinere Bewegungen wie die in einem Büro. Das Thema der Zeit wird mich noch lange beschäftigen. Gerade in der Architektur ist sie ein spannendes Themengebiet: Bauen wir für die Ewigkeit oder sind es nur diese kurzweiligen Momente?

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Carolin Hensolt

Zu Anfang des Semesters konnte ich mir nur sehr wenig unter dem Land Japan und dessen Kultur vorstellen – es war mir fremd. Die ausgeprägte Höflichkeit, die sich durch ein stets freundliches Lächeln äußert, die Verniedlichung von Gegenständen, am Beispiel Hello Kitty oder diverser Mangas und die enge städtische Bebauung, wie sie in Tokyo vorzufinden ist, waren mir hingegen bekannt, da diese Faktoren vermutlich dem Stereotyp der japanischen Kultur entsprechen. Das WP Japan und die damit verbundenen Vorträge haben mein Denken grundlegend beeinflusst, wobei hierfür vor allem die Recherchen zum japanischen Garten ausschlaggebend waren. Stark beeindruckt hat mich das Verhältnis der Einheimischen gegenüber der japanischen Natur und ihre Haltung gegenüber ihrer Umwelt, welche sich über eine relativ lange Zeitspanne durch gesellschaftliche und politische Gegebenheiten entwickelt und verändert hat, sich dennoch stets durch zwei zentrale Aspekte ausgezeichnet hat: zum einen durch tiefen Respekt vor der Natur und deren Kraft, zum anderen durch große Ehrfurcht. Der Ursprung des Respektes vor der Natur liegt in der Religion des Shintoismus. Dies zeigt sich, indem besonderen Orten das Innewohnen von Geistern nachgesagt wird. Analog dazu steht die große Ehrfurcht, welche aufgrund der stets präsenten Bedrohung durch die Naturgewalten tief in den Köpfen der Japaner verhaftet ist und dadurch das Naturempfinden und die japanische Gartenkultur geprägt hat. Diese Hintergründe und politisch, gesellschaftliche Ereignisse bilden die Basis für die Entstehung der fünf zentralen Typen in der japanischen Gartenkultur: der Teichgarten, Kare-Sansui, Teegarten, Wandelgarten, Tsubogarten und moderne Garten. Jeder zeichnet sich durch unterschiedliche Charakteristika aus, doch steht hinter jeder Gartentypologie eine konkrete Idee und Philosophie. Demnach ist ein Garten ein besonderer Ort, an welchem der Betrachter sich fallen lassen darf. Aus verschiedenen Varianten wählen zu können ermöglicht es, jedem auf seine eigene Weise die Natur spüren und sich ihr spirituell hingeben zu können. Die Analyse der japanischen Gartenkultur hat mich einen Besuch im japanischen Garten des Zoos in Karlsruhe auf eine sehr bewusste Weise spüren lassen. Dieser Garten ist eine Mischform aus einem Wandelgarten kombiniert mit einem kleinen Teepavillon. Beim Betreten hatte ich das Gefühl in eine verborgene Welt einzutauchen, welche sich bei genauer Betrachtung in einer sehr öffentlichen Anlage – der stark besuchten Zooanlage – befand und dadurch einen starken Kontrast aufweist. Beim Durchschreiten und Erkennen der verschiedenen Ausblicke und Szenerien wurde mir die Finesse der Gestaltung deutlich, aber auch mit welcher Bescheidenheit und Ruhe der Garten seine Wirkung zeigt. Im kleinen Teepavillon, welcher direkt am See liegt und nur durch traditionelle Trittsteine zugänglich ist, verbrachten 202


meine Begleitung und ich mehrere Stunden, da der Ort und der Ausblick solch eine idyllische Atmosph채re ausstrahlte, die zum Verweilen und Entspannen einlud. Nach unserer Recherche hatten wir uns Gruppenintern mehrfach die Frage gestellt, ob ein Garten in Europa, der im traditionell japanischen Stil angelegt ist, die gleiche Qualit채t besitzt, wie in Japan selbst. Nach diesem Zoobesuch in Karlsruhe und dem daraus resultierenden Empfinden, w체rde ich best채tigen, dass der dortige Garten ein japanischer Garten ist.

Asthalertung im japanischen Garten

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Carolin Predatsch

Meine Eindrücke der japanischen Wohnkultur Japan, ein Land mit seiner Megacity Tokio, welches sich für mich zu Beginn des Semesters als völlig unbekanntes Terrain erwies. Zu Beginn stellte ich mir die Frage, in wie weit sich die Strukturen der westlichen Großmetropolen von denen aus Japan unterscheiden, denn in meinem Kopf ergaben sich mir in Bezug auf Japan immer Assoziationen einer ganzheitlich anderen Kultur und einer inhärenten Religiosität, die ich jedoch nicht recht zu verbinden wusste. Tokio, die Weltmetropole, in der sich die ganze Hektik und Trubel der Menschenmassen abzuspielen scheint und jeder seinem Alltagstrott in gewisser Weise verfallen ist. Doch lernte ich diese Stadt während des Wahlpflichtfachs als eine völlig andere kennen. Durch die polyzentrale Struktur wird die Stadt, trotz der immensen Bebauungsdichte, in weitläufige Stadtteile untergliedert, sodass oft weite Wege zurückzulegen sind. Doch trotz dieser Hindernisse scheint ein ausgeklügeltes und gut organisiertes System dahinter zu stecken, welches von den Bewohnern ausnahmslos angenommen wird und die Megacity zusammenhält. So spielt Gedränge keinerlei Rolle, denn die Tokioter stellen sich beispielsweise auch bei der längsten Warteschlange am Anfang der Rolltreppe hinten an. Selbst in den U-Bahnen sind die einzelnen Felder, in denen man sich aufzuhalten hat, klar gekennzeichnet und bei nicht Einhaltung wird man sogleich darauf aufmerksam gemacht.

Warten auf die U-Bahn in Tokio

Die Gestaltung des Außenraums kommt jedoch kaum zum Tragen. So lockern nicht die Grünflächen oder grüne Alleen das Stadtbild auf, stattdessen ist es keine Seltenheit, offene Stromkabel und fragwürdige Leitungsrohre an Häusern und auf der Straße anzutreffen. Die Fassaden der Häuser wirken dabei oft sehr kühl und aufgrund der dichten Bebauung und dem daraus resultierenden Lichtmangel dunkel, denn die Tokioter leben sehr introvertiert. Dies zeigt sich auch in ihrem privaten Leben, welches einen Genuss in der Öffentlichkeit untersagt. Stattdessen liegen ihre Bestrebungen darin, ihr eigenes 204


Hab und Gut, wenn auch auf engstem Raum, so auszugestalten, dass sich sogleich eine Wärme und Behaglichkeit einstellt, die natürlich nur ohne Schuhe betreten werden darf. Dabei hat die Wohnung keinen repräsentativen Stellenwert, sondern dient vielmehr der privaten Nutzung und folgt oft westlichen Vorbildern. Meist ist es nur noch ein Raum, der nach traditionellem Vorbild ausgestaltet wird und mit den bekannten Tatami-Matten ausgelegt ist. Dabei haben mir die Bedeutung der Tatami heute und in vergangen Tagen ein neues Verständnis für deren Ursprung und Hintergrund gegeben. So können die Tatami in unterschiedlicher Weise entweder um ein Zentrum oder in Reihe gelegt werden, was religiöse und rituelle Hintergründe hat. Die Himmelsrichtungen haben beispielsweise unterschiedlichste Bedeutungen und Auswirkungen auf den Raum. Je nach Anlass und Bedarf können unterschiedliche Muster gelegt werden, was zugleich auch dem Geist der Wiedergeburt entspricht, denn sowohl die Tatami an sich sind vergänglich und müssen nach gewisser Zeit ausgetauscht werden, als auch das Wohnen selbst, denn die Häuser gehören nur für eine bestimmte Zeit dem Käufer, ehe sie abgerissen werden und neuer Wohnraum für neue Käufer entsteht. Auch das Maß der Tatami ist nicht beliebig, sondern lässt sich in dem Holzsystem Kiwari begründen. Es ist nicht auf die Proportionen des menschlichen Körpers zurückzuführen, wovon sich in den westlichen Ländern viele Proportionen ableiten lassen. Die Ausgestaltung dieses traditionellen Raumes konzentriert sich auf das Wesentliche, viele Möbel werden weggelassen, sodass der Benutzer die Möglichkeit hat sich nur, auf sich selbst zu fokussieren, wobei jegliches Agieren am Boden auf den Tatami stattfindet.

Traditionelle Teezeremonie auf Tatami-Matten

Durch das Seminar habe ich viele verschiedene Einblicke in die Wohnsituation, Lebensweise und Kultur der Japaner erfahren, die in mir teilweise Verwunderung aber auch ein besseres Verständnis für das Warum gegeben haben. Vor allem die geistige Einstellung und der damit verbundene Umgang mit der Vergänglichkeit der Dinge bildete für mich einen markanten Punkt.

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Caroline Hintermayr

Japanische Bescheidenheit Bei der Recherche über den japanischen Holzbau hat mich eine Sache besonders fasziniert: japanische Schreiner und Zimmermänner gestalten die ästhetisch hochwertigen Holzverbindungen mit größter Sorgfalt und Präzision; das Ziel ist allerdings nicht das Zurschaustellen dieser Verbindungen, sondern, dass möglichst keiner entdecken kann, dass es sich um mehrere Holzstücke handelt die zusammengesteckt wurden. Diese Art der Bescheidenheit ist mir in Deutschland fremd. Hart gearbeitet wird auch in Mitteleuropa. Der Grund dafür ist aber nicht die Anpassung wie in Japan, sondern das Verfolgen eigener, individueller Ziele und der Wunsch nach einer erfolgreichen Karriere. Die Motive unterscheiden sich also schon fundamental in ihrem Ansatz. Aber ist es nur das fehlende Streben nach Individualität und persönlichem Erfolg, was die Japaner so bescheiden macht? Ein Beispiel für die japanische Bescheidenheit findet sich bereits in der japanischen Sprache: während die größtmögliche Unterscheidung in der deutschen Sprache die Verwendung von »du« und »Sie« und dem Konjunktiv ist, existieren im Japanischen sehr vielschichtigere Unterscheidungen. Es gibt eine mehrteilige Hierarchie von unterschiedlichen Sprachen der Höflichkeit in Japan. Eine davon heißt Kenjōgo und gilt als bescheidene Sprache. Diese besteht zum einen aus bestimmten Verbformen, zum anderen aus bestimmten Wörtern. Sie wird benutzt, um mit höhergestellten Personen zu sprechen. Auf den ersten Blick wirkt diese Form der japanischen Sprache etwas befremdlich, wenn man sie wörtlich ins Deutsche übersetzt. Allerdings bedeutet das Japanische »Ich belästige Sie« nichts anderes als »Vielen Dank für Ihre Gastfreundschaft«. Würde man in Mitteleuropa eine beliebige Person danach fragen, was sie sich denn wünschen würde, hätte sie einen Wunsch frei, würde ein Großteil wohl damit antworten, dass sie gerne im Lotto gewinnen würden. Reichtum scheint als erstrebenswert. Auch hier unterscheidet sich Japan von Deutschland durch seine Bescheidenheit. Selbst wenn man hart dafür arbeitet, ist viel Geld in Japan nicht gerne gesehen. Chefs großer Firmen verdienen nur einen Bruchteil von Menschen in vergleichbaren Positionen in Deutschland. Und das nicht ohne Grund: wer mehr als eine Million Euro pro Jahr verdient, wird in einer Liste erwähnt. Das Auftauchen des eigenen Namens auf dieser Liste gilt in Japan als peinlich. Was ich aber im Bezug auf die japanische Genügsamkeit am Meisten erstaunt hat, ist das Verhalten der Japaner nach dem Erdbeben im März 2011, welches die Nuklearkatastrophe von Fukushima auslöste. Um trotz der extremen Kälte, 206


die dort zu dieser Jahreszeit herrschte, heizen zu können, mussten die Menschen Benzin und Heizöl kaufen. Während in einer ähnlichen Situation in Deutschland wohl eine Massenpanik ausbrechen würde und alle Menschen Tankstellen stürmen und ausplündern würden, stellten sich die Japaner geordnet vor den Läden an und warteten ohne vordrängen bis sie an der Reihe waren. Dieses Beispiel zeigt meiner Meinung nach besonders gut, wie tief die Bescheidenheit in der japanischen Kultur verwurzelt ist. Gerade in Extremsituationen, in denen eigentlich nur noch nach menschlichen Überlebensinstinkten gehandelt wird, noch so genügsam zu bleiben und sich nicht als Individuum in den Vordergrund zu stellen, ist sehr beachtlich. Bei meiner weiteren Recherche zum Thema japanische Bescheidenheit hat sich die Bewunderung verfestigt, die sich während meiner Teilnahme am Wahlpflichtfach Japan entwickelt hat. Für Europäer ist es schwer nachvollziehbar, aber umso bemerkenswerter, wie tief die Genügsamkeit in der japanischen Kultur verwurzelt ist. Es wäre wünschenswert, wenn man sich auch in der westlichen Welt zumindest in einem begrenzten Maß an diese Bescheidenheit anlehnen würde und sich nicht nur vordergründig als Individuum sehen würde.

Erweisen von Respekt

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Elena Dumrauf

Diese eindrückliche Reise auf wenige Worte und ausgewählte Bilder zu reduzieren fällt nicht einfach. Viele Gedanken, Eindrücke und Emotionen beginnen sich erst langsam zu setzen. Zum einen ist da die Hektik der Großstädte, zum anderen aber auch die Idylle der Gärten und versteckten Rückzugsorte. Und doch bleibt übergreifend die Emotion der Ruhe. Die folgende Wortcollage soll Empfindungen und Emotionen hervorrufen und mithilfe nur einen Wortes eine Geschichte erzählen, die bei jedem Leser eine andere sein wird.

Flugzeug. Frankfurt. Tokyo. Großstadt. Jetlag. Reise Hektik. Ruhe. Autos. Menschenmassen. Metro. Po Plastiktüte. Schlangestehen. Weltarchitektur zum Anfassen. Muji. Höflichkeit. Ordnung. Sauberkeit. Tackermann. Prada. TOD´s. Deutsche Botschaft. Olympiastadion. Kenzo Tang Landschaft. Idylle. Sinkansen. Kyoto. Villa Katsura. Wor des reinen Wassers. Gesundheit. Liebe. Erfolg. Miho. I.M. Aligato. Sushi. Steingarten. Zen. Ramen. Fisch. Kimono. Naoshima. Ando Tadao. Raumerlebnis. Chichu.

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e. Ryokan. Tatami. Minihouse. Gemeinschaft. Skyline. owernap. Sicherheit. Reisepass. Desinfektion. Toilette. Ando-san. Sichtbeton. Metabolismus. Sakralbau. Museum. Ginza. Shopping am Sonntag. Dior. Hermès. Swatch. ge. Corbusier. Fuji. Nezu Meseum. Kengo Kuma. Garten. rtlosigkeit. Ruhe. Stille. Tee. Kaiserpalast. Tempel Pei. Teezeremonie. Tokonoma. Macha. Leere. Sensei. Reis. Sake. All You Can Drink. Essstäbchen. Geisha. Benesse. Ozean. Hai. Highlight. Teshima. Kanpai.

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Franziska Mack

Das erste was mir auffiel waren die vielen Helfer, die an jeder Abbiegung darauf warteten, den Reisenden Fragen zu beantworten und sie mit freundlichem Kopfnicken und Handzeichen in die richtige Richtung weisen. So war die Gepäckausgabe nicht zu verfehlen. Ein kleiner Zwischenstopp auf der Toilette brachte gleich die nächste Überraschung mit sich. Das Japaner Toiletten mit besonderen Funktionen faszinieren, wusste ich schon, dass jedoch wirklich jede Toilette, die ich in Japan besuchte, mit unterschiedlichsten Knöpfchen ausgestattet war, überraschte mich schon. Ich setzte mich auf die beheizte Klobrille und plötzlich war die Kabine erfüllt von Vogelgezwitscher und Wasserrauschen. Weiter ging es dann zu unserer ersten Unterkunft auf der anderen Seite Tokios. Gleich beim Warten auf die Metro probierte ich einen der Getränkeautomaten aus, die an jeder Ecke zu finden sind. Bei dem häufig schwülen Wetter in Tokio ist man dafür sehr dankbar. Die Metro fuhr meist überirdisch, sodass man sich durch die Fenster einen ersten Eindruck der Stadt machen konnte. Wir hatten uns im Seminar bereits mit der polyzentrischen Stadtstruktur der Megacity auseinandergesetzt, aber sich theoretisch mit etwas zu beschäftigen ist doch etwas anderes, als es in Realität zu entdecken. Wenn man von einem Stadtviertel in das nächste läuft hat man das Gefühl, innerhalb von 20 Minuten von einer kleinen Stadt in die nächste kleine Stadt zu laufen. Unsere Gruppe mit dem Thema Minihäuser war positiv überrascht zu sehen, dass dieser Haustypus tatsächlich einen Großteil der Wohnhäuser darstellt. Jedes Haus ein Einzelstück, nicht an das Nachbarhaus angepasst, sonderbare Dachformen mit Knicken und sehr schmale Spalte zwischen den Hauswänden. Wir hatten gelernt, dass diese äußeren Merkmale durch die historische Entwicklung und Vorgaben des Baurechts zustande kommen. Wir liefen zu Fuß zu unserem Ryokan, überrascht vom Linksverkehr einerseits und davon, wie unheimlich ruhig der Straßenverkehr ablief. Kein Gehupe, kaum Motorengeräusche durch Elektroautos und den Flüsterasphalt auf der großen befahrenen Straße und kaum Autos in den kleineren Wohngassen sorgten in dieser riesigen Stadt dafür, dass ich mich nicht so verloren oder klein fühlte, wie ich es erwartet hatte. Stattdessen begegneten uns einiger Fahrräder, die ich nicht erwartet hätte. 210


Unser erster Schlafplatz war ein 5 Mattenraum mit verschiebbaren Shojis, den wir mit Futons und unseren Reisetaschen sehr schnell ausgefüllt und eingenommen hatten. Was mir besonders in Erinnerung geblieben ist, war der angenehme Geruch nach Stroh, der von den Tatami Matten ausging. Der Raum war durch das gefilterte Licht, das von außen eindringen konnte, und dem weichen Untergrund angenehm und gemütlich. Tokio Besonders beim Metro fahren fiel mir auf, wie in sich gekehrt die meisten der Japaner sind. Die meisten fielen nach dem Einsteigen in einen leichten Schlaf, egal ob mit Sitzplatz oder ohne. Außerdem wird die Zeit in der Metro noch effektiv genutzt, um am Laptop zu arbeiten, zu lesen, zu chatten oder Handyspiele zu spielen. Die Präsenz des Mobiltelefons Typische Szenerie in Tokio ist, nicht anders als bei uns, allgegenwärtig. Telefonieren ist in der Metro aber nicht erlaubt, wie Hinweisschilder zeigen. Die Wenigsten führen ein Gespräch, da sich die Meisten auch nicht kennen. Daher ist es selbst zur Rush Hour in der überfüllten Metro unheimlich leise und ich kam mir manchmal vor wie der Elefant im Porzellanladen, wenn ich etwas zu laut lachte oder redete. Im Gegensatz dazu konnte man die Japaner abends in ausgelassener Stimmung beim Essen mit reichlich Alkohol, dem Chef und den Kollegen beobachten. Sie lachten, klatschen und waren richtig laut. Auch die Manga-Kultur und die lauten, bunten Spielehallen stellen für mich einen Gegenpol zum zurückhaltenden, fast schüchternen Verhalten vieler Japaner im Alltag dar. Die bunten, teilweise ziemlich sexistischen Kostümierungen, die laute Musik und der Trubel im Stadtteil Akihabara ließen mich in eine andere Welt eintauchen, die nichts mit dem bisher erlebten Tokio zu tun hatte und in der ich mich nicht wirklich wohlfühlte. Was mir besonders in Erinnerung bleiben wird, ist die Freundlichkeit und die Hilfsbereitschaft der Japaner. Die wenigsten sprechen Englisch, aber wenn man ihnen irgendwie sein Problem erläutern kann, scheuen sie keine Mühen und helfen wie sie nur können. Wir fragten beispielsweise eine Frau nach dem Weg zu einer bestimmten Metro Station. Es war bereits 12:00 nachts und die Bahn würde nicht mehr lange fahren. Sie war gerade dabei im Restaurant wo sie arbeitete aufzuräumen, hatte also eigentlich schon Feierabend. Als sie merkte, dass wir ihre Wegbeschreibung auf japanisch nicht verstanden hatten, ging sie kurzerhand mit uns durch die überfüllte Partymeile in Shibuya zur nächsten 211


Altstadt von Kyoto

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Metrostation und brachte uns bis zu unserer Bahn. Zu guter Letzt bedankte sie sich bei uns und verbeugte sich zum Abschied. An vielen Sehenswürdigkeiten, die wir mit der Exkursionsgruppe besichtigten, waren mehrere Schulklassen gleichzeitig unterwegs. Denn jedes japanische Schulkind soll einmal bei den wichtigsten Kulturstätten gewesen sein. Auffallend waren die Schuluniformen der Kinder, die vom Hut über die Socken bis zum Schulranzen abgestimmt waren. Abgesehen davon, dass dies ein unheimlich süßer Anblick war, verschwinden die Kinder so in der Masse und lernen schon früh, nicht aufzufallen. Um ihr Schulenglisch praktisch anzuwenden bekamen die Schüler die Aufgabe, uns einfache Fragen zu stellen. Wenn das geschafft war, wurde ein Foto gemacht und manchmal bekam man sogar noch ein kleines Geschenk Kyoto Obwohl Kyoto nur ca. 1/32 der Bewohner von Tokio zählt, fühlte sich Kyoto für mich viel lauter, dreckiger als Tokio und fast chaotisch an. Schaut man vom hohen Bahnhofsgebäude auf die Stadt, wirkt es, als sei die Stadt zwischen die grünen Berge ringsherum gequetscht. In Japan sind die Berge heilig und dürfen nicht bebaut werden. Die Häuser in der Altstadt von Kyoto in ihrer traditionellen Holzbauweise mit Shojiwänden und Rollos aus Bambus fand ich unheimlich schön. Ich fühlte mich in der Zeit zurückversetzt und konnte mir bildlich vorstellen, wie die Frauen in ihren Kimonos durch die Straßen schlurften. In Kyoto kamen wir durch die Besichtigung vieler Tempel auch mit dem Buddhismus in Berührung. Ich kenne mich damit nicht wirklich gut aus, doch ich denke, dass diese Religion einige Werte vermittelt, die mir persönlich und allgemein unserer Gesellschaft helfen könnten, ein zufriedeneres und erfüllteres Leben zu führen. Sich auf sich selbst zu konzentrieren und dadurch die Erlösung zu finden ist eine sehr interessante Betrachtungsweise. In unserem Alltag sehen wir oft nur die Anderen – und auch unser Leben betrachten wir oft von außen, immer mit dem Blick in die Zukunft. Wenn man sich mehr auf den Moment konzentriert und versucht, mit dem Jetzt seinen Frieden zu schließen, denke ich, hilft das sehr dabei, glücklich zu werden und sich dann aus dieser Position weiterzuentwickeln. Einen Höhepunkt markierte auch die Teezeremonie am letzten Exkursionstag in Kyoto. Die Teemeisterin zog mich mit ihrem freundlichen, wachen Blick und ihrer positiven Ausstrahlung von Beginn an in ihren Bann. Sich auf die rituellen Bewegungen und den Ablauf der Teezubereitung zu konzentrieren und einzulassen war etwas Einmaliges und ließen mich zur Ruhe kommen. 213


Gianna Mechnig

Im Rahmen des Wahlpflichtfachs Japan im Sommersemester 2017 habe ich viele Erkenntnisse in Bezug auf die Kultur und Denkweise der Japaner machen können. Diese haben mir geholfen, die japanische Architektur ein bisschen besser zu verstehen, die sich teilweise in grundlegenden Dingen, aber auch in Details sehr stark von der gewohnten westlichen Architektur abhebt. Besonders die Themen Privatsphäre und Umgang mit dem Außenraum werden dort deutlich anders behandelt, als man es hier bei uns kennt. Das Thema meiner Gruppe war die Raumnutzung in der Großstadt, wobei wir London mit Tokio verglichen haben. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass sich die beiden Städte so grundlegend unterscheiden, nachdem ich davon ausging, dass sich unter anderem aufgrund der Globalisierung die meisten Großstädte heutzutage immer ähnlicher werden. Alleine die rechtliche Situation in Japan bzgl. der Grundstücksteilung im Erbfall ist für Europäer schwer nachvollziehbar, da man sich nicht vorstellen kann, auf solch kleinem Raum ein Haus zu errichten, welches tatsächlich Wohnqualität hat und die Bewohner sich darin wohlfühlen. Auch die ehrgeizige und höfliche Mentalität der Japaner hat mich sehr beeindruckt, da man auch dies in unseren Breiten nicht in diesem Ausmaß gewohnt ist. Ich habe den ersten richtigen Kontakt mit der für uns doch so fremden Kultur gehabt, während ich in London gelebt habe. Meine indische Londoner Mitbewohnerin, die fleißig japanisch lernte und extrem begeistert von dem Land und den Leuten war, hatte Gäste aus Tokio und hat ihnen erklärt, dass man in der Stadt gut auf seine Wertsachen aufpassen müsse, da an vielen belebten Plätzen Taschendiebe lauern und man gar nicht so schnell schauen könne, wie schnell einem die Sachen entwendet werden. Die Reaktion der beiden japanischen Besucher hat mich damals sehr überrascht, denn sie waren nahezu schockiert und konnten nicht glauben, was sie gerade gehört hatten, weil sie nicht dachten, dass es so hinterhältige Menschen gibt, die anderen ihren Besitz klauen. Ich fand das damals unglaublich und konnte mir nicht vorstellen, dass einem in Tokio der Geldbeutel sogar noch hinterher getragen wird, wenn man ihn verliert. Aber genau diesen Punkt hat dann Ulf Meier in seinem interessanten und lebendigen Vortrag bestätigt. Auch mit meinem jetzigen Mitbewohner in Konstanz hatte ich sehr erkenntnisreiche Gespräche, nachdem er selbst ein halbes Jahr in Tokio gelebt und gearbeitet hat. Er hat mir von seinem Besuch bei der sehr gastfreundlichen Familie einer japanischen Freundin erzählt, deren Haus typisch japanisch aufgebaut war – inklusive Engawa und Tatami-Matten, halbtransparenten papierartigen Wänden, beheizbarer Badewanne und kleiner Gebetsnische für den verstorbenen Großvater. 214


Obwohl die Familie modern und nicht sehr religiös war, hielten sie doch an diesen alten Traditionen fest. Auch die Angst davor, im Sommer braun zu werden und lieber lang bekleidet unterwegs zu sein, auch bei noch so großer Hitze, konnte er mir bestätigen. Oder dass fast alle Arbeitenden in dunklen Anzügen gekleidet sind, auch wenn sie einen eher durchschnittlichen Job haben – was wiederum dazu führt, dass im Sommer ein enormer Kühlungsaufwand in den Gebäuden betrieben werden muss, damit den Leuten nicht zu heiß wird. Aufgrund dessen hat die Region Tokio den sog. ›cool Friday‹ eingeführt, an welchem man sich legerer und den sommerlichen Temperaturen angepasst kleiden soll, um Strom für Klimaanlagen einzusparen. Auch die Rolle der Frau ist scheinbar noch lange nicht so emanzipiert wie in Europa, berichtete mein Mitbewohner. Diese Fakten erinnern an vergangene Zeiten und lassen das Land, das eigentlich so modern und fortschrittlich scheint, wiederum sehr kontrastreich und undurchschaubar erscheinen. Alles in allem kann ich sagen, dass ich über das Land und dessen Bewohner in ihrem Wesen sehr viel erfahren habe, ich sie aber noch nicht in allem richtig durchschaut habe. Es wurden viele Fragen beantwortet, aber es bleiben auch umso mehr zurück, je näher man sich mit dem Land beschäftigt. Je mehr ich erfahren habe, desto weniger schien ich verstehen zu können, wie das Land tickt. Um mir ein richtiges Bild machen zu können und noch mehr zu verstehen, werde ich in jedem Fall eine Reise dorthin machen, sobald sich mir eine Chance bietet.

Tokio bei Nacht

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Hannah Reinhardt

Verhaltensweisen, Eigenheiten und Ordnungsprinzipien in Japan – und ich mittendrin!? Eine Reise durch Japan über vier Wochen hat Eindrücke, Erfahrungen und Begegnungen entstehen lassen, welche voraussichtlich noch einer längeren Weile der Reflektion und Verarbeitung bedürfen. Kurze Zeit nach der Rückkehr beherrscht noch immer das Gefühl der Erschlagenheit den Geist. Mit Überlegungen zur Frage »Wenn ich an Japan denke, dann...« begaben wir uns auf unsere Architekturreise durch Japan. Ein Vorbild, welches wir uns selbst mit auf den Weg gaben: gut erörterte, dennoch weiterhin verschwommene Bilder von Japan, die es zu schärfen galt. Immer wieder halfen uns unsere Vor.Bilder dabei, Situationen, Begegnungen oder Themen sensibler zu durchdenken, für uns festzuhalten und auch gemeinsam zu diskutieren und uns auszutauschen. Die Sinne waren geschärft und so wage ich zu behaupten, wurden die Erfahrungen noch intensiver. Bei allem Erlebten tritt für mich ein Thema jedoch sofort in den Vordergrund: Die Menschen in Japan und ihre Eigenheiten. Erste Reiseberichte führen immer wieder auf Geschichten zurück, welche in Zusammenhang mit dem öffentlichen Leben, der Kultur und Verhaltensweisen stehen. Spannend für mich ist daran auch die Reflektion des Eigenen Ichs: Wie habe ich mich dort gefühlt? Wie habe ich mich zurechtgefunden? Wie habe ich mich in das Leben eingefügt? Was habe ich davon mit nach Hause genommen? Ein im japanischen Alltag sehr präsentes und grundsätzliches Thema sind Ordnungsprinzipien: ob in öffentlichen Verkehrsmitteln, im Supermarkt oder auch im Bereich des Privaten und im Miteinander. Alles hat ein ordentliches Prinzip und jeder hält sich wie selbstverständlich an dieses – so zumindest empfinde ich es nach unserer kurzen Zeit des Eintauchens in diese Ordnungswelt. An einem Bahngleis stellt man sich akkurat aufgereiht in einer Schlange an, nicht irgendwo, nein, in einer dafür gekennzeichneten Fläche auf dem Boden, in zwei Reihen vor jeder Waggontür, der erste Platz ist durch zwei Fußabdrücke markiert. Eine weitere Markierung gibt uns den Bereich, an in dem wir unser Gepäck während einer kurzen Wartezeit abstellen dürfen. Auffällig auch die Disziplin, Geduld und Selbstverständlichkeit der Japaner mit welcher sie sich an die Vorgaben halten, während wir in einem ständigen Durcheinander nach neuerlichen Ordnungen suchen. Zunächst ist es ein spannendes Erlebnis, es 216


beeindruckt mich mit welchem Respekt sich jeder Mensch dem vorgegebenen Prinzip unterordnet. Die Gemeinschaft läuft wie ein Uhrwerk. Die klaren Vorgaben sind es auch, welche es mir einfach machen, mich einzufinden und Teil dieser ›Maschinerie‹ zu werden – »Wo ist die nächste Markierung?« schießt es mir immer wieder durch den Kopf. Beeindruckend finde ich es, wie die Ordnung auch eine gewisse Ruhe in den Alltag bringt, eine Millionenmetropole wie Tokio, in der man ein unangenehmes und lautes Chaos in den öffentlichen Bereichen nicht findet. Ich fühle mich sicher, aufgehoben und eingeordnet.

Bewegungsrichtungen sind durch Zebrastreifen gekennzeichnet

Allmählich beginne ich aber auch dieses gesamte System zu hinterfragen, ein sonderlich fremdbestimmtes Gefühl kommt hier und da in mir auf. Zu viele Vorgaben für mich als Europäer? Es mag damit zusammenhängen, das man auch zunehmend Erlebnisse hat, in denen man die Ordnung aus einer Unaufmerksamkeit heraus verfehlt: in einem kleinen Supermarkt an die freie Kasse treten, ganz arglos seinen Einkauf bezahlen und im wegtreten bemerken, dass man mehrere Japaner in einer (natürlich markierten) Warteschlange zwischen den Regalen übergangen hat. Das schlechte Gewissen und eine peinliche Berührtheit plagt einen, in einem solchen Land gleich doppelt. Oft beschleicht einen das unangenehme Gefühl, man könnte eine der Regeln respektlos übergangen haben.

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Verkehrsknotenpunkt in Tokio

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Ist es andererseits so schlimm sich daran zu halten? Ich ertappe mich jedenfalls auch zunehmend dabei, wie ich rebellisch ein paar Regeln missachte. Vielleicht weil ich mein im Vergleich dazu freies und lässiges Bewegungsfeld aus meinem gewohnten Umfeld vermisse. Als außergewöhnlich eindrücklich empfinde ich das ›innere‹ Ordnungssystem der Menschen, welches aus einer Kultur heraus kommt, welcher man sich während der Reise mit voller Bewunderung annäherte. Rücksichtnahme, Freundlichkeit, Zuvorkommenheit, großer Respekt vor meinem Gegenüber, Achtung der Gemeinschaft – Eigenschaften die in Japan einen mutmaßlich sehr viel höheren Stellenwert einnehmen, als wir es gewöhnt sind. Und Eigenschaften, denen man sich mit Begeisterung anpasst. Die Zeit in Japan hat einem auch vieles mit auf den Weg nach Hause gegeben. Dadurch, dass die eben beschriebenen Eigenschaften und das Verhalten im Miteinander meist fast schon übertrieben positiv aufgefallen sind, nimmt man auch sein Selbst kritischer wahr. Für uns kleine Fehlverhalten, wie unbedachte Rempeleien auf der Straße, das Überqueren einer roten Ampel, ... werden dort plötzlich zu etwas, was uns vollkommen verwerflich vorkommt.

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Janine Larsch

Nishinoyama – so sollte unser Ziel lauten, doch dann kam alles anders. Selbst nach einer Woche in Japan voller Faszination und eindrücklichen Begegnungen hatte ich mich bis dahin immer noch nicht an diese skurrile und uns so vollkommen fremde Welt gewöhnen können. Ein neuer Morgen brach an und wie die gesamte Reise über war ich voller Erwartungen, Vorfreude und konnte es kaum erwarten das Erlebte aufzusaugen und nie wieder loszulassen. Touristisch, etwas orientierungslos und mit leuchtenden Augen machten wir uns in Richtung Nishinoyama House von Kazuyo Sejima auf. Wir liefen durch Wohnsiedlungen, vorbei an süßen kleinen Häusern, mit unzähligen Pflanzen neben den Eingangstüren, durch die Straßen Kyoto‘s. Instinktiv, als würden wir den Weg bereits kennen, zog es uns immer weiter den kleinen Hügel hinauf – und dann waren wir da. Inmitten eines Friedhofes. Es war vollkommen anders – vor den Grabmalen standen kleinen Opfergaben und überall waren hölzerne Tafeln mit Wünschen und Versprechungen an die Verstorbenen. Es war leise und unbeschreiblich romantisch – einfach wunderschön. Seit diesem spirituellen Augenblick sehe ich Japan mit anderen Augen. Es war nicht mehr fremd, sondern es wurde zum schönsten Land das ich bisher bereisen durfte. Das japanische Kaiserreich war bis 1947 eine nach dem monarchischen Prinzip ausgerichtete, zum Teil an preußischem Vorbild angelehnte, konstitutionelle Monarchie mit einem Kaiser als Staatsoberhaupt. Damit zählte Japan zu einem der weltweit letzten Kaiserreiche. Seine aggressive Expansionspolitik in China im Vorfeld und während des Zweiten Weltkrieges (Pazifikkrieg) führte schließlich zur Niederlage an der Seite der Achsenmächte im August 1945. Im unter Douglas MacArthurs‘ Besatzungsregierung gestalteten japanischen Staat seit 1947 ist der Souverän 220


das Volk, höchstes Organ der Staatsgewalt das Parlament, dessen Kammern seither beide direkt vom Volk gewählt werden. Das Kaisertum wurde nicht abgeschafft, aber der Kaiser als »Symbol des Staa«, dessen Kammern seither beide direkt vom Volk gewählt werden, in seiner Macht eingeschränkt. Als historisch erste Industrienation Asiens hat Japan heute eine sehr hoch entwickelte Volkswirtschaft und war viele Jahre lang die weltweit zweitgrößte Wirtschaftskraft der Welt, hinter den Vereinigten Staaten, mit denen es militärisch seit 1952 verbündet ist. Japan ist Mitglied der Gruppe der Sieben größten Industrienationen der Welt und der OECD. Japan nimmt in der Rangfolge gemäß dem Index der menschlichen Entwicklung der Vereinten Nationen den 17. Platz ein

Friedhof in Tokio

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Josefine Bauer

»Ich glaube nicht, dass die Architektur zu viel reden sollte. Sie muss schweigen und die Natur durch die Sonne und den Wind reden lassen.« Tadao Ando

Lee Ufan Museum, Naoshima, Tadao

Von Kirschblüten und Schalungskernen. Meine Faszination für japanische Architektur entstand bei einem Besuch des Vitra Campus in Weil am Rhein. Nachdem wir unter anderem das Vitra Design Museum von Frank Gehry, das Vitra Haus von Herzog & de Meuron und das Feuerwehrhaus von Zaha Hadid besichtigt hatten, endete die Führung an einem Gebäude, das ich bis dahin übersehen hatte: den Konferenzpavillon von Tadao Ando. Der Pavillon fügt sich mit zurückhaltender Eleganz in den Vitra Campus ein, denn nur ein Teil des Gebäudes liegt über der Erde. Das Hauptvolumen des Baukörpers befindet sich unterhalb der Grasnarbe, dennoch bekommt man als 222


Besucher nicht den Eindruck, sich unter der Erde zu befinden. Der Pavillon liegt eingebettet in eine Kirschbaumwiese, ein schmaler Weg führt an einer rechtwinkligen Betonmauer entlang zu einem schmalen, tunnelartigen Eingang. Im Innenraum wird der asketische Eindruck, den das Gebäude von Außen schon vermittelt, noch verstärkt. Der rohe Sichtbeton wird in seiner kühlen Eleganz durch die roten, schwarzen und dunkelgrauen Stühle als farbige Kontrastpunkte noch verstärkt. Besonders bewegt hat mich in diesem Gebäude der respektvolle Umgang mit der Natur, den ich bis dahin in keinem anderen Gebäude so stark hatte spüren können. Tadao Andos Gebäude sind bekannt dafür, im Einklang mit der Natur zu stehen. Jedoch ist Ando nicht der einzige Architekt seines Landes, für den die Natur eine besondere Bedeutung spielt. In Japan findet der Dialog zwischen Gebäude und Natur seinen Ursprung zum einen in den traditionellen japanischen Häusern, welche breite Fenster– und Türöffnungen haben, um eine Querlüftung im Sommer zu ermöglichen. Japanische Häuser haben eine flexible Raumgestaltung, die versucht, die Natur in das alltägliche Leben einzubinden – ein Konzept, das auch mit der buddhistischen Religion eng verbunden ist. Der Respekt vor der Natur in Japan kommt sicher aber auch daher, dass das Land schon mehrfach von heftigen Erdbeben und Tsunamis erschüttert wurde und die Macht der Natur deutlich zu spüren bekam. Aber auch die Schönheit der Natur wird in Japan sehr geschätzt. Zur Kirschblüte werden beispielsweise große Feste (Hanami – was übersetzt »Blüten betrachten« heißt) gefeiert. In den etwa zehn Tagen, in denen die Kirschen in Blüte stehen, feiern fast alle Japaner ein Hanami im Park mit Freunden und Familie. Dabei sitzt man auf einer Picknickdecke und trinkt reichlich Sake. Insgesamt ist das Bewusstsein für die Natur in Japan von Grund auf tiefer in den Menschen verwurzelt, sodass man dieses Bewusstsein als Deutscher schwer nachempfinden kann. Dennoch lohnt es sich, sich auf solche neuen Sichtweisen einzulassen und auch, wenn man das tiefe Wesen dieses natürlichen Bewusstseins der Japaner nicht nachempfinden kann, sich etwas von dem Respekt vor der Natur und dem dadurch resultierenden Verhalten abzuschauen. Im Seminar habe ich viel Neues über die japanische Kultur, ihre Traditionen, Bauweisen und Gebäude gesprochen. Immer wieder konnte ich dabei mit dem neuen Wissen unbekannte Verknüpfungen und Hintergründe zu meiner ursprünglichen Faszination des Umgangs mit der Natur erfahren. Mir ist auch wieder bewusst geworden, dass sich viele Dinge nicht verallgemeinern lassen, es gibt nicht DEN japanischen Architekten, DAS japanische Haus. Und doch meine ich drei Merkmale herausgefiltert zu haben, die in zahlreichen japanischen Gebäuden zu finden sind. Dazu gehört eben das Einbinden der Natur – der unaufdringlichen Verschränkung von Innen und Außen – und die fließende Folge von Räumen der Begegnung und des Rückzugs. Außerdem ist Architektur nie Selbstzweck, sondern immer auf die Bedürfnisse der Menschen angepasst. Meiner Meinung nach sind das alles Werte in der Architektur, die auch in anderen Ländern viel mehr Beachtung finden sollten. 223


Julia Schall

Mein Japan ist schwer in Worte zu fassen und auf wenige Bilder zu reduzieren. Mein Japan setzt sich aus unendlich vielen Gedanken, Bildern, Eindrücken und Erlebnissen zusammen. Mein Japan besteht aus drei zeitlichen Teilen, die im Folgenden im Ist–Zustand betrachtet werden. Immer eine Gegebenheit steht exemplarisch für den jeweiligen Abschnitt, welche zu meinem momentanen Bild von Japan zusammenführen. Mein Japan vor der Reise. Das erste Bild von Japan besteht aus Erzählungen und Fotos von Reisen – den, Literatur– und Internetrecherchen und insbesondere den Berichten des Seminars »Japan – Zwischen Tradition und Moderne«. Besonders die Vielschichtigkeit bekommt man immer wieder zu hören, zu sehen und beim Eintauchen in ein Bild auch zu spüren. Scheinbar verstehen es die Japaner, mit wenig auszukommen und dennoch erfüllt zu leben. So ist es wohl auch mit dem Raum. Die Reduktion des Raumes führt durch eine Vielschichtigkeit, durch Raumüberlagerungen, zu einem ganzheitlichen Raumerlebnis. Diese Wirkung ist bereits in den traditionellen Wohnhäusern vorhanden. Dieses Phänomen wird in den japanischen Minihäusern der heutigen Zeit auf die Spitze getrieben, gleichzeitig muss auch in der Gesellschaft eine gewisse Verhaltensweise einfordern. Der Gedanke an die Vielschichtigkeit, der durchaus nicht fremd erscheint, erzeugt ein erstes Bild im Kopf. Ein Bild das Japan, anders erscheinen lässt. Mein Japan während der Reise. Dieses Andere erscheint in Japan nicht mehr so fremd, wie erwartet. Es entsteht ein Gefühl der Vertrautheit in der Fremde. Das Teshima Art Museum von Nishizawa, ein Raumgebilde, die Einheit von Natur, Kunst und Architektur, vereint so vieles was mein Japan ausmacht. Die Hinführung durch die Natur mit sich unterschiedlich öffnenden Blickwinkeln, der Blick über die Felder auf das Meer, das Übertreten der Schwelle durch das Zurücklassen der Schuhe. 224


Das Eintreten in einen Raum, der eine unbeschreibliche Wirkung besitzt. Eine vollkommene Ruhe ausstrahlt. Verschiedene Blickwinkel eröffnet. Die Kunst zur Geltung bringt. Die Natur ins Gebäude zieht. Sich nach draußen und in den Himmel erweitert. Keine Grenzen aufzeigt. Eine nicht sichtbare Vielschichtigkeit besitzt und somit zahllose Orte beinhaltet. Zur Bildung von Räumen um das geistige Individuum führt, in diesem einen großen Raum. Den Menschen dadurch vollkommen – von der Außenwelt entrückt — in sich gehen lässt. Die Ruhe, die Kunst, die Natur, die Architektur, den Raum auf sich wirken lassen und mit all dem eine Einheit bilden.

Raumüberlagerungen in der Villa Katsura

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Teshima Art Museum, Ruye Nishizawa und Rei Naito

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Mein Japan nach der Reise. Es sind nicht unbedingt die Dinge an sich, sondern vielmehr wie die Dinge sind, die das einzelne Objekt oder die einzelne Gegebenheit in ihrer Wirkung verstärken. So würde die Schwelle vielleicht schnell übersehen werden, wenn sie nicht durch eine Stufe oder die Materialität abgesetzt wäre. Das Durchschreiten eines japanischen Gartens wäre auch etwas anderes, wenn man nicht seinen Fuß bewusst auf den nächsten Trittstein setzen müsste. Die Trittsteine sind ein gutes Beispiel, um Japan zu verstehen. Sie verdeutlichen die Sensibilität, mit der sie wahrgenommen werden. Das Bewusstsein, welches sie erfordern, um nicht daneben zu treten. Sie stehen für die Lebensart der Japaner, den Umgang mit den Dingen und die Behandlung der Menschen. Aber auch die Geradlinigkeit, strikte Ordnung und Unterwürfigkeit. Aspekte, die man durchaus hinterfragend im Hinterkopf behält. Japan ist vielschichtig, überlagert, differenziert und dennoch bilden die Elemente fast immer eine Einheit. Überall ist eine Gewissenhaftigkeit, eine ruhige Betrachtung und Herangehensweise an die Dinge, eine Sensibilität zu spüren. Es ist die Sehnsucht nach dem Kleinen, dem Einzelnen. Japan ist detailreich. Mein Japan ist sensibel. 227


Julian Häfele

Als ich zu Beginn des Semesters das Angebot für das WP Japan las, hat es sofort meine Neugierde geweckt. Das Land selbst war für mich bisher eher eine große Unbekannte und mein Bild von Japan viel durch Hörensagen, für nach europäischem Empfinden sehr lustige japanische TV-Werbung und die Namen von bekannten Architekten japanischer Abstammung wie Kenzo Tange, Tadao Ando und Suo Fujimoto geprägt. Die Vorstellung, die ich von Japan hatte, lies das Land für mich als hoch-technologisiertes und eher westlich orientiertes Land erscheinen, welches durch Leuchtreklamen in Tokio ein Gefühl von New York aufkommen lässt. Aus diesem Grund interessierte mich die Teilnahme am WP umso mehr, weil ich mir dadurch erhoffte, das Land ein bisschen besser kennenzulernen, auch ohne die Möglichkeit einer Exkursion nach Japan wahrzunehmen. Nachdem Gruppen und Themen zugeteilt waren und wir mit der Arbeit begannen, trafen wir auf erste Überraschungen. Durch die wöchentlichen Besprechungen der anderen Gruppenarbeiten konnte man viel dazu lernen und seinen Horizont auch außerhalb des eigenen Themengebietes erweitern. Vor allem der Besuch von Ulf Meyer war hochinteressant und öffnete mir die Augen in Sachen japanisches Arbeitsleben, Privatsphäre und Leben in der Familie, die fast nicht vorhandene Kriminalität in einer so riesigen Stadt wie Tokio und die Lebensdauer von Gebäuden. Dieser Punkt überraschte mich sehr, weil ich Japan durch seine Hochtechnologisierung auch gleichzeitig als Land einstufte, dass sorgsam mit Ressourcen umgeht und nachhaltig handelt. Ein Abbruch und Neubau von Gebäuden innerhalb von durchschnittlich knapp 30 Jahren ist das definitiv nicht. Auch der Import von so gut wie jedem nötigen Baumaterial überraschte mich sehr, ergab dann aber auch wieder Sinn, nachdem ich erfuhr, dass Wald und Berge für Japaner durch den Shintoismus heilig sind und nicht angerührt werden. Auch der Gedanke des Shintoismus, der mir davor gänzlich unbekannt war, weckte meine Neugierde. Dass wir später in der eigenen Gruppenarbeit auch noch darauf stoßen würden, wusste ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Ich werde vom WP Japan sehr viel Neues und interessantes Wissen mitnehmen. Außerdem hat das WP den Drang in mir ausgelöst, selbst einmal nach Japan zu reisen, um so wie die Studentengruppe unserer Hochschule zumindest einmal ein bisschen an der vielseitigen und zu großen Teilen (für mich ebenfalls sehr überraschend) durch uralte Traditionen und Bräuche geprägten Kultur zu kratzen. 228


Natur und Kunst im Teshima Art Museum, Ruye Nishizawa und Rei Naito

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Karthika Jeyakumar

Japan ist für mich ein besonderes Land mit schönen Landschaften, Traditionen und modernen Kulturen, aber auch mit beeindruckenden Menschen. Meine ersten Gedanken waren, wenn ich an Japan dachte, dass die Menschen dort sehr diszipliniert und erfolgsorientiert arbeiten, dass sie versuchen immer ihr Bestes zu geben. Auch schon die ganz kleinen Kinder sind in Japan sehr diszipliniert und leisten Großes, beispielsweise spielen sie schon mit ca. drei Jahren Klavier nach der Suzuki-Methode vor großem Publikum. Während meinem Bachelor-Studium hatte ich die Möglichkeit, in einem integrierten Projekt mit einer japanischen Austauschstudentin zusammenzuarbeiten und somit hatte ich auch die Möglichkeit, einiges über das Land und die Menschen und deren Arbeitsweise und Verhalten zu erfahren. Ihre disziplinierte und ruhige Arbeitsweise und ihr Durchhaltevermögen während der Abgabephase waren sehr bewundernswert, sie arbeitete ohne sich zu beschweren und auch die Bereitschaft erfolgreich abzuschließen war sehr groß bei ihr. Durch Gespräche mit ihr wurde mir mehr und mehr klar, dass der Erfolgsdruck bei den Japanern nicht nur eine positive Seite hat, sondern auch eine belastende. Schon beim Eintritt in den Kindergarten können die Kinder in Regel bereits lesen und schreiben. Aber auch der weitere Bildungsweg ist sehr erfolgsorientiert, sodass die Schüler schon vor Schulbeginn am lernen sind und sich auf den Schulstoff vorbereiten. Ein Grund dafür ist, dass es an den meisten Instituten und Einrichtungen ein strenges Auswahlkriterium gibt. Der Besuch dieser Institutionen ist wiederum mit sehr hohen Gebühren verbunden und fordert maximale Leistungen. Dieser Erfolgsdruck belastet viele Japaner, wobei dies in der Öffentlichkeit nicht thematisiert wird. All diese Erkenntnisse beeinflussten meine Vorstellungen von Japan, bis ich das Wahlfach »Japan – zwischen Tradition und Moderne« gewählt habe und mir dadurch neue Einblicke und Erkenntnissen über Japan aneignen konnte. Besonders angetan war ich von unserem eigenen Thema »Privatsphäre und Lebensraum im Wandel«, durch meine Recherchen konnte ich mehr über das Leben und Verhalten der Japaner und deren Kultur lernen und erfahren. 230


Schulkinder in Tokio

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Katharina Alber

Meine Vorstellungen von Japan beschränkten sich zunächst auf Sushi, die optisch ansprechend zubereiteten mundgerechten Häppchen, die dazugehörenden traditionellen Essstäbchen, die Kirschblüte, eines der wichtigsten Symbole der japanischen Kultur und die bekannten Winkekatzen, die als Glücksbringer dienen und in jedem asiatischen Lokal vorzufinden sind. Der interessante Vortrag von Ulf Meyer, Architekturkritiker und Autor des Architekturführers Tokio, zu Beginn des Semesters und das informative Wahlfach Japan ermöglichten mir neue Einblicke und Erkenntnisse in die Architektur Japans, sowie in das Leben und Wohnen in Tokio, der mit 32 Millionen Einwohnern größten Metropole der Welt zu sammeln. Straßenraum und Orientierung In japanischen Städten werden Straßen eher als übrig gebliebener Raum zwischen den Häusern bzw. Häuserblöcken verstanden. Diese Zwischenräume bilden das Gerüst für das Straßennetz. Die Straßen dienen einzig und allein als Verbindungselement. Demzufolge wurde dem Straßenraum in Bezug auf ästhetische Gesichtspunkte auch nie große Bedeutung beigemessen. Im Gegenteil, besonders in den Wohngegenden schotten sich die Häuser gegenüber der Straße zumeist durch Mauern ab. Auch die Orientierung in japanischen Städten folgt einem ganz anderen System. Als wichtigstes Gliederungselement fungieren die Häuserblöcke. Nur die großen Straßen tragen Namen. Ortsbeschreibungen setzen sich immer aus Stadtviertel, Block und Haus zusammen. Verkehrsmittel Die Rolle des europäischen Straßennetzes übernimmt in Tokio das Schienennetz. Die Züge und U-Bahnen, die alle Viertel und die großen Zentren in hoher Taktung erschließen und gut miteinander verbinden, stellen das schnellste Transportmittel dar, um die oft großen Distanzen zwischen Wohnort und Arbeitsplatz zu überbrücken. Die Tokioter fahren in der Regel kein Auto, zudem erhält nur ein Auto mit nachgewiesenem Stellplatz ein Kennzeichnen. Sich mit dem Auto fortzubewegen kann kompliziert und chaotisch sein und wird erschwert durch Staus, mangelnde Parkplätze und teure Parkgebühren. Außerdem fehlt die praktische Nähe zu Läden, an die die Japaner gewöhnt sind, die Möglichkeit, nebenbei auf dem Heimweg alltägliche Pflichten zu erfüllen und Besorgungen machen zu können. Grundstück vs. japanisches Haus Die japanische Geschichte von Erdbeben, Holzhausbränden und letztlich der totalen Zerstörung zum Ende des zweiten Weltkriegs haben ein wohl einmaliges 232


Wertverhältnis zu Baugrund und Gebäude entstehen lassen. Das japanische Haus ist meist weniger wert als der Boden, auf dem es steht. Zudem sind die Häuser in Tokio kurzlebiger als anderswo. Im Durchschnitt stehen sie gerade einmal zwischen 20 und 30 Jahre, dann erfolgt der Abriss. Ein Wohnhaus wird nicht als eine weit über das eigene Leben fortwährende Investition angesehen, sondern eher als ein vergänglicher Lebensraum auf wertvollem Grund und Boden. Die Abstandsregel gibt 50cm zum Nachbargebäude vor, woraus sich ein Netz aus Zwischenräumen ergibt, welches das Fundament Tokios bestimmt. Dieser Raum ist meist von Installationsschläuchen und Klimaanlagen durchzogen und ist oft zu schmal, um noch gereinigt werden zu können. Dies erklärt die bedrückende Enge in den Städten. Leben und Wohnraum Die Tokioter verbringen mehrere Stunden am Tag in den U-Bahnen und Zügen und sind oft für den ganzen Wachzeitraum von ihren Wohn– und Schlafstätten abgenabelt – sie kommen also nur zum Schlafen nach Hause. Aufgrund der horrenden Bodenpreise sind die Wohnflächen oft minimal und meist auf ihre Schlaf– und Lagerfunktion reduziert. Viele andere Wohnfunktionen sind ausgelagert und befinden sich irgendwo auf dem täglichen Weg durch die Stadt. Das Verlassen der Wohnung bedeutet zwar, sich von seiner privaten Lagerstelle zu entfernen, doch wird man im Laufe des Tages an mehreren Stationen in der Stadt einkehren oder Infrastrukturen nutzen, welche die Leistungen und Flächen stellvertretend für den fehlenden Raum bieten. Man ist nicht auf die Privatheit der eigenen Wohnung angewiesen. Wohnen findet eher in Form von mehreren isolierten, temporären Ereignissen statt. 15 m² Diese Zahl beziffert die durchschnittliche Wohnfläche pro Person in Tokio. Die eigene Wohnung ist nicht repräsentativ und man nutzt diese auch kaum für die Abendgestaltung. Wenn man sich mit Freunden oder Geschäftskollegen trifft, geschieht dies nicht in der eigenen Wohnung sondern in Restaurants oder Bars. Es werden zum Beispiel auch Bereiche und Orte als Wohnraum adaptiert, die auf den ersten Blick keinerlei Wohnannehmlichkeiten bieten. So sind U-Bahnen und Züge wichtige Bezugs– und Stützpunkte, in denen ein relativ großer Teil des Tages verbracht wird. Die meisten Pendler schaffen sich im dichtesten Gedränge ihren privaten Freiraum, indem sie sich mental aus ihrer Umgebung ausklinken und die Fahrzeit als Regeneration für den Geist oder für einen erholsamen Kurzschlaf verwenden. Die Fähigkeit, die unwirtlichsten Orte für die eigenen Bedürfnisse zu adaptieren, gerät den Tokiotern zur Kunst, denn man erhebt keinen Anspruch auf die Umgebung. Der Fokus liegt immer auf dem Notwendigen, alles andere wird ausgeblendet und stört nicht. Man benötigt keine umgebene Gemütlichkeit, um sich wie Zuhause zu fühlen.

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Katharina Brandl

Die japanische Kultur ist für uns, vor allem für die von uns die keine eigenen Erfahrungen vor Ort sammeln konnten, sehr fremd. Im voraus wusste ich nur wenig über das Land und die Kultur, lediglich über die japanische Musik, die Manga– und Animekultur hatte ich im Vorfeld ein paar Einblicke. Die intensive Beschäftigung mit dem Thema Japan allgemein, dem eigenen Thema (Privatsphäre und Lebensraum im Wandel) und auch der Input durch die anderen spezialisierten Themen war sehr anregend. Ich empfand es als sehr positiv, dass die Themen nicht ausschließlich auf das Feld der Architektur beschränkt waren sondern darüber hinaus die Kultur und kulturellen Hintergründe behandelten. Diese Auseinandersetzung mit der Kultur und dem, was hinter Traditionen und Mentalität steckt, ist wichtig um die Architektur und die Wohntypologien eines so besonderen Landes wie Japan zu verstehen. Den stärksten Eindruck haben bei mir, neben der Recherche für das Thema, die Interviews hinterlassen, die ich führen durfte. Ich konnte dadurch vieles von den Erfahrungen einer Schweizerin in Japan als auch von einer Japanerin in der Schweiz lernen. Die Begeisterung über das Interesse an Japan war ansteckend. Mir wurde verdeutlicht, wie groß die Mentalitätsunterschiede zwischen Europäern und Japanern sind und wie dies durch Unwissenheit zu Missverständnissen führen kann. Besonders die japanische Zurückhaltung in der Öffentlichkeit wird von vielen als sehr angenehm empfunden, man nimmt Rücksicht aufeinander. Diese Rücksicht äußert sich auch dadurch, dass man seinen Gegenüber nicht in unangenehme Situationen bringen möchte. Dadurch entsteht des öfteren der Eindruck einer Fassade, da Kritik oder Widerspruch nicht öffentlich angebracht werden oder Unwissenheit nicht eingestanden wird. Dem Gegenüber stehen mit Sicherheit auch viele Eigenheiten der deutschen bzw. der Europäer, welche für Japaner nicht direkt nachvollziehbar sind. Abschließend kann ich feststellen, dass man einer neuen Kultur offen und aufgeschlossen begegnen muss, um die Chance zu haben, sie besser verstehen zu können. Die intensive Auseinandersetzung mit einer Kultur ist notwendig, um die Hintergründe von Vorurteilen und Klischees besser verstehen zu können. Die Teilnahme an der Reise nach Japan wäre eine schöne Möglichkeit gewesen, das Land noch besser kennenzulernen. Dennoch konnte ich durch die Beschäftigung mit diesem Thema viel lernen. 234


Fushimi Inari-Taisha, ShintĹ?-Schrein, Kyoto

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Leon Riehl

Ruhe und Achtsamkeit Japanische Architektur beschäftigt mich seit Beginn meines Studium, vielleicht auch schon etwas davor, als mir bewusst wurde, dass Architektur das ist, was ich studieren möchte. Die Architektur in diesem sehr entfernten Land strahlt für mich eine Eleganz und Ruhe aus, die ich in Deutschland nicht finde. Filigrane Konstruktionen oder komplexe Verbindungen, die man meist nicht sieht. Der Aufwand, der in solchen Gebäuden steckt, kommt mir größer vor als hier zu lande – oder zumindest wird sich mehr Zeit genommen. Diese Ruhe ist jedoch etwas anderes als etwa die südländische Gelassenheit, welche, böse ausgedrückt, eher eine Arbeitsvermeidung ist, als das, was ich mit Ruhe in der Japanischen Architektur meine. Als ich mich für den Teil »Unser Japan« mit den japanischen Werkzeugen auseinander gesetzt habe, war ich nicht nur fasziniert von der großen Vielfalt, sondern auch von der Hingabe und dem Umgang bei der Anwendung dieser Werkzeuge. Ich glaube am besten zeigt sich, was ich versuche auszudrücken, wenn man sich anschaut, wie der japanische Schreiner arbeitet. Im Gegensatz zu uns versucht er den größten Teil seiner Arbeit im Sitzen zu verrichten, was für mich eine Position ist, in der ich mir Zeit für etwas nehme, da langes Stehen auf Dauer anstrengender ist. Auch ein Faktor, der diese Achtsamkeit in der Arbeit widerspiegelt, ist die Ordnung in einer traditionellen Werkstatt. So ist der Raum, wie auch die Räume eines traditionellen Wohnhauses auf das Minimum reduziert und beinhaltet nur das Nötigste. Ein paar Tatami-Matten zum Sitzen, kleine Böcke zum Auflegen des Werkstücks und ein Werkzeugkasten. Der 236


Raum ist wandelbar und hat keine festen Positionen, wie man es aus einer Werkstatt bei uns kennt, in der jedes Werkzeug seinen eigenen Platz hat und jeder Arbeitsschritt an einer anderen Stelle im Raum verrichtet wird. Über die Referate und Erzählungen im Kurs habe ich gelernt, dass Japaner in fast jedem Gegenstand eine Gott sehen – was sicherlich auch dazu beiträgt, dass der Umgang mit Material und Werkzeug ein anderer ist. Ich kann mir aber natürlich vorstellen, dass moderne Schreinereien in Japan mittlerweile auch nach westlichem Vorbild ihrer Arbeit nach gehen und mehr auf Maschinen setzten. Jedoch hoffe ich, dass die Hingabe für die Bearbeitung des Holzes erhalten bleibt.

Holzbauknoten, Shigeru Ban

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Leonie van Kempen

Wie es so häufig ist, beeinflusst ein einziges Erlebnis die Wahrnehmung und das Bild eines eigentlich riesigen Themenbereiches. Genau so erging es mit bis zum Anfang des Semesters und zum Beginn dieses Kurses mit dem Thema »Japan«. Meine Vorstellung von dem, »was japanisch ist«, und mein Bild von Japan im Allgemeinen war hauptsächlich geprägt von einer Erfahrung in den vorangegangenen Sommersemesterferien, die ich in Berlin verbrachte. Für zwei Monate lebte ich in einer über Airbnb vermittelten Wohnung mit einem japanischen Paar zusammen, welches mir einen besonders tiefen Einblick in einen ganz bestimmten Aspekt der japanischen Kultur und Tradition gewährte. Die beiden, Motoya und Hana, unterrichteten in der Wohnung die japanische Tanzform »Butoh«. Wenn man im Internet nach »Butoh« sucht, so erfährt man, dass es sich dabei um eine Art Tanztheater handelt, welches eigentlich keiner festen Form folgt und während des zweiten Weltkrieges in Japan entstand. Begründet von Kazuo Ohno, der von den beiden auch immer wieder mit Begeisterung erwähnt wurde, bezieht sich dieser Tanz auf eine frühe Form des Ausdruckstanzes und soll eine ganz neue Weise des Erlebens zu Tage bringen. Was sich auf Wikipedia noch fast konservativ anhörte, erlebte ich im Alltag als eine der extremsten Ausdrucksformen, die mir bisher unter gekommen war. Von den Kursteilnehmern, die sich tagtäglich in unserem Appartement aufhielten, war ich bereits heftige Gefühlsausbrüche, sowohl kreischende Euphorie als auch bittere Tränen, gewohnt – aber was ich bei einer Tanzaufführung meiner Vermieterin erleben durfte, bleibt mir bis heute sehr eindringlich im Gedächtnis. Über drei Stunden hinweg verrenkten sich entfremdete Körper in den skurrilsten Kostümen und bis zur Unkenntlichkeit weiß geschminkt auf der Tanzfläche. Immer wieder wurde auch das Publikum in die Darstellung mit einbezogen, so sollte ich beispielsweise die Haare einer Tänzerin flechten, während diese wie in Trance eine Geschichte aus ihrer Kindheit erzählte. Eine Szene, die für mich hauptsächlich irritierend und schwer greifbar war. Alle anderen im Raum, die sich scheinbar schon länger mit der Materie auseinander setzten oder, anders als ich, Zugang zu der wilden Performance gefunden hatten und es schafften, sich darauf einzulassen waren hingegen hochemotional, weinten teilweise herzzerreißend. Ich erlebte auf diese Weise eine sehr extrovertierte Seite der japanischen Kultur, die im krassen Gegensatz zu dem stand, was ich im Zusammenleben mit Motoya und Hana außerdem erlebte. Als Mitbewohner waren sie nämlich im Allgemeinen sehr ruhig, zuvorkommend, höflich und vor allem penibel sauber und auf das Einhalten bestimmter Regeln bedacht. So lernte ich bereits damals die japanische Tradition, Wohnräume niemals mit Schuhen zu betreten, kennen, und welche Bedeutung das Nichteinhalten dieser für die Japaner haben kann. 238


Generell war mein Bild von Japan durch diese Zeit also maßgeblich von dem Widerspruch von eher introvertierten Menschen geprägt, die sich dann in einer bestimmten Ausdrucksform vollkommen ausleben. Diese Eindrücke, die mir in der Situation jeweils so fremdartig vorkamen, konnte ich über die Dauer des Kurses nach und nach immer mehr einordnen. Mein Bild von Japan, das ich in den Ansätzen bereits hatte, hat sich an vielen Stellen verfestigt, wurde aber auch ergänzt und vor allem durch eine Art Verständnis für die Zusammenhänge dieser eigentlich so konträren Verhaltensweisen erweitert. Noch immer erscheinen mir viele Dinge im Zusammenhang mit der japanischen Kultur fremd, aber was dem ganz sicher voraus geht, ist eine tiefe Bewunderung für deren Eigenheit und Einzigartigkeit.

Jugendliche in Tokio

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Marion Probst

Wohnen in der Megacity Ein ganzes Semester habe ich mich nun mit dem Thema »Lebensraum und Privatsphäre« in Japan beschäftigt, viele Einblicke in die Megacity Tokio bekommen, etwas über die japanischen Gärten gelernt und versucht zu verstehen, was WabiSabi bedeutet. Es ging viel um das Arbeiten und Leben in Tokio – und trotz geballter Information fällt es mir nach wie vor schwer, das Ganze zu fassen. Noch immer habe ich das Gefühl, nur einen klitzekleinen Einblick in die japanische Kultur und Lebensweise bekommen zu haben. Mit Sicherheit würde es mir einfacher fallen, wäre ich dorthin gereist und hätte Japan einmal hautnah erlebt. Ich kann mir bis heute nicht vorstellen, in solch einer Megacity zu leben. Der Platz, diese wahnsinnige Dichte, die Orientierung in solch einer gigantischen Stadt und die Privatsphäre, die zum Teil auf der Strecke bleibt – selbst in der eigenen Wohnung – schrecken mich nach wie vor ab.

Tokio aus »unserer« Sicht entdecken

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Die Wohnkultur des Ein–Raumes finde ich einerseits eine schöne Art des Wohnens, allerdings genieße ich die Freiheit des eigenen Zimmers, in das man sich ab und zu einfach zurückziehen kann und die Ruhe genießen. Die Dauerbeschallung der öffentlichen Bereiche und das »Geheimhalten« des Genusses – keine Straßencafés oder Restaurants – sehe ich als Einschränkung der Lebensqualität. Ich finde es unfassbar schade, wie verkrampft das soziale Miteinander zu sein scheint – man nimmt keinen Besuch mit nach Hause, aber hat in der Öffentlichkeit keine Möglichkeit, sich selbst zu sein. Wo bleibt da das Leben? Was mich allerdings fasziniert, ist dieses extreme Gemeinschaftsgefühl und die Rücksichtnahme aufeinander. Dies bestätigen auch Erzählungen von denen, die die Reise nach Japan miterleben durften. Ich finde es unvorstellbar, dass die Kriminalität in so einer riesigen Stadt wie Tokio quasi nicht existiert. Eine lustige Geschichte dazu erzählte ebenfalls eine Kommilitonin in einem der letzten Treffen: Japaner können sich tatsächlich nicht vorstellen, dass es solch böse Menschen auf der Welt gibt, die Taschen oder ähnliches klauen. Das finde ich wirklich faszinierend. Denn bei uns ist es mittlerweile fast das Alltägliche, auf sich und seine Sachen aufzupassen und je nach Ort und Uhrzeit, darum fürchten zu müssen. Was ich auch wahnsinnig faszinierend und wunderschön finde, ist japanische Tempelarchitektur, die traditionelle Holzbauweise mit ihren Stecksystemen, die heute eher in der Möbelindustrie Gebrauch finden, und das Kirschblütenfest. Es wäre wundervoll, bei einem solchen Fest dabei zu sein und Einblicke in die Tradition der Geisha zu bekommen. Auch eine traditionelle Teezeremonie würde ich gerne einmal mitgemacht haben – denn ich glaube, hier kann man sich einfach gar nicht vorstellen, was das überhaupt bedeutet. Einige Klischees, wie das Tragen eines Mundschutzes sehe ich nun aus einem ganz anderen Blickwinkel. Alles in allem kann ich nur sagen, dass mir das Seminar in vielerlei Hinsichten die Augen geöffnet hat und ich vieles über Japan lernen konnte. Mein Wunsch ist es, das ganze erlernte Wissen mit einer Reise nach Japan abzurunden und das wirkliche Leben, vielleicht auch das Leben in der Stadt und auf dem Land im Vergleich, kennenzulernen und mir gerne auch meine letzten Zweifel nehmen zu lassen.

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Marita Klein

Die kleine Welt der Japaner Rush Hour in Tokyo. Glückliche finden wir noch einen Sitzplatz, der Rest zwängt sich in die Mittelgänge der Tokioter U-Bahn. Wie Sardinen stehen sie aneinandergedrängt und doch berühren sie sich kaum. In einer Ellbogengesellschaft ein kaum vorstellbares Bild. Die Ellbogen auszufahren, um sich vorwärts bewegen zu können, kommt hier nicht in Frage, zu groß ist der Respekt vor der Privatsphäre des Anderen. Ulf Meyer erzählt in einem Vortrag von der kleinen, ganz eigenen Welt des Japaners. In diesem Gewimmel von Menschen zieht sich der erschöpfte Büroangestellte ganz in sich zurück, kommt zur Ruhe, macht ein Nickerchen, hängt seinen Gedanken nach. Ein faszinierendes Konzept für mich, da ich die Geräusche und das Getümmel der Umwelt nie ganz ausschalten kann. Zu gerne würde ich das Rezept zu dieser »eigenen kleinen Welt« kennen; Kopf beugen, Augen schließen und alles andere ausschalten. Die ersten beiden Zutaten kenne ich, aber die letzte scheint mir völlig unbekannt. Vielleicht liegt es an der anderen Erziehung, das Aufwachsen in einer anderen Kultur. Oder gibt es auch Japaner, denen der Tumult der Großstadt bei Zeiten zu viel wird? Ich finde Ruhe in der Natur, wenn nur dass das Vogelgezwitscher und das Bachgerinnsel zu hören sind. Doch diesen Weg scheint es für die meisten Großstädter in Japan nicht zu geben. Selbst die Gärten sind auf eine »eigene kleine Welt« geschrumpft. Kann ein Bonsai auch die Ruhe der Natur vermitteln? Es bleibt für mich eine unerreichbare Kunst, sich diese »eigene kleine Welt« zu schaffen. Aber vielleicht braucht es auch einfach etwas Übung. Vielleicht wird dann das Stimmengewirr der U-Bahn doch irgendwann zum Plätschern eines Baches. 242


Kaligraphie in einem japanischen Tempel

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Ralf Meißner

Der Grund, warum die erste Grafik meines Kurzessays ein Jugendcomic-Cover einer der erfolgreichsten Manga-Serie den Auftakt bildet, ist, weil dies mein erster Kontakt mit der Kultur von Japan war. »Dragonball«, wie die 42 Ausgaben starke Buchauflage heißt, wurde vom japanischen Zeichner und Autor Akira Toriyama verfasst und weltweit zu der nachgefragtesten Anime-Serie. Die Handlung ist an ein chinesische Volksmärchen angelehnt, das aus der Überlieferung des Erfahrungsberichts eines buddhistischen Mönchs von seiner Reise nach Westen berichtet. Es ist die Legende des Affenkönigs Sun Wukong. Auch wenn bei der Reise des »Son Gokū« vor allem die Kampfkunst und die mehrmalige Rettung der Erde vor einer bösen Bedrohung, dramaturgisch actionreich, im Vordergrund steht, vermitteln die Charaktere auf idolhafte Weise die Prinzipien und Werte der buddhistisch geprägten Kultur. Diese alten Weisheitslehren, die auch Konfuzius vermittelt, werden durch die Protagonisten vorgelebt, was für die Entwicklung meiner eigenen Werte und Moralvorstellungen sehr prägend war. Durch diese Beziehung ging ich mit einer gewissen Zuneigung gegenüber den japanischen Kultur in das Seminar. Sie ist durch die thematische Annäherung aller Gruppen an die Architektur und Menschen dort nicht weniger geworden, und doch ist in mir eine rationellere Perspektive entstanden.

Popkultur in Tokio

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Der traditionelle japanische Holzbau stammt, wie die buddhistische Lebensweise, aus China. Diese Historie war mir neu, erklärt aber die (Bau–)Kultur Japans nicht hinreichend. Vor allem ist es die Achtsamkeit, welche die Japaner meiner Meinung nach – im Gegensatz zu den Chinesen– in einer vorbildlichen Perfektion streben lässt, was in mir einen hohen Respekt erzeugt. Mein Japan ist nun nicht mehr nur das Land, das den Geschichtenschreiber meiner Kindheitshelden hervorbrachte; es ist für mich vor allem ein Phänomen ohne Gleichen – wie ein Individuum die eigene Rolle im größeren Ganzen lebt und reflektieren muss, um fähig für diese Lebensweise eines Parade-Tokioters zu sein. Um zu versuchen, das für uns »Westler« zu ergründen, müsste man wahrscheinlich Soziologie und Psychologie studieren. Mir persönlich bleibt für diese Beschreibung nur das Bestaunen und die beruhigende Gewissheit, dass es auch anders geht als in unserer Gesellschaft, die mir selbst oft zu denken gibt. Wahrscheinlich lässt sich das aber auch nicht nur durch den Vergleich internationaler Gesellschaften beantworten, aber die Beschäftigung mit anderen Kulturen wie Japan lässt mich weiterhin auf eine Vielschichtigkeit hoffen, welche mir unbekannt ist und als Beispiel dienen kann für eigene Verhaltensweisen. Betrachtet man jedoch die Spezies Politiker, die überall, auch in Japan, vorkommt, und sich deren Taten teils ganz nach dem Profitstreben ausrichten, was man am geplanten »Freihandels«-Abkommen JEFTA sehen kann, so ist dies nicht als Stimme des Volkes zu sehen, sondern das Resultat eines ausbeutenden Kapitalismus, denn welche Mehrheit würde für die Klageerleichterung für Großkonzerne gegenüber Staatsinteressen stimmen?! Denn bei den geplanten Schiedsgerichten erleichtern drei private Anwälte, im Diskurs miteinander, die Entscheidung über teils nur »erhoffte«, also nur rechnerisch bestimmte Profite, die ein Unternehmen in einem bestimmten Land hätte erstreben können, falls der jeweilige Staat kein Veto eingelegt hätte. Einen solchen »Profitausfallsersatz« droht uns auch durch das geplante Freihandelsabkommen CETA mit Kanada. Man sollte meinen, man hätte aus NAFTA dem Süd– und Nordamerikanischen Freihandelsabkommen gelernt, bei dem die einzigen Profiteure die Großkonzerne waren, die durch Schiedsgerichte gewonnene Klageverfahren gegen die Staaten Unmengen an »Schadensersatzforderungen« geltend machen konnten – und zusätzlich die versprochene Senkung der Arbeitslosigkeit ausblieb. Vielleicht mag das für die im Wahlfach bearbeiteten Themen einen kleinen Exkurs bilden. Ich sehe jedoch die internationalen Handelsbeziehungen als einen sehr prägenden Teil jeder Gesellschaft; Deswegen würde ich der Ökonomisierung einen großen Anteil am Wandel der Traditionen in Japan zuschreiben. Das gilt aber im Hinblick auf das Gros der Menschen zu trennen, denn zu guter Letzt bleibt trotzdem das Thema der traditionellen Verbindungen – nicht nur des Holzes – sondern auch der Menschen miteinander für mich ein Vorbild hoher Kunst.

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Robin Vögele

Leben in Japan Obwohl Japan fast 9000 km Luftlinie östlich von Deutschland liegt und die Kultur völlig anders ist, gewöhnt man sich innerhalb weniger Tagen schon daran. Es fühlt sich an, als würde man schon eine längere Zeit dort leben. Das Gefühl, ein Tourist zu sein, verliert man fast aus den Augen. Tokio ist die größte Metropolregion der Welt, mit fast 40 Millionen Einwohner. Für uns Deutsche ist das kaum vorstellbar, da Berlin gerade einmal 6 Millionen Einwohner hat. Eigentlich müsste man sich sehr überfordert fühlen. Jedoch ist es genau anders herum. Durch die Regeln und die Disziplin der Einwohner herrscht eine absolute Ordnung im Alltag und schnell findet man sich trotz der unfassbaren Größe zurecht. Im Vergleich zu vielen anderen Städten der Welt ist es in Tokio und Kyoto sehr sauber. Fast nirgendwo liegt Müll herum. Eigentlich müsste man meinen, dass an jeder Ecke ein Mülleimer steht – das ist jedoch falsch gedacht. Einen Mülleimer zu finden ist fast schon eine Kunst. Japaner packen ihren Müll anständig in ihre Tasche und können damit auch den ganzen Tag herum laufen. Ertappt habe ich mich dabei, wie schwer es mir gefallen ist, meinen Müll herum zu tragen. Am liebsten hätte ich ihn in eine Ecke geworfen. Ein weiterer bleibender Eindruck ist die Ruhe in Japan. Fährt man mit der U-Bahn, Bus oder Zug, fällt als Deutscher sehr schnell auf. Die Japaner steigen ein und suchen sich einen Platz. Kommuniziert wird nicht in der U-Bahn. Jeder ist in sich zurückgekehrt. Die meisten schauen auf ihr Smartphone oder dösen vor sich hin. Blickkontakte zu anderen Menschen werden so gut es geht vermieden. Es wirkt fast schon monoton, da sich alle dem gleichen Muster anpassen sich daran halten. Ich selber schaue gerne Leute an und bin interessiert. Doch in Japan habe ich gemerkt, dass auch ich mich dem Muster angepasst habe. Auch ich habe mich zurückgezogen und habe versucht, die Umgebung auszublenden. Die Gesellschaftsschichten sind somit auch kaum aufgefallen, da jeder ähnlich war. In Japan ist die Gemeinschaft wesentlich mehr gefordert als das eigene Individuum. Emotionen von Japanern habe ich auch nicht wahrgenommen. Gute Laune oder schlechte Laune, traurig oder fröhlich, wütend oder ruhig; die Mimik war stets die Gleiche. Man kann bei den Japanern nicht ablesen, wie sie sich fühlen. Die Ruhe ist aber nicht nur bei den Japanern festzustellen. Auch allgemein ist es in der Öffentlichkeit sehr leise im Vergleich zu Deutschland. In den 14 246


Tagen in Japan habe ich so gut wie keine Sirenen gehört. Der Lärm von Autos ist auch nur selten wahrnehmbar. Viele Autos werden mit Hybrid gefahren und erzeugen somit keine lauten Geräusche. Oft wird auch Flüsterasphalt verwendet, der zusätzlich für mehr Ruhe sorgt. Die Maximalgeschwindigkeit in Japan beträgt 100 km/h. Oft werden die Fortbewegungsmöglichkeiten auf mehrere Ebenen verlagert. Auf einer Ebene bewegen sich die Fußgänger, auf der anderen die Autos und wieder auf einer anderen die Straßenbahn. Persönlich habe ich das als sehr angenehm wahrgenommen, da man sich sehr sicher fühlt und man Gefahren aus dem Weg gehen kann. Die Rolle der Frau ist in Japan sehr konservativ und fast archaisch. Der Mann bestimmt und die Frau gehorcht. Als die Jungs einer japanischen Schulklasse ein Bild mit der Reiseleiterin machen wollten, fühlte sich die Reiseleiterin völlig unsicher und unwohl. Ängstlich, fast schon zerbrechlich wirkte sie. Später durfte noch die Klassenlehrerin dazu. Auch diese wirkte ähnlich. Schauen wir uns die andere Seite der Japaner an. Nach dem Alltag wirkt plötzlich alles wie umgekehrt. Von Ruhe und Ordnung ist jetzt nicht mehr zu reden. Das monotone Leben der Japaner verschwindet und es entsteht eine andere Welt, die wieder fremd für mich wirkte. Auf einmal werden die Japaner zu einem sehr geselligen Volk. Laute Gespräche, Gelächter stehen jetzt im Vordergrund. Es wirkt fast schon unangenehm laut. Gleichzeitig ist es faszinierend, wie es sich durch alle Altersgruppen zieht. Es sind nicht nur die jungen Leute, sondern es geht bis in das fortgeschrittene Alter. Die Pachinko-Spielhallen bekomme ich auch nicht aus meinem Kopf. Laut, laut, stickig, ein Spielautomat nach dem anderen. Auch hier findet keine Kommunikation der Japaner statt. Jeder spielt für sich selbst an einem Spielautomaten. Jede Generation ist hier sichtbar. Nach kurzer Zeit hatte ich schon genug und musste den Eindruck erst mal verarbeiten. Lange musste ich auch die Eindrücke des Manga-Viertels verarbeiten. Nachdem wir in einem Themenrestaurant waren, habe ich erst einmal Zeit für mich gebraucht. Die Bedienung war als Manga verkleidet. Mit ihrer piepsigen, spielerischen Stimme kommunizierte sie mit uns. Die Stimmung im Restaurant war sehr merkwürdig – so wollten wir es schnellst möglich wieder verlassen. Im ganzen Viertel macht sich die Stimmung bemerkbar. Überall laufen verkleidete Frauen wie Mangas rum. Sexistische Plakate von Mangas waren auch auf großen Leinwänden sichtbar. Auch das ist ein Kontrast zu den sonst sehr disziplinierten Japanern. Ein weiteres Ereignis hat sich in meinem Kopf eingeprägt, als wir uns in einem vornehmen Restaurant mit traumhafter Aussicht einen Cocktail gegönnt haben. Durch eine japanische Arbeitsgruppe verschwand auf einmal die vornehme Atmosphäre: Ein lautes Geräusch, welches durch das Hochziehen einer Nase entstand, weckte uns aus unserem entspannten Wohlfühlabend. Auch das Rauchen war erlaubt. Beim ersten Besuch eines japanischen Supermarktes ist uns das Verpacken des Gemüses sofort aufgefallen. Jeder einzelner Apfel, jede einzelne Kartoffel und Möhre wurden einzeln in Plastik verpackt. Unmengen an Fertiggerichten gibt es zum Kaufen. Hiermit wird deutlich, dass die Japaner wenig kochen und 247


sich eher Fertiggerichte kaufen oder etwas essen gehen. Die Preise für Lebensmittel sind so teuer, dass Essen gehen nicht wirklich teurer ist. Vegetarische Gerichte findet man kaum in Japan, fast alles in mit Fisch oder Fleisch. Generell ist wenig Gemüse im Essen enthalten. Reis und Fisch gibt es dafür umso häufiger. Die kalten Gerichte sind ebenfalls sehr gewöhnungsbedürftig. Natürlich fehlt in Japan das gute, leckere deutsche Brot. Als ich wieder in Deutschland gelandet bin habe ich mir erst mal eine Brezel gekauft. Endlich mal wieder etwas zum beißen. Salz und Pfeffer wird auch kaum verwendet. Zu fast allen Gerichten wird Soja verwendet, dass das Salz und Pfeffer ersetzt. Ich habe mich sehr auf das frische Obst und Gemüse in Deutschland gefreut. Die traditionellen Tatami-Matten werden auch heute noch oft eingesetzt. In unserem ersten Ryokan haben wir auch darauf schlafen dürfen. Es war ein neues, sehr angenehmes Gefühl. Oft waren wir in Restaurants, in denen Tatami-Matten lagen und man die Schuhe ausziehen musste. Die Leere des Raumes ist mir öfters aufgefallen. Zum Beispiel waren auch die Räume der ersten zwei Hostels leer. Durch schnelle Handgriffe konnte man den leeren Raum zum Schlafraum machen. Die Utensilien haben sich in einem Einbauschrank befunden. Architektur in Japan Architektonisch war Japan sehr beeindruckend. In Kyoto hat mich die Villa Katasura sehr überwältigt. Das Zusammenspiel von Natur und Architektur habe ich sehr bewundert. Die Architektur war kein Störfaktor, sondern war mit der Natur verbunden und wirkte daher wie eine Einheit. Die Räume haben eine transparente Wirkung erzeugt und es entsteht der Eindruck einer Vielschichtigkeit und Unfassbarkeit. Man konnte den Raum immer mit etwas anderen im Bezug setzen und somit entstand eine andere Wirkung. Mehrere Tage hätte man nur an diesem Ort sich aufhalten können, da er eine Atmosphäre schafft, die man nicht in einem kurzen Moment greifen kann, sondern nur anerkennen kann. Besonders ist in Japan, dass jedes Haus anders aussieht. Schaut man von oben auf eine Stadt, sieht man die unterschiedlichen Gebäudeformen und Dächer, die einen einzigartigen Anblick erzeugen. Es entsteht eine Spannung, da der Betrachter sich nirgends satt sehen kann. Egal wo man hinschaut; es sieht immer anders aus. Da es in Japan keine Vorschriften für Energieeffizienz gibt, ist dem Architekten in der Fassadengestaltung wesentlich mehr Freiheit gegeben. Dies wird auch bei den modernen Hochhäusern sichtbar. Faszinierend war unser Tagesausflug zu ein paar Minihäusern. In der Realität sehen die Häuser noch kleiner aus wie auf den Bildern und Erzählungen. Sie wirken einzigartig und man hat das Gefühl, in einer anderen Welt zu leben. Die Ausstellung über Minihäuser war auch überwältigend. Zu sehen, welche Wohnformen dafür verwendet werden oder welche Prinzipien dabei beachtet werden. Es wirkt wie eine Traumwelt. In jedem Haus wird man auf eine andere Art und Weise gefangen. So waren diese vierzehn Tage sehr eindrucksvoll, spannend und lehrreich. Eine neue Kultur zu entdecken und zu erfahren ist sehr wertvoll und bereichert das Leben. Diese Erfahrung möchte ich nicht missen und kann jedem empfehlen, diese Erfahrung mit einer Reise nach Japan selbst zu machen. 248


BaulĂźcke in Tokio

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Saskia Beck

Mein kunterbuntes Bild von Japan Wie bei jedem bisher unbekannten Thema, habe ich mir zu Beginn Gedanken darüber gemacht, was ich denn schon zu Japan wusste. Auf der Suche nach einem Thema für unsere Ausarbeitung für das WP fiel uns in unserer Dreierkonstellation auf, dass all unsere Gedanken recht wirr und unscharf waren. Wir begannen sie zu sortieren und fragten unter unseren Freunden, Kommilitonen, aber auch unter unseren Bekannten nach, was bei ihnen für ein Bild auftaucht, wenn sie an Japan denken. Nach und nach schafften wir uns aus Dialog und Recherche zu ganz unterschiedlichen Schlagwörtern verschiedener Bereiche einen Überblick von Japan, welcher sich zu präzisieren vermochte. Diese Herangehensweise an ein Land, dessen Menschen und Kultur mir völlig fremd waren, hat mich persönlich sehr viel weiter gebracht, als die sonstigen Vorbereitungen auf eine anstehende Reise. Die intensive Beschäftigung mit seinen eigenen (Vor–) Bildern und deren Ausformulierung und letztendlich der Austausch in der Gruppe, um schrittweise in ein fremdes Land einzutauchen, werde ich mir in Zukunft auch für weitere Reisen vornehmen. Spannend war es vor allem, sich nicht nur selbst damit zu beschäftigen, sondern mit Hannah und Veronika darüber zu sprechen und die Gedanken und neu erworbenen Erkenntnisse auszutauschen, auch in der großen Gruppe des WP‘s. Das Ziel unserer Arbeit war letztendlich die Sensibilisierung der Sinne, um verschiedene Bilder im Kopf neu einzuordnen, zu überdenken und somit viel mehr von der Reise mitzunehmen. Ich hatte die Hoffnung, dass mein Bild von Japan immer genauer und klarer wird und ich es präziser formulieren kann, doch je tiefer wir in die »Materie« Japan eingedrungen sind, desto unfassbarer (!) wurde es. Durch die Beiträge der anderen Gruppen, die sich fast ausschließlich auf ein (konkretes) Thema spezialisiert hatten, konnten wir oft sehr tiefe Einblicke in bestimmte Techniken wie beispielsweise beim Holzbau, oder in die japanische Lehren des Zen-Buddhismus bekommen. Diese neu erworbenen Kenntnisse fanden von Woche zu Woche Platz in unseren Unterhaltungen und verknüpften sich rasch mit weiteren Themen. Die vielen Diskussionen und Recherchen zu einzelnen greifbaren Themen wie dem Kimono oder dem Bonsai bis hin zu Charaktereigenschaften wie Höflichkeit oder Ritualen wie der Teezeremonie, aber auch über Lebensgewohnheiten wie Respekt vor der Natur oder die Unberührtheit der Natur, haben mein jetziges Bild von Japan maßgeblich mit beeinflusst. Bei allen Themen die wir bisher gesammelt und diskutiert hatten, war es besonders schwer, ein klareres Bilder über die Verhaltensweisen der Japaner nur durch Recherchen zu bekommen. Dieses, für uns recht schnell im Vorfeld abgehandeltes Thema, erwies sich bei der Reise für die Exkursionsteilnehmer dann allerdings als eines 250


der Faszinierendsten. Vielleicht dachten wir im Vorfeld, dass man darüber nicht viel diskutieren kann, weil man es einfach erleben muss und es dann »schon mitbekommt«. Vielleicht dachten wir auch, es läuft einfach parallel und die von uns in der großen Gruppe ausgewählten Themen wären viel spannender (für das WP als Reisevorbereitung). Schon bei den Diskussionen oder kurzen Recherchen zu Verhaltensweisen der japanischen Bevölkerung kamen uns immer wieder die Worte »Liebe im Detail« in den Sinn. Ob in ästhetischen Konzepten wie dem Wabi-Sabi oder den Lehren des Zen-Buddhismus spielen immer wieder die kleinsten Details die größte Rolle. Mir kommt es vor, als basiere alles auf so unglaublich durchdachten Einzelheiten. Als ob die Japaner im Vergleich so viel bedachter handeln und mit allen Dingen, der Natur und den Menschen sorgfältiger umgehen. Liegt es daran, dass in Japan die Gemeinschaft so viel mehr ist als das Individuum und sich Japan als ›die japanische Nation‹ und nicht als ›der Japaner‹ sieht? Besonders schwer fiel es mir, letztendlich nicht mit auf die Reise gehen zu können, um meine ganzen neu gewonnenen vermeintlichen »Erkenntnisse«zu bestätigen oder zu widerlegen. Die ersten Eindrücke, die mir von Hannah und Veronika erzählt wurden, waren Bestätigungen oder Widerlegungen von verschiedenen Themen die wir »untersucht« hatten. Beispielsweise Tokio als das Dorf in der Stadt: die direkte Nachbarschaft des Hostels bestand aus hauptsächlich niedrigen Gebäuden, was ich zunächst so nicht unbedingt in einer Millionenstadt erwarten würde. Die weiteren Sprachnachrichten waren dann alle flüsternd, zum einen, weil sie mitten in der Nacht zu einer Thunfischauktion aufgebrochen waren, zum anderen weil die Wände – zwar nicht aus Papier – aber scheinbar doch so dünn waren, dass man jedes Wort des Zimmernachbarn hörte. Außerdem wollten sie auf keinen Fall unangenehm auffallen und – wie sie mir später erzählten – sind die Japaner (im Alltag? in der Öffentlichkeit?) fast unvorstellbar leise und still – wie das Bild, dass uns Ulf Meier vermittelt hat mit der »Glocke« über sich, mit der sich jeder Bewohner Tokios aus dem Alltag abschottet, verstärkt. Diese überaus große Rücksicht vor den Mitmenschen, die mir wiederholt erzählt wurde, bleibt mir faszinierend im Gedächtnis. Obwohl ich mittlerweile schon einiges mitbekommen habe von Hannah und Veronika (aber ein wirklicher Erzähl–Abend blieb bisher aus Zeitmangel noch aus) habe ich immer noch ein recht gemischtes Bild im Kopf, wenn ich an Japan denke: Für mich ist Japan ein Land mit sehr großen Gegensätzen geworden, die aber erstaunlich gut harmonieren, zusammen funktionieren oder schlicht nicht ohne einander können. In meinem Kopf – durch die verschiedenen Bilder die wir teils auch durch Kommilitonen bekommen und untersucht haben, ebenso wie durch die Recherchen – weiß ich gar nicht mehr was ich erwarten soll, wenn ich einmal nach Japan reisen werde. Tokio, diese riesige Stadt unterliegt so klaren Ordnungssystemen, die sie vollauf bestimmen, sonst würde sie, so wie sie aktuell exisitiert, nicht funktionieren. Den Erzählungen der anderen nach hat dort zum Beispiel jeder Reisenden, aber auch jedes Gepäckstück, seinen zugewiesenen festen Ort, es gibt kein 251


Fischmarkt in Tokio

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Gedränge und Geschubse. Dass dies so abläuft ist für mich unvorstellbar und gerade deshalb so faszinierend. Obwohl ich viel über Tokio als das Dorf in der großen Stadt gelesen habe, kann ich mir dennoch nicht richtig vorstellen, dass es sich genau so auch anfühlt. In meinem Kopf ist Tokio vielmehr eine Stadt mit scheinbar endlosen Weiten, deren WirrWarr und (für uns) Chaos der Schriftzeichen man nicht entkommen kann. In meinem Kopf herrschen teilweise typische Bilder von Lampions mit wunderschön geschwungenen Schriftzeichen, wie man sie von Postkarten kennt. Auf so eine Atmosphäre würde ich mich freuen, wenn ich nach Japan reise. Erzählt wurde mir nun jedoch, dass darauf sehr häufig Werbung zu sehen ist, was die in meinem Kopf durchaus bezaubernde Atmosphäre etwas schmälert. Ist Japan ein sehr traditionelles Land, in dem der Kimono nicht als temporäre Modeschöpfung verkommt und die Menschen so großen Respekt vor der Natur haben, dass sie die gepflegten Gärten nur zum Anschauen oder auf vorgegebenen Pfaden durchschreiten? Wie ist WabiSabi im Alltag spürbar und liegt die Liebe wirklich so stark im Detail? Wahrscheinlich ist das Land eher eine Mischung aus beidem zugleich. Durch die Beschäftigung mit Japan – und vor allem auch, wie diese von statten gegangen ist – wurden mir ein Stück weit die Augen geöffnet für meine Umgebung hier. Ich achte intensiver auf kulturell bedingte Umgangsformen, die wir hier in Deutschland als »normal« betrachten (Hände schütteln, Schuhe in der Wohnung,...). Mein Bild von Japan selbst bleibt zunächst also ein sehr vages, wurde jedoch durch das WP um einiges vielschichtiger und faszinierender. 253


Sophia Klings

Lee Ufan Museum, Naoshima, Tadao Ando

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Der Weg – Hier und Jetzt Um »Mein Japan« beschreiben zu können, muss ich meinen ersten Kontakt mit Japan und japanischer Architektur beschreiben. Während der letzten Schuljahre vor dem Abitur belegte ich Kunst als Hauptfach. Ein Teil des Lehrplans sah die Behandlung und Auseinandersetzung mit dem Architekten Tadao Ando vor, dessen Stil unter anderem durch Religion und den japanischen Lebensstil beeinflusst wurde. Seine Kennzeichen sind klare Linien und Simplizität, die – so wird gesagt – einen „haiku“-Effekt hervorrufen, welchen er durch Betonung auf das »Nichts« und den leeren Raum erreicht. Das WP Japan diese Semester hat mir eine neue Annäherung ermöglicht und ein neues Verständnis der japanischen Architektur erlaubt. Während der Recherchen und der spannenden Auseinandersetzung mit dem Übergang von privaten in öffentlichen Raum, die Veränderung auch im geschichtlichen Kontext, stellte sich für mich heraus, dass der Weg entscheidend ist und nicht das Ziel, denn dieses kann sich zu jedem Zeitpunkt ändern, je nachdem wie der Weg verläuft. Diese Einstellung hilft, Orte zu erschaffen, an denen man gerne ist und sich wohl fühlt. Der Shintoismus mit seinem Schwerpunkt auf dem Hier und Jetzt, dem Rückbesinnen auf den Weg, der den eigenen Tagesablauf definiert, hat mich daher sehr fasziniert. Er spiegelt eine Klarheit und Einfachheit wider, die in der heutigen Welt und auch der Architektur gesucht und verehrt wird. Ebenso erwähnenswert halte ich an dieser Stelle die spannende Bearbeitung von Tadao Ando höchst selbst, der in einem Interview die Verschmelzung von Architektur und Natur beschreibt und darin auch sein Empfinden gegenüber dem natur– und kulturgeprägten Raum schildert. Er beschreibt darin auch die Auseinandersetzung mit Geschichte, Zeit, Kultur – dem Raum, der uns jeden Tag aufs Neue prägt und beeinflusst. 255


Stefanie Kleiser

Erstes Kennenlernen einer unbekannten Kultur Zu Beginn des WPs konnte ich mir nur sehr wenig unter japanischer Architektur, Kultur und dem Wohnen in Japan vorstellen. Lediglich wenige Bauten von Sou Fushimoto und Kenzo Tange waren mir aus architektonischer Sicht bekannt. Persönlich hatte ich durch eine berufliche Zusammenarbeit meines Vaters mit einem japanischen Konzern und deren Mitarbeitern immer wieder über die Lebens–, Arbeits– und Umgangsweisen von Japanern gehört. Der ausgesprochen höfliche, sehr interessierte und zuvorkommende Umgang, die fleißige und sehr sorgfältige berufliche Arbeitshaltung, aber auch die Eigenschaft, nur ungern Schwächen zuzugeben oder eine Unwissenheit einzugestehen, war mir bekannt. Und obwohl ich scheinbar einiges über Japan, die Menschen, die Architektur und die Kultur gehört hatte, war doch vieles sehr fremd und unbekannt. Wir entschieden uns innerhalb der Gruppe schnell für das Thema »Raumbedarf in Megastädten«. Durch einen Vergleich von Tokio und London wollten wir verdeutlichen, wie groß die Unterschiede sind, obwohl es doch Gemeinsamkeiten – wie zum Beispiel die Wertschätzung von Gärten, städtischen Grünflächen und Parks – in europäischen sowie japanischen Großstädten gibt. Durch den interessanten und informativen Vortrag und das anschließende persönliche Gespräch von und mit Ulf Maier beflügelt, wuchs mein Interesse an dem Land und seinen Bewohnern. Mithilfe einer Ausgabe der Fachzeitschrift Arch+ konnten wir noch mehr erfahren – nicht nur über unser ausgewähltes Thema. Die Vielzahl an Informationen zu filtern fiel mir manchmal etwas schwer, da sich vieles wiederholte oder aber zu ungenau und zu weitläufig für unser doch sehr präzise formuliertes Thema war. Unser Ansatz, von den großen Maßstäben im Städtebau, bin hin zum ganz kleinen Maßstab im privaten Wohnungsbau löste hierbei einige Probleme und machte eine bessere Strukturierung der Themen gut möglich. Die wahnsinnig kleinteilige und doch so übersichtliche Struktur Tokios, das durch seine Hochhäuser in den Bankenvierteln und die sich drumherum angeordneten sehr niedrigen und schmalen Wohnhäusern in seiner Funktion erstaunlich gut ablesbar ist, hat mich sehr fasziniert. Es scheint, als verstehe man die Stadtstruktur mindestens genauso schnell, wie eine zentral ausgerichtete und logisch angeordnete Stadtstruktur in London. Außerdem sehr beeindruckt hat mich das so gut organisierte Nahverkehrsnetz in Tokio. Während man in Europa Gedränge und Eile zur Hauptverkehrszeit beinahe in jeder U-Bahn erleben kann, scheinen in Tokio die Abläufe trotz der vielen Menschen und der räumlichen Enge deutlich entspannter und gelassener zu funktionieren. In Summe kann ich für mich feststellen, dass ich in den Monaten wahnsinnig viel über ein Land, die Menschen, Architektur und auch die Kultur 256


lernen durfte, dass nun noch mehr Interesse in mir hervorgerufen hat, sodass ein Besuch in Japan ein großer Plan ist. Ich hoffe, er lässt sich bald erfüllen.

Stadtstruktur – House NA, Sou Fujimoto, Tokio

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Stella Kappeler

Japan – eine Suche in der Fremde Japan ein großer fremder, in meinem Kopf sehr bunter Begriff. Ein Land von dem man unterschiedliche Vorstellungen hat und nicht weiß, wie man diese zusammen bringt. Vorstellungen von Megacitys, Tadao Ando, Teeplantagen und Bambus. Von allem etwas, aber nichts was man fassen oder sortieren kann. Aber auch ein Land das mich schon immer interessiert und fasziniert. Das reizt, es näher kennenzulernen und vor allem zu verstehen. Als das Angebot zum WP kam, wollte ich unbedingt daran teilnehmen, um mein Wissen über die Kultur, Architektur und Lebensweise zu erweitern. Doch jetzt am Ende diesen Semesters weiß ich nicht, ob diese Vorstellungen erfüllt wurden. Weiß ich jetzt mehr über dieses Land? Über die Menschen? Über die Kultur, die uns so fremd ist? In meinem Kopf schwirren immer noch große Begriffe, die ich nicht alle sortieren und verstehen kann. Aber der Reiz in dieses Land zu reisen, es zu erleben, zu fühlen und alles zu sehen, ist größer denn je. Doch was sich im Laufe diesen Semesters verändert hat, ist die Sichtweise, die ich vorher bezüglich unseres Themas hatte. London und Tokio im Vergleich: London war für mich die geordnete, homogene, aufgeräumte Stadt. So zumindest kam sie mir vor, als ich sie besucht habe. Tokio im Gegensatz eher die bunte, laute, große Megacity. Dieses Bild hat sich für mich während der Recherche und vor allem nach dem Vortrag von Herrn Ulf Maier grundlegend geändert. Allein, dass es in Tokio kaum Ausländer gibt, keine Diebe, keine Bettler – was man von London anders in Erinnerung hat. Das die Bevölkerungsstruktur viel homogener und ausgeglichener verteilt ist als die in London. Auch die Erzählungen der Exkursionsteilnehmer änderten mein Bild nachhaltig. Man hat nicht das Gefühl in einer Megacity zu sein, jeder hilft einem immer, die Rücksicht und der Respekt sind überall zu spüren. Dass man sich automatisch anpasst, sobald man das Land betritt. Schuhe ausziehen vor man ein Haus betritt wird vollkommen normal. Die Koffer stehen alle in einer Reihe... Man wir wohl einfach in einen »Japan–Bann« gezogen. Ich glaube abschließend bleibt zu sagen, dass ich meine Sichtweise auf Tokio verändert hat. Ich nicht mehr nur das Bild der Megacity im Kopf, sondern eher kleine Bezirke mit kleineren Häusern – eher Kleinstädten ähnlich. Aber was die Kultur betrifft, ist alles noch weitgehend fremd für mich. Man hat fast das Gefühl, je mehr man hört, recherchiert und weiß, desto fremder wird es einem. Aber vielleicht muss man nicht alles hinterfragen und verstehen. Vielleicht bleibt man immer auf der Suche nach dem Japan, welches einfach zu komplex ist, um es zu begreifen.

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Omotesanto Platz in Tokio

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Theresa Tacke

Zen Zu Beginn des Seminars »Japan: Zwischen Tradition und Moderne« ordnete ich das Thema »Zen« eher der alten, traditionellen Anschauung von Japan zu. In meinem Kopf entstand ein Bild von Tempeln, Samurai und buddhistischen Mönchen, die auf Tatami-Matten meditierten oder in hölzernen Teehäusern mit Papierwänden und Steingärten die Teezeremonie vorbereiteten. Im schnelllebigen Japan und seiner Hauptstadt, der Weltmetropole Tokio, in der gefühlt jeder Zentimeter bebaut ist, und in einer Leistungsdruckgesellschaft, in der hauptsächlich Ausbildung und Arbeit im Vordergrund stehen, fiel es mir schwer, den Zen zu entdecken. Mir fehlte die Verbindung zwischen dem Konzept der Leere und meinem Bild der heutigen Situation Japans. Während der Bearbeitung zeigte sich, dass sich hinter dem Konzept des Zen mehr verbirgt, als eine rein meditativ abgelegte Art des Buddhismus. Über die Jahrhunderte hinweg wurde aus der anfänglich für die Elite des Landes vorbehaltenen Religion eine Volkskultur. Durch die Teezeremonie war es dem allgemeinen Volk erst möglich, die Ästhetik des Zen zu erfahren. Sie vereint alle Seiten des Zen, nämlich Kunst, Stille und Ästhetik in sich. Die Zeremonie kann als Parabel der Zen-Kultur verstanden

Wabi-Sabi, Salzschale in Tokio

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werden. Sie stellt eine Verachtung der materiellen Welt dar und versucht dem Menschen seinen wertvollsten Besitz aufzuzeigen: die Natürlichkeit und die Selbsterkenntnis. Obwohl die Teezeremonien im heutigen Alltag der Japaner nur noch eine Ausnahme darstellen wurde deutlich, dass die Ästhetik des Zen im Leben der Japaner trotzdem tief verwurzelt ist. In den Bauwerken zeitgenössischer japanischer Architekten wie Tadao Ando, Toto Ito und Shigeru Ban entdecken wir die Ästhetik des Zen unter anderem in einer reduzierten Formensprache und Reinheit des Raumes. Auch das gegenseitige Durchdringen einzelner Elemente verwies auf die Lehre des Zen. Die im Seminar vorgestellten Minihäuser in Tokyo lassen meiner Meinung nach auch Rückschlüsse auf die für den Zen typischen Merkmale Einfachheit und das nicht Festhalten an Materiellem zu. Aufgrund der geringen Grundstücksfläche wird der Wohnraum auf das Minimalste reduziert. Auch das Interieur beschränkt sich auf das Notwendigste. Darüber hinaus sind die Häuser für eine Zeit von höchsten zwei Jahrzehnten konzipiert, sodass sich die Architektur stets erneuert. Die Minihäuser zeigen, dass der minimalistische Lebensstil auch heute noch ein Teil der japanischen Kultur ausmacht. Ich habe gelernt, dass die Ausdrucksmittel des Zen sowohl in der Architektur als auch im Design oder der Malerei sparsam und zurückhaltend auftreten. Dem Menschen wird somit viel Raum für die eigene Wahrnehmung und Kreativität gelassen. Ziel der Kultur– und Kunstformen des Zen ist es, das Bewusstsein zu verändern und die Oberfläche der materiellen Welt zu durchbrechen, um die Wahrheit der Schönheit zu erfahren.

Zen Garten in Kyoto

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Vanessa Bührle

Auf der Suche nach Wabi-Sabi, eine persönliche Reise Dschunang Dsi, Das wahre Buch vom südlichen Blütenland Buch I. Wandern in Muße 5. Der unnütze Baum, S.48 »Hui Dsï redete zu Dschuang Dsï und sprach: ›Ich habe einen großen Baum. Die Leute nennen ihn Götterbaum. Der hat einen Stamm so knorrig und verwachsen, dass man ihn nicht nach der Richtschnur zersägen kann. Seine Zweige sind so krumm und gewunden, dass man sie nicht nach Zirkel und Winkelmaß verarbeiten kann. Da steht er am Weg, aber kein Zimmermann sieht ihn an. So sind Eure Worte, o Herr, groß und unbrauchbar, und alle wenden sich einmütig von ihnen ab.‹ Dschuang Dsï sprach: ›Habt Ihr noch nie einen Marder gesehen, der geduckten Leibes lauert und wartet, ob etwas vorüber kommt? Hin und her springt er über die Balken und scheut sich nicht vor hohem Sprunge, bis er einmal in eine Falle gerät oder in einer Schlinge zugrunde geht. Nun gibt es aber auch den Grunzochsen. Der ist groß wie eine Gewitterwolke; mächtig steht er da. Aber Mäuse fangen kann er freilich nicht. Nun habt Ihr so einen großen Baum und bedauert, dass er zu nichts nütze ist. Warum pflanzt Ihr ihn nicht auf eine öde Heide oder auf ein weites leeres Feld? Da könntet Ihr untätig in seiner Nähe umherstreifen und in Muße unter seinen Zweigen schlafen. Nicht Beil noch Axt bereitet ihm ein vorzeitiges Ende, und niemand kann ihm schaden. Dass etwas keinen Nutzen hat: was braucht man sich darüber zu bekümmern!‹« So wie Hui Dsï erging es auch mir, verzweifelt auf der Suche nach Orten und Dingen, die Wabi-Sabi verkörpern, habe ich das Wesentliche übersehen. Erst durch einen Spaziergang durch Konstanz, bepackt mit einer Kamera, sind mir besondere Orte ins Auge gestochen. Orte, die erst auf den zweiten Blick ihren Charakter und Schönheit entfalten und oftmals nicht mehr von Nutzen sind, aber den Menschen Freude bereiten und Erinnerungen wecken. 262


Wabi-Sabi, Fassade in Kyoto

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ガイド Reiseführer

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267 Auswahl der Gebäude

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269 Vorwort Ulf Meyer-san

272 Architektur in Japan im 20. Jahrhundert Gerd Ackermann-san

277 Tokio Tag 01-06

327 Kyoto Tag 07-10

349 Naoshima Tag 11-13

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日本の専門家 Reiseleitung Ulf Meyer-san

Tokyo ist eine wunderbare Katastrophe. Man muss sie besuchen, solange sie noch steht. Um sich mit der Architektur in Tokio auseinanderzusetzen, muss man wissen, was man unter »Architektur« und was man unter »Tokio« versteht. Beides ist in diesem Fall gar nicht so leicht zu definieren. Denn in Tokio sind die Grenzen fließend, zwischen Design und Baukunst, zwischen Städtebau und Architektur und der Stadt und ihrem Umland, der Kanto-Region. Natürlich lässt sich die Tokioter Architektur nur im Kontext der japanischen Architektur verstehen. Ebenso lässt sich die Architektur nicht ohne den Rahmen der Stadt einordnen. Faszinierend an Tokio ist für Besucher aus dem Westen die schiere Größe: Mit 32 Millionen Einwohnern im Großraum ist Tokio mit großem Abstand die größte Metropole der entwickelten Welt. Interessant ist Tokio noch aus anderen Gründen. Es mag die erste Stadt sein, die die Zukunft der urbanisierten Menschheit vorwegnimmt. »Toward Totalscape« beschreibt, wofür Tokio steht: Tokio ist die totale Stadt. Sie umgibt einen vollkommen. Sie ist unentrinnbar. Sie bietet alles. Dabei ist sie nur das Zentrum des Landes, das mehr oder weniger eine einzige Stadt ist. »Tokaido« geht nahtlos von Tokio-Chiba-Yokohama-Kawasaki in den nächsten Großraum, Nagoya, über und ergießt sich dann in den Großraum Kansai. Mehr als 65 Millionen Einwohner werden diesem Mega-Großraum zugezählt: Mehrere mittelgroße europäische Nationen wie zu einer einzigen Riesenmetropole zusammengebacken. Jede demographische Prognose prophezeit das Entstehen mehrerer Megastadtlandschaften, in denen immer größere Teile der Menschheit leben, arbeiten und spielen. Die Vorstellung erschrickt viele, Tokio beweist jedoch, dass metropolitanes Leben dieser Größenordnung ohne Drogen, Kriminalität und Graffiti möglich ist. Tokio ist eine der angenehmsten Städte der Welt. Für die Architektur bedeutet extreme Dichte Entwertung: Nur in Tokio ist das Grundstück wertvoller als selbst das teuerste Gebäude darauf. Das erklärt, warum Architektur hier keinen Anspruch auf Dauer hat. Firmitas, wie Vitruv sie für die Baukunst in Anspruch nahm, sucht man in Tokio vergeblich. Neben der Logik des Immobilienmarktes sind es auch die Holzbautradition und die Erfahrung der wiederkehrenden Zerstörung, die Tokios Architektur prägen. Allein im 20. Jahrhundert wurde Tokio – im Erdbeben von 1923 und im Zweiten Weltkrieg – zerstört. Erwachsen ist daraus kein Bestreben nach Solidität, sondern

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Bereitschaft für das Ephemere. In Tokio wird stets das Unbaubare gebaut. Monumente entstehen dabei nicht. Begonnen hat die Moderne in Tokio 1945. Zwar hatte sich das Land schon seit der Öffnung 1853 für westliche Baukunst interessiert und sie nicht nur importiert, sondern auch re-exportiert (nach Taiwan und Korea), zu einer Abkehr von der Holzskelettbauweise kam es jedoch erst, nachdem der Krieg bewiesen hatte, wie verletzlich die japanischen Städte sind. Für das Friedenszentrum in Hiroshima übersetzte Kenzo Tange die Prinzipien des Holzskelettbaus in moderne Architektur. Frank Lloyd Wright und Le Corbusier und die europäischen Modernisten haben in Japan Spuren hinterlassen, aber zu einer eigenständigen japanischen Moderne kam es erst mit der Metabolistischen Bewegung. Der Abriss des Imperial Hotels von Wright in Tokio und die Olympischen Sommerspiele in Tokio 1964 waren die Schlüsselmomente, die die Wandlung Japans widerspiegelten: Vom Kriegsverbrecher zum Verbündeten des Westens, vom Ruinenhaufen zum Wirtschaftswunderland. Der ökonomische Boom war der Nährboden, auf dem die Träume der Metabolisten gedeihten. Der Metabolismus war ein doppelter Befreiungsschlag von der Tradition und dem westlichen Vorbild. Die Prägung durch Abwendung von und Rebellion gegen den Metabolismus definierten die nächsten beiden Architektengenerationen. Der »International Style« und die Postmoderne haben in Japan eigene Ausprägungen erfahren, aber charakteristischer war die Baukunst des wirtschaftlichen Aufschwungs der 80er Jahre, der »Bubble-Jahre«. Meisterlich verarbeiteter Sichtbeton war das adäquate Material der Abgrenzung gegenüber der wuchernden Metropole . Als verlorenes Jahrzehnt gelten die 90er Jahre, auf dem Gebiet der Baukunst haben der Boom und die neue Bescheidenheit, die folgte, Blüten getrieben: In den 90er Jahren drehte sich in der Baukunst alles um Kultur– und die »Katakana-Bauten«: Projekte, denen ausländische Namen gegeben wurden, weil sie neue Typologien einführten, die nur in dem Katakana-Silbenalphabet ausgedrückt werden können. Westliche Architekten waren in den 80ern gefragt – speziell für Modehäuser, die »Brand-Architecture«, die im markenversessenen Tokio Triumphe feierte und ganze Straßenzüge umkrempelte. Die Neulandgewinnung in der Bucht von Tokio veränderte die Stadtgestalt und führte zu neuen Topographien und Lagen. Sie stellte auch die Frage nach örtlicher Identität, nach Verankerung, nach dem Genius Loci. Ob es Tokio gelingt, sich städtebaulich als Stadt am Wasser zu definieren, ist bis heute eine offene Frage. Postkarten zeigen Tokio als Hochhausstadt, die Skyline von Shinjuku (mit dem Fuji-san als Hintergrund) hat Eingang in die Popkultur und das kollektive Gedächtnis gefunden. Tatsächlich ist Tokio bis heute eine flache, kleinteilige, niedrige Stadt. Die kleinen Grundstücke und die rechtlichen Auflagen für Zusammenlegungen haben den Hochhausbau erschwert und zum Typus Hochhauscluster geführt, den die Firma Mori zu einem Stil gemacht hat. Häufiger, weil baubarer ist das Mini-Hochhaus, ein schmales Minihochhaus auf Handtuchgrundstück. In den Wohngegenden herrschen kleinste, eng aneinandergefügte Häuser: Mini-Houses in Mega-Tokyo. Grundbesitz ist wichtig in einer Gesellschaft, in der sich fast jeder als der Mittelklasse zugehörig definiert. Nur 269


die Armee, die Bahn, Gefängnisse oder Klärwerke besitzen große zusammenhängende Grundstücke, auf die Immobilienentwickler neidische Blicke werfen. Städtebau ist in Japan unbekannt. Es sind vielmehr die Formen der Reisfelder, die Tokio prägen und die Interessen der Bahngesellschaften, die die Stadtentwicklung in der Hand haben. Plätze, Achsen, einen Kaiserpalast, der öffentliche Repräsentation sucht, sucht man in Tokio vergeblich. Tokio bleibt eine Stadt ohne Form, radikal heterogen, ohne klar definierte Skyline, selbstähnlich. Wohnen ist in Tokio eine private Angelegenheit, mit der Wohnung repräsentiert man nicht, man möbliert sie nicht aufwändig, in erster Linie schläft man in ihr. Zuhause ist man auf der Straße. Der introvertierte Kaiserpalast, das leere Zentrum, um das die Metropole kreist, macht es vor. Ist also Architektur in Tokio überhaupt wichtig oder hat sie gegen die Werbung, die Popkultur, die Neonlichter verloren? Beständig ist in der Baukunst nur der Wandel, Permanenz sucht sie in Tokio nicht. Tokio ist ebenso ewig unfertig und vergänglich wie ihre Architektur. Denkmalschutz gibt es nicht. Die situative Ordnung schlägt alles Vorbestimmte, Integration braucht hier keine Synthese.

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Architektur in Japan im 20. Jahrhundert Gerd Ackermann-san

Wenn es um die japanische Architektur der Gegenwart und ihre Interpretation geht, richten ausländische Betrachter ihr Augenmerk häufig auf die Tradition. Aber was macht für Fremde die japanische Tradition aus? In extremer Verkürzung lassen sich drei Bedeutungsstränge ausmachen: der Shintoismus (shinto) und die Architektur der Shinto-Tempel; der Zen Buddhismus (zenshu) und seine Tempel– und Gartenarchitektur, und drittens die Teezeremonie (chanoyu)und die Architektur der Teehäuser (chashitsu). Die Shinto-Tempel, die Zen-Tempel und Zen-Gärten sowie die Teehäuser bilden insofern das Fundament der traditionellen japanischen Architekturästhetik. Eine Einschätzung der gegenwärtigen japanischen Architektur, die sich auf diese Tradition zurück bezieht, ist nicht von vornherein falsch. Dennoch wäre es ein Irrtum, sich auf die genannten drei Stränge zu beschränken, weil die japanische Tradition neben der orthogonalen, nüchternen, anti–ornamentalen und symbolhaften Tempel– und Gartenarchitektur auch Werke von großem dekorativem Reichtum umfasst. Als Japan mit der Meidschi-Revolution von 1868 sich dem Abendland öffnete, waren ausländische Besuchergerade von den dekorreichsten und im technischen Sinne manieristischsten Bauwerken fasziniert. Charakteristisch für die japanische Kunst, die das Abendland am Ende des 19. Jahrhundert kannte (ukiyoe -Holzschnitte der Edo-Zeit – Keramik,Kunsthandwerk und Möbel), und für die Japanmode (japanisme) waren gerade die reichen Dekorationen und die gediegene Feinarbeit. Der englische Architekt Josiah Conder, der 1877 nach Japan eingeladen wurde, um westliche Architektur zu lehren, war ein Liebhaber japanischer Kunst und wurde zu ihrem leidenschaftlichen Kenner. Auch er bevorzugte Kunst, die dem Kanon des Japanisme entsprach und damals in Europa in Mode war, und er hinterließ eine große Zahl von Skizzen, deren Großteil ausgesprochen dekorbeladene japanische Architektur aus der Zeit des 18. und 19.Jahrhunderts zeigte. Wie und wann vollzog sich der Wandel, in dessen Gefolge japanische Kunst nicht mehr als Dekoration und gediegenes Kunsthandwerk aufgefasst wurde, sondern als symbolische Kunst, die auf der Architektur des Shintoismus, des Zen oder der Teezeremonie basiert? Dieser Wandel der Empfindung, zweifellos mit dem Entstehen einer modernen Architektur in Japan verbunden, ereignete sich schon zu Beginn des 19.Jahrhunderts, wo er allerdings noch nicht zu einer Veränderung der Kunst selbst führte; doch obschon darauf weiterhin vielfältigeStrömungen fortbestanden, wandelten sich die japanischen Künste in dem Moment, als eine von ihnen in den Vordergrund rückte. Damit aber veränderte sich auch die Sicht und das Bild der Tradition. Josiah Gonder war bis zu seinem Tod im Jahre 1920 in Tokio zugleich Architekt und Lehrer. Direkt nach Abschluss ihres Studiums gründeten seine Schüler an der Architekturfakultät der Universität von Tokio noch im selben Jahr die Gruppe bunri hakenchiku kai (Verband der 271


sezessionistischen Architekten). Die Exponenten von bunri ha – Kikujilshimoto, Sutemi Horiguchi, Mayumi Takizawa, Shigeru Yada, Mamoru Yamadaund Kei‘ichi Morita – veröffentlichten ein Manifest, das den Bruch mit der Architektur der Vergangenheit proklamierte, und sie organisierten Ausstellungen, bei denen ihre Projekte und die Neuerungen ihrer eigenen Suche nach bildlichem Ausdruck gezeigt werden, die starke Anklänge an die deutsche und Österreichische Architektur des beginnenden Jahrhunderts aufwiesen. Die Gründung von bunri ha und der Tod Josiah Conders markierten zusammen mit der Übernahme des westlichen Historismus den Beginn der Moderne in Japan. Obwohl die Mitglieder von bunri ha Bannerträger der Avantgarde waren, verfolgten sie keinen geradlinigen Weg. Während in Europa die Avantgarde–Bewegung aus der Ablehnung eines schon bald überwundenen Historismus entstand, war in Japan noch keine Architekturtradition europäischer Provenienz konsolidiert, und die institutionalisierte Architekturlehre war gerade erst fünfzig Jahre alt. Es gab also keinen stereotypen Akademismus, gegen den man sich hätte absetzen können. Die japanischen Avantgarde-Architekten beschränkten sich statt dessen darauf, die westliche Avantgarde zu interpretieren und im eigenen Land zu präsentieren. Es ist aufschlussreich, den Weg der Mitglieder von bunri ha nachzuzeichnen. Jene, die nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs noch aktiv waren – Kei‘ichi Morita, Sutemi Horiguchi und Marnoru Yamada, folgten zwar unterschiedlichen Wegen in ihrem Verhältnis zur Avantgarde, thematisierten jedoch alle, wenngleich auf verschiedene Weise, ihre Beziehung zur Tradition. Kei‘ichi Morita widmete sich der Forschung über Vitruv, dessen Übersetzung ins japanische er vollendete, und wurde danach Lehrer an der Universität von Kyoto. Sutemi Horiguchi beschäftigte sich seit den vierziger Jahren mit Teehäusern (chashitsu) und interessierte sich besonders für die Vorstellungen der Teemeister – vor allen anderen Sen Rikyu – über Architektur. Motitaund Horiguchi, beide Exponenten der Avantgarde, wandten sich also dem Studium der Klassiker zu. Mamoru Yamada, der sein Leben lang praktizierender Architekt blieb, zeigt ein seinen Spätwerken eine bedeutsame Veränderung: der bis dahin konsequente Rationalist entwarf 1964 mit dem Nippon Budokan ein Gebäude für Kampfsportarten, dessen Profil an traditionelle japanische Architektur erinnert. Im Jahr darauf entwarf er den Kyoto Tower. Beide Werke zeigen Yamadas Entwicklung vom internationalen Rationalismus zu einer mehr »japanischen«Ausdrucksform und lösten damals starke Polemiken aus. Nachdem sie in ihren Anfangsjahren von den gleichen Voraussetzungen, von der Avantgarde, ausgegangen waren, suchten diese drei Architekten also später den Dialog mit der Tradition. Der Grund für diese Art von Rückzug liegt weniger im Vertrauensverlust gegenüber einer innovativen Bewegung, sondern ist wohl eher darin zu suchen, dass die Avantgarde die Notwendigkeit erkannte, zum Zweck der Konsolidierung der modernen Architektur in Japan die Prinzipien der traditionellen Architektur neu zu überdenken. Besonders Sutemi Horiguchi versuchte durch seine Beschäftigung mit der Teebaus Architektur zu zeigen, dass deren architektonische Prinzipien den modernen nicht widersprechen. In seinen bedeutenden Arbeiten verband er die moderne japanische Architektur mit seiner eigenen Interpretation der japanischen 272


Tradition. Sowohl Bruno Taut in den dreißiger-Jahren als auch Walter Gropius in den Vierzigern reisten nach Japan, und beide priesen die nüchterne Ästhetik der kaiserlichen Residenz in Katsura. Auch Bruno Taut und Walter Gropius wählten aus der japanischen Tradition das aus, was ihrem Geschmack als moderne Architekten am nächsten kam. Natürlich finden sich auch unter den japanischen Architekten unterschiedliche Sichtweisen der Tradition. Auf den ersten Blick mögen ihre Auffassungen von Tradition häufig konservativ erscheinen, doch tatsächlich sollten sie, nach einer Definition von Kenneth Frampton und Alexander Tzonis, als Vertreter eines»kritischen Regionalismus« verstanden werden. Die Architekten des »kritischen Regionalismus« müssen zu den Pionieren bei der Identitätssuche des modernen japanischen Staates gezählt werden. Selbstverständlich haben auch sie nicht immer und ausschließlich im traditionellen Stil gebaut, sondern sich oftmals engagiert um die Verschmelzung von Funktionalismus und Tradition bemüht. Togo Murano wurde von zwei Architekten bei der Firmengruppe Sumitomoin Osaka (heute das Planungsbüro von Nikken Sekkei) beeinflusst: HidakaYutaka und Heikichi Hasebe. Nach seinem Studium an der Waseda Universität von Tokio war Murano einige Jahre Mitarbeiter im Büro von Setsu Watanabe in Osaka und arbeitete seit 1929 als selbständiger Architekt. Murano hatte großen Einfluss auf die japanische Architektur dieses Jahrhunderts und trug besonders zur Verbreitung der modernen Architektur in Osaka bei. Namentlich zwei seiner Werke, das Warenhaus Sogo(1936) und die Stadthalle von Ube (1937), gehören zu den repräsentativsten Gebäuden der japanischen Moderne der Vorkriegszeit. Murano war aber zugleich ein virtuoser Meister der traditionellen japanischen Architektur. So entwarf er unter anderem sein eigenes Haus im sukiya-Stil und fuhr während seiner ganzen Laufbahn fort, mit ähnlichen Entwürfen zu experimentieren und sie zu realisieren. Heikichi Hasebe entwarf für Sumitomo zahlreiche Gebäude, darunter den zur Moderne gehörigen Sitz der Sumitomo Bank (1930) in Osaka. Der damalige Präsident von Sumitomo, verwandt mit der altadligen Familie der Tokudaiji, wollte dagegen in einem Haus im traditionellen Stil wohnen. Hasebe baute für ihn eine große Villa im sukiya-Stil und entwarf dank seiner Beziehungen zu anderen Adelsfamilien in der Folge noch weitere Adelswohnsitze, darunter für Fumimaro Konoc, der 1944 Premierminister wurde. Förderer der Modernisierung waren damals die Sumitomo und andere aristokratische Familien an der Spitze von Industrie– und Finanzgruppen, die wie Politiker als zaibatsu (in abwertender Übersetzung etwa »Plutokraten« ) bezeichnet wurden. Es ist merkwürdig, dass gerade sie leidenschaftliche Sammler alter japanischer Kunst waren und selbst lieber in traditionellen Häusern wohnten. Vermutlich spiegelten auf diese Weise westlich geprägte und traditionelle japanische Architektur – klar voneinander getrennt und ohne sich wechselseitig zu beeinflussen – die Erfordernisse des öffentlichen respektive privaten Lebens. Erst mit der Durchsetzung der modernen Architektur in Europa in den zwanziger und dreißiger Jahren kam das Bewusstsein auf, dass sich moderne westliche Architektur einerseits und traditionelle japanische Architektur andererseits nicht immer und notwendigerweise widersprechen müssen. Zu den namhaftesten Vertretern dieser Position zählten Architekten wie Jsoya Yoshida, der aus 273


der Verschmelzung von sukiya-Architektur und moderner Architektur eine eigene Formensprache schuf, sowie die schon genannten Sutemi Horiguchi und Togo Murano.Die Wiederentdeckung der Tradition war eine notwendige Durchgangsstation bei der Ausprägung der modernen Architektur in Japan. Die japanische Moderne verdankt sich aber auch dem Einfluss westlicher Architekten der Zeit und der Anwendung ihrer Prinzipien in Japan. Die Architekten von bunri ha waren in erheblichem Maße von der deutschen und österreichischen Architektur geprägt und darüber hinaus von den Werken Frank Lloyd Wrights, der in Japan das Imperial Hotel baute (1912-23), sowie von Antonin Raymond, der durch Abeiten wie das Saint Roca-Hospital zur Einführung des International Style beitrug. Es waren jedoch die Schüler von Le Corbusier; die den stärksten und dauerhaftesten Einfluss ausübten und die erste Generation moderner Architekten in Japan bildeten. Warum gerade Le Corbusier das wichtigste Erbe hinterließ, ist eine interessante Frage, die bislang nicht hinreichend untersucht wurde. Zu seinen Schülern gehört Kenzo Tange, der in der Nachkriegszeit sein Projekt für das Friedenszentrum von Hiroshima (1952) beim CIAM ( Congrès Internationaux d’Architecture Moderne) vorstellte und so diese Strömung der modernen japanischen Architektur international bekannt werden ließ. Außerdem ist in der Nachkriegszeit auch der Einfluss der USA spürbar. Viele japanische Architekten studierten dort und trugen ihre Erfahrungen ins Heimatland zurück. Von ihnen ist Fumihiko Maki vielleicht der repräsentativste Architekt seiner Generation. Nach einer kurzen Lehrzeit bei Kenzo Tange ging er in die USA, wo er in Harvard sein Studium abschloss. Spätere Generationen durchliefen einen ähnlichen Werdegang vom Studium in den USA bis zu ihrer Tätigkeit als freie Architekten und sind – offenbar ohne Behinderungen durch die kulturellen Unterschiede – in der internationalen Architekturszene präsent. Aber sind die japanischen Gegenwartsarchitekten tatsächlich ohne eine spezifische nationale Identität? Gegenwärtig realisieren viele ausländische Architekten in Japan ihre Entwürfe, und es scheint, als gehöre es zu einem führenden Architekten, in Japan gebaut zu haben. Dabei ist unbestreitbar, dass die kulturelle »Matrix« der Architekten sich in irgendeiner Weise auch in ihren Werken niederschlägt. Die in Japan entstandenen Werke von amerikanischen, französischen, italienischen, englischen oder deutschen Architekten lassen etwas von deren jeweiliger Herkunft spüren. Dasselbe gilt für die Werke japanischer Architekten – ohne dass man deshalb in billige mystisch – symbolische Interpretationen unwahrscheinlicher Einflüsse von Shintoismus, Zen-Buddhismus, Teezeremonie etc. verfallen muss, und es gilt auch dort, wo sich keine erkennbare Spur einer direkten Übertragung der ererbten geschichtlichen Formen findet. Sucht man nach Beziehungen zwischen Japans Gegenwartsarchitektur und seiner kulturellen Tradition, so findet man diese wohl am ehesten im genius loci, dem Geist des Ortes in der traditionellen Architektur. Für die japanische Architektur war die Beziehung zum Ort immer von fundamentaler Bedeutung; bis ins19.Jahrhundert hinein hatten so gut wie alle Gebäude, von den Burgen und Tempeln einmal abgesehen, nur ein einziges Geschoss, so dass ihre Lage im Terrain zu ihrem wichtigsten Merkmal wurde.

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Die bedeutenderen Werke der japanischen Architektur der Gegenwart sind vielleicht jene, die eine solche Beziehung zum Ort, zum genius loci entfalten. aus montagnana architekturfĂźhrer japan 20.jahrhundert

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Do 25.05. 2017 Frankfurt – Tokyo Flug mit Lufthansa nach Tokyo Frankfurt 18.45h

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東京 Tokio

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Tag 01

Fr, 26.05. 2017 Tokyo – Shinjuku Ankunft 12.15h in Tokyo Haneda (HND) 13.30h mit S-Bahn zum ANDON RYOKAN 15.00h Check-in Kurze Pause 16h Fahrt mit S-Bahn zum Neubauviertel Shinjuku Tokyo Mode Gakuen Cocoon Tower Tange Assoc. (2008) Tokyo Metropolitan Government Office Kenzo Tange (1991) Blick vom Rathaus-Hochhaus von Kenzo Tange über die Stadt Ca. 18.30h gemeinsames Abendessen Ca. 20.00h mit der S-Bahn zurück zum Ryokan Übernachtung in Tokyo

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1.01 Mode Gakuen Cocoon Tower Tange Assoc. (2008) 1-7-3 Nishi Shinjuku, Shinjuku-ku

Dieses Hochhaus im Wolkenkratzerviertel von Nishi Shinjuku ist ein vertikaler Campus für 10.000 Studenten. Es wurde auf dem Grundstück gebaut, auf dem vorher das Hauptgebäude der Asahi Mutual Lebensversicherung gestanden hatte. Mit seinen 50 Geschossen und einer Höhe von 203 Metern ist der Mode Gakuen Cocoon Tower das zweithöchste Schulgebäude der Welt (nach der Universität Moskau). Nutzer sind drei Berufsschulen: die namensgebende Modeschule Tokyo Mode Gakuen, außerdem HAL Tokyo und Shuto Iko, Schulen für Informationstechnologie und für Medizin. Tanges Entwurf war das Ergebnis eines Architekturwettbewerbs, dessen einzige Vorgabe darin bestand, dass das Gebäude auf keinen Fall rechteckig sein sollte. Der Bau erinnert an einen Kokon und soll ein Symbol für die akademische Fürsorge sein, die den Studenten in diesem Gebäude zuteil wird. Die gekrümmten Fassaden bestehen aus Aluminium und Glas, auf sie wurde ein Muster aus sich kreuzenden weißen Streifen gedruckt, das jedoch nicht das Tragwerk abbildet. In jeder Etage sind drei rechteckige Seminarräume um einen zentralen Erschließungskern angeordnet. Eine über drei Geschosse reichende Lounge befindet sich in jedem dritten Stockwerk. Städtebaulich fungiert der Turm als Gelenk zwischen dem Bahnhof Shinjuku und dem Hochhausviertel Nishi Shinjuku.

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Metropolitan Governement Office Kenzo Tange (1992) 2-8-1 Nishi Shinjuku, Shinjuku-ku

Wie bei seinem Entwurf für das Hauptgebäude der Universität der Vereinten Nationen nahm Tange auch beim Tokyo Metropolitan Government Building, einem der bekanntesten und höchsten Gebäude der Stadt, Bezug auf die mittelalterliche europäische Sakralarchitektur: Die postmoderne, streng symmetrische Komposition des Hauptbaus, der sich zu einem Doppelturm auflöst, erinnert an französische Kathedralen, speziell an Notre Dame in Paris. Wie die großen Kathedralen das spirituelle Zentrum der europäischen Städte im Mittelalter waren, so soll der moderne Hochhausbau für die Verwaltung der Präfektur Tokio das Zentrum der »Gemeinde Tokio« markieren. Bei einem Architekturwettbewerb (1986) hatte sich Tange mit diesem Konzept durchgesetzt. Zusammen mit den benachbarten Verwaltungshochhäusern besitzt das riesige »Rathaus« den Charakter einer »Stadt in der Stadt« mit etwa 13.000 Angestellten. Das Gebäude fungiert als Zentrum des Hochhausviertels Nishi Shinjuku. Vor dem Doppelturm erstreckt sich eine große, halbovale Plaza, die eine Agora darstellen soll, meist aber menschenleer ist. Der große, ovale Saal des Stadtrats befindet sich auf der anderen Seite des Platzes in einem separaten achtgeschossigen Bau (Tokyo Metropolitan Assembly Building), der über zwei Brücken mit dem Hauptgebäude verbunden ist. Der vormalige Verwaltungsbau (1957) in Marunouchi, ebenfalls von Tange entworfen, war abgerissen worden – hier steht heute das Tokyo International Forum von Rafael Viñoly. Die 48-geschossigen grauen und braunen Granitfassaden des Tokyo Metropolitan Government Building sind fein geometrisch gemustert. Sie sollen an traditionelle japanische Häuser erinnern sowie außerdem an die gitterartigen Geometrien von Halbleitern. Das Tragwerk basiert auf einer 243 Meter hohen, steifen »Superstructure«, die bei einem Erdbeben steif und bei einem Taifun flexibel reagieren kann. Das Gebäude schwingt nicht, sondern die Kräfte werden durch die leichte Drehung aufgefangen. Wie bei einer gotischen Kathedrale wird auch der Doppelturm des Hauptgebäudes an der Spitze aufgelöst: Um 45 Grad gedrehte Grundrisse an der Spitze mit je einer großen Trommel darüber schaffen Lufträume zum durchlaufenden Traggerüst. Im 16. und im 25.Geschoss befinden sich Querträger. Die in beiden Türmen 283


im 45.Geschoss untergebrachten, kostenlos zugänglichen Panoramaetagen werden jährlich von fast drei Millionen Menschen besucht.

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Tag 02

Sa 27.05.2017 Per U-Bahn zum Fischmarkt Tsukiji Nakagin Capsule Tower Kisho Kurokawa (1972) Shizuoka Presse– und Rundfunkgebäude Kenzo Tange (1968) Nakagin Capsule Tower Kisho Kurokawa (1972) Shiodome Neubauviertel Fahrt mit der U-Bahn nach Roppongi 14:30h »TOTO Gallery for Architecture« Ausstellung über Shigeru Ban 15:30h DesignSite 21_21 Tadao Ando (2007), Ausstellung »Athletes« 16:30h Café im National Art Center Tokyo, Kisho Kurokawa (2007) 17:00h weiter zum Hachiko-Square in der Dämmerung Übernachtung in Tokyo

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Nakagin Capsule Tower Kisho Kurokawa (1972) 8-16-10 Ginza Chuo-ku

Als Höhepunkt der metabolistischen Bewegung gehört der Kapselturm zu den wichtigsten und weltweit bekanntesten Gebäuden der japanischen Siebzigerjahre-Architektur. Der Bau soll die Vision einer dynamischen und zyklischen Stadt zum Ausdruck bringen, deren Veränderung und Wachstum er selbst vorwegnimmt. Seine Struktur besteht aus 140 vorfabrizierten Raumzellen, die an zwei vertikalen Erschließungstürmen aufgehängt sind. Die Zellen wurden in Serienproduktion hergestellt, um bei Bedarf ersetzt werden zu können. Sie können als Mini-Büro und als »Stützpunkte« für weit vom Zentrum entfernt wohnende Privatpersonen genutzt werden. Die Kapseln wurden zum Vorbild für Hunderte von Capsule Hotels in japanischen Großstädten, wo Geschäftsleute billig übernachten können. Wegen anhaltenden Interesses von Besuchern aus aller Welt ist eine der Kapseln öffentlich zugänglich. Die Zellen kamen bereits voll ausgestattet auf die Baustelle. Von einem Kran wurden sie mit nur vier Schrauben an den Betonkern angehängt. Jede Einheit enthält ein Einbaubett, eine Stereoanlage, eine Whisky-Bar sowie eine vorfabrizierte WC– und Duschkabine. Die Kapseln, je 4 mal 2,5 Meter groß, haben runde Fenster. Trotz seiner herausragenden Stellung innerhalb der japanischen Architektur ist der Bau akut vom Abriss bedroht. Seine Bewohner gründeten eine Bürgerinitiative für den Abbruch des Gebäudes, das sich derzeit in einem desolaten Zustand befindet: Die Wasserrohre sind undicht und die Absicht, Kapseln abzunehmen und durch neue zu ersetzen, wurde nie realisiert. Die Kapselbewohner beschwerten sich, dass sich die Einheiten unmöglich pflegen lassen und forderten die Errichtung eines Neubaus an gleicher Stelle. Erfolglos hatte die Organisation Docomomo versucht, bei der UNESCO eine Unterschutzstellung zu erwirken. Die japanische Regierung lehnte den Denkmalschutz für Nachkriegsarchitektur ab.

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Shizuoka Presse – Rundfunkgebäude Kenzo Tange (1968) 8-3-7 Ginza, Chuo-ku

Auf einem kleinen dreieckigen Eckgrundstück am Rande der Ginzasteht dieser 57 Meter hohe Mini-Tower für die Korrespondentenbüros der Medien aus der Präfektur Shizuoka. Das Grundstück misst weniger als 190 Quadratmeter. Von einem großen, runden Zylinder in der Mitte kragen die Büros aus. Die Freiräume symbolisieren potenzielle Erweiterbarkeit. Der Turm ist mit schwarzem Aluminium verkleidet und nimmt neben einer ringsegmentförmigen Treppe zwei Fahrstühle und Nebenräume auf. Das Shizuoka-Mediengebäude, das sich neben der erhöhten ‚ Trasse der Tokaido-Shinkansen-Linie und der Hochautobahn erhebt, ist zu einem Wahrzeichen für Reisende geworden, die von Westen in die japanische Hauptstadt hineinfahren.

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Saint. Mary‘s Cathedral – Marienkirche Kenzo Tange (1964) 3-16-5 Sekiguchi, Bunkyo-ku

Ursprünglich hatte auf diesem Grundstück eine hölzerne Kirche im gotischen Stil gestanden, die 1899 geweiht und im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde. Die neue Marienkirche wurde 1964 zur Feier des 100. Jahrestags der Anerkennung des Katholizismus in Japan errichtet. Sie ist Sitz der römisch–katholischen Erzdiözese von Tokio. 1961 hatte Kenzo Tange den Architekturwettbewerb für den Neubau gewonnen. ln Zusammenarbeit mit dem Kölner Diözesanbaumeister Wilhelm Schlombs, dem Züricher Architekten Max Lechner und dem Bauingenieur Yoshikatsu Tsuboi entwarf Tange ein spektakuläres Großdach in der Form eines hyperbolischen Paraboloids. Der Grundriss besitzt die Form eines Kreuzes. Bei direktem Sonnenlicht verleihen die Edelstahlpaneele der großen Dachflächen der Kathedrale eine geradezu gleißende Erscheinung. Im Kontrast dazu stehen die stumpfen Sichtbetonoberflächen im Inneren. Die acht Wände bilden einen höhlenartigen Raum, der an mittelalterliche europäische Kathedralen erinnert. Metaphorisch lässt sich die Grundrissform auch als ein Vogel mit ausgebreiteten Schwingen interpretieren. Das kreuzförmige Oberlicht wird an allen vier Fassaden vertikal bis zum Boden hinabgeführt. Diverse abstrakte Details wie etwa das kubistische Taufbecken verleihen dem Interieur eine moderne Atmosphäre. Eine Öffnung hinter dem Altar schafft interessante Lichteffekte. ln dem rhomboiden Hauptvolumen befinden sich sekundäre, rechteckige Räume. Der 60 Meter hohe Glockenturm steht separat und wirkt wie eine spitze, weiße Nadel. Tange selbst hat seinen Entwurf so beschrieben: »Architektonisches Entwerfen ist eine besondere Art, die Wirklichkeit zu begreifen. Es beeinflusst und transformiert die Realität. Die künstlerische Form spiegelt einerseits die Realität und bereichert sie zugleich. Dafür ist es notwendig, die Anatomie der Realität, ihre physische und geistige Struktur, als Ganzes zu verstehen.«

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TOTO Galerie for Architecture 1-24-3 Minami-Aoyama, Minato-ku

TOTO GALLERY MA ist eine Galerie, die sich auf Architektur und Design spezialisiert hat und von TOTO als Teil des Sozialbeitragsprogramms des Unternehmens betrieben wird. Die Galerie hat ihren Namen von dem einzigartigen japanischen Konzept von ma-ai, das die räumlich–zeitlichen Intervalle oder Bindehohlräume beschreibt, die zwischen Menschen, Zeit und Raum wahrgenommen werden. Seit der Eröffnung im Oktober 1985 blieb TOTO GALLERY MA für die Organisation von Einzelausstellungen von Architekten und Designern aus der ganzen Welt gewidmet. Die Galerie bietet den Ausstellern eine einmalige Gelegenheit, ihre Individualität frei zu demonstrieren, indem sie ihnen erlaubt, eigene Ausstellungen zu gestalten und die Räume der gesamten Galerie als eine einzige kreative Präsentation umfassend zu gestalten. Die Galerie selbst hat eine ausgeprägte räumliche Konfiguration, in der ihre beiden unabhängigen Ausstellungsräume durch einen Außenhof verbunden sind.

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Design Site 21.21 Tadao Ando (2007) 9-7-6 Akasaka, Minato-ku

Dieses kleine Designmuseum wird vom Designverband Japans und dem bekannten Modeschöpfer Issey Miyake betrieben. Institutionell gehört das Haus zum benachbarten riesigen Hochhaus– und Einkaufskomplex Midtown. Das zweiflügelig Designzentrum hat je ein Ober– und ein Untergeschoss und wird ausschließlich für Wechselausstellungen genutzt. Von außen fallen zunächst die großen, nahtlos zusammengefügten, jedoch geometrisch gebrochenen Stahltafeln auf, die das Dach der beiden Flügel bilden. Die expressiv geformten Dächer der beiden im Grundriss dreieckigen Bauteile sollen an Issey Miyakes berühmte Faltenmode erinnern. Sämtliche Wände und Treppen bestehen aus dem für Ando typischen feinen Sichtbeton. Die Ausstellungsräume liegen unterirdisch und werden über einen Innenhof belichtet. Der Haupteingang zwischen beiden Flügeln ist über einen kleinen Garten erreichbar. Im Inneren erschließt sich eine Raumdramaturgie mit offenen und geschlossenen Volumen. Vom Foyer aus, das von dem längsten Bandfenster der Welt erhellt wird, gelangen die Besucher in die zwei Ausstellungsräume hinab.

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National Art Center Tokio Kisho Kurokawa (2007) 7-22-2 Roppongi, Minato-ku

Japans größtes Ausstellungshaus,das National Art Center Tokyo (NACT), wer tet Roppongi zum Kultur vier tel auf. Sein riesiges Atrium wird von einer in beiden Dimensionen gekrümmten Glasfassade geschlossen,deren ebenfalls gläserne Sonnenschutzstreifen als Brise Soleil fungieren. Im Foyer stehen zwei große, wie versteinerte Tornados wirkende Betonkegel – man könnte meinen, sie hätten die Fassadenwellen generiert. Besucher sehen zunächst einen kreisrunden Pavillon,der nur eine einzige Funktion hat: Hier kann der Gast an Regentagen ordentlich seinen Schirm einschließen,bevor er sich dem Kunstgenuss widmet. Durch einen großen, indirekt beleuchteten Trichter hindurch führt der Weg in das 22 Meter hohe Foyer: Über 14.000 Quadratmeter Ausstellungsfläche ein stützenfreien, teilbaren Galerien, in die Oberlichter Tageslichtschaufeln, wollen erkundet werden. Fünf Galerien dienen den Wechselausstellungen der verschiedenen japanischen Künstlerverbände,die hier ihre Jahrespräsentationen veranstalten. In den beiden höchsten Galerien jedoch, mit Decken höhen von über acht Metern, finden Sonderausstellungen statt, die das NACT selbst organisiert. Über 30 Milliarden Yen ließ sich das japanische Kulturministerium den Bau auf einem ehemaligen Grundstück der Universität Tokio kosten. Das NACT ist die fünfte Kunstinstitution unter dem Dach der Nationalmuseen nach den Museen für Moderne Kunst in Tokio, Osaka und Kyoto und dem Tokioter Museum für westliche Kunst.Damit ist es die erste staatliche Kunstinstitution ohne eigene Sammlung.Schon seit Mitte der Siebzigerjahre hatte das Ministerium seinen Bauwunsch gehegt, aus dieser Zeit rührt auch Kurokawas Architektursprache.

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Tag 03

Sonntag 28 05 2017 Per U-Bahn 8.00h Fischmarkt Tsukiji 9h per U-Bahn zur Ginza: Maison Hermès Renzo Piano (2001) Mikimoto Ginza 2 Building Toyo Ito (2005) Tokyo International Forum Rafael Vinoly (1996) Swatch Ginza / Shigeru Ban (2006) Mittagessen: 12.30h im Restaurant: Gonpachi Ginza 14h Fahrt mit der U-Bahn nach Roppongi 14.30h Suntory Museum of Art Kengo Kuma (2007) (1.300 Yen Eintritt) – oder alternativ »TOTO Gallery for Architecture« 15.30h DesignSite 21_21 Tadao Ando (2007) (800 Yen Eintritt), Innenbesichtigung 16.30h Cafe im NACT National Art Center Tokyo von Kisho Kurokawa, 2007 17 Uhr Weiter zum Hachiko-Square in der Dämmerung Übernachtung in Tokyo

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Maison Hermès Renzo Piano (2001) 5-4-1 Ginza, Chuo-ku

Das Gebäude des französischen Luxusimperiums von Jean Louis Dumas ist Flagshipstore von Hermès und Hauptsitz des Unternehmens in Japan zugleich. Der 6.000 Quadratmeter große Bau beherbergt neben dem Geschäft auch Werkstätten, Büros und Ausstellungsräume und wird von einem Dachgarten gekrönt. Ein Rücksprung, der die Längsfassade in zwei Teile teilt, bildet einen Hof und den Zugang zum U-Bahnhof. Die Gebäudeproportionen ähneln dem benachbarten Sony Building von Ashihara (1966). Der schmale, 45 Meter tiefe Bau wirkt selbst wie ein kunstvoll bearbeitetes Schmuckstück, klassisch und avantgardistisch zugleich. Die Fassaden bestehen vollständig aus 45 mal 45 Zentimeter großen, speziell angefertigten Glasbausteinen. Piano schuf eine »magische Laterne«, inspiriert von den traditionellen japanischen Lampions. Tagsüber lässt die Fassade nur erahnen, was hinter ihr geschieht, aber in der Dämmerung leuchtet das Gebäude geradezu geheimnisvoll von innen. Außen, auf Augenhöhe, wurden einige Klarglasbausteine eingesetzt, in denen Hermès-Preziosen präsentiert werden. Die Gebäudeecken sind abgerundet, der Shop ist durch Klarglas markiert. Innen herrscht eine ruhige Atmosphäre mit diffusem Tageslicht. Das Tragwerk ist ein flexibles Stahlskelett, das mit viskoelastischen Dämpfern erdbebensicher gemacht wurde. Von den auskragenden Geschossdecken sind die Glasbausteinfassaden abgehängt.

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Mikimoto Ginza 2 Building Toyo Ito (2005) 4-5-5 Ginza, Chuo-ku

Dieses Geschäftshaus ist der Flagshipstore der Firma Mikimoto, der »Erfinder« der Zuchtperle. Auf einem schmalen Grundriss von 17 mal 14 Metern reckt es sich neun Geschosse und 56 Meter hoch. Unten befinden sich ein großer Juweliersalon und Verwaltungsräume, die Geschosse darüber beherbergen ein Restaurant und Mietbüros. Vier dünne Stahlwände bilden statisch eine steife Röhre mit stützenfreien Innenräumen. Die Sandwichpaneele enthalten eine dünne Schicht Beton zwischen zwei Stahltafeln von nur sechs bis zwölf Millimeter Dicke. Bereits als Fertigteile auf die Baustelle transportiert, wurden sie dort ausgerichtet, verschweißt und der Zwischenraum mit Beton gefüllt (200 Millimeter). Die Stahlplatten sind also eine verlorene Schalung. Dieses Bausystem erlaubt extrem stabile, dünne Wände. Da das Tragwerk flächig und nicht gerichtet ist, ließen sich die unregelmäßigen Fenster frei verteilen. Die zufälligen tropfenförmigen Öffnungen sollen an Luftblasen erinnern, wie sie beim Perlentauchen aufsteigen. Ito wollte ein Gebäude schaffen, das weiche Leichtigkeit und feine Intensität zugleich ausdrückt; weder reine Geometrie noch tektonischer Ausdruck standen im Vordergrund. Um eine perfekte flache Fassade ohne Fugen zu erreichen, wurden die Schweißnähte geschmirgelt und mit mehreren Farbschichten überdeckt – dadurch ist ein abstrakterer Ausdruck entstanden.

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Tokio International Forum Rafael Vinoly (1996) 3-5-1 Marunouchi, Chiyoda-ku

Das Tokio International Forum ist sicher das bekannteste und architektonisch interessanteste Konferenzzentrum in der japanischen Hauptstadt. Es umfasst vier unterschiedlich große, eckige Mehrzweckgebäude auf der einen Seite und ein riesiges gläsernes Forum auf der anderen, das im Grundriss die Form eines Blatts hat und sich an die benachbarte Hochbahntrasse schmiegt, die vom Hauptbahnhof Tokio nach Yuraku-cho führt. Dazwischen liegt eine öffentliche Fußgängerpassage in Nord–Süd–Richtung. Viñoly, in Uruguay geboren und erst in Argentinien und dann in den USA erfolgreich, gelang es, das Raumprogramm funktional und räumlich klar zu gliedern. Die große Halle dient als Ausstellungsfläche und Foyer für alle Veranstaltungsräume und wurde städtebaulich geschickt integriert. Sie erinnert an die großen, glasüberwölbten Räume im Europa des 19. Jahrhunderts wie die Mailänder Galleria oder den Londoner Kristallpalast. Die den Raum durchschneidenden Brücken und Rampen schaffen einen geradezu piranesihaften Eindruck. Die größte Halle des Tokyo International Forum bietet 5.000 Personen Platz. Sieben kleinere Ausstellungshallen, insgesamt 34 Konferenzräume sowie Galerien, Restaurants und Läden sind über insgesamt elf Obergeschosse verteilt. Das große Glasdach wird aus eleganten weißen Fischbauchträgern aus Stahl gebildet. Bis heute ist das Tokyo International Forum Viñolys berühmtestes Werk geblieben.

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Swatch Ginza Shigeru Ban (2006) 7-9-18 Ginza, Chuo-ku

Nach dem Gründer der Swatch Group, dem Schweizer Unternehmer Nicholas G. Hayek, ist dieses mehrgeschossige Uhrengeschäft benannt. Schon 2004 hatte die SwatchGruppe das Grundstück erworben und das damals darauf befindliche Pearl Building abreißen lassen. Das neue Gebäude ist mit 56 Metern fast doppelt so hoch wie der Vorgängerbau. Bei einem Architekturwettbewerb hatte sich Shigeru Ban mit seinem Entwurf durchsetzen können. Das offene Erdgeschoss nimmt lediglich sieben ovale, gläserne Räume auf, die als Showroom für jeweils eine Luxus-Uhrenmarke des Konzerns dienen. Tatsächlich sind diese Räume hydraulische Lifte, die völlig ohne Fahrstuhlschacht frei jeweils in eines der Geschosse fahren, die ebenfalls Verkaufsräume für verschiedene Marken der Swatch-Gruppe sind. Die Geschäfte für die einzelnen Marken wurden also nicht einfach übereinander gestapelt, so dass alle Kunden durch die unteren Geschosse gehen müssen, aber kaum noch einer in das sechste Geschoss gelangt. Vielmehr soll so jedes der hier vertretenen Labels die gleiche Aufmerksamkeit erhalten. Die Aufzüge stehen im Erdgeschoss scheinbar frei und transportieren die Kunden mit einer Geschwindigkeit von 15 m ⁄ min ausschließlich in das jeweils gewünschte Geschoss. Über den Verkaufsetagen befinden sich die Büros von Swatch Japan sowie auf drei Etagen der Kundendienst. Das 14. Geschoss, »La Cité du Temps«, wird für Ausstellungen, Konzerte oder Pressekonferenzen genutzt. Um einen neutralen Hintergrund für die präsentierten Uhren zu bilden, ist das Gebäude komplett in Weiß gehalten. Die gesamte linke Brandwand wurde als Klettergarten begrünt. 299


Tag 04 Montag 29 05 2017

Tokio – Omotesando 9h mit der Bahn nach Harajuku. Spaziergang auf Einkaufs– und Architekturmeile »Omotesando« GYRE MVRDV (2007) Christian Dior Omotesando SANAA (2003) Omotesando Hills Tadao Ando (2005) ONE OMOTESANDO Kengo Kuma (2003) TOD‘S Omotesando Toyo Ito & Associates (2004) Prada Boutique Aoyama Herzog & de Meuron (2003) Tokyu Plaza Omotesando, Hiroshi Nakamura, 2012 12.30 – 13.30h Mittagessen 14.00h Nezu-Museum von Kengo Kuma Innenbesichtigung 15:30h weiter 16:30h Besuch des Olympiastadions von Kenzo Tange Innenbesichtigung National Gymnasium for Tokyo Olympics Kenzo Tange (1964) Übernachtung in Tokyo

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GYRE MVRDV (2007) 5-10-1 Jungumae, Shibuya-ku

G Y R E (e n g l i s c h für »Wirbel« oder »Kreisel«) ist das erste Gebäude des Rotterdamer Büros MVRDV in Tokio, das sich damit in die Liste prominenter Architekten einreiht, die den Boulevard Omotesando zu einer kleinen Bauaustellung spektakulärer Einkaufsarchitektur gemacht haben. Dabei ist GYRE nicht einem speziellen Label gewidmet, sondern beherbergt mehrere Luxusmodeboutiquen und Restaurants. Ein aufwendiges Marketingkonzept, »Shop & Think«, das auf die hochwertige Verarbeitung und Herstellung der Produkte sowie auf die »Sicherheit« der angebotenen Lebensmittel hinweist und das verschiedene Künstler in die Shop-Inszenierung einbindet, soll den Konsumenten ein bewusstes Einkaufserlebnis vermitteln: »Kaufen Sie ein und tun Sie dabei Gutes!« Zentrum des Neubaus ist »Eye of GYRE«, das »Auge des Wirbels«: Hier befindet sich ein Ausstellungsraum, in dem einzelne Kunstwerke – insbesondere Fotografien – präsentiert werden, die auch auf den diversen Bildschirmen innerhalb des gesamten Gebäudes gezeigt werden. Die Architektur spiegelt dieses Konzept reduziert in der Stapelung einzelner flacher, kubischer Körper wider, die leicht versetzt zueinander angeordnet sind und in die große Öffnungen eingeschnitten wurden. Auf Fußgängerebene präsentiert sich GYRE dagegen eher als klassische Ladenarchitektur mit einem zentralen Eingang und großen Schaufenstern.

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Christian Dior Omotesando SANAA (2003) 5-9-11 Jungumae, Shibuya-ku

Das Dior-Gebäude am Omotesando Boulevard scheint in Schichten von feinem Geschenkpapier gewickelt zu sein. Die Doppelschicht ist durchscheinend. Die Fassade zeigt die Innenräume nur schwach. Sie besteht aus Klarglas auf der Außenseite, Acrylplatten mit weiß gedrucktem Muster auf der Innenseite (die Letztere ähneln stilisierten Vorhängen). Wann nötigt, können Muster oder Dekorationen auf der Innenseite montiert sein. Das Gebäude ist 30 Meter hoch und steht auf einem trapezförmigen Grundstück. Das Erdgeschoss, die erste, zweite und dritte Etage dienen dem Einzelhandel. Oben sind Veranstaltungsräume, Büros, und ein Dachgarten. Die Fassade mit ihren wechselnde Geschosshöhen lassen die Struktur des Gebäudes nicht erkennen. Das Interieur ist von Hedi Slimane. SANAA’s Architektur versucht einen Mittelweg zwischen der zeitlosen Eleganz Christian Dior´s selbst und dem extravaganten und flippigen Designs des aktuellen Modeschöpfers John Galliano. Der Höhepunkt von Kazuyo Sejimas Eleganz ist eine überzeugende neue Interpretation der Shoji-Wand übersetzt in zeitgenössische moderne Architektur. Eine besonderes Merkmal der Umkleidekabinen in Dior’s Turm sind ihr Mangel an Spiegeln (hier ersetzt von Videokameras, die konstant Kunden aufnehmen und dann Bilder auf einen Bildschirm projizieren).

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Ometesando Hills Tadao Ando (2005) 4-12-10 Jungumae, Shibuya-ku

Von Toyo Ito über Kenzo Tange bis hin zu Jun Aoki und Kengo Kuma – wie Perlen an einer langen Kette reihen sich an der Omotesando die spektakulären Neubauten und machen die Zelkovenallee zu einem Freiluftmuseum der modernen Baukunst. Omotesando Hills, das große Einkaufs– und Wohnzentrum von Tadao Ando, verteilt 34.000 Quadratmeter Fläche auf einem kleinen, dreieckigen Grundstück. In sechs unterirdischen und sechs oberirdischen Geschossen sind 93 Geschäfte und 38 Luxusappartements untergebracht worden. Eine ebenfalls dreieckige Riesentreppe im Zentrum des Atriums führt unter Tage. Durch das gläserne Dach gelangt zumindest ein wenig Tageslicht in die Untergeschosse. Das Tragwerk ist zwar einStahlskelett, die Fassaden sind aber von dem für Ando typischen Sichtbeton geprägt. Der Bauherr, der Immobilienkonzern Mori, ließ die berühmten Vorgängerbauten, die Dojunkai Apartments, für die »Mall« abreißen, obwohl Ando selbst diesen ersten massiven Wohnblock Japans als ein »großartiges urbanes Erbe« bezeichnet hatte. Das Wahrzeichen der Moderne in Tokio war 1927, vier Jahre nach dem Großen Kanto-Erdbeben, fertiggestellt worden. Weil das Beben bewiesen hatte, dass die traditionellen japanischen Holzbauten im Notfall untauglich sind, wurden erstmals solide Mietshäuser »im westlichen Stil« zum architektonischen Vorbild. Der Verlust der Dojunkai Apartments schmerzt besonders, wenn man in Andos Einkaufszentrum nur eine Übung in der Aufgabe sieht, möglichst viel Ladenfläche auf ein kleines Tokioter Baugrundstück zu zwängen.

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One Ometesando Kengo Kuma (2003) 3-5-29 Kita Aoyama, Minato-ku

Das siebengeschossige Geschäftshaus am Anfang der Omotesando ist der japanische Hauptsitz des französischen Luxusgüterkonzerns LVMH. Die Zelkovenbäume, die die Omotesando zum einzigen städtebaulich attraktiven Einkaufsboulevard Tokios machen, griff Kuma in seiner hölzernen Fassade auf. Ihre 45 Zentimeter tiefen Pfosten aus laminierter, dunkel gebeizter Lärche besitzen einen stark vertikalen Ausdruck. Sie sind nicht nur Sonnenschutz, sondern sollen auch als eine Anspielung auf die hölzerne Architektur des Meiji-Schreins am anderen Ende des Boulevards verstanden werden. Weil die Verwendung von Holz bei städtischen Gebäuden nach japanischem Baurecht verboten ist, entwarf Kuma ein Feuerlöschsystem, für das er eine Sondergenehmigung erhielt. Die Grundrisse folgen dem unregelmäßigen Grundstückszuschnitt. Eine der Schmalseiten kragt aus und formt eine kleine Terrasse.

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TOD‘s Ometesando Toyo Ito & Associates (2004) 5-1-15 Jungumae, Shibuya-ku

Dieses Gebäude an der Omotesando beherbergt den Flagshipstore einer italienischen Schuh– und Lederwarenfirma der gehobenen Preisklasse. Die unteren Etagen des siebengeschossigen Baus sind dem Verkauf vorbehalten, die oberen werden als Büros und Mehrzweckräume genutzt. Das L-förmige Grundstück besitzt nur eine schmale Straßenseite. Allseitig ist das Gebäude von einer einheitlichen Fassade umgeben, deren Struktur an die Zelkovenbäume der Omotesando erinnern soll. Diese Struktur dient als grafisches Muster und als Tragwerk zugleich. Sie besteht aus 300 Millimeter dicken Betonteilen und bündigen, rahmenlosen Glastafeln. Stützen in den Innenräumen sind unnötig, denn die Struktur erlaubt Geschossdecken, die über 15 Meter frei spannen. Anders als bei den gläsern-ephemeren Modeboutiquen der unmittelbaren Nachbarschaft verleiht der verwendete Sichtbeton diesem Haus eine besondere Präsenz. Die Entwurfsstudien begannen mit der Frage, wie man konventionellen Wänden entfliehen kann. Ito wollte das gängige Schema von transparenten Öffnungen in einem opaken Volumen aufbrechen. Stützen, Oberflächen und Wände sollten zu einer neuen Einheit verschmelzen. Die Oberfläche ist zugleich das Tragwerk und bildet den Kraftfluss ab. Ein geeignetes Motiv waren die überlappenden Silhouetten abstrahierter Bäume, weil Bäume selbst stabile Tragwerke darstellen und ihre Form von daher strukturell rational ist. Im oberen Teil des Gebäudes, wo die »Äste« dünner und zahlreicher werden, erhöht sich auch die Anzahl der Öffnungen. Das Tragwerk schafft also automatisch verschiedene Raumeindrücke auf jeder Etage.

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Prada Boutique Aoyama Herzog & de Meuron (2003) 5-2-6 Minami Aoyama, Minato-ku

Der Turm des Luxusmode - Labels Prada ist ein von einer kleinmaschigen Rautenstruktur umhüllter Glasblock. Diese Struktur, in die unterschiedlich pla s t is ch g ewö lbte Glasscheiben eingelassen sind, fungiert, neben einem schlanken inneren Kern und drei horizontalen Röhren, auch als Tragwerk. Die Kristallform wurde aus den vorgegebenen Grenzlinien abgeleitet. In der Dichte des Modeviertels Aoyama leisteten sich die Schweizer Architekten den Luxus eines Solitärs in der Form eines unregelmäßigen Diamanten. Die Fassade bildet eine »fünfte Wand«, der Bau wirkt so wie eine Großskulptur ohne abschließendes Dach. Durch den Abstand des Gebäudes zur Nachbarbebauung ist Raum für eine kleine umlaufende Plaza geblieben. Das Innere des Turms ist ein 2.800 Quadratmeter großes, elfenbeinfarbenes Raumkontinuum des Zeigens und Sehens, das sich spiralförmig über sechs Ebenen ausbreitet. Horizontale Röhren sind wie Fernrohre in das Gebäude integriert und erfüllen eine doppelte Funktion: als Tragelemente und als »Sehkorridore«, die unterschiedliche Blicke auf die Umgebung fokussieren. Das Gebäude soll laut Bauherr als ein »Wahrnehmungsinstrument« verstanden werden. Die weißen Flächen der Röhren werden mit Lichtprojektionen bespielt. Alle sichtbaren Gebäudeelemente – bis auf das Glas – dienen den drei Funktionen Tragstruktur, Raum und Fassade. Die Einrichtung und die Ausstattung wurden – vom Tisch bis hin zum Lichtschalter – ebenfalls von Herzog & de Meuron entworfen. Sie entwickelten sogenannte Schnorchel, die Bilder, Töne und Licht transportieren und einzelne Bereiche des Gebäudes individuell bespielen, zum Beispiel als »Klangduschen« in den Korridoren. Viele der edlen Waren werden auf niedrigen, illuminierbaren »Tischen« im Soft-Edge-Design präsentiert. Dieser Turm ist das erste und einzige frei stehende Gebäude, das die Firma Prada neu errichten ließ.

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Tokio Plaza Ometesando Hiroshi Nakamura (2012) 4-30-3 Jungumae, Shibuya-ku

Die Jingumae Kreuzung liegt genau da, wo Omotesando und Harajuku sich schneiden. Es war das Tor zur TokyoMode und ihre Geschichte als Brutstätte der kulturellen Bewegungen war so bunt wie die Menschen, die es bewohnen. Landschaft und Gebäude sind so schnell gekommen wie gegangen, wie Modeerscheinungen. Das neue Tokyu Plaza Omotesando Harajuku stellt eine Ansammlung von Namen dar, das Omohara genannt wird, eine »Festung der Mode« . Die hochmoderne schlossähnliche Struktur wurde von iroshi Nakamura entworfen, einem preisgekrönten Architekten, der die neuen Terminals am Flughafen Haneda geformt hat.

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Olympic Gymnasia Kenzo Tange (1964) 2-1-1 Junnan, Shibuya-ku

Die zwei Olympiastadien im Yoyogi- Park gehören sicher zu den bekanntesten Bauten in Tokio und markieren sowohl einen Höhepunkt der japanischen Nachkriegsarchitektur als auch einen Wendepunkt in Tanges Werk: Sie repräsentieren die Abkehr von westlichen Vorbildern (besonders von Le Corbusier) und den Entwurf einer genuin japanischen Baukunst der Moderne. Die Olympischen Sommerspiele 1964 in Tokio waren die ersten in Asien ausgetragenen olympischen Wettkämpfe und symbolisierten – wie später auch die Spiele in München 1972 für Deutschland – den wirtschaftlichen Aufstieg Japans, einer der Verlierer im Zweiten Weltkrieg, das in den Fünfzigerjahren als von den USA abhängige Vorzeigedemokratie den Weg in die Familie der westlichen Bündnispartner gefunden hatte. Die Eleganz der olympischen Zwillingsstadien in Tokio rührt von der expressiven Kraft der organisch geschwungenen Tragwerke her. Die Stadien ähneln einander und sind dennoch grundverschieden aufgebaut: Das größere, ehemalige Schwimmstadion (heute multifunktional genutzt) ist ein Tragwerk, das einer Hängebrücke ähnelt. Zu seiner Bauzeit besaß es das größte Hängedach der Welt. Zwischen den beiden Stahlbetonpylonen hängen Stahlkabel, die das riesige Dach tragen. Die sichelmondförmige Silhouette erinnert an buddhistische Tempeldächer. Das Stadion fasst 15.000 Sitzplätze und kann im Winter zu einer Eisbahn umgebaut werden. Heute finden hier auch Judo– oder Tenniswettkämpfe statt und es werden sogar Opern aufgeführt. Das kleinere Stadion mit 4.000 Sitzplätzen ist damals wie heute dem Basketball gewidmet. Sein schneckenförmiges Dach wird von einem einzigen Pfeiler in der Mitte gestützt. Beide Stadien entwarf Tange gemeinsam mit dem Statiker Yoshikatsu Tsuboi. Sie sind einem Platz mit einer erhöhten Fußgängerpassage zugewandt.

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National Museum of Western Arts Le Corbusier (1959) 7-7 Ueno Koen, Taio-ku

Das Nationalmuseum für westliche Kunst, eines von drei Museen weltweit, die Le Corbusier nach dem Muster seines Prototyps für ein »endlos erweiterbares Museum« entwarf, beherbergt einen großen Teil der wertvollen Matsukata-Sammlung. Der Unternehmer Kojiro Matsukata (1865 – 1950) hatte in den Zwanzigerjahren auf seinen Europareisen eine Vielzahl von Gemälden, Drucken und Skulpturen, vor allem des französischen Impressionismus, zusammengetragen. Aufgrund der Finanzkrise von 1927 musste er seine Sammlung verkaufen; nach dem Zweiten Weltkrieg gerieten viele Werke in den Besitz der französischen Regierung, die einen Teil 1959 an Japan zurückgab. In einem kleinen Wäldchen im Ueno-Park gelegen, betreten die Besucher das Museum über einen landschaftsgärtnerisch gestalteten Vorplatz. Die nackte Strukturfassade aus grünen Kieseln in Betonpaneelen wird von Pilotis getragen. Nur ein einziges großes Fenster, mit einem Balkon und einer Treppe, unterbricht den Fassadenrhythmus. Der Grundriss ist wie eine Spirale innerhalb eines Rechtecks organisiert. Im oberen Geschoss reichen die Galerien um einen zentralen zweigeschossigen Innenhof, den sie mit mehreren kleinen Balkonen perforieren. Eine Rampe in dem natürlich belichteten Hof führt nach oben. Der Entwurf wurde von Le Corbusier begonnen und von seinen Schülern fertiggestellt. 1979 fügte Kunio Maekawa einen neuen Flügel an, der zusammen mit dem Altbau einen neuen, nach außen hin offenen Hof bildet. Im Zuge eines weiteren Umbaus im Jahr 1997 erhielt das Museum unterirdische Räume für Sonderausstellungen und ein Auditorium. Zugleich wurden die Fundamente erdbebensicher gemacht.

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Tokio Bunka Kaikan – Festival Hall Kunio Maekawa (1961) 5-45 Ueno Koen, Taio-ku

Maekawa war einer der wenigen japanischen Mitarbeiter Le Corbusiers in Paris. Sein Einfluss auf die Verbreitung der modernen Architektur in Japan ist immens. Die Konzert– und Veranstaltungshalle am Eingang zum Ueno-Park wurde sofort nach ihrer Einweihung zu Tokios bedeutendstem Ort für Orchesterkonzerte und Auftritte von internationalen Stars. Obwohl später noch viele Hallen in der japanischen Hauptstadt eröffnet wurden (NHK Hall 1972, Suntory Hall 1986, Orchard Hall 1990, Geijutsu Theater 1991, Takemitsu Memorial Hall and Sumida Triphony Hall 1997), ist Maekawas Bau aus den Sechzigerjahren noch heute für seine hervorragende Akustik berühmt. 1998 wurde er grundlegend renoviert. Neben der großen Halle mit 2.300 Plätzen gibt es einen kleineren Saal für Kammermusik oder Konferenzen sowie acht Probenräume, fünf Besprechungszimmer und eine Musikbibliothek. Die Tokyo Metropolitan Festival Hall gilt als Maekawas gelungenstes Werk. Dies liegt an der dramatischen Marmorgestaltung der Interieurs. Zugleich bezieht sich der Entwurf auf die vernakuläre Architektur Japans, insbesondere auf die traditionellen minka (Bauernhäuser).

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Library for Children‘s Literature Tadao Ando (2002) 12-49 Ueno Koen, Taito-ku

Ursprünglich war das Gebäude aus dem Jahr 1906 eine Filiale der Parlamentsbibliothek in Ueno. Der Altbau im pseudo-westlichen Stil ist typisch für die Meiji-Ära (1868 – 1912), seine pompöse Fassade erzeugt eine architektonisch grandiose Atmosphäre im Ueno-Park, wo sich viele große Museen befinden. Bei der Renovierung des historischen Gebäudes schuf Ando zusätzlich ein »Raumbild«, in dem Alt und Neu aufeinandertreffen. Der Altbau sollte zwar respektiert werden, aber auch zu einer Konfrontation mit den modernen Bauteilen taugen. Diese »Kollision« (Ando) findet ihren Ausdruck in zwei eingebauten gläsernen Kästen: Eine Glasbox im Erdgeschoss fungiert als Eingang, während im dritten Geschoss eine zweite Box den Altbau »pierct« (Ando). Sie beherbergt die Erschließungsräume. Für die Besucher wird der Raum zwischen alter Klinkerwand und neuer Glasfassade zu einer engawa (Veranda), die als eine Art Puffer zwischen Alt und Neu dient. Der historische Lesesaal sollte ursprünglich als Galerie genutzt werden. Ando restaurierte alle Oberflächen, interpretierte aber den Grundriss als vom Rest des Gebäudes unabhängig. Die räumliche Komposition beschreibt der Architekt als »nesting«: Zylindrische Ausstellungsräume aus Furnier, sehr sorgfältig detailliert und gebaut, prägen heute den Innenraum. Sie sind ein stimulierender Kontrast zu den alten Wänden und rahmen die historischen Putzdecken. Ando wollte das Gebäude nicht zu einem Museum seiner selbst machen, sondern versteht es als eine »moderne Neugeburt«.

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Galerie of Eastern Antiques Yoshio Taniguchi (1968) 13-9 Ueno Koen, Taito-ku

Das Nationalmuseum in Ueno ist Japans größtes und ältestes Museum. Es besitzt die umfangreichste Sammlung japanischer Kunst weltweit. Jeweils 4.000 Kunstwerke, Kimonos, Samuraischwerter, Lackarbeiten, Porzellan, Rollbilder und ukiyo-e sind ständig zu besichtigen. Unter den fünf Museumsgebäuden sticht Taniguchis Gallery of Eastern Antiquities (Toyokan) hervor. Dieses Gebäude ist der asiatischen Kunst außerhalb Japans gewidmet: buddhistischer Kunst aus China sowie Werken aus Kambodscha, Indien, dem Iran, der Türkei, Thailand und Vietnam. Das Gebäude interpretiert die Tektonik traditioneller japanischer Holzbauweisen in Stahlbeton und sucht einen architektonischen Zusammenhang mit den älteren Museumsmonumentalbauten im Ueno-Park. Der starke Dachüberhang, die Aufständerung, die Anlage eines umlaufenden Balkons und die dekorativen Fenstergitter sind ebenfalls typische Elemente japanischer Baukunst. Die als Splitlevel angeordneten Galerien führen den Besucher entlang eines sensibel komponierten Pfades durch das Museum. Die gedimmte Lichtstimmung soll »asiatische Ruhe« vermitteln. An beiden Enden des rechteckigen Grundrisses sind geschlossenere Räume angeordnet, in der Mitte befindet sich ein offener Teil mit Mezzaningeschossen und verschiedenen Lufträumen. Ein abgesenkter japanischer Garten versorgt das Untergeschoss mit Tageslicht. Der Sohn des Architekten, Yoshio Taniguchi, baute später nebenan die Gallery of Horyuji Treasures (Horyuji Homotsukan).

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Gallery of Horyuji Treasures Yoshio Taniguchi (1999) 13-9 Ueno Koen, Taito-ku

Die Galerie der Horyuji-Schätze gehört zum Nationalmuseum. Taniguchis Gebäude ersetzt einen Vorgängerbau an derselben Stelle. Die Sammlung besteht aus etwa 300 wertvollen Objekten aus dem 7. und 8. Jahrhundert, die dem Kaiserhaus vom Horyuji-Tempel in Ikaruga (Präfektur Nara) im Jahr 1878 übereignet wurden. Die Galerie dient der ständigen Ausstellung und Pflege dieser Artefakte. Ihre zurückhaltende, ruhige Atmosphäre entsteht durch die minimalistische Baukunst: ein subtiles räumliches Spiel von Transparenz, Opazität und Reflektion, Vertikal und Horizontal, Massiv und Leer, Innen und Außen. Der Zugang zur Galerie erfolgt indirekt und außermittig. Besucher erblicken die Eingangsfassade zunächst auf der anderen Seite eines flachen Wasserbeckens, in dessen Oberfläche sich die vertikalen Lamellen und Stützen spiegeln. Erst beim Näherkommen öffnet sich die Eingangsachse über einen Betonweg auf Höhe des Wasserspiegels. Der Zugang wirkt wie ein fließende horizontale Fläche, die aus der Glasfassade hervorspringt. Auf gleicher Höhe erstreckt sich eine Betonwand, die von der Fassadenecke zum Pool reicht. Vegetation rahmt das Wasserbecken auf der anderen Seite. Die vertikale Betonung der Eingangsfassade und der Einsatz von reflektierenden Materialien wirkt maßstabslos. Eine mit Metallpaneelen verkleidete Fläche rahmt den Außenraum, steigt vertikal zwei Geschosse auf, wird zum horizontalen, von vier schlanken Rundstützen getragenen Dach und dann wieder zur vertikalen Wand. Hinter der Glasfassade verbergen sich ein Foyer und ein Café im Erdgeschoss sowie ein Forschungsraum im Zwischengeschoss. Klarglas reicht bis zur Türhöhe, darüber befinden sich vertikale Aluminiumlamellen. Die gläserne Haut umgibt auch einen zweigeschossigen, mit poliertem Stein verkleideten Betonkubus, der die Ausstellungsräume beherbergt.

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Deutsche Botschaft Mahler Günster Fuchs (2005) 4-5-10 Minami Azabu, Minato-ku

Anlass für den Neubau der Deutschen Botschaft in Tokio war das verheerende Erdbeben von Kobe im Jahr 1995, denn dort waren selbst moderne, als sicher geltende Gebäude stark beschädigt worden. Japanische und deutsche Gutachter stellten fest, dass das Botschaftsgebäude aus dem Jahr 1959 nicht mehr den neuen, strikteren Anforderungen an den Erdbebenschutz entsprach. Aus diesem Grund wurde es 2003 abgebrochen. Bei dem darauf folgenden Architekturwettbewerb setzte sich das Stuttgarter Büro Mahler Günster Fuchs mit seinem Vorschlag eines strengen Kubus aus Glas und Stahl durch. Dieser steht neben der Botschafterresidenz auf einem großen Grundstück gegenüber dem Arisugawa-Park. Das Botschaftsgebäude mit 1.600 Quadratmetern Hauptnutzfläche und 65 Büroräumen, immerhin eine der größten und wichtigsten Auslandsvertretungen Deutschlands, erfüllt laut Bauherr »alle funktionalen und repräsentativen Ansprüche an die Vertretung in Japan«. Der fünfgeschossige Bau steht frei, abgerückt vom Hang, als ein klarer und einfacher Kubus mit einer Grundfläche von 720 Quadratmetern. Seine Erscheinung soll »Offenheit, Transparenz, Solidität und Klarheit« vermitteln. Ein 200 Quadratmeter großes überdachtes Atrium lässt Tageslicht bis in das Erdgeschoss und bildet das kommunikative Zentrum der Botschaft. Die Visastelle ist über einen separaten Zugang erreichbar. Eine umlaufende Vertiefung um den Kubus herum erlaubt die natürliche Belichtung und Belüftung. Weißer Putz und grauer Muschelkalk, Sichtbeton, Glas sowie Stahlgeländer und Stahlbrüstungen prägen die Innenräume. Laut Bauherr ist die Botschaft »ein schlichtes, transparentes und schönes Haus, das in seiner Haltung und Gestik, in seiner Offenheit und Weite einer Botschaft Deutschlands sehr gut entspricht«. Ein traditioneller japanischer Garten mit historischen Skulpturen und Kunstwerken, angelegt in der Meiji-Zeit, fungiert als Botschaftsgarten.

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Tag 05 Dienstag 30 05 2017

Tokio – Boot und Ueno 9h Per U-Bahn zum Asakusa-Tempel, von dort Bootsfahrt auf dem Fluss Sumidagawa zum Hamarikyu-Park Asahi Super Dry Hall Philippe Starck (1989) Dentsu Headquarters Building Jean Nouvel (2002) Weiterfahrt auf die künstliche Insel Odaiba in der Tokyo Bay Fuji Sankei Building (Fuji TV) Kenzo Tange (1996) 13 – 14h Mittagessen im »Venus Fort« 14h per Monorail und S-Bahn in die Innenstadt 15h National Museum of Western Art Le Corbusier (1959), Innenbesichtigung 16h Tokyo Bunka Kaikan (Tokyo Metropolitan Festival Hall) Kunio Maekawa (1961) International Library for Children’s Literature Tadao Ando (2002) 16.30h Gallery of Eastern Antiquities, Tokyo National Museum Yoshio Taniguchi (1968) Gallery of Horyuji Treasures, Tokyo National Museum Yoshio Taniguchi (1999) Deutsche Botschaft MGF Architekten (2004) – Besuch angefragt Übernachtung in Tokyo

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Asahi Super Dry Hall Philippe Starck (1989) 1-23-1 Azumabashi, Sumida-ku

Am Ufer des Sumida-Flusses positioniert, wirkt das Gebäude der japanischen Großbrauerei Asahi wie eine städtische Landmarke. Der vom französischen Designer Philippe Starck entworfene Bau hat die Form eines kopfstehenden Pyramidensegments. Zuvor hatte an diesem Ort eine beliebte Bierhalle gestanden, die mit einer populären Leuchtreklame für Asahi-Bier versehen war. Also stattete Starck seinen mit poliertem schwarzen Granit verkleideten Bau mit einem markanten goldenen Dachaufsatz aus. Diese »Flamme d‘Or« soll eine Bierkrone darstellen, die gerade weggepustet wird. Die Japaner gaben dieser Skulptur den Spitznamen »Golden Poo« (o gon no unko). Der Granitbau ist über Freitreppen aus Glasbausteinen erreichbar. Neben der Halle steht das Hochhaus des Asahi Headquarters. Es ist mit golden schimmerndem Spiegelglas verkleidet und wirkt – einer architecture parlante gleich – wie ein Bierglas. Seine Dachkrone, ein Raumfachwerk aus weißen Dreiecken, soll an Bierschaum erinnern. Die Fassade ist mit kleinen Öffnungen perforiert, in denen bei Dunkelheit kleine Leuchten die Illusion von »im Glas« aufsteigender Kohlensäure hervorrufen.

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Dentsu Building Jean Nouvel (2002) 1-8-1 Higashi Shimbashi, Minato-ku

Das erste Hochhaus des Pariser Architekten Jean Nouvel dient der japanischen Werbeagentur Dentsu als Zentrale. Beim Entwurf für den 213 Meter hohen, weiß-grauen Wolkenkratzer war es Nouvel wichtig, sowohl angenehme Arbeitsräume und Interieurs zu gestalten als auch mit dem Spiel verschiedener Sorten von Glas – trotz visuellem Understatement – interessante Fassaden zu schaffen. So ist beispielsweise die gesamte Südfassade mit einer Serie geordneter elliptischer Punkte versehen. Diese 35.000 Quadratmeter große Außenhaut wurde mit über 2.500 unterschiedlichen Mustern und zwölf verschiedenen Farbnuancen bedruckt, um einen changierenden Eindruck zu erreichen. Böden und Decken der Büros sind schallschluckend ausgeführt und flexibel aufteilbar. Je nach Orientierung sind die Fassaden unterschiedlich stark vor der Sonne geschützt. Der sichelmondförmige Grundriss hält sich visuell in der Skyline zurück: Von den wichtigsten Blickpunkten aus – dem Bahnhof Shimbashi, der Ginza, der Bucht von Tokio und dem nahen Hamarikyu-Park – wirkt das Gebäude einfach und elegant. Die Ostfassaden bestehen aus großen, vertikalen Sonnenschutzelementen, während die Südwestfassade aus unterschiedlichen Arten von Glas zusammengesetzt ist, das sich entsprechend der Himmelsrichtungen verändert. Terrassen markieren die Atrien in jedem zehnten Geschoss und damit auch die Abteilungen des Konzerns.

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Fuji Sankei Building (Fuji TV) Kenzo Tange (1996) 2-4-8 Dalba, Minato-ku

Der exotisch-futuristische Hauptsitz eines privaten Fernsehkanals wirkt wie eine »Superstructure« in den Ausmaßen eines Gebäudes (120 mal 210 Meter). Zwei 25-geschossige Hochhäuser stehen auf einer gemeinsamen siebengeschossigen Basis, in der sich die großen Aufnahmestudios befinden. Sie sind in der rechteckigen »Superstructure« über Skywalks vereint und verbunden. In einem der Leerräume des Skeletts schwebt scheinbar eine »Sphere« genannte, kugelförmige Aussichtsplattform. Ein Hochhaus beherbergt Büronutzungen, das andere kleinere Studios. Auf dem Dach der gemeinsamen Basis befindet sich eine große Terrasse, die entweder über eine Rolltreppenkaskade wie im Centre Pompidou in Paris oder über eine riesige Freitreppe, die geradewegs unter einem der beiden (aufgeständerten) Hochhäuser entlangführt, zugänglich ist. Der riesige Rahmen des Tragwerks wird von vier steifen Türmen gehalten und drückt sich in den Fassaden klar aus. Das Fuji-TV-Gebäude ist zu einer innerstädtischen Touristenattraktion

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Nezu Museum Kengo Kuma (1991) 6-5-1 Minami Aoyama, Minato-ku

Das Nezu-Museum (japanisch Nezu bijutsukan) ist ein privates Kunstmuseum der Vormoderne in Minato, Tokio. Es beherbergt eine für ein Privatmuseum ungewöhnlich umfangreiche Sammlung von mehr als 7400 asiatischen und japanischen Kunstschätzen, die auf den Kunstsammler und Industriellen Nezu Kaichirō (1860 –1940) zurückgehen. Von diesem jüngsten Projekt sagt Kuma: »Ich wollte, dass das neue Museum mit seinem Umfeld durch den Schatten aus dem sanften Hang des Daches verbunden ist. Schatten verbinden Gebäude mit dem Boden und verleihen der Architektur die Architektur und die Wärme.« Das Museum ist im Wesentlichen ein elegantes zweistöckiges Pavillon, das von einem voluminösen, grauen Ziegeldach bedeckt ist. Kumas nüchterne neue Galerien sorgen für eine asketisch neutrale Kulisse, damit die Kollektion leuchten kann.

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Tei-En Kunstmuseum Hiroshi Sugimoto (2014) 5-12-9 Shirokanedai, Minato-ku

Eine Libelle aus Glas mit filigranen Flügeln, beleuchtet und auf die Haube eines Automobils gesetzt – René Lalique, der berühmte Künstler des dekadenten Pariser Art déco hat in den Zwanzigerjahren solch ein Objekt entwickelt. Für Laliques luxuriöse Kunst hatte der japanische Prinz Asaka Yasuhiko ein Faible. 1933 ließ der Kaisersohn auf einem Gartengrundstück in Tokio eine Villa errichten, deren Interieur nach Entwürfen des Künstlers gestaltet wurde. Der Künstler und Architekt Hiroshi Sugimoto hat gemeinsam mit dem Architekturbüro Kume Sekkei eine Erweiterung für das Teien Museum entworfen. Ein eleganter, zeitloser Bau, der sich unaufdringlich und trotzdem selbstbewusst neben Laliques Villa stellt. Aus verschiedenen ineinandergefügten Quadern haben Hiroshi Sugimoto und Kume Sekkei den Baukörper herausgeformt. Er ist an drei Seiten geschlossen und mit Naturstein verkleidet. An der Gartenseite ist seine statische Struktur nach außen verlagert. Schlanke, hohe Stahlträger bilden hier eine überdachte Kolonnade, eine Glaswand schließt eine innere Galerie zum Garten ab. Aus verschiedenen ineinandergefügten Quadern haben Hiroshi Sugimoto und Kume Sekkei den Baukörper herausgeformt. Er ist an drei Seiten geschlossen und mit Naturstein verkleidet. An der Gartenseite ist seine statische Struktur nach außen verlagert. Schlanke, hohe Stahlträger bilden hier eine überdachte Kolonnade, eine Glaswand schließt eine innere Galerie zum Garten ab. Die Innenräume sind zurückgenommen und dennoch ausgefeilt: Sugimoto und das Büro Kume Sekkei haben komplexe Deckenkonstruktionen in ihre Architektur integriert. Die gewellte Deckenstruktur aus mächtigen, sphärisch ausgeformten Betonträgern in der verglasten Vorhalle des Anbaus setzt sich in einem Ausstellungsraum fort. In einem zweiten Raum ist die Deckenebene mehrfach aufgebrochen und versetzt. Über seitliche Fensterbänder an den Schnittstellen dringt Tageslicht diffus in den Saal. Eine harmonische Beziehung zum Altbau wollte Sugimoto herstellen. Sein Erweiterungsbau ist diskret platziert und mit der Villa nur über einen gläsernen Gang verbunden.

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Tag 06

Mittwoch 31 05 2017 Tokio – Kyoto 9.00h Check-out Per S-Bahn zum Tei-En Kunstmuseum mit Garten und Happo-en-Park Hiroshi Sugimoto, 13.30h zum Hauptbahnhof 14.12h im Shinkansen »Nozomi 19« nach Kyoto Ankunft ca. 17.30 Uhr Hauptbahnhof von Hiroshi Hara 18h Check-in Hostel Übernachtung in Kyoto

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京都市 Kyōto

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Tag 07 Donnerstag 01 06 2017

9.00h Besuch des Kaiserpalastes, Innenbesichtigung 15h zum Ryoanji Zen-Garten, Innenbesichtigung und Kinkakuji Garden of Fine Arts 15.30h dort Besuch bis 17h, zurück per Bus Spaziergang zum Times Gebäude von Tadao Ando Abendessen 19.00h für 25 Leute Restaurant: Tonchinkan (Okonomiyaki) Preis: 2.980 Yen (Menu + all you can drink), 3 Stunden Übernachtung in Kyoto

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Katsura Villa Katsuramisono, Nishikyo Ward

Es gibt ein Gebäude in Japan, das Architekten keine Ruhe lässt: Es ist die Katsura-Rikyu (oder »kaiserliche Katsura-Villa«) in Kyoto. Für die Architekten der klassischen Moderne wurde die Katsura-Villa zu einer Quelle der Inspiration. Sie erkannten – angeleitet durch Bruno Tauts Beschreibung – in ihr Prinzipien der Moderne: Farb– und Ornamentlosigkeit, modulare Grundrisse, Skelettbau. Von Walter Gropius bis zu Kenzo Tange und unterstützt durch die Fotos von Yasuhiro Ishimoto setzten sich die Architekten der Moderne mit der Villa ästhetisch und argumentativ auseinander. In der Postmoderne jedoch kehrte sich die Interpretation der Villa plötzlich um: Ishimoto besuchte die Villa auf Anregung Arata Isozakis ein zweites Mal und brachte dieses Mal farbige Bilder von der Villa mit, die ein ganz anderes Bild zeichneten: Statt edler Zurückhaltung und Flächigkeit der Fassaden standen auf einmal die geschwungenen Dächer und farbigen Interieurs im Vordergrund: Die Katsura-Villa erschien plötzlich vieldeutig und »postmodern«

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Kaiserpalast 3 Kyoto Gyoen, Kamigyo-ku

Innerhalb des Parks oder Gartens Gyoen befindet sich der alte kaiserliche Palast von Kyoto, der Gosho. Seit dem 16. Jahrhundert war der Gyoen der Bereich, in dem die Häuser der Aristokraten standen. Mit dem Umzug des Kaisers nach Tokyo im Jahr 1869 wurden diese abgerissen, was den heutigen Gyoen zu einer riesigen Parkfläche inmitten von Kyoto macht und mit dem Gosho eine sehr wichtige Sehenswürdigkeit beherbergt. Das Palastgelände besitzt neben der Kaiserlichen Residenz eine Reihe weiterer Gebäude. Im Norden der Residenz liegt Sentō, die Residenz des zurückgetretenen Kaisers. Nördlich des Gosho, jenseits der Straße Imadegawa, befindet sich die DōshishaUniversität. In der Shishinden-Haupthalle befindet sich der Thron. Das Hauptgebäude auf dem Palastgelände umfasst neben anderen Hallen die Halle für Staatszeremonien, Seiryōden, Hofraum, Ogakumonsho sowie eine Anzahl von Residenzen für die Kaiserin, hochrangige Aristokraten und Regierungsbeamte.

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Ryoanji Zen-Garten 13 Ryoanji, Goryonoshitacho

Ryōan-ji, der Tempel des zur Ruhe gekommenen Drachen, liegt im Hügelland im Nordwesten von Kyoto in einem alten Teichgartengelände. Erbaut unter Fürsten Fujiwara im 11. oder 12. Jahrhundert, wurde die damalige Bebauung durch verschiedene Unruhen komplett zerstört. 1450 erwarb Hosokawa Katsumoto, ein hoher Militärführer dieser Zeit, das Gelände und – inzwischen zum Zen-Buddhismus konvertiert – veranlasste den Beginn des Baus des Tempels in seiner heutigen Form. Auch wenn bedingt durch Brandkatastrophen und andere äußere Umstände im Laufe der Jahrhunderte kleinere bauliche Veränderungen der Anlage vorgenommen wurden, in ihrer Grundkonzeption entstanden der Tempel und der dazugehörige Zen-Garten zwischen 1450 und ca. 1500. Heute besteht die Gesamtanlage aus dem im unteren Teil befindlichen Daiju-in Kloster mit dem Oshidori Teich als Wandelgarten, sowie dem oberhalb gelegenen Ryōan-ji Tempel mit dem Zen-Garten.

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Times Gebäude Tadao Ando (1984, 1991) 6.04-8004 Kyoto-tu, Kyoto-shi, Nakagyo, Nakajimacho

Die Times-Gebäude in Kyoto sind ein kommerzieller Raum, der die Handschrift Ando‘s von bloßem Beton in minimalistischem Design trägt. Es ist das erste von zwei Werken in Kyoto, das zweite ist der Garten der Schönen Künste. Das Times-Gebäude wurde wie ein Boot entworfen, das auf dem Fluss schwimmt, in Bezug auf die Takasebune, flache Boote im 17. Jahrhundert, die durch den Takase River fuhren und Waren transportierten. Das kompakte Gebäude überrascht die Besucher mit seiner Raumverteilung und die Art und Weise wie das Zusammenspiel von Licht und Schatten, zu den verschiedenen Tages– und Jahreszeiten eine gewisse Unvorhersehbarkeit mit sich bringt.

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Garden of Fine Arts Tadao Ando (1994) Shimogamo Hangicho, Sakyo Ward

Das Projekt wurde als zeitgenössische, volumetrische Version eines Spaziergartens konzipiert. Das OpenAirFine Arts Museum – von Tadao Ando entworfen – befindet sich unterirdisch, um den Blick von den angrenzenden Botanischen Gärten n Richtung der Higashiyama Berge nicht zu stören. Das Museum zeigt Reproduktionen von berühmten Meisterwerken auf Keramikplatten mit permanenten, wetterfesten Eigenschaften. Das Gebäude besteht aus großen Betonbalken auf massiven Säulen, überlappenden Brücken und Rampen und Wasserbecken mit auf der Wasseroberfläche schwimmenden Gemälden. Das grünliche Glasgeländer spielt wechselseitig mit der Wasseroberfläche, die die verschiedenen Materialien widerspiegelt.

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Tag 08 Freitag 02 06 2017

Kyoto 9h per Bahn zu den Fushimi Inari Mon (oder Kokusai Kaikan Konferenzzentrum) 9.30h dort 10.30h Per Bahn zum Nijo-jo Samurai Burg, Innenbesichtigung 11-12, dort Mittagessen 14h per Bus zum 14.30h dort Kiyo-Mizu Dera – Tempel des reinen Wassers, Eintritt? Spaziergang am Berghang Mahlzeiten: Frühstück Übernachtung in Kyoto

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Nijo-jo Samurai Burg 541 Niojocho, Nakagyo-ku

Die Burg Nijo wurde 1603 als Sitz von Tokugawa Ieyasu, dem ersten Shogun der Edo-Zeit (1603-1867), in Kyoto errichtet. Sein Enkel Iemitsu stellte die Palastgebäude 23 Jahre später fertig und erweiterte die Burganlage um einen fünfstöckigen Hauptturm. Nach dem Fall des Tokugawa-Shogunats im Jahr 1867 diente die Burg zunächst als Kaiserpalast und wurde dann der Stadt übergeben. Die Burganlage wurde 1994 in das UNESCOWeltkulturerbe aufgenommen. Die Burg Nijo lässt sich in drei Bereiche unterteilen: Honmaru (zentraler Verteidigungskreis), Ninomaru (zweiter Verteidigungskreis) sowie einige um den Honmaru und Ninomaru angeordnete Gärten. Die gesamte Burganlage und der Honmaru sind von Wehrmauern und Festungsgräben umgeben.

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Kiyo-Mizu Dera Tempel des reinen Wassers 1-294 Kiyomizu, Higashiyama-ku

Der Kiyomizudera ist einer der bedeutendsten Tempel Japans. Er wurde im Jahr 780 in den hügeligen Wäldern östlich von Kyoto am Otowa-Wasserfall errichtet, nach dessen sauberem Wasser er benannt ist. Der Tempel geht ursprünglich auf die Hosso-Sekte zurück, eine der ältesten Schulen des japanischen Buddhismus. Der Kiyomizudera ist vor allem für seine Holzterrasse bekannt, die vor der Haupthalle in einer Höhe von 13 Metern am Berghang errichtet wurde. Von der Terrasse bieten sich hübsche Ausblicke auf die zahlreichen Kirschund Ahornbäume, die den Hang im Frühling und Herbst in ein Blüten– bzw. die Haupthalle, die ebenso wie die Terrasse ohne Verwendung von Nägeln errichtet wurde, beherbergt das wichtigste Heiligtum des Tempels, eine kleine Statue der elfgesichtigen, tausendarmigen Kannon.

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Kokusai Kaikan Konferenzzentrum Sachio Otani (1966) 422 iwakura Osagucho, Sakyo-ku

Das Kyoto International Conference Center, kurz ICC Kyoto,befindet sich im nordöstlich gelegenen Stadtteil Sakyō-ku in der japanischen Stadt Kyōto. Das Gebäude geht auf Pläne von Premierminister Nobusuke Kishi zurück um Japan als Konferenzort internationalen Ranges auszubauen. Das vom Architekten Sachio Ōtani entworfene Gebäude wurde 19 66 eröffnet und 1973 erweitert. Heute kommt das Konferenzzentrum auf 156.000 mÇ Fläche, aufgeteilt auf die große Konferenzhalle mit einem großen, 2.000 Personen fassenden Saal und einer Reihe kleinerer Räume, die Annex-Halle, in der 1.500 Personen Raum finden, und eine Eventhalle. In dem Konferenzzentrum wurde das nach der umliegenden Stadt KyotoProtokoll benannte internationale Abkommen zum Klimaschutz beschlossen.

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Fushimi Inari Mon 68 Fukakusayabouchicho, Fushimi-ku

Der Fushimi Inari-Taisha ist ein ShintōSchrein im Stadtbezirk Fushimi der Stadt Kyōto. Er ist dem Kami Inari gewidmet und ist der Hauptschrein von etwa einem Drittel aller Inari-Schreine in Japan. Er gehört zu den ältesten und bekanntesten Shintō-Schreinen in Kyōto. Besonders bekannt sind die Alleen aus Tausenden von scharlachroten Torii auf dem Gelände des Fushimi Inari-Taisha, welche alle Spenden von Personen, Familien oder Unternehmen sind. Sie führen einen Hügel hinauf, auf dessen Spitze, ungewöhnlich für einen Shintō-Schrein, das Allerheiligste öffentlich einsehbar ist. Der Fushimi Inari-Taisha gehört zu den wenigen Schreinen, die nicht nach Kriegsende dem neu gegründeten Dachverband Jinja Honchō beitraten.

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Tag 09 Samstag 03 06 2017

Kyoto Vormittag 8.30h per Bahn und Bus Miho Museum von I.M. Pei, 1997, Innenbesichtigung Filmvorführung im Museum 12.30h Mittagessen im Museum Miho – Yen 1.750, pro Person 13.30h Museum 14.30h Rückfahrt 16h und 16:40h (in zwei Gruppen) Teezeremonie im Hosomi-Museum von OE Tadasu – Yen 1.620, pro Person fakultativ: Abschluss-Abendessen Übernachtung in Kyoto

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Miho Museum I.M. Pei (1997) 300 Tashiro Momodani, Shigaraki, Shiga 529.1814 Japan

Das Miho-Museum war ein gemeinsames japanisches und amerikanisches Projek t, das von Architekt I. M. Pei und Kibowkan International, Inc. im August 1996 auf einem malerischen Berghang in einem Naturschutzgebiet in der Nähe der Stadt Shigaraki, Präfektur Shiga, Japan, errichtet wurde. Die Details des Museums spiegeln das innovative Bestreben der Architekten wider, neue Wege zu gehen, wie bei dem neuartigen Aussehen von Schrägglaswänden aus Raumrahmen. Die Wärme der verwendeten Materialien, vor allem des Magny Doré Kalksteins und des farbigen Betons und das Ausstellungsystem bieten optimale Bedingungen für die Ausstellung und die Schöpfung von Kunstwerken

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Hosomi Museum OE Tadasu (1998) 6-3 Saishoji-cho Okazaki, Sakyo-ku

Das Hosomi-Museum wurde im März 1998 gegründet und befindet sich im östlichen Bezirk von Okazaki, der »kulturellen Zone« der Stadt. Das Museum basiert auf der Sammlung des späten Osaka-Industriellen Hosomi Ryo (Kokoan der ersten Generation) und verfügt über 1000 Werke japanischer Kunst, die fast alle wichtigen Zeiträume und Kategorien repräsentieren. 1998 entworfen von OE Tadasu, umfasst das Museumsgebäude traditionelle und moderne Architektur-Elemente, mit drei Etagen über dem Boden und zwei unterirdischen. Das Museum wurde mit dem 40. Building Contractors Society Architecture Prize ausgezeichnet

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Tag 10 Sonntag 04 06 2017

Abschied Ein Teil der Gruppe: 06.15h Check-out zum Airport Osaka zu Fuß zum Bahnhof Kyoto ab 6.45h, Ltd. Express Haruka 5, 08:15h an Flughafen Kansai Airport Flughafen Kansai von Renzo Piano 10.15h Abflug von Osaka mit LH nach Frankfurt. Der andere Teil der Gruppe: Per Shinkansen nach Okayama 16.30h Besuch des Korakuen, einem der drei berühmtesten Gärten Japans Übernachtung in Okayama

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直島町 Naoshima

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Tag 11 Montag 05 06 2017

Naoshima Kunstinsel 08.30h Check-out vom Hotel 08.45h zu Fuß vom Hotel zum Bahnhof Okayama ab 09.11h mit dem JR Marine Liner 7, Chayamachi an 09.26h Chayamachi ab 09.28h, Uno an 09.52h Fähre: 10.22h ab, Miyanoura an 10.42h 11h zu Fuß zum Chichu Museum, Innenbesichtigung 12.15h Einlass Besuch Chichu Art Museum Anschließend zu Fuß weiter und Besuch des Benesse Museums, Innenbesichtigung 15.00h Fakultativ: Mittagessen/Kaffee im Museumscafé, Selbstzahler 16.00h zu Fuß zurück

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Chichu Museum Tadao Ando (2003) 2339-1 Naoshima, Kagawa

Das Chichu Art Museum wurde im Jahr 2004 als ein Ort des Umdenkens der Beziehung zwischen Natur und Menschen gebaut. Es wurde vorwiegend unterirdisch gebaut, um die wunderschöne Naturlandschaft des Seto-Binnenmeeres zu erhalten. Kunstwerke von Claude Monet, James Turrell und Walter De Maria sind in diesem von Tadao Ando entworfenen Gebäude ausgestellt. Ando bringt durch gezielte Einschnitte natürliches Licht in die unterirdischen Ausstellungsräume, die das Aussehen der Kunstwerke und die Stimmung des Raumes im Laufe der Zeit, der Tageszeit und Jahreszeit verändert. Mit Beton als Hauptmaterial der Ando Architektur – Stahl, Glas und Holz, wird das Design des Chichu Kunstmuseums auf das Minimum reduziert.

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Benesse Museum Tadao Ando (1992) Gotanchi Naoshima, Kagawa

Das Benesse House Museum eröffnete 1992 als Einrichtung, die ein Museum mit einem Hotel verbindet, das auf dem Konzept der »Koexistenz von Natur, Kunst und Architektur« basiert. Entworfen von Tadao Ando, ist die Anlage auf einer Hochebene mit Blick auf das Seto-Binnenmeer gebaut und verfügt über große Öffnungen, die den Bezug zur Natur herstellen. Neben Wechselausstellungen enthält das Museum eine ortsspezifische Dauerinstallationen, die Künstler speziell für das Gebäude geschaffen haben. Die Kunstwerke des Museums befinden sich nicht nur in den Ausstellungsräumen, sondern in allen Teilen des Gebäudes sowie verstreut entlang der Küste. Das Benesse House Museum ist ein Ort, an dem Natur, Kunst und Architektur zusammenkommen.

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Tag 12 Dienstag 12 06 2017

Art-Village Honmaru 14.40h Treffen am Fähranleger Fähre ab Miyanoura 14.55h, Uno an 15.15h Uno ab 15.42h, JR Uno Line, Chayamachi an 16.04h Chayamachi ab 16.08h, JR Seto Ohashi Line, Okayama an 16.29h 17h Shinkansen Kyoto 18h Ankunft in Hotel Check-in

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Art Houses Honmura Tadao Ando Ryue Nishizawa Rei Nat Naoshima

Das Art House Projekt ist ein Kunstprojekt, es begann 1998 mit Kadoya und besteht derzeit aus sieben Standorten: Kadoya, Minamidera, Kinza, Go‘o-Schrein, Ishibashi, Gokaisho und Haisha. In diesem Projekt nehmen Künstler leerstehende Häuser in Wohngebieten und verwandeln die Räume selbst in Kunstwerke und Erinnerungen an die Zeit, in der die Gebäude gelebt haben und genutzt wurden. Von einem der Häuser zum anderen gehen die Besucher durch den Honmura-Bezirk, wo sich der Alltag um sie herum entfaltet. Ein bemerkenswertes Merkmal des Art House Projektes ist, dass es sich dabei um eine Verlagerung einer Zone des täglichen Lebens handelt, die als Katalysator für die Interaktion zwischen Besuchern und Anwohnern fungiert. Ein Projekt, das sich von Tag zu Tag verändert und entwickelt, um ein neues Modell der Gemeinschaft zu präsentieren, das durch eine positive Interaktion zwischen Stadt und Land, Jung und Alt, Bewohner und Besucher gekennzeichnet ist.

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編集スタッフ Redaktion Amelie-ko & Anna-ko

Wir waren zwei der siebzehn Studierenden, die das Glück hatten, gemeinsam mit unseren sehr geschätzten Professoren Myriam Gautschi und Gerd Ackermann nach Japan reisen zu dürfen. Gleichwohl hatten wir sowohl in der Reiseplanung, Reiseleitung und Verständigung vor Ort das Privileg, auf die Erfahrung des bekennenden Japan-Experten Ulf Meyer zurückgreifen zu können. Von Anfang an war allen klar, dass diese Exkursion mit einer gewissen Ernsthaftigkeit behaftet war – ein großes Interesse an Kultur, Geschichte und der daraus resultierenden Architektur war von Beginn des begleitenden Wahlpflichtfachs bis zur Nachbesprechung bei Sushi und Sake spürbar. Die vielschichtige, intensive Auseinandersetzung mit verschiedenen Themenfeldern als Annäherung zur japanischen Kultur vor der Reise sensibilisierte uns für den bevorstehenden Kulturschock. Ein Kulturschock, der uns nachhaltig so faszinierte, dass es uns auch zwei Jahre später ein Anliegen war, ein Buch dieser Erfahrung zusammenzustellen. Angefangen mit dem Verlassen des Flughafens und das Einsteigen in die U-Bahn, wurden wir von dem der japanischen Kultur inhärenten System eingefangen und fasziniert. Gleich einem Ameisenvolk ordnen sich alle Menschen einem uns unbekannten System unter – gleichzeitig tritt jedes Individuum maximal zurückgezogen und fokussiert auf. Die Meisten dösen vor sich hin oder blicken auf ihr Handy. Wir fallen durch aufgeregtes Gelächter und rege Konversion negativ auf. Faszinierend war, wie schnell wir uns diesem System völlig selbstverständlich unterordneten – aufgewacht sind wir erst durch das unhöfliche Anrempeln fremder Menschen am Hongkonger Flughafen auf unserem Heimweg. Die Einzigartigkeit der Exkursion wurde uns bewusst, als wir bei der Besichtigung der Katsura Villa ein pensioniertes Architektenpaar aus Österreich kennenlernten. Wir erzählten ihnen, dass wir im Zuge einer Exkursion unserer Hochschule die Möglichkeit hätten, die japanische Architektur vor Ort erkunden zu können. Die Beiden reagierten erstaunt und mit einer gewissen Hochachtung. Sie hätten sich diese Reise seit Jahren erträumt.

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Nicht nur die Beiden vermittelten uns die Relevanz der Auseinandersetzung mit der Architektur in Japan. Auch während des gesamten bisherigen Studienverlaufs dienten viele der besichtigten Projekte als Referenz für eigene Auseinandersetzungen mit verschiedenen Themenfeldern. Seien es die neuen Entwicklungen des minimalen Wohnens oder die Gliederung von Raumstrukturen durch ein Raster (in Japan die Tatami-Matten). Für uns angehende Architekten gibt es jetzt wie auch schon zu Zeiten von Bruno Taut vieles zu Entdecken, Verstehen und in eigenen Arbeiten zu transformieren. Ganz besonders war für uns die gemeinsame Begeisterung für Japan innerhalb der gesamten Gruppe. Nicht nur wir waren fasziniert von der neuen Kultur, sondern wir durften die Freude der Professoren miterleben und daran teilhaben – nicht nur während des abgesteckten Architekturprogramms, sondern zum Beispiel auch bei Besuchen der roten Tore in Kyoto, beim gemeinsamen Verkosten von Sake und der Neugierde auf unbekannte Essgewohnheiten. Durch diese Dokumentation erhoffen wir uns, allen Interessierten die Teilhabe an dieser Exkursion zu ermöglichen – gleichzeitig wollen wir damit unsere Wertschätzung ausdrücken, solch eine Erfahrung schon in unserer Studienzeit gemacht haben zu können. Wir wünschen allen Studenten für die Zukunft, ähnliche Reisen außerhalb des alltäglichen Studienhorizonts erleben zu dürfen.

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インプリント Impressum Herausgeber Prof. Myriam Gautschi Prof. Gerd Ackermann Hochschule Konstanz HTWG Fakultät für Architektur und Gestaltung HTWG Hochschule Konstanz Technik, Wirtschaft und Gestaltung Alfred-Wachtel-Straße 8 D-78462 Konstanz Redaktion & Gestaltung Prof. Gerd Ackermann Anna Jundt B.A. Amelie Trautmann B.A. Die Inhalte des Buches wurden sorgfältig nach persönlichem Ermessen zusammengestellt. Für den Inhalt kann jedoch keine Haftung und keine Gewähr übernommen werden. Alle Rechte, sowohl der fotomechanischen als auch der auszugsweisen Wiedergabe, soweit nicht anderweitig vermerkt, sind vorbehalten. Bildmaterial, soweit nicht anders angegeben, sind im Eigentum der Studierenden. Konstanz, Dezember 2019



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