Wir vom Neptunplatz

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Episode 0 (Prolog)

eckermann & m端ller


AUS HEITEREM HIMMEL

Lale stand in ihrer Küche und zog einen leeren Tablettenstreifen aus dem Stapel alter Zeitungen hervor. Bis vor kurzem hatte sie wegen einer Magendarmgeschichte Antibiotika nehmen müssen und deshalb noch heute einen ekligen Geschmack im Mund. Widerliches Zeug. Etwas, das so scheiße schmeckte, konnte nicht gesund sein. Aber leider hatten Globuli und Kräutertee allein diesmal nicht geholfen. Lale stopfte das Plastik in den gelben Sack und klaubte den kurz vor dem Umkippen stehenden Haufen Altpapier vom Küchentisch, um wieder Platz für Laptop und Teller zu schaffen. Die Zeitungen schmiss sie in einen Pappkarton, das restliche Papier landete in einem umfunktionierten Din-A4-Umschlag. Auf dem Weg in ihr Café würde sie beides ins Altpapier schmeißen. Irgendwo im Bad piepste ihr Handy. Eine SMS. Um diese Zeit konnte das eigentlich nur Adnan sein, ihr Koch im Mampf. Wahrscheinlich schikanierten sie ihn mal wieder in der Ausländerbehörde. Lale setzte sich mit ihrem Eisenkrauttee an den Tisch und klappte ihren Laptop

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auf. Zeit für Frühstück und Wohnungssuche. Das Handy klingelte ein zweites Mal. Egal. Für wichtige Dinge gab‘s ja die Mobilbox. Facebook vermeldete nichts neues – abgesehen davon, dass Shrimp, ein alter Freund aus Detmolder Zeiten, sich mit ihr befreunden wollte. Lale zögerte. Was tun? Adden? Nein! Sie hatte keinen Bock mehr auf ihr altes Leben, die alten Freunde und die alten Sorgen. Westfalen war Geschichte, ihre Zukunft lag in Köln. Die Wohnungssuche verlief so frustrierend wie immer: zu teuer, kein Balkon, kein Fenster im Bad. Enttäuscht klappte sie den Rechner zu. Und schon wieder nervte das Handy.

***

Adnan hatte sein Bike etwas entfernt vom Café Mampf an eine der Laternen auf dem Neptunplatz gekettet. Lale schob ihr Rad von der anderen Seite dazu und schloss ab. Das Mampf mit seinen beiden riesigen Fenstern war an diesem neblig düsteren Spätherbstmorgen schon hell erleuchtet. Durch den Durchgang hinter der Theke sah sie Adnan in der Küche wirbeln. Von den vier Tischen im Café war einer

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besetzt. Vorn links, auf dem zur Bank umfunktionierten Fensterbrett, also mit dem Rücken nach draußen, saß eine der Omis aus der NordicWalking-Gruppe. Die Omi, deren Perücke einen Tick zu blond war. Lale schob gerade die Tür zum Mampf auf, als schon wieder das Handy klingelte. Das Display zeigte dieselbe unbekannte Nummer, die schon den ganzen Morgen nervte. Irgendwann würde sie rangehen müssen. Aber nicht jetzt. Nicht vor dem Frühstück. Zumal Lale jetzt der Duft von Kaffee, Speck und Zwiebeln in die Nase stieg. Sie scannte den Gastraum: alles sauber und an seinem Platz. Die Flohmarktmöbel, die bunten Holzrahmen an den Wänden, die alte Registrierkasse und das zusammengewürfelte Porzellan – alles perfekt. Und genau so, wie sie es sich während ihrer Ausbildung immer erträumt hatte, wenn sie Betten bezog, Klos schrubbte oder Minibars auffüllte. „Guten Morgen, Fräulein Lale“, grüßte die Perücken-Omi und winkte aufgeregt mit einem Zettel. Das grelle Make-Up auf ihrem sehr faltigen Gesicht wirkte irritierend. „Haben Sie gleich mal ne Minute für mich?“

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Lale nickte freundlich und ging an ihr vorbei Richtung Tresen. Dahinter, an der Wand neben dem Eingang zur Küche, lehnte Adnan. Die Arme vor der Brust gekreuzt, mit Schürze und Käppi. „Ihr Sittich ist weggeflogen“, erklärte er. „Sie will ihren Suchaufruf aufhängen“. „Oh Gott“, Lale schob Adnan vor sich her in die Küche, „ist das der Vogel, von dem sie ihre Schminktipps kriegt? Blauer Lidschatten und orangefarbener Lippenstift – das traut sich nicht mal Lady Gaga.“ Adnan lachte mit blitzend weißen Zähnen und einer sympathischen Zahnlücke. Dann wandte er sich wieder den Pfannen auf dem Herd zu. Lale schielte raus in den Gastraum. „Wie lief es eigentlich beim Ausländer ...“, begann sie, aber schon wieder störte das Handy. „Jetzt reicht‘s“, entschied sie und kramte es aus ihrer Tasche. „Lale Ogün?“ Erst sagte er nichts. Aber sie hörte ihn atmen. „Hi Lale. Ich bin‘s. Können wir uns sehen? ... Lale? Hörst du mich?“ Allein seine raue Stimme degradierte den Idioten, mit dem sie bis vor kurzem noch geknutscht hatte, zu einem überflüssigen Statisten. Hannes war in der Stadt. Das war das, was sie sich immer gewünscht hatte. Und das schlimmste, was passieren konnte.

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