SOZIALE AUSGRENZUNG UND UNGLEICHHEIT IN EUROPÄISCHEN STÄDTEN:
Herausforderungen und Lösungen
Vorwort
`hin, die allen Bürgerinnen und Bürgern Lebensqualität bietet. Wir streben nach einem Europa mit integrativen, florierenden, kreativen und nachhaltigen Städten, die demokratisch und effizient geführt werden, und in dem alle Bürgerinnen und Bürger an allen Bereichen des politischen, kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen urbanen Lebens vollständig teilhaben können. Alle EUROCITIES-Mitglieder bemühen sich darum, die Ursachen sozialer Ausgrenzung zu bekämpfen, alle Formen der Diskriminierung zu beseitigen und gleiche Chancen für alle zu gewährleisten. Das Europäische Jahr zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung 2010 verfolgt zwei Ziele: als Erstes soll herausgestellt werden, dass alle Menschen das Recht auf ein menschenwürdiges Leben und gesellschaftliche Teilhabe haben und dass die Bekämpfung von Armut einen größeren gesellschaftlichen Zusammenhalt schafft, von dem alle profitieren. Öffentliche Hand und Privatwirtschaft sind gemeinsam dafür verantwortlich, Armut und soziale Ausgrenzung zu bekämpfen, doch um dieses Ziel zu erreichen, sind wir auf das Engagement aus allen Bereichen der Gesellschaft angewiesen. Um handlungsfähig zu sein, müssen wir uns über die Ursachen von Armut und Ausgrenzung im Klaren sein, wir müssen ihre verschiedenen Dimensionen und Gesichter verstehen und wir müssen aus den Erfahrungen anderer lernen, was funktioniert und was nicht. Die EUROCITIES-Mitglieder werden ihren Beitrag zum Erreichen der Ziele der Europäischen Kampagne des Jahres 2010 leisten und mit den Verwaltungen, Interessengruppen und der Zivilgesellschaft eine Diskussion darüber führen, wie wir Armut und Ausgrenzung am besten gemeinsam bekämpfen können. Zu diesem Zweck veranstalten wir eine Reihe thematischer Seminare, in denen wir ermitteln, wie wir die größten Herausforderungen meistern können. Außerdem werden wir politischen Entscheidungsträgern auf nationaler und europäischer Ebene Empfehlungen geben, wie sie effizientere und wirkungsvollere lokale Maßnahmen in ihren Programmen und Strategien einbeziehen können.
Dieser Bericht dient als Grundlagentext für unsere Aktivitäten im Jahr 2010. Er beleuchtet die verschiedenen Dimensionen von Armut, Ausgrenzung und Ungleichheit in unseren Städten. Darüber hinaus behandelt er bewährte Verfahren und Herangehensweisen, die bereits in einigen Städten zur Lösung dieser Probleme verwendet werden. Der Bericht basiert auf einer Studie, die von einer Gruppe von etwa dreißig europäischen Städten durchgeführt wurde. Diese Städte übernahmen die Führungsrolle in der Entwicklung unsere Maßnahmen für das Europäische Jahr 2010. Ich bedanke mich bei ihnen für ihr Engagement und ihre Bemühungen der vergangenen Monate. Ich hoffe, die Leser werden durch diesen Bericht dazu inspiriert, Maßnahmen zu ergreifen, um unser gemeinsames Ziel zu erreichen: integrative Städte für eine integrative Gesellschaft.
Jozias Van Aartsen Bürgermeister von Den Haag Präsident von EUROCITIES
Soziale Ausgrenzung Und Ungleichheit In Europäischen Städten / 1
Zusammenfassender Bericht
Städte sind die Motoren für Wirtschaftswachstum und soziale Innovationen. Viele Städte sind jedoch mit anhaltenden sozialen Problemen und Herausforderungen konfrontiert, die oft gehäuft in bestimmten Stadtteilen auftreten. In diesem Bericht beschäftigen wir uns mit den verschiedenen Dimensionen von Ausgrenzung und Ungleichheit. Wir benennen die typischen städtischen Besonderheiten der vorgestellten Probleme, zu denen auch folgende gehören: In Städten gibt es oft eine höhere Arbeitslosenquote als im nationalen Durchschnitt. Außerdem gibt es meistens deutliche Unterschiede zwischen den Quoten verschiedener Stadtteile; In vielen Städten gibt es eine höhere Kinderarmutsrate als im nationalen Durchschnitt. Auch hier sind die Unterschiede zwischen den verschiedenen Stadtteilen erheblich; Die durchschnittliche Lebenserwartung von Menschen, die in Städten leben, ist etwa zwei Jahre geringer als die von Menschen, die außerhalb von Stadtgebieten leben. Gesundheitliche Unterschiede sind innerhalb der Städte und zwischen verschiedenen Stadtteilen oft noch auffälliger. Bewohner sozial benachteiligter Stadtgebiete haben mit geringerer Wahrscheinlichkeit Zugang zum Internet und anderen Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) als Menschen, die in wohlhabenderen Gebieten wohnen; Soziale Teilhabe und die Teilnahme an kulturellen Aktivitäten ist für einige Einwohner aufgrund der damit verbundenen Kosten oder anderer Hindernisse schwierig. Kulturelle Veranstaltungen können ein nützliches Instrument zur Förderung sozialer Eingliederung und Vielfalt sein; Öffentliche Transportmittel sind in einigen Städten für Einwohner mit geringem Einkommen oder in Randgebieten weder bezahlbar noch vorhanden, was ihre Möglichkeiten, am sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Leben in ihrer Stadt vollständig teilzunehmen, einschränkt;
2 / Soziale Ausgrenzung Und Ungleichheit In Europäischen Städten
Menschen mit geringem Einkommen sind unverhältnismäßig stark von steigenden Energiekosten betroffen, insbesondere wenn sie in Häusern leben, die nicht energieeffizient sind und nicht über die finanziellen Mittel verfügen, um die nötigen Verbesserungen vorzunehmen; Ausgrenzung auf dem Wohnungsmarkt ist in den meisten europäischen Städten ein häufiges Problem. Verursacht wird es durch eine Reihe individueller und struktureller Faktoren, die gut koordinierte Lösungen erfordern, um Obdachlosigkeit vorzubeugen und Betroffene in menschenwürdige Lebensverhältnisse zu bringen. Einige dieser Probleme treten häufig zusammen auf, wobei ein Faktor den anderen verursacht oder verschlimmert. Sie haben überdies eine eindeutig räumliche Komponente und konzentrieren sich tendenziell in bestimmten Stadtgebieten. Die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung in der Bekämpfung von sozialer Ausgrenzung und Ungleichheit sind von Land zu Land unterschiedlich, je nach dem Grad der Dezentralisierung der Staatsmacht. In einigen Ländern spielen die Städte eine führende Rolle, während ihre Mittel und Verantwortlichkeiten in anderen Ländern eher eingeschränkt sind. Sozialhilfeleistungen und ein angemessenes Einkommen für nicht arbeitsfähige Personen sowie die Beratung und Unterstützung beim Einstieg in den Arbeitsmarkt für arbeitsfähige Personen sind in allen europäischen Sozialstaaten die wichtigsten Instrumente zur Armutsbekämpfung. Normalerweise sind die kommunalen Behörden auf die eine oder andere Weise in die Sozialhilfeleistungen involviert. Außerdem haben sie zahlreiche zusätzliche Maßnahmen entwickelt, um Ungleichheit in den Griff zu bekommen sowie soziale Integration und sozialen Zusammenhalt zu erreichen. Dazu gehören: Sozialplanung und Bereitstellung einer sozialen Infrastruktur wie Kinderbetreuung, Spielplätze, Schulen, Kultur- und Freizeiteinrichtungen sowie Gesundheitseinrichtungen;
Unterstützung der lokalen Wirtschaft, um die Entwicklung von Unternehmen und Schaffung von Arbeitsplätzen zu erleichtern; Schaffung eines unterstützenden Umfelds für eine höhere Bildungsqualität durch zusätzliche Angebote für Kinder und Früherziehungsmöglichkeiten; Beschäftigungsförderung, besonders für Eltern und Langzeitarbeitslose, durch die Schaffung von Kontakten zwischen Unternehmen und Arbeitssuchenden; Besserer Zugang zu Gütern und Dienstleistungen, einschließlich kultureller Aktivitäten und öffentlicher Verkehrsmittel, durch bezahlbarere Preise und eine bessere Zugänglichkeit; Verbesserung der Erschwinglichkeit und Qualität von Wohnraum. Dies beinhaltet auch eine höhere Energieeffizienz;
Einführung von bewusstseinsbildenden Kampagnen für eine bessere Lebensqualität der Einwohner, zum Beispiel im Bereich Energieeinsparung oder der Förderung gesunder Lebensstile; Einsatz von gebietsbezogenen Herangehensweisen für sozial benachteiligte Stadtteile und Ausrichtung auf mehrere Dimensionen von Armut und Ausgrenzung; Lokale Strategien zur Bekämpfung Diskriminierung und Rassismus.
von
Da die Verantwortlichkeiten und Kompetenzen in diesen Bereichen sich über eine große Bandbreite an Interessengruppen erstrecken, gehen die Städte Partnerschaften mit entsprechenden öffentlichen und privaten Organisationen und Agenturen sowie mit kommunalen Organisationen und Nichtregierungsorganisationen ein, um die Bereitstellung der Dienstleistungen sicherzustellen.
Besserer Zugang zu Informations- und Kommunikationstechnologien und die Entwicklung der digitalen Fähigkeiten der Bürgerinnen und Bürger durch Schulungsprogramme;
Soziale Ausgrenzung Und Ungleichheit In Europäischen Städten / 3
Einleitung
Die europäischen Städte sind die Motoren für wirtschaftliche Entwicklung, Wachstum und Innovationen. Trotz ihres Wohlstands sind sie aber auch häufig Zentren von Armut und sozialer Ausgrenzung. In bestimmten Stadtgebieten sind hohe Arbeitslosigkeit und Armut, ein geringer Bildungsstand, langfristige Abhängigkeit von Sozialhilfe, ein schlechter allgemeiner Gesundheitszustand, schlechte Wohnbedingungen und unterdurchschnittliche öffentliche Einrichtungen wiederkehrende Probleme. Armut und soziale Ausgrenzung sind komplexe und mehrdimensionale Phänomene, da mehrere miteinander verknüpfte Probleme oft gleichzeitig auftreten. Soziale Ausgrenzung kann auf unterschiedliche Weise erlebt werden und Einzelpersonen, Gruppen oder bestimmte geografische Gebiete betreffen. Sie reicht weiter als ein geringes Einkommen und eine beschränkte Kaufkraft und schließt die Erfahrung ein, von der vollständigen Teilhabe an der Gesellschaft ausgeschlossen zu sein1. Auf ähnliche Weise definiert soziale Integration den Prozess, durch den sozial ausgegrenzte Personen die Möglichkeiten, Fähigkeiten und Mittel erhalten, vollständig am wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Leben teilzunehmen. Angesichts der Mehrdimensionalität sozialer Ausgrenzung besteht die größte Herausforderung darin, integrierte und koordinierte Lösungen zu finden. Zunächst ist es erforderlich, Strategien und Programme nicht nur innerhalb einer Stadt zu koordinieren und integrieren, sondern auch mit den Maßnahmen anderer Verwaltungsebenen. Anschließend sollte eine Reihe von Interessengruppen einbezogen werden, wie Nichtregierungsorganisationen, Bürgerverbände und die Privatwirtschaft. Darüber hinaus ist es wichtig, die städtischen Behörden für die Entwicklung einer individuell abgestimmten Herangehensweise zu gewinnen, die für Personen mit mehrfachen Problemen hilfreich ist.
Die Abstimmung zwischen den verschiedenen Verwaltungsebenen wird angesichts der zunehmenden Komplexität sozialer Probleme, die durch demokratischen Wandel und Migration, Individualisierung und kulturelle Vielfalt hervorgerufen werden, immer wichtiger. Obwohl Sozialhilfeprogramme auf nationaler Ebene festgelegt werden, sind die Ursachen von Armut und sozialer Ausgrenzung stark von strukturellen Faktoren abhängig, auf die die lokalen Verwaltungen einen gewissen Einfluss haben. In den Städten wird die Armut erlebt. Städte sind ideale Orte, um neue, integrierte und koordinierte Strategien zur Vermeidung, Linderung und sogar Bekämpfung von Armut und Ausgrenzung zu entwickeln. Aufgrund ihrer Nähe zu den Einwohnern haben die städtischen Behörden ein gutes Verständnis entwickelt für die Probleme, die durch soziale Ausgrenzung entstehen, und daraus innovative Methoden und Strategien zur Bekämpfung dieser sozialen Probleme erarbeitet. Die Städte sind außerdem gut aufgestellt, um die Arbeit lokaler Akteure und Interessengruppen zu koordinieren. Die Wirtschaftskrise hat die durch Armut und soziale Ausgrenzung verursachten Probleme weiter verschärft. Die Städte stehen vor einer doppelten Herausforderung: Sie sind mit einer steigenden Anzahl an Menschen konfrontiert, die der Gefahr von sozialer Ausgrenzung und Arbeitslosigkeit ausgesetzt sind, und müssen gleichzeitig mit geringeren Budgets aufgrund nachlassender Steuereinnahmen und geringerer Transfermittel der Zentralregierung auskommen. Auch hier sollte eine verbesserte Koordinierung zwischen verschiedenen Bereichen der lokalen und nationalen Politik dazu beitragen, die Wirksamkeit der öffentlichen Maßnahmen zu verbessern und Synergien zwischen verschiedenen Sektoren zu schaffen.
1. Siehe: Room G. (2004) The International Comparative Analysis of Social Exclusion, in P. Kennett (Hrsg.) Handbook of Comparative Social Policy.
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Dieser Bericht wurde in Zusammenarbeit mit Experten für Sozialpolitik aus etwa dreißig Städten des EUROCITIESNetzwerks erstellt. Er untersucht Armut und soziale Ausgrenzung in einer Reihe zentraler Politikfelder: Arbeitslosigkeit; Kinderarmut; Gesundheitswesen; Wohnungswesen; Informations- und Kommunikationstechnologien; Kultur; urbane Mobilität; sozial benachteiligte Stadtteile. Diese Politikfelder erhielten von der EU hohe Priorität und auch das EUROCITIES-Netzwerk hält sie für höchst relevant.
Jedes Politikfeld wird mit einer kurzen Analyse des mit dem Thema verbundenen Problems beschrieben, gefolgt von Beispielen für Lösungsansätze der Städte zum Umgang mit diesen Problemen. Der letzte Abschnitt behandelt eine Reihe zentraler Themen zur weiteren Berücksichtigung. Die hier erwähnten Themen stellen nur eine Auswahl aus den zahlreichen Problemen dar, die behandelt werden könnten. Sie dienen als Bezugspunkt für zukünftige Debatten und sind insbesondere im Zusammenhang mit dem Europäischen Jahr zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung 2010 zu verstehen. Im Verlauf des Europäischen Jahres zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung 2010 organisiert EUROCITIES europaweit eine Reihe von Themenveranstaltungen mit Diskussionen zu diesen Politikfeldern. Anhand dieser Diskussionen wird EUROCITIES politische Empfehlungen für die EU-Institutionen sowie nationale und lokale Regierungen und Verwaltungen vorbereiten, in denen Strategien und Programme zur Vermeidung und Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung vorgeschlagen werden.
Soziale Ausgrenzung Und Ungleichheit In Europäischen Städten / 5
1 Arbeitslosigkeit
1.1 Die Probleme Bis vor kurzem erlebten die 27 EU-Staaten einen moderaten, aber stetigen Anstieg der Beschäftigungszahlen und eine nachlassende Arbeitslosigkeit. Zwischen 2000 und 2008 stieg die Beschäftigungsquote in den 27 EU-Staaten von 62,2 % auf 65,9 %. Die Arbeitslosigkeit ging von 8,7 % auf 7 %2 zurück. Diese Zahlen kaschieren die tiefgreifenden Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten sowie die Unterschiede zwischen den Arbeitslosen- und Beschäftigungsquoten auf der Ebene der Städte, die erheblich von den nationalen Statistiken abweichen können. Ähnlich ist die Höhe der Arbeitslosigkeit und Beschäftigung zwischen verschiedenen Stadtteilen meistens sehr unterschiedlich. Die Beschäftigungs- und Arbeitslosenzahlen in den Städten unterscheiden sich von den nationalen Statistiken. Im Allgemeinen sind die Beschäftigungszahlen in den Städten niedriger als im nationalen Durchschnitt (2001 hatten nur 28 % der in dem Europäischen Städteaudit3 untersuchten Städte Beschäftigungszahlen über dem nationalen Durchschnitt)4. Ähnlich gibt es in vielen Städten eine höhere Arbeitslosenquote als im jeweiligen nationalen Durchschnitt. Bei allen Städten, die an dem Städteaudit 2001 teilnahmen, variierten die Arbeitslosenquoten zwischen 3 % und 31 %5 . In den Städten unterscheiden die Arbeitslosenzahlen sich von einem Stadtteil zum anderen erheblich. Hier einige Beispiele: In Brüssel (BE) betrug die Differenz zwischen der niedrigsten (9,5 %) und der höchsten (31 %) Arbeitslosenquote zwischen den Stadtteilen 21,5 Prozentpunkte. Die Gesamtarbeitslosenquote für die Stadt betrug 2007 20,4 %6;
In Newcastle (GB) ist die Arbeitslosenquote in dem am schlimmsten betroffenen Stadtteil um etwa zehn Prozentpunkte höher als im städtischen Durchschnitt (17,3 % gegenüber 7,4 %)7; In Barcelona beträgt die Arbeitslosenquote in dem am schlimmsten betroffenen Distrikt 14,4 % und ist damit 2,4 % höher als der städtische Durchschnitt und 6,1 Prozentpunkte höher als das am wenigsten betroffene Gebiet8. Generell gilt, dass es sich bei den Gebieten, die besonders von Langzeitarbeitslosigkeit betroffen sind, um Arbeiterviertel mit Sozialwohnungen handelt. Die Arbeitslosenquoten sind in einigen soziodemografischen Gruppen wie jungen Menschen, Frauen und Menschen mit Behinderungen höher. Dasselbe gilt für Migranten. Die Jugendarbeitslosigkeit ist in den 27 EU-Staaten mit 18,3 % doppelt so hoch wie die allgemeine Arbeitslosigkeit (8,2 %)9. Selbst eine kurzfristige Arbeitslosigkeit hat für junge Menschen wahrscheinlich negative Auswirkungen auf ihre zukünftige Laufbahn und Einkommenshöhe10. Die Jugendarbeitslosigkeit ist nicht nur unter Geringqualifizierten, vor allem frühe Schulabgänger (18- bis 24-Jährige, die keine Schule besuchen oder keiner Arbeit oder Ausbildung nachgehen), wesentlich höher, sondern auch bei jungen Menschen, deren Fähigkeiten auf dem Arbeitsmarkt nicht gefragt sind11. Die Jugendarbeitslosigkeit ist in den Städten tendenziell höher. Die Daten des Städteaudits 2001 veranschaulichen, dass die Jugendarbeitslosigkeit in Mittel- und Osteuropa sowie in französischen Städten besonders hoch war12.
2. Eurostat (2009a), Erste Schätzung für das zweite Quartal 2009, 130/2009 – Eurostat Pressemitteilung, 14. September 2009. 3. Die in dem Bericht untersuchten Städte wurden von dem Urban Audit erfasst, der Statistiken von 258 europäischen Städten in 27 europäischen Ländern umfasst. Weitere Informationen unter www.urbanaudit.org. 4. European Commission (2007a), State of European Cities Report 5. European Commission (2007a), State of European Cities Report 6. Baromètre social (2008), Rapport bruxellois sur l’état de la pauvreté 2008, Observatoire de la Santé et du Social. 7. Tyne and Wear Research and Information (2009): Local Statistics Explorer, www.twri.org.uk 2009. 8. Informationen von der Stadt Barcelona bereitgestellt. Zahlen wie im September 2009. 9. Eurostat (2009b), Fünf Millionen Jugendliche arbeitslos in der EU27 im ersten Quartal 2009, Pressemitteilung 109/2009, 23. Juli 2009. 10. Gregg P. and Tominey P. (2004), The Wage Scar from Youth Unemployment 11. McCoshan et al. (2006) Beyond Maastricht Communiqué: Development in the opening up of VET pathways and the role of VET in labour market integration 12. European Commission (2007a), State of European Cities Report
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1.2 Städtische Maßnahmen In den meisten EU-Mitgliedsstaaten ist die Arbeitslosenquote bei Menschen mit Migrationshintergrund mindestens doppelt so hoch wie die landesweite Arbeitslosenquote13. Einer der Hauptgründe dafür ist das geringe Qualifikationsniveau unter Migranten. Außerdem sind ihre Fähigkeiten häufig unzureichend dokumentiert oder ihre Qualifikationen werden von den Arbeitgebern nicht anerkannt14. Trotz der EU- und Landesgesetzgebung gegen Diskriminierung am Arbeitsplatz gibt es noch erhebliche Hindernisse für die Integration von Einwanderern in den Arbeitsmarkt15. Ein weiterer wichtiger Faktor, der die Integration von Einwanderern in den Arbeitsmarkt beeinträchtigt, ist das Geschlecht. Migrantinnen sind erheblich benachteiligt, wenn es darum geht einen Arbeitsplatz zu finden und zu behalten16. Die Finanz- und Wirtschaftskrise 2008-2009 hat zu einem Rückgang der Beschäftigung in der EU geführt. Infolgedessen ging die Beschäftigungsquote in den 27 EU-Staaten im zweiten Quartal des Jahres 2009 um 1,9 % zurück gegenüber demselben Quartal des Jahres 2008. Die Arbeitslosenquote stieg in den 27 EU-Staaten von 7 % im Jahr 2008 auf 9,5 % im Jahr 200917. Die Folgen der Krise waren in einigen Staaten wesentlich dramatischer: Zwischen 2008 und 2009 stieg die Arbeitslosenquote in Litauen von 6,4 % auf 16,7 % und in Lettland von 7,4 % auf 17,4 %. Die Rezession hat junge Menschen besonders hart getroffen. Im ersten Quartal 2009 betrug die Jugendarbeitslosenquote 18,3 %, das ist ein Anstieg von 3,7 % im Vergleich zu demselben Zeitraum im Jahr 200818. Obwohl in der europäischen Wirtschaft vor kurzem Zeichen der Verbesserung wahrzunehmen waren, muss dies nicht mit schnellem Beschäftigungswachstum einhergehen. Eine kürzlich veröffentlichte Prognose der OECD-Länder betont, dass die durchschnittliche Arbeitslosenquote in den 27 EU-Staaten 2010 auf 10 % ansteigen könnte19.
Traditionellerweise wird Beschäftigungspolitik vor allem von Organisationen auf regionaler und nationaler Ebene betrieben, wie Job-Centern und Arbeitsagenturen. In den letzten Jahren wurde jedoch der Versuch unternommen, durch sozialstaatliche Reformen die Verbindung zwischen Sozialschutz und Beschäftigungspolitik durch verstärkte Anreize zur Arbeit zu verbessern. Durch diesen Prozess wurden die städtischen Verwaltungen stärker in die nationale und regionale Beschäftigungspolitik involviert. In den Niederlanden übertrug das Gesetz zu Beschäftigung und Sozialhilfe aus dem Jahr 2004 den städtischen Behörden in den Niederlanden die Verantwortlichkeit für die lokalen Job-Center und schuf einen finanziellen Anreiz, um die Anzahl der Sozialhilfeantragsteller zu reduzieren. In anderen Ländern übernehmen die städtischen Verwaltungen die Koordination der auf lokaler Ebene tätigen regionalen und nationalen Agenturen und Organisationen. In Großbritannien führt das britische Arbeitsministerium – Department of Work and Pensions – gegenwärtig ein Pilotprojekt mit dem Titel „City Strategy“ durch, das darauf zielt, lokale maßgeschneiderte Lösungen für die Arbeitslosigkeit zu entwickeln, die von den lokalen Stadtverwaltungen koordiniert werden. Die Städte entwickeln keine makroökonomische Strategien, doch sie spielen eine klare Rolle bei der Schaffung von Bedingungen, die lokale Unternehmen zu Wachstum und der Schaffung neuer Arbeitsplätze verhelfen, zum Beispiel durch einfacheren Zugang zu bezahlbaren Büroflächen oder durch Steueranreize. Die Städte können durch lokale Partnerschaften und Job-Center als Vermittler zwischen Arbeitssuchenden und Unternehmen auftreten, indem sie Informationen und Beratungen zu Ausbildung, Beschäftigungsmöglichkeiten und Berufslaufbahn bereitstellen. Stellenvermittlung und Unterstützung von Arbeitgebern bei der Suche nach den richtigen Mitarbeitern, sind Aktivitäten, die von spezifischen, maßgeschneiderten Maßnahmen begleitet werden können, die sich an bestimmte Personengruppen
13. EUMC (2003), Migrants, Minorities, and Employment: exclusion, discrimination and anti-discrimination in the 15 Members States of the European Union. 14. ECOTEC (2007), European Inventory and Validation in Informal and Non-formal learning. 15. EUMC (2003) Migrants, Minorities, and Employment: exclusion, discrimination and anti-discrimination in the 15 Member States of the European Union 16. Rubin et al. (2008) Migrant Women in the EU labour force. 17. Eurostat (2009a), Erste Schätzung für das zweite Quartal 2009, 130/2009, 130/2009 – Eurostat Pressemitteilungen, 14. September 2009. 18. Eurostat (2009b), Fünf Millionen Jugendliche arbeitslos in der EU27 im ersten Quartal 2009, Pressemitteilung 109/2009, 23. Juli 2009. 19. OECD Beschäftigungsausblick 2009.
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oder bestimmte städtische Gebiete richten (dies trifft auf die Preston Employment Partnerships in Großbritannien und Jobbtorg in Stockholm und Malmö, Schweden, zu). Einige Projekte konzentrieren sich auf die Gemeinwesenentwicklung, insbesondere in Bereichen mit hohen Langzeitarbeitslosenquoten (wie Local Activation Centres in Katowice, Polen). Außerdem unterstützen die Städte die Zusammenarbeit zwischen Agenturen in Hinblick auf die Beschäftigungsfähigkeit, insbesondere von Personen, die es aus mehreren Gründen schwer haben, wieder eine Arbeit aufzunehmen (wie z. B. Newcastle’s „Futures in Newcastle” (GB) und „ExIT Feijenoord” in Rotterdam (NL)20). Die Städte können die Entwicklung von Fähigkeiten fördern und die Anerkennung von im Ausland erworbenen Qualifikationen erleichtern. Einige haben eine innovative Politik entwickelt, um die Beglaubigung von Fachkenntnissen zu unterstützen, insbesondere in Bezug auf Migranten, die über Qualifikationen und Zertifikate verfügen, die von den Arbeitgebern vor Ort nicht verstanden oder anerkannt werden. So wurden in einigen Städten zum Beispiel zentrale Agenturen gegründet, die die Bewertung von Qualifikationen erleichtern und den Migranten gleichzeitig Informationen über Ausbildungsmöglichkeiten bieten. In einigen Fällen werden derartige Initiativen jedoch von nationalen Institutionen sowie komplizierten Verfahren erschwert. Der Europäische Qualifikationsrahmen (EQR)21 könnte zumindest mittelfristig die Vergleichbarkeit und gegenseitige Anerkennung der Qualifikationen von Migranten erleichtern, auch von Migranten außerhalb der EU.
1.3 Wichtige Überlegung
Punkte
zur
weiteren
Mindestens drei Punkte sollten diskutiert werden, wenn es um die Frage geht, wie auf Stadtebene mit Arbeitslosigkeit umzugehen ist. Erstens ist es erforderlich, einen Mittelweg zu finden zwischen einer Strategie, die der Reintegration in den Arbeitsmarkt Priorität einräumt (der so genannte „WorkFirst“-Ansatz) und einer langfristigeren und umfassenderen Strategie, die auf die Beseitigung mehrfacher Beschäftigungshindernisse ausgerichtet ist. Einerseits ist es wichtig, Arbeitslosen bezahlte Arbeit zu verschaffen, andererseits ist aber auch die Erkenntnis wichtig, dass Langzeitarbeitslose mit höherer Wahrscheinlichkeit mehreren Problemen ausgesetzt sind, wie Gesundheitsund Wohnungsproblemen und fehlendem Zugang zu Informations- und Kommunikationstechnologien. Die Beseitigung dieser Probleme braucht Zeit und erfordert eine sorgfältige Abstimmung zwischen den verschiedenen Sozialeinrichtungen sowie eine an den persönlichen Bedürfnissen orientierte Herangehensweise. Zweitens hat das Problem der Arbeitslosigkeit in städtischen Gebieten eine eindeutig räumliche Dimension. Die Arbeitslosigkeit ist in bestimmten Stadtteilen höher. Dieselben Stadtteile sind oft auch mit anderen sozialen Problemen konfrontiert. Sie haben eine geringe Anzahl an lokalen Aktivitäten, Vereinen, lokalen Selbsthilfegruppen und Begegnungsstätten sowie ein geringes bürgerliches Engagement. Drittens ist es angesichts der gegenwärtigen Konjunkturflaute und der in vielen Ländern zurückgehenden Haushaltsmittel wichtig, einen Mittelweg zwischen der Unterstützung erst seit kurzem Arbeitsloser und Langzeitarbeitsloser zu gehen. Auch wenn es wichtig ist, sicherzustellen, dass erst seit kurzem Arbeitslose nicht den Kontakt mit dem Arbeitsmarkt verlieren (zum Beispiel durch Teilnahme an Programmen zum lebenslangen Lernen), sollte dies nicht auf Kosten der Langzeitarbeitslosen geschehen.
20. Weitere Informationen über alle in diesem Dokument erwähnten städtischen Maßnahmen finden Sie unter www.inclusivecities.eu. 21. Der EQR vergleicht die nationalen Qualifikationssysteme der verschiedenen Länder mit einem europäischen Referenzrahmen. Weitere Informationen finden Sie unter: www.ec.europa.eu/education/lifelong-learning-policy/doc44_de.htm
8 / Soziale Ausgrenzung Und Ungleichheit In Europäischen Städten
2 Kinderarmut
2.1. Die Probleme In den meisten EU-Staaten sind Kinder einem größeren Armutsrisiko ausgesetzt als die Gesamtbevölkerung. Nach Daten von Eurostat aus dem Jahr 2005 waren 19 % der Kinder von 0 – 17 Jahren in den 27 EU-Staaten armutsgefährdet, verglichen mit 16 % der Gesamtbevölkerung22. Die Wirtschaftskrise hat diese Situation voraussichtlich noch verstärkt. Verschiedene Faktoren werden mit einem höheren Kinderarmutsrisiko assoziiert: Arbeitslosigkeit: Kinder, die in Haushalten leben, in denen niemand arbeitet, sind einem höheren Armutsrisiko ausgesetzt23; Große Familien: In den 27 EU-Staaten liegt die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kind aus einer großen Familie armutsgefährdet ist, bei 25 %; Alleinerziehendenhaushalte: 2005 war in den 25 EU-Staaten die Armutsrate bei Kindern, die in einem Alleinerziehendenhaushalt lebten, fast doppelt so hoch wie der Gesamtdurchschnitt für alle Kindern (34 % gegenüber 19 %)24; Migrationshintergrund: In den meisten EU-Staaten sind Kinder mit Migrationshintergrund (wo mindestens ein Elternteil in einem anderen Land als das, in dem die Familie wohnt, geboren ist) sehr viel stärker armutsgefährdet als Kinder, deren Eltern im Ansässigkeitsstaat geboren wurden25.
Kinderarmut hat eine deutliche städtische Dimension, da die Kinderarmut in vielen Städten über dem nationalen Durchschnitt liegt. Städte, die an dem Projekt „European Cities Against Child Poverty“ (Europäische Städte gegen Kinderarmut)26 teilnehmen, stellten fest, dass die Kinderarmut in Städten im Vergleich zum nationalen Durchschnitt höher ist27. Beispielsweise betrug die Rate der in Armut lebenden Kinder in London (GB) 2006 - 2007 41 %, verglichen mit 30 % auf nationaler Ebene. Es gibt erhebliche Differenzen in den Kinderarmutsraten zwischen Stadtteilen derselben Stadt. In Armut lebende Kinder leben meistens in der Innenstadt oder in ehemaligen Arbeitervierteln. In französischen Stadtgebieten lebt die Mehrzahl der in Armut lebenden Kinder eher in den Stadtzentren als in den Vorstadtgebieten (62 % gegenüber 51 %)28. In London (GB) leben 48 % der sozial benachteiligten Kinder in der Innenstadt29. Unterprivilegierte Kinder leben häufig in Gegenden, die von Mehrfachproblematik gekennzeichnet sind. Kinder, die in sozial benachteiligten Stadtteilen und in minderwertigen Wohnungen leben, sind stärker Umweltverschmutzungen, Gewalt und asozialem Verhalten ausgesetzt, sie sind weniger gesund und bringen in der Schule schlechtere Leistungen als andere Kinder. In Paris (FR) leben 40 % der sozial benachteiligten Kinder in Stadtteilen, in denen es viel Vandalismus gibt. Kinder aus großen Familien, vor allem solchen mit Migrationshintergrund, leben oft in überbelegten Wohnungen, da es für große Familien häufig schwierig ist, angemessenen Wohnraum zu finden30. Sie sind außerdem tendenziell häufiger chronisch krank31.
22. European Commission (2008a), Child poverty and well-being in the EU. 23. OECD Familiendatenbank, Indikator CO.8: www.oecd.org/dataoecd/52/43/41929552.pdf 24. European Commission (2008a), Child poverty and well-being in the EU. 25. European Commission (2008a), Child poverty and well-being in the EU. 26. European Cities Against Child Poverty ist ein von PROGRESS finanziertes internationales Austauschprojekt, weitere Informationen unter www.againstchildpoverty.com. 27. European Cities Against Child Poverty, Policy Bulletin, April 2008. 28. Rizk C. (2003), Les enfants pauvres: quartier et qualité du cadre de vie. 29. Child Poverty Commission London (2007), Interim Report. 30. Rizk C. (2003), Les enfants pauvres: quartier et qualité du cadre de vie. 31. Mackenbach J. (2006). Health Inequalities: Europe in Profile.
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2.2 Städtische Maßnahmen Kinderarmut ist ein mehrdimensionales Phänomen und es gibt keine einzelne politische Maßnahme, die alle Aspekte der Kinderarmut löst. Die sozioökonomische Situation von Familien und des Umfelds, in der Kinder leben, muss verbessert werden. Obwohl Städte nur begrenzten Einfluss auf die sozialen Sicherungssysteme haben, spielen sie doch eine wichtige Rolle bei der Verringerung und Vermeidung von Kinderarmut. Es wurde eine Reihe von Maßnahmen auf Stadtebene ausgemacht. Stadtverwaltungen können einen Beitrag zur Verringerung der Kinderarmut leisten, indem sie: Rabattaktionen für sozial benachteiligte Kinder und Familien anbieten („Ooiervaarspas” in Den Haag (NL), „Leipzig-Pass” oder „Dresden-Pass” (DE)); Familien und Kindern auf eine integrierte Art Informationen und Dienstleistungen bereitstellen (One-Stop-Shops wie „Sure Start Centres“ in Großbritannien); bezahlbare Kinderbetreuung bereitstellen; bewusstseinsbildende und einen gesunden Lebensstil fördernde Kampagnen durchführen („Doornakkers Gezond”-Kampagne in Eindhoven (NL)); Kindern mehr Lernmöglichkeiten anbieten (durch Organisation außerschulischer Aktivitäten und Bereitstellung von Räumen für Lernaktivitäten); in Spielplätze, Grünflächen und Sportanlagen investieren (Stadterneuerungsprogramm für den Distrikt Magdolna in Budapest (HU)); Strategien zur Bekämpfung von Kinderarmut planen, durch Koordinierung verschiedener städtischer Abteilungen und durch Kooperation mit der Privatwirtschaft („Newcastle Child Poverty Strategy”, GB); mehr Sicherheit in den Stadtteilen fördern;
die Inanspruchnahme verfügbarer Leistungen verbessern, durch Schulung des Personals für soziale Dienstleistungen mit Bürgerkontakt sowie die Einführung von Informationsprogrammen („Welfare Rights Service” in Newcastle, GB)32; Lärm und Umweltbelastung in Gegenden reduzieren, in den sozial benachteiligte Kinder leben.
2.3 Wichtige Punkte zur weiteren Überlegung Die Bekämpfung von Kinderarmut erfordert integrierte Maßnahmen und die Koordination zwischen verschiedenen Politikfeldern auf unterschiedlichen Verwaltungsund Regierungsebenen sowie die Einbeziehung sonstiger Interessengruppen. Eine immer häufiger gestellte Frage lautet, ob der Fokus der Maßnahmen auf die Bekämpfung oder die Prävention von Kinderarmut liegen sollte. Im erstgenannten Fall schließen die eingeführten Maßnahmen meistens die Unterstützung von Familien sowie Beschäftigungsprogramme für Eltern mit ein. Die bei einem präventiven Ansatz eingeführten Maßnahmen umfassen ein breiteres Spektrum und beinhalten die Bereitstellung sozialer und gesundheitlicher Dienstleistungen für werdende Mütter und junge Eltern, pränatale und postnatale Betreuung sowie Bildungsprogramme. Außerdem stellt sich die Frage, wie die ‚Vererbung‘ der Armut von Generation auf Generation gestoppt werden kann. Hierbei sollte die Rolle der Bildung berücksichtigt werden, insbesondere der Vorschulerziehung, um die Folgen eines niedrigen sozioökonomischen Hintergrunds von Kindern für ihr späteres Leben zu minimieren. Auch wenn die Bildungspolitik (z. B. durch die Aufstellung von Bildungsplänen) auf nationaler Ebene erfolgt, liegt die Verantwortung für Kinderbetreuung und Vorschule normalerweise bei den lokalen Behörden.
32. Weitere Informationen finden Sie auf der Website von Welfare Rights: www.newcastle.gov.uk/welfarerights. Über die Aufgabe der lokalen Behörden zur stärkeren Inanspruchnahme von Leistungen siehe auch: „Take Up The Challenge. The role of local services in increasing take up of benefits and tax credits to reduce child poverty, A Report by the Take Up Taskforce“, 2009 verfügbar unter: www.dcsf.gov.uk/everychildmatters/.
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3 Ungleichheit in der Gesundheit
3.1 Die Probleme Gesundheit hat eindeutig eine soziale Dimension: Finanziell benachteiligte Menschen sind weniger gesund und haben eine geringere Lebenserwartung als der Rest der Bevölkerung33. Ungleichheit in der Gesundheit ist nicht nur aus Sicht der sozialen Gerechtigkeit problematisch, sondern für die Gesellschaft auch extrem teuer. Erhebliche gesundheitliche Ungleichheit gibt es zwischen Menschen in den Städten und Menschen auf dem Land. In den 258 EU-Städten, die 2001 von dem Städteaudit erfasst wurden, war die durchschnittliche Lebenserwartung mit 79 Jahren für Frauen und 73 Jahren für Männer um ungefähr zwei Jahre geringer als der Gesamtdurchschnitt der 27 EU-Staaten34. Die Unterschiede in der Lebenserwartung innerhalb der Städte sind noch viel auffälliger. Die Unterschiede in der Lebenserwartung zwischen den ärmsten und den reichsten Stadtteilen großer britischer Städte, wie Newcastle, Bristol, Southampton oder Leeds, variieren von 4,2 Jahren bis 5,5 Jahren bei Frauen und von 7 bis 10,1 Jahren bei Männern35; in Helsinki (FI) beträgt die Kluft in der Lebenserwartung je nach sozioökonomischem Status bis zu fünf Jahren36; in Warschau (PL) kann die Differenz bis zu 14,1 Jahren bei Frauen und 16,1 Jahren bei Männern betragen37. Bildung hat eine Auswirkung auf die Gesundheit. In Helsinki beträgt der Unterschied in der Lebenserwartung zwischen Menschen mit hohem und geringem Bildungsniveau 7,8 Jahre bei Männern und 4,2 Jahre bei Frauen38. In Brüssel (BE) kann ein 25 Jahre alter Mann mit Universitätsabschluss bei guter Gesundheit bis zu 20 Jahre länger leben als ein Mann mit Grundschulabschluss. Bei Frauen beträgt dieser Unterschied 18 Jahre39. In Rotterdam (NL) beträgt der Anteil an Personen mit Diabetes unter den Inhabern eines Bachelor- oder MasterAbschlusses 2,2 % im Vergleich zu 11,2 % bei Personen mit Grundschulabschluss40.
Es gibt Hinweise darauf, dass Menschen mit Migrationshintergrund eine schlechtere Gesundheit haben als die einheimische Bevölkerung. Hauptgrund dafür ist eher der geringere sozioökonomische Status als kulturelle Unterschiede41: In Großbritannien haben Menschen mit M i g r ati o nshi nte r g r u n d eine geringere Lebenserwartung als der Rest der Bevölkerung42; In Schweden ist die Rate von Menschen mit nach eigenen Angaben schlechter Gesundheit bei im Ausland geborenen Personen 2 bis 3 Mal höher als bei gebürtigen Schweden. In Stockholm ist die Zahl der Menschen mit Diabetes bei Personen, die außerhalb von Schweden geboren sind, doppelt so hoch wie bei gebürtigen Schweden. Die Zahl psychisch Erkrankter ist bei Ausländern um 70 % höher (bereinigt nach Alter, Geschlecht und sozioökonomischem Status)43; In den Niederlanden berichten mehr Menschen mit Migrationshintergrund über einen schlechten Gesundheitszustand als Menschen ohne Migrationshintergrund44. In Eindhoven (NL) leiden Migranten mit einem nicht-westlichen Hintergrund tendenziell stärker unter psychischen Erkrankungen als andere Gruppen45. Die europaweiten finanziellen Verluste durch verminderte Arbeitsproduktivität aufgrund von Ungleichheiten in der Gesundheit betrugen 2004 schätzungsweise 1,4 % des BIP (141 Mrd. €). Ungleichheit in der Gesundheit hat außerdem erhebliche Folgen für die soziale Sicherheit und das Gesundheitswesen, mit Verlusten von 15 % respektive 20 % in der EU insgesamt46. Die Investition in eine bessere Gesundheit der Gesamtbevölkerung kann zu beachtlichen Einsparungen bei den öffentlichen Ausgaben führen und die allgemeine Produktivität erhöhen.
33. World Health Organisation (WHO) (2008) Closing the gap in a generation. Health equity through action on the social determinants of health. 34. European Commission (2007a), State of European Cities Report. 35. Association of Public Health Observatories, UK Health Profiles 2009. 36. Gesundheitsamt Helsinki (2007) Health for the residents of Helsinki, Health Centre Annual Report. 37. Daten für 2004-2007 gesammelt durch das Nationalinstitut für Gesundheit (Polen) für das Gesundheitsamt der Stadt Warschau. 38. Gesundheitsamt Helsinki (2007) Health for the residents of Helsinki, Health Centre Annual Report. 39. Baromètre social, Rapport bruxellois sur l’état de la pauvreté 2008, Observatoire de la Santé et du Social. 40. Beitrag des Stadtrat von Rotterdam. 41. Tinhög et all (2007), To what extent may the association between immigrant status and mental illness be explained by economic factors? Social Psychiatry 42 (12), 990-996. 42. Glennerster et all (2009), Reducing the Risks to Health: The role of social protection. Report of the Social Protection Task Group for the Strategic Review of Health Inequalities in England Post 2010, London School of Economics, CASE Paper 139. 43. Public Health Report 2007, Stockholm (Englische Zusammenfassung) 44. Lindert H., Droomers M., Westert G.P. (2004), Tweede Nationale Studie naar ziekten en verrichtingen in de huisartspraktijk. Een kwestie van verschil: verschillen in zelfgerapporteerde leefstijl, gezondheid en zorggebruik, National Institute for Public Health and Environment, 2004. 45. Eindhoven – One in Health, Public Health Policy 2007-2010. 46. European Commission (2007b), Economic implications of socio-economic inequalities in health in the European Union.
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3.2 Städtische Maßnahmen Die Städte sind direkt verantwortlich für Sektoren, die einen großen Einfluss auf die Gesundheit haben, wie das Wohnungswesen, die sozialen Dienste, das Gesundheitswesen und die Umwelt. Es gibt drei wichtige Bereiche städtischer Aktivitäten, die zu einer Reduzierung von sozialer Ausgrenzung und Ungleichheit in der Gesundheit beitragen können: Verbesserter Zugang zu Gesundheitsdiensten: Städte organisieren Informationskampagnen über verfügbare Dienste oder bringen die Dienste stärker in die Gemeinde (diesen Ansatz verfolgt die Stadt Gent (BE), in der es medizinische Grundversorgungseinrichtungen in allen Stadtteilen gibt); Beeinflussung der Lebensstile, die zu Ungleichheit in der Gesundheit beitragen: Städte investieren in einen besseren Zugang zur Gesundheitsversorgung. Weitere wichtige Maßnahmen sind bewusstseinsbildende Kampagnen zu gesunder Ernährung, Präventionsprogramme zur Verringerung von Risikoverhalten (wie Alkohol-, Tabak- oder Drogenkonsum) oder die Förderung körperlicher Aktivitäten (z. B. wurde das Programm „Doornakkers Gezond” in Eindhoven (NL) eingeführt, um den Sportunterricht an Schulen zu fördern und den Zugang zu und die Bezahlbarkeit von Sporteinrichtungen, besonders für sozial benachteiligte Familien, zu verbessern); Verminderung der negativen Folgen von Umweltverschmutzung auf die Gesundheit: Städte investieren nicht nur in die Stadtreinigung, sondern auch in Grünflächen, Spielplätze und Sportanlagen, speziell in sozial benachteiligten Stadtteilen. Zu den weiteren Maßnahmen gehört die Investition in ein verbessertes Wohnungswesen (durch verbesserte Energieeffizienz – siehe Abschnitt über das Wohnungswesen) sowie eine verbesserte Luftqualität (durch Stadtplanung, Förderung umweltfreundlicher Verkehrsmittel und rauchfreier öffentlicher Räume).
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3.3 Wichtige Punkte zur weiteren Überlegung Eine schlechte Gesundheit ist das Resultat eines komplexen Zusammenspiels an Faktoren wie dem sozioökonomischen Status, dem Lebensumfeld, dem Lebensstil und den Arbeitsbedingungen. Es stellt sich die Frage, wie sich die Gesundheitspolitik und gesundheitsbezogene Fragen anderer Politikfeldern wie Verkehrswesen, Wohnungswesen, Beschäftigung und Bildung sowie im ehrenamtlichen und Dienstleistungssektor auf einen gemeinsamen Nenner bringen lassen. Eine zweite zu berücksichtigende Frage lautet, wie ein Mittelweg zwischen dem allgemeinen Zugang zum Gesundheitswesen und zielgerichteten Maßnahmen in bestimmten Stadtteilen aussehen kann. Der allgemeine Zugang bedeutet das Recht eines Jeden auf medizinische Leistungen. Dieses Recht wird jedoch nicht immer ausgeübt aufgrund von schlechte Zugänglichkeit der Dienstleistungen oder weil die Bürger schlecht informiert sind. Die Stadtverwaltungen sind häufig aktiv involviert bei der Identifizierung der Gruppen oder Stadtteile mit schlechtem Zugang zum Gesundheitswesen und der Entwicklung von Strategien für eine bessere Inanspruchnahme der medizinischen Leistungen
4 Digitale Ausgrenzung
4.1 Die Probleme Anwendungen der Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) spielen im heutigen täglichen Leben eine wichtige Rolle, etwa bei der Pflege sozialer Kontakte und dem Zugang zu Dienstleistungen und Informationen. Fehlende Möglichkeiten und die Unfähigkeit, IKT zu nutzen, können dazu führen, dass sozial benachteiligte Menschen mit zunehmendem technischem Fortschritt noch weiter zurückbleiben. In den Städten gibt es zwischen den Stadtteilen Unterschiede im Zugang zu und der Nutzung von Breitbandanschlüssen. Einer der Gründe dafür ist die unzureichende Internetabdeckung oder Verbindungsgeschwindigkeit in einigen Stadtgebieten, vor allem in Gegenden mit Einkommensniveaus unter dem nationalen Durchschnitt. Weitere Gründe sind hohe Kosten und das Fehlen einer bezahlbaren Internetverbindung. Ein kürzlich veröffentlichter Bericht über die Internetnutzung in Frankreich zeigte auf, dass die Internutzung in wohlhabenderen und ärmeren Stadtteilen nach unterschiedlichen Mustern verläuft47. Geografische Unterschiede in der IKT-Nutzung sind auch auf die Fähigkeiten der Personen zurückzuführen. Schätzungsweise verfügen 40 % der Bevölkerung in der EU nicht über digitale Fähigkeiten. Dieser Anteil steigt in höheren Altersgruppen, bei der nicht erwerbstätigen Bevölkerung, Menschen mit niedrigem Ausbildungsstand sowie in wirtschaftlich rückständige Regionen erheblich an48. Die Nutzung von IKT ist auch nach Geschlecht unterschiedlich, bei Frauen ist die Nutzerrate geringer49.
Laut der von der Europäischen Kommission durchgeführten „Digital Literacy Review“ führt eine geringe digitale Kompetenz zu einer digitalen Kluft hinsichtlich der Qualität der für die Bürger verfügbaren Technologien und das Selbstvertrauen bei der Nutzung von OnlineAnwendungen50. Diese Kluft vergrößert meistens die bestehende soziale Kluft und schafft neue Formen sozialer Ausgrenzung, da einige Personengruppen und Stadtteile keinen Zugang zu den neuesten Technologien haben51. Die digitale Kluft stellt aus mehreren Gründen ein erhebliches Problem dar. Erstens werden viele Dienstleistungen und Informationen wie Stellenanzeigen nur noch im Internet veröffentlicht52. Für Arbeitsuchende ist folglich eine große Anzahl an Stellenanzeigen nicht verfügbar, einfach weil sie nicht über die technischen Fähigkeiten verfügen, um auf sie zuzugreifen. Zweitens sind manche Dienstleistungen wie Bankdienstleistungen und Rechnungszahlung günstiger, wenn sie über das Internet abgewickelt werden, was bedeutet, dass Menschen mit geringem Einkommen und keinem Zugang zu IKT von dieser Kostenreduzierung nicht profitieren können. Drittens werden viele im Zusammenhang mit Strategien lebenslangen Lernens entwickelte Bildungsangebote und Materialien online entwickelt und bereitgestellt. Der Mangel an digitaler Kompetenz kann Menschen, denen es schwer fällt erneut zu lernen oder die aufgrund von Krankheit, familiären Verpflichtungen oder fehlender Motivation nicht an Lernangeboten teilnehmen können, die vollständige soziale und wirtschaftliche Integration in die Gesellschaft noch weiter erschweren.
47. OfCom Market Review 2008. 48. Riga Dashboard – Measuring Progress in e-Inclusion (2007). 49. Deursen, A. and Dijk J. (2009), Interacting with computers, Using the Internet: skill-related problems in users’ online behavior, Department of Media, Communication and Organisation, University of Twente. 50. European Commission (2008b), Digital Literacy. European Commission Working Paper and Recommendations from Digital Literacy High-Level Expert Group. 51. Department for Communities and Local Government (DCLG) UK (2008), Understanding digital exclusion: Research Report, Report carried out by FreshMinds. 52. Department for Communities and Local Government (DCLG) UK (2008), Understanding digital exclusion: Research Report, Report carried out by FreshMinds.
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4.2 Städtische Maßnahmen Die Förderung digitaler Gleichheit kann dazu beitragen, die Folgen sozialer Benachteiligung abzuschwächen und sozialer Ausgrenzung vorzubeugen. Es gibt zwei Typen städtischer Maßnahmen: Verbesserung des Zugangs zu IKT in Städten und insbesondere in sozial benachteiligten Gebieten. Stadtverwaltungen stellen öffentliche Zugriffspunkte bereit, an denen IKT genutzt werden kann. Diese öffentlichen Zugriffspunkte befinden sich häufig in Bibliotheken, öffentlichen Gebäuden und den Büros sozialer Organisationen und Nachbarschaftszentren. Sie bieten einen Raum, in dem Menschen auf die in der Gemeinde verfügbaren Informationen und Dienste zugreifen, Arbeitsplatzsuchen durchführen und Internetdienste wie Online-Banking nutzen können. Diesen Ansatz verfolgt die Stadt Valencia (ES) (das „Valencia Ya”-Projekt) und die belgische Stadt Gent (Digitaal Talent); Verbesserung der digitalen Fähigkeiten durch IKT-Kurse in Schulen oder Gemeindezentren. In einigen Fällen wurden IKT-Lernangebote mit anderen Themen wie Gesundheit oder Sprache verknüpft, um die Attraktivität der IKT-Lernangebote zu erhöhen und andere sozioökonomische Gruppen zu erreichen. Diesen Ansatz verfolgt die Stadt Birmingham in Großbritannien (Healthy Way to Learn IT; Keeping IT in the Family).
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4.3 Wichtige Punkte zur weiteren Überlegung Die Investition in die IKT-Infrastruktur kann die Zugänglichkeit der IKT vor allem in sozial benachteiligten Stadtteilen entscheidend verbessern. Ein wichtiger zu berücksichtigender Punkt ist die Entwicklung effizienter Methoden zur Verbesserung der digitalen Kompetenz der Bürgerinnen und Bürger, insbesondere in sozial benachteiligten Gebieten und in bestimmten Gruppen, die dem Risiko neuer Formen sozialer Ausgrenzung ausgesetzt sind (wie ältere Menschen) oder die dem Risiko weiterer Ausgrenzung ausgesetzt sind (z. B. schlecht ausgebildete und arbeitslose Menschen). Außerdem relevant ist die Frage, wie die Stadtverwaltung von neuen Möglichkeiten profitieren kann und wie die von der IKT gebotenen Möglichkeiten am besten genutzt werden können, um die Qualität des Zugangs zu Dienstleistungen zu verbessern (z. B. ‚schwer erreichbare‘ Mitglieder der Gesellschaft erreichen). Die Städte können außerdem die Bereitstellung von IKTDienstleistungen verbessern und neue Methoden zur Einbeziehung der Bürger schaffen.
5 Kultur und Ausgrenzung 5.1 Die Probleme Kulturelle Aktivitäten sowie Freizeit- und Sportaktivitäten sind ein wesentlicher Aspekt städtischen Lebens. Die Teilnahme an diesen Aktivitäten bietet Stadtbewohnern die Möglichkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben. Das hat positive Auswirkungen auf das Wohlbefinden und die Selbstentfaltung. Der systematische Ausschluss von kulturellen Aktivitäten kann Gefühle sozialer Ausgrenzung, Marginalisierung und Distanz zur Gesellschaft noch verstärken. Es gibt eine Anzahl an Gründen dafür, warum sozial benachteiligte Gruppen kulturelle Aktivitäten tendenziell seltener besuchen als andere Mitglieder der Gesellschaft. Der Hauptgrund dafür sind die damit verbundenen Teilnahmekosten, wie Gebühren für den Eintritt und die Anfahrt. Zweitens werden Informationen über kulturelle Aktivitäten ungleich in der Gesellschaft verbreitet und einige Gruppen werden von den Hauptmedien und Ankündigungen nicht erreicht. Ein dritter Grund ist die Erreichbarkeit und Zugänglichkeit, insbesondere für Menschen mit Behinderungen aber auch für diejenigen, die in Randgebieten mit schlechter Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr wohnen und kein Auto besitzen. Ein weiterer Faktor ist die Art der angebotenen kulturellen Aktivitäten: Die Veranstaltungen sind möglicherweise nur für einen Teil der Bevölkerung von Interesse und ohne Berücksichtigung oder Einbeziehung stärker benachteiligter Gruppen entwickelt worden. Eine kürzlich in Großbritannien durchgeführte Studie hat z. B. herausgefunden, dass tendenziell mehr externe Besucher und Pendler kulturelle Veranstaltungen in größeren Städten besuchen als sozial benachteiligte Einwohner53. Die Kulturpolitik wird in zunehmendem Maße als wichtiger Faktor bei der Stadterneuerung und der Erreichung sozialer Ziele anerkannt und in traditionelle sozialpolitische Maßnahmen eingegliedert. Auch spielt sie eine wichtige Rolle beim Erreichen benachteiligter Gruppen, dem Umgang mit gesellschaftlicher Vielfalt, der Entwicklung der Kreativwirtschaft und der Schaffung neuer Beschäftigungsmöglichkeiten54. Genauer gesagt:
Die Teilnahme an kulturellen Aktivitäten kann das volle Potenzial und das Selbstbewusstsein der Menschen stärken. Kultur bezieht sich direkt auf die gesellschaftliche Identität. Sie trägt ebenso zum sozialen Zusammenhalt bei wie zu einem positiven Zugehörigkeitsgefühl. Durch die Teilnahme an künstlerischen Aktivitäten erwerben die Teilnehmer Sozialkompetenzen wie Teamarbeit, Kommunikation, Übernahme von Verantwortlichkeit und Problemlösung und erhöhen damit ihre Beschäftigungsfähigkeit. Darüber hinaus sind kulturelle Aktivitäten mit der Kreativwirtschaft, wie die Musik-, Medien-, Freizeit- und Unterhaltungsbranche, verbunden. Dies kann insbesondere jungen Menschen dabei helfen, Arbeit in einer dieser Branchen zu finden. Ein von der Kultur geprägter Ansatz sozialer Eingliederung wurde jedoch noch nicht in allen Mitgliedsstaaten entwickelt und es gibt Möglichkeiten zur Verbesserung der Koordination und Integration zwischen dem kulturellen und dem sozialen Sektor.
5.2 Städtische Maßnahmen In vielen Städten sind die lokalen Verwaltungen in einem gewissem Maße zuständig für Kulturpolitik. Die Städte können eine Reihe von Maßnahmen einführen, um den Zugang zu kulturellen Aktivitäten zu erhöhen und die soziale Einbeziehung durch Kultur zu fördern. Um die Teilnahme an kulturellen Aktivitäten zu erhöhen, ist der Eintritt zu allen Dauerausstellungen in den öffentlichen Museen in London (GB) frei, während das Landesmuseum in Helsinki (FI) freitags freien Eintritt gewährt. Viele Städte wie Leipzig (DE) oder Den Haag (NL) bieten Ermäßigungen auf Kultur-, Freizeit- und Sportveranstaltungen für junge Menschen und Menschen mit geringem Einkommen. Einige Städte organisieren kostenlose Kulturveranstaltungen, wie die European Heritage Days oder Kulturnächte55. Außerdem werden immer häufiger die Belange von behinderten Menschen in
53. Museums, Libraries and Archives Council (2009) The Role of Museums, Libraries, Archives and Local Area Agreements, Final Report, April 2009. 54. Landry C. (2000) – The Creative City: A toolkit for Urban Innovators. 55. EUROCITIES (2009a) Intercultural Cities. A Journey through 23 European Cities.
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die Planung und Entwicklung von Kulturveranstaltungen einbezogen, wenngleich die Anpassung der architektonischen Bedingungen und Infrastrukturen noch immer eine Herausforderung darstellt. Um mithilfe der Kultur die soziale Eingliederung zu fördern, richten viele europäische Städte multikulturelle Veranstaltungen aus, die es ethnischen Minderheiten ermöglichen, ihre kulturelle Identität zum Ausdruck zu bringen und Einheimischen die Gelegenheit geben, Menschen mit anderem kulturellen Hintergrund zu verstehen und in Kontakt mit ihnen zu kommen. Das Mela Festival56 in Belfast, (GB), der Karneval der Kulturen in Berlin57 (DE) und das Cross-Culture Festival58 in Warschau (PL) sind Beispiele für die Förderung des multikulturellen Charakters der Städte. In Birmingham (GB) wird Kultur als ein Mittel zur Schaffung eines Zusammenhalts in der Gemeinde und zum Erreichen peripherer Stadtteile gesehen.
56. Belfast Mela Festival www.belfastmela.org.uk. 57. Berliner Karneval der Kulturen www.karneval-berlin.de. 58. Cross-Culture Festival in Warschau www.festiwal.warszawa.pl.
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5.3 Wichtige Punkte zur weiteren Überlegung Kultur ist ein entscheidendes Element, das die traditionellen Methoden der Förderung sozialer Eingliederung und sozialen Zusammenhalts unterstützen kann. Diskussionen über dieses Politikfeld sollten die folgenden Kernpunkte ansprechen: Ermittlung der Methoden zur Gewährleistung der vollständigen Teilnahme von Gruppen, die stark gefährdet sind, von kulturellen Veranstaltungen ausgeschlossen zu werden, wie Behinderte, Menschen mit geringem Einkommen, Migranten; Erforschung des Beitrags, den ein kulturorientierter Ansatz zu der sozialen Agenda leisten kann; Erforschung der Methoden zur besseren Einbeziehung von Kultur in Maßnahmen zur Förderung sozialer Eingliederung, Gemeindeentwicklung und der Einbeziehung von Einwohnern, einschließlich der Frage, wie Sozialarbeiter und Künstler zu einer Zusammenarbeit ermutigt werden können.
6 Städtische Mobilität und Ausgrenzung 6.1 Die Probleme Mobilität ist eine Voraussetzung für eine vollständige gesellschaftliche Teilhabe, denn Orte wie Schulen, Büros, Geschäfte, Sport- und Freizeiteinrichtungen sind häufig über die ganze Stadt verteilt. Der öffentliche Nahverkehr hat die wichtige Aufgabe, eine bezahlbare und nachhaltige Mobilität zu ermöglichen. Dieser ist jedoch manchmal teuer und minderwertig, nicht immer bedient er das gesamte Stadtgebiet. Einige Faktoren der städtischen Mobilität können soziale Ausgrenzung noch verstärken: Für Menschen mit geringem Einkommen ist der öffentliche Nahverkehr in einigen Städten häufig zu teuer und daher unbezahlbar; Einige Wohngebiete sind nicht gut am öffentlichen Nahverkehr angebunden. Dieses Problem besteht besonders in Gebieten mit rückläufiger Bevölkerung, in denen der Bevölkerungsrückgang zu einer geringeren Nachfrage und weniger – oder teureren – Angeboten führt. Dies verstärkt die Ausgrenzung der verbleibenden Bevölkerung; Aus Sicherheitsgründen trauen sich einige Gruppen wie Frauen und ältere Menschen möglicherweise nicht, den öffentlichen Nahverkehr zu bestimmten Zeiten wie spät nachts zu benutzen59; Suburbanisierung und eine weitläufige Infrastrukturentwicklung (wie außerhalb der Stadt gelegene Einkaufszentren und Bürogebäude) erfordern adäquate öffentliche Nahverkehrssysteme. Fehlen diese, besteht die Gefahr, Menschen ohne eigenes Auto von der Nutzung auszuschließen. Gleichzeitig erhöht sich dadurch die Abhängigkeit vom Automobil, was zu unhaltbaren Verkehrsstaus und Umweltverschmutzung führen kann60.
6.2 Städtische Maßnahmen In den vergangenen Jahren haben viele Städte damit begonnen, öffentliche Nahverkehrsnetze auszubauen und in Gebiete auszuweiten, in denen es weniger Autobesitzer gibt oder eine große Anzahl an älteren Menschen oder Menschen mit geringem Einkommen. Ein Beispiel ist „Grand Paris“. Hier verfolgt man das Ziel, die öffentliche Nahverkehrszone weiter in die Vororte von Paris (FR) auszuweiten. Die Entwicklung umfangreicherer städtischer Mobilitätspläne ist für Städte auch eine Möglichkeit, Probleme der sozialen Ausgrenzung entgegenzuwirken, wenn diese Pläne andere Politikbereiche wie Gesundheit, Bildung und Wohnungswesen in Hinblick auf die Bekämpfung oder Prävention von Ausgrenzung berücksichtigen. Viele Städte unterstützen die Verwendung von einer Kombination von Verkehrsmitteln, indem sie in Fahrrad- und
Fußwege investieren und die Stadt fußgänger- und radfahrerfreundlicher machen. Ein Beispiel ist das Programm „Streets of Gold“ in London (GB), mit dem die Stadt fußgängerfreundlicher werden soll. Manche Städte investieren auch in Leihfahrräder und fördern das Car-Sharing. Die Förderung von Zufußgehen und Radfahren ist oft mit der städtischen Gesundheitspolitik, vor allem an Schulen, verknüpft (zum Beispiel zur Bekämpfung der Fettleibigkeit bei Kindern). Einige Städte haben eine spezielle Preispolitik eingeführt, wie zum Beispiel finanzielle Beihilfen für bestimmte Zielgruppen (wie Rentner, einkommensschwache Gruppen etc.). In Danzig (PL) erhalten Arbeitssuchende z. B. kostenlose Fahrscheine für den öffentlichen Nahverkehr. Ähnliche Initiativen wurden in Wien (AT), Leipzig (DE) und Budapest (HU) eingeführt. Ebenso wichtig sind Pläne, die darauf zielen, Dienstleistungen, einschließlich Einkaufsmöglichkeiten, näher an die Bürger zu bringen. Städte können kleine Einzelhandelsgeschäfte in bestimmten Stadtteilen durch Steuererleichterungen und begünstigte Bebauungsgenehmigungen anlocken. Außerdem können die Städte den Standort lokaler Dienstleistungen in unterversorgten Stadtgebieten strategisch sorgfältig planen.
6.3 Wichtige Punkte zur weiteren Überlegung Eine Reihe von Fragestellungen ist zu beachten, um Ungleichheiten und Ausgrenzung von der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel zu verringern: Möglichkeiten zur verbesserten Koordinierung zwischen lokalen Verkehrsbehörden und anderen lokalen Institutionen finden, um die Erstellung umfassender Mobilitätspläne zu ermöglichen. Diese Pläne sollten eine Beurteilung der Bedürfnisse verschiedener Stadtteile sowie die Bedeutung, die der öffentliche Nahverkehr für sie hat (insbesondere hinsichtlich der Zugänglichkeit des Angebots) einbeziehen; Ermittlung von Möglichkeiten, den öffentlichen Nahverkehr bezahlbarer zu machen, insbesondere für Menschen mit geringem Einkommen; Verbesserung der Qualität und Sicherheit des öffentlichen Nahverkehrs, insbesondere für gefährdete Gruppen; Erhöhung der Anzahl barrierefreier Fahrzeuge, wie etwa für Rollstuhlfahrer geeignete Busse und Bahnen, mit dem Ziel, den öffentlichen Nahverkehr attraktiver zu machen.
59. Social Exclusion Unit - UK (2003), Making the Connections: Final Report on Transport and Social Exclusion. 60.Social Exclusion Unit - UK (2003), Making the Connections: Final Report on Transport and Social Exclusion.
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7 Ausgrenzung auf dem Wohnungsmarkt und Obdachlosigkeit 7.1 Die Probleme Eine adäquate Wohnung hat eine wesentliche Auswirkung auf die Lebenschancen und die Lebensqualität von Menschen. Die Ausgrenzung auf dem Wohnungsmarkt reicht vom Leben in minderwertigem Wohnraum, fehlenden grundlegenden Sanitäranlagen, Heizung und Isolierung über den Verlust einer eigenen Unterkunft (wie Zwangsräumung oder Leben in befristetem Wohnraum) bis zur extremsten Form der Ausgrenzung auf dem Wohnungsmarkt, der Obdachlosigkeit61. Beim Thema Wohnraum sind zwei zentrale Aspekte zu beachten: Zugänglichkeit und Qualität. Die Zugänglichkeit zum Wohnungsmarkt beinhaltet Wohnungskosten, Verfügbarkeit bezahlbarer Wohnungen, das Entstehen neuer Gruppen, die von der Ausgrenzung auf dem Wohnungsmarkt bedroht sind sowie die zunehmende Nachfrage nach neuen Wohnformen und die Obdachlosigkeit. Der Qualitätsaspekt beinhaltet minderwertigen Wohnraum, durch hohe Energiekosten verursachte Armut sowie Gesundheitsrisiken.
➤➤Zugang zum Wohnungsmarkt Ein Hauptproblem für die Ausgrenzung auf dem Wohnungsmarkt sind die hohen Wohnungskosten im Verhältnis zum Haushaltsbudget. Im Jahr 2005 betrugen die Wohnungskosten z. B. durchschnittlich 33 % des gesamten Haushaltsbudgets62, wobei Haushalte mit geringerem Einkommen 37 % ihres Einkommens für Wohnraum ausgaben.
Ein zweites Problem, das mit dem ersten verbunden ist, ist der Mangel an verfügbaren Wohnungen, insbesondere bezahlbaren Wohnungen. In der französischen Region Isere gibt es nur Sozialwohnungen für 40 % der Nachfrage63. In Gent (BE) beträgt die Wartezeit auf eine Sozialwohnung nunmehr 2,5 Jahre64. Einige Gruppen haben häufig größere Schwierigkeiten eine Wohnung zu finden (z. B. sesshafte Roma)65. Durch verstärkte Migration und die Konjunkturschwäche zusammen mit der steigenden Arbeitslosigkeit entstehen neue Risikogruppen für die Ausgrenzung auf dem Wohnungsmarkt, wie neu angekommene Migranten, junge Menschen, Familien und Personen mit mittleren Einkommen, die über die Preise aus dem Markt gedrängt werden.66 Darüber hinaus führen soziodemografische Veränderungen wie die Alterung der Bevölkerung und die Auflösung von Familien zur Nachfrage nach neuen Wohnformen wie Wohnungen für eine Person. Die Anzahl der Einpersonenhaushalte beträgt in Städten wie München (DE), Amsterdam (NL) und London (UK) bereits mehr als 50 %.67 Die Obdachlosigkeit ist die radikalste Form der Ausgrenzung auf dem Wohnungsmarkt. Die Ursachen dafür sind vielfältig. Sie berühren verschiedene miteinander verbundene Aspekte sozialer Ausgrenzung wie Arbeitslosigkeit, psychische Probleme, Drogenmissbrauch und Auflösung der Familie68. In den vergangenen Jahren hat sich das Profil von Obdachlosen verändert, immer häufiger werden Frauen, Migranten oder gefährdete Personen in prekären Arbeitsverhältnissen obdachlos.
61. FEANTSA 2008 (2008a), ETHOS European Typology on Homelessness and Housing Exclusion, verfügbar unter: www.feantsa.org/code/EN/pg.asp?Page=484 62. EUROSTAT (2008), Einkommens- und Verbrauchsstichprobe privater Haushalte 2005 in der EU27 http://europa.eu/rapid/pressReleasesAction.do?reference=STAT/ 08/88&format=HTML&aged=0&language=DE 63. Observatoire Associatif du Logement (2008), Le mal logement en Isère. 64. Local Social Policy in Ghent (2008), Strategic long-range plan 2008-2013, Zusammenfassung in Englisch unter: www.lokaalsociaalbeleidgent.be/documenten/ publicaties%20LSB-Gent/LSB-plan%20Gent.pdf. 65. Delépine (2006), Housing of Roma in Central and Eastern Europe. Facts and Proposals. Report for the Council of Europe. 66. FEANTSA (2008b), The role of housing in pathways into and out of homelessness Annual Theme 2008 Housing and Homelessness, FEANTSA European Report 67. Quelle: www.urbanaudit.org 68. FEANTSA (2008b) The Role of housing in pathways into and out of homelessness.
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➤➤Wohnqualität Ausgrenzung auf dem Wohnungsmarkt kann auch für unangemessene Wohnbedingungen stehen. Der Zustand der Wohnung und die Größe des verfügbaren Wohnraums pro Person beeinflussen die Lebensqualität außerordentlich. Nach dem Städteaudit aus dem Jahr 200469 gibt es in vielen Städten Häuser, denen die grundlegenden Ausstattungsmerkmale fehlen, wie warmes oder fließendes Wasser, Spülklosett, Bad/Dusche und Anschluss an das Kanalisationsnetz. Der höchste Anteil an minderwertigem Wohnraum befand sich demnach in Ljubljana (19 %) (SI), Lodz (17 %) (PL), Kopenhagen (15 %) (DK) und Katowice (13 %) (PL). Gemäß ihrer eigenen Untersuchung klassifiziert die Stadt Gent (BE) 15 % ihres Wohnraumbestands als inadäquat70 . Inadäquater Wohnraum konzentriert sich in manchen Fällen in bestimmten Stadtteilen. Im Distrikt Magdolna in Budapest (HU), verfügen 21 % der Wohnungen nicht über die grundlegenden Ausstattungsmerkmale und 40 % der Wohnungen sind überbelegt71. Auch die Daten aus Gent legen nahe, dass der Anteil an nicht bewohnbaren Wohnungen in einigen Stadtteilen sehr hoch ist72. Ein mit minderwertigem Wohnraum verbundenes Problem ist Energiearmut. Damit ist „die Schwierigkeit oder gar die Unmöglichkeit des Haushalts, die eigene Wohnung zu einem fairen Preis zu heizen” gemeint73. Schätzungsweise sind 10 – 25 % der Bevölkerung Europas davon betroffen74. Menschen mit geringem Einkommen sind von den steigenden Energiekosten am stärksten betroffen75. In London (GB) gelten 10 % der Haushalte als Energiearm76. Häufig leben Menschen, die
von Energiearmut betroffen sind, in minderwertigen Wohnungen (bspw. ohne angemessene Isolierung) mit hohem Wärme- und Energieverlust. Minderwertiger Wohnraum erhöht außerdem die Gesundheitsrisiken. Die LARES-Studie (Large Analysis and Review of European Housing and Health Status - Umfassende Analyse und Prüfung des Zusammenhangs zwischen europäischen Wohnungen und Gesundheitszustand) zeigt, dass Schimmel in der Wohnung, Lärmbelästigungen und Schlafstörungen häufiger in Wohnungen von Einkommensschwachen vorkommen77.
7.2 Städtische Maßnahmen Die städtischen Maßnahmen zur Bekämpfung der Ausgrenzung auf dem Wohnungsmarkt lassen sich unter drei Hauptüberschriften gruppieren: Verbesserung des Zugangs zu bezahlbaren Wohnungen, Verbesserung der Wohnqualität sowie Leistungen für Obdachlose.
➤➤Verbesserung des Zugangs zu bezahlbaren Wohnungen Dies kann durch Preispolitik, die Festsetzung von Quoten für bezahlbaren Wohnraum und Mietpreiskontrollen erreicht werden. In Amsterdam (NL), Helsinki (FI) und Wien (AT) ist der Preis für Sozialwohnungen auf ein Niveau festgelegt, das unter dem Marktwert liegt. In deutschen Städten erhalten private Entwickler soziale Wohnungsbauförderung. Dafür müssen sie ihre Wohnungen für einen bestimmten Zeitraum zu einem Preis vermieten, der den tatsächlichen Wohnungskosten entspricht und nicht dem Marktwert.
69. Quelle: www.urbanaudit.org/index.aspx 70. Local Social Policy in Ghent, strategic long-range plan 2008-2013, Zusammenfassung in Englisch, verfügbar auf: www.lokaalsociaalbeleidgent.be/documenten/ publicaties%20 LSB-Gent/LSB-plan%20Gent.pdf. 71. Regeneration Programme in Budapest – Józsefváros, Magdolna Quarter Programme 2007 verfügbar auf: www.rev8.hu/csatolmanyok/eng_dokok/eng_dokok_2.pd 72. Local Social Policy in Ghent, (2008) Strategic long-range plan 2008-2013, Zusammenfassung in Englisch, verfügbar auf: www.lokaalsociaalbeleidgent.be/ documenten/ publicaties%20LSB-Gent/LSB-plan%20Gent.pdf. 73.EPEE (2009a) Diagnosis of Causes and Consequences of Fuel Poverty in Belgium, France, Italy, Spain, and United Kingdom. 74. EPEE (2009a) Diagnosis of Causes and Consequences of Fuel Poverty in Belgium, France, Italy, Spain, and United Kingdom. 75. EPEE (2009b) Tacking Fuel Poverty in Europe- Recommendation Guide for Policy-Makers. 76. GLA- Greater London Authority (2009) Fuel Poverty in London.. 77. Mehr als 3.000 Einwohner in acht europäischen Städten wurden für die LARES-Studie zu wohnungsbedingten Gesundheitsrisiken befragt. Die Studie wurde 2002/2003 in Forli (IT), Vilnius (LT), Ferreira do Alentejo (PO), Bonn (DE), Genf (CH), Angers (FR), Bratislava (SI) und Budapest (HU) durchgeführt. Weitere Informationen unter: WHO (2004), view of evidence on housing and health, www.euro.who.int/document/HOH/ebackdoc01.pdf.
Soziale Ausgrenzung Und Ungleichheit In Europäischen Städten / 19
Städte wie Dublin (IE), London (GB) und Madrid (ES) haben Zielgrößen für bezahlbaren Wohnraum festgelegt, die bei der Planung und Realisierung neuer Wohnbauprojekte zu berücksichtigen sind. In diesen Städten muss es sich bei 50 % der neuen Wohngebäude um bezahlbare Wohnungen handeln. Richtlinien wie diese werden durch öffentlichen Immobilienbesitz unterstützt78. Außerdem wurden gesetzliche Auflagen und Einschränkungen für Mietpreise und Vermietung im privaten Wohnungssektor eingeführt. In Amsterdam (NL) sehen die Mietgesetze Obergrenzen vor, während die Gesetzgebung der meisten europäischen Städte Jahreshöchstgrenzen für Mieterhöhungen festlegt. Durch diese Maßnahmen wird ein starker Anstieg der Wohnungsmieten vermieden, sie haben jedoch keine Auswirkungen auf den Zugang zum Wohnungsmarkt79.
➤➤ Verbesserung der Wohnqualität Diese Art der Intervention zielt auf die Verbesserung der Wohnsituation sowie der Gesundheit und des Wohlbefindens von Menschen. Typische Maßnahmen zur Verbesserung der Wohnqualität sind Stadterneuerungsprogramme und Fördermittel für die Wohnraumverbesserung. Die Städte investieren außerdem in verbesserte Isolierung, um die Energieeffizienz von Wohnungen zu
erhöhen. Newcastle (GB) bietet Haushalten mit geringem Einkommen kostenlose oder vergünstigte Isolierung und Heizung mitsamt einer Energieeffizienzberatung an80. Viele Städte unterstützen bewusstseinsbildende Kampagnen zum Thema Energieeinsparung (zum Beispiel durch Ausschalten des Standby-Modus bei Haushaltsgeräten oder durch Verwendung von Energiesparlampen). In Frankfurt (DE) wurden Arbeitslose zu Energieberatern umgeschult, sie helfen jetzt in Haushalten mit geringem Einkommen Energie einzusparen81. In Leeds (GB) erhalten Einwohner eine kostenlose Energieeffizienzberatung82, während türkische und marokkanische Frauen in Utrecht (NL) Unterricht in Methoden zum Abfallrecycling und Energiesparen erhalten haben83. Diese Frauen beraten wiederum andere Frauen über Energieeinsparungen im Haushalt. Stadtverwaltungen kooperieren außerdem mit Hausbesitzern bei der Verbesserung des Zustands von Wohnungen. Die Stadt Rotterdam (NL) unterzeichnete eine Vereinbarung mit Wohnungsbaugenossenschaften zur Verbesserung des Zustands der Wohnungen von Saisonarbeitern, zur Bekämpfung der Überbelegung von Wohnungen und der Ausnutzung gefährdeter Personen.
78. Amsterdam Development Corporation (2005): Land price policies in European cities. A comparative survey. 79. O’Sullivan E., De Decker P. (2007): Regulating the Private Rental Housing Market in Europe, European Journal of Homelessness, 1, Dec. 2007. 80. Newcastle Warmzone: 80. Newcastle Warmzone: www.warmzones.co.uk/newcastle.html. 81. CARITEAM Energiesparservice: www.stromspar-check.de. 82. Fuelsavers www.leeds.gov.uk/fuelsavers. 83. €nergy Profit: www.utrecht.nl/milieu.
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➤➤Leistungen für Obdachlose Einige Städte koordinieren und integrieren Sozial- und Gesundheitsdienste mit Wohnungsvermittlungen, um Obdachlosigkeit zu vermeiden und zu bekämpfen. Es gibt zwei Hauptansätze: den so genannten „integrativen” Ansatz und die Politik des „Housing First”. Bei dem integrativen Ansatz („integrated chain approach“) bieten und koordinieren die Städte eine Reihe von Dienstleistungen, die letztendlich ein unabhängiges Leben ermöglichen sollen. Dieser Ansatz wurde in Barcelona (ES) (Programm „Municipal Care for the Homeless”), München (DE) (Zentraleinheit Wohnungslosigkeit ZEW), Stockholm (SE), Wien (AT) und anderen Städten entwickelt84. Bei der Politik des „Housing First“ (Wohnung geht vor) wird wohnungslosen Menschen so schnell wie möglich langfristiger Wohnraum bereitgestellt. Erst wenn die Person in ein stabiles Wohnumfeld eingezogen ist, folgen weitere unterstützende Dienstleistungen. Dieser Ansatz wird in Städten wie Dublin (IE), Oslo (NO) und Helsinki (FI) verfolgt.
7.3 Wichtige Überlegung
Punkte
zur
weiteren
Verschiedene Punkte sollten von den Fachleuten diskutiert werden. Erstens stellt sich angesichts der sich verändernden Haushaltsgrößen und der größeren Zahl an Migranten in einigen Städten die Frage, wie eine genaue Überwachung des veränderten Wohnraumbedarfs und der Wohnsituationen erfolgen kann (um zum Beispiel zu verhindern, dass Zuzügler, insbesondere Migranten, künstlich hoch gehaltene Mieten für minderwertige und oft überbelegte Wohnungen zahlen). Zweitens stellt sich die Frage, wie die Verbindung zwischen verbessertem Wohnraum und Nachhaltigkeit auf lokaler Ebene gestärkt werden kann und wie sich mögliche Synergien mit anderen Politikfeldern (wie ‚grüne Arbeitsplätze‘) optimal nutzen lassen. Dazu ist eine Abstimmung zwischen verschiedenen Stadtämtern sowie mit der Privatwirtschaft nötig. Schließlich sollte es bei der Diskussion auch darum gehen, wie in Kooperation mit privaten Vermietern Obdachlosigkeit vermieden, bezahlbarer Wohnraum garantiert und notwendige technische Verbesserungen an den Gebäuden gefördert werden können.
84. Beispiele in: EUROCITIES (2009b) City strategies against homelessness – the integrated chain approach.
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8 Soziale Segregation und benachteiligte Stadtteile 8.1 Die Probleme Seit den späten 1990er-Jahren wurde in vielen europäischen Städten eine neue, gebietsbezogene Politik sozialer Integration entwickelt. Hintergrund für diese politische Entwicklung ist die zunehmende geografische Konzentration von sozial Benachteiligten in vielen Städten, ein Faktor, der für die dort wohnenden Menschen eine zusätzliche Belastung darstellt. Anders als Sanierungsprogramme, die sich auf die physische Erneuerung des Stadtteils konzentrieren, setzt diese neue Politik auf eine ganzheitliche Herangehensweise bei der Lösung von sozialen Problemen in benachteiligten Stadtteilen. Im Gegensatz zu einer personenbezogenen Politik sozialer Eingliederung (wie die Zahlung von Arbeitslosenhilfe) bezieht sich eine gebietsbezogene Politik auf klar begrenzte Stadtteile als Aktionsbereich. Anders ausgedrückt: Diese Politik zielt weder auf bestimmte Personen noch auf das gesamte Stadtgebiet. Normalerweise ist die räumliche Segregation entlang sozioökonomischer Grenzen in Nordwesteuropa am stärksten. In anderen Teilen Europas steigt die Segregation jedoch aus verschiedenen sozialen und wirtschaftlichen Gründen (wie der Auswirkung der Deindustrialisierung auf die lokalen Arbeitsmärkte, der Abwanderung etc.)85. In osteuropäischen Städten tritt städtische Segregation aufgrund einer breiteren sozialen Streuung in großen Wohnkomplexen in weit geringerem Umfang auf und betrifft tendenziell Arbeitsmigranten aus Afrika, Asien und Südamerika sowie Roma. Die größte Herausforderung sozial benachteiligter Stadtteile besteht darin, dass hier eine Konzentration und Kombination wirtschaftlicher, sozialer und umweltpolitischer Probleme auftritt, was dazu führt, dass die lokale Bevölkerung eine weitere Stufe der Ausgrenzung erfährt. Ein weiteres Problem für benachteiligte Gegenden ist die oft unter dem nationalen oder städtischen Durchschnitt liegende Qualität des baulichen Umfelds und der öffentlichen Infrastruktur, einschließlich des qualitativen Zustands von Wohnungen, öffentlichen Flächen, öffentlichen Dienstleistungen und Schulen. Dieser Zustand wird durch fehlende grundlegende Einrichtungen weiter verschärft, z. B. wenn Dienstleister und Einzelhändler aufgrund der geringen Kaufkraft an andere Standorte umziehen.
Menschen in sozial benachteiligten Gegenden leiden häufig unter mehrfacher Benachteiligung. Das reicht von fehlenden Chancen (aufgrund minderwertiger Schulen und einer geringen Anzahl lokaler Unternehmen) über geringe Ambitionen (aufgrund fehlender positiver Vorbilder) bis zu verminderter Mobilität und einem geringen politischen Engagement. Dieser Zustand wird durch den Umzug von Dienstleistungsunternehmen an andere Standorte aufgrund der geringen Kaufkraft noch verstärkt. Oft haben diese Gegenden ein negatives Image, das durch Medienberichte entsteht, die sich auf Kriminalität und soziale Probleme konzentrieren. Infolgedessen werden die Einwohner dieser Gebiete häufig stigmatisiert, weshalb sie größere Schwierigkeiten haben, eine Arbeit zu finden86.
8.2 Städtische Maßnahmen Als Reaktion auf die Konzentration von Problemen in Stadtteilen wurden in europäischen Städten gebietsbezogene Strategien und Programme entwickelt. Zum Beispiel gibt es gebietsbezogene Programme in Belgien („Politique des Grandes Villes”, seit 1999), Deutschland („Soziale Stadt”, seit 1999), Frankreich („Politique de la ville”, seit 1981), Ungarn („Integrated Urban Development Strategy”, seit 2008), Niederlande („Grote Steden Beleid”, seit 1995), Schweden („storstadspolitiken”, seit 1999) und in Großbritannien („New Deal for Communities”, seit 1998)87. Gebietsbezogene Programme zielen in erster Linie darauf, die soziale Eingliederung und den Zusammenhalt in sozial benachteiligten Gegenden auf integrierte Weise zu fördern. Ihnen gemeinsam ist eine Reihe weiterer Merkmale88: Die horizontale Koordinierung zwischen verschiedenen Sektoren in kommunalen Verwaltungen, die zusammenarbeiten und sektorspezifische Budgets bündeln, um gemeinsam definierte Ziele zu erreichen; Die vertikale Koordinierung zwischen der Programmgestaltung auf nationaler und regionaler Ebene und der kommunalen Verwaltung. Dies wird in der Umsetzung des Programms vor Ort sichtbar;
85. Andersson R. and Musterd S. (2005) Area-Based Policy: A Critical Appraisal; Atkinson (2007) EU Urban Policy: European Urban Policy and the Neighborhood. 86. Häußermann (2003): Armut in der Großstadt. In: Informationen zur Raumentwicklung. 87. Die Europäische Kommission unterstützte und ermutigte Städte dazu, einen gebietsbezogenen Ansatz zu wählen. Dazu wurden verschiedene Programme gestartet, wie die Urban Pilot Projects (1989 - 1999), die Initiativen der Kommission POVERTY III (1989 – 1993), URBAN I (1994-1999) sowie URBAN II (2000-2006). Weitere Informationen finden Sie unter: Carpenter (2006) Addressing Urban Challenges: Lessons from the EU URBAN Community Initiative; Güntner (2007) Sozial Stadtpolitik. 88. Andersson R. and Musterd S. (2005) Area-Based Policy: A Critical Appraisal; Atkinson (2007) EU Urban Policy: European Urban Policy and the Neighborhood.
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Eine integrierte Strategie, die Ziele, Zielsetzungen und Instrumente für die horizontale und vertikale Zusammenarbeit definiert und einen Rahmen für ihre regelmäßige Beurteilung bereitstellt; Eine Strategie die mehrere Akteure einbezieht und die städtische Verwaltungen mit Bürgern, Unternehmern und der Zivilgesellschaft zusammenbringt, um den Stadtteil gemeinsam weiterzuentwickeln; Die Konzentration auf die Befähigung und Einbeziehung der Einwohner bei der Zielsetzung, der Programmbewertung, bei Projektvorschlägen oder bei der Entscheidung über die Ausgabe von Teilen des Budgets; Ein im Vergleich zu einer personenbezogenen Maßnahme oder zu Sanierungsprogrammen relativ geringes Budget, das private Investitionen bezuschusst und häufig eine Mitfinanzierung erfordert; Datensammlung in kleinem Maßstab zur Unterstützung der Auswahl und Beobachtung der Gebiete, worauf sich das Programm richtet. Gebietsbezogene Strategien haben sich in einigen Bereichen als effizient erwiesen und zu positiven Ergebnissen geführt. Diese Programme dienen oft als ‚Versuchslabore‘, in denen neue Formen sozialpolitischen Handelns entwickelt und getestet werden, wie die Beteiligung von Einwohnern, sektorübergreifende Kooperation und Planung innerhalb eines strategischen Rahmens. Der Umfang der gebietsbezogenen Programme wird durch die geografischen Grenzen des Gebiets, auf das sich das Programm bezieht, eingeschränkt. Dies lässt die Befürchtung entstehen, dass Probleme lediglich verschoben werden anstatt sie zu lösen (d. h. die sozial Benachteiligten ziehen aus der Gegend weg, in der sich der Veränderungsprozess vollzieht). Die Wirksamkeit des Programms wird gelegentlich durch die Tatsache geschmälert, dass sich die tatsächlichen Ursachen für die Probleme außerhalb des Stadtteils befinden. Manche wenden ein, es sei schwierig, schon seit langem bestehen-
de Problemkreisläufe mit diesen verhältnismäßig kleinen Programmen, die mit geringen Budgets in relativ kurzen Zeiträumen angesetzt sind, zu durchbrechen. Die Kombination aus gebietsbezogenen und personenbezogenen Strategien bleibt in vielen Städten eine Herausforderung, nicht zuletzt auch weil die entsprechenden Finanzierungsinstrumente oft nicht vereinbar sind. Um jedoch eine wirklich ganzheitliche lokale Entwicklung zu erreichen, müssen beide Strategien gemeinsam umgesetzt werden.
8.3 Wichtige Punkte zur weiteren Überlegung Gebietsbezogene Ansätze haben zum Ziel, verschiedene Strategien zu verbinden (z. B. sozialer Mix, Gebäudesanierung, lokale Wirtschaftsentwicklung, Umweltschutz). Gespräche über gebietsbezogene Ansätze sollten die folgenden Hauptthemen beinhalten: Ermittlung der Faktoren (z. B. Systeme der politischen Verwaltung, Typen von Maßnahmen und Strategien, Möglichkeiten zur Einbeziehung der Gemeinde vor Ort), die wahrscheinlich zu einer Effizienzsteigerung der gebietsbezogenen Programme führen und für bessere Ergebnisse in benachteiligten Gegenden sorgen; Suche nach Möglichkeiten zur besseren Koordinierung gebietsbezogener und personenbezogener Ansätze (z. B. Arbeitslosenhilfe und andere sozialstaatliche Leistungen) sowie die Bündelung und Schaffung von Synergien zwischen den damit verbundenen Finanzierungsströmen; Ermittlung von Folgestrategien für gebietsbezogene Programme, um das Erreichte nachhaltig zu sichern (indem erfolgreiche Ansätze zum Standardverfahren gemacht werden) und anderen Stadtteilen zur Verfügung zu stellen (durch Weitergabe der gemachten Erfahrungen).
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Schlussfolgerungen
Armut und soziale Ausgrenzung sind komplexe und facettenreiche Phänomene. Sie haben verschiedene, oft miteinander verwobene und sich gegenseitig verstärkende Dimensionen. Normalerweise beziehen sie sich auf eine Situation, in der verschiedene miteinander verknüpfte Probleme kombiniert auftreten. Die Mehrdimensionalität von Armut und sozialer Ausgrenzung lassen sich auf individueller Ebene beobachten, wenn eine Person gleichzeitig arbeitslos ist, in einer minderwertigen Wohnung lebt, über geringe Fähigkeiten verfügt und sich in einem schlechten Gesundheitszustand befindet, sowie auf der Gemeindeebene, wenn es in einem gesamten Stadtteil nur eine geringe wirtschaftliche Aktivität und soziale Beteiligung, unzureichende Dienstleistungen, minderwertigen Wohnraum sowie fehlende Kultur- und Freizeiteinrichtungen gibt. Die Städte können viele der tief verwurzelten Ursachen von Armut und sozialer Ausgrenzung nicht steuern, da diese auf nationaler und internationaler Ebene (z. B. globale makroökonomische Entwicklungen) entstehen. Die Städte haben nur wenig Einfluss auf die Struktur der Sozialpolitik, die normalerweise auf nationaler Ebene festgelegt wird. Dennoch können die Städte eine wichtige Rolle spielen bei der Linderung, Vorbeugung und Bekämpfung von sozialer Ausgrenzung und Armut durch flexible und innovative Lösungen auf lokaler Ebene. Dies können Städte tun, indem sie die Maßnahmen zwischen den Ämtern, die mit verschiedenen Aufgabenbereichen betraut sind, besser koordinieren, Partnerschaften mit Nichtregierungsorganisationen, der Privatwirtschaft und lokalen Gemeinschaften und den Bürgern aufbauen sowie die Kooperation mit anderen Verwaltungs- und
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Regierungsebenen, auch mit der nationalen Ebene, verbessern. Einige Städte verfolgen bereits maßgeschneiderte Strategien, die ihnen stärker integrierte und personalisierte Dienst- und Hilfeleistungen ermöglichen (d. h. die Leistungen stärker in die Gemeinden bringen und Bürgerämter/Bürgerzentren schaffen, in denen die Bürger mehrere Dienstleistungen am gleichen Ort erhalten können). Auf der Ebene der Stadtteile gibt es bereits gute Beispiele für Städte, die die Bereiche Bildung, Beschäftigung, Gesundheit und Wohnungswesen besser in ihre sozialpolitischen Strategien integrieren. Eine Politik für eine ganzheitliche lokale Entwicklung, die die physikalischen und sozialen Dimensionen der Stadtentwicklung miteinander verbindet und auf langfristigen, integrierten und koordinierten Strategien beruht, kann zu innovativen Lösungen und Synergien zwischen der Sozial-, Wirtschafts-, Umwelt- und Raumpolitik führen. Eine solche integrierte Politik kann dazu beitragen, die mehrdimensionalen Probleme von Armut und sozialer Ausgrenzung in unseren Städten zu lösen. Die abschließende Hauptbotschaft dieses Dokuments lautet, dass Armut und soziale Ausgrenzung Querschnittsthemen sind, die mehrere Politikfelder betreffen und eine gut integrierte und koordinierte politische Reaktion erfordern. Das Europäische Jahr zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung 2010 bietet den Interessengruppen eine gute Gelegenheit, die Dimension der sozialen Ausgrenzung in dem Politikfeld, in dem sie tätig sind, zu reflektieren sowie bessere Mechanismen zu finden, um die Koordination und Integration der Politik zu verbessern.
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Diese Veröffentlichung wird von dem Gemeinschaftsprogramm für Beschäftigung und soziale Solidarität 2007-2013 – PROGRESS – unterstützt. Dieses Programm wurde geschaffen, um die Realisierung der in der Sozialagenda definierten Ziele der Europäischen Union auf dem Gebiet der Beschäftigung und Sozialpolitik finanziell zu unterstützen. PROGRESS verfolgt dementsprechend die folgenden Ziele: die analytische und politische Beratung auf dem Gebiet der Beschäftigungspolitik und der sozialen Solidarität und Gleichberechtigung von Frauen und Männern; die Überwachung und Dokumentation der Umsetzung von EU-Gesetzen und Richtlinien in Bezug auf Beschäftigung, soziale Solidarität und Gleichberechtigung; die Förderung des politischen Informationsaustauschs, des gegenseitigen Lernens und der gegenseitigen Unterstützung zwischen Mitgliedstaaten in Bezug auf die EU-Ziele und Prioritäten; die Vermittlung von Meinungen von Interessenvertretern und der Gesellschaft im Allgemeinen. Mehr Informationen sind verfügbar auf: http://ec.europa.eu/social/main.jsp?catId=327&langId=de Die in dieser Publikation enthaltenen Informationen repräsentieren nicht unbedingt den Standpunkt oder die Meinung der Europäischen Kommission. Dieser Leitfaden wird Ihnen präsentiert von: Simon Guentner, EUROCITIES Senior Referentin – Soziale Angelegenheiten; Silvia Ganzerla, EUROCITIES Senior Referentin – Soziale Angelegenheiten; Anna Drozd, EUROCITIES Programmreferentin – Soziale Eingliederung PROGRESS; Dirk Gebhardt, EUROCITIES Programmreferent – Migration und Integration; sowie Caroline Greene, EUROCITIES Kommunikationsreferentin – Inclusive Cities. Dieser Text entstand auf Basis der wertvollen Beiträge von 30 Städten aus ganz Europa und dem EUROCITIES Policy Team.
PROGRESS
© December 2009