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Jubil채umsausgabe | 20 Jahre VELOBLITZ | 2009 | CHF 12.-
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Was wäre Zürich ohne die gelb-schwarzen Blitze? Wir gratulieren.
Die Alternative Bank ABS gratuliert der Genossenschaft Veloblitz herzlich zum 20-Jahr-Jubiläum.
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Die Alternative Bank ABS ist Ihre transparente, ganzheitliche Alternative. Sinnvoll und sicher für Ihre Anlage, Ihren Kredit, Ihren Alltag.
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Alternative Bank ABS Leberngasse 17 Postfach 4601 Olten
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EDITORIAL
Liebe Leserinnen, liebe Leser Als Sämi Iseli 1989 in der Küche seiner WG den Veloblitz gründete, hätte niemand von uns geglaubt, dass daraus das grösste Velokurierunternehmen der Schweiz wird. Inzwischen gibt es den Veloblitz seit 20 Jahren. Dieses runde Jubiläum möchten wir zum Anlass nehmen, um Ihnen unseren Betrieb etwas näher zu bringen. Der Veloblitz ist eine genossenschaftlich organisierte Firma. Alle Mitarbeiter können Teilhaber werden und sind dadurch für den Betrieb mitverantwortlich. Der Veloblitz wird daher von allen mitgeprägt, die in der Genossenschaft aktiv sind. Durch Selbstverwaltung und Mitspracherecht ist die Genossenschaft in den letzten 20 Jahren für viele praktisch zur Familie geworden. Dass alle die Leidenschaft für das Velo teilen, ist klar, doch das ist nur der kleinste gemeinsame Nenner. In unserem Magazin Karacho erhalten Sie einen Einblick in die Welt des Veloblitz. Entdecken Sie ganz neue Seiten von uns und unseren Fahrern. Tauchen Sie mit uns in den Grossstadtdschungel ein. Lassen Sie sich von uns in die kasachische Steppe entführen. Stehen Sie mit uns in der Lily’s Homedelivery-Küche. Aktive und ehemalige Veloblitzer sowie viele Freunde haben für dieses Magazin Artikel, Bilder, Essays, Interviews, Glossen, Fotoreportagen und sogar eine Fotoromanze beigesteuert. Lassen Sie sich überraschen. Viel Vergnügen beim Lesen!
Tina Schulze Geschäftsführerin Genossenschaft Veloblitz
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INHALTSVERZEICHNIS
6 LUST UND LAST DER SELBSTVERWALTUNG Armin Köhli
12 AM ANFANG WAR SÄMI Armin Köhli
14 DER KLEINE UNTERSCHIED Armin Köhli
16 WO IST DER VELOBLITZ? Frank Blaser
24 DREI JOBS UND 15 HOBBYS – GESPRÄCH MIT HANNES WÜRGLER Mahmud Tschannen
28 LOVEBLITZ MIT VOLLGAS INS GLÜCK Chris Kerkhof und Frank Blaser
34 MEHR LEISTUNG Karsten Kulik und Lorenz Götte
38 EIN WIRKLICHES ERLEBNIS Franz Hohler
40 „KURIERNOVELLE ODER DER HEIMLICH NOCH ZU ÜBERBRINGENDE SCHLÜSSELBUND DER ANTONIA SETTEMBRINI“ Urs Mannhart
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42 VOM KURIER ZUM TOUR DE FRANCESIEGER Simon Joller
44 HERMES – GÖTTERBOTE, STEH UNS BEI MIT RAD UND TAT! Peter Zangerl
46 DIE ERFAHRUNG DER WEITE Res Blum
60 VELO-CHINA Roland Fischer
66 ZÜRICH IST GEBAUT Roland Munz
70 ZÜRICH BY BIKE Anette Michel
74 GUTZI GEBEN Mahmud Tschannen
76 OHNE SCHWEISS KEIN PREIS Roland Munz
80 TATORT Alois Jauch
90 DIE VIERTAUSENDER PARADE – ZWEI BIKE-TAGE IM VAL D‘ANNIVIERS
92 AUS SCHROTT WIRD SEIT 15 JAHREN KUNST Leto alias Markus Meyle
96 MIT KARACHO IN DIE ZUKUNFT Boris Wagner
98 AM DONNERSTAG IM KEBAB Talaya
100 SWISSCONNECT - DER KURIER, DER MIT DEM ZUG GEHT – SCHNELL UND ÖKOLOGISCH QUER DURCH DIE SCHWEIZ www.textpistols.ch
102 DER „MESSENGER“ VON VELOBLITZ BEWEGT NICHT NUR KURIERE Rolf Burkhardt
104 LILY‘S
Rolf Burkhardt
108 VELOBLITZ JUBILÄUMS KOLLEKTION 113 MITARBEITER, FREUNDE & GÖNNER 114 IMPRESSUM
Simon Joller
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LUST UND LAST DER SELBSTVERWALTUNG Wer’s in den Beinen hat, braucht auch den Kopf
Text: Armin Köhli, Illustration: Hofgrafen
„Der Veloblitz steht kurz vor dem Konkurs. Drastische Massnahmen sind nötig, um den Absturz noch verhindern zu können.“ (2002)*
„Ein Kurierbetrieb ist ein Geschäft wie jedes andere und darum eher langweilig: Umsatzzahlen, Sitzungen, Kundenwünsche, schwierige Mitarbeiter und so weiter.“ Das schreibt Marcel über den Veloblitz. M, wie ihn alle nennen, muss es wissen: Er arbeitet seit 1993 beim Veloblitz, und er hat in diesem Betrieb schon beinahe alles gemacht. Als Kurier gefahren, disponiert, als Kurier gefahren, Aufträge entgegengenommen, als Kurier gefahren. M war Personalchef und Geschäftsführer, jetzt sitzt er im Verwaltungsrat. M müsste es also besser wissen. Dieser Kurierbetrieb ist kein Geschäft wie jedes andere - nicht der Veloblitz! Und langweilig? Der Veloblitz? Sicher nicht für die einzelne Fahrerin, den einzelnen Fahrer, die ständig auf dem Quivive sein müssen. Überhaupt: Kann es in einem selbstverwalteten Betrieb je langweilig werden? Und ausserdem kann selbst so trockener Stoff wie Umsatzzahlen für Dramatik sorgen. So wie vor sieben Jahren. Der Einbruch musste kommen, das war klar. Die neunziger Jahre hatten zwar stetes Wachstum gebracht, und vife Kuriere konnten gutes Geld verdienen. Doch die Konkurrenz durch virtuelle Übermittlung von Dokumenten wuchs noch viel schneller: Innert kürzester Zeit stand in jedem Büro ein Fax, dann folgte E-Mail. Und was gefaxt oder gemailt werden kann, muss nicht mehr per Kurier geschickt werden. Doch Vorkehrungen waren kaum getroffen worden, und plötzlich war die Krise da. M vergleicht den damaligen Veloblitz mit einem Wasserkessel mit hundert Löchern. Man füllt ständig Wasser nach, doch er wird immer leerer. Im März
*Auszüge aus Sitzungsprotokollen
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2002 war der Veloblitz praktisch zahlungsunfähig.
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Drastische Massnahmen wurden in der Krise
Die Krise bringt den entscheidenden Schritt in
ten der Umstrukturierung. „Naiver Führungsstil“
tatsächlich ergriffen. Der Veloblitz kürzte die
Richtung dessen, was Professionalität genannt
ist dann ein noch milder Vorwurf.
Löhne, und reduzierte bei den Telefonisten sogar
wird: Zuverlässigkeit, Kundenfreundlichkeit, ef-
Arbeitsstunden. Auch kleine Einsparungen gab
fiziente Strukturen. Ab 2002 wird der Betrieb
es allenthalben. Den Angestellten wurde „Kaf-
reorganisiert – mit den gleichen Leuten, aber
feegeld“ abgezogen, die Geschäfsleitung um eine
mit verändertem Bewusstsein.
Person verkleinert, und um Gebühren zu sparen
Ein weiteres Novum in der Geschichte des Veloblitz: Mit Tina wird zum allerersten Mal eine Frau als Geschäftsführerin gewählt. (2006)
waren statt 29 nur noch 25 Funkgeräte in Be-
Heute ist die Genossenschaft Veloblitz hierar-
trieb. Der Veloblitz suchte und fand in der Krise
chisch strukturiert, mit einer Geschäftsleitung
aber auch neue Geschäfte: Seither liefern Veloku-
mit weitgehenden Kompetenzen. Sie ist aber
riere die Menüs des Restaurant Lily‘s frei Haus,
weiterhin auch ein eigentlicher Lehrbetrieb.
sie erledigen die interne Post grosser Firmen,
Denn spezifisch ausgebildete Leute sind ange-
sie streuen Werbepostkarten in der ganzen Stadt.
sichts der bescheidenen Löhne nur selten zu
Schon 2004 geht es dem Veloblitz finanziell wie-
finden. So beginnt man in der Regel als Kurier,
Die formelle Selbstverwaltung beschränkt sich
der bestens.
wechselt irgendwann ins Büro, steigt in die Ge-
erstaunlicherweise auf die jährliche Generalver-
schäftsleitung auf, und lernt dort, was es heisst,
sammlung. Dort haben alle Genossenschafter und
einen mittleren Betrieb zu führen. Das schafft
Genossenschafterinnen – also auch alle Kuriere
für die Einzelnen ausgezeichnete Möglichkeiten,
– Stimm- und Wahlrecht. Ansonsten gibt es ge-
sich zu qualifizieren, motiviert sie auch, län-
legentlich Belegschaftssitzungen, die aber reine
gerfristig im Betrieb zu bleiben - führt aber
Informationsveranstaltungen sind und vorab der
auch zu Leerläufen und der Tendenz, Fehler zu
Geschäftsleitung helfen, Entscheidungen vorzube-
wiederholen. Was wiederum Ressentiments und
reiten. In dieser selbstverwalteten Genossen-
Frustrationen zur Folge hat. Leiser Groll, wenn
schaft wird auch eine institutionelle Personal-
das Geschäft läuft, ausdrückliche Klagen in Zei-
vertretung nicht für nötig befunden.
Von aussen gesehen ist ein Velokurier ein unqualifizierter Handlanger. Er muss damit umgehen können, dass ihm das manchmal zu spüren gegeben wird. (2009) *
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„Folgendes habe ich nicht festgehalten: Dreinreden, Überschreien, unsachliches persönlich werden.“ (2003)
Somit gibt es für Beschwerden, Anregungen und Forderungen nur informelle Gespräche - und das feierabendliche Gespräch und Geschwätz, oft unterlegt mit Bier und anderen Stimulanzien. Das Informelle ist der Selbstverwaltung kaum förderlich – jedoch den quasi rituellen gegenseitigen Beschimpfungen: „Wir haben nichts zu sagen, die machen was sie wollen“ (die Fahrer) versus „Die motzen ständig. Aber selber Verantwortung übernehmen will keiner“ (Büro, Geschäftsleitung, Verwaltungsrat). Das tut der Stimmung zwar nicht gut, ist aber nicht weiter schlimm. Denn gilt es einmal ernst, wird sachlich und recht pragmatisch diskutiert. Beispielsweise ist die Frage, ob die Geschäftsleitung vier oder fünf Mitglieder haben soll, nicht primär eine Frage der Konzentration von Macht, sondern auch des Engagements und der Qualifikation. Und nicht zuletzt der auszubezahlenden oder eingesparten Sitzungsgelder. Der Veloblitz hat übrigens ein probates Mittel gefunden, um die Generalversammlung effizient und kurz zu halten: Rauchen, Alkohol und Drogenkonsum sind während der Sitzung verboten. Dafür gibt es danach Freibier, Weisswürste und Kartoffelsalat. Das strittigste Thema anderer selbstverwalteter Betriebe – wer hat die Macht, jemanden zu entlassen? – ist beim Veloblitz gar keines. Die Regelung ist simpel, und sie besteht auch nicht nur auf dem Papier: Bei Verstoss gegen das Arbeitsreglement verwarnt der Personalchef zuerst mündlich, dann verweist er schriftlich, und schliesslich entlässt er. Der Verwaltungsrat amtet als Rekursstelle.
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Durchaus typisch für Alternativbetriebe, die sich
Schichtkombinationen, die genügend Einkommen
oder schwarz sein. „Uniformzwang“ wird diese
im realexistierenden Kapitalismus behaupten
garantieren. Nachmittags als Kurier unterwegs,
Kleidervorschrift im Reglement genannt, und
müssen, und dennoch recht kurios, ist hingegen
abends Lily‘s, und dazu auch noch fixe Touren,
schon sie – liegt es an der Wortwahl? – führt zu
der Veloblitz-eigene Slang: Einzelne Begriffe von
das würde reichen. Nur Lily‘s, aber auch am Wo-
Diskussionen. Manche empfinden diese Vorschrift
Business-Englisch tauchen da mehr oder weniger
chenende, das würde ebenfalls reichen. Manche
als Einschränkung ihrer Individualität. Die Dis-
passend auf, sprachliche Formeln setzen sich in
Kuriere leben mit minimalem Lohn, andere haben
kussionskultur war sehr schlecht, das Protokoll
Köpfen und Papieren fest. So hat die Geschäfts-
einen zusätzlichen Job. Doch der Lohn ist selten
dementsprechend schwierig.
führung bei flacher Hierarchie neuerdings einen
entscheidend, denn Veloblitz ist Leidenschaft: Ei-
Code of Conduct, gespiegelt wird das in einem
nige Veloblitzler fahren weiterhin einen Tag pro
Die Veloblitzler entscheiden dank Selbstverwal-
Funktionendiagramm.
Woche, obwohl sie längst eine andere, gut be-
tung letztlich selber, welchen „Zwängen“ sie sich
zahlte Arbeit haben.
aussetzen. Und weil das jeden und jede direkt
Erstmals in der Geschichte des Veloblitzes können die Löhne regelmässig ausbezahlt und die AHV-Beiträge monatlich beglichen werden. Unser Postcheckkonto ist gesund. (1995)
betrifft, ist die Beteiligung gross, wenn eine entJa, um beim Veloblitz arbeiten zu können, muss
sprechende Abstimmung ansteht. So sorgte ein
man sogar erst einmal Geld ausgeben. Man
solches Traktandum an der Generalversammlung
braucht ein gutes Velo, muss es ständig warten,
2009 für aussergewöhnlich viele Teilnehmer:
Verschleissteile ersetzen. Man fährt in eigenen
Helmpflicht im Veloblitz? Die Meinungen waren
Kleidern. Sportklamotten sind teuer, dazu kom-
längst gemacht, die kurzen Plädoyers deshalb
men Schuhe, manchmal ein Helm, und Winter-
emotionslos und sachlich. Das Resultat fiel so
sachen. Immerhin gibt es das Veloblitz-Trikot
vorhersehbar wie klar aus: 19 Ja, 2 Enthaltun-
gratis. Das Arbeitsreglement schreibt vor, dass
gen, 40 Nein.
Fahrer und Fahrerinnen auf der Strasse und Velokuriere verdienen wenig. Der Lohn reicht
bei Kunden deutlich als Veloblitz-Mitarbeiter
Alle, die beim Veloblitz arbeiten, sind Veloku-
kaum zum Leben, entsprechend selten sind Profi-
erkennbar sein müssen. Obligatorisch ist ein
riere. Das tönt banal, ist es aber nicht. Denn ob
kuriere beim Veloblitz geworden. Es gibt aber
Veloblitz-Trikot, die übrige Kleidung muss gelb
Geschäftsleitung, Dispo, oder Buchhalter: Seit je
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„Nachdem wir die Fahrerwerkstatt drei Mal neu mit Werkzeug ausgestattet haben und dieses wieder verschwunden ist, überlassen wir diesen Bastelplatz nun seinem Schicksal.“ (2007)
fahren alle auch Schichten als Kuriere. Das ist heute zwar etwas weniger strikt als früher; es gibt einzelne, vorab Telefonisten, die praktisch zu hundert Prozent im Büro arbeiten. Aber gerade für die Disponenten ist es unerlässlich, die Stadt nicht nur auf dem Stadtplan zu kennen, sondern aus eigener Erfahrung und ständig aktuell über Verkehrsfluss und Baustellen, über verschlossene Türen und umgezogene Empfangsschalter Bescheid zu wissen. Rund neunzig Männer und dreissig Frauen arbeiten heute beim Veloblitz. Ihnen gehört der Betrieb, sie bestimmen über die grossen Linien der Geschäftspolitik und die kleinen Sorgen, wie den Velohelm. Die einen mehr, die anderen weniger. Aber sie alle prägen den Veloblitz und sorgen dafür, dass es kein „Geschäft wie jedes andere“ ist. Aber M hat damit sowieso nur tiefgestapelt. Etwas ernsthafter nach dramatischen Entwicklungen gefragt, nennt M zwei Tendenzen, mit denen sich der Veloblitz auseinandersetzen muss: - Die spontanen Aufträge für Velokuriere werden immer weniger – aber immer dringender. Deshalb müssen permanent genug Fahrerinnen und Fahrer eingeteilt sein, um diese dringenden Aufträge sofort ausführen zu können. Fast gleichviele Kuriere, aber weniger Aufträge: Die Kuriere verdienen also immer weniger pro Schicht. - Der Veloblitz muss immer häufiger mit einem Autokurier zusammenarbeiten. Die bestehende beinahe symbiotische Zusammenarbeit mit einem
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kleinen Autokurier bewährt sich dabei sehr. Zu-
Traktandum war eigentlich längst abgeschlossen
mal dieser mit seinen umweltfreundlichen Erd-
und das Leitbild verabschiedet, als eine Kurierin,
gasautos auf der ökologischen Linie des Veloblitz
die zu spät gekommen ist – ihre Schicht dauerte
fährt. Dadurch, sagt M, kann der Veloblitz alle
bis in den Abend – noch eine Frage dazu stellt.
Aufträge annehmen, muss aber nicht selber ins
Eine entscheidende Frage. „Da steht, Kundenzu-
Autogeschäft einsteigen. Grössere Transporte per
friedenheit sei das wichtigste Ziel des Veloblitz“,
Velo sind aber durchaus ein Thema: Der Veloblitz
sagt sie. „Doch ist Kundenzufriedenheit nicht eher
hat kürzlich zwei Lastenvelos angeschafft. Eines
Mittel zum Zweck?“ Sind zufriedene Kunden also
davon wird mit einem Elektromotor ausgerüstet.
nicht ein hehres Unternehmensziel, sondern ganz prosaisch die Voraussetzung für zufriedene und
Generell ist eine Unzufriedenheit bei den Fahrern zu spüren, es sollte das Ziel sein, die Zufriedenheit der Fahrer wieder herzustellen, denn mit Zufriedenheit wird alles generell besser. (2003)
anständig bezahlte Velokuriere? Und dann gibt sie sich die Antwort gleich selbst, ganz Veloblitz: „Vielleicht ist das ja gar nicht so wichtig.“
Wie sich der Veloblitz als Betrieb selbst definiert, steht in einem neuen Leitbild, das auf www.veloblitz.ch veröffentlicht ist. Diese Leitbild wurde an der Generalversammlung 2009 diskutiert. Das
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AM ANFANG WAR SÄMI Ein Velo-Freak hatte den Geistesblitz
Text: Armin Köhli, Bild: Tagblatt der Stadt Zürich
1989 ist Sämi Iseli 22-jährig. Kurz vorher hat er die Matur gemacht, an
Wirkung zeigt ein Presseversand. Das „Tagblatt“ bringt am 4. Dezember
der Zürcher Kanti Enge, aber eigentlich ist er ein Richterswiler. Jetzt kennt
einen Artikel samt Bild von Sämi. Schon tags darauf erhält der Veloblitz
er sich langsam aus in der Stadt Zürich. Er verkehrt in der Szene der Par-
dadurch drei Aufträge. Mehr noch als interessierte Kunden rufen aber Leu-
ties und illegalen Bars, wohnt in einer WG im Kreis 5. Schon in Richterswil
te an, die beim Veloblitz arbeiten wollen. Susanne und Christina sind also
hat er sich politisch engagiert – vor allem velopolitisch. Das Velo ist auch
befreit, und die ersten angestellten Veloblitze unterwegs: Basil und Tomi.
in Zürich sein zentrales Anliegen: Was tun, um das Velo zu fördern, zum
Das Büro befindet sich in Sämis WG-Zimmer; er hat von der damaligen PTT
Verkehrsmittel Nummer 1 in der Stadt zu machen? Was tun ausser Veran-
eine zweite Telefonleitung installieren lassen. Wenn er verschläft, weckt
staltungen, die nur jene erreichen, die eh schon bekehrt sind?
ihn der Anruf des ersten Kunden. Die WG-Küche dient den Kurieren als Aufenthaltsraum. Kommuniziert wird mit den Vorläufern der Mobiltelefonie.
Im Veloblättchen „Katzenauge“ liest Sämi über einen geplanten Transport-
Der Disponent piepst die Kuriere per Pager an, und diese, ausgerüstet mit
dienst per Velo, er geht zum ersten Treffen, doch das Projekt versandet. Er
einer Taxcard, rufen von der nächsten Telefonkabine aus zurück.
verbringt eine Zeit in Hamburg, wohnt bei einem Zürcher Freund, der dort als Velokurier arbeitet. Der sagt ihm: Mach das in Zürich auch! Und Sämi macht. Er will es zumindest probieren. Er stellt ein paar Tarifberechnungen an, besucht auch den Velokurier Luzern, der eben erst gegründet worden ist. Als er bei der Zürcher Kantonalbank nach einem Kredit für die Firmengründung fragt, lacht ihn der Banker aus. Sein Vater hilft ihm mit einem
Den Veloblitz zu gründen habe nichts Geniales gehabt, sagt Sämi Iseli. Er sei einfach mutig und unbefangen gewesen.
Darlehen von 5000 Franken. Ausgerechnet im November soll es losgehen mit dem Veloblitz. Das Novemberwetter spielt keine Rolle. Sämi hat einfach seine Sommerferien
Zwei Jahre lang wird so gearbeitet, doch das System ist teuer. Jeder
schon verplant gehabt. Das Wintersemester an der Uni will er ausfallen
Anruf von einer Kabine kostet vierzig Rappen. Eine eigene Funklizenz ist
lassen. Andere Leute, die das Risiko eines solchen Betriebes eingehen
schliesslich effizienter und günstiger. Das fünftonige Erkennungszeichen
wollen, hat er nicht gefunden. Mindestens zu dritt müssen sie aber sein:
des Veloblitz-Funkes heisst bis heute „Saemi“. Das entsprang aber nicht
Zwei, die fahren, und einer im Büro, um die Aufträge entgegenzunehmen
Sämi Iselis Eitelkeit, sondern wurde vom Bundesamt für Kommunikation
und zu verteilen. Das klappt schliesslich auch. Am 6. November 1989
mit Feingefühl so zugeteilt. Verrechnet werden die Fahrten pro Kilometer;
beginnt der Veloblitz mit Sämi Iseli und zwei Freundinnen, die ihm die
gemessen werden die Distanzen mit dem Massstab auf dem Stadtplan.
ersten paar Tage helfen wollen. Susanne und Christina fahren die ersten
Finanziell bleibt es in den Anfangsjahren eng, doch grosse Schulden häu-
Veloblitz-Aufträge mit ihren Dreigängern durch die Stadt.
fen sich nie an, und Aufwand, Ertrag und Löhne wachsen gleichmässig.
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Nach zwei Jahren ist klar: Es funktioniert! Sämi, der nicht sein Leben lang Velokurier bleiben will, wandelt seine Einzelfirma in eine Genossenschaft um. Dadurch sollen auch andere Verantwortung übernehmen, und das passt auch ins politische Umfeld der damals boomenden Selbstverwaltung. Genossenschafter werden alle etwa zwanzig Kuriere. Nach sieben Jahren zieht sich Sämi ganz aus dem Veloblitz zurück. Er bleibt bis heute Veloblitz-Genossenschafter. Genossenschaft und Selbstverwaltung seien auch im Rückblick die beste Lösung gewesen, sagt Sämi Iseli heute. Attraktiv, und dazu noch gut fürs Image. Er meint aber auch: „Daran kaut der Veloblitz immer noch – es gibt einfach keinen ‚Patron‘. Das führt zu Reibereien und Friktionen.“ Den Veloblitz zu gründen habe nichts Geniales gehabt, sagt Sämi Iseli. Er sei einfach mutig und unbefangen gewesen – und relativ leichtsinnig. „Der Veloblitz hat komplett in mein Weltbild gepasst. Ich wollte etwas Gutes tun. Das Velo fördern, und beweisen, dass das Velo auch kommerziell nutzbar ist. Und spannend war es auch.“
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DER KLEINE UNTERSCHIED Welcher Lohn für welche Arbeit?
Text: Armin Köhli, Illustration: Hofgrafen
Die Frage nach dem „gerechten“ Lohn stellt sich im Veloblitz nicht. Dafür
am Umsatz als Männer – wohl in der irrigen Annahme, dass Frauen nicht
sind die Löhne schlicht zu tief. Was sich aber drängend stellt, ist die Frage
gleich schnell Velo fahren können. Dabei gehören und gehörten Frauen
nach der gerechten Verteilung dessen, was zu verteilen ist. Der Veloblitz
schon immer zu den Meistverdienenden, denn Kurieraufträge schnellst-
kennt drei Arten von Löhnen: Umsatzbeteiligung, Stundenlohn, Fixlohn. Die
möglich zu erledigen, ist gewiss nicht nur eine Frage der Muskelkraft.
eigentlichen Velokuriere erhalten in der Regel 41 Prozent ihres Umsatzes.
Im Zuge von Sparmassnahmen wurde diese positive Lohndiskriminierung
Damit verdienen die meisten knapp 20 Franken pro Stunde. Wer im Büro
schliesslich elegant abgeschafft. Andere Lohnmodelle haben sich auf lan-
arbeitet oder das Büro putzt, erhält je nach Arbeit einen Stundenlohn von
ge Sicht auch nicht bewährt. So gibt es einen Bonus für Vielfahrer – doch
25 oder 27 Franken. Wer fixe Fahraufträge ausführt, etwa den Hauslie-
es hat sich gezeigt, dass jene, die viel fahren, nicht automatisch bessere
ferdienst des Lily‘s, erhält ebenfalls einen Stundenlohn von 23 bis 26.50
Kuriere sind. Dieser Bonus soll nun abgeschafft und dafür der Umsatz-
Franken. Wer feste, immer gleich bleibende Touren fährt, erhält einen fixen
anteil für alle erhöht werden. Sicher ist: Auch dieses System wird wieder
Betrag pro Tour, egal wie schnell oder langsam er die Tour ausführt.
geändert werden.
Benachteiligt fühlen sich die meisten. Und alle haben ihre Argumente. So
Auch die Kuriere untereinander sind sich nicht einig. Periodisch fordern
vergleichen die Leute in der Administration ihre Löhne mit den Kaderlöh-
viele Kuriere einen fixen Stundenlohn - wogegen sich andere wehren, die
nen in anderen Betrieben. Oder erfahrene und gut ausgebildete Vierzig-
einen hohen Umsatz erzielen und mit dem jetzigen System relativ viel
jährige beklagen sich, dass zwanzigjährigen Studenten den gleichen Lohn
verdienen. Gegen einen Stundenlohn für Kuriere sind meistens auch die
erhalten. Andererseits finden viele Kuriere: Wir machen den Knochenjob
Disponenten: Aus ihrer Sicht führt ein fixer Lohn zwingend zu langsameren
auf der Strasse, wir sind der eigentliche Veloblitz, aber die im Büro verdie-
Velokurieren.
nen mehr als wir. Wo doch der Anteil der administrativen Kosten sowieso ständig zunimmt.
Doch in einem sind sich alle einig: Das gemeinsame Ziel heisst Lohnerhöhung.
Die Löhne sind über all die Jahre permanent Thema. Das Lohnsystem wird dauernd angepasst. Früher etwa erhielten Frauen einen höheren Anteil
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„Benachteiligt fühlen sich die meisten. So vergleichen die Leute in der Administration ihre Löhne mit den Kaderlöhnen in anderen Betrieben. Oder erfahrene Vierzigjährige beklagen sich, dass zwanzigjährige Studenten den gleichen Lohn erhalten.“
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Zum Stadtbild von Zürich gehören auch die Kuriere des Veloblitz. Auf den folgenden Bildern muss man allerdings genau hinsehen, um sie zu entdecken. Machen Sie sich auf die Suche! Auflösung auf Seite 112. Fotos: Frank Blaser, Illustration: Hofgrafen
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Eine Form, in der Stadt
begleiten
dann
man sich dem anver-
ne
mit
Stadt kein Naturereig-
zu direkten Erlebnis-
wie eine Fata Morga-
traut, wird man nur
ruckartigem Anheben
nis ist, sondern etwas,
sen zu kommen, ist für
na sofort wieder ver-
gerade zweimal über
des
wie
das wir beeinflussen
mich das Radfahren.
schwinden, wenn man
eine grosse Strasse
ein Radballprofi, und
könnten - wenn wir
Ich wohne in Oerlikon,
sie wirklich brauchen
getrieben, auf welcher
kurz vor der Kreuzung
wollten. Ð
und wenn ich Abma-
könnte, zum Beispiel
der Autoverkehr wie
wieder zwischen zwei
chungen in der Stadt
nach dieser Kreuzung,
ein Wildbach daher-
stockenden oder krie-
habe, zu denen ich
wo man sich dann
rauscht, allerdings ein
chenden
nicht gerade das Cello
hinter eine Art Pfahl-
Wildbach, der hinunter
rechts hineinschlüpfe,
mitnehmen muss, setz
provisorium
schwin-
und hinauf gleichzeitig
wenn ich dann beim
ich mich gewöhnlich
delt, das nun schon
rauscht, das ist eben
Pfauen
aufs Velo, und wenn
so lange dasteht, dass
die städtische Varian-
steige, auf die Uhr
ich auf meinem Ein-
man
Verdacht
te, und wenn ich dann
schaue und sehe, dass
undzwanziggänger
nicht los wird, es sei
aus der Sonneggstras-
ich mit dem Tram zehn
beim Milchbuck vor
zu unserm Schutz er-
se in die Winterthurer
Minuten länger gefah-
den Ampeln zwischen
richtet worden, müsste
Strasse einbiege und
ren wäre, vom Auto
zwei Lastwagen ste-
man nicht eine halbe
wieder so ein Stück-
gar nicht zu sprechen,
he, von denen einer
Minute später wieder
lein Gelb am Boden
dann habe ich den
geradeaus weiter will
raus und sich kühn
sehe, das aber merk-
Eindruck,
und der andere rechts
über zwei Spuren nach
würdig
beim
wirklich etwas erlebt,
in den Tunnel, wenn
links
Universitätsspital wie-
und ich fühle mich
ich da stehe auf ei-
geln, zwischen
Lie-
der verschwindet, und
vielleicht etwa so wie
nem dieser rührend
ferwagen, Motorrädern
dann die Rämistrasse
ein Senn, der mitten
hingepünktelten
gel-
und Hochzeitsbussen,
hinabsteche und mir
in einem Gewitter eine
Radstreifchen,
weil man in den gros-
überlege, ob ich die
verirrte Kuh zurückge-
die manchmal ganz
sen Velokanal einbie-
Autokolonne
rechts
holt hat - der Unter-
überraschend am Bo-
gen will, der einen
oder links überholen
schied wäre einfach
den auftauchen, einen
von Zürich Nord zur
soll und dann links
der, dass das Ver-
ein paar Meter weit
Uni
über die Tramschie-
kehrsgewitter in der
ben
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den
und
hinüberschlän-
bringt
-
wenn
nahe
balanciere Vorderrads
Stosstangen
vom
ich
Sattel
hätte
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DREI JOBS UND 15 HOBBYS – GESPRACH MIT HANNES WÜRGLER Typische Velokuriere gibt es eigentlich nicht. Vollzeitfahrradkuriere sind eher selten. Die allermeisten haben mehrere berufliche Schwerpunkte – und einige eine Familie dazu: Hannes Würgler erzählt im Gespräch mit Karacho, wie er seine drei Jobs als Velokurier, Musiker und Hausmann unter einen Hut bringt. Als langjähriger Veloblitzler wirft er auch einen humorvollen Blick auf die frühen Jahre des Betriebs zurück. Text: Mahmud Tschannen, Foto: Marcel Bircher
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Warum hast du vor 15 Jahren ausgerechnet beim Veloblitz angefangen
Hast du zurzeit eine eigene Band? Eine in der du fix drin bist?
zu arbeiten?
Da gibt es ein paar. Zum Beispiel die Band meiner Frau, die unter ihrem
Ich habe eine Teilzeitarbeit gesucht, bei der ich flexibel bin. Dann habe ich
Namen läuft: Sabine Fiegl. Es sind Singer-Songwriter-Sachen. Wir haben
per Zufall jemanden getroffen, den ich kannte und der beim Veloblitz ge-
schon drei CDs in New York aufgenommen. Mit dieser Band haben wir ein
arbeitet hat. Ich habe ihn beim Milchbuck herumkurven gesehen und mich
paar Auftritte im Jahr. Das genügt natürlich nicht, um davon zu leben.
gefragt, was er da macht. Als ich ihn später nochmals getroffen habe,
Dann gibt es noch die Shaking Piranhas, eine Ska-Party-Band.
habe ich mit ihm darüber gesprochen. Er fand, ich soll mal vorbeikommen,
Ausserdem bin ich Teil eines Trios, das unter dem Namen Kurt Acker-
der Job sei cool. Er selbst war ein Quereinsteiger, der vorher nicht gross
mann läuft. Wir spielen vor allem Pop-Rock-Covers. An Privatfesten und
Velo gefahren ist. Nur für den Normalgebrauch, so wie ich auch.
in einem kleinen Klub an der Limmatstrasse, im Westside. Dort haben wir seit Januar 2008 schon 56 Mal gespielt, jeden Donnerstag. Wir sind quasi
Was hast du vor dem Veloblitz gemacht?
Hausband. Und da hat es noch eine lustige Band, bei der ich manch-
Vor dem Veloblitz habe ich Teilzeit in einem Musikgeschäft gearbeitet. Dort
mal aushelfe, die heisst „Led Airbus“, das ist eine Led-Zeppelin-Tribute-
hat man leider feste Arbeitszeiten, auch samstags und abends. Das ist
Band. Die brauchen nämlich grundsätzlich zwei Schlagzeuger. Einer alleine
meiner Tätigkeit als Musiker von den Zeiten her in die Quere gekommen.
schafft das nicht. Nach einem Konzert braucht man eine Auszeit. Das ist
Das wurde mir zu mühsam. Es war eigentlich der Grund, weshalb ich
schwere körperliche Arbeit. Fix bin ich noch bei Doris Ackermann, das ist
etwas anderes gesucht habe. Das es aber ausgerechnet der Veloblitz war,
eine Country-Folk-Pop-Band.
war ein Zufall.
Die Liste lässt sich noch beliebig erweitern, ist aber schlussendlich nicht so spannend. Doch: Blues Pack gibt es noch. Wir spielen modernen Blues,
Musik war also schon damals ein wichtiger Teil deines Lebens?
der mit Funk angereichert ist. Das sind Winterthurer. Aber auch das sind
Ich habe eigentlich immer in verschiedenen Bands gespielt. Das mache ich
höchstens fünf bis sechs Konzerte im Jahr. Also nicht der Wahnsinn. Aber
jetzt noch. Und zwar querbeet. Vor dem Veloblitz war ich zwei Jahre beim
da bin ich auch dabei.
Cats-Musical in Oerlikon Schlagzeuger. Nach diesem Engagement bin ich zuerst in den Musikladen und danach zum Veloblitz arbeiten gegangen. Hast du nie daran gedacht zu unterrichten? In der Schweiz geben 90 Prozent der Musiker Stunden. Dort hat es bei mir immer geharzt. Ich habe es ein paar Mal probiert, musste aber irgendwann einsehen, dass das nicht mein Ding ist. Tja, und dort verdienen die meisten
Beim Veloblitz arbeite ich 20,5 Stunden, das sind ungefähr 50 Prozent. Hausmann bin ich an zwei Tagen in der Woche, also zu 40 Prozent. Musik mache ich an zwei bis drei Abenden pro Woche.
Musiker halt ihr Geld. Schüler zu unterrichten, die sonst noch ins Karate, Kung Fu oder im Fussballclub sind und keine halbe Stunde in der Woche Zeit haben, um zu üben, das hat mich ziemlich frustriert als Lehrer. Ich fahre lieber Velo. So wurde der Veloblitz halt mein Nebenerwerb. Das deckt
Dein Engagement in der Musik hört sich recht gross an. Wie machst du das
meine Fixkosten. Im Gegensatz dazu ist das Musikersein einfach zu wech-
neben dem Vatersein und dem Kurierjob?
selhaft. Manchmal läuft es gut und im nächsten Monat kann es sehr wenig
Die Auftritte sind meistens am Wochenende, ausser dem fixen Donner-
zu tun geben. Da schaut man halt in die Röhre. Und um das abzufedern
tagsgig. Das ist halt immer Abendarbeit. Darum geht es eben sehr gut am
ist der Kurierjob ideal.
anderen vorbei. Moritz ist jetzt neun, geht in die dritte Klasse, Leo ist sechs und im zweiten Kindergarten. Wir haben es bis jetzt eigentlich immer ohne
Du hast gesagt, dass du querbeet in verschiedenen Bands warst. Wie muss
Krippe geschafft. Meine Frau und ich können uns wie bei einem Puzzlespiel
man sich das vorstellen?
gegenseitig ergänzen. Sabine ist Gesangslehrerin an zwei Musikschulen
Ja, das war schon immer so. Einerseits spiele ich fest in verschiedenen
und arbeitet an drei Tagen jeweils vom Nachmittag an in den Abend hinein.
Bands und anderseits gibt es immer wieder Bands bei denen ich aushelfe,
Ich arbeite montags und dienstags am Morgen. Sie geht, sobald ich nach
wenn ihr Schlagzeuger ausfällt. Ich lerne ihre Stücke ziemlich schnell,
Hause komme. Wir machen an diesen zwei Tagen sozusagen einen fliegen-
mache ein, zwei Auftritte mit ihnen. Das ist aber auch schon alles. Dann
den Wechsel. Mittwochs bin ich ganztags Hausmann. Und Sabine ist den
haben sie wieder ihre eigenen Leute. Als Abwechslung ist das auch sehr
ganzen Tag in Winterthur am Konservatorium. Donnerstag ist dann ihr Tag
spannend. Das lief eigentlich auch immer gut. Ansonsten spiele ich in
und ich bin den ganzen Tag im Veloblitz. Freitag ist auch gemischt. Sie ist
Rock-, Pop-, Jazz-, Country- oder Cover-Bands. Bis vor kurzem war ich
in der Regel am Abend zuständig, weil ich irgendwo spiele.
wieder Schlagzeuger bei einem Musical in Bülach, das hiess „Storm“. Die
Diese Aufteilung hat sich mit den Kindern einfach so ergeben. Bei einer
sind leider Konkurs gegangen. Vier Wochen haben wir gespielt. Es hätten
Krippe hätten wir zwar beide gleichzeitig arbeiten können, einer von uns
zwei Monate werden sollen. – Das erzähle ich nur, um zu zeigen, wie un-
hätte aber schlussendlich nur gearbeitet, um die Krippe zu bezahlen. Und
berechenbar die ganze Musikszene ist. Ich bin froh, dass ich ein Standbein
wenn mal jemand krank ist, springen meine Eltern oder meine Schwieger-
habe, wie den Veloblitz. Wo ich weiss, dass Geld regelmässig reinkommt.
mutter ein. Wir haben ein funktionierendes Netzwerk.
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Wohnen die Grosseltern alle in Zürich?
Jetzt noch ein Blick zurück: Du bist seit 15 Jahren Velokurier. Wie war der
Nein, im Zürcher Oberland. Mein Vater hat aber ein Büro in Zürich. Alle Gros-
Veloblitz früher?
seltern sind schon pensioniert. Und sonst haben wir Babysitter. Bisher hat es
(Lacht) Zum Beispiel wurde Lohn selten ausbezahlt, da sich alle den
immer gut geklappt. Und jetzt sind die Kinder grösser und können auch Mal
ganzen Lohn schon im Voraus auszahlen liessen. Als ich mich das ers-
kurz alleine zu Hause sein. Ein wichtiger Punkt ist sicher auch, dass wir das
te Mal nach meinem Lohn erkundigt habe, waren die Verantwortlichen
Glück hatten, dass wir unseren älteren Sohn an einer Tagesschule unterbrin-
erstaunt, dass ich noch nichts vorbezogen hatte. Aber das ist eher eine
gen konnten. Es gibt leider nicht so viele in der Stadt. Wir dachten nicht, dass
lustige Anekdote.
er rein kommt. Wir mussten ihn anmelden und es hiess, dass am Schluss das
Über die letzten 15 Jahre ist der Veloblitz viel grösser geworden. Es hat
Los entscheidet. Am Info-Abend waren 300 Eltern und wir glaubten nicht,
viel mehr Leute. Am Anfang ist man auf den Sofas gesessen und es waren
dass wir wirklich eine Chance haben. Aber er wurde aufgenommen. Das Gute
immer die gleichen 18 Nasen, die das Ding geschaukelt haben. Es gab
ist, dass der Kleine jetzt auch automatisch in die Tagesschule kann. Ge-
ein paar Vielfahrer und ein paar, die man etwas seltener sah. Heute ist es
schwisternachzug heisst das. Für uns ist das eine ziemliche Erleichterung.
viel schwieriger, die Übersicht zu behalten. Viele Leute sind schon wieder weg, bevor du ihren Namen kennst. Handkehrum ist vieles professioneller geworden: Abrechnungen, Versicherungssachen, Vorsorge. Früher war das
Zum Beispiel wurde Lohn selten ausbezahlt, da sich alle den ganzen Lohn schon im Voraus auszahlen liessen.
ziemlich hanebüchen. Da hat sich schon einiges geändert. Aber grundsätzlich hat sich die Ertragslage insgesamt ziemlich verschlechtert. Ich durfte noch die goldenen Jahre des Velokuriergeschäfts miterleben. Die fetten. Das war 1996-99. Da wurde ein Kurier bestellt, weil irgendwo im Gebäude ein Brief lag. Egal ob er dringend war. Oder Fotos. Wenn irgendein wichtiger Anlass bevorstand, haben wir von den Agenturen die Dias geholt und den Medien gebracht und wieder zurücktransportiert. 1999 fing das
Jetzt auf den ganzen Monat geschätzt, wie teilen sich deine drei Jobs pro-
mit den digitalen Daten an. Dann ging es rapide abwärts. Früher war die
zentual ungefähr auf?
Konkurrenz auch viel kleiner.
Beim Veloblitz arbeite ich 20,5 Stunden, das sind ungefähr 50 Prozent.
Aber der Job an und für sich ist der gleiche geblieben: Du holst etwas und
Hausmann bin ich an zwei Tagen in der Woche, also zu 40 Prozent. Musik
bringst es vorbei. In wievielen Versionen kann man das durchspielen? Der
mache ich an zwei bis drei Abenden pro Woche. Das sind jeweils sechs bis
Job ist einfach und eignet sich auch für andere Leute, die Teilzeit arbeiten
sieben Stunden pro Job. Es kommt darauf an, wo das Konzert ist.
wollen, etwa Studis. Er ist flexibel und man kann mehr arbeiten, wenn man Zeit hat. Wo kann man das sonst? Ein paar Monate vier Mal pro Woche und
Hast du daneben noch Zeit für etwas anderes?
dann wieder nur ein Mal? Vielleicht im Gastgewerbe.
Ja, ja sehr viel. Ich habe noch etwa 15 Hobbys. – Nein, im Ernst, die Woche
Und Gore-Tex. Die ersten Veloblitz-Nylonjacken waren legendär. Im Regen
ist recht voll. Ab und zu habe ich auch noch Proben, die ich zum Glück auf
waren die in drei Sekunden nass und hingen an einem wie ein Sack. Zum
einem Minimum halten kann. Aber nächste Woche beispielsweise probe ich
Glück war das bald vorbei. Ich kann mich an den ersten Winter erinnern.
einen ganzen Tag mit einem Gospelchor. Da muss ich ein ganzes Programm
Da hatte man lange Unterhosen an und Zeitungen unter die Kleidung ge-
einstudieren. Das kommt aber höchstens zwei, drei Mal im Jahr vor.
stopft. Wenn man von Witikon runterfuhr, hatte man das Gefühl, es bläst
Aber sonst liegt nicht wirklich viel drin. Ein Hobby, das ich noch habe,
direkt rein. Bei minus 10 Grad. Bei den Klamotten hat es wirklich einen
ist Bergsteigen. Seit ich Kinder habe, ist das sehr schwierig. Einfach zwei
Quantensprung gegeben.
Tage in die Berge gehen zu können, kommt sehr selten vor. An den Wochenenden geht es mir oft nicht und sonst ist das Wetter schlecht, wenn
Hannes, danke für das Gespräch.
man gerade abgemacht hat. Das klappt schlussendlich ein, zwei Mal im Jahr. Aber, wenn die Kinder einmal grösser sind und ich dann noch mag, dann... Sonst gehen wir halt wandern und geniessen das Essen. Aber, wie gesagt, grundsätzlich ist die Woche voll. Es gibt zu Hause immer etwas zu tun. Wäsche, die herumliegt usw. Gibt es trotz der guten Organisation nie Stress? Nein. Es geht erstaunlich gut. Ausser etwas Unvorhergesehen passiert. Wie letzte Woche. Da hiess es im Kindergarten hätten sie Standortbestimmung der Schule und die Kinder hätten den ganzen Donnerstag frei. Das ist ausgerechnet der Tag an dem wir beide arbeiten. Da rotiert man halt herum, um jemanden für die Kinder zu finden. Manchmal sieht man es früher auf den Zetteln, die die Kinder mitbringen, manchmal halt später.
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Fotos: Chris Kerkhof und Frank Blaser, Text und Installation: Hofgrafen
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MEHR
LEISTUNG Velokuriere als dankbare Versuchskaninchen
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Text: Karsten Kulik und Lorenz Götte, Illustration: Hofgrafen
Viele Velokuriere in Zürich gehen ausser ihrem Kurierjob auch einem Studium nach. Zwei ehemalige Veloblitzler, Karsten Kulik und Lorenz Götte konnten beide Tätigkeiten für ihre Diplom-, bzw. ihre Doktorarbeit verknüpfen, indem sie ihre Arbeitskollegen zu Studienobjekten machten. Über den Veloblitz und seine Kuriere entstanden so zwei interessante Forschungsarbeiten, deren Resultate teilweise internationale Aufmerksamkeit erhielten.
Mehr Leistung dank gezieltem Training der Atmungsmuskulatur Der Biologe Karsten Kulik untersuchte die Auswirkungen eines vierwöchigen Ausdauertrainings der Atmungsmuskulatur. Seine Studie mit Velokurieren als Probanden entstand in Zusammenarbeit mit Michael McMahon vom Sportphysiologischen Institut der ETH / Uni Zürich und wurde in den Jahren 1997 und 1998 durchgeführt.
Um die Wirkung des Trainings nachzuweisen, absolvierten alle Kuriere in einer ersten Phase eine Reihe von physiologischen Tests. Dadurch wurde eine Vergleichsbasis geschaffen. Diese Tests massen Lungenvolumen, Lungen-Vitalkapazität, Atmungsausdauer, Fahrradkraftausdauer, das maximale Sauerstoffaufnahmevermögen, Laktatwerte und weitere atmungsphysiologische Werte.
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MEHR LEISTUNG In der zweiten Phase wurde die Atmungsmuskulatur vier Wochen lang mit
Neben diesem Kurier mit Spitzenwerten bezüglich Sauerstoffaufnahme zeig-
einem kleinen Apparat täglich 30 Minuten lang trainiert. Der Apparat er-
ten einige seiner Kollegen ebenfalls aussergewöhnliche Messwerte an bei-
möglichte es, hohe Volumen pro Minute zu atmen. Durch diese Hyperventi-
den Enden der Skala. Die Werte reichten vom olympischen Athleten bis zum
lation wurde die Atmungsmuskulatur ermüdet, respektive trainiert. Schwin-
Kurier, dem man über die Strasse helfen möchte.
delgefühle durch das Hyperventilieren wurden dadurch verhindert, dass die Trainingsapparatur Kohlendioxid in der Atemluft anreicherte und so dessen
Mehr Leistung dank finanziellem Anreiz
Konzentration im Blut konstant hielt.
Velokuriere zeigten auch interessante Resultate in einer Studie zur Verhaltensökonomie. Lorenz Götte, inzwischen Professor für Ökonomie an der
Nach dieser vierwöchigen Trainingsperiode wurden in einem letzten Schritt
Universität Genf, führte seine Studie im Jahr 2000 als Assistent am Institut
die gleichen physiologischen Tests durchgeführt wie in Phase eins. Die Re-
für Empirische Wirtschaftsforschung der Universität Zürich durch. Mit dem
sultate waren eindeutig: Die Probanden wiesen eine verbesserte Atmungs-
Velokurier als Studienobjekt konnte er sogar eine wichtige Wissenslücke in
ausdauer auf. Interessanterweise fand sich keine Änderung der übrigen
der Arbeitsmarktökonomik schliessen.
Parameter. Die Annahme, dass es durch eine verbesserte Atmungsausdauer auch zu einer Verbesserung der Fahrradkraftausdauer und zu einem erhöh-
Aus Sicht der Arbeitsmarktökonomik war die Ausgangslage klar: Wenn mehr
ten Laktatmetabolismus kommen könnte, bestätigte sich nicht.
Lohn bezahlt wird, arbeiten Menschen mehr. Doch trotz aller Klarheit der Aussage, ist es erstaunlich schwierig sie empirisch zu belegen. Die typi-
Obwohl die Untersuchung der Kurierpopulation wie zu erwarten zeigte, dass
schen Datenquellen sind voller Messfehler bezüglich Löhne und Arbeitsstun-
Velokuriere äusserst geeignete Versuchobjekte für eine solche Untersuchung
den. In vielen Berufen ist es gar nicht möglich, mehr zu arbeiten, wenn die
darstellen, waren ein paar Ausreisser bemerkenswert. So gab es beispiels-
Löhne steigen, obwohl man das vielleicht möchte. Kurz: Empirische Studien
weise einen Kurier, der 92 Milliliter Sauerstoff pro Kilogramm Körpergewicht
mit konventionellen Datenquellen stossen schnell an ihre Grenzen.
pro Minute aufnehmen konnte und somit einen sehr hohen maximalen aeroben Wert aufwies. Die maximale Sauerstoffaufnahmekapazität dient als
Wie sich zeigte, sind ökonomische Daten von Velokurieren hingegen hervor-
Indikator für das Ausdauerpotenzial eines Menschen. Dieser Proband wies
ragend geeignet, um den Zusammenhang von Lohn und Leistung zu untersu-
mit diesen 92ml mehr Potenzial auf als Lance Armstrong (85ml) oder Jan
chen. Kurierfirmen führen genau Buch über die Arbeitsschichten. Zusätzlich
Ullrich (89ml).
stehen weitere, interessante Werte wie die Produktivität von Kurieren (Um-
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satz pro Schicht) zur Verfügung. Aus diesem Grund machte Lorenz Götte, in
quantitative Seite ist erstaunlich: Bei einem durchschnittlichen Monats-
Absprache mit seinem Professor, dem Veloblitz folgendes Angebot: Während
umsatz von 3500 Franken entsprach dies einer Erhöhung des Umsatzes
8 Wochen sollten im Veloblitz den Fahrern die Löhne erhöht werden. In den
von knapp 30 Prozent und dies bei einer Lohnerhöhung von 25 Prozent.
ersten vier Wochen erhielten alle Fahrer mit ungerader Fahrernummer 10
Die Stärke der Reaktion, die dank der Kooperation mit Veloblitz gemessen
Prozentpunkte mehr Umsatzprovision, in den nächsten vier Wochen alle
werden konnte, ist bis heute ein Weltrekord unter vergleichbaren wissen-
Fahrer mit gerader Fahrernummer. Lorenz Götte bekam im Gegenzug alle
schaftlichen Untersuchungen.
Daten (Umsatzzahlen usw.) über diesen Zeitraum für seine Studie. Nach breite Zustimmung ab. Eine Erhöhung der Provision von rund 40 Prozent auf
Einmal Velokurier, immer Velokurier? Eine Anekdote von Lorenz Götte
50 Prozent hatte halt ihren Reiz.
Während meiner Tätigkeit als Senior Economist an der Federal Reserve Bank
anfänglicher Skepsis unter der Fahrerschaft zeichnete sich dann doch eine
of Boston hatte die mit der Sicherheit des Gebäudes betraute Polizei grosse Mühe, mich als Angestellten der Bank zu erkennen. Der Grund: Obwohl sich
Mit dem Velokurier als Studienobjekt konnte sogar eine wichtige Wissenslücke in der Arbeitsmarktökonomik geschlossen werden.
alle, die das Gebäude betraten, einer Kontrolle beim Eingang unterziehen mussten, wurden Fahrradkuriere besonders gründlich untersucht. Sie wurden genauestens registriert und mit einem leuchtenden Kleber versehen, auf dem gross „VISITOR“ stand. Mir ging es sehr oft wie den Kurieren. Das hatte weniger mit meiner Kleidung als vielmehr mit der Tatsache zu tun, dass ich mit dem Velo zur Arbeit
Die Ergebnisse aus dem Experiment sprechen für sich: Die Abbildung zeigt
fuhr. Dafür wurde ich nicht nur von den Polizisten ungläubig angestarrt. Vor
die Umsätze der Fahrer während der Untersuchung. Die Kurve zeigt, dass
dem 32-stöckigen Hochhaus der Federal Reserve Bank gab es dementspre-
beide Gruppen zu Beginn einen ähnlichen Einsatz brachten. Als der Lohn
chend auch nur einen einzigen Veloständer für fünf Velos – und Platz hatte
einer Gruppe erhöht wurde, waren plötzlich grosse Unterschiede zu beo-
eigentlich immer.
bachten. Fahrer, die in den ersten 4 Wochen eine höhere Provision bekamen, erarbeiteten ca. 1000 Franken mehr Umsatz. Gleiches passierte in der zweiten Periode. Die Unterschiede sind statistisch hochsignifikant. Auch die
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EIN WIRKLICHES ERLEBNIS Eigentlich glaube ich, dass wir in unserem wohlorganisierten Alltag alle zu wenig erleben. Auf irgendeine seltsame und softe Art manövrieren wir uns an den wirklichen Erlebnissen vorbei, wenigstens wir in Zürich oder in Männedorf oder Thalwil, oder warum wären wir sonst so begeistert, wenn wir auf einer Mittelmeerinsel mit dem Fischer im Boot hinausfahren dürfen oder wenn wir in unsern drei Ferienwöchlein in den Bergen dem Bauern die Kühe in den Stall zurücktreiben helfen.
Text: Franz Hohler, Illustration: Res Zinniker
Eine Form, in der Stadt zu direkten Erlebnissen zu kommen, ist für mich das Radfahren. Ich wohne in Oerlikon, und wenn ich Abmachungen in der Stadt habe, zu denen ich nicht gerade das Cello mitnehmen muss, setz ich mich gewöhnlich aufs Velo, und wenn ich auf meinem Einundzwanziggänger beim Milchbuck vor den Ampeln zwischen zwei Lastwagen stehe, von denen einer geradeaus weiter will und der andere rechts in den Tunnel, wenn ich da stehe auf einem dieser rührend hingepünktelten gelben Radstreifchen, die manchmal ganz überraschend am Boden auftauchen, einen ein paar Meter weit begleiten und dann wie eine Fata Morgana sofort wieder verschwinden, wenn man sie wirklich brauchen könnte, zum Beispiel nach dieser Kreuzung, wo man sich dann hinter eine Art Pfahlprovisorium schwindelt, das nun schon so lange dasteht, dass man den Verdacht nicht los wird, es sei zu unserm Schutz errichtet worden, müsste man nicht eine halbe Minute später wieder raus und sich kühn über zwei Spuren nach links hinüberschlängeln, zwischen Lieferwagen, Motorrädern und Hochzeitsbussen, weil man in den grossen Velokanal einbiegen will, der einen von Zürich Nord zur Uni bringt - wenn man sich dem anvertraut, wird man nur gerade zweimal über eine grosse Strasse getrieben, auf welcher der Autoverkehr wie ein Wildbach daherrauscht, allerdings ein Wildbach, der hinunter und hinauf gleichzeitig rauscht, das ist eben die städtische Variante, und wenn ich dann aus der Sonneggstrasse in die Winterthurer Strasse einbiege und wieder so ein Stücklein Gelb am Boden sehe, das aber merkwürdig nahe beim Universitätsspital wieder verschwindet, und dann die Rä-
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mistrasse hinabsteche und mir überlege, ob ich die Autokolonne rechts oder links überholen soll und dann links über die Tramschiene balanciere mit ruckartigem Anheben des Vorderrads wie ein Radballprofi, und kurz vor der Kreuzung wieder zwischen zwei stockenden oder kriechenden Stosstangen rechts hineinschlüpfe, wenn ich dann beim Pfauen vom Sattel steige, auf die Uhr schaue und sehe, dass ich mit dem Tram zehn Minuten länger gefahren wäre, vom Auto gar nicht zu sprechen, dann habe ich den Eindruck, ich hätte wirklich etwas erlebt, und ich fühle mich vielleicht etwa so wie ein Senn, der mitten in einem Gewitter eine verirrte Kuh zurückgeholt hat - der Unterschied wäre einfach der, dass das Verkehrsgewitter in der Stadt kein Naturereignis ist, sondern etwas, das wir beeinflussen könnten - wenn wir wollten.
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„Eine Form, in der Stadt zu direkten Erlebnissen zu kommen, ist für mich das Radfahren.“
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„KURIERNOVEL-
LE ODER DER HEIMLICH NOCH ZU ÜBERBRINGENDE SCHLÜSSELBUND DER ANTONIA SETTEMBRINI“
Berner Velokurierbuch - ein Auszug
Text: Urs Mannhart
Mit einer unrühmlichen Szene fängt es an, kurz nach einer Ampel, an der
die machen Sprüche, ahne aber schon, dass die immer so sprechen. Ich
ich von einem dienstbeflissenen Lohnbezüger des Polizeidepartementes
stelle mich gerade etwas umständlich an mit dem Brustgurt, in dem das
aufgehalten werde, oder nein, ich muss noch weiter ausholen: Auf dem
Funkgerät getragen wird, als mir einer sagt, ich müsse, damit ich den Dis-
Weg in die Zentrale gelingt es mir, obwohl ich um diese Tageszeit für
ponenten über Funk möglichst gut verstehe, mein Ohr an den Wind legen
gewöhnlich kaum schnelle Reflexe zeige, sämtlichen Scherben rechtzeitig
wie einen Löffel an den nächsten. Ich nicke, als hätte mir jemand einen
auszuweichen. Es gelingt mir auch, vor dem Befahren des Gitterrosts, der
kulturgeschichtlichen Gemeinplatz vermittelt. Trotz aller Sorgfalt fahre ich
direkt vor der Zentrale, offenbar als Teststreifen fahrerischen Könnens, in
beinahe ohne Helm los, und nach den ersten paar Metern, als ich am Kairo
den Boden eingelassen ist, mein Vorderrad kurz leicht quer zu stellen, so
vorbeiziehe, muss ich zugeben, wie mich etwas in dieses Lokal hineinzieht,
dass ich nicht steckenbleibe und also nicht gleich am allerersten Morgen
zugeben, dass ich jetzt, statt im Nieselregen, statt in der relativen Kälte,
mit dem Gesicht auf dem Steinboden zur Tür hereinkomme.
gerne drinnen auf dem alten Polster und in einer nie gehörten Musik herumsitzen würde, sei es auch bloß, um den Stadtplan zu studieren, den ich
Da ich als einer der Ersten in der Zentrale aufkreuze, überlässt es der
mir extra gekauft habe, um ihn im Duft eines Kaffees auf die volle Größe
Disponent mir, das Funkgerät auszuwählen. Ich nehme die Nummer sieben,
aufzufalten und in aller Ruhe zu einem auch den Disponenten überzeu-
meine Lieblingszahl. Nervös bin ich, unsicher in meinen Bewegungen, und
genden Entscheid zu gelangen, welche Straßen mich am besten dorthin
ich lasse mich, der ich mich in diesem Trikot wie verkleidet fühle, irritie-
führen, wo jene Haustür liegt, hinter der mein erster Auftrag beginnt. Ja,
ren von den Sprüchen, die die anderen machen, oder genauer: Ich denke,
Stadtkenntnis, haben sie gesagt. Stadtkenntnisse, und ob ich über solche
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verfüge. Na ja, ein bissche lügen muss doch erlaubt sein. Ich weiß, wo die
– noch ist unklar, ob ich mich hier jemals heimisch fühlen werde. Ich
Aare durchfließt und wo nicht, und dass einer, der neu anfängt, nicht jeden
selbst trage lange, nicht sonderlich elegante Trainingshosen aus schwar-
Schleichweg kennt, davon ist doch auszugehen. Leider sehen alle andern
zer Baumwolle, etwas Tauglicheres habe ich nicht auftreiben können. Aber
so aus, als lebten sie von Kindsbeinen an in dieser Genossenschaft, als
auf meinen Waden gibt es ohnehin nichts zu sehen, ein paar Haare viel-
wären sie bei der Gründung 1988 dabei gewesen und als könnten sie sich
leicht über der Ahnung eines Muskels. Ich werde schon froh sein müssen,
gar nicht vorstellen, dass es auch Menschen gibt wie mich, die zuvor in
wenn ich nicht vom Rad falle, denn es ist das erste Mal überhaupt, dass
einem gut klimatisierten Büro gearbeitet haben.
ich mit diesen Pedalen fahre und mit diesen Schuhen, die darin einrasten wie ein Skischuh in seine Bindung.
Die meisten Kuriere haben übrigens ungewöhnlich lange Nasen. Mag mit dem Wind zu tun haben, der ihnen in jahrelanger Fahrt die Gesichtshälf-
Diesen Stress, so denke ich, hätte ich mir besser erspart: Fortwährende,
ten geschmälert hat, ich weiß es nicht; mit einem Arbeitsleben, das sich
direkt neben und hinter mir fahrende Angst, nicht aus dieser Verankerung
stets nach vorne orientiert, mit einer Vorwärtsfantasie. Die hartgesottenen
zu kommen, bei einem Rotlicht stehend oder vor der Tür eines Kunden in
Genossenschaftler fahren auch bei diesen widrigen, nasskalten Bedingun-
einer kaum für möglich gehaltenen Langsamkeit umzufallen, bloß weil ich
gen in kurzen Hosen. Wahrscheinlich besitzen sie gar keine langen. Oder
den Schuh nicht rechtzeitig vom Pedal reißen kann. Kurzfristig hatte ich
sie wollen nicht, dass das Fischgerippe, das ihre Wadenmuskulatur ziert,
mich zu diesem Kauf entschieden, ich fürchtete, mich dem Spott preiszu-
überdeckt wird. Einige haben sich ihre Nummer in aufwändiger Handarbeit
geben, wenn ich meine erste Schicht mit diesen antiken Pedalen fahren
aufs Trikot gestickt, andere tragen Fußballsocken am Unterarm, einige
würde, bei denen nichts als ein Körbchen den Schuh fixiert; Pedale, die
polieren den Stahl ihres makellos glänzenden Rads, mit dem sie gleich in
danach aussehen, als fahre ein alter Mann gemächlich durch die Dämme-
den Regen ziehen werden, andere rauchen noch rasch zwei Filterlose, ehe
rung auf seinen Bauernhof zu. Noch kann ich nicht nachvollziehen, worin
die Schicht beginnt.
der Vorteil der neuen Pedale genau liegt. Geübte Fahrer, so der Verkäufer, könnten damit nicht nur den runden Tritt perfektionieren, sondern auch
Pünktlich um acht Uhr stehe ich ein erstes Mal in der Kette, wie die Ku-
problemlos jene kleinen Sprünge vollführen, die hin und wieder nötig
riere sagen, stehe in der Kette des alten Pinarello und sehe zu, dass ich
seien, um von der Straße auf den Gehsteig zu wechseln. Darüber, dass
in den richtigen Gang, auf das richtige Tempo gelange, damit ich mich in
man mit diesen Schuhen kaum gehen kann, ohne wegen der Metallplatte,
den Verkehr einfügen kann. Ich müsse mich, hat einer gesagt, durch den
die aus der Sohle ragt, ständig auszurutschen, darüber hat der Verkäufer
motorisierten Verkehr bewegen wie heißes Wasser durch einen vereisten
kein Wort verloren.
Bergbach. Ich glaube, diese Kuriere haben alle irgendwo einen Flick weg
„Velokurierbuch“, ISBN: 978-3-909990-21-4, Edition EigenArt. Hardcover, Prägung, 192 Seiten. CHF 30.- exkl. Porto und Versand. Respektive CHF 100.-- für die signierte Spezialausgabe mit integriertem Veloschlauch.
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VOM KURIER ZUM TOUR DE FRANCE-SIEGER Mit 30 Kilo auf dem Buckel täglich auf den Pfannenstiel pedalen - für 50 Franken im Monat: So war Ferdy Kübler vor 75 Jahren Velokurier. Ums Geld ging es ihm nicht, Kübler wollte Rennfahrer werden, Kurierfahren war sein Training. Auch ich habe das versucht. Die Tour de France konnte ich nie gewinnen, aber immerhin war ich Radprofi. Text: Simon Joller, Illustration: Hofgrafen
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Geld verdienen mit dem Radfahren, das war einer meiner Bubenträume.
sen, die meist noch nicht asphaltiert waren. Besonders auf der Abfahrt
Ja, die Tour de France gewinnen, ein abgebrühter Patron sein wie Bernard
vom Pfannenstiel jagte er den Fussgängern oft einen gehörigen Schreck
Hinault, ein Asket wie Urs Zimmermann, ein cooler Hund wie Laurent
ein – und landete dabei öfters auch im Strassengraben. Oder Ferdys Ge-
Fignon, ein Materialfreak wie Greg Lemond, ein Nationalheld wie Ferdy
schichte mit der Zwetschgenwähe: Er balancierte sie nonchalant auf der
Kübler. Ich hatte viele Vorbilder. Die verrückten Messenger gehörten
Hand, doch kurz bevor er bei der Villa ankam, wo er sie abliefern sollte,
nicht dazu. Und doch landete ich beim „Blitz“. So konnte ich schliesslich
flog er in hohem Bogen in ein Blumenbeet. Die Wähe klatschte auf das
bezahlt trainieren.
Vorderrad. Ferdy, ass, was noch zu essen war, kehrte zum Bäcker zurück und sagte ihm: „Herr Schneebeli, die Kunden hatten solche Freude an der
Aus dem Sieg an der Tour de France wurde natürlich nichts. Doch immer-
prächtigen Wähe, sie möchten gleich noch eine Zweite.“ Schneebeli durch-
hin habe ich einmal in meinem Leben Geld verdient mit dem Radfahren.
schaute Ferdy, versetzte ihm eine Ohrfeige und meinte nur: „Lügicheib!“
Und ich konnte damals sagen: „Ich bin Radprofi.“ Ich war stolz darauf, dachte: „Darauf ist wohl noch kaum einer gekommen, sich das Training
So richtig hingelegt hat es mich nie beim Kurierfahren. Aber Abends, im
von einem Kurierunternehmen bezahlen zu lassen.“ Bis ich mich in die
Büro, da wurden jeweils die unglaublichsten Geschichten geboten. Bis zum
Literatur über Ferdy Kübler vertieft habe. Und da erst habe ich erfahren,
Sturz unter dem Lastwagenanhänger hindurch. Doch erst wenn wieder mal
dass der das schon 65 Jahre vor mir so gemacht hatte. Nur viel erfolg-
ein Kollege ein paar Monate nicht zur Arbeit erschien, wussten wir: Da war
reicher. Und konsequenter. Und verrückter. Nie habe ich 30 Kilogramm im
was dran, an der über ihn erzählten Geschichte.
Rucksack getragen. Ferdy machte das regelmässig. 30 Kilogramm Brot in der „Chräze“, und dann nicht etwa vom Limmatquai zur Bahnhofstrasse,
Manchmal hat meine rasante Fahrweise einen Autofahrer einen Rück-
sondern hinauf auf den Pfannenstiel, zum „Türli“, dem letzten Restaurant
spiegel gekostet, manchmal gab es lange Diskussionen. Gut, ich musste
auf dem Berg, mit einem bleischweren Militärrad. Was der junge Ferdy
jeweils erklären, warum ich und nicht er recht hatte. Natürlich. Und so-
damals machte, hiess einfach noch „Ausläufer“ und nicht Velokurier. Ferdy
wieso hatte und hat es zu viele Autos auf der Strasse. Nicht so wie vor
fuhr zuerst für den Bäckermeister Schneebeli aus Männedorf, dann für
75 Jahren. Ferdy erzählt: „Mit den Autos war es nicht böse, es gab ja
den Uhrenladen Barth an der Bahnhofstrasse und den Parfum-Verkäufer
keine. Manchmal kam eines alle halbe Stunde, heute kommen sie alle 10
Uhlman-Eyraud. 15 Jahre später hat Ferdy National die Tour de France
Sekunden.“ Und so beendete auch ein Auto Ferdys Zeit als Velofahrer. Er
und ein Jahr später, 1951, die Weltmeisterschaft gewonnen.
war 70 Jahre alt, als ihn am Türlersee ein Mercedes über das Strassenbord katapultierte. „Da habe ich Angst gekriegt und bin nie mehr auf ein Velo gestiegen.“
Was der junge Ferdy damals machte, hiess einfach noch „Ausläufer“ und nicht Velokurier.
Für Ferdy war das Kurierfahren die einzige Möglichkeit, das Velofahren begründen zu können: „Damals hatte man nicht viel gegeben ums Velofahren. Heute fährt ja jeder Generaldirektor. Doch damals galten Velofahrer als Tagediebe. Wir durften nicht im Renndress trainieren, zogen Shorts an über die Rennhosen.“ Als Ausläufer hatte er wenigstens einen Job, bei dem er
Ferdy ist zum Schweizer Sportler des Jahrhunderts gewählt worden. Seine
trainieren konnte. Doch dieses Training reichte ihm noch nicht: „Ich ging
Geschichte bewegt bis heute. Ferdy hat gerade seinen 90. Geburtstag ge-
manchmal morgens um vier trainieren, um acht arbeiten, danach wieder
feiert. Ich durfte ihn besuchen zu Hause in Birmensdorf. Und er erzählte,
trainieren bis abends um zehn Uhr.“ Und da begann ich zu verstehen,
als sei er erst gestern noch Ausläufer gewesen: „Als ich da auf den Pfan-
warum ich es trotz bezahltem Training eben doch nicht zur Tour de France
nenstiel gefahren bin, da ist dann öfters Mal was kaputt gegangen. Mal ein
geschafft habe.
Pedal, dann wieder eine Kette, dann ein Rad. Der Velo Hefti sagte immer: Der Kübler ist mein bester Kunde, der kommt jede Woche.“ Das Militärrad gehörte dem Beck Schneebeli, und der hat ihm die Reparaturkosten jeweils vom Lohn abgezogen. „Aber Frau Schneebeli, sie war eine liebe Frau, sie hat mir das Geld wieder gegeben und gesagt: Du musst einfach nichts sagen, Ferdy.“ Auch ich hatte ein geliehenes Velo. Von einem Freund, der den Kurierjob kurz zuvor an den Nagel gehängt hatte. Zum Glück war das etwas stabiler als Ferdys Militärrad. Als ich es zurückgegeben habe, hat die Revision aber doch auch mehr als meinen letzten Monatslohn als Kurier verschlungen – obwohl ich alles selber repariert habe. Ferdy Kübler nannten sie in Männedorf den „Bäckerschreck“. Weil er mit seiner Hutte am Rücken wie ein Verrückter über die Strassen raste. Stras-
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Jubiläumsausgabe
HERMES – GÖTTERBOTE, STEH UNS BEI MIT RAD UND TAT!
(Übers. einer Inschrift auf dem Belag der alten Rennbahn im antiken Olympia, ca. 500 v.Chr.) Text: Peter Zangerl, Illustration: Hofgrafen
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Am Anfang war ein Esel
„Wohlan, ich lasse dir freie Hand, ich bin etwas in Eile. Bin schon spät
Zeus, man kann es nicht verhehlen, war noch ein echter Kerl. Er hat selten
dran für mein Stelldichein mit Paris, der nymphenhaften, der beglückenden
lange gefackelt, wenn ihm eine holde Göttin, Titanin oder ein Menschen-
Wirtstochter.“ Und verschwand.
töchterlein vor die Lenden geriet. Um die Aufzucht der Brut hat er sich nie gekümmert. Im Fall von Hermes*, dem Spross aus dem Beischlaf mit der
Hestia zögerte keinen Augenblick und trug Hermes auf, dass er zu Pedila-
Atlastochter Maia, war das auch gut so. Der stets jähzornig aufbrausende
tos niederschweben solle, um diesen an die Kandare zu nehmen. Von nun
Donnerer hätte den Jungen doch nur verdorben. So war und blieb Hermes
an bis in alle Ewigkeit müsse der missratene Zeussohn ohne Ross und
ein kluges Kerlchen: Neueste Übersetzungen alter Quellentexte haben uns
Wagen, ohne Hilfe von Menschen oder Göttern in der ganzen Welt zuwege
die folgende Sage zugänglich gemacht, in der sich Hermes in seiner gan-
sein und Reisende, die nach dem Weg fragen, in die Irre leiten.
zen Durchtriebenheit zeigt. Der Götterbote wollte sich dem Willen seiner Oheimin nicht widersetzen, aber er erbarmte sich seines Halbbruders und erschuf – in Andenken an
Als der Zeusspross herangewachsen war, hatte er nicht nur stramme Waden und ein Hinterteil wie Leder, sondern auch ein loses Mundwerk.
dessen Ziehvater Hossas – Bicyclos, den ehernen Esel, damit Pedilatos nicht zum ewigen Wanderer werde, sondern seinem Naturell entsprechend zum ewigen Trampel! Zudem empfahl ihm der listenreiche Maiasohn, sich beim Fahren immer tief über den Lenker zu beugen und das Gesicht wie unter Schmerzen zu verziehen: So würden ihn auch die skythischen Fellhändler und einfältigen Schlachtenbummler um Rat fragen – auf dass er
Es lebte zuzeiten ein bescheidener Mann in Lakedaimon namens Tram-
diese unerwünschte Brut ins Land schicke, wo das Pfeffer wächst!
polos, der hatte eine wunderschöne Tochter, die hiess Brittneia. Zeus, der Betörer, hatte bei ihr leichtes Spiel, als er sie in Gestalt des lokalen
Hier bricht die Erzählung ab.
Eselzureiters Hossas entjungferte. Die schwangere Brittneia wurde folglich dem Hossas anvertraut, und bald kam sie nieder mit einem blonden
Es wird gemunkelt, dass Pedilatos seinem Schicksal bis heute nicht
Knäblein. Weil dieses schon als Säugling strampelte, wie wild, gab man
entronnen ist. In unserem Zeitalter, wo es asphaltierte Strassen gibt, he-
ihm den Namen Pedilatos.
phaistisch anmutende Karbonräder und göttlichen Nektar wie Cera, Testosteronpflaster und Coca Cola, scheint er sogar in seinem Element. Zu-
Als der Zeusspross herangewachsen war, hatte er nicht nur stramme
sammen mit seinem schelmischen Gönner Hermes, der sich jeweils in die
Waden und ein Hinterteil wie Leder, sondern auch ein loses Mundwerk. Er
Gestalt seines Freundes Pedilatos verwandelt, um an seiner Stelle in die
ehrte seine Eltern nicht, nein, er verspottete sie tagein, tagaus. Statt den
Probenbecher zu urinieren. So führt er seit bald zehn Jahren die Radsport-
Göttern zu opfern spuckte der Halbstarke (Anm. des Übers.: altgr. demigur-
gemeinde hinters Licht. – Leider dürfen wir an dieser Stelle keine Namen
kos) in die heilige Flamme. Das erzürnte im speziellen Hestia, die Amme
nennen, denn wir wollen weder den Zorn der irdischen Richter noch den
(Anm. des Übers.: altgr. hypernanneia) unter den Göttlichen: „Zeus, sieh,
der Götter auf uns ziehen!
dein Sohn Pedilatos spottet unser und ehrt auch nicht Vater und Mutter. Er soll für seine Freveleien büssen!“ Da sprach der Aegisschleuderer:
*Hermes ist in der griechischen Mythologie der Schutzgott des Verkehrs, der Reisenden, der Kaufleute und der Hirten, andererseits auch der Gott der Diebe, der Kunsthändler, der Redekunst, der Gymnastik und somit auch der Palästra und der Magie. Als Götterbote verkündet er die Beschlüsse des Zeus und führt die Seelen der Verstorbenen in den Hades. Er gehört zu den zwölf großen Olympischen Göttern.
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DIE ERFAHRUNG DER WEITE Mit dem Fahrrad durch Kasachstan. „Hier beginnt nun also der wilde Osten“, geht es mir durch den Kopf, als ich von meinem Fahrradsattel aus den Blick über die karge kasachische Steppe schweifen lasse. Ich stehe neben dem letzten Zollposten und bin froh, soeben die mühsame Grenzprozedur nach dem Verlassen Russlands hinter mir zu haben. Fotos und Text: Res Blum
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/ REPORTAGE / 47
G
Aralstrasse in Kasachstan
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Die kasachische Steppe im Sonnenuntergang
Unbekanntes Kasachstan
überraschend klein zu sein, kaum ein Auto lässt
den Atomtestprogrammen, die die Sowjetunion
Kopfschüttelnd schaut der Kasache mich und
sich blicken. Im Magen verspüre ich ein leicht
seit Ende der 40er Jahren, im scheinbar unbe-
mein Drahteselchen an: „Weisst du eigentlich,
mulmiges Gefühl, wie jedes Mal wenn ich auf
wohnten Nichts im kasachischen Osten bei Se-
wie schlecht die Strassen in Kasachstan sind?“
meiner Reise ein neues, mir noch unbekanntes
mipalatinsk durchgeführt hat – zum Glück weitab
Nein, weiss ich nicht. Wenn ich die trostlose
Land unter die Räder genommen habe. Doch
meiner geplanten Route. Und eine Menge Öl soll
Gegend und das lottrige Häuschen neben mir
diesmal ist es mulmiger da unten. Ich habe auch
es geben. Schon merkwürdig, dass bei uns über
sehe, so habe ich aber meine Befürchtungen. Ich
einigen Grund dazu: Auf mich warten 2500 km
dieses Land eigentlich vor allem Negatives be-
schaue mir den Mann an, wohl ebenso neugierig,
Niemandsland, wie ich glaube: endlose Steppe
kannt ist – aber das war ja bereits in der Ukraine
wie er mich bestaunt, und wundere mich, wie
und Halbwüste bis zu den Bergen des Tian Shan.
und Russland so und da haben mich Land und
asiatisch seine Gesichtszüge sind. Erst später
Bei der Planung meiner Reise war es dasjenige
Leute sehr angesprochen.
werde ich begreifen, wie multikulturell Kasach-
Teilstück meiner Route, vor dem ich etwas ratlos
stan ist, dass hier fast ein Drittel Russen, viele
dagestanden bin. Eine riesige, öde Lücke auf der
Ukrainer und sogar Deutsche beheimatet sind. In
Karte, die mit dem Velo nicht einfach rasch über-
der Steppe, die ich vor mir habe, leben jedoch
sprungen werden kann. Kasachstan, wer kennt
fast ausschliesslich die eigentlichen Kasachen,
schon Kasachstan. Obschon das neuntgrösste
ein Turkvolk, dem etwas mehr als die Hälfte der
Land auf der Erde, sechsundsechzig Mal grösser
in Kasachstan lebenden Menschen angehören.
als die Schweiz, weiss in Europa fast niemand
Irgendwo unweit im Süden ahne ich das Kaspische Meer. Ich werde es nie sehen.
etwas über diesen zentralasiatischen Staat, der
Und ich denke daran, dass ich nun alleine unter-
Am Morgen bin ich im von Russen dominierten,
nach dem Zerfall der Sowjetunion 1991 neu ent-
wegs sein werde. Wie sich Dani wohl fühlt? Mit
oasenhaften Astrachan an der Wolga gestartet.
standen ist.
ihm bin ich vor 80 Tagen in der Schweiz gestar-
Vor mir erstreckt sich nun die schier unendliche
tet, am 30. Juni, voller Hoffnung und Tatendrang.
Weite der zentralasiatischen Steppe. Irgendwo
Mir kommen die Räubergeschichten in den Sinn,
Gemeinsam haben wir die österreichischen Al-
unweit von hier im Süden erahne ich das Kaspi-
von denen ich gelesen habe, etwa von den Last-
pen erkundet, die ungarische Puszta durchfahren,
sche Meer. Ich werde es nie sehen. Der Grenzver-
wagenfahrern, denen bis auf die Unterhosen
die Karpaten in Rumänien überquert, uns durch
kehr zwischen Russland und Kasachstan scheint
alles abgenommen wurde. Auch weiss ich von
die weite Hügellandschaft und die steile Küsten-
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Alter Mann auf der Strecke nach Atyrau
strassen auf der Krimhalbinsel in der Ukraine
Knie erholt hat. Via Internet wollen wir in der
es von der höhergestellten Strasse aus gese-
gearbeitet, um schliesslich in Russland bei As-
Zwischenzeit in Kontakt bleiben. Das sollte nicht
hen werden. Ist das übervorsichtig? Ich weiss es
trachan das phantastische, in voller Lotusblüte
so einfach sein.
nicht. Die Nacht bricht herein und ich betrachte
stehende Wolgadelta zu bestaunen. Und dann wollte Danis linkes Knie nicht mehr. Nichts zu machen. Obschon das Knie geschont wurde, verschlimmerten sich die Schmerzen von Tag zu Tag. Schlussendlich musste ich mich entscheiden:
die Sternenpracht über mir. In der trockenen Luft
Obschon das Knie geschont wurde, verschlimmerten sich die Schmerzen von Tag zu Tag.
Entweder will ich mit Dani im Zug oder aber
fernab störender Lichteinflüsse erscheint mir der Kosmos ungewohnt nah. Wie klein doch der Mensch ist. Am nächsten Morgen zuerst einmal „Veloputzete“,
alleine weiterfahren. Ich habe mich für letzteres
etwas, das mich nun praktisch jeden Tag be-
entschieden. Eine schwere Entscheidung. Hatte
Ich trete in die Pedale und muss alsbald fest-
schäftigt – ja, zu einem Ritual wird. Der Sand
es zu Beginn ein paar Mal leichte Spannungen
stellen, dass die Frau, die mir auf dem Grenz-
setzt sich überall fest und fungiert vor allem
zwischen uns gegeben, so haben wir uns recht
fluss angeboten hat, Geld zu wechseln, die ein-
an Kette und Kränzen als bestes, unerwünschtes
rasch aneinander gewöhnt und sind Freunde
zige Möglichkeit gewesen ist, meine Rubel in
Schleifmittel. Die Strasse ist noch immer relativ
geworden. Wir hatten uns via Internet mit dem
Tenge, die kasachische Währung, umzuwechseln.
gut beisammen, noch kann ich den Schlaglö-
gleichen Ziel vor Augen zusammengefunden: uns
Ich hatte keine Ahnung vom Wechselkurs und
chern recht gut ausweichen. Ich habe leichten
so weit wie möglich mit dem Fahrrad nach Osten
nur für den Notfall umgerechnet zehn Franken
Rückenwind und komme rasch voran. Am Abend
in Richtung Tibet durchzuschlagen. Nicht nur weil
gewechselt. Nun muss dies für gut zwei Tage bis
treffe ich auf eine grössere Siedlung, Aquystau
es uns sicherer erschienen ist, sondern weil es
ins 250 km entfernte Atyrau reichen. Aber das
steht auf meiner Karte. Einfache Häuschen reihen
einfach schöner ist, Freud und Leid zu teilen.
Essen ist ja billig: Für umgerechnet zwei Franken
sich entlang der staubigen Strassen. Ich werde
Aber was soll’s. Es ist der 20. August. Mit der
bekomme ich eine Mahlzeit, das Wasser dazu
von einem alten Mann angesprochen, der mich
Abmachung, uns am 15. September in Bishkek
ist gratis. So sollte ich durchkommen. Die erste
in sein einfaches Zuhause führt, wo ich bewir-
in Kirgistan wieder zu treffen, haben wir uns am
Nacht schlafe ich unter freiem Himmel etwas
tet und anschliessend im Dorf rumgeführt werde.
Morgen verabschiedet. Dani hofft, in Kirgistan
abseits der Strasse in einer sandigen Nische. Das
Leider gestaltet sich die Konversation äusserst
wieder mit von der Partie zu sein, wenn sich das
Zelt wage ich nicht aufzustellen, zu gut könnte
schwierig, da viele hier noch schlechter russisch
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Butterherstellung nach alter Art auf der Strecke nach Aral
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Oben: eingeladen zum Beshbarmak, unten: Usbeken-Familie bei Turkestan
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sprechen als ich, will heissen, nur ein paar Wor-
Registrationsamt werde ich auf den nächsten Tag
In Mygur, einem einsamen Dorf in der Nähe ei-
te kennen. Als ich mich neben dem Enkel zur
vertröstet, und als man mir dann endlich Ein-
nes Erdölfeldes, werde ich bei einer Grossfami-
Ruhe legen kann, bin ich hundemüde. Zwei Mal
lass gewährt, muss ich stundenlang warten. Dank
lie zum Übernachten eingeladen. Der Vater ist
werde ich in der Nacht geweckt, zuerst vom an-
einer zufällig anwesenden Dolmetscherin gelingt
eben dabei gewesen, seine Schafe einzutreiben,
getrunkenen Vater, später vom Grossvater selber,
es mir die Formalitäten abzuschliessen, und ich
als ich im letzten Tageslicht vorbeiradelte. Es
spät nach Mitternacht. Offenbar wollen sie mich
kann mich wieder hinaus in die weite Steppe be-
wird „Beschbarmak“, das traditionelle Gericht
von meiner Absicht, durch Kasachstan zu fah-
geben. Ich bin wieder frei. Mit dem Überqueren
der Kasachen und Kirgisen, aufgetragen. „Besch“
ren, abhalten: viel zu gefährlich, wie sie meinen.
des Uralflusses befinde ich mich nun offiziell in
heisst Daumen, „Barmak“ Finger, wie man mir
Vielen Dank für die „Beruhigung“. Ihre Fürsorge
Asien. Ein gutes Gefühl, aber der grosse Wechsel
zu verstehen gibt. Entsprechend isst man die-
rührt mich jedoch. Die Aufregung scheint fast die
hat bereits nach dem russischen Astrachan statt-
ses Gericht, das aus Teigwarenblättern, Zwiebeln
gesamte Nacht zu dauern, und als ich mich am
gefunden, oder sogar zuvor in Elista, wo einen die
und Fleischstückchen besteht, auch: nämlich von
Morgen auf den Weg machen will, da bringe ich
asiatischen Gesichtszüge der Kalmücken bereits
Hand und zwar alle aus dem gleichen grossen
es nicht einmal mehr zustande, sie zu wecken.
in Asien wähnen liessen.
Teller, aufgestellt in der Mitte des Tisches. Mir
Offensichtlich zuviel der Aufregung und des Wodkas. Ich muss mich schlussendlich ohne Verabschiedung aus dem Staub machen.
Erdölfelder unter der Steppe In Atyrau fallen sogleich die grossen, modernen
werden die besten Stücke hingereicht und es
In den folgenden Tagen schwanke ich andauernd zwischen Hoffen und Bangen, dass die Strasse wieder besser wird.
Bürogebäude auf, die in dieser gesichtslosen Stadt
schmeckt vorzüglich! Ich hoffe nur, dass alle die Hände gut gewaschen haben. Spät am Abend kann ich mich endlich in ein mir im Wohnzimmer zurechtgemachtes Bett legen und erschöpft einschlafen. So schön und spannend diese Begegnungen auch sind, sie sind nach einem langen
einen seltsamen Kontrast zur Umgebung bilden.
Radeltag sehr anstrengend. Morgen werde ich
Als Kasachstan unabhängig wurde, brauchte
Nach Atyrau führt die zunächst noch gute Strasse
wieder ein einsames Plätzchen irgendwo in der
das Land dringend Geld. Nichts lag näher, als
durch eine sanft hügelige Steppe in der immer
Steppe suchen. Ein solches zu finden wird mir ja
die immensen Erdöllagerstätten im Bereich des
wieder vereinzelt Salzseen auftauchen. Siedlun-
nicht schwer fallen.
Kaspischen Meeres anzuzapfen, die zur Zeit der
gen hat es hier keine. Bei Dossor finde ich in ei-
Sowjetunion kaum ausgebeutet worden waren.
ner Tschaikhana, so heissen hier die Raststätten,
Schöne Begegnungen – meistens
Da das Know-how fehlte, um das Öl zu Fördern,
eine gute Übernachtungsmöglichkeit. Im Kreise
In den folgenden Tagen schwanke ich andauernd
wurden vorwiegend amerikanische Ölfirmen ins
kasachischer Lastwagenfahrern esse ich mein
zwischen Hoffen und Bangen, dass die Strasse
Land geholt. Chevron oder Exxon sind hier heute
Nachtessen. Ich kann mich für einen Abend einer
endlich wieder besser, resp. nicht noch schlech-
allgegenwärtig. Nur gut 100 km südlich von Aty-
kleinen Gemeinschaft anschliessen, in der alle
ter wird. Kurze gute Abschnitte, wechseln ab mit
rau liegt das erst im Jahre 2000 entdeckte Ölfeld
weit weg sind von Hause. Das tut gut. Das Essen
katastrophalen Schlaglochkaskaden. Dasselbe
Kashagan, das als weltweit grösster Erdölfund
wird mir samt Übernachtung und Frühstück am
gilt für den Wind. Andauernd scheint er sich für
seit 30 Jahren gilt, und im Osten davon findet sich
nächsten Morgen spendiert. Nette Leute. Der Be-
eine neue Richtung zu entscheiden, wehen tut
mit dem Tengiz-Ölfeld das zweitgrösste Erdölfeld
sitzer der Tschaikhana zieht mit meinem Draht-
er immer, zum Glück mehrheitlich von hinten.
Kasachstans. Berücksichtigt man die Tatsache (es
eseli noch voll Freude ein paar Runden um sein
Die Landschaft ist durch weitläufige Hügelzüge
ist eine, auch wenn es viele noch nicht wahrha-
Haus, bevor ich mich verabschiede.
geprägt, ab und zu überquere ich eine grössere Geländekante. Das Auge verliert sich am Hori-
ben wollen), dass das schwarze Gold schon bald immer knapper und teurer werden wird, so kann
War die Strasse bis hierhin noch ansprechend
zont. Stundenlang fahre ich tiefer hinein in diese
man nur erahnen, welche Bedeutung dieser Re-
gut, sollte sich dies nun alsbald ändern. Nach
endlose Weite. Von Zeit zu Zeit sehe ich in der
gion auf der internationalen politischen Bühne in
Maquat scheint sie sich fast vollständig aufzu-
Ferne die Eisenbahn, die sich langsam durch das
den nächsten Jahrzehnten zukommen wird.
lösen. Zahlreiche Fahrspuren suchen sich ihren
Grasland schleppt. Die meisten Güter für die an
Weg durch die Steppe. Bin ich überhaupt noch
der Bahnlinie liegenden Dörfer, werden wohl auf
Solche Überlegungen sind für mich fürs Erste je-
auf der eigentlichen Strasse? Zum Glück scheinen
den Schienen transportiert. Auf der Strasse hat
doch unwichtig und ich habe in Atyrau nur ein
all die Wege wieder zusammenzuführen, und bald
es nur sehr spärlich Verkehr.
Ziel: möglichst rasch mein Visum registrieren zu
schon weiss ich, dass ich richtig liege. Rund um
lassen, um dann herauszukommen aus dieser
mich herum nichts als trockenes Grasland. In der
In Qandyaghash erreiche ich den nördlichsten
Stadt. Es gefällt mir hier nicht. Der Verkehr ist
Ferne sehe ich Tornados an mir vorbeiziehen und
Punkt meiner Reise, nahe dem 50° Breitengrad.
halsbrecherisch, ich finde trotz aller Mühe kein
vor mir bauen sich wiederholt Gewittertürme auf,
Ich unternehme einen weiteren Versuch, ein funk-
funktionierendes Internet oder ein Telefon, mit
aber glücklicherweise bleibe ich von alldem ver-
tionierendes Internet zu finden – vergeblich. Von
dem ich mich zu Hause melden könnte und die
schont. Die Natur droht mir zwar, meint es aber
Qandyaghash führt ein Strasse direkt nach Aral
Hotels sind allesamt enorm überteuert. Auf dem
doch gut mit mir.
im Südosten. Eine Abkürzung, aber auch ein Ab-
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Obstverk채uferin in Kasachstan
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Oben: zwei Hรถcker haben Vortritt, unten: Schlafen in der unendlichen Weite von Kasachstan
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stieg in der Strassenkategorie auf meiner Karte.
wie arm die Leute sind. Meist leben sie nur
so gab’s nun starken seitlichen Gegenwind aus
Mir schwant Übles und vor meinem geistigen
von ein paar Schafen oder einem Kamel. Wenn
Ostnordost, konstant und von Tag zu Tag stärker
Auge tauchen bereits metertiefe Löcher im Belag
man bedenkt, dass es hier im Untergrund rie-
und heisser werdend.
auf. So schlimm sollte es zum Glück nicht wer-
sige Erdöllagerstätten hat und Präsident Nas-
den und ein anderes Problem macht mir alsbald
arbayev einer der reichsten Männer der Welt
mehr Sorgen. Die Strasse ist sehr einsam und
sein soll! Ich erfahre auch, dass ich der erste
Vom Aralsee bis ans Ende der kasachischen Steppe
das dies nicht eben mehr Sicherheit bedeutet,
Ausländer sei, der hier je Halt gemacht hat. Ich
Müde und ausgelaugt erreiche ich Aral (oder
das muss ich bald erfahren. Ich bin mir bereits
fühle mich geehrt.
Aralsk). Heiss und staubig ist es. Dort, wo vor 50 Jahren noch der dazumal viertgrösste See
gewohnt, dass Autofahrer anhalten, um mir die Hand zu schütteln, um mich zu fotografieren, oder
Nach Kair, so hiess das Dorf, erreiche in Shal-
der Welt ein kühles Bad ermöglich hat, sind jetzt
um mir etwas Essen zu geben – und um mich zu
qar, die Bezirkshauptstadt der Region – ein
Salzseen. Oh, wie schön wäre jetzt ein Bad. Da-
Fragen was ich denn hier verloren hätte. Die, die
nächster Wendpunkt, ein nicht vorgesehener.
raus wird leider nichts. Heute ist das Ufer über
ungefähr 60 km nach Qandyaghash anhalten, die
Man erklärt mir wiederholt, dass die direkte
100 km vom einstigen Fischerdorf entfernt. Ich
wollen aber mehr: 500 Dollar, um genau zu sein.
Strasse nach Aral in einem so schlechten Zu-
komme bei Sergeij Sokulov unter, einem Hydro-
Es sind acht junge Burschen, so gegen 20 Jahre
stand sei, dass ich einen Umweg fahren müsse,
logen, bei dem sich eben eine Aralsee-Expedition
alt. Ich versuche, ihnen klarzumachen, dass ich
über das sogenannte Aral-Trassee im Osten.
aufhält. Ich erfahre einiges über den Aralsee:
nicht so viel Geld besitze. Sie drohen mir. Wir
Das sind zusätzliche 180 Kilometer! Aber eine
Der See hat seit 1960 88 Prozent seiner Masse
diskutieren gegen zwei Stunden, ehe sie sich mit
noch schlechtere Strasse? Nein danke, lieber
und 70 Prozent seiner Fläche verloren und sich
15 Dollar zufrieden geben. Zwar froh, dass ich
bin ich ein, zwei Tage länger im Sattel. So fahre
inzwischen in zwei Seen aufgeteilt. Der grosse
und vor allem mein Gefährt ungeschoren davon-
ich wiederum nach Osten durch eine schöne,
Aralsee im Süden ist nicht mehr zu retten. Bald
gekommen sind (es ist ja so ein tapferes, klagt
tafelbergartige Hügellandschaft auf meist gu-
wird von ihm fast nur noch eine riesige, giftige
nie, wiedersteht allen Strassen und ist doch so
tem Asphalt. Weit und breit kein Haus zu sehen.
Salzlache übrig bleiben. Das Wasser des einzigen
verletzlich), verspüre ich eine aufkommende Wut
Ewige Steppe. Als ich das Aral-Trassee errei-
Zuflusses, des Amudaria, dem grossen Fluss von
in mir auf diese Typen, die mir am Ende noch
che, immerhin die grosse Nord-Süd-Verbindung
Usbekistan, wird zu einem grossen Teil für die
erklärten, Allah werde mir ewig dafür dankbar
im Osten des Landes, muss ich jedoch bestürzt
Baumwollproduktion abgezweigt. Der Seespiegel
sein, ja, ja. Zum Glück habe ich mich beherrscht,
feststellen, dass sich auch diese Strasse im
des kleinen Aralsees ist dagegen gegenüber sei-
alles ist gut.
Stadium der Auflösung befindet. Motocrossfah-
nem Tiefpunkt bereits wieder um 3 m angestie-
rer würden wohl ihre Freude haben, nicht so
gen. Der Grund: Heute verhindert ein 13 km lan-
ich. Entweder geht’s über während Regenpha-
ger und 16 m hoher Damm, dass das Wasser des
sen aufgetürmte, nun erstarrte Schlammberge,
Syrdarya-Flusses weiter in den grossen Aralsee
oder ich sinke mit meinen Rädern im weichen
abfliessen kann.
Ich erfahre auch, dass ich der erste Ausländer bin, der hier je Halt gemacht hat.
Sand ein. Übernachten und verpflegen kann ich mich in den Tschaikhanas, die sich hier meist
Einen Tag lang erhole ich mich bei Sergeij, be-
in regelmässigen Abständen von rund 30 km,
vor ich mich wieder in den Sattel schwinge, um
Ich überquere eine grössere Hügelkette, einen
Rettungsinseln gleich, an der Strasse befinden.
mich den Bergen des Tian Shan weiter zu nähern.
der Ausläufer des Urals aus dem Norden. Es
Die Leute sind extrem freundlich! Und dann
Zunächst fahre ich durch eine öde Halbwüste.
wird langsam heisser. Ich trinke acht Liter pro
ein schöner Moment: Ein Auto hält und zwei
Bald jedoch wechselt der Landschaftscharakter.
Tag, und meine grösste Sorge ist, immer genug
Schweden steigen aus. Marcus und Theres sind
Ich fahre mehr und mehr in meterhohen Schilf-
Wasser zu haben. Das man so viel trinken kann
den ganzen Weg von ihrer Heimat bis hierhin
schluchten. Das Wasser des Syrdarya haucht der
und doch immer Durst hat! Einmal muss ich in
mit ihrem alten Mercedes gefahren. Schön sich
Steppe hier Leben ein. Oft gibt es Melonen am
der der Not in einem Dorf abseits der Strasse
wieder einmal mit jemandem richtig unterhal-
Strassenrand zu kaufen und die Siedlungen wer-
nach Wasser fragen. Ich werde sogleich vom
ten zu können. Wie ich, sind sie auf dem Weg
den zahlreicher. Ich passiere Baikonur, das Zen-
halben Dorf umringt. Die Leute sind mir die-
nach Kirgistan. Sie sollten dort etwas schneller
trum der russischen Weltraumfahrt, und komme
ses Mal zu zudringlich, und obschon es kurz
ankommen. Aber so richtig wunderbar war es
langsam den Bergen des Tian Shan näher. Ich
vor Sonnenuntergang ist, fliehe ich fluchtartig
hier aus einem anderen Grund, genauer: dem
passe meinen Tagesrhythmus dem Klima an: Bei
wieder hinaus in die Steppe. Ein sympathischer
Untergrund. Auf einmal hatte ich wunderbaren,
Sonnenaufgang wird losgefahren, wenn die Tem-
junger Kasache kann mich ausserhalb des Dor-
herrlichen Asphalt unter den Rädern! Er sollte
peraturen und der nach wie vor wehende Wind
fes aber überzeugen umzukehren, um bei ihm
mich nun bis Kirgistan nicht mehr verlassen.
noch erträglich sind. Am Nachmittag, wenn die
und seiner Familie zu übernachten. Ein schöner
Oh, du herrliche schwarze Fläche. Leider soll-
Temperaturen gegen 40 Grad ansteigen und der
Abend, an dem mir die Englischlehrerin des
te sich auch etwas anderes ändern: der Wind.
starke, staubige Wind mit voller Wucht von Ost-
Dorfes (die gibt es hier tatsächlich!) aufzeigt,
Hatte ich bis hierhin mehrheitlich Rückenwind,
nordost beginnt, unerträglich ins Gesicht zu bla-
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Oben: Ebene am Fuss des Pamirgebirges in Kirgistan, unten: Landwirtschaft im Ferganatal
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Kirgisische Reiter
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Kasachische Jungs
sen, muss ich mir jeweils ein Plätzchen irgend-
auf, majestätisch und nach der ewigen Steppe
nur noch gerade 8 Grad warm, und der Schnee
wo im Schatten suchen. Am wiederum kühleren
eine unglaubliche Wohltat für mein Auge. Und
an den nahen Bergen scheint zum Greifen nahe.
Abend kann dann ein Schlussspurt vor die un-
wunderbar grün ist es hier! Berge heisst hier
In der letzten Nacht dann zum ersten Mal Regen.
tergehende Sonne gesetzt werden. Vor Turkestan,
Leben. Das Wasser der zahlreichen Gebirgsbäche
Ich flüchte mich in eine verlassene Bushalte-
in der Ferne, ist bereits ein flacher Gebirgsaus-
kommt mir, so jungfräulich den Bergen entsprun-
stelle, werde jedoch um 3 Uhr von einer Gruppe
läufer des Tian Shan zu sehen, dann die Wende:
gen, ungewohnt frisch und unverbraucht vor, als
Kasachen geweckt, die mit mir ein paar Flaschen
Nordwind! Ich fliege nur so über den Asphalt,
ich mich darin wasche.
Wodka leeren und mich in ihr Dorf mitnehmen
welch ein Genuss, endlich.
wollen. Um den Wodka komme ich einmal mehr Es geht wieder nach Osten, entlang der Ber-
nicht herum, aber wenigsten gelingt es mir, sie
Turkestan ist eine vor allem von Usbeken be-
ge die hier der Ebene einen südlichen Riegel
zu überzeugen, dass ich meinen Schlaf dringend
wohnte Stadt mit einer wunderschönen blauen
schieben. In Tarar Rüskulov komme ich bei ei-
brauche. Am nächsten Tag stehe ich endlich an
Moschee, dem Akhmed Yassawi Mausoleum.
ner russisch-deutschen Familie unter. Es ist fast
der Grenze zu Kirgistan. Ein wunderbares Gefühl.
Weniger schön ist deren Umgebung, die an eine
wie ein Heimkommen. Sie kümmern sich rührend
Ein Traumland ist erreicht, eine lange Fahrt durch
Baustelle erinnert. Ich übernachte am Ausgang
um mich. Aber ich spüre bei ihnen eine gewis-
Kasachstan mit unerwartet vielen Eindrücken,
der Stadt bei einer Usbeken-Familie, eingela-
se Bedrücktheit. Der wirtschaftliche Niedergang
zahlreichen netten, unglaublich gastfreundlichen
den von den beiden Familienoberhäuptern, zwei
nach dem Zerfall der Sowjetunion hat hier viele
Menschen (mit ein paar wenigen Ausnahmen)
Polizisten. Sie freuen sich so sehr über meinen
arbeitslos gemacht, und so hat auch Alexander,
und einer doch noch endend wollenden Steppe
Besuch bei ihnen, dass sie mich am nächsten
der russisch-stämmige Mann, seine Arbeit als
liegt hinter mir. Ihr Staub wird noch lange an
Tag zu einer Moschee mitschleppen, Widerstand
Elektriker verloren. Wie man ihnen wohl helfen
mir haften bleiben. Nicht an den Kleidern. Nein,
zwecklos. Ich werde kurz interviewt, es werden
könnte? Der Abschied fällt mir schwer, aber ich
sondern tief in mir.
Bilder geschossen und viele Hände geschüttelt,
muss weiter, muss ich doch in ein paar Tagen in
ehe ich mich endlich weiter auf die Räder ma-
Bishkek sein, wo ich Dani treffen soll. Die Fahrt
chen kann. Die Berge locken. Leider ist es duns-
über einen ersten Pass ist traumhaft. Ich fühle
tig, als ich in Schimkent am Fusse des Tian Shan
mich wie im Frühling, auch wenn es der Herbst
eintreffe. Aber bald nach dar Stadt tauchen sie
ist, der hier nun Einzug hält. Nach Taraz ist es
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Tian Shan vor dem Aufstieg ins Gebirge
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VELO-CHINA
„There are nine million bicycles in Beijing“ – so sang sich Katie Melua vor ein paar Jahren in die Hitparaden. Peking als Velostadt, China als Veloland: So stellt man sich das im Westen gern vor. Aber China ist unaufhaltsam auf dem Weg Richtung Moderne und da stören die Drahtesel, sowohl im Stadt- wie im Selbstbild. Velos stehen für das alte China, das neue will Autos.
Text: Roland Fischer, Illustration: Hofgrafen
Halbe Milliarde Fahrräder
bereits über 50 Millionen Autos auf Chinas Strassen unterwegs sein, die
„That‘s a fact“ singt Katie weiter („it‘s a thing we can‘t deny, like the fact
meisten in den grossen Städten. Die Zahl wächst um 15 Prozent jedes
that I will love you till I die“). Nun, Liebe ist bekanntermassen vergäng-
Jahr, was bedeutet, dass es in zehn Jahren bereits 150 Millionen Autos
lich. Und Verkehrsmittel sind es auch. Fakten also, harte chinesische
sein werden. Und China hat nicht nur in Sachen CO2-Ausstoss zu Ame-
Velofakten: In Peking gibt es, kein Zweifel, Unmengen von Velos – wievie-
rika aufgeschlossen, auch in der Verkaufsstatistik hat China die USA als
le genau, weiss allerdings kein Mensch. Eine kleine Presseschau liefert
grössten Automarkt der Welt abgelöst.
allerlei Siebenstelliges: 4 Millionen, mehr als 10 Millionen, 7,5 Millionen. Simon Babes, der als Verkehrsexperte in einem Planungsbüro in Shanghai arbeitet, wagt auch keine exakte Schätzung: „Es ist auf jeden Fall eine riesige Zahl.“ Und: „In Shanghai sind es womöglich noch mehr, die Stadt ist kompakter und flacher, das heisst velofreundlicher als Peking.
China ist der mit Abstand grösste Veloproduzent der Welt.
Allerdings, und das gilt für beide Metropolen: Ein grosser Teil davon wird nie benutzt. In ganz China dürfte es ungefähr eine halbe Milliarde Velos geben, rund
Vom Velo zum Auto
1,4 Exemplare pro Haushalt. Zum Vergleich: In der Schweiz ist die Zahl
Es gibt in Sachen Veloverkehr eine kritische Schwelle. Es gibt, anders
mit 1,2 Velos pro Haushalt tatsächlich ein wenig kleiner. China ist der
gesagt, so etwas wie Velo-Resonanz: Wenn genug Leute mit dem Velo
mit Abstand grösste Veloproduzent der Welt. Gut 80 Millionen Velos
unterwegs sind, werden es wie von selbst noch viele mehr. Oder anders
werden jedes Jahr hergestellt, was einem globalen Marktanteil von fast
herum: Wenn nicht mehr genug Leute mit dem Velo unterwegs sind, bricht
60 Prozent entspricht. Etwas mehr als ein Viertel der Produktion wird
der Veloverkehr mit einem Mal ein. Bis vor etwa zehn Jahren war China
auf dem Heimmarkt verkauft, der Rest geht zumeist als Billigware in
klar über der Velo-Schwelle: In den grossen Städten waren die Velo-
den Westen.
fahrer immer in ganzen Schwärmen unterwegs, und was Zugvögel vor Angreifern schützt, das macht auch Velofahren wesentlich sicherer. Die
Soweit die Velo-Zahlen. Nun zum kleinen grossen Bruder: 1978 gab es
Strassen gehörten den Velofahrern. Die spärlichen Autos mussten sich
in ganz China noch nicht mal halb so viele Autos wie in der Schweiz.
den Zweiradströmen fügen und sorgten kaum für Gefahr. Zudem gab es so
Inzwischen hat sich die Zahl gut verzwanzigfacht. Es dürften inzwischen
etwas wie einen velomobilen Gruppendruck: Es war nicht nur praktisch
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und billig, mit dem Velo unterwegs zu sein, es war für so gut wie alle
Von der Kuriosität zum Parteiprogramm
Gesellschaftsschichten schlicht üblich – es gehörte sich so.
Ein Blick zurück: Als chinesische Diplomaten die ersten Berichte von seltsamen fussbetriebenen Zweirädern aus Europa mitbrachten, betrachtete man die Geräte mit Faszination, befand diese Fortbewegung aus eigener
Der Druck wird nicht mehr von der Masse, sondern von der neuen Oberschicht diktiert.
Kraft aber als unziemlich für einen chinesischen Edelmann. Ein gewisser Binchun schilderte das Schauspiel 1866 in einem Brief: „Auf den [europäischen] Strassen fahren Leute auf einem Gefährt mit nur zwei Rädern, die von einem Rohr zusammengehalten werden. Sie sitzen auf diesem Rohr und stossen es durch Treten mit ihren Füssen voran und halten das
Doch allmählich kippt es: In den grossen Städten machen sich Auto- und
Gefährt auf diese Weise in Gang. Es gibt aber auch noch eine andere Kon-
Velofahrer längst den spärlichen Platz auf den Strassen streitig. Velo-
struktion, die durch Fusspedale angetrieben wird. Die Menschen schiessen
streifen in China sind oft so grosszügig bemessen, dass sie auch von den
wie galoppierende Pferde vorwärts.“ Tatsächlich war es damals für die
Motorradfahrern und Autos gern als zusätzliche Fahrspur benutzt werden.
dünne Schicht der reichen Chinesen (also die einzigen, die sich die teure
Es wird gefährlich für Velofahrer auf Chinas Strassen, und deshalb lassen
Extravaganz hätten leisten können) undenkbar, sich per Velo fortzubewe-
mehr und mehr Chinesen ihr Velo zuhause stehen. Und je kleiner die Ve-
gen. Die Oberschicht vermied es nach Möglichkeit sogar, in der Öffentlich-
loschwärme werden, desto gefährlicher wird es für den einzelnen Fahrer.
keit zu Fuss zu gehen. Man liess sich in einer Sänfte tragen, oder, wollte
Zudem: Wo Velofahren mal eine gewissermassen politische Angelegenheit,
man sich ein wenig moderner geben, in einer Rikscha ziehen.
ein fügsames Sich-Einordnen und Parteiwillen-Befolgen war, so ist es nun, aus diesem autoritären Rahmen herausgelöst, bloss noch eine ökonomi-
Nichtsdestotrotz war China interessiert an Neuerungen aus dem Westen,
sche Notwendigkeit. Die Armen fahren weiter Velo, doch wer sich ein Auto
aber das Interesse war vor allem ein ökonomisches und militärisches.
leisten kann, der wird sich ohne Zögern eins besorgen. Nicht weil er es
Das Velo war unter den Wundern der Industrialisierung bloss eine Rand-
unbedingt bräuchte, nicht weil die Wege zu weit sind, sondern weil es das
bemerkung. Generell wurden die Industriegüter nicht einfach mit offenen
Prestige verlangt. Der Druck wird nicht mehr von der Masse, sondern von
Armen empfangen. Bahnbrechende ausländische Produkte zu benützen,
der neuen Oberschicht diktiert. Und die orientiert sich ungeniert am Westen,
hiess einerseits an seiner eigenen Kultur zu zweifeln und bedeutete dazu
genauer: am westlichen Lebensstil, und der beinhaltet nun mal ein Auto.
nicht selten, fundamentale soziokulturelle Vorgaben zu ignorieren. Die
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Orientierung gen Westen war immer mit Skepsis unterlegt – und ein Chi-
Im Hinterland dagegen sollte es noch lange gehen, ehe das Velo von den
nese auf dem Velo bestens eine Witzfigur.
Chinesen akzeptiert wurde. In Chengdu, mit 1,5 Millionen Einwohnern das wirtschaftliche Zentrum Westchinas, gab es 1904 gerade mal sieben Fahr-
Die ersten Velos in China wurden in den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts
räder, drei davon gehörten Fremden, drei verschiedenen staatlichen Insti-
deshalb von den Ausländern in den sogenannten Vertragshäfen, Schanghai
tutionen, und nur eines gehörte einem chinesischen Privatmann. In vielen
und Tianjin (wo der Handel mit dem Westen abgewickelt wurde) oder in
chinesischen Städten blieb dieses Bild bis in die 40er Jahre die Regel.
der Hauptstadt Peking gefahren. Die Velofahrer in Shanghai wurden gar
Nur in den Hafenstädten wuchs die Zahl der Velofahrer anfangs des 20.
als Touristenattraktion gehandelt und in Reiseführern speziell erwähnt.
Jahrhunderts allmählich. In Schanghai, das damals zwei Millionen Ein-
Man zollte diesen ausdauernden „Sportsleuten“ Respekt, mokierte sich
wohner hatte, zählte man im Jahr 1925 noch 9800 Velos, bis 1930 hatte
aber auch genüsslich über Stürze und andere Missgeschicke mit dem
sich diese Zahl auf circa 20‘000 verdoppelt. Heute dürfte es in Schanghai,
prekären Gerät. Allmählich wagten sich aber auch Chinesen, zunächst aus
wie gesagt, mehr Velos als in Peking geben. Aber auch hier ist eine exakte
Übersee heimkehrende Studenten und Geschäftsleute sowie Prostituierte in
Schätzung ein Ding der Unmöglichkeit.
den Häfen (die keinerlei gesellschaftlichen Zwängen unterlagen) auf das Velo. Es kündete sich ein Umbruch an: Neben den alten Eliten, die nichts
Bis zum Zweiten Weltkrieg gab es zwar schon chinesische Fabriken, die
mit dem Velo am Hut hatten, gab es nun plötzlich andere, der Moderne
Velos in Massenproduktion herstellten, sodass sich mehr und mehr Men-
gegenüber sehr aufgeschlossene Schichten, die das Velo gewissermassen
schen ein Velo leisten konnten. In Schanghai gab es um 1940 schon über
gesellschaftstauglich machten. 1897 tauchten Velos das erste Mal in den
200‘000 Velos. Doch so richtig ging die chinesische Velo-Saga erst mit der
Importstatistiken auf – mehr als 800 Exemplare fanden jedoch noch nicht
Gründung der Volksrepublik China 1949 los. Die kommunistische Führung
den Weg nach China. Aber immerhin, Velos waren nun offiziell mehr als
machte das Velo zu einem Teil des politischen Programms. Die Industrie
einfach nur eine Kuriosität.
wurde stark gefördert und der Absatz der Velos subventioniert. Das Velo war nun nicht mehr Statussymbol für eine vermögende Oberschicht, es war das Volksverkehrsmittel schlechthin. Schon bald wurde die magische
Von einem Auto wagte der gemeine Chinese vor fünfzig Jahren nicht einmal zu träumen.
Grenze einer Million Velos durchbrochen. Man begann, separate Velospuren in die urbane Strassenplanung einzubeziehen und Pendler bekamen beim Kauf eines Velos grosszügige Zuschüsse. Das Velo wurde zum „Must“. Bis
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zur wirtschaftlichen Öffnung Chinas und der Verbreitung eines bescheide-
Allerdings: So verlockend die Perspektiven in ökonomischer Hinsicht sind,
nen Wohlstands galt für alle Chinesen derselbe sehnsüchtige Dreiklang:
eine starke Verkehrszunahme können vor allem die grossen Städte gar
Armbanduhr, Nähmaschine, Velo. Heute nennt man sie nostalgisch die
nicht mehr verkraften. Die Durchschnittsgeschwindigkeit, mit der sich der
„drei alten Sachen“.
motorisierte Verkehr beispielsweise durch Peking wälzt, liegt bei kaum mehr als 10 Stundenkilometern und damit nicht höher als diejenige ei-
Das Auto verdrängt das Fahrrad
ner gemütlichen Velofahrt. Staus sind allgegenwärtig, was natürlich auch
Von einem Auto indessen wagte der gemeine Chinese vor fünfzig Jahren
den öffentlichen Verkehr, der in China nach wie vor aus meist veralteten
nicht einmal zu träumen. Niemand konnte sich ein Auto leisten, denn
Bussen besteht, bremst. Dazu kommt noch die schlechte Luftqualität, und
eine inländische Produktion gab es nicht, und Importwagen wurden saftig
so wächst mancherorts tatsächlich wieder so etwas wie ein neues Velo-
besteuert. Ein paar Funktionäre kamen in den Genuss eines Wagens (in-
Bewusstsein. Ein fragiles Pflänzchen allerdings.
klusive Chauffeur, versteht sich), und zu Beginn der wirtschaftlichen Öffnung auch einige besonders reiche Privatleute, die sich mit Vorliebe fast
Mobilitätskonzepte setzen auf motorisierten Verkehr
unbezahlbare Nobelkarossen zulegten. Doch seit es in China wirtschaftlich
Ende September 2009 beteiligten sich zum Beispiel über hundert chinesi-
aufwärts geht, ist das Auto zum neuen Musterknaben geworden, und das
sche Städte am global ausgerufenen „Autofreien Tag“, in dessen Rahmen
Velo steht im politischen Abseits. Erst seit gut 25 Jahren gibt es in China
Teile der Stadt für den motorisierten Verkehr gesperrt werden. Und es
eine eigentliche Autoindustrie, doch diesen Januar gaben die chinesischen
kommt vor, dass auch im Land des politisch verordneten Konsenses Ver-
Behörden bekannt, dass man das Undenkbare geschafft hat: Mit 735’500
kehrsexperten die Städteplanung in immer deutlicheren Worten kritisieren.
verkauften Autos pro Jahr hat China die USA als grössten Automarkt der
Umweltaktivistin Amanda Cui sagt geradeheraus: „Der Regierung sind Velos
Welt abgelöst. Und nach oben ist noch viel Luft: Auf tausend Einwohner
egal. Es gibt kein Programm, um das Velofahren zu fördern, im Gegenteil.
kommen in China gerade mal 24 Autos, in der EU sind es 300 und in den
Die Regierung setzt auf Privatautos und öffentlichen Verkehr.“ Tatsächlich
USA gar 750. Die Autoindustrie gilt der chinesischen Führung als Wachs-
tauchen Velos kaum je in chinesischen Mobilitätskonzepten auf.
tumsmarkt schlechthin. Deshalb wird (mit tatkräftiger Unterstützung der Weltbank) auch ordentlich in neue Strassen investiert: Das chinesische
Grosse Städte wie Schanghai setzen auch auf westliche Expertise bei der
Autobahnnetz hatte im Jahr 1989 eine Länge von 271 km, 1995 waren es
Bewältigung des Verkehrschaos. Colin Buchanan, die Beratungsfirma, die
1300 km, Anfang 2007 schon 43’000 km; geplant bis 2011: 85’000 km.
ihren Hauptsitz in London hat, ist seit 2006 Jahren mit einem eigenen
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Büro in Schanghai präsent und hat auch schon einen Masterplan für
uns noch eher selten, sind die Strassen in Schanghai schon voll davon.
die Stadt erarbeitet. In diesen sind Vorschläge eingeflossen, wie man
Die Geschichte des Velos in China erzählt letztlich vom gesellschaftlichen
das Velofahren wieder populärer machen könnte, doch erhört wurden sie
wie politischen Umgang mit Technik – nicht nur in China. Die Moderne-
kaum. „Bis vor zwei Jahren gab es definitiv eine Anti-Velo-Politik“, sagt
Müdigkeit des Westens verhilft einem simplen, im Grunde genommen
auch Simon Babes, der bei der Shanghai-Velostudie mitgearbeitet hat. In
anachronistischen Verkehrsmittel wie dem Velo zu neuen Höhenflügen.
letzter Zeit habe er aber ein langsames Umdenken festgestellt. Er sieht
Jede westeuropäische Stadt hängt sich gern das Etikett „Velostadt“ um,
Anzeichen, dass man das Velofahren zumindest in Shanghai wieder at-
während selbiges in China eher als Makel gesehen wird. Das Velo ist
traktiver machen will. Die Zahlen sind tatsächlich deutlich: Vor 10 Jahren
eben mehr als nur ein Vehikel zur Fortbewegung, es transportiert nicht
kam in Schanghai und Peking für den Arbeitsweg noch zu 60 Prozent das
nur Menschen, sondern auch eine Attitüde. Für die kommunistische Füh-
Velo zum Einsatz, heute sind es noch gut 20 Prozent. Viel mehr Leute als
rung versinnbildlichte das Velo die ebenso praktische wie unprätentiöse
früher nähmen heute den Bus, sagt Babes, obwohl dieser meist langsam
Fortbewegung für den kleinen Mann. Für das China von heute bedeutet
und chronisch überfüllt sei. Das Velo sei für viele bloss noch ein Notna-
es technische Rückständigkeit. Bleibt zu hoffen, dass die Chinesen nicht
gel. „Wenn ich eine halbe Stunde mit dem Bürgermeister hätte, ich würde
dieselben ökologischen und stadtplanerischen Fehler begehen wie der
mit ihm nicht über Velos, sondern über Busse reden“, sagt Babes. Hier
Westen in den Sechziger- und Siebzigerjahren. Sondern dass sie das Velo
sieht er grosses Potenzial – dem Velo werde wohl nie mehr eine ähnlich
möglichst rasch als Verkehrsmittel der Zukunft wiederentdecken. Aber
bedeutende Rolle zukommen.
der Ruf der Moderne ist laut. Mahnungen werden da leicht überhört, vor allem, wenn sie von westlichen Experten beziehungsweise Besserwissern
Wachstum kommt vor Umwelt
kommen. Umwelt- und Klimaschutz klingt gut, für die Chinesen klingt
Die Zeichen im heutigen China sind widersprüchlich. Einige Städte be-
Wohlstand und Wachstum derzeit besser.
ginnen das zu erkennen, doch von oberster politischer Warte aus deutet nichts auf eine chinesische Velorenaissance hin. Die Autoindustrie wird nach wie vor stark gefördert. Zudem ist der Benzinpreis gemäss Babes „lächerlich niedrig“. Wird das Mobilitätsproblem tatsächlich einmal aus ökologischer Sicht betrachtet, dann setzt man lieber auf neue als auf alte Lösungen. Der letzte Schrei auf Chinas Strassen sind Elektrovelos – bei
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ZÜRICH IST GEBAUT
STADTENTWICKLUNG 1989 BIS 2009 In den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg gab es städtischen Raum in Hülle und Fülle. Wer bauen wollte, bekam die nötigen Bewilligungen fast immer. Sogar in Fällen, wo geltendes Recht sehr weit ausgelegt werden musste, um einem Gesuch zu entsprechen. Die Stadtregierung lag fest in bürgerlicher Hand. Im Einklang mit der nicht wirklich oppositionellen Linken nickte sie private Investitionen fast unbesehen durch. Ende der 1980er Jahre sah sich Zürich aber plötzlich bislang unbekannten Herausforderungen gegenübergestellt.
Text: Roland Munz
Zürich weder für die Industrie noch als Wohnort attraktiv
genüber. Schliesslich begann sie gegen den Widerstand von Kanton und
Die Menschen zogen aufs Land und pendelten mit dem Auto in die Stadt
15‘000 Stück pro Tag. Morde im Drogenmilieu, Beschaffungskriminalität,
zur Arbeit. Öffentliche Verkehrsmittel wären eigentlich nötig gewesen, doch
Lärm und Gestank beeinträchtigten das Leben vor allem im Kreis 5 zwi-
gab es sie 1989 gut ausgebaut nur in der Innenstadt. Vom heute selbst-
schen Platzspitz und den grossen Industriebrachen in Zürich-West. Für
verständlichen S-Bahnnetz sah man erst die Baugruben. Immerhin war die
Investoren nicht gerade attraktiv.
Bund, den drogenkranken Menschen saubere Spritzen abzugeben. Bis zu
Goldküste mit einer Bahnlinie erschlossen, welche ab dem Hauptbahnhof via Bahnhof Letten zum Seeufer führte. Aussenquartiere wie Schwamendingen aber waren einzig mit Bussen leidlich erschlossen. Die Strassen waren verstopft, laut und abgasgeschwängert.
Die Strassen waren verstopft, laut und Abgasgeschwängert.
Es brauchte Jahre um eine nachhaltige Lösung der gewaltigen Drogenprobleme aufzugleisen, an denen unsere Stadt damals krankte.
Vermutlich nicht schlecht gemeint – ganz sicher aber wenig durchdacht – handelte 1990 der Kanton, als er die Polizei anwies, den Platzspitz zu Dazu kam eine eigentliche De-Industrialisierung: Industriebetriebe zog
räumen. Seit Eröffnung der S-Bahn im selben Jahr verloren der Bahnhof
es haufenweise aus Zürich weg. Innerhalb weniger Jahre brach die Zahl
Letten und die dort vorbeiführende Bahngeleise ihren Zweck, worauf sich
der Industriearbeitsplätze in Zürich auf einen Viertel ein. Steinfels ver-
die aus dem Platzspitz vertriebene Drogenszene dorthin verlagerte. Es
liess Zürich 1986. Sulzer Escher Wyss stellte den Giessereibetrieb 1987
brauchte Jahre um eine nachhaltige Lösung der gewaltigen Drogenproble-
ein. Löwenbräu wurde von Hürlimann übernommen und 1987 stillgelegt.
me aufzugleisen, an denen unsere Stadt damals krankte.
Schoeller schloss die Tore 1988 – um nur ein paar Beispiele zu nennen. hatte für eine grosse Zahl stellenloser Industriearbeiterinnen und Indus-
Mit dem Gestaltungsplan der Bodenspekulation entgegenwirken
triearbeiter Sozialkosten zu bewältigen, just in einer Zeit, als auch die
Als die SP nach Jahren in der Opposition mit Ursula Koch wieder in
übrige Wirtschaft darbte. Krisenstimmung machte sich breit in Zürich.
den Stadtrat einzog, wurde der nicht vom Baufach kommenden Koch das
Gleichzeitig trat ein noch nie dagewesenes, neues Phänomen auf: Im
Hochbauamt zugeschoben. Viele dachten, die neue Hoffnungsträgerin der
Platzspitzpark installierte sich die weltweit grösste offene Drogenszene.
Linken damit demontieren zu können. Vom Bauen wusste sie anfänglich
Ziemlich hilf- und ratlos sah sich die Stadtregierung diesem Elend ge-
tatsächlich wenig. Aber sie wusste sehr genau, was sie nicht wollte: den
So sah sich Zürich 1989 mit riesigen Industriebrachen konfrontiert und
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Schiffbau
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Zerfall der Industriebrachen und nur auf Gewinn maximierte Neubauten.
reihalle und schliesslich das Verwaltungshochhaus, umgebaut 2001 zum
Noch nicht lange im Amt, sorgte sie mit der Aussage „Zürich ist gebaut“
„Bluewin-Tower“. Der Turbinenplatz im Herzen des ehemaligen Industrie-
für Aufruhr. Zürich soll gebaut sein, wo es an allen Ecken und Enden zer-
areals wurde zum grössten Platz der Stadt. Zürich war 1988 tatsächlich
fällt? Wo freies Land in der Allmend Brunau, am Zürichberg, der Platzspitz
gebaut. Aber Zürich war nicht den neuen Anforderungen entsprechend ge-
und andere ungenutzte Freiflächen zum Bauen einladen?
baut. Über die seither mittels Gestaltungsplänen und ab den 90er Jahren in sogenannten „kooperativen Planungen“, das heisst in Verfahren wo Bau-
Die Zeit war reif für eine Neubesinnung. Die düstere Gegenwart 1989
herrschaft, Bewohnerinnen, Bewohner und städtische Stellen zusammen
musste zu denken geben. Ist wohl das Eine oder Andere an den öffentli-
Anforderungsprofile für Überbauungen aufstellen, verwirklichten Projekte
chen Interessen vorbei gebaut worden? Koch lieferte die Antwort gleich
kann man geteilter Meinung sein. Manche empfinden sie als zu steril. Für
selber nach, indem sie das Instrument des Gestaltungsplanes entdeckte,
viele sind die neu angelegten Plätze zu wenig belebt. Zu beklagen ist der
um mit Investitionswilligen zu verhandeln. Zugeständnisse der Stadt an
Abriss alter Bauten wo nach dem Auszug der Industrie zwischenzeitlich
private Bauleute mussten sich diese neuerdings ihrerseits mit Zugeständ-
freischaffende Berufsleute aus Kunst, Architektur, Gastwirtschaft, Fotogra-
nissen erwerben. Dass Investoren überhaupt bereit waren, in solche Ver-
fie usw. günstige Arbeits- und Lebensräume schufen. Nicht zuletzt wegen
handlungen zu treten, ist der Tatsache zu verdanken, dass nicht überall
dieser Kulturräume ist in den 90er Jahren das Partyverbot an kirchlichen
alles gebaut werden darf. Was wo zulässig ist, legen Zonenpläne fest: In
Feiertagen gefallen. Nicht zuletzt wegen der dynamischen freischaffenden
der Industriezone können Industriebauten, in der Wohnzone Wohnungen
Szene ist Zürich 2009 zum wiederholten Male zur Stadt mit dem weltweit
errichtet werden usw.
attraktivsten Umfeld gewählt worden.
1989 lagen einige dutzend Quadratkilometer Industriezone in der Stadt
Aufgerüttelt vom Positionsbezug „Zürich ist gebaut“ begann sich Anfang
brach. Die Auswirkung des Gestaltungsplans zeigt ein Rechenbeispiel: Ein
der 90er Jahre auch die Bevölkerung wieder mit stadtplanerischen Fragen
Grundstück von 100 mal 100 Metern Industrieland gehört der Firma ABC.
auseinanderzusetzen. Plötzlich wurde man gefragt! Man meldete Bedürf-
Industrieland hat beispielsweise einen Wert von 500 Franken pro Quad-
nisse an bei Gestaltungsplänen, brachte sich ein in kooperative Planungs-
ratmeter. Dürfte man nach einer Umzonung darauf Dienstleistungsgebäude
verfahren. Und wie sich vor fast hundert Jahren im damals auf das Gebiet
bauen, wäre der Boden plötzlich 5000 Franken pro Quadratmeter wert. Die
des Stadtkreises 1 beschränkten Städtchens – das gänzlich zugebaut war
neue Hochbauchefin verlangt jetzt aber, es müsse für die ganzen 100 mal
– Widerstand regte, als historische Häuser zwischen Limmat und Lindenhof
100 Meter ein Gestaltungsplan gemacht werden, der auf einem Teil der
einer Hochhausüberbauung weichen sollten, so weiss sich die Bevölkerung
Überbauung Wohnungen und einen kleinen Park mit Spielplatz beinhaltet.
auch heute zu wehren, wenn ihr ein Projekt nicht passt. Jüngstes Beispiel
Mit diesen Auflagen sinkt der durchschnittliche Bodenpreis innerhalb des
ist das in einer Volksabstimmung abgelehnte neue Kongresshaus.
Grundstückes der Firma ABC auf „nur“ noch 3000 Franken, was immer noch sehr viel mehr ist, als die 500 Franken pro Quadratmeter Industrie-
Dass die neuen Gebiete in Zürich-West und in Neu-Oerlikon vielleicht
land. Was sich hingegen nicht unmittelbar in Zahlen erfassen lässt, ist der
nochmals 20 Jahre brauchen, bis sich dort ein eigenständiges Quartier-
Mehrwert für die Bevölkerung und die Stadt als Ganzes, der durch diese
leben etabliert, mag heute stören. Dank den Gestaltungsplänen ist aber
gemischte Nutzung auf längere Sicht entsteht.
überhaupt erst eine Grundlage geschaffen worden, die für die wachsende Bevölkerung Zürichs neuen Lebens- und Wohnraum schafft. Dass diese Gebiete der ungezügelten Spekulation entrissen und durchmischte Bau-
Zürich war 1988 tatsächlich gebaut. Aber Zürich war nicht den neuen Anforderungen entsprechend gebaut.
nutzungen entstehen konnten, ist daher bleibendes Resultat und Verdienst von „Zürich ist gebaut“. Hätte die Stadtverwaltung auch noch den Mut, sich gegen den aktuellen Trend der Zentralisierung zu stellen, indem sie öffentliche Einrichtungen mehr als bisher auch in den neuen Stadtteilen ansiedelt, wäre das sicher ein weiterer Schritt, der diesen neuen Quartieren mehr Leben einhaucht.
Neue Quartiere für Zürich Der Gestaltungsplan für das Steinfels-Areal machte den Anfang. In Oerlikon entstand nach dem Wegzug der ABB-Industrieproduktion ein ganzes neues Stadtquartier. Das Escher-Wyss-Areal stellte die weitläufigste Stadtentwicklungszone dar. Zahlreiche Gebäude wurden dort seit 1990 errichtet wie etwa der Technopark (1993), die Hotels Novotel, Ibis und Etap, Büro-, Gewerbe- und Wohnüberbauungen, Westpark und Puls5. Einige Industriegebäude fanden neue Nutzungen, etwa die ursprüngliche Schiffsbauhalle und spätere Kesselschmiede, in der heute das Schauspielhaus eine Filiale betreibt oder die in die Überbauung Puls 5 integrierte Giesse-
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Bahnhof Stadelhofen
Puls 5
Schiffbau
Maagareal
Maagareal
Limmatquai
Schiffbau
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Limmatquai
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GUTZI GEBEN Wer mehrmals in der Woche fünf bis acht Stunden auf dem Fahrrad unterwegs ist, hat unweigerlich eine gute Kondition. Das hat in der Velokurierszene dazu geführt, dass Kuriere vor ungefähr 20 Jahren nach getaner Arbeit anfingen, sich miteinander zu messen. Daraus sind unter anderem Welt-, Europa- und Schweizermeisterschaften der Fahrradkuriere entstanden, bei denen Velokuriere aus der ganzen Welt gegeneinander Rennen fahren, die ihrem Arbeitsalltag nachempfunden sind.
Text: Mahmud Tschannen, Fotos: José Mendez, aga
Neben den offiziellen Kurierrennen auf abgesperrtem Gelände gibt es aber
auf dem Rad durch ihre Stadt rasen. Schlussendlich liegen die Zeiten der
eine Reihe inoffizieller Rennen, die quer durch eine Stadt führen. Diese
Schnellsten weltweit recht nah beieinander.
Rennen, Alleycats genannt, gibt es in unzähligen Varianten. Einige der spannendsten Alleycats, die inzwischen auch weltweit ausgetragen wer-
Dieses Jahr fand das Global Gutz in Adelaide, Basel, Berlin, Bremen, Bris-
den, haben Veloblitzler ausgeheckt.
bane, Dublin, Essen, Fukuoka, Graz, Halifax, Hamburg, Kassel, Köln, Kopenhagen, Krakau, London, Madrid, Mailand, Montreal, Nagoya, New York,
Global gleichzeitig
Paris, Perth, San Diego, San Francisco, Santiago de Chile, Seattle, Sydney,
Das beste Beispiel eines Alleycats, das in Zürich entstanden ist, nennt sich
Washington, Warschau, Wien, Yokohama und Zürich statt. Der Preis für die
Global Gutz, ein Rennen, das zeitgleich in verschiedenen Städten rund um
schnellste Frau und den schnellsten Mann weltweit war ein Ticket an die
den Globus stattfindet: Auf einer 21 km langen, möglichst flachen Strecke
Velokurierweltmeisterschaften in Tokyo. Die Siegerin in Zürich, Anette Mi-
müssen Teilnehmerinnen und Teilnehmer fünf Checkpoints auf dem kürzes-
chel, ist nicht nur die schnellste Frau weltweit, in Zürich ist sie schneller
ten Weg anfahren. Die Checkpoints sind vorher nicht bekannt. Am Anfang
als alle Männer. Ein denkwürdiges Ereignis und für einige Jungs vermut-
des Rennens wird der erste mitgeteilt und am ersten dann der zweite und
lich etwas peinlich.
so weiter. Neben den Gewinnerinnen und Gewinnern der lokalen Rennen werden diejenigen mit der weltweit schnellsten Zeit zu den eigentlichen
Schneller nicht immer geschwinder
Gewinnern des Global Gutz ernannt. Dieses Jahr gewannen ein Velokurier
Das Global Gutz in Zürich führt vom Wipkingerplatz über die Ecke Bänd-
aus Warschau und eine Velokurierin aus Zürich die internationale Klassie-
listrasse/Bändliweg in Altstetten an die Zeughausstrasse. Bis hier ist eine
rung. Dass die Zeiten nicht direkt miteinander vergleichbar sind, ist klar.
Spitzengruppe aus sieben Fahrern noch zusammen. Der nächste Checkpoint
In einer Stadt regnet es, in der anderen sind die Checkpoints einfacher zu
ist and der Ecke Zeughausstrasse/Kasernenstrasse im Kreis 4. Hier wäh-
finden oder etwas anderes stimmt nicht überein und bevorteilt eine Stadt
len die Teilnehmer unterschiedliche Routen. Einige traversieren über die
gegenüber der anderen. Beim Global Gutz geht es aber genau nicht um die
Hardbrücke in Richtung Kreis 4. Die schnelleren wählen den Weg über den
Unterschiede, sondern um das Verbindende. Der Reiz am Rennen ist das
Kreis 5 und die Langstrasse, der von weniger Baustellen behindert wird.
Wissen, dass in Mailand und New York im genau gleichen Moment Leute
Von dort geht es an die Landiwiese, beziehungsweise zu den Tennisplätzen
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Unten links: Start in Warschau, alle anderen: Santiago de Chile
gegenüber. Inzwischen haben sich an der Spitze zwei Zweierteams gebil-
nachfolgenden Anette und Christoph, die direkt von dort zum letzten Pos-
det. Stefan und Martin können sich absetzen und führen kurzzeitig. Cris-
ten an der Ecke Fröhlichstrasse/Seefeldstrasse fahren und von hier aus
toph und Anette schliessen jedoch die Lücke, die sich aufgerissen hat, bis
souverän zurück ans Ziel an den Wipkingerplatz „fliegen“: über das Lim-
zu diesem Posten wieder. Dann rast die Vierergruppe in Richtung Seefeld
matquai, durch die Bahnhofsunterführung, an einer Demo vorbei und über
an die Ecke Bellerive/Fröhlichstrasse. Nach der Quaibrücke finden Stefan
das Sihlquai an den Wipkingerplatz und zum Sieg!
und Martin eine Lücke im Verkehr und schiessen am Bellevue davon. Christoph, der sieht, dass Anette wegen des Verkehrs und Fussgängern
Siegerinnenzeit: 35 Minuten, 38 Sekunden.
den Anschluss verliert – sie muss anhalten – wartet auf sie. Gemeinsam
Durchschnittsgeschwindigkeit: 35.765 km/h.
machen sie sich auf die Jagd nach dem Führungsduo, die sie inzwischen
Preis für die globale Siegerin: 1 Flugticket Tokyo retour.
aus den Augen verloren haben. Konichiwa Japan!
Die Siegerin in Zürich, Anette Michel, ist nicht nur die schnellste Frau weltweit, in Zürich ist sie schneller als alle Männer.
PS: Knapp nach Anette gewinnt Christoph mit der offiziell gleichen Zeit das Rennen der Männer und sein erstes Alleycat überhaupt.
Dann geschieht das, was das Rennen entscheidet: Der führende amtierende Europameister der Velokuriere, Stefan Fröhlich, zu dessen Ehren es zwei Checkpoints an der Fröhlichstrasse gibt, verfährt sich ausgerechnet an „seiner“ Strasse: Er rast am Checkpoint Ecke Bellerive/Fröhlichstrasse vorbei und verliert mit seinem Partner die Spitzenposition an die rasch
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OHNE SCHWEISS KEIN PREIS Bitte die Schuhe auf dem Boot ausziehen! Unsicher ob des Gehörten, schaut mich mein Vordermann an. Ich nicke. So stellen wir unsere Rennräder im Passagierraum der Personenfähre ab, parkieren Helme und Schuhe dazu und entern barfuss die Bar. Kaum erhalten, verschwindet eine halbe Flasche kühlen Mineralwassers in meine Kehle. Aaah, tut das gut.
Text: Roland Munz
Wenig später trifft sich unsere Gruppe fast wie verabredet auf Deck. Den im Hafen von Sollér zurück gebliebenen prosten wir vom ablegenden Schiff aus freudig zu. Wie lange die Überfahrt nach Sa Calobra heute wohl dauern wird? 40 Minuten? 50? Oder gar 60?
Petrus meint es gut mit uns Seit dem Start heute Morgen an der Platja de Muro begleitet uns perfektes Frühsommerwetter. Im Anstieg von Bunyola auf den Sollér-Pass kamen wir ein erstes Mal richtig ins Schwitzen. Wie froh sind wir, dass es diese Woche nicht mehr gar so heiss ist wie in der vorigen. Damals, am letzten Donnerstag, bei fast vierzig Grad, auf den Puig Major mit seiner Passhöhe von gegen 900 Metern, erreichte manch einer die Grenzen persönlicher Leistungs- und Leidensfähigkeiten. Alle paar Meter sah man jemanden am Strassenrand sitzen, die Getränkeflaschen förmlich ausquetschend. Etliche mussten dort ihre Ambitionen zurückstecken und ein Taxi für die Retourfahrt nehmen. Unvergesslich auch jener Hobby-Lance-Armstrong, der zuoberst auf dem Pass samt seinem superleichten Carbonrenner einem Taxi entstieg, um stolz für ein Erinnerungsfoto zu posieren. Etwas stolz war ich meinerseits auf die mir anvertraute Gruppe, wo alle die Tour aus eigener Kraft beenden konnten. Abends meldete der lokale Fernsehsender, es wäre ein neuer Temperaturrekord für Anfang Mai erreicht worden. Aha, alles klar. Für heute sind wiederum über 30 Grad angekündigt. Im Moment allerdings kümmert uns das wenig. Es ist kurz nach 13 Uhr und wir geniessen die angenehme Meeresbrise. Wer mag da schon an den bevorstehenden Anstieg denken?
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Wir, das sind 12 Trainierende, welche sich in der von mir geleiteten
Manchmal tut mir da unser Grupenleiter schon etwas leid, der die Ski-
Gruppe der Leistungskategorie „Hobby Lang“ beim Radsport-Reiseveran-
rennfahrer in ihren Radtrainings über die Insel führen darf: Hier ist er es,
stalter Hürzeler Holidays eingetragen haben. Als der ehemalige Radprofi
der regelmässig seine Leistungsgrenzen entdeckt.
Max Hürzeler vor über 20 Jahren für eine Hand voll Freunde das erste Mal Radsportferien organisierte, ahnte wohl niemand, dass 2009 mehr
Da habe ich es während meines zehnwöchigen Einsatzes als Tourguide
als 25‘000 Gäste alleine über diesen Veranstalter ihren Aktivurlaub
der Kategorie „Hobby Lang“ gut. Dies ist die tiefste Kategorie jener, die
auf Mallorca buchen würden. In dieser Zeit haben sich nicht nur die
primär aus Trainingsgründen hier sind und auf konkrete sportliche Zie-
Strassen und das seit einigen Jahren zunehmend gute Radwegnetz stark
le hinarbeiten. Uns stehen alle Berge offen für Ausfahrten zwischen 90
verändert. Auch das Angebot der Organisation wird stets neuen Anfor-
und 140 Kilometern bei zügigem Tempo. Wer sich zur Teilnahme in einer
derungen angepasst.
Gruppe eingetragen hat, kann natürlich bei Unter- oder Überforderung jederzeit die Kategorie wechseln – vorausgesetzt, es findet sich ein freier Platz in einer passenden Gruppe. Jetzt im Mai ist dies auch kaum mehr
Vor über 20 Jahren ahnte wohl niemand, dass 2009 mehr als 25‘000 Gäste alleine über diesen Veranstalter ihren Aktivurlaub auf Mallorca buchen würden.
ein Problem. Unsere Hochsaison war im April, bevor in Europa die ersten Radrennen starteten. Dennoch ist es nie ratsam, sich in einer offensichtlich zu starken Gruppe einzutragen, wenn die eigentlich passende Leistungsstärke ausgebucht ist. Und unbedingt ist auf pünktliches Erscheinen am Startplatz zu achten!
So sind längst nicht mehr nur für ambitionierte Sportsleute Touren im
Das heisst, dass auch viel zu früh zu sein unerwünschte Wirkungen haben
Angebot. Selbst wer nie zuvor auf einem Fahrrad gesessen ist, kann in
kann: Zum Leiter der stärksten Leistungsgruppe sprintete kürzlich ein Gast
der Einsteiger-Gruppe die Freude am Radfahren entdecken. Nach wie vor
nach vorne. Hochrot der Kopf, schwer der Atem. Keuchend fragte er bei
aber kommen zu Beginn der Saison im Februar ganze Profi-Rennteams
Kilometer 30, kurz nach der Einrollphase, ob denn der Gruppenleiter noch
zum Training. Diese Woche beispielsweise das Alpin-Kader der Schweizer
zu retten sei. Schliesslich fahre man nunmehr seit einer Stunde mit einem
Skinationalmannschaft, das sich zum ersten Sommertraining bei uns ver-
Schnitt von 32 Km/h statt der ausgeschriebenen 23. Selbstverständlich
sammelt. Mit dabei auch der im vorigen Winter schwer verunfallte Daniel
gehe es so weiter, entgegnete der Leiter. Und im Übrigen wäre dieses
Albrecht, der hier erstmals wieder mit dem Team zusammen trainiert.
Tempo angekündigt worden für die Ausfahrt über 184 Kilometer. Schnell
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stellte sich heraus, dass sich der Keucher eine halbe Stunde zu früh – als
Klosterkirche. Von da aus machte sich einst der Mönch Junípero Serra auf,
die Speed-Gruppe ihre Besammlungszeit hatte – am Startplatz eingefun-
an der Westküste Amerikas 21 Missionsstationen zu gründen. Städte wie
den hatte. So fügte er sich in sein Schicksal, kniff die Backen zusammen
San Francisco – eine meiner Lieblingsstädte – und San Diego gehen direkt
und versuchte im Windschatten der Gruppe zu folgen. Bei Kilometer 78
auf diese Stationen zurück.
schliesslich gab er entkräftet auf, schleppte sich zurück ins Hotel, legte drei Ruhetage ein und schloss sich schliesslich erfolgreicher der anvisier-
Morgen Freitag allerdings werden wir eine kürzere Fahrt nach Sinéu un-
ten Gruppe „Hobby Kurz“ an.
ternehmen. Alle zwei Wochen setze ich auf der dortigen, nicht besonders steilen und darum öffentlich zugänglichen, Radrennbahn einen Preis aus:
Nicht nur die Startplätze und Zeiten der Gruppen sind hier klar geregelt.
Der Sieger und die Siegerin im Sprintwettbewerb über eine Runde gewinnt
Beim Einchecken im Hotel bekommen unsere Gäste ihr persönliches, num-
ein Stück der fast schon legendären Erdbeertorte, die wir zum Wochenab-
meriertes Schloss für das Radzelt. Dort wird das eigene oder das gemie-
schluss an der Strandpromenade von Can Picafort geniessen werden.
tete Fahrrad verstaut. Am Lenkervorbau wird vorher eine Radsportvignette angebracht, welche in der Hürzeler-Boutique des Hotels bezogen wird.
Die See ist ruhig heute
Diese Vignette berechtigt zur Nutzung des bewachten Radzeltes, zum Be-
So erreicht unser Fährboot schon nach 45 Minuten sein Ziel in Sa Calobra.
zug eines Picknickes für die Ausfahrt, und um kostenlos Kleinreparaturen
Schuhe anziehen, Helm aufsetzen und Räder fassen. Dem Einen oder der
in den eigenen Werkstätten ausführen zu lassen.
Anderen wird es etwas mulmig zumute beim Blick bergwärts. „Die Schlange“ wartet auf uns! Bissige 730 Höhenmeter, gefühlte 100 Serpentinen-
Meine Aufgabe als Gruppenleiter ist es, an fünf Tagen pro Woche Aus-
Kurven und zuoberst der „Krawattenknoten“ – eine in Europa einzigartige
fahrten zu planen. Jeden Morgen vor dem Start hänge ich die Tour des
270-Grad-Kurve, die über sich selbst hinüber führt – stehen uns bevor.
nächsten Tages aus, mit Angaben zu vorgesehener Durchschnittsgeschwindigkeit und Distanz. Für Mensch und Maschine führen wir „Guides“ Flick-
Nach dem ersten Kilometer, wir lassen eben die letzten Schatten spen-
zeug mit uns, um bei Stürzen Erste Hilfe leisten, Plattfüsse oder andere
denden Bäume der malerischen Bucht hinter uns, gebe ich freie Fahrt.
kleine Defekte beheben zu können. Während der Mittagspausen erzähle
Jetzt müssen alle ihren eigenen Rhythmus finden für die nächsten neun
ich ganz gerne Episoden aus der Geschichte Mallorcas und der besuch-
Kilometer mit Steigungen von bis zu zwölf Prozent. Nein, flach wird es
ten Ortschaften. Fast schon ein Muss sind für mich Besuche in Petra auf
erst auf der Passhöhe wieder. Spektakulär schlängelt sich die Strasse die
dem historischen Marktplatz im Schatten der ehemaligen Franziskaner-
Felswand hinauf. Fast senkrecht über uns sieht man die nur aus Steinen
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erbauten Mauern der Haarnadelkurven. Und immer wieder raubt einem
Film „Höllentour“ gesagt: „Ist es wirklich schlau, auf ein Zoll breiten Rei-
auch der Blick talwärts über die türkisfarbene Bucht fast den Atem.
fen, mit einer klassischen Seilzugbremse ausgerüstet, bei vollem Tempo eine Passstrasse hinunterzurasen? Nicht wirklich!“ Diese Worte im Kopf,
Plötzlich ist es dunkel. Zwei sich über mir kreuzende Felsnadeln bilden
gebe ich ein Tempo vor, bei dem sich alle sicher fühlen können. Niemand
einen kurzen Tunnel an dessen Ende mich eine kleine Aussichtsplatt-
meiner Gruppe soll sich gedrängt fühlen, über die eigenen Verhältnisse zu
form zum Anhalten und Fotografieren einlädt, oder fast schon zwingt.
fahren. Sicherheit geht vor.
Mir kommen Erinnerungen an die erste Gruppe wieder hoch, mit der ich diese Passstrasse hochgefahren bin. Anfangs April blieb hier eine Radlerin
Stürze gibt es zum Glück selten. Und wenn, dann gehen sie in der Regel
stehen, leise weinend. Wie stets am Berg fuhr ich am Schluss der Gruppe,
glimpflich aus. Nicht aber für den Vogel, der mir unlängst ins Hinterrad
hielt bei ihr an, schloss sie in meine Arme. Nein, sie sei nicht erschöpft,
flog: Das Rad blockierte. Die mir nachfolgende Radlerin fuhr auf mich auf
nicht körperlich. Aber sie möchte einen Augenblick innehalten, trauern. Sie
und stürzte. Ihre Schürfwunde konnte ich ohne Probleme verarzten. Viel
wäre nicht zuletzt auf diese Tour mitgekommen, um zu verarbeiten. Zwei
schwieriger war es, den zuckenden und schreienden schwarzen Vogel von
Jahre zuvor, genau in dieser Kurve, in der Abfahrt, sei ihr Mann, als er
seinem Leiden zu erlösen. War es eine Amsel?
alleine unterwegs war, tödlich verunfallt. Schauer lief nun auch mir den Rücken hinunter. Wir setzten uns auf die Mauer, während sie leise sprach
Aber heute läuft alles wie geschmiert. Schon erreichen wir Pollenca. Hier
und sich an mir festhielt. Noch einige Male haben wir in den folgenden
biegen wir auf eine kleine aber gut unterhaltene Nebenstrasse ein. Links
Tagen zusammengesessen. Nicht nur ihr wird jene Tour wohl auf ewig in
und rechts zieren Gärten den Weg. Die letzten Kilometer führen uns an
Erinnerung bleiben. Als Gruppenleiter ist man nicht bloss Streckenplaner,
Pferdestallungen vorbei, einen Bach entlang zurück an die Platja de Muro.
Notfallmechaniker, Samariter und Pausenunterhalter. Immer wieder stellen
Die Sonne steht noch hoch am Himmel. Wieder ist eine Ausfahrt ohne Zwi-
sich uns auch psychologische Herausforderungen. Auch darum mag ich
schenfälle verlaufen. Bei der Abschlussbesprechung der heutigen Ausfahrt
diese vielfältige Arbeit sehr!
blicke ich rundum in zufriedene Gesichter und werde von meinem Team mit Applaus belohnt. Weil das Meer mittlerweile auch schon einladend
Endlich folgt die wohlverdiente Abfahrt
warm ist, stürzen wir uns zusammen in voller Radmontour in die Wellen.
Bloss keine Ziege auf der Strasse. Wenn nur nicht Sand oder Steine in der
Nein, doch nicht ganz: Die Schuhe ziehen wir noch aus.
Kurve liegen. Ja nicht zu viel denken. Aber auch nicht zu wenig, immer etwas vorausschauend. Wie hat schon der Fahrer des Team Telecom im
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Impressionen einer Velotour entlang der Strada statale 106 in Kalabrien. Fotos: Alois Jauch, Illustration: Hofgrafen
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DIE VIERTAUSEDER PARADE – ZWEI BIKETAGE IM VAL D‘ANNIVIERS Von den Aprikosen-Hainen an den Fuss der Viertausender und zurück. Eine Zweitages-Tour für angefressene Biker, durch das Walliser Seitental Val d‘Anniviers. Text: Simon Joller, Illustration: Hofgrafen
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Vor 150 Jahren fuhren vornehmlich Englän-
Der Verlockung der Corne de Sorebois auf 2896
der von Sierre durch das Val d‘Anniviers in
Metern über Meer können wir nicht widerstehen.
das Bergdorf Zinal. Die Angelsachsen waren
Wie ein Keil spaltet sie das Val d‘Anniviers in
fasziniert von der majestätischen Präsenz der
das Val de Zinal und das Val de Moiry auf. Wir
ewig eisbedeckten Bergriesen am Ende des Ta-
stehen zuvorderst auf der Keilspitze, noch etwas
les, hinter Zinal. Mit dem Weisshorn, dem Zi-
benommen vom (endlos scheinenden) Aufstieg
nal Rothorn, dem Ober Gabelhorn und der Dent
mit der halbstündigen Trage-Passage, aber be-
Blanche schliessen gerade mal vier über 4000
tört vom grandiosen Ausblick in die Ferne. Unter
Meter hohe Bergsteiger-Traumziele den südli-
uns liegen 40 Kilometer Aufstieg, der kalt-blaue
chen Seitenarm des Rhonetales ab.
Moiry-Stausee, in der Ferne die Berner Alpen
Wie hoch
und vor uns die Walliser Viertausender.
Wie lange
Tour de Val d‘Anniviers Im Westen bergan, im Osten talwärts. Eine grandiose Zweitagestour für Bike-Abenteurer im Wallis. Wann Wie weit
Weder mit Maultier noch Benzin-Kutsche wollen wir diese Reise antreten, sondern mit Bikes.
Nur eine Erkenntnis kann uns aus unserem Ta-
In zwei Tagen das Tal hinauf und hinunter. Das
traum reissen: die Aussicht auf einen nächsten
ist keine gemütliche Rundfahrt. Fahrkönnen und
Tagtraum… Die unglaublich schnelle Abfahrt
Kondition werden vorausgesetzt. Doch die Ge-
über planierte Skipisten – immer dem Weg ent-
birgskulisse, einsame Alpwege und Traumab-
lang – hinab nach Zinal, über einen Kilometer
fahrten belohnen die Anstrengung. Wer weniger
tiefer unten gelegen. In Downhill-Trance fahren
auf Abenteuer denn auf Genuss-Suche ist, fin-
wir in Zinal ein, der einstigen Zwischenstation
det im Val d‘Anniviers gegen hundert markierte
für Talbewohner und Vieh, bevor sie auf die Alp-
Bike-Kilometer mit demselben hochalpinen Pan-
sitze zogen. Wir wissen die Spaghetti à discréti-
orama, für jedermann fahrbar. Vorerst stehen wir
on zu schätzen und übernachten in der Auberge
noch in Sierre, wo die Atmosphäre keineswegs
Les Liddes für ganze 25 Franken! Am nächs-
alpin ist. Die trockene Walliser Wärme, Apriko-
ten Morgen, noch bevor die Sonne sich über
sen-Plantagen und Weinberge erinnern eher an
die Bergriesen schieben mag, sind wir bereits
südfranzösische Regionen. Den herben Walliser
wieder unterwegs. Zum Aufwachen eine kurze
Rotwein sparen wir Biker uns allerdings für die
Trage-Passage hinauf auf den Höhenweg. Und
Rückkehr auf. Denn die ersten Kilometer hinauf
dann, nach der Bergfahrt an der Westflanke am
auf die Terrasse von Vercorin und weiter Rich-
Vortag, die Talfahrt über die Ostflanke des Val
tung Grimentz hilft uns weniger der Weingeist
d‘Anniviers. Der grandiose Pfad, über den stre-
denn ein paar Kohlenhydrate aus dem Rucksack.
ckenweise der bekannte Berglauf Sierre-Zinal
Teils sind die Wege derart steil, dass wir abstei-
führt, ist technisch einigermassen schwierig. Die
gen und schieben müssen.
Wanderer staunen, und wir geben lachend zu, dass wir zwischendurch, wie sie, zu Fuss unter-
Was mitnehmen
Wie hinauf
Wie hinunter
Was sehen
Wo essen Wo übernachten
vom Sommeranfang bis zum ersten Schnee 45 Kilometer hinauf und 45 Kilometer hinunter 1500 Höhenmeter (ohne Abstecher Corne de Sorebois) 5 bis 8 Stunden Steigung, 4 bis 6 Stunden Abfahrt LK der Schweiz, 1:25‘000, Blätter 1287 Sierre, 1307 Vissoie, 1327 Evolène, warme Bekleidung, gute Schuhe (Schiebe-Strecken) Sierre – Vercorin auf der Strasse, über Simboué Pt 1731 – Tracui– Les Tsougdires – Le Chêquet nach Grimentz, Pt 1599 – Mayens de Tsirouc – Le Biolec – über die Weide nach Grand Plan schieben – Sorebois – Singline, hinunter nach Zinal Variante für Unersättliche: Le Chêquet – Hauptstrasse Richtung Lac de Moiry – steil auf die Corne de Sorebois – Sorebois – Zinal Zinal – Arolec – Lirec – Barneuza – Montagne de Nava-Hotel Weisshorn – Tignousa – Pt 2091 – Alpage de Chandolin – Pramarin – Ponchet – Le Couquelle – Niouc – Sierre Vier Viertausender, das Rhonetal von oben, Murmeltiere, Ziegen und Kampfkühe, Grimentz‘ alter Dorfkern Bendolla ob Grimentz, im historischen Hotel Weisshorn, Rucksack Grimentz, Zinal, Petit-MountetHütte ob Zinal, Hotel Weisshorn
wegs sind. Die Krönung kommt zum Schluss, als
Die trockene Walliser Wärme, Aprikosen-Plantagen und Weinberge erinnern eher an südfranzösische Regionen.
wär‘s ein köstliches Dessert: Eine schier endlose Abfahrt über weichen Waldboden hinunter nach Sierre. Und nach dem blendenden Weiss des ewigen Schnees können wir uns in der Stadt Sierre endlich der zweiten Farbe im Walliser Kantonswappen widmen: dem klaren Rot des
Schultern und schieben muss man das Bike auf
geistreichen Traubensaftes…
dieser Tour verschiedentlich. Vor allem, wenn man wie wir von der Gipfel-Krankheit befallen ist. Natürlich könnten wir am Ende des Tales bei Grimentz – Zielort des legendären Bikemarathons Grand Raid Cristalp – das Tal queren und mehr oder weniger gemütlich nach Zinal gelangen. Schon diese Variante würde uns ab Sierre über 1500 Höhenmeter abfordern. Doch wir setzen gleich noch 1000 Meter Höhengewinn drauf.
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AUS SCHROTT WIRD SEIT 15 JAHREN KUNST „Als führender Druckdienstleister im Grossraum Zürich wissen wir um die Kraft kreativer Ideen - sie beflügeln, inspirieren und ebenen oftmals den Weg für neue Betrachtungsweisen oder Lösungsansätze. Druck und Kunst profitieren von einer gegenseitigen Wechselwirkung. So verwundert es kaum, dass die FO-Fotorotar einen bekannten Künstler aus der Region sponsert, der mit seinen Arbeiten ebenso klare Zeichen setzt wie das seit 75 Jahren etablierte Unternehmen innerhalb der grafischen Branche.“
Kultursponsoring von
Alte Motorhauben, Drähte und Plastikfolien - kein Material ist vor Leto
Zudem habe ich in Uster den Kunstabenteuerspielplatz Serafins Garten
alias Markus Meyle sicher. Der Plastiker verarbeitet Schrott zu Kunst.
aufgebaut, wo ich die Feinheiten des Spiels und der Spielgeräte erforschen konnte.
Aufgewachsen bin ich so quasi in einer Galerie. Mein Vater leitete die Villa am Aabach in Uster. Wir wohnten oben in dieser Villa, so dass ich
Das Spiel mit dem Feuer ist auch so eine Sache. Das geht von Skulpturen
mir unweigerlich jeden Tag die Sachen, die an den Wänden hingen, an-
ent- und verbrennen über Feuerwerke bis hin zum Schmieden oder Gies-
schauen musste.
sen. Dabei steht vor allem das Experimentieren und Tüfteln im Mittelpunkt. Wobei ich unterdessen einige Erfahrungen gesammelt habe, so dass das Inszenieren von Feuer im Mittelpunkt steht.
Meine Figuren sind für mich Kumpels, die aus einer verspielt anderen Welt stammen.
Mein Stil kommt wohl von meiner vorliebe für Comics. Ich mag einfache und klare Formen. Meine Figuren sind für mich Kumpels, die aus einer verspielt anderen Welt stammen. In meinen Arbeiten geht es mir immer um Dynamik und Präsenz. Stets suche ich nach Themen und Motiven die frech und radikal sind. Mich beschäftigten vor allem das Zusammen-
Später brachte mir meine Berufsausbildung als Spengler den Vorteil, den
spiel von Menschen und die gesellschaftlichen Mechanismen. Die ich in
Umgang mit Metall kennenzulernen. Schrott und Motorhauben waren und
Beispielen analysiere. Interaktive Figuren lassen einem die thematisierte
sind ein wichtiger Werkstoff in meinen Arbeiten. Bis vor einigen Jahren
Situation direkt miterleben. Im Zentrum dieser Arbeiten steht oft eine
habe ich vor allem mit Altmetall gearbeitet. Bis ich eher per Zufall an
interaktive Rauminstallation, um welche herum ich dann, die kleineren
einem Holzbildhauer-Symposium teilgenommen habe. Seit dem arbeite ich
Figuren inszeniere.
regelmässig mit der Motorsäge. Mit der Motorsäge zu arbeiten ist eine lustige Sache, mit viel Lärm arbeite ich mich quer durch den Baum dabei entstehen Figuren, Reliefe und Holzschnitte.
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MIT KARACHO IN DIE ZUKUNFT Erfolg basiert auf Begeisterung, auf ambitionierten Menschen, deren vielfältige Persönlichkeiten, Charaktere und Erfahrungen sich optimal ergänzen und selbst Unerwartetes hervorbringen. Gemeinsam treten diese Menschen für andere zielstrebig in die Pedale – nicht nur beim Veloblitz.
Text: Boris Wagner
Wer, wie die Zürcher Velokuriere, Botschaften von A nach B übermittelt,
Dienstleistungen, die weit über das reine Druckhandwerk hinausgehen.
kennt die wachsenden Anforderungen und Bedürfnisse unserer schnellle-
Kreative Text- und Bildprofis, sprachgewandte Korrektoren, versierte Com-
bigen Gesellschaft. Vertrauen, Qualität und Flexibilität sind nur einige Be-
puter-to-Plate-Operatoren, eine speditive Ausrüsterei und die sowohl auf
griffe, die das tägliche Geschäft mit dem Transport wichtiger Informationen
Internet, Personalisierungen als auch Web-to-Print-Lösungen spezialisier-
oder Waren bestimmen. Gepaart mit erstklassigem Service, Ausdauer und
ten Geschäftsbereiche FO-Cyberfactory und FO-Smartprint stehen den Kun-
Schnelligkeit, beschreiben diese Attribute ein Unternehmen, das zudem seit
den mit allen erdenklichen Produktionsvarianten zu Diensten.
20 Jahren konsequent ökologische Pionierarbeit leistet. Dieser Vorreiterrolle gilt unser ganzer Respekt, denn innovative Ideen und nachhaltiges Wirken
Auf Überholspur
stellen auch für uns als Mediendienstleister die treibende Kraft für erfolg-
Im Spannungsfeld sich ständig ändernder Medientechnologien gehören
reiches Schaffen dar.
die kompetente Beratung sowie fachgerechte Auf- und Weiterverarbeitung wichtiger Informationen in die Hände versierter Profis. Sie sind es,
Fest im Sattel
die Ihre Botschaften effizient, zielgerichtet und crossmedial vernetzt am
Die FO Print & Media AG zählt mit ihren sechs eigenständigen Geschäfts-
Markt positionieren, die Synergien erfassen, genau zu nutzen und bei
bereichen zu einer festen Grösse innerhalb der grafischen Branche. Mit
Bedarf entsprechend ökologisch vertretbar zu produzieren wissen. Als
weit über hundert qualifizierten Fachkräften kann das Unternehmen auf
Ihr Kommunikationspartner kennen wir die vielschichtigen Möglichkeiten,
einen langjährigen Erfahrungsschatz zurückgreifen, der bis in das Jahr
das Potenzial des Machbaren und wissen dieses gewinnbringend für Ihr
1930 datiert. Das damit verbundene Know-how und Potenzial wird von
Unternehmen umzusetzen. Nicht zuletzt stellen wir mit Publishing 3.0 di-
unseren zahlreichen Auftraggebern aus Wirtschaft, Industrie, Werbung,
verse richtungweisende Softwaretools zur Verfügung, die unseren Kunden
Bund und Kantonen sehr geschätzt. Technische Entwicklungen, Trends und
ein Höchstmass an Flexibilität und Kosteneffizienz gewährleisten. Damit
Marktgeschehnisse im Print- sowie Onlinebusiness werden von uns stets
lässt unsere Dienstleistungspalette kaum mehr einen Wunsch offen –
aufmerksam beobachtet. Dies prägt unsere tägliche Arbeit und ermöglicht
ein kundenorientiertes Handeln ist unser Kredo. Daher freuen wir uns,
uns, jeweils individuelle, kundenspezifische Lösungen zu kreieren – das
zielstrebig in die Pedale zu treten und gemeinsam mit Ihnen spannende
interdisziplinäre Zusammenspiel der unterschiedlichen Kompetenzpartner
Konzepte zu verwirklichen.
gewährleistet uns, selbst komplexe Projekte aus einer Hand anzubieten.
Um Informationen fachgerecht für alle Kanäle aufzubereiten, bedarf es eines Spezialisten mit versiertem Blick für das Ganze.
Professionell und vielseitig Als Kommunikationspartner verarbeiten wir Informationen für nahezu alle
Informationen und Daten werden heute crossmedial verarbeitet und über
Kanäle – das Medium Print zählt dabei nach wie vor zum Kerngeschäft. In
diverse Kanäle vernetzt – dabei gilt das Medium Print nach wie vor als
unserem topmodernen Maschinenpark werden Drucksachen mit optimaler
Motor für erfolgreiche Werbeauftritte.
Effizienz und unter Einhaltung höchster Qualitäts- und Sicherheitskriterien realisiert. Ob klimaneutral, FSC-zertifiziert oder mit fälschungssicheren Merkmalen versehen produziert – das Unternehmen offeriert zahlreiche
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SWISSCONNECT - DER KURIER, DER MIT DEM ZUG GEHT – SCHNELL UND ÖKOLOGISCH QUER DURCH DIE SCHWEIZ Ein Paket in Zug abholen, nach Lausanne spedieren und persönlich ausliefern. Das alles in knapp drei Stunden. Der clevere Verbund aus Bahnen, Velo-, Auto- und Taxikurieren machts möglich. Dabei setzt der Schweizer Kurierdienst swissconnect nicht nur auf das jeweils schnellste, sondern auch ökologisch sinnvollste Transportmittel. Und das bereits seit 10 Jahren mit stetig wachsendem Erfolg.
Text: www.textpistols.ch, Foto: Alois Jauch
Ende der 80er Jahre wurden die ersten Velokurierbetriebe gegründet. Zu-
Dokumente, Waren und Pakete bis 30 kg nahezu in alle Orte und Regio-
erst in Luzern, dann in Bern, Basel und Zürich. Die Gründer waren Idealis-
nen der Schweiz, ins europäische Ausland und in die ganze Welt liefern.
ten, die sich von den Ideen aus verkehrsgeplagten Städten in Nordamerika
Das können Dokumente wie Pässe sein, Blutproben, heikle Messgeräte,
inspirieren liessen. Doch die Zeiten sind längst vorbei, als die Kuriere die
Werkzeuge und so weiter. Dass die Lieferungen pünktlich ankommen ist
bunten Vögel im Strassenbild waren. Inzwischen gibt es schweizweit über
dem reibungslosen Zusammenspiel aller beteiligten Partner zu verdanken.
20 Velokuriere, die nicht nur mit sportlichem Ehrgeiz durch die Städte
Thomas Bussmann vom Luzerner Orthodontie-Labor Bussmann ist Kunde
fahren, sondern vor allem auf professionelle und sichere Kurierdienst-
der ersten Stunde und erinnert sich: „Damals hielt ich es für einen sehr
leistungen setzen. Die wichtigsten Erfolgsfaktoren sind Schnelligkeit, Um-
ambitiösen, wenn nicht gar unwahrscheinlichen Plan, ein flächendecken-
weltbewusstsein und die vertrauliche, persönliche Lieferung. Das hat auch
des Netzwerk aus kleinen Kurieren zu schaffen. Schliesslich muss jeder
Christoph Masoner, der Mitbegründer des Velokuriers Luzern und heutige
einzelne ein extremes Dienstleistungsverständnis mitbringen und die Qua-
Geschäftsführer von swissconnect, vor 10 Jahren erkannt: „Ich wollte die
lität garantieren, die es für ein perfektes gemeinsames Angebot braucht.“
regionalen Velokuriere in der Schweiz zusammenspannen und gemeinsam mit den SBB einen nationalen Verbund schaffen, mit dem Kurierdienste
Logistische Meisterleistung
nicht nur auf die einzelnen Städte begrenzt bleiben, sondern auch zwi-
Der Plan ist aufgegangen. Heute betreut swissconnect im Schnitt 110
schen den Orten möglich werden.“
Sendungen täglich, Tendenz steigend. Das logistische Nervenzentrum ist in Luzern, wo vier Personen sämtliche Aufträge und Partner koordinieren. Sie
Ökologisch und effizient
überwachen die einzelnen Sendungen dank einer eigens entwickelten Soft-
„In sieben von zehn Fällen ist das Velo in der Stadt schneller als das
ware zeitgenau und sind immer auf dem Laufenden, wo welche Lieferung
Auto“, sagt Masoner. Daher sind die Velokuriere in den Städten immer noch
steckt. Meistens läuft alles glatt, hin und wieder müssen Probleme gelöst
das Herzstück des Schweizer Kurierdienstes. Für grössere Distanzen setzt
werden, wenn zum Beispiel ein Zug ausfällt oder verspätet ist. Im Extrem-
swissconnect auf das dichte Netz der SBB, auf Privatbahnen wie z. B. die
fall kommt eine Sendung erst gegen Mitternacht am Zielort an und wird
Rhätischen Bahnen, Mobility- oder Erdgas-Autos sowie Taxiunternehmen.
vom lokalen Kurier auch dann noch ausgeliefert. Besonders Medizinlabors
Das schweizweite Netzwerk besteht heute aus rund 50 Partnern, die Briefe,
und Spitäler, aber auch Industrieunternehmen, Anwälte, Notare, Banken,
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Botschaften und Reisebüros zählen zur Hauptkundschaft von swisscon-
seit dessen Anruf sind kaum drei Stunden vergangen! Ähnliches geht von
nect – allesamt Kunden, die auf eine schnelle Lieferung angewiesen sind
Zürich nach Bern, von Basel nach Luzern oder Lausanne nach Genf sogar
und den Service auch mal Samstags, Sonntags oder abends nutzen. „Eben
in 90 Minuten.
diese Flexibilität und den Rund-um-Service schätzen unsere Kunden“, sagt Christoph Masoner. Vielleicht ist das mit ein Grund, warum der Kurier-
Das swissconnect-Netzwerk umspannt die ganze Schweiz. In Gegenden, wo
dienst von der Wirtschaftskrise nichts spürt. swissconnect strebt noch
es keine Velokuriere gibt, übernehmen Autokuriere oder Taxis den Trans-
dieses Jahr die ISO-Zertifizierung an und expandiert weiter. „Je mehr sich
port vom Bahnhof zum Bestimmungsort. Neben solchen Einzelaufträgen
die Post als Marktführer im Gleichtagsgeschäft zurückzieht, desto mehr
bietet swissconnect auch regelmässige Abholungen (Daueraufträge) und
werden wir uns weitere Gebiete erschliessen“, so Masoner. „Wir sind nur
ausgefeilte Sammel- und Verteilkonzepte. Christoph Masoner lacht: „Bei
wenig teurer als die Post, dafür aber unschlagbar schnell.“
uns ist fast alles möglich. Wir transportieren fast alles fast überall hin.“
Mit einem Paket auf Reisen Eine Reise mit swissconnect sieht in der Praxis so aus: Ein Kunde in Lausanne informiert seinen lokalen Kurier über ein im Zuger Industriegebiet bereitliegendes Ersatzteil. Der Lausanner Velokurier gibt den Auftrag in den Computer ein. Sobald dieser auf dem Bildschirm des Zuger Velokuriers auftaucht, wird das Paket abgeholt. Der Kurier eilt zum Bahnhof und deponiert die Sendung sicher im abschliessbaren Zugführerabteil des
Weitere Informationen erhalten Sie bei:
Intercity-Zuges. In Zürich ist der dortige Velokurier bereits im Bild und
swissconnect AG
schickt rechtzeitig einen Fahrer an den Hauptbahnhof, der das Paket in
Christoph Masoner
den IC Richtung Genf umlädt. Pünktlich ist der Kurier in Lausanne zur
Tel. 041 227 2000
Stelle, um das Paket auszuladen. Er fährt direkt zum Auftraggeber nach
cm@swissconnect.ch
Ouchy und gibt die Sendung persönlich ab. Dieser staunt nicht schlecht,
www.swissconnect.ch
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DER „MESSENGER“ VON VELOBLITZ BEWEGT NICHT NUR KURIERE Seit wenigen Monaten befindet sich im Containerdorf in der Binz in Zürich die neue Velowerkstatt von Veloblitz. Eigentlich nichts Aussergewöhnliches - ausser dass in dieser Werkstatt am Fusse des Üetlibergs nicht nur repariert, sondern auch ein ausgeklügeltes Fahrrad gebaut wird.
Text: Rolf Burkhardt, Foto: Peter Zangerl
Der „Messenger“, ein hochwertiges Strassenrad
Wer über mehrere Jahre hinweg tausende von
aus Alu und Carbon, wird nach gut drei Jahren
Kilometern auf einem Fahrrad zurücklegt, spürt
Entwicklungsarbeit bereits in einer zweiten Ge-
und bemerkt Konstruktionsfehler oder die fal-
neration lanciert. Als die Veloblitz-Geschäftslei-
sche Materialwahl quasi am eigenen Leib. Luzian
tung vorbrachte, eine Velowerkstatt zu eröffnen,
Relly und Lukas Bertschi, die beiden Väter des
ging es vorwiegend darum, eine weitere Einnah-
„Messengers“, sind Testperson und Entwickler in
mequelle für den damals leicht strauchelnden
einem, wovon ihre begeisterte Kundschaft profi-
Kurierdienst zu finden. Bei der Entwicklung einer
tiert. Und die stammt längst nicht mehr nur aus
eigenen Fahrradmarke hingegen, eine Marktlü-
dem engen Kreis kritischer Kuriere. Um zu reali-
cke zu schliessen. Obschon dutzende renom-
sieren, dass es den meisten City Bikes, die in den
mierter Velomarken damit werben, die Perfektion
Neunzigern das für städtische Bedürfnisse viel
des Zweirads gefunden zu haben, war vor dem
zu schwere Mountainbike ablösten, an Stabilität
Bau des „Messengers“ kein Fahrrad auf dem
fehlt, braucht man kein Profi zu sein.
Markt zu finden, das vollumfänglich den hohen Ansprüchen eines Kuriers entspricht.
Auch muss man kein Radrennfahrer sein um zu bemerken, dass die gebückte Haltung, die dem Rennvelo zur optimalen Nutzung der Tretkraft ver-
Wir sind überzeugt: unser „Messenger“ wird auch Sie ganz schön bewegen.
hilft, im Zürcher Stadtverkehr gefährlich werden kann. Der lebensrettende Blick über die Schulter, wird durch den tiefgesetzten Lenker geradezu verunmöglicht. Mit dem „Messenger“ wurde wesentlich mehr, als ein gelungener Kompromiss
Ein Kuriervelo muss viel aushalten und soll den-
dessen, was man bei den genannten Modellen für
noch wendig und leicht sein. Es soll mit Kompo-
unbefriedigend empfindet, gefunden. Nicht unbe-
nenten ausgerüstet sein, die in Preis und Leis-
scheiden ist vom idealen Fahrrad, abgestimmt
tung ausgewogen sind. Auf geraden Strecken,
auf Zürichs Topographie die Rede.
wie auch am Züriberg, soll es die eingesetzte
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Muskelkraft optimal in eine Fahrtbewegung um-
Der „Messenger“ wiegt je nach Rahmengrös-
setzen, und: Es soll gut aussehen.
se zwischen 9 und 10kg und ist dennoch von
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höchster Stabilität. Das Gefühl, wie auf Schienen durch die Strassen zu
So finden Sie uns:
gleiten, mit griffigen Bremsen und einer sanft klickenden Schaltung unterwegs zu sein macht nicht nur Spass, sondern erhöht in erheblichem Masse die Sicherheit. Um ein optimales Fahrgefühl zu erreichen, wird jeder von Hand und mit Herz zusammengestellte „Messenger“ den Bedürfnissen seines künftigen Besitzers oder seiner Besitzerin angepasst. Und die dürfen äusserst individuell sein. Der „Messenger“ ist in der Grundausstattung in fünf Grössen in schwarz erhältlich. Gegen einen Aufpreis von CHF 200.- entscheiden Sie selbst, welche der 266 verschiedenen Farben am besten zu Ihrem „Messenger“passt. Messenger Standard, Alu-Rahmen mit Carbon-Gabel, Kettenwechsel, Schaltung, Bremsen und Naben von „XT“, „105er“ und „Ultegra“ CHF 2190.Messenger Nabenschaltung, technische Details wie oben; anstelle von „XT“, Schimano Alfine 8-Gang Nabenschaltung CHF 2500.Ein Fahrrad macht nur dann richtig Freude, wenn man damit fährt. Darum empfehlen wir Ihnen einen Besuch an der Räffelstrasse 28, um ein paar Runden mit einem der besten Fahrräder der Gegenwart zu drehen. Öffnungszeiten Veloblitz Werkstatt: Mo- Fr 12.00 - 18.00 Uhr Sa 11.00 - 17.00 Uhr Alle Modelle und sämtliche technischen Details unter www.veloblitzbikes.ch
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LILY‘S
Liegt es in der Macht der menschlichen Nase dem geistigen Auge verbindlich Farben zu vermitteln? Wenn ich in der Küche von Lily’s Home Delivery sitze, bilde ich mir manchmal ein, Grün zu riechen. Rot und Honiggelb ziehen dann an meinem inneren Auge vorbei. Ein sanftes Hellgrün um ein struppiges Lila gelegt bleibt auf der geistigen Leinwand hängen, bevor es von einem cremigen Schokoton abgelöst wird.
Text: Rolf Burkhardt, Fotos: Lars Brauchli
Für einen Veloblitz-Kurier gehört dieses Eintauchen in die Geschmackswelt
Zürich ankam. Sein Mitbringsel: ein doppelstöckiges Chromstahlgefäss, mit
von Lily‘s frisch zubereiteten asiatischen Köstlichkeiten zu einem willkom-
dem mehrere Millionen Asiaten tagtäglich ihr frisch zubereitetes Essen von
menen, berufsbedingten Begleiter.
der Strassenküche nach Hause transportieren, um es dort fern ab städtischer Hektik zu geniessen. Zusätzlich zur festen Überzeugung, mit dem
Liebhaber von Lily‘s Kochkunst, denen dieser von Düften umwobene Logen-
Pinto, so heisst dieses Wundertöpfchen, die Stadt Zürich um ein nützliches
platz verwehrt bleibt, bestellen sich die Palette farbig riechender Köstlich-
Etwas zu bereichern, war auch Euphorie mit von der Partie. – Diese Eupho-
keiten ganz einfach dorthin, wo man sich bei kleinem oder grossem Hunger
rie, im Normalfall ein flüchtig Ding, musste mehrere Jahre anhalten, bis
eben gerade befindet. Ein Blick auf die übersichtliche Website oder in die
das erfolgsversprechende Geschäftsmodell rund um diesen gut transpor-
Speisekarte genügt, um telefonisch oder per Knopfdruck sein Lieblings-
tierbaren Wärmebehälter zu einer rentablen Wirklichkeit werden konnte.
gericht, gespickt mit ein paar Spezialwünschen, bequem an den Tisch zu holen. Dass diese für tausende von Zürcherinnen und Zürchern heutzutage selbstverständliche Regung eine ganze Maschinerie in Bewegung setzt, ein perfekt eingespieltes Team von Telefonisten, asiatischen Köchen, Disponenten und Veloblitz-Kurieren, sind sich die Wenigsten bewusst.
Es begann damit, dass Cello Rohr nach einer seiner zahlreichen Asienreisen mit einem Souvenir im Handgepäck in Zürich ankam.
Genau sieben Jahre sind es her, dass die Macher von Lily’s Restaurant ihre Vision umzusetzen begannen, panasiatische Kochkünste nicht nur im Res-
Eigentlich unterscheidet sich Lily‘s Küche in fast gar nichts zu einer nor-
taurant an der Langstrasse, sondern auch am Ess- oder Bürotisch von Herr
malen Restaurantküche. Nur handelt es sich hierbei um eine, die auf die
und Frau Zürcher zu servieren. Eigentlich ist ja Home Delivery nichts Neues.
Zubereitungsarten asiatischer Gerichte in grossen Mengen spezialisiert ist.
Doch ist es die Auswahl, die es ausmacht. Der deutliche Unterschied im Angebot, der perfektionierte Kundenservice, die Liebe zu frisch zubereitetem
Vor mir auf der Theke stehen drei riesige Reiskocher - gegen 25kg Reis
Essen und die nur durch Muskelkraft erbrachte Leistung, das Bestellte zu
fasst so ein Gerät. Meiner zu Hause wirkt dagegen läppisch. Der Stössel,
liefern, galt es neu zu erfinden. Es begann damit, dass Cello Rohr nach
mit dem beispielsweise Papayastreifen, Gewürze, Kräuter oder getrocknete
einer seiner zahlreichen Asienreisen mit einem Souvenir im Handgepäck in
Garnelen zu einer Paste zerstampft werden, ist dermassen schwer, dass
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er mit beiden Händen und grosser Wucht auf den Boden des übergrossen
Mund-zu-Mund-Propaganda, eine schlichte, witzig überzeugende Kampagne
Mörsers gestossen werden muss. Automation hat auch in heutiger Zeit
auf der Rückseite einer jeden Speisekarte, die gut sichtbaren mit „Lily‘s“
noch nicht überall Einzug gehalten. Wokpfannen über züngelnden Gasflam-
beschrifteten Rucksäcke der Kuriere, aber vor allem der hohe Nutzen, ge-
men, sich in tropischer Hitze gegenseitig abwechselnde Duftnoten sowie
paart mit einem ökologisch sinnvollen Ansatz, brachten schliesslich den
ein ständiges Klappern von Kochgeschirr regieren diesen Ort, von dem aus
längst verdienten Erfolg.
die Stadt Zürich seit etlichen Jahren bekocht und bewirtet wird. Waren, der Küchenchef, strahlt eine Ruhe aus, die sich auf sein vierbis fünfköpfiges Team geradezu hypnotisch überträgt. Manchmal glaube ich, er bewege sich in Zeitlupe. Und dennoch schafft er‘s immer, den Ansturm von Bestellungen zu bewältigen. Der Drucker rattert, eine Bestellung kommt rein, Waren und sein Team legen los. Heute sind es vier
Heute ist Lily‘s dank einem hochmotivierten Team, engagierten Profiköchen und einem guten Dutzend durchtrainierter Radlerbeine in Bestform. Durchhalten hat sich gelohnt.
Köche, die mit verinnerlichten Bewegungsabläufen die Speisekarte hoch und runter kochen. Routinierte Handbewegungen, die das Team vermutlich im Schlaf beherrscht - nur wäre es unfair, diese Übertreibung, wenn auch
Sonntag ist der Tag der Tage: Man möchte glauben, dass sich Zürcherin-
bewundernd gemeint, so stehen zu lassen. Die offensichtliche Ermüdung
nen und Zürcher sonntags ausschliesslich von Currys oder Papayasalaten
der Gesichtszüge am Ende einer Schicht lassen einen erahnen, dass die
ernähren, ihr Wochenende mit Springrolls und Samosas ausklingen lassen.
über Stunden anhaltende Leichtigkeit unter höchster Anstrengung zustan-
Aber eben: das war nicht immer so. Als Lily‘s Home Delivery nach über
dekommen muss.
zwei Jahren noch immer mit zu hohem Aufwand und dürftigem Ertrag zu kämpfen hatte, musste Einiges unternommen werden, um den Glauben an den Pinto und sein Drumherum nicht zu verlieren.
Er stellt die Routen zusammen, kennt alle Abkürzungen und Einbahnstrassen, weiss von Staus und Baustellen, die dem Fahrer zum Hindernis oder zum Trumpf werden können.
Haben sich die Macher in ihrer Euphorie, der Stadt den perfekten Home Delivery Service zu bieten, etwas übernommen? Sie haben. Das Sortiment wurde massiv gestrafft, die Disposition reorganisiert, Kalkulationen nach aktuellen Erkenntnissen aufgerollt. Routen wurden abermals ausgelotet, das Kochteam mit neuen Köpfen besetzt. Es war keine einfache Zeit bis Lily‘s Home Delivery dort war, wo es heute ist. Vor allem deshalb nicht,
Heute ist Patrick der diensthabende Disponent, auch er ein offensichtlich
weil man sich einig war, trotz innerbetrieblicher Einschränkungen dem
von Natur aus freundlicher, entspannt wirkender Mensch. Und dies, obschon
Grundsatz, seiner Kundschaft den besten Service zu bieten, immer treu zu
es kein Leichtes ist, Schnittstelle zwischen Kurierdienst und Küche zu sein.
bleiben - und es bis heute geblieben ist.
Er stellt die Routen zusammen, kennt alle Abkürzungen und Einbahnstrassen, weiss von Staus und Baustellen, die dem Fahrer zum Hindernis oder
Heute ist Lily‘s dank einem hochmotivierten Team, engagierten Profiköchen
zum Trumpf werden können. Scharnier zwischen dampfenden Menüs und
und einem guten Dutzend durchtrainierter Radlerbeine in Bestform. Durch-
ungeduldigen Kurieren zu sein, zwei unterschiedlich angelegte Rhythmen
halten hat sich gelohnt. Zum Glück für uns alle. Verlangen Sie von mir
zu einem harmonisierenden Ganzen zu vereinen, setzen Entscheidungs-
jetzt nicht Ihnen das eingehend schmackhaft gemachte „struppige Lila“ zu
freude und wohldosiertes Durchsetzungsvermögen voraus. Sowieso vereint
erklären. Diese Farbe ist ja auch keine Farbe sondern ein Duft, weshalb es
sich in dieser Küche eine ganze Palette ausgeprägter Fähigkeiten. Und dies
unsinnig wäre, Ihnen die Farbe eines Duftes zu erklären, den Sie noch gar
alles wegen eines Chromstahltöpfchens, das es so in unseren Breiten noch
nie gerochen haben. Und von diesen „unerrochenen“ Düften gibt es in der
nicht gegeben hat. Im Gegensatz zum Kartoffelschäler oder dem multi-
Küche von Lily’s Home Delivery hunderte. Holen Sie sich den einen oder
funktionalen Sackmesser wurde der Pinto in seiner vollendeten Form nicht
andern einfach zu sich an den Tisch!
von einem Schweizer erfunden. Man war es sich in Zürich nicht gewohnt, gegen ein Depot von CHF 10.-, diesen Wärmebehälter zu sich nach Hause zu bestellen. Und dies, obschon alle, die ihn bei sich zu Hause hatten, von der Stabilität und den beiden Schnallen beeindruckt, welche Menü- und Reisgefäss dicht zusammenhalten, sogleich begeistert sind. Wäre der Inhalt, ein grünes oder rotes Curry, ein Tamil Chicken oder ein Panji Renga, dessen Zusammensetzung mir noch heute ein Rätsel ist, nicht dermassen lecker, hätte sich der Pinto, praktisch und ökologisch zugleich, kaum durchgesetzt.
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Speziellen Dank auch an: beim Veloblitz von 1998 bis 2006, Fotograf
Andi Kucera, André Rüegg, Bendicht Luginbühl (www.repaper.ch), Hannes
beim Veloblitz seit 2004,
Würgler, Johanna Cajöri, Linda Herzog, Malick Guéye, Marco Gloor,
Umweltwissenschaftlerin
Michèle Passauer, Nora Hunkeler, Raffi Bolli, Sämi Iseli (www.vertec.ch),
WoZ-Journalist und Mitarbeiter der
Steve Fröhlich, Tagblatt der Stadt Zürich, Thomi Seitz
Schweizerischen Stiftung für Minenräumung (FSD) www.fsd.ch Chris Kerkhof (Jg. 1974)
beim Veloblitz seit 2002
Christian Cajöri (Jg. 1975)
beim Veloblitz von 2001 bis 2008, Student
Claudia Hoffmann (Jg. 1977) beim Veloblitz von 2003 bis 2006, Pfarrerin Frank Blaser (Jg. 1970)
beim Veloblitz von 1996 bis 2006, Fotograf, www.frankblaser.ch
Franz Hohler (Jg. 1943)
Gönner
Schriftsteller, Kabarettist und Liedermacher, Veloblitzgenossenschafter der ersten Stunde, www.franzhohler.ch
German Villotti (Jg. 1963)
Grafiker, Veloblitzkunde seit 1991,
Johana Drabek (Jg. 1975)
beim Veloblitz seit 2004, Studentin
Karsten Kulik (Jg. 1972)
beim Veloblitz von 1996 bis 2001, Biologe
Lars Brauchli (Jg. 1971)
beim Veloblitz seit 1992, Fotograf
www.hofgrafen.ch
Lorenz Goette (Jg. 1973)
beim Veloblitz von 2005 bis 2008, Ökonom
Mahmud Tschannen (1967)
beim Veloblitz von 1997 bis 2008, Redaktor
Marcel Bircher (Jg. 1966)
beim Veloblitz seit 1993, Mitarbeiter von swissconnect
Markus Meyle (Jg. 1972)
beim Veloblitz von 1993 bis 1994, Künstler
Peter Zangerl (Jg. 1964)
beim Veloblitz seit 2003, Buchhändler
Res Blum (Jg. 1976)
beim Veloblitz von 2005 bis 2006, Geologe, www.raize.ch
Res Zinniker (Jg. 1971)
beim Veloblitz von 1999 bis 2001, Grafiker und Illustrator, www.illustres.ch
Roland Fischer (Jg. 1974)
beim Veloblitz von 1998 bis 2007, Wissenschaftsjournalist
Roland Munz (Jg. 1972)
beim Veloblitz seit 1995, Kommunikationsgestalter, Kantonsrat www.rolandmunz.ch
Rolf Burkhardt (Jg. 1971)
Texter, schreibt für den Veloblitz seit
Simon Joller (Jg. 1969)
beim Veloblitz von 1995 bis 1996,
Talaya Schmid (Jg. 1983)
beim Veloblitz seit 2003, Studentin
Anfang 2009 Journalist BR
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IMPRESSUM
Herausgeber
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Genossenschaft Veloblitz, Hardstrasse 81, 8026 Zürich Telefon:
044 272 72 72
Fax:
044 498 20 01
E-Mail:
info[at]veloblitz.ch
Internet:
www.veloblitz.ch
Redaktion Marcel Bircher Mahmud Tschannen German Villotti
Konzept, Gestaltung, Umsetzung Hofgrafen GmbH
Lektorat/Korrektorat Mahmud Tschannen
Werbe-Akquise Roland Munz
Druck FO Fotorotar, ein Geschäftsbereich der FO Print & Media AG
Papier Umschlag: PlanoJet hochweiss, 300gm2, FSC Inhalt:
PlanoJet hochweiss, 120gm2, FSC
Auflage 8000 Exemplare
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3.4.2009
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Was wäre Zürich ohne die gelb-schwarzen Blitze? Wir gratulieren.
Die Alternative Bank ABS gratuliert der Genossenschaft Veloblitz herzlich zum 20-Jahr-Jubiläum.
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Der Weg zur echten Alternative: 062 206 16 16, contact@abs.ch, www.abs.ch Büros in Olten, Lausanne, Zürich, Genf, Bellinzona
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