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IM KINO GEHT ES UM GESCHICHTEN UND ICH HABE DIE GESCHICHTEN“ INTERVIEW MIT SHAHRBANOO SADAT ÜBER KABUL KINDERHEIM

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KINDERFILME

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Die Regisseurin und Drehbuchautorin Shahrbanoo Sadat (31) lebte bis zu ihrem 11. Lebensjahr als Flüchtling im Iran, ehe sie mit ihren Eltern in deren abgelegenes Bergdorf in Zentralafghanistan zurückkehrte. In Kabul und Paris wurde sie zur Filmemacherin. Die Machtübernahme der Taliban zwang sie zur Flucht – nach Berlin. Für ihr Langfilmdebüt WOLF AND SHEEP (2016) erhielt sie den Art Cinema Award in Cannes. Mit Eva Szulkowski sprach Sadat über ihren neuen Film KABUL KINDERHEIM, über ihr Verhältnis zum Kino und die Zukunft Afghanistans.

„IM KINO gEhT ES uM gESChIChTEN, uND ICh haBE DIE gESChIChTEN“

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INDIEKINO: KABUL KINDERHEIM ist der zweite von fünf Filmen, die Sie basierend auf der unveröffentlichten Autobiografie von Anwar Hashimi drehen wollen. Wie kam es dazu?

Shahrbanoo Sadat: Als ich vor fast 12 Jahren zum ersten Mal Anwars Text gelesen habe, war ich sehr erstaunt, denn er ist kein Schriftsteller. Sein Text war sehr ehrlich, poetisch, politisch, persönlich, alles in einem. Ich war sehr bewegt, denn er sprach nicht nur über sein eigenes Leben, sondern auch über die Geschichte des Landes. Für mich war es das erste Mal, dass ich etwas darüber lernen konnte. Das ist in meiner Generation sehr üblich: Wir sind, wie der Rest der Welt, von all den aktuellen Ereignissen so eingenommen, dass wir alle nur einige Stichworte über Afghanistan kennen. Es ist auch nicht einfach, die Realität in Büchern und Texten von afghanischen Autoren zu finden – die sind oft parteiisch. Es war das erste Mal, dass ich etwas las, mit dem ich mich wirklich verbunden fühlte.

Man erkennt in KABUL KINDERHEIM heute deutliche Parallelen zu den Geschehnissen in Afghanistan in diesem Jahr. Haben Sie während der Entstehung des Films auch an die Zukunft gedacht?

Ja, absolut. Als ich an der Geschichte arbeitete, war ich so ergriffen von all den Ähnlichkeiten: Man musste nur Mudschaheddin durch die Taliban ersetzen und die Sowjets durch Amerika. Ab 1979, in den 80ern und Anfang der 90er Jahre, herrschte 13 Jahre lang afghanisch-sowjetischer Krieg in Afghanistan. Kabul aber war dieser friedliche Ort – wenn man nur die Terroranschläge ignorierte, die manchmal passierten. So war es auch in meiner Zeit dort. Hier lebte die Mittelschicht, Frauen hatten viel mehr Freiheiten und junge Leute schufen sich hier eine Blase: Auf Partys gehen, Dating, Social Media und so weiter. Sie taten so, als lebten sie nicht in einem Kriegsland, sondern wie andere junge Menschen in anderen Teilen der Welt. Während ich recherchierte, dachte ich: Das ist genau so, wie Taliban jetzt manchmal Terroranschläge in Kabul verüben - sie haben viel mehr Macht in den Provinzen, aber ihr Ziel ist es, Kabul einzunehmen, und vielleicht wird das eines Tages auch passieren. Die Geschichte Afghanistans, vor allem im letzten Jahrhundert, ist wie ein Kreis: Alle zwei Jahrzehnte gehen wir an den gleichen Ort zurück, an dem wir waren, es fühlt sich einfach so an, als wären wir in einer Schleife.

In KABUL KINDERHEIM spielen Kinofilme eine wichtige Rolle. Konnten Sie als Kind auch ins Kino gehen?

Ich wurde in eine konservative und religiöse Familie hineingeboren. Jede Art von Kunst und Musik war in unserem Haus verboten. Selbst bei der Hochzeit meiner älteren Schwester brauchte es einen sehr langen Streit mit meinem Vater, bis er meinem Bruder erlaubte, sich von seinem Freund zwei Stunden lang ein

Tonbandgerät auszuleihen. Ich war 10 Jahre alt, und das war das erste Mal, dass ich ein Tonbandgerät startete und Musik hörte – das einzige Mal. 2008, als ich 18 war, bin ich nach Kabul gezogen, und da wollte ich so gerne Physik studieren …

Physik?

Ja, ich habe mich schon immer für Physik interessiert - vielleicht wegen des religiösen Hintergrunds meiner Familie, weil die Wissenschaft in gewisser Weise sagt, dass Religion Quatsch ist - das ist zumindest heute meine Analyse. Als ich nach Kabul ging, musste ich eine Ausrede für mich finden, um dort zu bleiben. Aber ich wusste nicht, wie die Dinge in dieser großen Stadt funktionieren, deshalb habe ich nicht die Prüfung der Naturwissenschaftlichen Fakultät gemacht, sondern für Kunst, Kino, Theater. Gleichzeitig fand ich meinen ersten Job beim beliebtesten Fernsehsender, Tolo TV, als Produzentin für eine Kochshow. In der Kaffeepause traf ich dann Anwar, der für die Nachrichten arbeitete. Und ich nahm an einem französischen Dokumentarfilm-Workshop teil, der uns Grundlagen des Dokumentarfilms vermittelte, mit Fokus auf Cinema Verité/Direct Cinema. Da bin ich diesem Kino total verfallen und drehte meinen ersten kurzen Dokumentarfilm. Im nächsten Jahr googelte ich etwas übers Filmemachen und landete durch Zufall auf der Website der Filmfestspiele von Cannes. Ich bewarb mich für die Script Residency und wurde eingeladen, viereinhalb Monate in Paris zu verbringen, um mein Projekt zu entwickeln. Und dort betrat ich 2010, mit 20 Jahren, zum ersten Mal ein richtiges Kino – die Cinematèque in Paris.

Wow. Das ist ja nicht bloß irgendein Kino!

Genau! Diese drei Monate im Workshop sind bis heute der einzige akademische Hintergrund, den ich im Film habe, aber sie waren so wichtig für mich. Ein Teil meiner Klassenkameraden war so verliebt in die Regisseure, die großen Autoren und Filme – ich hatte nie dieses Gefühl, weil ich nicht mit Filmen und Filmgeschichte aufgewachsen bin. Ich habe die Filmemacher, deren Filme wir dort schauten, bewundert. Aber ich hatte nie das Gefühl, dass ich genau solche Filme machen möchte. Obwohl ich nichts übers Filmemachen wusste, hatte ich Selbstvertrauen. Es war meine größte Entdeckung in diesem Workshop: Im Kino geht es um Geschichten, und ich habe die Geschichten.

Werden die Menschen in Afghanistan jetzt noch Filme sehen können? Und werden afghanische Künstler*innen wie Sie, die jetzt im Exil leben, ihre Kunst mit ihrem Publikum in Afghanistan teilen können?

Na ja, es sind nicht mehr die 90er. Auch wenn es öffentlich nicht erlaubt ist: Alle haben Internet und sind mit der Außenwelt verbunden. Mehr als 70 % der afghanischen Bevölkerung sind junge Leute unter 25, ich glaube nicht, dass die Taliban sie isolieren können. Viele Künstler haben jetzt das Land verlassen. Wenn ich der Situation etwas Positives abgewinnen will: Meiner Meinung nach ist das ganz gut so. Es gab diese Kulturmafia in Afghanistan, die es sehr schwer machte – um überhaupt als Künstler anerkannt zu werden, musste man Mitglied in diesem Club sein. Aber jetzt, wo viele Kulturschaffenden in andere Länder evakuiert wurden, sehe ich ein großes Potenzial. So sind zum Beispiel 270 Kulturschaffende gerade nach Frankreich emigriert – Schriftsteller, Maler, Filmemacher. Ich hoffe daher, dass es in den nächsten 10 oder 15

Jahren einen großen Wandel gibt. D Das Gespräch führte Eva Szulkowski

Originaltitel: Parwareshghah D Dänemark/Afghanistan/Deutschland/Luxemburg 2019 D 90 min D R: Shahrbanoo Sadat D B: Shahrbanoo Sadat D K: Virginie Surdej D S: Alexandra Strauss D D: Hasibullah Rasooli, Masihullah Feraji, Qodratollah Qadiri ,Sediqa Rasuli D V: Steppenwolf

KaBuL KINDERhEIM

Fast schon prophetisch

Kabul 1989: Das Ende der sowjetischen Besatzung Afghanistans naht, und damit auch die Machtübernahme durch die Guerillagruppe Mudjaheddin. Noch aber ist das Land geprägt durch die russischen Invasoren, mit denen sich die afghanische Bevölkerung notgedrungen arrangiert hat. Davon bekommt Straßenjunge Quodrat (Quodratullah Qadiri) wenig mit. Das Leben des 15-Jährigen dreht sich ums Kino: Davor verkauft er Schlüsselanhänger und Eintrittskarten zu Wucherpreisen, darin schaut er die populären Bollywoodfilme mit den coolen Actionhelden und hübschen Sängerinnen, die er so bewundert. Alles ändert sich drastisch, als er aufgegriffen wird und in ein Kinderheim kommt. Dort wird er Teil des Systems – mit seinem Leben und dem Erwachsenwerden muss er trotzdem selbst klarkommen. In KABUL KINDERHEIM (THE ORPHANAGE) bricht Regisseurin Shahrbanoo Sadat mit Klischees. Die Lehrer*innen sind nicht perfekt, wollen aber nur das Beste für ihre Schutzbefohlenen. Natürlich gibt es auch Stress – doch selbst die bösesten Jungs sind, wenn keiner hinschaut, bloß unsichere Pubertierende, die sich nach einer besseren Zukunft sehnen. Wie schon ihr Debüt WOLF AND SHEEP (2016) basiert auch dieser Film auf der Autobiografie von Anwar Hashimi, der hier in der Rolle des engagierten Heimbetreuers zu sehen ist. Angesichts der Machtergreifung der Taliban wirkt KABUL KINDERHEIM, der bereits 2019 produziert wurde, fast schon prophetisch, und die Beklemmung beim Schauen ist bestürzend real. Dass Krieg auch vor Kindern nicht Halt macht und irgendwann buchstäblich wie eine Bombe einschlägt, daraus macht Sadats Spielfilm keinen Hehl. So sehr die Kunst auch helfen kann: Ihre Macht ist begrenzt. Oder doch nicht? KABUL KINDERHEIM bleibt mit seinem offenen Ende genau auf der Grenze zwischen Schmerz

und Hoffnung. D Eva Szulkowski  Start am 4.11.2021

The late 1980s in Afghanistan. Cinephile Quodat lives on the streets of Kabul before he is picked up by the police and taken to a children‘s home.

Originaltitel: Hogar D Italien/Argentinien 2019 D 91 min D R: Maura Delpero D B: Maura Delpero D K: Soledad Rodríguez D S: Ilaria Fraioli, Luca Mattei D D: Lidiya Liberman, Denise Carrizo, Agustina Malale, Isabella Cilia D V: missingFILMs

MaTERNaL

Mutterbilder

Der Tisch ist übersät mit Spielzeug, Bauklötzen und Plastikteilen, dazwischen soll gegessen werden. Kleinkinder und Babies stürmen umher, die Geräuschkulisse ist schrill. In Maura Delperos MATERNAL leben junge Mütter mit älteren Nonnen in einem religiösen Zentrum in Buenos Aires: Die Ordensschwestern leiten das Kloster unter strenger Aufsicht und ermöglichen alleinerziehenden Müttern wie Lu und Fati Unterkunft und Versorgung. Die meisten Frauen dort sind Teenager mit Babies oder schwangere Minderjährige. Die Schwester Paola schließt sich dem Heim an, um dort ihr letztes Gelübde abzulegen: eine junge Frau, die sich dazu entschlossen hat, niemals Kinder zu bekommen. Es prallen sofort Mutterbilder aufeinander: die Schwestern mit ihrer ausgestellten Fürsorge, die in den langen Gängen an Heiligenstatuen entlanghuschen, und die rauchenden Frauen in Hotpants, die lasziv zu Cumbia tanzen. Auf der einen Seite strenge Gesichter und weiße Kleider, auf der anderen gewaxte Beine und Lidstrich. Als die junge Lu verschwindet und ihre Tochter Nina zurücklässt, nimmt sich Paola des kleinen Mädchens an. Delpo, die bisher Dokumentarfilme gemacht hat, erzählt das alles höchst unaufgeregt, in ruhigen Einstellungen, die die langen Flure des Klosters durchstreifen. Der Konflikt zwischen den Verpflichtungen einer Nonne und den doch aufkeimenden Muttergefühlen bei Paola ist überdeutlich gezeichnet. Toll sind die Darstellerinnen, allen voran Agustina Malale als Lu, deren Jugendlichkeit ihr noch ins Gesicht geschrieben steht und nicht ganz zu dem Bild passen mag, das sie von sich selbst hat – keine makellose, aber eine liebende Mutter, die ihre Tochter großziehen kann. Von den Nonnen lernen die Kinder immer wieder von der „Modellfamilie“: Mutter, Vater, Kind, genauer, Maria, Josef, Jesus. Dass es Liebe auch in anderen Modellen gibt, zeigt

MATERNAL auf seine Weise. D Lili Hering  Start am 11.11.2021

Motherhood images collide in a religious center in Buenos Aires: the nuns lead the cloister under strict supervision and make it possible for single, often teenage mothers to have housing and care.

BILLIE – LEgENDE DES Jazz

Komplexe Biografie

Die Journalistin Linda Lipnack Kuehl arbeitete von 1971 bis zu ihrem Tod durch einen mysteriösen Sturz aus dem Fenster ihrer Wohnung 1979 an einer Biografie von Billie Holiday. Rund 200 Stunden Tonband- und Kassettenaufnahmen von Interviews, die Kuehl mit Holidays Freund*innen, Wegbegleiter*innen, darunter zahlreichen Jazz-Größen und sogar den FBI-Agenten, die Holiday verfolgten und verhafteten, führte, bilden die Basis des Dokumentarfilms BILLIE von James Erskine. Das Bild der Sängerin, das aus den oft widersprüchlichen Aussagen entsteht, ist keineswegs geschlossen, aber das ist gerade die Stärke des Films. BILLIE versucht, der Sängerin gerecht zu werden, ohne sie auf ihre Bühnenrolle oder ihre Biografie – sie war die Tochter eine Bordellbesitzerin und prostituierte sich selbst bereits als Teenagerin – festzulegen. Holidays künstlerisches Programm und die Entwicklung ihres Stils werden vor allem von ihren Mitmusiker*innen beschrieben. Holiday sagt, sie sei aus der Band von Archie Shaw ausgestiegen, weil sie dort immer nur Blues singen sollte. Der Film selbst verfällt aber ebenfalls der Verführungskraft von Holidays blues-lastigen, langsamen Songs wie „My Man“, „God Bless the Child“ oder „Fine Mellow“, die auch wegen der brutalen Beschreibung der Geschlechterverhältnisse beeindrucken. Aber Billie Holiday wollte, dass ihre Stimme klingt wie die Trompete von Louis Armstrong. Diesen triumphalen und perkussiven Sound hat Billie Holiday vor allem in schnellen Swing-Nummern wie „Them There Eyes“, die es nicht in den Soundtrack des Films geschafft haben. Anders ihr Meisterwerk, der erschütternde Song „Strange Fruit“ (1939), der Szenen eines Lynchens mit Klischees des „galanten Südens“ kontrastiert und die rassistischen US-Behörden gegen Billie Holiday aufbrachte. BILLIE spürt der Selbstbehauptung der

Künstlerin nach. D Tom Dorow  Start am 11.11.2021

A kaleidoscope-like image of Billie Holiday emerges out of around 200 hours of tape and casette recordings of interviews with the singer’s friends and companions.

Deutschland 2019 D R: Hans Steinbichler D B: Dominikus Steinbichler D K: Christian Marohl D D: Leonard Scheicher, Johannes Nussbaum, Lisa Vicari, Heiner Lauterbach, Hannelore Elsner, Jeanette Hain D V: STUDIOCANAL

haNNES

Bedingungslos Bruder

Kaum hat der Film seine Augen aufgeschlagen, ist das Unglück schon geschehen. Ein Motoradunfall reißt Hannes (Johannes Nussbaum) aus dem Leben, das er bisher mit seinem besten Freund Moritz (Leonard Scheicher) geteilt hat. Eine Freundin gibt es zwar auch, dazu fürsorgliche Eltern und einen Hund. Aber Hannes und Moritz sind Blutsbrüder, am gleichen Tag geboren und seitdem unzertrennlich. Doch nun liegt der 19-jährige blonde Draufgänger mit einem schweren Schädelhirntrauma im Koma, und Moritz fühlt sich schuldig, weil es seine defekte Maschine war, mit der Hannes von der Straße abrutschte und den Abhang hinunterstürzte. Zudem kommt er ohne seinen besten Freund noch weniger klar mit der Welt, weil er selbst eher der unsichere, introvertierte, komplizierte Typ ist. Aber es hilft nichts. Er muss jetzt alles versuchen, um Hannes zu helfen, den Weg ins Hier und Jetzt zurückzufinden. Dafür nimmt er sich des einstigen Lebens und Alltags von Hannes an, so gut er kann, komplett mit Zivistelle im Pflegeheim, wo er unter anderem auf gut gewillte Schwestern, attraktive Ärztinnen und seine alte Klassenlehrerin trifft. Hans Steinbichler inszeniert den Roman von Rita Falk aus dem Jahre 2012 als leicht überdrehte Tragikomödie mit jugendlichem Charme, die so bedingungslos zwischen Realität und Übersteigerung, Vergangenheit und Gegenwart, Nostalgie und Hoffnung, Humor und Schuldgefühlen oszilliert, dass der Film immer wieder selbst ins Schleudern gerät. Es gelingt es ihm nicht, die heftigen tonalen Sprünge in einen Rhythmus zu überführen, der mit der Geschichte im Einklang steht und emotional bindet. Man hätte Hannelore Elsner für ihre letzte Filmrolle einen etwas stimmigeren Film als HANNES gewünscht. Aber eine Freude ist es doch, die große Schauspielerin hier noch einmal im Einsatz zu sehen.

D Pamela Jahn  Start am 25.11.2021

An adaptation of the youth novel by Rita Falk. Moritz and Hannes are best friends. Then Hannes is heavily injured in a motorcycle accident and falls into a coma.

„Eine Bombe von Film“

RADIO SRF 3

„Eine feinfühlige Inszenierung“

Neue Zürcher Zeitung

INSPIRIERT DURCH DIE GLEICHNAMIGE BIOGRAFIE VON MICHELLE HALBHERR & FRANZISKA K. MÜLLER

AB 18. NOVEMBER 2021 IM KINO

zuhurs-toechter.de

AB 4. NOVEMBER IM KINO

mitra-fi lm.de

AB 18. NOVEMBER IM KINO

Deutschland 2020 D 110 min D R: Lena Knauss D B: Lena Knauss D K: Katharina Bühler D S: Julia Kovalenko D M: Moritz Schmittat D D: Thomas Niehaus, Sarah Hostettler, Aenne Schwarz, Godehard Giese, Ines Marie Westernströer D V: farbfilm Verleih

TaguNDNaChTgLEIChE

Geheimnisvolle Unbekannte

Alexander ist ein Schweiger. Eigentlich ein belesener Klassikliebhaber repariert er lieber alleine Fahrräder in seiner Werkstatt, als unter Menschen zu gehen. Ab und an unverbindlicher Sex mit der Kneipenwirtin von nebenan und jede Menge Zigaretten und Schnaps bringen ihn durch die Tage. Im Inneren des nicht mehr ganz jungen Mannes scheint vieles Baustelle zu sein, was Regisseurin Lena Knauss in ihrem Spielfilmdebut aber nur andeutet. Es spiegelt sich beispielsweise im Interieur seiner gewollt unfertig wirkenden Altbauwohnung, von der aus Alexanders Blick immer wieder zum Fenster gegenüber schweift. Dort schwingt Paula, eine geheimnisvolle Varietékünstlerin, des Nachts ihre Reifen. Wie eine Motte dem Licht entgegen, treibt es Alexander aus dem Haus in ihre Arme. Es kommt zu einer Begegnung, die alles verspricht: Leidenschaft, Aufbruch und die große Liebe. Doch schon am nächsten Tag ist die schöne Unbekannte tot und Alexander dreht frei. Mit großer Geste inszeniert Knauss Alexanders obsessive Visionen und spart dabei nicht an Pathos, lässt ihn abgrundtief leiden und lügen – alles um an der Beziehung mit Paula festzuhalten, die es nur in seinem Kopf gibt. Marlen, Paulas Schwester, durchschaut sein Spiel, während ihre Eltern nur zu gerne an den neu gefundenen Schwiegersohn in Spe glauben wollen. Auch sie wollen sich das Bild einer perfekten Tochter rekonstruieren. Ob es Knauss wirklich ernst meint mit ihrer melodramatischen Inszenierung des Martyriums eines Mannes, der nur eventuell durch die geduldige und sehr irdische Marlen errettet werden kann, wird nicht ganz klar. Oder persifliert sie mit dem Jagen nach dem Phantom der wilden, leidenschaftlichen Frau die Besessenheit unserer Zeit mit den Oberflächen der Social-Media-Profile? D Susanne Kim

 Start am 18.11.2021

Silent Alexander begins a passionate affair with artist Paula. Shortly after, the beautiful stranger is dead, and Alexander loses it. Originaltitel: Yö Armahtaa D Finnland 2020 D 90 min D R: Mika Kaurismäki D B: Mika Kaurismäki, Sami Keski-Vähälä D K: Jari Mutikainen D S: Mika Kaurismäki, Eero Tammi D D: Kari Heiskanen, Anu Sinisalo, Pertti Sveholm, Timo Torikka D V: Arsenal Filmverleih

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Männer ohne Abstand

Nach dem Berlinale-Gewinner BAD LUCK BANGING OR LOONY PORN von Radu Jude, nutzt auch Mika Kaurismäki die Pandemie als Hintergrund für sein Charakterdrama um drei Männer in der Lebenskrise. Mehr als Judes Film merkt man GRACIOUS NIGHT die Entstehung unter Pandemiebedingungen an. Von den eindrucksvollen Aufnahmen des menschenleeren Helsinki unter dem Lockdown, verlagert sich die Handlung schnell in einen abgesteckten Handlungsraum. Wie alle öffentlichen Plätze in der Stadt, ist auch die Kneipe von Heikki geschlossen. Als der Abend beginnt, betritt er die Bar mit einem Kanister Benzin, deckt den Tisch und serviert sich eine Henkersmahlzeit bei Kerzenschein. Doch dann klopft Risto. Der Doktor erhielt am Ende des zermürbenden Arbeitstags in der Klinik die Meldung, dass eine junge Patientin gestorben ist, und sucht Trost und Wein bei seinem Freund. Heikki schenkt ihm ein, und es dauert nicht lange, bis sich ein Dritter zu ihnen gesellt: Juhani will eigentlich nur sein Handy irgendwo aufladen, doch seine Absichten scheinen nicht ganz ehrlich zu sein. Das Kammerspiel kommt weitgehend mit diesen drei Personen aus. Erst später wird die Konstellation aufgebrochen. Ansonsten sind die drei Männer mit ihren Problemen gemeinsam allein. Der Alkohol tut sein Übriges. Eine Offenbarung sorgt für Spannung, doch im Kern konzentriert sich Kaurismäki auf die pointierten Dialoge, die vom überzeugenden Ensemble weitgehend improvisiert wurden. Jeder von ihnen entwickelte seine Figur individuell, und erst in der Kneipe kamen sie zusammen. Über allem leuchtet das Neonschild mit der Corona-Werbung als offensichtliches Augenzwinkern. GRACIOUS NIGHT ist ein dialoglastiges Drama und nicht ohne Längen, aber getragen von seinen Darstellern und finnischen Schlagern voll Sehnsucht.

D Lars Tunçay  Start am 16.12.2021

Heikki’s bar has been closed in the pandemic, like all public spaces in Helsinki. But then Risto, who is looking for solace and wine at his friends, knocks on the door. And eventually Juhani joins as well, who actually just wanted to charge his phone …

EIFFEL IN LOVE

Als er unerwartet seiner Jugendliebe Adrienne (Emma Mackey, SEX EDUCATION) begegnet und mit ihr eine Affäre beginnt, findet Gustave Eiffel (Romain Duris) in dieser Liaison die Inspiration für seinen Beitrag zur Pariser Weltausstellung 1889. Die Jugendliebe ist verbürgt, dass der eigentlich mehr an Nutzbauwerken interessierte Eiffel jedoch wegen Adrienne seine anfänglichen Zweifel an der Konstruktion eines riesigen eisernen Turms verwarf und der gemeinsamen Liebe mitten in Paris ein Denkmal setzte, eine Fantasie von Drehbuchautorin Caroline Bongrand und Regisseur

Martin Bourbolon.  Start am 18.11.2021

Originaltitel: Eiffel D Frankreich 2021 D 108 min D R: Martin Bourboulon D D: Emma Mackey, Romain Duris, Pierre Deladonchamps, Armande Boulanger

hOuSE OF guCCI

1995 wurde das Oberhaupt des Modehauses Maurizio Gucci von einem Killer vor seinem Büro erschossen. Der Auftrag kam von seiner Exfrau Patrizia. Ridley Scott macht aus dem historischen Mordfall ein stylisches Familiendrama, dessen Trailer ziemlich an einen Mafiafilm erinnert, nur dass natürlich kein Don je so gut gekleidet war wie Lady Gaga als Patrizia und Adam Driver als Maurizio. Salma Hayek, die im realen Leben mit dem Gucci-Besitzer verheiratet ist, spielt auch mit. Daher wird das ehrenwerte Haus wohl nicht zu sehr beschmutzt werden.

 Start am 2.12.2021

USA 2021 D R: Ridley Scott D D: Lady Gaga, Adam Driver, Jared Leto, Al Pacino, Jeremy Irons, Jack Huston

Originaltitel: Les vétos D Frankreich 2019 D 92 min D R: Julie Manoukian D D: Clovis Cornillac, Noémie Schmidt, Carole Franck

DaS ENDE DES SChWEIgENS

Nach Ende des Zweiten Weltkrieges galt §175, der männlich-homosexuelle Akte unter Strafe stellte, in seiner 1935 verschärften Fassung weiter, wurde aber kaum angewandt. Dies änderte sich 1950, als in den „Frankfurter Homosexuellenprozessen“ über 100 Männern der Prozess gemacht wurde. Die Namen hatte der Sexarbeiter Otto Blankenstein geliefert, der sich für eine versprochene Straffreiheit instrumentalisieren ließ, und dessen Spur sich nach den Prozessen verliert. DAS ENDE DES SCHWEIGENS rekonstruiert in Spielszenen und Interviews den Fall, der zwei Jahrzehnte der intensiven Schwulenverfolgung in der BRD eröffnete.  Start am 2.12.2021

Deutschland 2020 D 75 min D R: van-Tien Hoang D D: Christoph Stein, Marco Linguri

PLÖTzLICh auFS LaND

Für die kühle, introvertierte Alex ist die Sache klar: Nach dem Studium möchte die junge Veterinärin in einem renommierten Labor als Epidemiologin forschen. Doch kaum hat sie ihre Abschlussprüfung bestanden, meldet sich ihr alleinstehender Onkel Michel und gibt vor, dringend Hilfe in seiner Praxis im Burgundischen zu brauchen … Regisseurin und Drehbuchautorin Julie Manoukian stellt in ihrem liebenswerten Erstling Stadt- und Landleben gegenüber, umschifft dabei abgedroschene Klischees und reißt die tragische Familiengeschichte der Protagonistin nur an.

Musik: Moriarty.  Start am 2 .12.2021

aLINE – ThE VOICE OF LOVE

Das Biopic nach dem Leben der kanadischen Sängerin Céline Dion und schildert deren Aufstieg vom Kinder- zum Weltstar. Der Name der Sängerin wurde in „Aline Dieu“ geändert, wohl auch, weil der Film das Verhältnis zu ihrem Manager und Ehemann René Angélil verhandelt, der sie mit 12 Jahren „entdeckte“. Regisseurin und Hauptdarstellerin Valérie Lemercier durfte die Originalmusik verwenden. Eine der seltsameren Regie-Ideen der 57 Jahre alten Lemercier ist es, Aline in jedem Lebensalter zu spielen, auch als Fünfjährige.

 Start am 23.12.2021

Frankreich/Kanada/Belgien 2020 D 124 min D R: Valérie Lemercier D D: Valérie Lemercier, Sylvain Marcel, Danielle Fichaud, Roc LaFortune, Dylan Raffin

PaNKOW ’95

In einem alternativen 1995 sitzt der aus dem Westen emigrierte Musikwissenschaftler Wolfgang Amadeus Zart (Udo Kier) des Mordes beschuldigt in der Psychiatrie Pankow ein. Flucht scheint unmöglich, bis ihm seine Frau und ein ehemaliges Retortenbaby helfen. Und der Plan wird gelingen, denn sie haben die Jungfrau Maria (Nina Hagen) auf ihrer Seite. Gábor Altorjays extrem seltsame New-Wave-SciFi-Comedy von 1983 hat wenig Budget, aber Musik von The Wirtschaftswunder, und bunte Bilder, die frisch restauriert fast so sehr leuchten wie Udo Kiers Augen.

 Start am 25.11.2021

Deutschland 1984 D 88 min D R: Gábor Altorjay D D: Udo Kier, Christine Kaufmann, Dieter Thomas Heck

CLOVIS CORNILLAC NOÉMIE SCHMIDT PLÖTZLICH AUFS LAND

EINE TIERÄRZTIN IM BURGUND

EIN FILM VON JULIE MANOUKIAN

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