INDIEKINO MAG #12, August 2021

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INDIEFEATURE

Dominik Grafs Verfilmung des Erich Kästner Romans „Fabian oder der Gang vor die Hunde“ wäre ein würdiger Berlinale-Gewinner gewesen. FABIAN spielt in Berlin 1931 und bricht mit vielen Konventionen, die mit in der Darstellung der späten Weimarer Republik, der Wirtschaftskrise und des Aufstiegs der Nazis verbunden sind. Grafs Film ist eine Tour de Force durch (deutsche) Film- und Kunst-Stile – vom Expressionismus über Neue Sachlichkeit und den Collagefilm zu Brecht’schen Elementen des epischen Theaters und sogar mit gelegentlichen Ausflügen zu Fassbinder – und er fängt die moderne Sensibilität der liberalen Berliner und Berlinerinnen in den dreißiger Jahren so mitreißend ein, dass man weniger denkt als fühlt, dass es hier nicht nur um Geschichte geht. Hier geht es um uns. Jakob Fabian (Tom Schilling) geht zu Beginn des Films die Treppen des U-Bahnhofs Rüdesheimer Platz empor und ist im Berlin der Gegenwart. Ihm ist schwindlig. Ein Mann mit entstelltem Gesicht spricht ihn an, Fabian gibt ihm in einer Kneipe ein Bier aus und hört der zwischen Flüchen gestammelten Geschichte des Mannes mit der Kriegsverletzung zu. Sie sind wieder im Berlin von 1931. In der Nacht geht Fabian in das Äquivalent des KitKatClubs/ D 10

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Berghains der dreißiger Jahre. Hier begegnet er Irene Moll (Meret Becker), die ihn nach Hause abschleppt, aber Fabian geht wieder, als er vom seltsamen Arrangement zwischen Frau Moll und ihrem Gatten erfährt. Fabian arbeitet als Werbetexter in einer Agentur, interessiert sich aber nicht besonders für den Job. Er leistet ambitionslos gute Arbeit, wird aber gekündigt, weil er dem Chef gegenüber nicht devot genug ist. Ein Problem sieht Fabian darin zunächst nicht, angesichts seiner Fähigkeiten. Aber in der Wirtschaftskrise findet er sich bald in den Schlangen der Arbeitslosen wieder. Die Exposition des Films ist ein rauschhafter Taumel. Der Ton und das Tempo ändern sich, als Fabian sich verliebt. Während Fabian seinen Lebensstil zunächst mit Hilfe seines Freundes Stefan Labude (Albrecht Schuch) aufrechterhalten kann, verliebt er sich in Cornelia Battenberg (Saskia Rosendahl), die sich einen glamourösen Lebenslauf ausgedacht hat und zum Film will. Er begleitet sie aus dem Kabarett, in dem sie arbeitet, nach Hause – zufällig logiert sie im gleichen Haus wie er selbst. Tom Schilling und Saskia Rosendahl spielen das Liebespaar mit einer im deutschen Kino selten gesehenen Freiheit, Zärtlichkeit und Zurückhaltung. Momente des Glücks sind hier keine


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