INDIEKINO BERLIN Magazin #49, Juni/Juli 2018

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D THE RIDER Vollkommene Kinomagie D AUGENBLICKE: GESICHTER EINER REISE Demokratische Kunst D NICO, 1988 Erlesene Melancholie D LOVE, SIMON Verliebt in Unbekannt D LOVE, CECIL Großmeister des Glamours D FRIDAS SOMMER Kindheit, Sonne und Trauer D TULLY Genervt mit Verve D DER PRINZ UND DER DYBBUK Fährtensuche D AM STRAND & VOM ENDE EINER GESCHICHTE Britische Literaturstars verfilmt D 303 Road-und-Rede-Movie D DER SECHSTE KONTINENT Haus der Solidarität D FEINDE – HOSTILES Angeschlagene Männer D SWIMMING WITH MEN Schön auf dem Teppich D ZWEI IM FALSCHEN FILM Pragmatiker, romantisch D KOLYMA Gulag oder Gulasch?

Magazin DER unabhängigen BERLINER LichtspielhäusER

D 49 D JUNI/JULI 2018

indiekinoBERL

THE RIDER – START AM 21.6.2018



DIE INDIEKINOS D ACUD KINO D B-WARE!LADENKINO D BALI KINO­ D B ­ rotfabrik Kino D BUNDES­PLATZ KINO D City Kino Wedding D EVA-LICHTSPIELE D FILMKUNST66 D FILMRAUSCHPALAST D FSK-KINO AM ORANIENPLATZ D HACKESCHE HÖFE KINO D IL KINO D INTIMES D KROKODIL D KLICK Kino D SPUTNIK KINO AM SÜDSTERN D TILSITER ­LICHTSPIELE D UNION FILMTHEATER D XENON KINO D WOLF KINO D Z-INEMA D ZUKUNFT D B-WARE! OPEN AIR D FLB Weissensee D FLK FRIEDRICHSHAGEN D FLK HASENHEIDE D FLK INSEL D FLK ­POMPEJI D FLK „UMSONST & DRAU­S­SEN“ IM FILMRAUSCHPALAST

„Eine britische Feel-GoodKomödie, ebenso situationskomisch wie selbstironisch.“ programmkino.de

„Eine skurrile Männergruppe, voller Liebe und Humor“ Indiekino

Editorial Es ist endlich wieder Sommer und INDIEKINO sucht das Weite. Im herzzerreißend schönen und auf eine kinomagische Art traurigen THE RIDER liegt das Glück des Rodeo-Reiters und Pferdezähmers Brady in der Weite der Prärie. Als die Ärzte ihm nach einem Unfall eröffnen, dass er nicht mehr reiten darf, und er – mindestens einen Moment lang – als Hilfsarbeiter in einem tageslichtlosen Supermarkt jobben muss, verdunkelt sich seine Sonne. In Hans Weingartners Rede-und Roadmovie 303 trampt Jan bei Jule in ihrem alten Caravan mit. Auf der langen Autofahrt nach Portugal reden sie und reden sie, und während sie Belgien, Frankreich und Spanien durchqueren und die Welt immer mehr nach Urlaub aussieht, entstehen eine neue Nähe und neue Perspektiven. In FRIDAS SOMMER ist der Sommer mit Trauer durchmischt: Nachdem Fridas Mutter gestorben ist, muss die Sechsjährige aus Barcelona zu den Verwandten aufs Land. In Lucrecia Martels ZAMA schließlich entpuppt sich die Ferne als Falle. Der spanische Kolonialbeamte Don Diego de Zama sitzt in Südamerika fest und hofft auf eine Versetzung, die nie kommt. Während Zama nichts kapiert, nicht einmal, dass er längst festgewachsen ist, hoffen die Einwohner auf ein langsames Verrotten der Kolonialmacht. Für die Weite zu Hause gibt es das ins Sommerkinoprogramm. Viele Kinos haben ihre Indoor-Events ins Grüne verlegt. Der Bahnhofskinokinderabend im Filmrauschpalast findet draußen statt, das Open Screening und die British Shorts des Sputnik Kino ziehen ins FLK Insel um, und das Union Filmtheater hat ein schönes Musikfilmprogramm für das Open-Air Kino in Friedrichshagen zusammengestellt. Vom 31.5. bis 13.9. laufen dort, unter anderem, SHINE A LIGHT, I’M NOT THERE, BLUES BROTHERS, TAKING WOODSTOCK, THE BEATLES – EIGHT DAYS A WEEK, THE ROCKY HORROR PICTURE SHOW … Viel Spaß im Kino und einen guten Sommer Eure INDIEKINO BERLIN Redaktion Im Juni/Juli erscheint INDIEKINO BERLIN als Doppelheft. Wir sind am 28. Juli mit der Augustausgabe zurück.

EIN FILM VON

OLIVER PARKER

AB 7. JUNI IM KINO


INDIEINHALT

04 Magazin 10 VOLLKOMMENE KINOMAGIE: THE RIDER 16 KONKURRENZDENKEN HAT MICH NIE INTERESSIERT: INTERVIEW MIT AGNÈS VARDA ZU AUGENBLICKE: GESICHTER EINER REISE 38 BRITISCHE LITERATURSTARS VERFILMT: AM STRAND & VOM ENDE EINER GESCHICHTE

37 Open-Air Vorschau 50 WEITER im Kino 52 Kinderfilme 54 Kinohighlights 61 Kinoadressen, Impressum, AboNNEMENT 62 Nachbild

Neu im JUNI/JULI 43 24 38 37 16 21 20 42 40 46 41

12 Tage 303 Am Strand Auf der Suche nach Ingmar Bergman Augenblicke: Gesichter einer Reise Aus einem Jahr der Nichtereignisse Back for Good Die brillante Mademoiselle Neïla Camino a La Paz Candelaria Endless Poetry

Starts der Woche 31.5. 16 20 35 31 31 29 36 27 34 40

Augenblicke: Gesichter einer Reise Back for Good Feinde – Hostiles Guardians of the Earth Kinders Meine Tochter – Figlia Mia Tanz ins Leben Tully Usedom – Der freie Blick aufs Meer Zwei im falschen Film

31 Exhibition on Screen: Canaletto 35 42 47 27 31 35 31 49 23 36 31 32 29

Feinde – Hostiles Foxtrot Die Frau, die vorausgeht Fridas Sommer Global Family Goodbye Christopher Robin Guardians of the Earth Gute Manieren Halaleluja – Iren sind menschlich! Hereditary Kinders Kolyma Könige der Welt

22 23 21 49 26 30 47 29 30 48 20 48 26 28

LOMO Love, Cecil Love, Simon Mamma Mia 2 Mantra – Sounds into Silence El Mar La Mar Marvin Meine Tochter – Figlia Mia Montags in Dresden Nicht ohne Eltern Nico, 1988 Overboard Papst Franziskus – Ein Mann seines Wortes Der Prinz und der Dybbuk

10 41 34 46 36 31 43 27 34 38 22 48 44 40

The Rider Ryuichi Sakamoto: Coda Der sechste Kontinent Swimming with Men Tanz ins Leben Die Temperatur des Willens Time Trial Tully Usedom – Der freie Blick aufs Meer Vom Ende einer Geschichte Wolf and Sheep Die Wunderübung Zama Zwei im falschen Film

7.6.

14.6.

21.6.

40 31 35 26 30 28 34 46 31 22

43 21 42 36 30 48 26 38

38 23 32 48 10

Camino a La Paz Exhibition on Screen: Canaletto Goodbye Christopher Robin Mantra – Sounds into Silence El Mar La Mar Der Prinz und der Dybbuk Der sechste Kontinent Swimming with Men Die Temperatur des Willens Wolf and Sheep

12 Tage Aus einem Jahr der Nichtereignisse Die brillante Mademoiselle Neïla Hereditary Montags in Dresden Overboard Papst Franziskus – Ein Mann seines Wortes Vom Ende einer Geschichte

Am Strand Halaleluja – Iren sind menschlich! Kolyma Nicht ohne Eltern The Rider

28.6. 31 Global Family 21 Love, Simon 48 Die Wunderübung

5.7.

12.7.

19.7.

26.7.

46 47 47 43

37 42 22 23 20 41 44

24 41 29 49

27 Fridas Sommer 49 Gute Manieren

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Candelaria Die Frau, die vorausgeht Marvin Time Trial

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Auf der Suche nach Ingmar Bergman Foxtrot LOMO Love, Cecil Nico, 1988 Ryuichi Sakamoto: Coda Zama

303 Endless Poetry Könige der Welt Mamma Mia 2



INDIEMAGAZIN

FEMMES TOTALES MIT GÄSTEN Immer am ersten Mittwoch im Monat zeigt das Sputnik Kino die Filme der Femmes Totales-Reihe in Anwesenheit von Filmemacherinnen und Expertinnen. Am 6.6. um 19 Uhr wird zum Porträt einer scheinbar gewöhnlichen österreichischen Familie in der Nachkriegszeit, DAS UNMÖGLICHE BILD (R: Sandra Wollner), Anna Mattes von Terre des femmes erwartet. Am 4.7. um 19 Uhr wird SPEAK UP von Amandine Gray gezeigt, in dem europäische Schwarze Frauen von ihren Erfahrungen erzählen. Zu Redaktionsschluss standen die Gäste noch nicht fest. Das unmögliche Bild

GREGOR GYSI LIEST IM UNION Ende 2017 erschien Gregor Gysis in der Presse viel gelobte Autobiografie „Ein Leben ist zu wenig“, in der er von seinen verschiedenen Leben und Reinkarnationen als Anwalt, Politiker, Autor, Moderator und Familienvater erzählt, vor allem aber von der erstaunlichen Wende, die sein Leben nach dem Mauerfall nahm. Am 6.6. um 18 Uhr ist Gysi im Union Filmtheater zu Gast und stellt sein Buch im Gespräch mit Hans-Dieter Schütt persönlich vor.

GOODBYE EISZEIT Inzwischen haben es sicher alle schon gehört: Das Kreuzberger Eiszeit Kino musste am 18.5. schließen. Damit verschwindet eine Kreuz­ berger Kino-Institution, die seit den 80er Jahren zum Kulturinventar des Bezirks gehörte. Das aus der Hausbesetzerbewegung entstandene Kino war ein Treffpunkt für politische Initiativen, für Genrefilm-Verrückte und Hardcore-Arthouse-Cineasten. Hier haben wir, neu in Berlin, Filme entdeckt und durften später selbst unsere „Adult Horror Movies“ veranstalten. Über Jahrzehnte waren Andreas Döhler, Andreas Wildfang und Su Berman Herz und Kinoseele des Eiszeit. Als 2014 das Haus verkauft wurde, haben Rainer Krisp und Burkhard Voiges das Kino weitergeführt und aufwändig umgebaut. Nach einer Durstrecke ging es mit den Besucherzahlen zuletzt aufwärts, aber im Mai kam dennoch die Kündigung. Wir werden das Kino vermissen und sagen: Goodbye und DANKE! D6

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PERFORMANCE & PROTESTDie mediale Verarbeitung der Proteste gegen den G20-Gipfel 2017 in Hamburg legte den Fokus auf Gewalt und Verwüstungen. Dass es daneben aber auch eine Masse von friedlichen und hochkreativen Aktionen gab, zeigt Rasmus Gerlach in DER GIPFEL: PERFORMING G20. Im Juli 2017 war er mit zehn Kameraleuten mitten im Geschehen, zeigt Straßen voller grauer Kriegsopfer und blauer Schlümpfe, Trommler und Autonome, die im Strahl des Wasserwerfers spontan ihren Abwasch erledigen. Der Polizeisprecher von Hamburg kommt zu Wort, und Performance-Ikone Laurie Anderson analysiert die Außenwirkung der Proteste. Rasmus Gerlach, der gerade an einer Computerspiel-Variante des Films mit dem Titel „Welcome to Hell“ arbeitet, ist zur Vorführung am 13.6. (in OmeU) um 20 Uhr im Filmrauschpalast anwesend.


„knallhart-lustig“

OFFENES NEUKÖLLN Zum zweiten Mal findet

KINO-ZEIT.DE

dieses Jahr das Festival „Offenes Neukölln“ statt – für ein vielfältiges und solidarisches Neukölln. Alle Neuköllner*innen sind herzlich eingeladen, vom 1.-3. Juni drei Tage lang gemeinsam zu feiern und zu diskutieren. Das Il Kino beteiligt sich mit einem Filmprogramm: Am 1.6. um 18 Uhr läuft LAYLA M., in dem die Niederländerin Mijke Jongens erzählt, wie eine Teenagerin sich zunehmend radikalisiert, und am 2.6. um 18 Uhr INSCHALLAH, das Porträt von Mohamed Taha Sabri, Imam der Neuköllner Dar-AsSalam-Moschee. Mehr über das Festival unter: offenes-neukoelln.de

AB 31. MAI IM KINO

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VERNISSAGE: CLOSE UP Am Freitag, den 13.7. präsentiert das Bali Kino ab 20.30 Uhr einen bunten Abend, der sich um Werke des Multimedia-Künstlers Benjamin Ortleb dreht. Ortleb verwendet gerne Bilder von Kultfilmen in seinen Vinylarbeiten und Drucken und hat natürlich schon ein Bild von Crystal Lake gemacht. Es gibt Ortlebs ersten Kurzfilm zu sehen, der mit einer Filmschnipselcollage der Kinematografie die Ehre erweist. Dazu spielt das Elektronikduo „DOit“ jazzigen House, und zum Abschluss schweben David Bowie und Catherine Deneuve als edle 80er-Vampire durch Tony Scotts THE HUNGER.

„erfrischend, beeindruckend, fesselnd“ VARIETY

VERLOSUNG: BARTPFLEGE & Pools Zum Sommer und für alle (Männer) in der Sinnkrise verlosen wir diesmal zwei Bartpflegesets und drei Bildbände „The Pools of the World“, die Alamode-Filmverleih und OIO Books zum Start von SWIMMING WITH MEN (Besprechung auf Seite 37) gestiftet haben. Ein Interesse am Synchronschwimmen setzen wir voraus. Schreibt uns bei Interesse bis zum 15.6. eine Mail an info@indiekino.de. Betreff: „Bartpflege“ oder „Pools“.

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INDIEMAGAZIN

PREVIEW: NAPOLI VELATA

Die Il Kino Italia-Filmreihe zeigt am 20.6. den Thriller NAPOLI VELATA (Neapel Verschleiert) von Ferzan Özpetek: Adriana trifft Andrea und nach einer leidenschaftlichen Nacht vereinaren sie ein Date. Als Andrea nicht zum Treffpunkt kommt, ist das der Beginn einer polizeilichen Untersuchung, die in die Abgründe eines geheimen Neapels führt, und in Adrianas eigene Vergangenheit.

ELLIOTT SHARP VERTONT „1984“ Elliot Sharp ist wohl der berühmteste Musiker, der bisher bei den „Cinesthesia Screen Concerts“ in der Brotfabrik aufgetreten ist. Der Avantgarde-Musiker, der seine 85 Alben unter anderem auf dem legendären Hardcore-Punk-Label SST, dem Knitting Factory-Label und John Zorns Tzadik-Label veröffentlicht hat, wird am 5.6. um 21 Uhr die erste Verfilmung von George Orwells „1984“ von Michael Anderson aus dem Jahr 1956 im Prinzip auf der Gitarre vertonen. Wer Sharp schon einmal Gitarre spielen gehört hat, weiß, dass das alles Mögliche bedeuten kann, denn Sharp lädt die Seiten seines Instruments auch schon mal mit Samples und verwendet höchst bizarre Spieltechniken. Karten gibt es nur mit Vorbestellung. brotfabrik-berlin.de

CITY KINO SOMMERPAUSE: DIRTY DANCING Am 4. Juli verabschiedet sich das City Kino Wedding in die Sommerpause. Zum Abschluss gibt es noch einmal ein schönes DIRTY DANCING-Screening mit einem Spezialgetränk. Am 2. August geht’s dann wieder weiter. Guten Sommer!

INDIEKINO OPEN AIR Inzwischen haben die Indie-OpenAirs ihr Programm aufgenommen. Ein paar Highlights aus dem Angebot von Freilichtbühne Weißensee, FLK Friedrichshagen, FLK Hasenheide, FLK Insel, FLK Pompeji und dem Freilichtkino im Filmrauschpalast haben wir für euch auf Seite 37 zusammengestellt, das aktuelle Tagesprogramm findet ihr auf indiekino.de/openair

WM GUCKEN

Kinobetreiber und die Fußball-WM (vom 14.6 bis 15.7.) sind eigentlich nicht die dicksten Kumpels. Sputnik Kino, City Kino Wedding und Kino Union machen immerhin ein Angebot zur Freundschaft: In der Sputnik Kinobar gibt es alle Spiele der WM auf der Leinwand, im City Kino Wedding alle Spiele der französischen Mannschaft, im Kino Union alle Spiele des deutschen Teams.


INDIEMAGAZIN

25 JAHRE Z-BAR: GRINDHOUSE SHOW Seit 1993 versorgt die Z-Bar ihre Gäste, inzwischen vollkommen legal, mit alkoholischen und anderen Getränken. Im Jahre 2000 kam das Z-inema dazu und bietet den Trinkenden seitdem auch einem Rausch für die Augen, der das Gehirn immer stimuliert, den „guten Geschmack“ aber manchmal außer acht lässt. Zum 25sten gibt es am 1.7. ab 20 Uhr in einer „Grindhouse Trailershow“ 100 Minuten bestes Trailermaterial für alles, was das Schmuddelkino an Horror, Sex und Exploitation zu bieten hat.

VIDEODROM-SOLI-SCREENING Die Kreuzberger Videothek „Videodrom“ ist für Berliner Cineast*innen so etwa wie der Polarstern für Seefahrer. Wenn man sich orientieren will, muss man hier hin. Seit Mitte der 80er Jahre gibt es hier Filme, von denen sonst viele nirgends in Deutschland zu finden sind. Als das Geschäft 1999 nach einer Durchsuchung wegen des Verdachts der Verbreitung jugendgefährdender Filme vorübergehend schließen musste, gehörten namhafte Filmschaffende wie Detlev Buck, Christoph Schlingensief, Sophie Rois, Volker Schlöndorff und Tom Tykwer zu den Unterstützern. Nun droht dem Videodrom erneut die Schließung. Das Z-inema veranstaltet am 5.6. ab 20 Uhr in Kooperation mit dem renomierten BluRay/DVD Label „Subkultur Entertainment“ und der Filmproduktion „Lisa Film“ einen Solidaritätsabend, an dem alle Nettoeinnahmen der Eintrittsgelder dem Videodrom gespendet werden. Gezeigt wird die restaurierte Fassung von Rolf Olsens Actionreißer BLUTIGER FREITAG (1972) mit Raymund Harmstorf als hartem Knochen. Nach dem Film präsentiert der Filmemacher Sadi Kantürk einen Dokumentarfilm über die Entstehung von BLUTIGER FREITAG.

ab 7. Juni in den Kinos

FÊTE DE LA MUSIQUE

Am 21. Juni ist wieder Fête de la Musique und in ganz Berlin wird gesungen und musiziert. So auch im Brotfabrik Kino. Um 18 Uhr läuft erst das Porträt eines Berliner Mädchenchors MIT STARKER STIMME: Polina (14), hat Probleme an der Ballettschule, die Freundinnen Linn und Neima (12) konkurrieren um die gleiche Solorolle und Rosa (16) will ihr Hobby zum Beruf machen. Gemeinsam singen sie und werden allmählich erwachsen. Dann tritt der Chor auf. fetedelamusique.de

www.kairosfilm.de


INDIEFEATURE

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INDIEFEATURE

The Rider

Vollkommene Kinomagie

Chloé Zhaos THE RIDER ist vollkommene Kinomagie. Schöneres Licht als das, was ihr Kameramann Joshua James Richards auf die Leinwand zaubert, war im Kino nicht mehr seit Nestor Almendros’ Kameraarbeit für Terence Malicks DAYS OF HEAVEN zu sehen, der offensichtlich eine Inspiration für Zhaos Film war, und eine bewegendere Geschichte habe ich in diesem Jahr auch noch nicht im Kino gesehen. Chloé Zhao hat bereits ihren letzten Film, SONGS MY BROTHER TAUGHT ME, in den Badlands der Pine Ridge Reservation in South Dakota gedreht. Dabei lernte sie den jungen Rodeo-Cowboy Brady Jandreau kennen, den sie unbedingt als Hauptdarsteller für ihren nächsten Film haben wollte. Dann verletzte Brady sich bei einem Rodeo schwer, als ein Bronco ihn abwarf und mit dem Huf am Kopf erwischte. THE RIDER ist parallel zu Bradys Heilungsprozess entstanden, der Lakota-Cowboy und seine Familie spielen eine fiktionale Version ihrer eigenen Geschichte. Vieles ist vollkommen real in THE RIDER: Die zärtlichen Dialoge zwischen Brady und seiner geistig behinderten Schwester, die atemberaubenden Szenen, in denen Brady ein Wildpferd zureitet. Dabei darf Brady eigentlich nicht mehr reiten, in seinem Kopf befindet sich eine Stahlplatte und er leidet an Anfällen, die mit Übelkeit und Verkrampfungen der Muskulatur einhergehen. Brady kann aber auch nicht leben, ohne zu reiten, obwohl er an seinem (echten) Freund, dem früheren Bullenreiter Lane, gesehen hat, wieviel schlimmer seine Verletzung hätte ausgehen können. THE RIDER zeigt die Männerwelt der Lakota Cowboys von Pine Ridge, in der man als Teenager mit dem gefährlichen Sport beginnt, und so lange durchhält, wie der Körper die Belastung erträgt. Wer aussteigt, erntet bestenfalls Mitleid: „Ich habe genug Typen gesehen, die Angst hatten, wieder D 14

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auf’s Pferd zu steigen und Farmer geworden sind“, warnt ein Kumpel Brady, der dann zunächst doch einen Job annehmen muss: Waren auszeichnen im Supermarkt. Die stupide Arbeit ist nicht zu ertragen, schon gar nicht im Gegensatz zu den mitreißenden Außenaufnahmen, die Zhao und Richards auf die Leinwand zaubern. Man meint die Kräuter und den Staub der Badlands riechen zu können, den Wind zu spüren, und wenn Brady über die Prärie reitet, wirkt er schwerelos. Die Geschichte eines jungen Mannes, der in einer Welt lebt, in der es nur einen lebbaren Traum gibt, der sich für ihn nicht mehr leben lassen soll, ist eine existentielle Tragödie, die unmittelbar den Lebensumständen im Pine Ridge Reservat entspringt, aber nicht nur emotional auf universelle Erfahrungen verweist. Chloé Zhao arbeitet wundervoll mit ihren Laiendarstellern, denen man manchmal durchaus anmerkt, dass sie spielen, was die Wahrhaftigkeit ihrer Worte und Handlungen aber eher noch unterstreicht. THE RIDER ist Cinema Verité im originalen Sinne: ein Kino, das poetische Wahrheit schafft. D Tom Dorow

USA 2017 D 104 min D R: Chloé Zhao D B: Chloé Zhao D K: Joshua James Richards D S: Alex O’Flinn D M: Nathan Halpern D D: Brady Jandreau, Tim Jandreau, Lilly Jandreau, Cat Clifford D V: Weltkino

Start am 21.6.2018 ¢ b-ware!ladenkino, fsk-Kino am Oranienplatz, Il Kino, Union Filmtheater

Lakota cowboy Brady isn‘t actually allowed to ride anymore after a head injury which he got while doing rodeo, but there‘s no other life for him. In Chloe Zhao‘s moving and enchanting film, Brady and his family play a fictional version of their own story.


VOM PREISGEKRÖNTEN REGISSEUR

WIM WENDERS

A B 14 . J U N I I M K I N O D I E W E LT B R A U C H T H O F F N U N G


INDIEFEATURE

Agnès Varda, geboren 1928, bildete mit Chris Marker (LA JETÉE, SANS SOLEIL) und Alain Resnais (L’année dernière à Marienbad) die „group rive gauche“, zu deren Peripherie auch Georges Franju, Jacques Demi und William Klein gehörten. Angeblich wollte sich die Gruppe von der aus dem Umkreis der Filmzeitschrift „Cahiers du cinéma“ entstandenen Nouvelle Vague-Gruppe abheben, aber Varda zufolge verband die drei vor allem „freundliche Unterhaltung und eine Liebe zu Katzen“. Von den Nouvelle Vague-Regisseuren Godard, Truffaut, Chabrol, Rohmer und Rivette, die sich als Cinephile vor allem auf andere Filme (Noir, Hitchcock etc.) bezogen, unterschieden sich die „rive gauche“ Filmemacher durch ihr Interesse am Verhältnis von Film zu anderen Künsten, vor allem

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Literatur und Fotografie. Varda hatte Literatur, Kunstgeschichte und Philosophie studiert und eine Fotografie-Lehre gemacht, bevor sie ihren ersten Film drehte. LA POINTE COURT (1954), nach einer Willam Faulkner-Geschichte, wurde prompt von Truffaut wegen des (absichtlich) gekünstelten Schauspiels verrissen. Vardas größte Erfolge waren CLE0 DE 5 Á 7 (MITTWOCH ZWISCHEN 5 UND 7, 1961) über den Nachmittag einer jungen Frau, die auf die Diagnose eines Arztes wartet, SANS TOIT NI LOI (VOGELFREI, 1965), die Geschichte flüchtiger Begegnungen der schroffen Mona, die in absoluter Freiheit leben will, LE BONHEUR (DAS GLÜCK, 1965), eine Dekonstruktion des bürgerlichen Familienidylls, und der Dokumentarfilm Les glaneurs et la glaneuse (DER SAMMLER UND DIE SAMMLERIN, 2000), der, ausgehend von einem Gemälde von Jean-François Millet, die Geste des „Nachlesens“, des Aufhebens von Übriggebliebenem erforscht, bis hin zu Menschen, die Mülleimer durchwühlen und Künstlern, die Weggeworfenes als Material benutzen.


INDIEFEATURE

„Konkurrenzdenken hat mich nie interessiert. Und groSSer Ruhm auch nicht.“ Interview mit Agnès Varda

INDIEKINO BERLIN: Frau Varda, bei AUGENBLICKE: GESICHTER EINER REISE haben Sie erstmals nicht alleine Regie geführt, sondern gemeinsam mit dem Künstler und Fotografen JR. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit? Agnès Varda: Meine Tochter hat uns miteinander bekannt gemacht. Ich kannte seine Kunst und er meine Filme, aber es war Rosalie, die fand, es könne nicht angehen, dass wir uns noch nie begegnet sind. Wir stellten schnell fest, dass wir uns gut verstehen und vor allem die gleichen Interessen haben. Wir beide haben ein Bedürfnis nach Begegnungen mit anderen Menschen. So haben wir dann schon ein paar Tage nach unserem Kennenlernen beschlossen, gemeinsam einen Film zu machen. Eigentlich hatten Sie da doch schon angekündigt, gar keine Kinofilme mehr machen zu wollen, oder? Das stimmt, ich hatte es nach DIE STRÄNDE VON AGNÈS eigentlich nicht mehr vor. Zuletzt habe ich mich vor allem um meine Videoinstallationen für Museen und Galerien gekümmert. Das ist ein Arbeiten, das mir in meinem Alter eher entgegenkommt als ein ganzer Kinofilm. Oder ich habe etwas fürs Fernsehen gemacht. Doch in diesem Fall fand nicht zuletzt Rosalie, dass es zu schade sei, den Film nur im französischen Fernsehen zu zeigen. Sie und JR waren der Meinung, dass er um die Welt reisen müsse.

Was war der Ursprungsgedanke hinter AUGENBLICKE: GESICHTER EINER REISE? Wie gesagt, wir wollten Menschen treffen. Einfache, normale Menschen, keine Prominenten. Und JR hat sein magisches Fotomobil, diesen Truck, in den ich mich schon verliebt hatte, bevor ich JR wirklich kennen gelernt hatte. Ein Mensch steigt ein und lässt sich fotografieren – und das Foto kommt an der Seite heraus. Ach, was bin ich davon begeistert. Und so wie er mir mit dem Fotomobil etwas Neues zeigte, wollte ich ihm etwas Neues zeigen. Nämlich ein ländliches Frankreich jenseits der Metropolen, das er so nicht kennt. JR ist schließlich ein totaler Stadtkünstler, und meistens überall unterwegs, nur nicht in seiner Heimat. Um eine Sozialstudie ging es dabei allerdings nicht, oder? Natürlich ist der Film auch eine Sozialstudie. Nur keine bitterernste. Wir wollten mit Freude und einem Lächeln durchs Land reisen und uns treiben lassen. Und uns auch nicht als Filmemacher zurücknehmen oder verstecken, denn dazu hatten wir zu viel Freude daran, uns gegenseitig durch die Kamera kennen zu lernen. 18 Monate lang ging das insgesamt, allerdings drehten wir immer nur eine Woche am Stück. Ich bin zwar noch stark, aber so stark eben doch nicht mehr. Zwischendurch habe ich mich also immer wieder anderem gewidmet – und dann ging es wieder los mit dem magischen Fotomobil.

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INDIEFEATURE Haben Sie durch die Reisen und den Film etwas Neues über Ihre Heimat Frankreich gelernt?

Im vergangenen Herbst erhielten Sie einen Ehren-Oscar. Was hat Ihnen das bedeutet?

Selbstverständlich, jeden Tag. Vielleicht weniger über Frankreich als über seine Bewohner. Ich betrachte jede Begegnung mit einem anderen Menschen als eine Erfahrung, bei der ich dazulerne. Jeder Mensch ist einzigartig und dadurch interessant, und von jedem kann man etwas lernen. Deswegen liebe ich es auch in meinem Alter immer noch so sehr, neue Menschen kennenzulernen.

Das war für mich eine große Überraschung. Ich war ja nie im kommerziellen Sinne eine erfolgreiche Regisseurin. Die Verleihung war ein wunderbarer Abend. Weil es anders als bei der regulären Oscar-Verleihung keine Verlierer gibt, kommen wirklich alle Stars, und alle haben gute Laune. Ich stand dort auf der Bühne und sah im Publikum Steven Spielberg, Tom Hanks, Richard Gere oder Jennifer Lawrence. Ich stellte mir vor, wie viel Vermögen diese Menschen wohl alle mit ihren Filmen gemacht haben und musste lachen. Denn ich bin mit meinen Arbeiten natürlich nie reich geworden. Dafür gefällt es mir umso mehr, Preise und Anerkennung zu bekommen und auf diese Weise wertgeschätzt zu werden. Und natürlich hilft so ein Oscar auch dabei, den nächsten Film zu finanzieren.

Wussten Sie von Anfang an, welche Struktur der Film haben würde? Oh nein, der Film nahm – wie das eigentlich immer bei mir der Fall ist – erst im Schneideraum Struktur an. Deswegen dauert der Schnitt bei mir auch immer sehr lange. Für AUGENBLICKE haben wir uns treiben lassen beim Dreh. Aber im fertigen Film wollten wir den Zuschauer an die Hand nehmen. Deswegen haben wir uns zum Beispiel entschieden, unsere Begegnung mit Janine an den Anfang zu setzen. In diese Frau und wie sie erzählt muss man sich einfach verlieben. Das war als emotionaler Einstieg wichtig. Nach und nach fügten wir dann alles andere zusammen. Was gar nicht so einfach war, weil wir uns auf der Reise selbst ja immer von Zufällen hatten leiten lassen. Dass Sie irgendwann vor der Tür von Jean-Luc Godard standen, war aber kein Zufall, oder?

Wenig später wurde dann ja auch noch AUGENBLICKE: GESICHTER EINER REISE als Bester Dokumentarfilm für den Oscar nominiert ... Das war die noch viel größere Überraschung. Jeder weiß doch, dass die Amerikaner am liebsten amerikanische Filme gucken, nicht französische, bei denen sie Untertitel lesen müssen. Ich habe mir dann aber auch nicht viele Gedanken darüber gemacht ob wir gewinnen oder nicht. Konkurrenzdenken hat mich nie interessiert. Und großer Ruhm auch nicht. Stattdessen freue ich mich lieber, dass es überall auf der Welt zumindest ein paar Leute zu geben scheint, die AUGENBLICKE lieben.

Natürlich nicht, das hatten wir geplant. JR erwähnte, wie gerne er Godard mal treffen würde, und ich kenne ihn gut, schließlich war er mit meinem verstorbenen Mann Jacques Demy befreundet. Ich liebe es, Menschen, die ich mag, miteinander bekannt zu machen. Und in den Film hätte das Treffen thematisch auch gepasst, also dachte ich: Warum nicht? Ich hatte Godard eine Weile lang nicht mehr gesehen, und er lebt ja sehr zurückgezogen, aber er gab uns tatsächlich einen Termin.

Gab es in Ihrer langen Karriere einen Film, der einen besonderen Nerv zu treffen schien?

Aber dann hat er die Tür nicht aufgemacht ...

Wenn ich rein danach gehe, welcher Film mir als Regisseurin am meisten Freude bereitet hat, dann war das sicherlich 101 NÄCHTE – DIE TRÄUME DES M. CINEMA, den ich zum hundertsten Geburtstag gedreht habe. Ich musste die größten Stars des europäischen Kinos vor meiner Kamera versammeln: Catherine Deneuve, Alain Delon, Fanny Ardant, Belmondo, Mastroianni, Schygulla. Dazu Michel Piccoli in der Hauptrolle und Julie Gayet an seiner Seite, die damals erst 20 Jahre alt war. Der Film lief auf der Berlinale, aber er war in Frankreich ein fürchterlicher Flop, deswegen kam er kaum irgendwo sonst ins Kino. Es hat also so gut wie niemand diesen Film gesehen. Aber mir hat er unglaublich viel Spaß gemacht.

Ja, genau, das zeigen wir auch im Film. Ich muss sagen, dass mich das sehr verletzt hat. Ich war wirklich geschockt. Vor allem in Gedenken an Jacques und die Freundschaft, die er mit Godard hatte. Aber ich konnte nichts machen. Für den Film stellte diese Nicht-Begegnung dann aber eigentlich fast einen Glücksgriff dar. Das Ungeplante stellte ja ohnehin den roten Faden von AUGENBLICKE dar – und Godard verhalf uns durch diese unerfreuliche Überraschung quasi zu einem Drehbuch-Twist.

Ich würde sagen, dass MITTWOCH ZWISCHEN 5 UND 7 derjenige meiner Filme ist, den die meisten Menschen kennen. Ist das auch Ihr persönlicher Favorit?

Hat er den Film inzwischen gesehen? Ich habe ihm eine DVD geschickt, aber nie wieder etwas von ihm gehört.

Eine letzte Frage noch, weil dieser Tage Ihr 90. Geburtstag ansteht: Ist Ihr Alter etwas, das Sie beschäftigt? Natürlich beschäftigt es mich. Wie sollte es nicht, wenn man mit einem Ko-Regisseur arbeitet, der schneller läuft als man selbst und auch sonst körperlich noch alles machen kann, was bei mir leider nicht mehr so gut geht. Aber wissen Sie: Angst gemacht hat mir das Alter nie. Im Gegenteil liebe ich es, einen ganzen Rucksack an Erinnerungen und an Begegnungen mit mir herumzutragen. Es ist spannend, so viel geliebt und gelebt zu haben wie ich. Und was die Arbeit angeht: Solange ich noch die Kraft habe, mache ich einfach weiter. Ob mit einem Film oder mit etwas anderem. D Das Gespräch führte Patrick Heidmann

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AB 5. JULI 2018 IM KINO

Augenblicke: Gesichter einer Reise Demokratische Kunst

Die mittlerweile 90-jährige Avantgardefilmerin Agnès Varda hat gemeinsam mit dem Street-Art-Künstler JR einen Roadtrip durch die französische Provinz unternommen und riesige Fotocollagen an Häuserwänden angebracht. Mal zeigen die Bilder Bergarbeiter, die einst die kleinen Ziegelhäuser bewohnt haben, mal einen Bauern, der heute eine Fläche als Einzelunternehmer bearbeitet, die früher Dutzende beackert hätten, und einmal drei Frauen der Dockarbeiter von Marseille, die das Duo wie gigantische griechische Göttinnen über 91 Cargokisten plakatiert. Immer kommen JR und Varda bei ihren Aktionen dabei mit den Bewohnern*innen ins Gespräch.

CPH:DOX 2018

IDFA 2017

VISIONS DU RÉEL 2018

FULL FRAME 2018

Originaltitel: Visages, Villages D Frankreich 2017 D 90 min D R: Agnès Varda; J. R. D V: Weltkino

Start am 31.5.2018 ¢ b-ware!ladenkino, Brotfabrik Kino*, Eva-Lichtspiele, fsk-Kino am Oranienplatz, Sputnik Kino*, Union Filmtheater*, Wolf * ab Anfang/Mitte Juni

90 year old avant garde filmmaker Agnès Varda went on a road trip across the French province with street art artist JR and made art events in cooperation with the residents.

2018

DOKFEST

MÜNCHEN 2018

DOCS AGAINST GRAVITY 2018

UNMÖGLICHE ANSTIEGE, RASANTE ABFAHRTEN

DIE LETZTEN RENNEN DES DAVID MILLAR EIN DOKUMENTARFILM VON FINLAY PRETSELL

Die Eindrücke der Reise, Persönliches und Politisches, Gespräche und Begegnungen hat Varda zu einem verschmitzten und politischen Dokuwww.mindjazz-pictures.de mentarfilm kompiliert, der munter die Themen wechselt und doch eine www.TimeTrialFilm.de TimeTrialFilm Idee verfolgt. Eine Szenefolge sieht zum Beispiel so aus: Agnès Varda war beim Augenarzt, ihr werden Spritzen in den Augapfel gegeben. Sie erzählt, dass sie sich während der Prozedur immer die Szene aus EIN ANDALUSISCHER HUND vorstellt, in der das Auge mit der Rasierklinge Time Trial - Anzeigen.indd 1 zerteilt wird. Dagegen sei das doch harmlos. Dann stellen Varda und JR nach, was Varda beim Sehtest sieht: Auf einer großen Freitreppe stehen in mehreren Reihen Menschen und halten Buchstaben hoch, große oben auf der Treppe und ganz kleine unten auf der Treppe. Sie müssten sich noch bewegen sagt Varda, und JR bittet die Leute, sich zu bewegen, und das lebende Tableau beginnt zu wackeln. „Ich sehe dich verschwommen, aber ich sehe dich“ sagt Varda – und damit einen der Kernsätze des Films. So assoziativ verspielt funktioniert der ganze Film. Scheinbar zufällige Einfälle und Begegnungen reihen sich aneinander, Kunst kommt immer drin vor, alles ist immer wahnsinnig freundlich – und doch geht es um ein großes Projekt: Ums Sehen und ums Sichtbarmachen. Dabei ist es egal, ob die Wahrnehmung möglicherweise unscharf ist. Es ist sogar egal, ob man JRs Graffiti-artige Collagen für Kunst hält. Was sie machen, ist, unübersehbar und mit viel Spaß neu zu definieren, was gesehen wird, was denkmalwürdig, gesprächswürdig, nachrichtenwürdig ist. Das kann ein verlassenes Dorf sein, eine Fabrikbelegschaft oder auch mal eine glückliche Ziege. D Hendrike Bake

DOCEDGE

15.05.18 16:24


INDIEKRITIKEN Italien/Belgien 2017 D 93 min D R: Susanna Nicchiarelli D B: Susanna Nicchiarelli D K: Crystel Fournier D S: Stefano Cravero D D: Trine Dyrholm, Calvin Demba, Karina Fernandez, Sandor Funtek D V: Film Kino Text

Nico, 1988

Back for Good

Erlesene Melancholie

Provinz statt Dschungelcamp

Nico aka Christa Päffken, geboren 1938, war Supermodel, zählte zu Andy Warhols „Superstars“ und war Velvet Underground-Sängerin. Später hat sie ein Album mit Coverversionen von erlesener Melancholie aufgenommen („Chelsea Girl“, 1968), das, spätestens seit Gwyneth Paltrow in THE ROYAL TENENBAUMS im Nico-Make-Up und mit Nico-Frisur in der Badewanne rauchte, während Nicos Version von Jackson Brownes „These Days“ lief, auch im Bewusstsein des 21. Jahrhunderts angekommen ist. Nach „Chelsea Girl“ machte Nico mehrere apokalyptisch-düstere Alben, die bei Fans Kultstatus genießen, sich aber wohl nie für Jeanswerbung oder Wes Anderson-Filme eignen werden. Susanna Nicchiarellis Film NICO, 1988 trägt das Todesdatum der Sängerin im Titel, aber Nicchiarelli interessiert sich weniger für dessen Umstände, als für Nicos Persönlichkeit und die biografischen Ursprünge ihrer Songs. Nicos Heroin-Sucht spielt dabei eine Nebenrolle. Der Film, beginnt mit der kleinen Christa, die von weitem den Feuerschein eines Bombenangriffs auf Berlin betrachtet. In der nächsten Szene besichtigt Nico (Trine Dyrholm) ein schäbiges Haus in Manchester, bittet darum, im Badezimmer allein gelassen zu werden. Statt sich sofort einen Schuss zu setzen, kramt sie ein Tonbandgerät aus der Tasche und nimmt das Geräusch des Wasserboilers auf. Dann setzt sie sich einen Schuss. Nico ist hier in erster Linie Experimentalmusikerin, dann süchtig. Ihre ständigen Tonbandaufnahmen erklärt sie später damit, dass sie nach etwas sucht, was sie in der Bombennacht gespürt hat, nicht direkt nach dem Geräusch, aber nach einer Gefühlsqualität, die der Wind transportierte. Trine Dyrholm singt Nicos Songs selbst und trifft deren Phrasierung und Tonlage gut. Der Film zollt Nico als Künstlerin den verdienten Respekt und schafft, vor allem in Szenen auf einer Osteuropa-Tournee Mitte der 80er Jahre, eine dichte, manchmal hypnotische Atmosphäre. D Hannes Stein Start am 18.7.2018 ¢ Spielorte und Termine der Juli-Filme findet ihr unter www.indiekino.de

Deutschland 2017 D 91 min D R: Mia Spengler D B: Stefanie Schmitz, Mia Spengler D K: Falko Lachmund D S: Linda Bosch, Gregory Schuchmann D M: Marc Fragstein D D: Kim Riedle, Leonie Wesselow, Nickie von Tempelhoff, Juliane Köhler D V: NFP

NICO, 1988 has the date of death of the singer in its title, but it is less interested in that event and more interested in Nico’s personality and the biographical origins of her songs.

Solche Protagonisten sind selten: Mia Spenglers Langfilmdebüt lebt und kämpft mit Angie. Wasserstoffblond, solariumgebräunt und fitnessstudiogestählt stöckelt sie durchs Leben, größte Ambition: Teilnahme am nächsten TV-Dschungelcamp, größtes Problem: Drogenentzug hinter sich und kein Geld. Sie muss zurückziehen zu ihrer Mutter in die Provinz, nur vorübergehend natürlich, bis der Fernsehruhm sich einstellt. Die Begeisterung bei beiden Frauen ist gering, nur Angies pubertierende Schwester Kiki freut sich. Die Entscheidung, aus Angies Perspektive zu erzählen ist originell. Meist ist man schnell dabei, solche Figuren abzutun: C-Promi, Luder, billig – abwertende Attribute für Frauen wie Angie gibt es viele. Mia Spengler interessiert die Motivation, die Angie antreibt, und der Blick hinter die Fassade gelingt: Angies Weltsicht zwischen kaputtem Selbstwertgefühl, dem Drang der Provinzenge zu entfliehen und einer fast „unkaputtbaren“ Stehauf-Mentalität kommt einem nach einer Weile gar nicht mehr so verquer vor. Mia Spengler schildert eine schwierige Mutter-Tochter-Beziehung zwischen Liebe und Verachtung, die unter Druck umgestaltet werden muss. Als die Mutter nicht mehr funktioniert, wird Angie gezwungen, neue Seiten an sich zu entdecken: Nie ist sie lebenstüchtiger als in der Fürsorge für die kleine Schwester. Die Konfrontation von Möchtegern-Starruhm mit der Provinzrealität ist oft tragikomisch. Aber Spengler interessiert sich für ihre Figuren und betrachtet sie mit Wärme. Dabei helfen ihr die großartigen Schauspielerinnen: Kim Riedle als Angie und Juliane Köhler als beeindruckend biestige Mutter Monika. Der Debütfilm schafft es nicht ganz, über 90 Minuten die Spannung zu halten, zeitweise stagniert er etwas. Doch das Ende überrascht mit neuen Perspektiven. D Susanne Stern

Start am 31.5.2018 ¢ Union Filmtheater*

* ab Juni

D 20

D JUNI/JULI 2018

Angie – peroxide blonde, tanning salon brown, fitness studio hard – dreams of participating in TV’s Jungle Camp but has to return to her mother in the province due to a lack of funds. It’s temporary of course, just until she becomes TV famous.

Termine unter www.indiekino.de


INDIEKRITIKEN Deutschland 2018 D 83 min D R: Ann Carolin Renninger, René Frölke D K: René Frölke, Ann Carolin Renninger D S: René Frölke D V: Wolf Kino

Aus einem Jahr der Nichtereignisse

USA 2018 D 110 min D R: Greg Berlanti D B: Becky Albertalli, Isaac Aptaker, Elizabeth Berger D D: Nick Robinson, Jennifer Garner, Katherine Langford, Josh Duhamel, Logan Miller D V: 20th Century Fox

Love, Simon Verliebt in Unbekannt

Bilder, Momente, Blicke

Materialität des Lebens: Das Fell der Katze, ganz groß, und das Rauschen der Blätter im Wind und das Spiel, das der Schatten an die Mauer wirft. Die Mühe des Gehens am Rollator, über den Hof, durch das Gestrüpp, aber auch die Konstanz der Bewegung, das Weitergehen, das Nicht-Aufhaltenlassen. Was sich so ansammelt in einem Haus, in einem Leben, und drumherum. Die Erzählungen, wie hoch die Schwalben fliegen und Erinnerungen an Italien, den Krieg, und wieder zurück in den Tag. Eine Geburtstagstorte zum 90. und Gespräche, die dabei ganz ohne Pathos auf den Tod kommen. Das Ticken des Sekundenzeigers auf mehr als einer Uhr. Materialität des Kinos: Das Korn des Bildes, das Rattern der Kamera, manchmal im Hintergrund, das Flirren der Farben, und das Zittern der Bilder, die Länge der Momente, die von der Länge der Rollen abhängt, auf die man sie bannen kann. Und die Schwärze des Bildes, wenn das Bildermachen gerade nicht ging. Man könnte so vieles schön nennen an diesem Film, den Ann Carolin Renninger und René Frölke über den alten Bauer Willi gedreht haben, auf 8 und 16mm, über ein Jahr verteilt, in dem äußerlich wenig passiert: Seine Bilder und Momente, seine Blicke und das Verhältnis zu einem Menschen, die sie stiften. Alles eigentlich, all das Flüchtige, das ein unberechenbares Licht in den Tag zeichnet, und auch noch die eingefügten Brüche, die verhindern, dass etwas zur Idylle einfriert. Schönheit ist aber nicht, worauf er aus ist. Sie ist viel eher etwas, das sich bei dem Versuch einstellt, auf den Spuren einer ganz spezifischen Idee von Kino den Spuren eines Lebens zu folgen, eines Lebens das klein sein mag im Maßstab der Welt, aber groß auf der Leinwand. Bruchstücke und Nichtereignisse, die sich im Kino zu einem Mosaik fügen, das ein Ereignis ist. D Sebastian Markt

Start am 14.6.2018 ¢ City Kino Wedding, Krokodil, Wolf ¢ 13.6. um 19 Uhr, Wolf: Premiere mit Ann Carolin Renninger und René Frölke ¢ 14.6. um 19 Uhr, City Kino Wedding: Filmgespräch mit Ann Carolin Renninger und René Frölke ¢ 22.6. um 19.30 Uhr, Krokodil: Filmgespräch mit Ann Carolin Renninger und René Frölke

Ann Carolin Renninger and René Frölke have made a film about old farmer Willi on 8 and 16mm spread out over a year in which not much happens.

Wenige Genres sind derart fester Bestandteil amerikanischer Filmkultur wie die High School-Komödie – und wenige auch derart beständig. Spätestens seit den achtziger Jahren hat jede Generation ihre ganz eigenen stilprägenden Vertreter, von THE BREAKFAST CLUB über CLUELESS bis MEAN GIRLS. Mit LOVE, SIMON kommt nun der neuste Beitrag in die deutschen Kinos, der dem Genre abermals ein zeitgemäßes Update verpasst. Simon (Nick Robinson) ist ein ganz normal durchschnittlicher US-Teenager: Zu Hause im Vorort von Atlanta gibt es mit Mutter (Jennifer Garner), Vater (Timothy Olyphant) und der kleinen Schwester keine größeren Probleme, eine enge beste Freundin und eine nette Clique hat er auch, und auch in Schule läuft soweit alles gut. Nur dass er schwul ist, hat der 16-Jährige noch niemandem erzählt. Als einer seiner Mitschüler anonym und online von seiner eigenen Homosexualität berichtet, nimmt Simon per E-Mail Kontakt zu ihm auf – und setzt alles daran herauszufinden, wer der junge Mann ist, in der er sich unbekannterweise zusehends zu verlieben beginnt. Dass Regisseur Greg Berlanti die Romanvorlage NUR DREI WORTE von Becky Albertalli nach gängigen Teenie-Konventionen umgesetzt hat, ist unbestritten. Genau darin allerdings liegt die Stärke von LOVE, SIMON. Denn tatsächlich hat es im Mainstream-Kino eine solche Geschichte – größtenteils erwartbar, sympathisch, unterhaltsam – bis zum Jahre 2018 noch nie mit einem schwulen Protagonisten gegeben. Dass der Film dabei weder problematisiert noch allzu tief schürft, ist gerade der springende Punkt, schließlich spricht der Film genau die Kids an, die hier auch im Zentrum stehen. Aber auch alle anderen dürfen sich von LOVE, SIMON charmant das Herz wärmen lassen – und bedauern, dass es eine solche Geschichte nicht auch schon ihn ihrer Jugend gab. D Patrick Heidmann

Start am 28.6.2018 ¢ b-ware!ladenkino, Xenon Kino

Simon is a normal average US teen. The 16 year old hasn’t told anyone he’s gay though. When a fellow student talks about his own homosexuality online, Simon establishes contact with the anonymous person.

JUNI/JULI 2018 D

21 D


INDIEKRITIKEN Dänemark/Frankreich/Schweden/Afghanistan 2016 D 86 min D R: Shahrbanoo Sadat D B: Shahrbanoo Sadat D K: Virginie Surdej D S: Alexandra Strauss D D: Sediqa Rasuli, Qodratolla Qadiri D V: Kairos Filmverleih

Wolf and Sheep Mythen und Alltag

Deutschland 2017 D 101 min D R: Julia Langhof D B: Julia Langhof, Thomas Gerhold D K: Michal Grabowski D S: Halina Daugird, Thomas Krause D M: Torsten Reibold D D: Jonas Dassler, Lucie Hollmann, Eva Nürnberg, Marie-Lou Sellem, Peter Jordan D V: Farbfilm Verleih

LOMO – The Language of Many Others Ständig pingt das Handy

Ein paar Steinhütten, die mit ihren sandigen Fassaden völlig mit der kargen Landschaft verschmelzen, davor die Öfen, an denen die Frauen das Essen zubereiten. Aus dem Dung von Schafen formen sie Fladen, die zum Feuern genutzt werden. Derweil sind die Männer mit Schlachten beschäftigt und damit, Recht und Ordnung zu verhandeln. Sharbanoo Sadat zeigt in langen, ruhigen Sequenzen das Leben in einem Dorf in Afghanistan, gelegen in einem kargen Tal. Qodrats Vater ist gestorben und die Beerdigung ist in vollem Gange. Der 11-jährige Halbwaise ist einer der Jungen, die jeden Morgen mit Steinschleudern bewaffnet losziehen, um die Wölfe zu vertreiben, während die Hirtenmädchen die Schafe hüten. Auch diese beiden Welten sind streng voneinander getrennt, und eigentlich wechselt man keine Worte oder Blicke. Während die Jungs sich Wettkämpfe mit ihren Schleudern liefern und von ihren angeblichen Eroberungen prahlen, erzählen sich die Mädchen den neuesten Dorftratsch. Nur Sediqa treibt ihre Schafe alleine die Berge hinauf. Man erzählt sich, ihre Großmutter sei von einer weißen Schlange verhext worden, deshalb wird sie gemieden. Kunstvoll verflicht Sadat die männliche und die weibliche Seite des Dorflebens, dokumentarisch anmutende Beobachtungen des Alltags und märchenhafte Anekdoten. Besonders der Mythos vom Kaschmirwolf scheint das Schicksal der Menschen zu bestimmen. Des Nachts legt er seine Haut ab und streift als grün leuchtende Fee durch die malerische Landschaft. Die Geschichte von der Außenseiterin Sediqa beruht auf der persönlichen Lebensgeschichte der Regisseurin, die als afghanisches Flüchtlingskind in Teheran aufwuchs und mit 11 Jahren mit den Eltern in ein afghanisches Dorf zurückkehren musste. Wohl auch deshalb lässt sie eine fast zärtliche Freundschaft zwischen Qodrat und Sediqa aufkeimen, die eine tiefe Sehnsucht nach Verbindung spiegelt. D Susanne Kim

Start am 7.6.2018 ¢ Acud Kino, Wolf

D 22

D JUNI/JULI 2018

The film is set in an Afghani village where the worlds of the girls and the boys are separated from each other and little Sediqa has to tend to the sheeps on her own because people say she’s been cursed.

LOMO, so heißt Karls Blog, der Titel steht für „The Language of Many Others“ und Karl postet dort zum Beispiel Fotos von Menschen auf der ganzen Welt, die gerade dasselbe machen. Oder einen Link zu einem Video, das das gleiche Fleckchen Erde von immer weiter weg zeigt: Erst sieht man einen 1x1 Meter großen Ausschnitt, dann wächst der Ausschnitt auf 10x10, dann auf 100 x100 und so weiter, bis man die ganze Erde vom All aus sieht. Schließlich ist sie nur noch als kleiner Punkt zu erkennen, dann gar nicht mehr. Klassisches Teenager-Lebensgefühl zwischen Größenwahn und Unsichtbarkeit also. Im Netz hat Karl eine Reihe begeisterter Follower, offline hat er Stress mit dem Vater, vor allem, nachdem er ein Video eines genervten Familienabendessens postet, und eine neue megacoole Freundin, Doro. Mit Stilsicherheit, Nähe zu den Figuren und guten Dialogen erzählt LOMO eine Coming-of-Age-Geschichte, bei der die reale und die virtuelle Welt fließend ineinander übergehen. Karl ist immer online, ständig pingt das Handy, seine zweitbesten Freunde kennt er nur aus dem Netz. Und als Doro nach einer kurzen Affäre wieder Schluss macht, lässt Karl seine Wut im Netz aus: Er postet ein Hass-und-Sex-Video, das schnell die Runde macht und seine „Freunde“ zu zweifelhaften Aktionen inspiriert, über die Karl keine Kontrolle mehr hat. Die Online-Welt vergrößert das ganz normale Teenager-Drama – erste Liebe, Zukunftspläne, Stress mit den Eltern, Mittelschichtsmisere – ins quasi Unendliche. Ein bisschen erinnert das an den „Gamergate“-Skandal im Jahr 2014, bei dem der Blogpost eines enttäuschten Ex-Freundes zu einer weltweiten Eruption von Hasspostings und Verschwörungstheorien führte, aber bei Karl bleibt es am Ende zum Glück bei einem Sturm im Zehlendorfer Wasserglas. D Toni Ohms

Start am 12.7.2018 ¢ Spielorte und Termine der Juli-Filme findet ihr unter www.indiekino.de

LOMO tells a coming-of-age story in which the real and virtual world fluidly merge in a stylistically assured way that gets close to its characters and has good dialogue.

Termine unter www.indiekino.de


INDIEKRITIKEN USA 2017 D 98 min D R: Lisa Immordino Vreeland D B: Lisa Immordino Vreeland D K: Shane Sigler D S: Bernadine Colish D M: Phil France D V: StudioCanal

Love, Cecil

Originaltitel: Halal Daddy D Irland/Frankreich 2017 D 95 min D R: Conor McDermottroe D B: Conor McDermottroe, Mark O’Halloran D K: Mel Griffith D S: Alexander Dittner, Constantin von Seld D M: Matthias Weber D D: Nikesh Patel, Sarah Bolger, Colm Meaney, David Kross, Art Malik, Deirdre O’Kane, Mark O’Halloran D V: Koch Media

Halaleluja – Iren sind menschlich

Großmeister des Glamours

Ungeheuer freundlich Cecil Beatons Schwester Nancy schaukelt in einem Traum aus Zellophan-Folie in das Paradies der Kunststoff-Feen, 1929. Queen Elizabeth, vor einem hellblauen Hintergrund, in einem langen schwarzen Marinemantel mit goldenen Knöpfen, fast wehmütig nach links aus dem Bild blickend, statuarisch und sanftmütig, zugleich modern und deutlich auf Elizabeths militärische Vergangenheit verweisend: ein Bild der Herrschaft von Cecil Beaton, 1968. Seine Männer erst, die Glamourporträts von Gary Cooper, Marlon Brando oder Mick Jagger, die vor Erotik aus dem Rahmen zu springen scheinen. Lisa Immordino Vreelands Film LOVE, CECIL erzählt zwar eine biografische Geschichte, aber vor allem ist der Film ein Bilderrausch, dargeboten vom grandiosesten Glamourfotografen aller Zeiten. Auf die Idee eines Menschen käme es bei einem Porträt an, sagt Beaton, und meint damit sehr deutlich seine persönliche Idee, die immer darauf abzielt, den größtmöglichen theatralischen Effekt zu erzielen. Man kann das Schönheit nennen, wie es in diesem Film immer wieder geschieht, wohl auch um die Schwierigkeit zu umgehen, die verschiedenen Stile und Widersprüche in Beatons Werk aufzeigen zu müssen. Der Film ist eine Feier der Bilder und des Individualismus von Beaton. Es ist ein pures Vergnügen, zu beobachten, wie Beatons lustvoller, queerer Ästhetizismus Epochen verwirbelt, wie er Dandytum, deutschen Expressionismus und Art Nouveau in den frühen Bildern mit modernen Materialien verbindet und schließlich bei den mit kühler Erotik vibrierenden In-Crowd-Porträts aus den sechziger Jahren ankommt. Wow-Effekte stapeln sich im Sekundentakt. Genauer betrachtet wird nichts, hier geht es allein um eine Hommage an einen Meister des Stils, der in einer Zeit, als Homosexualität in Großbritannien noch gesetzlich verboten war, fast 40 Jahre lang wichtigster Fotograf der königlichen Familie war. D Tom Dorow

Start am 12.7.2018 ¢ Spielorte und Termine der Juli-Filme findet ihr unter www.indiekino.de

Termine unter www.indiekino.de

Lisa Immordino Vreeland’s lively doc about famous British glamour photographer Cecil Beaton is above all a celebration of his images and rightly so.

Zu Beginn von HALALELUJA (Englischer Titel: HALAL DADDY) gibt es eine Diskussion zwischen Surfer-Freunden. Jasper, den alle „den deutschen König“ nennen, sagt zu Raghdan, der gerade erst nach Sligo an der Nordküste Irlands gezogen ist: „Wir Ausländer müssen zusammenhalten.“ Raghdan beschwert sich, er komme aus Bradford, nicht aus Indien, und sein Schwarzer Rasta-Kumpel Neville weist darauf hin, dass er von Rechts wegen der einzige Einheimische in der Runde, weil gebürtiger Sligoer, ist. Raghdan fühlt sich wohl in dem kleinen Ort. Er wohnt bei seinem Onkel Jamal (Indisch und Muslim) und seiner Tante Doreen (Irisch und gerne mal Domina), geht gelegentlich in die Moschee, hängt mit den Kifferjungs ab, und ist in Maeve, die Tochter des Schlachthofmanagers verliebt, mit der er gemeinsam von einer Weltreise träumt. Wo das alles hinführen soll, weiß er auch nicht. Dafür weiß das sein Vater Amir, der zu Raghdans 21stem Geburtstag anreist, den bankrotten Schlachthof aufkauft und eine Halal-Schlachterei daraus machen will – mit seinem Sohn als General Manager. Das Problem ist dabei weniger das „halal“ – nach einer Gewöhnungsphase kommen Arbeiter und Management ganz gut miteinander aus – sondern die Art, wie Amir Raghdans Leben durchplant, und wie Ragdhan es geschehen lässt. Das andere Problem ist, dass Raghdan vermutet, Maeve könnte noch Gefühle für ihren Ex Jasper hegen. HALALELUJA kommt als ziemlich unambitioniert gefilmte und recht lose gestrickte aber ungeheuer freundliche Culture-Clash-Komödie daher, aber eigentlich passt das Label gar nicht so recht. Die Konflikte des Films verlaufen nicht entlang kultureller Grenzziehungen – das sind eher Nebenschauplätze – sondern verhandeln Vater-Sohn und Boyfriend-Girlfriend-Probleme. Für die junge Generation zumindest ist Multikulti überhaupt kein Thema mehr. D Hendrike Bake

Start am 21.6.2018 ¢ Eva-Lichtspiele

Raghdan has fled Bradford and his domineering father for the relaxed Irish coastal town of Sligo. But when he turns 21 his father shows up, buys the local slaughterhouse, turns it into a halal business and tries to install Ragdhan as manager.

JUNI/JULI 2018 D

23 D


INDIEFEATURE

Wer in der Region entlang der Kolyma-Fernstraße, die sich im Nordosten Russlands 2000 Kilometer durch die karge Landschaft zieht, durch Schnee und Eis gräbt, fördert bald etwas zu Tage. Zum einen finden sich Bodenschätze wie Gold, Platin und Uran, die seit Jahrzehnten im Tage- und Untertagebau geschürft werden. Zum anderen war die Region bis 1987 das Zentrum des sowjetisch/russischen Straflagersystems. Von den fünf Millionen, die hier für den Bergbau oder für die Errichtung der Fernstraße eingesetzt wurden, verließ der Großteil die Region nie wieder, sondern wurde in riesigen Massengräbern verscharrt. Aus diesem Grund ist die Kolyma-Fernstraße auch als „Straße der Knochen“ bekannt. Autorenfilmer Stanislaw Mucha, dessen Großvater im Gulag einsaß, bereist in seinem Film die komplette Länge der Fernstraße. Auf dem Weg interviewt er junge Imbissbetreiber, die das Wort „Gulag“ mit „Gulasch“ verwechseln, aber auch ehemalige Insassen, die zum Teil sehr offen über die Morde reden, wegen derer sie verurteilt wurden. Manchmal war der Grund der Haft aber auch einfach eine unüberlegte Äußerung über den Diktator. Es liegt eine Aura des Leids über der Region, die sich auch heute noch auf die Bewohner auswirkt, sagt einer von ihnen. Die ansässigen Schüler amüsieren sich jedenfalls noch mit patriotischen Schulaufführungen, machen aber auch sehr klar, dass sie ihre Zukunft nach dem Abitur woanders sehen. Und einige, die geblieben sind, werden einfach etwas wunderlich und gehen Experimenten nach, in denen sie angeblich die Alterung mit Starkstrom umkehren können. So bedrückend die Vergangenheit der Region, die man in Moskau wahrscheinlich fast vergessen hat, auch ist, so sehr hinterlässt KOLYMA den Eindruck, dass der üblen Erinnerung ein starker und enorm kreativer Lebenswille entgegengesetzt wird, der nicht so einfach totzukriegen ist. D Christian Klose

Kolyma – StraSSe der Gulag oder Gulasch? Originaltitel: Kolyma D Deutschland 2017 D 85 min D R: Stanislaw Mucha D B: Stanislaw Mucha D K: Enno Endlicher D S: Emil Rosenberger, Stanislaw Mucha D M: Eike Hosenfeld, Moritz Denis, Tim Stanzel D V: W-Film

Start am 21.6.2018 ¢ Acud Kino, b-ware!ladenkino, fsk-Kino am Oranienplatz, Krokodil, Sputnik Kino ¢ 9.6. um 20 Uhr, Krokodil: Preview mit Stanislaw Mucha

D 24

D JUNI/JULI 2018

“You must have nothing to lose to want to live here today.“ Filmmaker Stanislav Mucha goes on a road trip across northern Siberia.


INDIEFEATURE

Knochen

JUNI/JULI 2018 D

25 D


INDIEKRITIKEN Originaltitel: Pope Francis – A Man of his Word D USA 2018 D 96 min D R: Wim Wenders D B: Wim Wenders D K: Lisa Rinzler D S: Maxine Goedicke D M: Laurent Petitgand D V: Universal Pictures International

Papst Franziskus – Ein Mann seines Wortes Wenders im Auftrag des Vatikan

Wim Wenders und der Papst? Das ist auf den ersten Blick eine ungewöhnliche Kombination, die auf den zweiten jedoch fast logisch erscheint. Zwar hatte Wenders sich wie so viele eher linke, liberale Künstler und Intellektuelle, die in den 60er, 70er Jahren aufwuchsen bzw. ihre ersten Schritte machten, in jüngeren Jahren vom Christentum entfernt, das die westdeutsche Gesellschaft prägte, um nicht zu sagen einschränkte. Doch ebenso wie bei vielen Menschen, die irgendwann beginnen, intensiver über das Leben, das Sein und den Tod nachzudenken, ließen sich auch in Wenders Filmen zunehmend christliche Motive feststellen, vor allem natürlich die Engel und ihre Sinnsuche in HIMMEL ÜBER BERLIN und IN WEITER FERNE, SO NAH!. Als daher der Leiter der Medienabteilung des Vatikans bei Wenders anfragte, ob dieser eine Dokumentation über Papst Franziskus drehen wollte, musste Wenders wohl nicht lange überlegen. Man sollte diesen Auftraggeber beim Betrachten von PAPST FRANZISKUS – EIN MANN SEINES WORTES stets im Hinterkopf behalten, nie vergessen, dass es sich hier nicht um einen unabhängigen Dokumentarfilm über den Papst, den Vatikan und die Kirche handelt, sondern um eine Auftragsarbeit. Vier Mal traf Wenders den Papst, vier Mal interviewte er den Heiligen Vater, bzw. lässt ihn unkommentiert erzählen: Von seinen Jahren in Argentinien, seiner Berufung in das höchste Amt der Christenheit, von seiner ungewöhnlichen Wahl des Namen Franziskus. Der Bezug zu Franz von Assisi, der Bescheidenheit und Demut predigte und vor allem auch lebte, scheint Wenders dann auch besonders interessiert zu haben, durch diese historische Figur soll der aktuelle Papst gelesen und verstanden werden. Vielleicht auch in der Hoffnung, dass es diesem Papst gelingt, das System Kirche und Vatikan in seinem Sinne zu verändern. D Michael Meyns

Start am 14.6.2018 ¢ b-ware!ladenkino, Bundesplatz Kino, Eva-Lichtspiele*, Union Filmtheater*

* ab Ende Juni

D 26

D JUNI/JULI 2018

Wim Wenders filmed a documentary about the current pope on behalf of the Vatican. He searches for references to his namesake Francis of Assisi who preached about modesty and humbleness and also lived that way.

Spanien/Frankreich/Griechenland/Indien/Russland/Großbritannien/USA 2017 D 85 min D R: Georgia Wyss, Wari OM D K: Daniel Arvizu, Jordi Azategui, Ismael Joyera, Wari OM D S: Daniel Arvizu, Georgia Wyss D V: Alpenrepublik

Mantra – Sounds into Silence Chanting-Doku

Tagtäglich sind wir einer Flut von Sinneseindrücken ausgesetzt. Die pausenlose Kommunikation überlastet den Geist, Momente der Ruhe werden immer seltener. Zudem treibt die effizienzorienierte Gesellschaft der modernen Welt immer mehr Menschen in die Einsamkeit. Diese Situation lässt viele nach Konzentration, Gemeinschaft und Verbindung streben. Dabei entdecken immer mehr Menschen die Gesangsmeditation. Eine Form ist der sogenannte „Kirtan“, bei dem in der Gemeinschaft Mantras gesungen werden. Das „Chanting“ der traditionellen Klangformel diente in Indien der Untermalung von Yogastunden. In unserer Gegenwart erhält es eine breitenwirksame Bedeutung. Chanting ist im Mainstream angekommen. Das zeigen etwa Grammy-Nominierungen für Stars der Szene wie Deva Premal & Miten, Krishna Das, Jai Uttal und Dave Stringer. Der Dokumentarfilm MANTRA – SOUNDS INTO SILENCE porträtiert Künstlerinnen und Künstler und lässt Menschen an verschiedenen Orten der Welt zu Wort kommen, die diese Form der Meditation für sich entdeckt haben. Auf Konzerten, Festivals, in Alltagssituationen und an ungewöhnlichen Orten wie dem San Quentin Prison bei San Francisco, zeigt der Film von Georgia Wyss, wie sich beim Chanten Grenzen auflösen und Menschen zur Ruhe finden. Ihre Herangehensweise ist euphorisch und unkritisch – immer wieder findet man die gleichen Botschaften mantraartig wiederholt. Es ist schwer, die Faszination für dieses Gemeinschaftserlebnis in Film zu fassen. In einigen Momenten entsteht jedoch ein Zauber, der eine Ahnung des Erlebens vermittelt. In jedem Fall funktioniert MANTRA – SOUNDS INTO SILENCE als Anregung, sich eingehender mit dem Thema auseinanderzusetzen. Man entdeckt spannende Künstler*innen – auch aus Berlin – und geht tatsächlich ein wenig beseelter aus dem Kinosaal ins Licht des Alltags. D Lars Tunçay

Start am 7.6.2018 ¢ b-ware!ladenkino, Sputnik Kino

More and more people are discovering “chanting” or singing meditation. Goergia Wyss visited the followers and artists and filmed a euphoric and uncritical documentary about the movement.

Termine unter www.indiekino.de


INDIEKRITIKEN Originaltitel: Estiu 1993 D Spanien 2017 D 97 min D R: Carla Simón D B: Carla Simón D K: Santiago Racaj D S: Aina Calleja, Ana Pfaff D D: Laia Artigas, Paula Blanco, Etna Campillo, Bruna Cusí D V: Grandfilm

Fridas Sommer Kindheit, Sonne und Trauer

Nach dem Tod ihrer Mutter nehmen sich Fridas Onkel (David Verdaguer) und dessen Frau Marga (Bruna Cusí) der sechsjährigen Vollwaise (Laia Artigas) an. Die beiden sind jung und liebevoll, ihre kleine Tochter Anna (Paula Robles) ist von Anfang an beeindruckt von ihrer neuen großen „Schwester“ und weicht ihr nicht mehr von der Seite. So zieht der Sommer dahin, der Hof der Familie steht in voller Blüte und die beiden Mädchen spielen im Garten. Doch natürlich geht die neue Situation nicht spurlos an Frida vorbei. Genau so wenig, wie die ständigen medizinischen Tests und die Angst, ihre Mutter hätte sie angesteckt haben können. Mit einer Krankheit, die Anfang der 90er Jahre noch besonders mysteriös und stigmatisiert war und auch im Dorf zu Unsicherheit führt. FRIDAS SOMMER von Carla Simón feierte seine Premiere bei der Berlinale zwar in der Kinderfilmsektion Generation Kplus, gewann aber nicht nur dort den Großen Preis der Jury sondern auch festivalübergreifend den Preis für den besten Erstlingsfilm. Und das zu Recht. Denn die Geschichte, die auf den eigenen Kindheitserinnerungen der katalanischen Regisseurin basiert, ist von Simón weit abseits aller rührseligen Klischees mit beeindruckender Subtilität und Einfühlsamkeit inszeniert. Besonders das Spiel der jungen Mädchen zeugt von Simóns inszenatorischer Begabung. Es ist eine Offenbarung, den beiden zuzuschauen, die so natürlich spielen, dass man sich eigentlich in einem Dokumentarfilm wähnen könnte, wären da nicht die satten Farben und sonnendurchfluteten Bilder des Sommers. Laia Artigas spielt die komplexe Figur der Frida ohne viele Worte, ihre Trauer, Verunsicherung und der Wunsch nach Liebe und Anerkennung sind dabei immer spürbar und berühren immens – Erwachsene sicherlich noch um einiges mehr als Kinder. D Katharina Franck

Start am 26.7.2018 ¢ Spielorte und Termine der Juli-Filme findet ihr unter www.indiekino.de

It’s summer in Barcelona and 6 year old Frida is sad. She has to move to her relatives in the countryside after her mother’s death.

USA 2018 D 95 min D R: Jason Reitman D B: Diablo Cody D K: Eric Steelberg D S: Stefan Grube D M: Rob Simonsen D D: Charlize Theron, Mackenzie Davis, Mark Duplass, Ron Livingston D V: DCM

Tully

Genervt mit Verve

Nach ihrem mit Preisen überhäuften JUNO und YOUNG ADULT ist TULLY die dritte Zusammenarbeit von Drehbuchautorin Diablo Cody und Regisseur Jason Reitmann. TULLY tritt ein wenig als eine Fortsetzung auf: In allen drei Filmen geht es um ein persönliches Verhältnis von Jugend und Erwachsensein. TULLY ist eigentlich eine Komödie, die aber immer wieder Einstellungen und Musikeinsätze verwendet, die ein mögliches Umkippen in einen Horrorfilm oder in ein psychologisches Drama andeuten. Im Zentrum der Geschichte steht Marlo, Personalmanagerin im Kinderurlaub, verheiratet mit Drew, einem IT-Typen, der viel arbeitet und wenig redet. Marlo bekommt gerade ihr drittes Kind, ist aber bereits mit den ersten beiden überlastet. Marlos wohlhabender Bruder Craig spendiert ihr für die Zeit nach der Geburt eine „Nacht-Nanny“, die sich um das Baby kümmern soll, während die Eltern schlafen. Die Nacht-Nanny heißt Tully, und ist mit ihrer unbändigen Energie, ihrem bauchfreiem T-Shirt und ihren philosophischen Weisheiten ein „manic pixie dream girl“, das hier allerdings mal keinen muffeligen Jungen rettet, sondern eine nicht mehr ganz junge Mutter, die mit ihrem Körper und ihren aufgegebenen Träumen hadert. Charlize Theron spielt die genervte Marlo mit ähnlichem Verve wie sie in MAD MAX: FURY ROAD als Imperatora Furiosa Schurken erledigte. TULLY zeigt weibliche Körperbilder, wie sie sonst im Kino selten zu sehen sind: Marlo, schwitzend und erschöpft, an der Milchpumpe; Marlo und Tully auf einem Punk-Klo beim Versuch, Marlos schmerzende Brüste zu entlasten. Aus dem Kontrast zwischen der etablierten Marlo und der freidrehenden, strahlenden, stets klarkommenden Studentin Tully schlägt der Film einige Funken. Ob die Versöhnung zwischen Jugendträumen und der Realität des Erwachsenenlebens gelingt, bleibt wegen diverser in den Film eingebauter Fallgruben relativ offen. D Tom Dorow

Start am 31.5.2018 ¢ b-ware!ladenkino*, Bundesplatz Kino*, filmkunst66*, Filmrauschpalast*, Sputnik Kino*, Union Filmtheater

Marlo’s rich brother Craig gives her a “night nanny” while she’s expecting her third child, the freewheeling, beaming student who always finds a way to gets by.

* ab Juni

Termine unter www.indiekino.de

JUNI/JULI 2018 D

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INDIEKRITIKEN

Der Prinz und der Dybbuk Fährten und Schlaglichter

Ein Pressebild zum Film DER PRINZ UND DER DYBBUK führt in die Irre. Es ist schwarz-weiß und zeigt die italienische Star-Schauspielerin Sophia Loren zwischen zwei unbekannten Männern. Der rechts im Bild ist Michał Waszyński, ein polnischer Regisseur und Produzent, um dessen Identität und Vergangenheit sich der Film dreht. Mit der italienischen Fährte, die nur eine von vielen ist, beginnt der Film. In Rom, so sehen wir es in einem alten Nachrichtenbericht, wird ein angeblich adliger Hollywoodproduzent öffentlich und im Beisein der Massen zu Grabe getragen. Ein kurzer Ausschnitt aus dem Kolossalschinken DER UNTERGANG DES RÖMISCHEN REICHES von 1964 (Regie: Anthony Mann) wird eingeblendet. Dann befinden wir uns im Heute, heften uns an die Fersen eines von zahlreichen Wegbegleitern von Michał Waszyński und suchen gemeinsam zwischen Mausoleen auf einem römischen Friedhof sein Grab. Kein Pressebild zum Film DER PRINZ UND DER DYBBUK kann stellvertretend für diesen Film oder diesen Menschen stehen, das merken wir schnell, und es ist ein großer Verdienst des Regieduos Elwira Niewiera und Piotr Rosołowski, dass sie bei ihrer dokumentarischen Detektivsuche mit Fährten und Schlaglichtern arbeiten und eine Vielzahl von filmischen Formen ohne all-erklärenden Kommentar zu einem traumwandlerischen Essay zusammenfließen lassen. Ein Alptraum für jeden Fernsehredakteur ist dieser Film, der frech zwischen Zeiten und Wahrheiten springt, zwischen Schauplätzen, Sprachen und filmischem Ausgangsmaterial. Endlich mal wieder Kino, atmet hingegen das cinephile Herz auf, das andauernd auf deutschen Leinwänden Fernsehen gucken muss. Hier wird kein Mensch zu Tode erklärt von spießig vor der Kamera drappierten Zeitzeugen. Stattdessen gibt es Bilder, Hypothesen und viele offene Fragen. Aber zurück auf Los: Michał Waszyński hieß eigentlich Moshe Waks, wurde 1904 in der heutigen Ukraine geboren, machte Filme. Allein ein Dutzend davon machte er in Polen, war gefeiert, war Jude, machte einen Film mit dem Titel DER DYBBUK. Das war 1937. Die Sprache des Filmes ist Jiddisch, es geht um eine jüdische Geistergeschichte und es gibt, das deuten eingespielte Ausschnitte an, einen homoerotischen Subtext. Aber D 28

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Originaltitel: Ksiaze i dybuk D Polen/Deutschland 2017 D 82 min D R: Elwira Niewiera, Piotr Rosołowski D B: Elwira Niewiera, Piotr Rosołowski D K: Piotr Rosołowski D S: Andrzej Dąbrowski D M: Maciej Cieślak D V: Salzgeber

war Waks, Verzeihung: Waszyński, nicht mit einer alten, französischen Gräfin verheiratet, deren Vermögen er erbte? War er nun offen schwul oder war es später deshalb nicht, weil dieses Wort damals noch keinen emanzipativen Beigeschmack haben konnte? Oder, weil er zum Katholizismus konvertierte? Angeblich? Als Teil der polnischen Streitkräfte in der Sowjetunion machte Michał Waszyński bis 1945 weiter Filme. In den 1950ern produzierte er in Spanien und Italien Filme. DER UNTERGANG DES RÖMISCHEN REICHES ist wohl der Aufwendigste und Bekannteste unter ihnen. DER PRINZ UND DER DYBBUK kommt in einem spannenden Exkurs auf die Dreharbeiten zurück, erinnert sich mit Hilfe von Komparsen und Kollegen an die Bauten und die Drehorte, sucht nach Spuren. Daneben fahren wir die Côte-d’Azur entlang, sitzen im Wohnzimmer der Familie Waks in Israel oder mit alten Frauen in Kowel, in der heutigen Ukraine, auf Parkbänken und beobachten sie bei ihren Spekulationen über die Herkunft eines Mannes, der sie von einem alten Foto aus ansieht. Es muss eine erschlagende Menge an Materialien gewesen sein und eine Vielzahl an filmischen Möglichkeiten, die sich Niewiera und Rosołowski bei ihrem ungewöhnlichen Porträtfilm geboten haben. Dass die beiden der Versuchung nicht erliegen, die Fäden der Mutmaßungen auf eine einfache Biografie zu beschränken, ist ihr größter Verdienst, wenngleich man stellenweise gerne noch weiter gebohrt hätte. Dass DER PRINZ UND DER DYBBUK aber statt einer sachlichen Beweisführung eine sinnliche filmische Form in den Vordergrund stellt, bei der oft nicht ganz klar ist, wessen Bilder gerade mit wessen Stimmen zu einem schönen Rätsel zusammengesetzt werden, macht den Film so wunderbar außergewöhnlich. D Toby Ashraf Start am 7.6.2018 ¢ Bundesplatz Kino, Krokodil ¢ 7.6. um 20 Uhr, Krokodil: Filmgespräch mit Elwira Niewiera und Piotr Rosołowski

A kaleidoscopic documentary about the elusive Polish producer Michał Waszyński.

Termine unter www.indiekino.de


INDIEKRITIKEN Deutschland 2017 D 94 min D R: Christian von Brockhausen, Timo Großpietsch D K: Christian von Brockhausen, Timo Großpietsch D S: Andreas von Huene D M: Union Youth D V: W-Film

Könige der Welt Nochmal durchstarten

Originaltitel: Figlia Mia D Italien/Schweiz/Deutschland 2018 D 100 min D R: Laura Bispuri D B: Francesca Manieri Laura Bispuri D K: Vladan Radovic D S: Carlotta Cristiani D M: Nando Di Cosimo D D: Valeria Golino, Sara Casu, Alba Rohrwacher, Udo Kier D V: Real Fiction

Meine Tochter – Figlia Mia Dreiecksbeziehung

2002 gilt die Indie-/Grungerock-Band Union Youth aus der niedersächsischen Kleinstadt Bad Bentheim für kurze Zeit als der große deutsche Hoffnungsträger für eine internationale Karriere im Musikgeschäft. Nachdem bekannt wird, dass die Musiker vom US-Label der Nu-Metal-Ikone Fred Durst hofiert und nach Los Angeles in den legendären Viper Room eingeladen wurden, den verlockenden Plattenvertrag jedoch abgelehnt haben, reißen sich auch die hiesigen Majorlabels um das vom exzessiven Sänger und Gitarristen Matthias Exler angeführte Quartett. Doch irgendetwas läuft schief beim Traum von der großen Rockstarkarriere. Irgendwann verschwindet die Band recht sang- und klanglos aus dem Fokus der Musikbranche und löst sich 2006 endgültig auf. Zehn Jahre später begleiten die Filmemacher Christian von Brockhausen und Timo Großpietsch den Versuch von Exler und Schlagzeuger Michael Borwitzky, mit ihrem neuen Bandprojekt Pictures in Berlin noch einmal durchzustarten. Neben unterdrückten Gefühlen und alten Wunden steht diesem Plan vor allem die unberechenbare Drogen- und Alkoholsucht Exlers im Weg, der sich immerhin für einen Entzug samt Therapie in einer brandenburgischen Suchtklink entscheidet. Das Ziel, den mit Exzessen und Überheblichkeit verspielten Traum von der Musikkarriere noch einmal leben zu können, gibt ihm eine Perspektive. Doch über den Vorbereitungen auf die geplante Tour schwebt stets die bedrohliche Rückfallquote von zwei Dritteln der Entzugspatienten. Brockhausen und Großpietsch finden immer wieder ausdrucksstarke Bilder für Exlers Ringen mit den inneren Dämonen und verweben die Haupthandlung mit Archivmaterial aus der Bandgeschichte, das wirkt wie ein längst vergessener Fiebertraum. Freundschaft, Zweifel, Vertrauen, Jugend, Rausch und Abhängigkeit – KÖNIGE DER WELT hat viele Themen, ist aber zuallererst ein starker und persönlicher Musikerfilm. D Jens Mayer

Start am 19.7.2018 ¢ Spielorte und Termine der Juli-Filme findet ihr unter www.indiekino.de

Termine unter www.indiekino.de

In 2002 indie rock band Union Youth from Bad Bentheim were seen as the new hope for a short time. But something went wrong and the band disappeared without a sound. KÖNIGE DER WELT follows their attempt at a second go at it.

Laura Bispuris Drama FIGLIA MIA, das im Frühjahr im Wettbewerb der Berlinale uraufgeführt wurde, erzählt von drei Frauen. Die Handlung spielt auf der italienischen Mittelmeerinsel Sardinien, hier wächst Vittoria (Sara Casu) auf, allerdings nicht bei ihrer leiblichen Mutter Angelica (Alba Rohrwacher), die mit ihrer ungezügelten Persönlichkeit, ihren manischen Anfällen ungeeignet scheint, ein Kind aufzuziehen. Diesen Part hat Tina (Valeria Golina) übernommen, die zusammen mit ihrem Lebensgefährten Umberto (Michele Carboni) ein ruhiges Leben führt, in der Fischfabrik arbeitet und Vittoria liebt, als wäre sie ihr eigenes Kind. Doch langsam wird Vittoria älter und beginnt zunehmend ihrer Mutter zu ähneln: Ihre gelockten, rötlichen Haare, vor allem aber ihr Temperament lassen es unübersehbar werden, wer ihre Mutter ist. Dass Angelica beginnt, sich für ihre Tochter zu interessieren ist ein Problem, denn eigentlich hatte sie mit Tina einen Pakt geschlossen: Sie hält sich von Vittoria fern, dafür übernimmt Tina die Verantwortung für das Kind und steht auch Angelica zur Seite, wenn diese Hilfe braucht. Doch bei den hohen Schulden, die Angelica angehäuft hat, kann Tina ihr nicht helfen, und so fühlt sich Angelica nicht mehr an das Versprechen gebunden und fängt an, immer mehr Zeit mit Vittoria zu verbringen. Um die Suche nach Identität ging es schon in Bispuris Debütfilm SWORN VIRGIN, der ebenfalls in einer markanten, harschen Landschaft spielte, die das Innere der Figuren spiegelte. War es damals eine Frau, sind es nun gleich drei, die in einer von Männern dominierten Welt ihren Platz suchen, und ihre Dreiecksbeziehung in dramatischen Wendungen aushandeln. Dabei erweist sich ausgerechnet die jüngste des Trios als stärkste und reifste der Frauen, die ihren beiden Müttern in mancherlei Hinsicht voraus ist. D Michael Meyns

Start am 31.5.2018 ¢ fsk-Kino am Oranienplatz, Hackesche Höfe Kino, Il Kino

A fishing village in Sardinia: Vittoria was raised by her adoptive mother Tina while her living and mentally unstable mother Angelica didn’t take care of her. When that changes, a relationship drama begins between the three women.

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INDIEKRITIKEN

el mar la mar

Kinders

Landschaft rauscht durchs Bild, in ihrem Flimmern zunächst schwer erkennbar, bis sich das Sehen eingestellt hat. Spuren werden sichtbar, verwitterte Kleidung, talismanische Gegenstände religiöser Verehrung, leere Wasserflaschen. Orchestriert und verfremdet sind die Klänge und Geräusche der Wüste zu hören. EL MAR LA MAR handelt von der Grenze zwischen Mexiko und den USA und unternimmt den Versuch, mit den Mitteln einer materialistischen filmischen Poetik die politische Topografie eines realen und imaginierten Ortes zu schreiben.

Über ein Jahr lang begleiten die Riahi-Brüder Kinder und Jugendliche, die über das Wiener „Superar“-Musik- und Integrationsprogramm Musikunterricht erhalten. Dabei interessiert die Regisseure weniger das Förderprogramm als die Welt der Kinder, die an ihm teilnehmen. Die Kinder erzählen offen und gewitzt von ihren Sorgen, Freuden und Wünschen für ihr Leben. Fast unsichtbar bewegt sich die Kamera unter ihnen, fängt ein, wie einzelne sich entwickeln und sich auf einmal ein Solo zutrauen, oder wie eine Gruppe zusammenwächst.

Start am 7.6.2018 ¢ Brotfabrik Kino, Wolf

USA 2017 D 94 min D R: Joshua Bonnetta, J.P. Sniadecki D B: Joshua Bonnetta, J.P. Sniadecki D K: Joshua Bonnetta, J.P. Sniadecki D V: Arsenal Institut

Start am 31.5.2018 ¢ fsk-Kino am Oranienplatz ¢ 31.5. um 18 Uhr, fsk-Kino: Premiere mit Gästen

Österreich 2016 D 95 min D R: Arash T. Riahi, Arman T. Riahi

Montags in Dresden

Global Family

Nach dem Abitur verließ Sabine Michel Dresden, dass seit 2014 regelmäßig PEGIDA-Demonstrationen durch die Stadt ziehen, sieht sie von Ferne und versteht es nicht. In MONTAGS IN DRESDEN reist sie in ihre Heimatstadt, um mit den Menschen vor Ort zu reden. Drei von ihnen begleitet sie in ihrem Alltag und hört ihnen genau und unkommentiert zu, wenn sie in einer Mischung, die von Unzufriedenheit mit den politischen Repräsentanten und Angst vor dem Verlust der Gemütlichkeit bis zu ausgewachsener Paranoia reicht, erzählen, warum sie bei PEGIDA mitmachen.

In Somalia war der heute Mitte 60-jährige Captain Shaash Kapitän der Fußballnationalmannschaft und ein echter, nach seiner Sportkarriere auch politisch aktiver Star. Doch als 1989 der bis heute währende somalische Bürgerkrieg ausbrach, flüchteten Shaash und seine Familie aus der Heimat. Seitdem leben die Familienmitglieder, die früher gemeinsam in einem Haus wohnten, verstreut in Deutschland, Italien, Kanada und Äthiopien – und gehen ganz unterschiedlich mit der Situation um. Max OphülsPreis 2018 für den besten Dokumentarfilm.

Start am 14.6.2018 ¢ Krokodil ¢ 19.6. um 20 Uhr, Krokodil: Filmgespräch mit Sabine Michel

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D JUNI/JULI 2018

Deutschland 2017 D 83 min D R: Sabine Michel

Start am ??.?.2018 ¢ fsk-Kino am Oranienplatz

Deutschland 2018 D 91 min D R: Andreas Köhler, Melanie Andernach

Termine unter www.indiekino.de


INDIEKRITIKEN

Die Temperatur des Willens

Canaletto und die Kunst von Venedig

Ultrakonservativ und stolz darauf, und mitten unter uns. Die Legionäre Christi, ein geistlicher Orden innerhalb der katholischen Kirche, sehen das Konservative als Markenkern an. Dass sie gegen Abtreibung und Homosexuelle sind, versteht sich von selbst. Regisseur Peter Baranowski geht hinein in dieses fundamentalistische Weltbild: Er ist ganz nah dran an den Legionären: bei einer Tagung, bei der Seelsorge, bei Gemeindefesten, bei Jugendevents und als sie, schließlich, den Missbrauch im Orden reflektieren.

Die Reihe „Exhibition on Screen“ holt Kunstausstellungen ins Kino, diesmal eine Ausstellung des venetianischen Malers Giovanni Antonio Canal (1697–1768), besser bekannt als Canaletto, die derzeit in der Queen’s Gallery im Buckingham Palace zu sehen ist. Der Film unternimmt einen Ausstellungsrundgang und ergänzt diesen mit den wenigen bekannten Details zu Canalettos Leben und einer fundierten Schilderung seiner Epoche – und seines bemerkenswerten Agenten, Joseph Smith, der Canalettos Stadtpanoramen erfolgreich an die britische Aristokratie verkaufte.

Start am 7.6.2018 ¢ Brotfabrik Kino

Deutschland 2017 D 103 min D R: Peter Baranowski

Start am 7.6.2018 ¢ Bali Kino

Originaltitel: Exhibition on Screen: Canaletto and the Art of Venice D Großbritannien 2018 D 85 min D R: David Bickerstaff

Guardians of the Earth

Live im Kino Union

Im Dezember dieses Jahres findet in Kattowitz die Weltklimakonferenz statt, die vom Ausstieg der USA aus dem in Paris verabschiedeten Weltklimavertrag bestimmt sein wird. Regisseur Filip Antoni Malinowski hat die bahnbrechende Weltklimakonferenz von 2015, auf der der Vertrag beschlossen wurde, mit der Kamera begleitet und blickt hinter die Kulissen des „COP 21“-Gipfels. Er zeigt die heftigen Interessenkonflikte und beleuchtet Demarkationslinien zwischen Reich und Arm, Opfern und Profiteuren des Klimawandels.

Live-Übertragungen von Konzerten, Opern und Ballettaufführungen gehören im Kino Union zum regulären Programm. Wer keine Karten mehr bekommen hat, kann hier am 20.6. das Abschiedskonzert von Sir Simon Rattle mit den Berliner Philharmonikern miterleben. Gespielt wird Gustav Mahlers Symphonie Nr. 6. Bereits zum wiederholten Mal ist das Bolschoi-Ballett zu Gast, diesmal mit „Coppélia“ (Musik: Leo Delibes, Choreografie: Sergei Vikharev), und im Juli überträgt das Kino die Show „Amore, My Tribute to Love“ des Walzerkönigs André Rieu.

Start am 31.5.2018 ¢ Acud Kino, b-ware!ladenkino, Sputnik Kino

Termine unter www.indiekino.de

Deutschland/Österreich 2017 D 86 min D R: Filip Antoni Malinowski

¢ 10.6. um 17 Uhr: Bolschoi: Coppélia – Live aus dem Bolschoi in Moskau ¢ 20.6. um 19.30 Uhr: Sir Simon Rattles Abschied von der Philharmonie ¢ 28.7. um 15 Uhr & 29.7. um 18 Uhr: André Rieu – Amore, My Tribute to Love

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303

Road-und-Rede-Movie

Jule und Jan sind beide nicht die Super-Achiever. Zu Beginn von Hans Weingartners wunderschönem Road-und-Rede-Movie versemmelt Jule ihre Bio-Chemie-Prüfung, weil sie sich den Zitronensäurezyklus nicht merken kann. Ihr Einwand, sie sei eine gute Biologin und Fakten könne man ja zur Not googeln, beeindruckt die Prüfer nicht. Jan erhält ein Politik-Stipendium bei der Konrad-Adenauer-Stiftung nicht, obwohl er eine ausgezeichnete Arbeit vorgelegt hat. Zu progressiv, sagt der Prof, und: „Man muss auch strategisch denken.“ „Und was ist mit Haltung?“, fragt Jan zurück. Von Anfang an erzählt 303, dass diese beiden sich verstehen könnten, auf eine ähnliche Art mit den Ansprüchen hadern, die an sie gestellt werden, und entspinnt eine Liebesgeschichte, bei der es nicht nur darum geht, dass es Klick macht und man gemeinsam mit einer Vespa in den Sonnenuntergang fährt, sondern auch darum, wo Vertrauen herkommt, und wie es wächst. Aber noch kennen sich Jan und Jule gar nicht, noch packen sie in ihren WG-Zimmern ihre Rucksäcke. Jule will mit dem alten Caravan ihres Bruders nach Portugal, um ihren Freund Alex zu sehen und mit ihm zu D 32

D JUNI/JULI 2018

besprechen, wie sie damit umgehen soll, dass sie ungewollt schwanger ist. Jan will per Mitfahrzentrale nach Spanien, um seinen biologischen Vater zu treffen, den er noch nie gesehen hat, und der nichts davon weiß. Als Jan von seiner Mitfahrgelegenheit versetzt wird, trampt er bei Jule mit, die an der Tankstelle Öl nachfüllt, zunächst bis Köln. Doch zuerst sieht es so aus, als würde nicht einmal Köln klappen, das Gespräch holpert, beide sind mit sich selbst beschäftigt, dann quatscht Jan Blödsinn – nicht zum letzten Mal – und merkt gar nicht, wie das bei Jule ankommt… Sie setzt ihn raus, nimmt ihn wieder mit. Erst nach Köln, dann weiter nach Frankreich, Spanien, Portugal. Sie reden weiter und weiter, die Gespräche werden besser und das Schweigen auch. Über dafür unbedingt notwendige zweieinhalb Stunden verfolgt 303 wie Jan und Jule nach und nach, von holprigem Smalltalk über vehemente Auseinandersetzungen, ihre eigene Sprache entwickeln und damit eine gemeinsame Welt. Die Dialoge, die Mala Emde und Anton Spieker (beide bisher im TV unterwegs und beide toll) sprechen, wirken spontan, sind aber sehr sorgfältig geschrieben. Jule und Jan reden über die großen


INDIEFEATURE

Dinge, und sie reden einfach nur so. Sie reden darüber, ob der Mensch grundsätzlich kooperativ (Jule) oder ein Wolf (Jan) ist, ob Liebe gleich Sex ist (Jan), oder doch etwas ganz anderes (Jule) und ob ein monogames Leben möglich ist. Sie debattieren mit Leidenschaft und Ernsthaftigkeit und Spaß. Sie sind gleichzeitig unwahrscheinlich offen und unwahrscheinlich defensiv. Hans Weingartner (DAS WEISSE RAUSCHEN) interessiert sich für die Themen, die Jule und Jan verhandeln, für die Frage, wie man leben soll, und mit wem. Vor allem aber erzählt er, wie aus den beiden in den langen Stunden im Caravan, auf Campingplätzen und bei Picknickpausen Verbündete werden. Ähnlich wie in der BEFORE SUNRISE/BEFORE SUNSET/ BEFORE MIDNIGHT –Trilogie von Richard Linklater und July Delpy verhandeln Jan und Jule ihre Gefühle übers Sprechen. Direkt und um die Ecke, mit Angriff und Verteidigung, mit Witzen und Selbsttäuschungen. Und ähnlich wie diese Vorbilder schwebt auch 303 auf einer Wolke von Vergänglichkeit, unausgesprochener Zärtlichkeit und in der Luft hängender Möglichkeiten. D Hendrike Bake

Deutschland 2018 D 145 min D R: Hans Weingartner D B: Hans Weingartner, Silke Eggert D K: Mario Krause, Sebastian Lempe D S: Benjamin Kaubisch, Karen Kramatschek, Sebastian Lempe D M: Michael Regner D D: Mala Emde, Anton Spieker, Arndt Schwering-Sohnrey, Thomas Schmuckert D V: Alamode Filmverleih

Start am 19.7.2018 ¢ Spielorte und Termine der Juli-Filme findet ihr unter www.indiekino.de

When Jan is stood up by his rideshare, he hitches a ride with Jule who has an old caravan and is on her way to Portugal. The two become lovers during the long hours in the caravan, on camping sites, and the picnic breaks.

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INDIEKRITIKEN Deutschland 2017 D 85 min D R: Andreas Pichler D K: Susanne Schüle, Martin Rattini D S: Nela Märki D V: Real Fiction Filmverleih

Der sechste Kontinent Haus der Solidarität

Deutschland 2017 D 95 min D R: Heinz Brinkmann D B: Heinz Brinkmann D K: Thomas Plenert D S: Gudrun Steinbrück D M: Zabava D V: Salzgeber

Usedom: Der freie Blick aufs Meer Fischbrötchen und Wohnungskauf

Brixen, ein kleiner Ort in Südtirol, ist die Heimstadt für ein außergewöhnliches Projekt: Das „Haus der Solidarität“ bietet fünfzig Menschen ein Zuhause. Obdachlose, Geflüchtete, Arbeitslose, Suchtkranke, – das Team um die gelernten Sozialarbeiterinnen Kathi und Miriam und die Quereinsteiger Alexander und Karl urteilt nicht – und doch müssen sie auswählen, was manchmal nicht leicht fällt. Wem gibt man eine Chance: Der Geflüchteten aus Syrien mit ihren zwei Kindern oder dem Obdachlosen, der seinen Job verloren hat und für einige Monate einen festen Wohnsitz benötigt, um wieder Arbeit zu finden? Man möchte nicht in den Schuhen der grundsympathischen Leitung stecken. Sie setzt sich für ihre Bewohner ein, sei es im Ort oder im Haus. Menschen wie Sumi, die vor ihrem gewalttätigen Freund geflüchtet ist. Ousman, ein politischer Flüchtling, musste seine Familie in Afrika verlassen und wird von den Albträumen seiner Vergangenheit gequält. Der Tunesier Hatem ist ausgebildeter Koch, der durch die Wirtschaftskrise auf der Straße landete und wieder auf die Beine kommen will. Die Sorgen und der Wunsch, seine Familie zurück nach Italien zu holen, bringen ihn um den Schlaf. Der Ex-Alkoholiker und Knasti Ervin ist der einzige Dauerbewohner des Hauses, denn eigentlich ist nach zwei Jahren Schluss, und die Bewohner werden ins Leben da draußen zurück begleitet, aber nie allein gelassen, wenn sie es nicht wünschen. Ihnen allen bietet das Haus eine zweite Chance. Doch als der Umzug der Einrichtung in ein neues Gebäude ansteht, können nicht alle mit. Andreas Pichler begleitet die ungewöhnliche Wohngemeinschaft bei diesem schwierigen Schritt. Er fördert tragische Biografien ans Licht, die im Vorbeigehen verborgen bleiben. der sechste kontinent ein berührender Dokumentarfilm, der die Menschlichkeit beschwört. D Lars Tunçay

Start am 7.6.2018 ¢ Acud Kino, b-ware!ladenkino, Sputnik Kino ¢ 8.6. um 18 Uhr, Sputnik Kino: Filmgespräch mit Andreas Pichler

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D JUNI/JULI 2018

The “House of Solidarity” in Brixen, South Tyrol offers 50 people a home – homeless people, refugees, the unemployed, and addicts.

Früher war alles besser: Als der aus Usedom stammende Filmemacher Heinz Brinkmann (Jahrgang 1948) zu Beginn der 1990er den Film USEDOM – EIN DEUTSCHES INSELLEBEN drehte, ahnte er schon, dass sich auf seiner Herkunftsinsel nach der Wende einiges verändern würde. Die Aussagen kommen in seinem neuen Usedom-Film recht spät, haben aber umso größere Schlagkraft: Auf die Investoren war man schlecht vorbereitet, konkrete Bebauungspläne fehlten, gegen den Willen der Gemeinde wurde abgerissen und neu bebaut was das Zeug hielt. Einer von zahlreichen Talking Heads im Film sagt dazu unverkennbar norddeutsch: „Mit Architektur hat das nichts mehr zu tun.“ Somme, Sonne, Strand und Meer, heißt es zu Beginn dieser filmischen Bestandsaufnahme. Wir sehen volle Strände und Autoschlangen und begegnen neuen und alten Arbeiter*innen, Hoteliers, Politikern und Biobauern. Früher war auch nicht alles besser. „Hier begegnete man den Menschen, vor denen man in Berlin geflohen war“, heißt es über Henningsdorf während der Kaiserzeit, die „Badewanne Berlins“. Gastronomie und Tourismus, Post-DDR, haben der Insel auch gutgetan, und von einer Besuchersteigerung von 30.000 auf 4 Millionen Menschen pro Jahr profitieren Deutsche und Polen. Wer ins Kino geht, um einen Film über Usedom zu sehen, ist bei Heinz Brinkmann an der richtigen Adresse, auch wenn sich sein Dokumentarfilm anfangs nicht recht zwischen Werbe-, Fernseh- und Heimatfilm entscheiden kann. Mit der Zeit werden aber so viele Insulaner*innen vor der Kamera versammelt, dass sich ein interessantes und widersprüchliches Bild von Usedom zwischen neuer Arbeit und Chancenlosigkeit, zwischen Fischbrötchen und Austern, überalterten Dörflern und jungen Wohnungskäufer*innen entfaltet. Lust auf Usedom Urlaub zu machen, hat man nach dem Film auf jeden Fall. D Toby Ashraf

Start am 31.5.2018 ¢ Bundesplatz Kino, Eva-Lichtspiele, Hackesche Höfe Kino, Krokodil, Union Filmtheater ¢ 1.6. um 20 Uhr, Krokodil: Filmgespräch mit Heinz Brinkmann

Heinz Brinkmann from Heringsdorf made a film about the spa in Usedom, the history of island tourism, and the people who live and work on the island.

Termine unter www.indiekino.de


INDIEKRITIKEN Originaltitel: Hostiles D USA 2017 D 127 min D R: Scott Cooper D B: Scott Cooper, Donald Stewart D K: Masanobu Takayanagi D S: Tom Cross D M: Max Richter D D: Christian Bale, Rosamund Pike, Wes Studi, Ben Foster, Jesse Plemons D V: Universum Film

Feinde – Hostiles Angeschlagene Männer

Großbritannien 2017 D 107 min D R: Simon Curtis D B: Frank Cottrell Boyce, Simon Vaughan D K: Ben Smithard D S: Victoria Boydell D D: Domhnall Gleeson, Phoebe Waller-Bridge, Margot Robbie, Kelly MacDonald D V: Twentieth Century Fox

Goodbye Christopher Robin Vater & Sohn

Der Nordstaatenoffizier Joseph J. Blocker, der Cheyenne-Häuptling Yellow Hawk und eine Handvoll anderer Männer pirschen sich im Schutz der Dunkelheit an das Lager einiger Outlaws heran, die sie in ihren Zelten überraschen und ermorden. Die Kamera verharrt draußen, nur das Sounddesign vermittelt den Tötungsakt. HOSTILES spielt im Jahr 1892, als sich der „Wilde Westen“ in einer tiefgreifenden Umbruchphase befindet. Die Eisenbahn, die Großgrundbesitzer und der Kapitalismus boomen. Öl ist das neue Gold, die Rechnungen werden nicht mehr mit mehr Blei bezahlt. Der von Christian Bale bärbeißig gespielte, desillusionierte Offizier Blocker steht kurz vor der Pension. Seinen vermutlich letzten Befehl, den todkranken Cheyenne-Häuptling Yellow Hawk (Wes Studi) nach mehrjähriger Haft zum Sterben in sein Stammesland nach Montana zu eskortieren, führt Blocker nur ungern aus. Zu viele blutige Schlachten verbinden den hochdekorierten Offizier und den stolzen Cheyenne. Unterwegs greift der Trek aus Soldaten und der Häuptlingsfamilie die traumatisierte Rosalie (Rosamund Pike) auf, deren Mann und Kinder kurz zuvor – in einer brutalen Auftaktsequenz – von Komantschen skalpiert wurden. Der Drehbuchautor und Regisseur Scott Cooper (CRAZY HEART) inszeniert den melancholischen Stoff sehr ruhig und besonnen, mit einem dezent-emotionalen Score von Max Richter und Breitbildaufnahmen von Masanobu Takayanagi (THE GREY). Zugleich hält Cooper die Spannung durchgängig aufrecht: Jederzeit könnte ein Angriff von außen erfolgen, jederzeit könnte die Reisegruppe implodieren, kein Leben ist hier sicher. Bei Sam Peckinpah oder in einem Italowestern wäre einer wie Blocker wohl kaum mit dem Leben davon gekommen. Bei Cooper stellen bei allem Hass aber auch eine tröstende Umarmung und eine späte Versöhnungsgeste eine Möglichkeit dar. D Christian Horn Start am 31.5.2018 ¢ b-ware!ladenkino, filmkunst66*, Union Filmtheater

In Scott Coopers Spätwestern bilden der desillusionierter Nordstaaten-Offizier Joseph J. Blocker, (Christian Bale) und der todkranke Cheyenne-Häuptling Yellow Hawk (Wes Studi) ein unfreiwilliges Team.

Pu, der Bär ist weltberühmt. Die klugen, unbeschwerten Geschichten von Winnie the Pooh wurden in 40 Sprachen übersetzt und millionenfach verkauft. Seit den 1960ern sind sie Teil der bunten Welt von Disney. Die Geschichte ihrer Entstehung ist weniger bunt. Davon erzählt Simon Curtis (MY WEEK WITH MARILYN) in GOODBYE CHRISTOPHER ROBIN. Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts ist Alan Alexander Milne (Domhnall Gleeson) ein vielversprechender Autor, der bereits einen Kriminalroman und diverse Geschichten im angesagten „Punch“-Magazin veröffentlicht hat. Er heiratet Dahne de Selincourt (Margot Robbie), die Tochter des „Punch“-Herausgebers im Jahre 1913 und muss zwei Jahre später an die Front. Als er zurückkehrt, ist er nicht mehr derselbe. Die Erinnerungen an den Krieg hindern ihn am Schreiben und rufen gewaltsame Ausbrüche in dem stillen Mann hervor. Auch die Geburt seines Sohnes Christopher Robin bringt ihn kaum zurück. Irgendwann wird es Dahne zu viel und sie verlässt ihn. Als auch die Nanny verreist, sind Vater und Sohn auf sich zurückgeworfen. Alan öffnet seine Augen für die Welt des Sechsjährigen (Will Tilston) und entwirft Winnie the Pooh und seine Freunde, inspiriert von seinen Kuscheltieren. Der Rest ist allgemein bekannt, doch auch als der Erfolg eintritt, spart Curtis die Schattenseiten nicht aus. Der Medienrummel treibt das Vater-Sohn-Gespann wieder auseinander. Curtis geht es nicht um magisch-verklärte Erinnerungen, wie wir sie wahrscheinlich im Sommer mit Disneys CHRISTOPHER ROBIN erleben dürfen. Sein Ansatz ist realistischer, auch wenn er einige biografische Fakten gerade biegt, und der Ton seiner Erzählung ein wenig unausgewogen zwischen Unterhaltungsfilm und Sozialdrama pendelt. Die Interaktion zwischen Domhnall Gleeson und Will Tilston, der hier sein Schauspieldebüt gibt, ist derweil die Seele dieses berührenden Dramas. D Lars Tunçay

Start am 7.6.2018 ¢ Spielorte und Termine findet ihr unter www.indiekino.de

The A. A. Milne biopic is mostly about how the Winnie the Pooh books were created and also mentions the dark sides of Milne’s life.

* ab Juni

Termine unter www.indiekino.de

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INDIEKRITIKEN Originaltitel: Hereditary D USA 2018 D 127 min D R: Ari Aster D B: Ari Aster D K: Pawel Pogorzelski D S: Jennifer Lame, Lucian Johnston D M: Colin Stetson D D: Toni Collette, Gabriel Byrne, Alex Wolff, Ann Dowd D V: Splendid

Hereditary

Tanz ins Leben

Cineastische Achterbahn

Flucht zur Hippie-Schwester

HEREDITARY ist einer der aufregendsten und unheimlichsten Filme der neuen Horrorfilm-Welle, kein existentialistischer Post-Horror, und erst recht kein Retro-Kram, sondern eine sehr originelle cineastische Achterbahn, die alle filmischen Möglichkeiten nutzt, und der es sogar gelingt, aus einem harmlosen Zungenschnalzen einen „jump scare“ zu machen. Der Film rührt dabei durchaus an Urängste, aber großanlegte philosophische oder psychoanalytische Exkurse muss hier niemand fürchten. Alles beginnt mit einer Kamerafahrt auf ein Puppenhaus, das aber viel zu sorgfältig gearbeitet ist, um ein Spielzeug zu sein. Als ein Zimmer, in dem jemand unter einer Bettdecke liegt, ganz das Bild füllt, öffnet sich die Tür. Der Vater tritt ein: Sein Sohn soll langsam mal in die Puschen kommen, Großmutter wird beerdigt. Perspektivverschiebungen, Wiederholungen, Spiegelungen erzeugen den Effekt eines dauernden „mise en abyme“, als würde hinter dem Bild stets ein anderes darauf warten, das stets im Begriff ist, die Realität auszulöschen. Niemand liebte Großmutter, aber sie scheint nicht wirklich fort zu sein. Auf die lapidar hingenommene erste Familientragödie türmt sich eine weitere, und bald wird alles immer schlimmer, bis auch Mutter Annie, die als Künstlerin traumatische Momente in Miniaturmodelle zu bannen versucht, mit ihren Bewältigungsstrategien am Ende ist. Ständig verschiebt sich nicht nur der Fokus der Kamera, sondern auch der Erzählung. Mal scheint Annie im Zentrum der Geschichte zu stehen, mal ihre geistig behinderte Tochter Charlie, mal deren bekiffter älterer Bruder Peter. Alptraum und Realität vermischen sich in einer unaufhaltsamen Eskalation. Dass die Auflösung gerade darauf verzichtet, die beliebte psychologische Lösung zu suchen, ist ein cleverer Kniff, der einen trotz des unglaublich effektiven Horrors mehr beschwingt als verstört aus dem Kino kommen lässt. D Tom Dorow Start am 14.6.2018 ¢ b-ware!ladenkino

Originaltitel: Finding Your Feet D Großbritannien 2017 D 111 min D R: Richard Loncraine D B: Meg Leonard, Nick Moorcroft D K: John Pardue D S: Johnny Daukes D M: Michael J. McEvoy D D: Imelda Staunton, Celia Imrie, Timothy Spall, David Hayman, John Sessions D V: eOne

A family tragedy turns into an escalating nighmare in this original and effective horror film.

Der „Best-Ager“-Film ist nach dem Erfolg von BROT UND TULPEN (2000) entstanden, in dem eine Frau nach Venedig fährt und Bruno Ganz kennenlernt. Alle Filme des neuen Genres haben die gleiche Botschaft: Es ist nie zu spät für einen neuen Aufbruch. Richard Loncraine, Regisseur von TANZ INS LEBEN (OT: FINDING YOUR FEET) hat seine Karriere einst mit Filmen über Piratenradio-DJs und die Glam-Rockband Slade begonnen. In TANZ INS LEBEN reicht die Musikauswahl, zu der eine Seniorentanzgruppe auftritt, von Swing über Rock’n’Roll bis zu Disco – eine Pop-Jugend, die sich irgendwann zwischen den 40er und 70er Jahren abgespielt hat. Das waren Zeiten erheblicher kultureller Umbrüche, und so erzählt der Film von unterschiedlichen Lebensentwürfen. Die Hauptpersonen sind Sandra (Imelda Staunton) die gerade „Lady Abbott“ geworden ist, aber entdeckt, dass ihr etablierter Göttergatte seit Jahren eine Affäre hat. Ihre ältere, lebenslustige Polit-Hippie-Schwester Bif (Joanna Lumley) nimmt sie in ihrer Sozialwohnung auf, und deren Kumpel Charlie (Timothy Spall), ein freundlich-chaotischer Bastler, der auf einem Hausboot lebt, bietet sich für eine neue Romanze an. Wer gewinnt, wenn in einem englischen Film Establishment und Individualisten aufeinandertreffen, dürfte sich von selbst verstehen. Hier sitzen die Pointen besser als die Anzüge, dafür eiert der Plot ein wenig herum und entsorgt Hindernisse – auch, wenn es sich um demente Ehefrauen handelt – etwas zu zügig. Es wird spannend, zu beobachten, was mit dem „Best-Ager“-Film passiert, wenn die Generationen alt werden, die im Neoliberalismus der 80er Jahre und danach ihre Jugend verbrachten – die „flexiblen Menschen“ (Richard Sennett), denen schon immer erzählt wurde, dass man sich ständig neu erfinden muss. Vielleicht war MAGICAL MYSTERY (2017) schon ein Vorbote dessen, was kommt: einerseits Spaß, andererseits wesentlich mehr stoische Ruhe. D Hannes Stein Start am 31.5.2018 ¢ Eva-Lichtspiele, Sputnik Kino*, Union Filmtheater

When Sandra (Imelda Staunton) finds out that her renowned husband has been having an affair for years, she fleas to her older, fun-loving, political hippie sister Bif (Joanna Lumley).

* ab Juni

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Termine unter www.indiekino.de


INDIEKRITIKEN Deutschland 2018 D 99 min D R: Margarethe von Trotta D B: Felix Moeller D K: Börres Weiffenbach D S: Bettina Böhler D V: Weltkino

Open air highlights

Auf der Suche nach Ingmar Bergman Höfliches Porträt

Als Margarethe von Trotta in den 1960er Jahren aus dem muffigen Deutschland nach Paris ging, lernte sie dort eine junge, aufregende Filmszene kennen, die sich um die Filmzeitschrift Cahiers du cinéma gebildet hatte – die Nouvelle Vague. Ein Idol der jungen Filmliebhaber war der schwedische Regisseur Ingmar Bergman (1918–2007), und als ihre neuen Freunde von Trotta ins Kino schleppten, um DAS SIEBENTE SIEGEL (1957) zu gucken, war das für sie die Initialzündung, selbst Regisseurin zu werden. Von Trottas Recherche zum 100sten Geburtstag Ingmar Bergmans orientiert sich an ihrem persönlichen Bezug. Sie beginnt und endet auf Farö, wo Bergman DAS SIEBENTE SIEGEL drehte, führt nach Frankreich, wo von Trotta seinen Arbeiten zunächst begegnete und München, wo Bergman eine Zeit lang lebte und auch bei von Trotta und Schlöndorf zu Besuch war. Von Trotta spricht mit Schauspielerinnen und Regisseuren und besucht Bergmans Archivar. Einige Gespräche sind eher belanglos – „Ich wusste, ich würde sein Instrument sein“ –, andere bringen interessante Informationen zu Tage, etwa, wie Bergman seine Theaterproben organisierte – es musste im Proberaum dunkel sein und die ideale Temperatur war 12 Grad – oder wie er mit seinen Kindern interagierte. Von Trotta wählt bewusst einen sehr selektiven, persönlichen Ansatz. Die Begegnungen und Gespräche sind wie Bruchstücke eines Mosaiks und taugen als Einführung für Menschen, die Ingmar Bergman kennenlernen möchten, nur bedingt. Leider erfährt man aber auch wenig darüber, was es eigentlich genau war, das von Trotta und so viele andere in Bergmans Arbeiten so berührt hat. Sie selbst und alle Befragten agieren sehr höflich, sehr beherrscht, fast schon ehrfurchtsvoll. Vielleicht hat Ruben Östlund (THE SQUARE) recht, und es ist noch ein bisschen zu früh. D Toni Ohms

Start am 12.7.2018 ¢ Spielorte und Termine der Juli-Filme findet ihr unter www.indiekino.de

Termine unter www.indiekino.de

In honor of the filmmaker’s 100th birthday Margaretha von Trotta and her son Felix Moeller made a film about Bergmann’s films and his influence on other directors.

Einmal die Woche ist in der Freilichtbühne Weißensee DEFA-DONNERSTAG (siehe Seite 59), sonst läuft meist Aktuelles im Nachspiel. Immer wieder zeigt das Kollektiv in 16 Uhr-Vorstellungen auch Open-Air Kino für Kinder, beispielsweise den schwedischen Klassiker MICHEL IN DER SUPPENSCHÜSSEL (16.6.) oder SPUK UNTERM RIESENRAD (DDR 1978, 14.7.). Am 29.6. findet eine Stummfilm-Vorführung des Gothic-Krimis DIE TOTEN ERWACHEN (1915) mit Live-Musikbegleitung statt. Während der Fußball-WM macht das Freiluftkino Insel Pause (vom 8.6.–9.7.). Anfang Juli nimmt es den Betrieb wieder auf und am 27.7. findet ein Stummfilmabend mit Musikbegleitung statt, an dem Lotte Reiningers poetisches Scherenschnitt-Märchen DIE ABENTEUER DES PRINZEN ACHMED (1926) gezeigt wird. Im August ziehen dann die „British Shorts“ und das“ Open Screening“ nach draußen um. Das Freiluftkino Hasenheide spielt nicht nur alle Filme im Original, sondern die deutschsprachigen Filme wenn möglich auch mit englischen Untertiteln. Zum Beispiel die Romy Schneider-Hommage 3 TAGE IN QUIBERON (3.6.), die super Open-Air-taugliche Verfilmung des Sven Regener Buchs MAGICAL MYSTERY (8.6.) oderdeb Berlinale-Beitrag IN DEN GÄNGEN (3.7.). Das Freilichtkino Friedrichshagen hat für den Sommer eine umfangreiche Musikfilmreihe zusammengestellt, die wir auf Seite 59 vorstellen. Vorreservieren sollte man eventuell für den OSTBERLIN POETRY SLAM, zu dem am 9.6. sieben der besten Poetry Slammer und –Slammerinnen aus dem deutschsprachigen Raum erwartet werden. Das Open-Air im Filmrauschpalast zeigt gerne Klassiker wie KOYAANISQUATSI (16.6.) oder MULHOLLAND DRIVE (22.6.). Am 8.6. haben die Bahnhofskinokinder den ersten Teil ihres „Ozploitation“-Programms – MAD MAX 2: THE ROAD WARRIER - nach draußen verlegt, und am 15.6. wird im Rahmen des Yalla-Festivals die subversive Dance-Doku RAVING IRAN aufgelegt. Anfang Juni läuft im Freiluftkino Pompeji der sommerliche letzte Film mit Harry Dean Stanton. LUCKY (5.6.). Außerdem gibt es einen unserer Lieblingsfilme der letzten Zeit, das norwegische Drama THELMA (4.6.), das zwischen Psycho und Horror pendelt. Last but not least geht auch das City Kino Wedding an die frische Luft: Am 24.6. um 21.30 Uhr wird im Gemeinschaftsgarten „Rote Beete“ der Dokfilm ZEIT FÜR UTOPIEN zu sehen sein.

Alle Open-Air Termine unter: www.indiekino.de/openair

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INDIEFEATURE

Am Strand

AM STRAND & VOM ENDE EINER Britische Literaturstars verfilmt Die britischen Schriftsteller Ian McEwan und Julian Barnes sind nicht nur Zeitgenossen, sie sind auch Freunde. Beide wurden in den 1940er Jahren geboren, erlebten als Kinder die Nachkriegszeit, besuchten Privatschulen für Jungen und „genossen“ dort eine umfassende geisteswissenschaftliche Ausbildung. Beide wurden in den 1980er Jahren sehr schnell zu Stars der englischen und der internationalen Literaturszene - als ich in den 1990er Jahren in England Literatur studiert habe, standen Barnes intertextuelle, postmoderne Liebesgeschichte „Flaubert’s Parrot“ („Flauberts Papagei“, 1984) und Ian McEwans dichtes psychoanalytisches Drama „Black Dogs“ („Schwarze Hunde“, 1992) bereits auf den Leselisten. In den magischen 1960er Jahren, den „Swinging Sixties“, wurden Barnes und McEwan gerade erwachsen und begannen ihr Studium. Über diese Zeit haben beide fast zeitgleich Bücher geschrieben - 2007 erschien ­Mc­Ewans „On Chesil Beach“ („Am Strand“), 2011 Barnes’ „The Sense of an Ending“ („Vom Ende einer Geschichte“) – die eine Welt beschreiben, die unmittelbar vor dem großen kulturellen Umbruch spielt, eine Welt, in der die Freiheiten der späten 60er vielleicht schon als Ahnung in der Luft liegen, aber Denken und Handeln der jungen Leute noch von den Konventionen und Benimmregeln der 50er Jahre bestimmt wird. Beide Romane sind nun verfilmt worden, kurioserweise sogar mit dem gleichen Schauspieler (Billy Howle) in der Rolle des jungen, unbedarften Protagonisten. Beide Geschichten versuchen, in dieser Zeit des Stillstands unmittelbar vor der großen Veränderung, dieser Ruhe vor dem Sturm, einen kurzen biografischen Moment zu fassen, der das gesamte weitere Leben D 38

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der Protagonisten entscheidend geprägt hat, nähern sich ihrem Thema aber aus unterschiedlichen Richtungen. VOM ENDE EINER GESCHICHTE erzählt aus der Gegenwart und als Blick zurück, AM STRAND beginnt in den 1960er Jahren und entwirft dann ein Panorama, wie es weiterging.

VOM ENDE EINER GESCHICHTE Tony Webster ist ein etwas grantiger, im Grunde aber ganz zufriedener Mann Anfang 70. Er betreibt einen kleinen Laden für Kameras in London, trifft sich gelegentlich mit seiner Exfrau Margaret und hält etwas unbeholfen Kontakt zu seiner Tochter, die kurz vor der Geburt steht. Eines Tages erreicht ihn ein Brief aus einer weit zurück liegenden Vergangenheit. Die Mutter einer alten Ex-Freundin hat ihm etwas Geld vererbt und ein Tagebuch, das jedoch nicht ausgehändigt werden kann, weil die Ex-Freundin – Veronica – es nicht herausgibt. Das Erbe katapultiert Tony zurück in eine Zeit, als er noch studierte und eine komplizierte Beziehung zu Veronica unterhielt. Als er drei beste Freunde hatte, besserwisserische Bürgerkinder, die alle den Klügsten in ihrer Runde, Adrian, vergötterten. Als er bei jedem Date versuchte, ein bisschen mehr Sex herauszuschlagen, aber „es“ nie passierte. Während der Film in bruchstückhaften Rückblicken die Geschichte des jungen Tony und seiner Freunde zusammensetzt, versucht der erwachsene Tony in der Gegenwart, Veronica zu einem Treffen zu bewegen und an das Tagebuch zu kommen. Umso mehr er aber in der Vergangenheit wühlt, umso mehr verändert diese sich. Tony muss feststellen, dass seine Erinnerungen und die historische Wahrheit nicht identisch sind.


INDIEFEATURE

AM STRAND

Vom Ende einer Geschichte

GESCHICHTE Julian Barnes Roman ist vollständig aus Tonys Sicht verfasst. Sein innerer Gedankenstrom, der zunächst mal hierhin mal dorthin mäandert und dann immer mehr zum Krimi wird, umkreist universelle Fragen nach Geschichte, Erinnerung und Verantwortung. Was können wir wissen? Was sind historische Fakten? Was sind unsere Erinnerungen wert und wie verändern sie sich? Und: Wer hat Schuld, wenn eine Tragödie passiert? Auch der Film stellt diese Fragen, ist aber notwendigerweise viel konkreter und räumt den Nebenfiguren, allen voran Tonys Ehefrau Margaret und seiner Tochter Susie mehr Raum ein. Tatsächlich ist es vor allem die sehr erwachsene, immer noch abwechselnd liebevolle und genervte Beziehung, die Jim Broad­bent und Harriet Walter als Ex-Ehepartner Tony und Margaret unterhalten, die den Film trägt. Mehr noch als das große Drama, das Tonys Recherche aufdecken wird, erzählen ihre kleinen Gesten und Interaktionen davon, wie die Vergangenheit sich in die Gegenwart einschreibt.

Originaltitel: The Sense of an Ending D Großbritannien 2017 D 108 min D R: Ritesh Batra D B: Nick Payne D K: Christopher Ross D S: John F. Lyons D M: Max Richter D D: Emily Mortimer, Jim Broadbent, Charlotte Rampling, Matthew Goode D V: Wild Bunch

Start am 14.06.2018 ¢ Eva-Lichtspiele, filmkunst66, Union Filmtheater

Tony received a letter one day. He inherited a small amount of money and a diary. The inheritence catapults him back to his youth in the early 1960s and makes him discover that not everything happened the way he remembers.

In AM STRAND liegt der Fokus ganz auf dem jungen Paar, gespielt mit einem inneren Leuchten und einer verzweifelten Schüchternheit von Saoirse Ronan und Billy Howle. Film und Roman drehen sich um einen einzigen Tag, einen einzigen Abend, ein einziges fatal misslungenes Gespräch. Florence und Edward sind frisch verheiratet und gerade eben am Ziel ihrer Hochzeitsreise angekommen: einem kleinen Hotel am Chesil Beach, einem kilometerlangen Kieselstrand in Dorset, Südengland. Angeblich hat das Meer die Kiesel nach Größe sortiert und die Fischer können an der Kieselgröße erkennen, wo sie gelandet sind. Florence und Edward wollen das später bei einem Spaziergang überprüfen. Jetzt sitzen sie aber noch, angespannt und eigentlich gar nicht hungrig, bei ihrem Hochzeitsessen im Hotelzimmer. Nebenan steht drohend und verheißungsvoll das Hochzeitsbett. AM STRAND verfolgt minutiös die quälend winzigen Schritte, in denen sich das Paar dem Bett, beziehungsweise dem ersten Sex nähert. Edward ist erwartungsvoll und übereifrig, Florence in heller Panik. Ian McEwan geht es um die Kleinigkeiten. Um den Moment, als Edward versucht, Florences Kleid zu öffnen, scheitert und ungeduldig wird. Oder um den Moment, als sie sagt „Ich mach das schon“ und damit die Distanz weiter vergrößert. Man möchte die beiden schütteln, sie dazu auffordern, einmal tief durchzuatmen und sich Zeit zu lassen. Denn eigentlich ist klar, dass Florence und Edward, deren Kennenlerngeschichte und Hintergründe man in Rückblenden erfährt, sich wirklich mögen. Eigentlich sind die zielstrebige Musikerin aus dem Akademikerhaushalt und der verträumte Geschichtsstudent mit der verrückten Mutter ein gutes Team. Eigentlich. Wie viele Geschichten Ian McEwans erzählt AM STRAND mit großer psychologischer Klarheit von einem Moment, einer Begegnung, einer Interaktion, in der ein ganzes bisheriges Leben kumuliert und in der sich ein ganzes weiteres Leben entscheidet. In AM STRAND ist es die Hochzeitsnacht, aber es könnte auch jeder andere kleine Moment in jedem anderen Leben sein. Während man im Buch nach der schicksalhaften Stunde nur noch ganz kurz gerafft erfährt, wie das Leben von Edward weiter verläuft, schenkt der Film den Zuschauern und den beiden Verliebten noch etwas mehr Zeit miteinander. Julian Barnes und Ian McEwan sind durchaus unterschiedliche Schriftsteller: Während Barnes an philosophischen und politischen Überlegungen, an großen Zusammenhängen und literarischen Verweisen interessiert ist, untersucht Ian McEwan in seinen Texten den konkreten Moment und taucht in die psychologischen Abgründe seiner Figuren ein. Die Verfilmungen von AM STRAND und VOM ENDE EINER GESCHICHTE sind einander verwandter als die Romane, vielleicht, weil das Medium Film konkrete Interaktionen abbildet und nach einem Handlungsbogen verlangt. D Hendrike Bake

Originaltitel: On Chesil Beach D Großbritannien 2018 D 105 min D R: Dominic Cooke D B: Ian McEwan D K: Sean Bobbitt D S: Nick Fenton D D: Saoirse Ronan, Emily Watson, Anne-Marie Duff, Samuel West D V: Prokino

Start am 21.06.2018 ¢ b-ware!ladenkino, fsk-Kino am Oranienplatz, filmkunst66, Hackesche Höfe Kino, Union Filmtheater*

* ab 28.6

ON CHESIL BEACH, based on the Ian McEwan novel, revolves around a single moment, a single fatal, unsuccessful encounter: the wedding night of Florence and Edward in a small hotel on the pebble beach of Chesil Beach in 1962.

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INDIEKRITIKEN Deutschland 2017 D 106 min D R: Laura Lackmann D B: Laura Lackmann D K: Friede Clausz D S: Philipp Thomas D M: Simon Frontzek, Lukas Frontzek D D: Laura Tonke, David Bredin, Katrin Wichmann, Marc Hosemann D V: Farbfilm Verleih

Zwei im falschen Film Pragmatiker, romantisch

Happy End im Kino: Das Liebespaar am Strand, Heiratsantrag, Kuss und Schluss – für Hans und Heinz fühlt sich diese Schnulze falsch an. Mit dem eigenen Leben hat der Film wenig zu tun. Sie sind seit acht Jahren zusammen, spielen abends Playstation und witzeln ironisch rum, wenn ihnen wer blöd kommt. Pragmatik statt Romantik: Sie wohnen über dem Copyshop, den Hans betreibt; ihr uraltes Auto hat keinen Rückwärtsgang. Sex gibt’s ungefähr alle zwei Monate, die Pille lohnt sich da nicht, und dass Hans seiner Freundin den Kosenamen Heinz gegeben hat, spricht Bände. Dieses Pärchen erwartet kaum mehr was vom Leben oder von einander. Bis Heinz/Laura merkt, dass was fehlt: „Das ist doch keine echte Liebe!“ – „Wieso denn nicht?“ – „Weil Sachen fehlen!“ Vielleicht ist das Leben falsch, aber der Film war richtig? Verzweifelt wird nachgeholt, was zum großen Glück zu fehlen scheint. Der Zauber der ersten Begegnung. Eine Nacht im Liebeshotel. Doch sogar Heinz’ Versuch, ihren Hans eifersüchtig zu machen, schlägt dramatisch fehl; und der gemeinsame Sinn fürs Frotzeln geht ihnen auch verloren. Nach ihrer vorherigen verspielten, aber auch überdrehten Psychokomödie MÄNGELEXEMPLAR inszeniert Laura Lackmann nun diese unromantic comedy geradlinig, mit einigen wohlgesetzten Brüchen versehen. Marc Hosemann und Laura Tonke spielen das routinierte Pärchen, in dessen Alltag es immer wieder Anspielungen auf Filme gibt, ohne dass es dabei überreferentiell zugeht. Das Leben von Hans und Heinz hängt irgendwo zwischen richtigem Leben und falschem Film – und die Versuche, das Glück der anderen zu erreichen, schlagen auf komische, aber nicht aufdringlich komödiantische Weise immer wieder fehl. Vielleicht ist ja auch der Traum von Reihenhaus, Garten, Familie falsch. Genauso falsch wie ein Happy End am Strand. Oder? D Harald Mühlbeyer

Start am 31.5.2018 ¢ Acud Kino, b-ware!ladenkino, filmkunst66* ¢ 4.6. um 20 Uhr b-ware!ladenkino: Filmgespräch mit Laura Lackmann * ab Juni

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In the cinema Hans and Heinz, who have been together for a long time, discover that their love is missing some romance. They try everything in order to conjure up the supposedly necessary sparks.

Argentinien 2015 D 92 min D R: Francisco Varone D B: Francisco Varone D K: Christian Cottet D S: Federico Peretti, Alberto Ponce D D: Rodrigo de la Serna, Ernesto Suarez, Elisa Carricajo, María Canale D V: imFilm

Camino a La Paz Südamerika-Roadmovie

Francisco Varone erzählt eine ungewöhnliche Männerfreundschaft und gleichzeitig eine Art spirituelle Erweckungsgeschichte mit viel Humor und nuanciert gezeichneten Charakteren. Seine Hauptpersonen, wunderbar dargestellt von Rodrigo de la Serna und Ernesto Suarez, könnten auf den ersten Blick unterschiedlicher nicht sein. Sebastián, der gerade mit seiner Freundin in eine spartanische Wohnung gezogen ist, ist nicht mehr ganz jung und hängt trotzdem die meiste Zeit mit seinen Freunden rauchend in der Küche rum. Der Zufall will es, dass die Telefonnummer des Vormieters noch nicht abgemeldet wurde, und dieser einen Fahrservice unterhielt. Genervt von den ständigen Anrufen, aber zu faul, die Nummer ändern zu lassen, beschließt Sebastián eines Tages, selbst als Chauffeur zu arbeiten. Kahlil, ein alter Herr mit labilem Gesundheitszustand, wird einer seiner regelmäßigen Kunden. Eines Tages hat er ein besonderes Angebot für Sebastián. Er will aus Buenos Aires zu seinem Bruder ins 3000 Kilometer entfernte La Paz kutschiert werden. Es ist eine Freude dabei zuzusehen, wie die beiden Männer ihr Territorium in den Wänden eines Peugeot 505 aushandeln und sich aneinander reiben. Kahlil hat eine schwache Blase, isst unentwegt Knoblauch und muss als Muslim fünf Mal am Tag beten. Zudem bringt es Sebastián, dem sein Auto heilig ist, an seine Grenzen, dass Kahlil unentwegt neue Reisebegleiter einsammelt. Und da wäre auch noch der sehr unterschiedliche Musikgeschmack: Rock versus arabische Musik. Doch langsam öffnet sich etwas in Sebastián, die neuen Begegnungen unterwegs beginnen ihn zu verändern, und er findet Interesse an dem alten Mann, der Sebastiáns Launen mit stoischer Gelassenheit aussitzt. Es wäre vielleicht zu viel zu behaupten, dass Khalil der Engel ist, den Sebastián gebraucht hat, um sein Herz zu öffnen. Aber er ist auf alle Fälle derjenige, der ihn aus seiner verqualmten Küche ins Leben schubst. D Susanne Kim

Start am 7.6.2018 ¢ b-ware!ladenkino, filmkunst66

By chance, eternal teenager Sebastián becomes a chauffeur for Kahlil, an older man and a devoutly religious Muslim who is in frail health. Kahlil wants to go to his brother who lives in La Paz which is 3,000 kilometers away …

Termine unter www.indiekino.de


INDIEKRITIKEN Japan/USA 2017 D 100 min D R: Stephen Nomura Schible D B: Stephen Nomura Schible D P: Eric Nyari D V: Edition Salzgeber

Ryuichi Sakamoto: Coda Porträt des Avantgarde-Musikers

Eine Coda bezeichnet in der Musiktheorie den separaten Schlussteil eines Stückes. Hier steht sie für das Spätwerk des japanischen Musikers und Komponisten Ryuichi Sakamoto, dem sich Stephen Nomura Schible in RYUICHI SAKAMOTO: CODA annähert. Sakamoto wurde in den 1970er Jahren als Teil vom Yellow Magic Orchestra bekannt, der japanischen Antwort auf Kraftwerk. Seit Mitte der 1980er widmete er sich der Filmmusik und schuf prägnante Scores, beispielsweise für DER LETZTE KAISER oder THE REVENANT. Schible verzichtet auf eine streng lineare Erzählung des Lebens und Werks Sakamotos und erspart dem Zuschauer die typische Geschichte vom Wunderkind und seinen ersten Schritten in der Welt der Kunst. Ruhig und überlegt erzählt der Komponist stattdessen selbst von einschneidenden Erlebnissen und wiederkehrenden Themen in seinem Schaffen. Mit Bescheidenheit und unprätentiösem Charme schafft er es, die Verbindung und Konfrontation von Natur und Kultur, Endlichkeit und Ewigkeit, Melancholie und Witz als Grundmotive seiner Musik zu vermitteln. Darüber hinaus tritt Sakamoto immer wieder als politischer Aktivist in Erscheinung, und so begleitet Schible ihn auf Reisen in die zerstörten Gebiete um Fukushima oder mit Klimaschützern in die Arktis. Sakamotos Hauptinteresse gilt jedoch der Suche nach neuen Klängen, nach Umgebungsgeräuschen, mit denen er seine minimalistischen Kompositionen anreichert. Diesen Klangwelten wird der Film RYUICHI SAKAMOTO: CODA nicht immer gerecht. Um sich dem Denken Sakamotos wirklich anzugleichen, müsste der Film tiefer in die akustische Welt Sakamotos eintauchen, statt an der visuellen Oberfläche zu verweilen. Doch gelingt es Schible, Bilder eines beeindruckenden und einfühlsamen Künstlers zu zeichnen, in dessen gigantischem Lebenswerk der Schlussteil noch nicht erklungen ist. D Yorick Berta

Start am 12.7.2018 ¢ Spielorte und Termine der Juli-Filme findet ihr unter www.indiekino.de

Termine unter www.indiekino.de

Ryuichi Sakamoto was part of the Yellow Magic Orchestra in the 70s and later became a Japanese pop superstar, an experimental musician, and a film composer. He explains the motifs of his music with unpretentious charm.

Frankreich/Chile 2016 D 128 min D R: Alejandro Jodorowski D B: Alejandro Jodorowski D K: Christopher Doyle D D: Brontis Jodorowski

Endless Poetry Jodorowskis filmische Autobiografie

Nach über zwei Jahrzehnten Regieabstinenz veröffentlichte Alejandro Jodorowski 2013 das autobiografische Musical THE DANCE OF REALITY, das von seiner Kindheit unter einem Vater erzählt, dessen Ziel es war, alles Weiche im jungen Alejandro abzutöten, und der als kommunistischer Widerstandskämpfer gegen sich selbst ebenso hart war. ENDLESS POETRY schließt direkt an den Vorgängerfilm an, in dem die Familie schließlich ein Schiff nach Santiago de Chile besteigt. In Chile muss nun der Teenager Alejandro (gespielt vom jüngsten Sohn Adan) im Laden des Vaters (gespielt von Jodorowskis ältestem Sohn Brontis) arbeiten, während er sich auf eine Karriere als Jurist vorbereitet. Ganz und gar nicht passt dem Vater, dass der Junge seine Zukunft eher als Poet sieht, was in seinen Augen schon fast dem Kapitalverbrechen der Homosexualität gleichkommt. Dabei liebt Alejandro Männer nur als „Brüder in der Kunst“, während er sein sexuelles Interesse an Frauen ausführlich auslebt, nachdem er in einem wahren Befreiungsschlag den buchstäblichen „family tree“ abhackt und sich in das Milieu der Künstler und Poeten stürzt, um dort herauszufinden, wer er eigentlich wirklich ist. Dass dies oft hochdramatisch wird, ist klar. Aber in solchen Momenten kann der alte, echte Alejandro seinem jungen Ich Ratschläge geben. Ob es vermummte Bühnenarbeiter sind, die Requisiten anreichen, die Mutter ihren gesamten Text als Oper singt, oder emotionale Konflikte im Zirkus ausgetragen werden, jeder Moment in ENDLESS POETRY wird zu einem grellbunten Spektakel, in dem Spielfreude und Überschwang knistern und brennen, ohne dass es dabei vollends albern wird. Für den jungen Jodorowski bedeutete das Poet-Sein, die ganze Welt lieben zu können, und diese Liebe bietet ihm in seiner Sturm-und-Drang-Zeit einen Anker: Er kann Frieden mit seiner Vergangenheit schließen und vom Hafen zu einem weiteren Kapitel seines Lebens aufbrechen. D Christian Klose

Start am 19.7.2018 ¢ Wolf Kino

In the second part of his surreal and exuberant autobiography, Alejandro Jodorowsky depicts the young artist cutting ties with his father and him becoming a poet.

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INDIEKRITIKEN Originaltitel: Le Brio D Frankreich 2017 D 95 min D R: Yvan Attal D B: Victor Saint Macary, Yaël Langmann, Yvan Attal D K: Rémy Chevrin D S: Célia Lafite-Dupont D M: Michael Brook D D: Daniel Auteuil, Yasin Houicha, Camélia Jordana, Nozha Khouadra D V: SquareOne

Die brillante Mademoiselle Neïla

Israel/Deutschland/Frankreich 2017 D 114 min D R: Samuel Maoz D B: Samuel Maoz D K: Giora Bejach D M: Amit Poznansky, Lior Ashkenazi D D: Lior Ashkenazi, Dekel Adin, Sarah Adler, Yehuda Almagor D V: NFP

Foxtrot

Ein Schritt zur Seite, ein Schritt zurück

Funkelnde Dialoge

Es scheint kein französischer Film mehr ins Kino kommen zu können, ohne dass der deutsche Titel Madame, Monsieur oder Mademoiselle enthält. Das ist schade, denn damit werden alle möglichen Filme in den gleichen Komödientopf geworfen, den MONSIEUR CLAUDE eingerührt hat. LE BRIO zum Beispiel – was in etwa Witz im Sinne von Esprit und Brillanz heißt und der französische Titel von MADEMOISELLE NEÏLA ist – ist ein Film, der von seinen funkelnden Dialogen lebt und ein realistisches Setting bietet. Neïla (Camélia Jordana) ist Erstsemester-Studentin an der Pariser Assas Law School. Gleich zur ersten Vorlesung kommt sie zu spät und wird zur Zielscheibe des bissigen und ressentimentgeladenen Profs Pierre Mazard (Daniel Auteil). Neïla schlägt sich tapfer, innerlich kocht sie aber vor Wut und auf dem Weg nach Hause in die Banlieue verflucht sie sich, weil ihr kein besserer Konter eingefallen ist. Derweil bekommt Mazard Ärger, weil er sich einige rassistische Unterstellungen nicht verkneifen konnte, und im Internet ein Shit Storm zu brodeln beginnt. Die Lösung der Uni-Leitung: Mazard soll Neïla für den anstehenden Rhetorik-Wettbewerb coachen und damit das Image der Uni als migrantenfreundlicher Ort aufpolieren. Das Coaching beginnen beide mit wenig Enthusiasmus, da sie aber beide Freude an Sprache haben, klug und schlagfertig sind, beginnt das Training schnell Spaß zu machen. Yvan Attal konzentriert sich vor allem auf die Sprachduelle zwischen Neïla und Mazard. Ein bisschen bekommt man auch noch von Neïlas Familie in den Hochhausburgen von Creteil mit, wo auch gerne und lebhaft diskutiert wird, von Mazards Vorgeschichte dagegen erfahren wir nichts. Aber Daniel Auteil und Camélia Jordana spielen derartig präsent und dreidimensional, dass das auch gar nicht nötig ist. D Hendrike Bake

Start am 14.6.2018 ¢ Hackesche Höfe Kino

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The quick-witted student Neila and the self-righteous chauvinist professor Pierre Mazard butt heads during her first lecture. The university forces the professor to coach Neila for a rhetoric competition.

Es bedarf nicht vieler Worte, um den Figuren den Boden unter den Füßen weg- und den Zuschauer in die Geschichte hinein zu ziehen. Eine Landstraße irgendwo in der Wüste, die über die Leinwand rauscht. Eine Türklingel, zwei Soldaten in Uniform, eine Frau, die in Ohnmacht fällt. Wieder ist der Sohn einer Familie an der Front gestorben. Irgendwo im Niemandsland am Rande des Gaza-Streifens. Was folgt, ist Routine. Während seine Frau Daphne (Sarah Adler) mit einem Beruhigungsmittel für die nächsten vier Stunden ausgeschaltet ist, muss sich Michael Feldmann (Lior Ashkenazi) der Realität stellen. Das wird von ihm als Mann erwartet. Die Fakten, die Formalitäten, der Offizier, der die Beisetzung organisiert, die Verwandten, die sich in ihrer eigenen Trauer ergehen – und dazwischen immer wieder Wasser trinken, wenn der Handywecker brummt. Es ist erschreckend, aber traurige Realiät wie militärisch professionell diese Maschinerie funktioniert. Doch dann geschieht ein Fehler und das Konstrukt gerät ins Wanken. Samuel Maoz wechselt mehrfach die Tonalität seines zweiten Spielfilms. Trauer und Verarbeitung stehen im ersten Akt im Mittelpunkt. Dann bricht er die Handlung auf und schildert die absurde Situation an dem entlegenen Grenzposten, wo der Sohn stationiert war. Schließlich kehrt er in die Wohnung zurück und wechselt erneut die Zeit. Die Indizien dafür muss sich der Zuschauer selbst zusammensuchen. Doch die Aufmerksamkeit wird belohnt und die kunstvollen Bilder von Giora Bejach halten den Blick ebenso gefesselt wie Leistung von Charakterdarsteller Lior Ashkenazi, der gerade als Yitzhak Rabin in 7 TAGE IN ENTEBBE zu sehen war. Samuel Moaz hat als junger Mann 1982 im Libanon-Krieg gekämpft. Nachdem er die Erlebnisse in seinem Spielfilmdebüt LEBANON verarbeitete, der ihm 2009 den Goldenen Löwen in Venedig einbrachte, behandelt er hier erneut meisterhaft die schmerzhafte Sinnlosigkeit des Krieges. D Lars Tunçay Start am 12.7.2018 ¢ Spielorte und Termine der Juli-Filme findet ihr unter www.indiekino.de

The news of the death of their son Jonathan who was in the army plunges Tel Avivi architect Michael and his wife Dafna into a vortex of grief, disbelief – and unrestrained anger.

Termine unter www.indiekino.de


INDIEKRITIKEN Originaltitel: 12 jours D Frankreich 2017 D 87 min D R: Raymond Depardon D K: Raymond Depardon D S: Simon Jacquet D M: Alexandre Desplat D V: Grandfilm

12 Tage

Time Trial

Das Gefühl, eingeschlossen zu sein

David Millars letzte Saison

Die Anordnung ist immer gleich. Ein Richter oder eine Richterin auf der einen Seite, ein Mensch, der gegen seinen Willen in die Psychiatrie eingeliefert wurde, auf der anderen. Daneben Anwälte, die kurz etwas zum Verfahren sagen dürfen. Die Richter lesen in Krankenakten. Die Eingewiesenen starren auf die Richter. Die Rollen sind unklar. Es geht um eine Formalität. Der französische Staat hat festgelegt, dass innerhalb von 12 Tagen nach einer Zwangseinweisung die Betroffenen einem Richter vorgeführt werden müssen. Die Ärzte haben dann längst entschieden, wie es mit ihnen weitergeht. Die Richter überprüfen nur die Rechtmäßigkeit des Verfahrens. Die Betroffenen müssen trotzdem gehört werden. Der legendäre Dokumentarist Raymond Depardon hält zehn solcher Anhörungen fest, die nur wenige Minuten dauern, in denen wir Blickregimes, kollidierende Sprachen, starre Choreografien beobachten können, in denen individueller Ausdruck den Effekt einer Systemstörung hat. Der Film (Cannes Wettbewerb 2017) registriert das, verschafft aber den ins Leere laufenden Äußerungen der Eingewiesenen einen Spielraum, den sie immer wieder mit ihren eigenen Geschichten füllen. Die Richter versuchen beharrlich, sich nicht mit diesen Geschichten zu verknüpfen, schauen die Betroffenen nicht an, lesen ihnen medizinische Fachtexte vor, verstecken sich hinter ihrer Macht. „Wem nutzen Sie?“, fragt ein Eingewiesener. Die Richterin fällt kurz aus ihrer Rolle: „Niemandem!“ Und beide lachen, bevor die Zwangseinweisung verlängert wird. „Vielen Dank für den Machtmissbrauch – im Land der Menschenrechte!“ Zwischendurch fährt die Kamera durch Krankenhausgänge und kommt vor verschlossenen Türen zum Stehen. Sie erkundet das Gefühl, eingeschlossen zu sein. Alexandre Desplat steuert Filmmusik in Großbuchstaben bei. Der Film nimmt sich die Freiheit. D Jan Künemund

Start am 14.6.2018 ¢ b-ware!ladenkino, Brotfabrik Kino, fsk-Kino am Oranienplatz

Termine unter www.indiekino.de

Großbritannien 2017 D 82 min D R: Finlay Pretsell D B: Finlay Pretsell D S: Dino Jonsäter, Kieran Gosney D M: Dan Deacon D V: mindjazz pictures

12 days – that is the period in which a psychiatric patient must get a court hearing after a involuntary hospitalization in France. Photographer and director Raymon Depardon documented 10 cases.

Der schottische Radrennfahrer David Millar war einer der besten Zeitfahrer seiner Generation. Er war auch einer der Fahrer, die 2003 des Dopings überführt wurden. Millar wurde für zwei Jahre gesperrt, schaffte aber das Comeback mit einem neuen Team. 2014 sollte seine letzte Saison als professioneller Radrennfahrer werden, bei der ihn das Filmteam um Regisseur Finlay Pretsell begleiten sollte, möglichst bis zur der Schlussetappe der Tour de France auf die Champs Elysées. Der Regisseur war selbst einmal Amateur-Radrennfahrer und man sieht seinem Film die Liebe zum Sport an. Aber aus David Millars heroischem Schwanengesang bei der Tour de France wurde nichts: Das Team strich ihn vor der Tour aus dem Aufgebot. TIME TRIAL ist eine tragische Elegie geworden, nicht nur auf das einstige Idol David Millar, sondern auf den Radsport selbst. Millars Doping-Geschichte, sein Alkoholimus und sein Comeback werden en passant erwähnt. In TIME TRIAL geht es ums Radrennfahren: darum, was es bedeutet, nach Etappen von über 200km nicht einmal mehr sitzen zu können, wie es sich anfühlt, sich jeden Tag zu quälen, um sich am nächsten Tag weiterquälen zu dürfen. Die Sportaufnahmen sind von selten gesehener Perfektion und absolut mitreißend. Zu Beginn des Films ist alles Tempo: Bilder eines Zeitfahrens, in denen die Kamera zunächst perfekten Abstand zu einem Fahrer hält, während die Welt unscharf vorbei rast – bis das Kameramotorrad in einer Kurve nicht mehr mit der Geschwindigkeit des Radfahrers mithalten kann. Gegen Ende des Films, wenn Millar das 290km lange Eintagesrennen Mailand – San Remo in kaltem und verregnetem Wetter bestreitet und seine Finger so klamm werden, dass er die Regenjacke nicht im Fahren anziehen kann, wenn Millar schließlich vom Rad steigen muss, ist nicht nur in den Gesichtern seiner Betreuer zu sehen, dass dieser Moment das Ende einer Karriere markiert. D Tom Dorow

Start am 5.7.2018 ¢ Spielorte und Termine der Juli-Filme findet ihr unter www.indiekino.de

In his ocumentary Finlay Pretsell follows the final season of Scottish cycling pro David Millar.

JUNI/JULI 2018 D

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INDIEFEATURE

Der Kolonialbeamte Don Diego de Zama (Daniel Giménez Cacho) steht am Fluss und betrachtet das unspektakuläre Panorama. Als er sich umdreht, ist es, als würde ihn das Land auslachen. Er hört ein Kichern, kann es aber nicht verorten. Dann zeigt das Bild eine Gruppe nackter indigener Frauen, die sich vor dem Baden mit Schlamm einreiben, während sie Spanisch lernen. Zama beobachtet sie heimlich, bevor sie ihn entdecken und verspotten.

Verrottende Kolonialherrschaften

Zama Lucrecia Martels Verfilmung des gleichnamigen Romans des argentinischen Autors Antonio di Benedetto aus dem Jahr 1956 erzählt die Kolonialgeschichte Südamerikas in fast beiläufigen, fast surrealen Episoden, fast wie einen Fiebertraum, aber das langsame Verrotten des „Corregidors“ (Magistrats) Don Diego di Zama in der paraguayischen Provinz bleibt stets der Realität verhaftet. Zama will angeblich nach Hause, wo er Frau und D 44

D JUNI/JULI 2018

Kind hat. Er hofft auf eine Versetzung und eine Empfehlung des Gouverneurs, die immer wieder aufgeschoben wird. Zama hält das Land, das ihn umgibt für eine Zwischenstation, und versteht nicht, dass er auch deshalb nie eine Chance haben wird, seinen Posten zu verlassen, und dass alles, was er tut, ihn stärker bindet. Er versucht Geld zu verdienen, aber sein Partner stirbt an der Cholera. Er stellt der Tochter des Schatzmeisters nach, wohl mindestens so sehr aus erotischem Interesse, wie in der Hoffnung auf gesellschaftlichen Aufstieg und weil er glaubt, dass es von ihm erwartet wird. Dass ihm der Bordellbesitzer sagt, es sei ja bekannt, dass Don Diego di Zama nur weiße Frauen schätzt, hält Zama für ein Kompliment, statt für Spott, obwohl er einen Sohn mit einer indigenen Frau hat, und er jede Frau mit Blicken entkleidet. So auch die junge, vermutlich indigene Tochter einer Familie, die bei Zama mit dem Anspruch auf eine „Encomienda“ – die Anvertrauung von Landstücken mitsamt der darauf lebenden Bevölkerung an Kolonialisten – vorstellig wird. Das Land hat die Familie bereits, aber weil sie behauptet, alle feindseligen Indigenen vertrieben oder ermordet zu haben, benötigt sie 40 Sklaven. Zama verspricht sie ihnen, obwohl die Menschen erst noch versklavt werden müssen, und der Anspruch der Familie unter dem brutalen Gesetz zweifelhaft ist. Die Sklaverei ist in ZAMA allgegenwärtig, dabei bleiben die Sklaven fast immer stumm, nur in ihren Blicken spielt sich ein Drama ab, für das Zama selbst blind ist.


INDIEFEATURE

ZAMA ist ein tückischer Film, der kaum eine Geschichte erzählt, obwohl es schließlich eine Jagd auf einen mythischen Banditen gibt. Auf Festivals und unter Kritikern gefeiert, hat Martels Film in den USA wenig Liebe unter Zuschauern ausgelöst, denn einen typischen Spannungsbogen gibt es nicht. Der Film funktioniert ein wenig wie ein Witz, den man erst versteht, wenn alle schon gelacht haben, und ein wenig wie Zamas eigene Verblendung, die ihn irgendwann auch körperlich verstümmelt zurücklässt. Hier geschieht das Entscheidende immer am Rande, manchmal auch außerhalb des Bildfeldes, während die Kamera auf Zama konzentriert bleibt. Während der Film immer wieder den Anschein erweckt, sich für das Schicksal des Don Diego zu interessieren, verhandelt er tatsächlich eine stoische Geschichtsphilosophie. Der Abstieg und das langsame Verrotten des Kolonialbeamten ist eigentlich eine optimistische, fast komische Idee. Ein gefolterter Indigener, der schließlich von Zamas Konkurrenten Argentinien/Spanien/Frankreich/Holland/USA 2017 D 115 min D R: Lucrecia Martel ­ D B: Lucrecia Martel D K: Rui Poças D S: Karen Harley D D: Daniel Gimenez Cacho, Lola Dueñas, Juan Minujín, Rafael Spregelburd D V: Grandfilm

entlassen wird, erzählt statt eines Geständnisses eine Fabel von einem Fisch, den das Meer nicht in sich haben und ans Ufer werfen will, und der deshalb dauernd in Ufernähe hin und her schwimmen muss. Zama versteht nicht, dass er der Fisch ist, und die Fabel steht für ein wirkliches Geständnis: Sie ist ein Bekenntnis zu einem langen, beharrlichen Widerstand, der den Eindringling zu Tode ermüden wird. Der Romanautor Antonio di Benedetto wurde tatsächlich selbst vom faschistischen argentinischen Militärregime verhaftet und gefoltert. ZAMA hatte er aber schon zuvor geschrieben, als ahnte er, was kommen wird. Lucrecia Martels Film hält auch einige visuelle Instant-Belohnungen bereit, aber die volle Wucht des großartigen Werks offenbart sich erst im Nachhinein, wenn die flüchtigen Eindrücke allmählich ins Hirn sickern und sich eine Fülle von Motiven offenbart. D Tom Dorow

Start am 12.07.2018 ¢ Spielorte und Termine der Juli-Filme findet ihr unter www.indiekino.de

In 18th century South America an officer of the Spanish throne has been waiting for a promotion that would bring him to a better place for years. When it doesn‘t happen, he decides to become a rebel.

JUNI/JULI 2018 D

45 D


INDIEKRITIKEN Originaltitel: Candelaria D Deutschland/Argentinien/Norwegen/Kolumbien/Kuba 2017 D 87 min D R: Jhonny Hendrix Hinestroza D B: Maria Camila, Arias Abel Arcos Soto, Jhonny Hendrix Hinestroza, Carlos Quintela D K: Soledad Rodríguez D D: Manuel Viveros, Alden Knigth, Verónica Lynn, Philipp Hochmair D V: DCM

Candelaria

Großbritannien 2018 D 94 min D R: Oliver Parker D B: Aschlin Ditta D D: Rob Brydon, Rupert Graves, Jim Carter, Thomas Turgoose, Daniel Mays D V: Alamode Filmverleih

Swimming With Men

Galante Liebende

Schön auf dem Teppich

Candela singt nachts in einem Club, tagsüber arbeitet sie als Wäscherin. Victor Hugo ist Vorleser in einer Zigarrenfabrik und schmuggelt gelegentlich Zigarren heraus, die er an seinen Freund Manuel verkauft. Mitte der 90er Jahre in Kuba sind die Zeiten hart, die Unterstützung durch kommunistische Länder bleibt seit dem Mauerfall aus, die US-Sanktionen isolieren das Land und die Regierung spricht von einer „Sonderperiode in Friedenszeiten“. Candela und Victor Hugo, seit Jahrzehnten ein Paar und älter als die kubanische Revolution, haben meistens nur Karottenbrei zum Essen, selbst die Ärztin sagt, sie würden zu dünn. Dann findet Candela eine Videokamera in einem Wäschekorb, nimmt sie mit nach Hause, und neue Möglichkeiten beginnen sich zu eröffnen. Der Blick durch die Kamera bereitet beiden Vergnügen, sie sehen sich endlich wieder gegenseitig an. Regisseur Jhonny Hendrix Hinestroza verwendet viel Zeit darauf, die Beziehung der beiden alten Liebenden zu erklären: Sie beruht auf einem charmanten spielerischen Witz, den beide beherrschen, und der Freude, galante Situationen zu erfinden, die an die verliebt-melancholischen Songs, die Candela mit ihrer Band singt, erinnern. Der Kamerablick entflammt ihre spielerische Liebe auch in erotischer Hinsicht wieder, und ausgerechnet das eröffnet auch ökonomische Perspektiven, so dass plötzlich Reis mit Schweinefleisch und Salsa auf dem Tisch steht. CANDELARIA ist auch ein Porträt von Kuba in der, seit 2012 weitgehend überwundenen, „Sonderperiode“. Candela und Victor Hugo haben fast ihr gesamtes Hab und Gut auf dem Schwarzmarkt verkauft, ein Abendessen ist die festliche Belohnung, wenn eines der letzten Stücke verkauft wird. Vor allem aber ist es eine zärtliche Geschichte über ein Wiederaufflammen der Liebe dadurch, dass sich zwei wieder in die Augen blicken. D Hannes Stein

Eric Scott (Rob Brydon) arbeitet als Buchhalter. Den ganzen Tag ist er umgeben von Zahlen und Grafiken. Abends geht Eric schwimmen. Wenn er ins Becken eintaucht, dann gerät seine würfelförmige Existenz aus der Fasson, und die Geradlinigkeit seines Lebens beginnt wortwörtlich zu zerfließen: Die Wellen, die Eric verursacht, machen aus dem rechtwinkligen Gitternetz der Schwimmbadkacheln Sinuskurven. Neben Eric dreht Abend für Abend ein Männer-Synchronschwimm-Team seine Kreise, oder versucht es zumindest. Nicht nur sind die sehr unterschiedlich gebauten Kerle nicht sehr begabt – sie sind auch nur zu siebt, so dass symmetrische Figuren immer aus der Form geraten. Als Eric den Jungs später in der Umkleide ihr mathematisches Dilemma erklärt, rekrutieren sie ihn als Mitglied ihres Clubs, dessen Motto ist: „Synchronschwimmen gegen die Bedeutungslosigkeit des Lebens“. SWIMMING WITH MEN ist eine rundum freundliche britische Komödie. Oliver Parker porträtiert die ebenso skurrile wie solidarische Männergruppe, die ein bisschen an die FULL MONTY-Crew erinnert, mit Liebe und Humor, nimmt aber auch das Synchronschwimmen ernst. Der Cast schwimmt selbst, und die Szenen beim Training zeigen nicht nur Geblödel und Gerempel, sondern tatsächlich auch, wie die eleganten Muster unter Wasser in mühevoller Arbeit gebaut werden. Das ist alles so sympathisch, dass es wenig stört, dass der Handlungsbogen von SWIMMING WITH MEN in gewohnten Bahnen verläuft: Am Anfang stehen eine zerrüttete Ehe und eine Sinnkrise, dann bieten das neue Hobby und die Aussicht auf eine Teilnahme an den Weltmeisterschaften im Männersynchronschwimmen neue Perspektiven. Für Erics Frau und Sohn interessiert sich SWIMMING dabei nicht die Bohne, dafür umso mehr für die Freundschaft unter den Männern, und trotz Happy End bleiben alle schön auf dem Teppich. D Hendrike Bake

Start am 5.7.2018 ¢ Spielorte und Termine der Juli-Filme findet ihr unter www.indiekino.de

Cuba in the 1990s. Even though Candelaria and Victor Hugo are already over 70, they still have to work hard in order to survive. Romance has fallen by the wayside – until they come across a video camera by chance.

Start am 7.6.2018 ¢ b-ware!ladenkino*, Hackesche Höfe Kino, Union Filmtheater*

Accountant Eric Scott becomes part of a surreal male synchronised swimming group by accident. Their motto is: “synchronized swimming against the meaninglessness of life.”

* ab Mitte Juni

D 46

D JUNI/JULI 2018

Termine unter www.indiekino.de


INDIEKRITIKEN Originaltitel: Woman Walks Ahead D USA 2018 D 111 min D R: Susanna White D D: Jessica Chastain, Michael Greyeyes, Sam Rockwell

Die Frau, die vorausgeht Komplexes Porträt

Termine unter www.indiekino.de

Marvin Identitätsfindung

1890 reist die Malerin Catherine Weldon nach Standing Rock, South Dakota, um ein Porträt des Lakota-Sioux Häuptlings Sitting Bull zu malen. Weldon gerät mitten ins Herz der Finsternis, in eine Situation, in der die US-Regierung die endgültige Vernichtung des Widerstandes der Allianz von Lakota, Cheyenne, Blackfeet und Arapaho plant, die von Sitting Bull angeführt wird. Catherine Weldon war eine historische Person, die tatsächlich als Privatsekretärin Sitting Bulls und Aktivistin der National Indian Defense Association agierte. DIE FRAU, DIE VORAUSGEHT schildert eine komplexe Konfliktlage, in der auch gute Absichten und strategische Entscheidungen im Widerspruch zu einander stehen. Catherine Weldon (Jessica Chastain) wird schon auf der Reise von Colonel Groves (Sam Rockwell) geraten, sofort wieder umzukehren, und noch auf dem improvisierten Bahnsteig wird sie von einem Siedler angespuckt. Die Durchsetzung des „General Allotment Acts“ von 1887, der das Reservatsland aufspalten und um zwei Drittel verkleinern, den Zusammenhalt und die Kultur der Native American Nations zerschlagen soll, steht vor der Tür. Es gibt Ressentiments in der Armee, die auf Rache für die Niederlage der 7. Armee am Little Big Horn sinnt. In den Reservaten breitet sich zudem die tragische „Ghost Dance“-Bewegung aus. In dieser komplexen Gemengelage befreundet sich Weldon mit Sitting Bull, den Michael Greyeyes mit Charme, Witz und Autorität spielt. Der Film, unter der Regie von Susanna White, die zuvor vor allem große TV-Produktionen inszenierte, und nach einem Drehbuch von Stephen Knight (NO TURNING BACK), ist auch ein Kommentar zu aktuellen Themen wie dem Widerstand gegen die Dakota Access Pipeline in Standing Rock, vor allem aber zeigt er ein ehrliches Bild eines der furchtbarsten Verbrechen der US-Geschichte. Es ist keine Geschichte, bis es vorbei ist, sagt Colonel Groves einmal. D Tom Dorow

Start am 5.7.2018 ¢ Spielorte und Termine der Juli-Filme findet ihr unter www.indiekino.de

Frankreich 2017 D 115 min D R: Anne Fontaine D B: Anne Fontaine, Pierre Trividic D K: Yves Angelo D S: Annette Dutertre D D: Finnegan Oldfield, Catherine Mouchet, Grégory Gadebois, Catherine Salée D V: Edition Salzgeber

In 1890 Catherine Weldon wants to paint the portrait of Lakota-Sioux-Chief Sitting Bull, just when the government is about to pass the infamous „General Allotment Acts“ and the army contemplates revenge for their defeat at Little Big Horn.

Der Unterdücker gibt dem Unterdrückten seine Identität, heißt es einmal in MARVIN, dem neuen Film der französischen Regisseurin Anne Fontaine (COCO CHANEL). Was das konkret für die schwule Hauptfigur Marvin Bijoux bedeutet, erfahren wir in Rückblenden. Das Wort „pédé“ (Schwuchtel) liest Marvin als Kind in einer Kleinstadt an der Bushaltestelle. In der Schule wird er bedrängt, beleidigt und sexuell angegriffen, was der Junge erst noch als erotische Fantasie umdeutet, bevor er als Erwachsener später in Paris selbst über Schwule schimpft. Unterdrücker sind nicht nur Mitschüler, sondern auch die Familie: Arbeiter aus dem Klischeehandbuch, bei denen das Bier fließt und Fritteuse und Fernseher nie stillstehen. Marvin legt später in der Großstadt mit seiner Herkunft seinen Namen ab und verarbeitet sein Coming Out als Tanzstück. Dachterrassenparties, Austern und die Schauspielerin Isabelle Huppert (gespielt von Isabelle Huppert) bilden Eckpfeiler seines neuen Lebens. Sein schwuler Lehrer Abel wird Marvins Vertrauter. Fast könnte man denken, Anne Fontaine hätte Didier Eribons RÜCKKEHR NACH REIMS verfilmt, nur geht hier es weniger um eine Klassenanalyse und mehr um die Wandlung einer Figur, die sich später Martin Clement nennen wird. Kameramann Yves Angelo fängt den jungen Marvin oft beim Schauen ins Ungewisse ein. Jules Poriers subtiles Spiel eines Kindes, das die Welt noch so wenig versteht wie sein eigenes Begehren oder den Hass der anderen ist phänomenal. Ungekünstelt und berührend trägt er die Rückblenden eines Films, der eine klare Geschichte, einige starke Frauenfiguren, aber auch einige Holzschnitte in puncto Milieus zu bieten hat. Auch wenn es, vor allem in der Jetzt-Erzählung, öfter mal im dramaturgischen Getriebe knarrt, ist MARVIN doch ein spannender Film geworden über Identitätsfindung fernab aller Unterdrücker. D Toby Ashraf

Start am 5.7.2018 ¢ Spielorte und Termine der Juli-Filme findet ihr unter www.indiekino.de

MARVIN is set in two intertwined time periods and is about Marvin Bijoux who grows up in a rough environment of a working-class family in southern France and tries to realize his dream of doing theatre in Paris when he’s in his early twenties.

JUNI/JULI 2018 D

47 D


INDIEKRITIKEN

Animerama

Overboard

Im Juni kommt die Animerama-Trilogie, deren drei Produktionen 1001 NACHT, CLEOPATRA und BELLADONNA OF SADNESS zwischen 1969 und 1973 entstanden, als Wiederaufführung ins Kino. Die Serie wurde vom Meister-Manga-Zeichner Osamu Tezuka (Astro Boy, Kirihitu) ins Leben gerufen und verband erotische Animationen für Erwachsene und exotische Locations wie Ägypten und das europäische Mittelalter mit experimenteller Trickfilmtechnik und modernen Elektroscores. Top Spätfilme auf der Grenze zwischen Exploitation und Avantgarde also.

Kate ist Mutter dreier Kinder und arbeitet in zwei Jobs, um die Familie durchzubringen. Einer davon ist als Putzkraft auf der Yacht des verwöhnten Billionaires Leonardo. Erst behandelt er sie wie Dreck, dann feuert er sie wegen einer Nichtigkeit, dann fällt er unglücklicherweise über Bord und verliert das Gedächtnis. Kate sieht ihre Chance für Rache gekommen: Sie erzählt ihm, er sei ihr Ehemann und ein Ex-Alkoholiker und lässt ihn unter strenger Kontrolle die Hausarbeit machen. Gendertausch-Remake der 1987er Goldie Hawn-Kurt Russel-Komödie.

Start am 7.6.2018 ¢ Brotfabrik Kino, Sputnik Kino

Originaltitel: A Thousand and One Nights/ Cleopatra/Belladonna of Sadness D Japan 1969-1973 D 128/112/86 min D R: Osamu Tezuka, Eiichi Yamamoto

Start am 14.6.2018 ¢ Union Filmtheater

USA 2018 D 112 min D R: Bob Fisher, Rob Greenberg D D: Anna Faris, Eugenio Derbez, Eva Longoria, John Hannah

Die Wunderübung

Nicht ohne Eltern

Eine Paartherapie-Sitzung in Echtzeit. Valentin Dorek und seine Frau Joana – Devid Striesow und Aglaia Szyszkowitz – haben sichtlich jahrelange Routine im Umgang miteinander. Die negativen Vibes sind ihr Lebenselixier, ihre Strategien feindseliger Kommentare und schnellen Rückzugs haben sie bis zur Perfektion verfeinert, spitze Bemerkungen fallen scharfzüngig, rhetorisch ausgefeilt, und sie treffen immer ins Ziel. Den beiden gegenüber: Harald, der Therapeut. Regie führt Michael Kreihsl, der bereits die Theaterfassung des gleichnamigen Romans inszenierte.

Vor der Haustür des älteren französischen Ehepaars Prioux steht plötzlich ein mitteljunger Mann, der Patrick heißt, sich aber „Momo“ nennt, und behauptet, deren Sohn zu sein. Allerdings wissen die angeblichen Eltern genau, dass sie nie Kinder hatten. Oder könnte da doch etwas gewesen sein? Bald sitzt Momo am „elterlichen“ Abendbrottisch, lässt es sich gut gehen und plant ein Treffen seiner Eltern mit seiner Braut. Französische Komödie mit Christian Clavert (MONSIEUR CLAUDE).

Start am 24.6.2018 ¢ Union Filmtheater, ab 5.7.

D 48

D JUNI/JULI 2018

Österreich 2018 D R: Michael Kreihsl D D: Devid Striesow, Aglaia Szyszkowitz, Erwin Steinhauer

Start am 21.6.2018 ¢ filmkunst66

Originaltitel: Momo D Frankreich 2017 D 85 min D R: Vincent Lobelle, Sébastien Thiery D D: Christian Clavier, Sébastien Thiery, Albert Jeunehomme, Catherine Frot, Pascale Arbillot

Termine unter www.indiekino.de


Mamma Mia! Here We Go Again Es ist ABBA Comeback-Jahr. Die Band hat zwei neue Songs aufgenommen, die im Dezember, gesungen von ABBA-Hologrammen, auf Tour gehen sollen, und die Verfilmung des ABBA-Musicsla MAMMA MIA! erhält einen zweiten Teil mit dem hübsch passenden Titel HERE WE GO AGAIN. Diesmal ist Sophie schwanger und ihre Mutter und Tanten erzählen mit Hilfe von ABBA Songs von ihren wilden Jugendjahren. Der alte Cast – Amanda Seyfried, Meryl Streep, Pierce Brosnan, Colin Firth, Stellan Skarsgard – ist wieder dabei, und Cher tritt als Sophies Großmutter auf. Start am 19.7.2018 ¢ Spielorte und Termine der Juli-Filme findet ihr unter www.indiekino.de

USA 2018 D R: Ol Parker D D: Meryl Streep, Pierce Brosnan, Colin Firth, Lily James, Julie Walters

GESICHTER

EINER

REISE

OSCAR ®  NOMINIERUNG

2018

Gute Manieren Ein bisschen erinnert GUTE MANIEREN in seiner Mischung aus Arthouse und Horror an den atmosphärischen schwedischen Kinder-Vampirfilm LET THE RIGHT ONE IN. Der Anfang dreht sich um die Freundschaft zwischen Ana und ihrem Kindermädchen aus den Favelas, Clara. Als Ana in einer Vollmondnacht bei der Geburt eines offenbar übernatürlichen Kindes stirbt, nimmt sich Clara dessen an. Sieben Jahre später treffen wir sie erneut: Aus Joel ist ein wohlerzogenes Kind geworden, er muss aber strikt vegetarisch essen und darf bei Vollmond nicht raus … Start am 26.7.2018 ¢ Spielorte und Termine der Juli-Filme findet ihr unter www.indiekino.de

Termine unter www.indiekino.de

Originaltitel: As Boas Maneiras D Frankreich/Brasilien 2017 D 135 min D R: Marco Dutra, Juliana Rojas D D: Isabél Zuaa, Marjorie Estiano, Miguel Lobo, Cida Moreira

AB 31. MAI IM KINO

/AUGENBLICKE.DERFILM


WEITERINDIEKINO

In den Gängen

Isle of Dogs – Ataris Reise

Christian (Franz Rogowski), der Erzähler des Films, hat gerade einen Job in einem Großsupermarkt begonnen. Seine Verschlossenheit, martialische Tattoos auf dem ganzen Körper und der erste Absturz in einer Kneipe lassen auf eine Vorgeschichte schließen, in der Christian am Abgrund tanzte. Kollegin Marion (Sandra Hüller) gibt sich anfangs keck und flirtend. Später schwankt ihre Stimmung genau wie ihre Präsenz im Markt, und wir lernen, dass sie verheiratet ist. Und dann ist da noch Bruno (Peter Kurth), der gute Kollege, der Christian einarbeitet.

Auf den ersten Blick wirkt Wes Andersons neuer Animationsfilm über eine Gang von Hunden, die vom Hundehasser Mayor Kobayashi auf die Abfallinsel „Trash Island“ der japanischen Metropole Megasaki verbannt wurden und nun zusammen mit dem 12-jährigen Atari und einer amerikanischen Austauschschülerin versuchen, die Hunde der Insel zu retten, vor allem wie eine geniale Spielerei. Auf den zweiten Blick feiert ISLE OF DOGS eine liberale, freundliche, demokratische und Komfort liebende Männlichkeit, die in Zeiten von Trump, Erdogan und Putin fast schon etwas Revolutionäres hat.

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3 Tage in Quiberon ¢ b-ware!ladenkino, Bundesplatz Kino, City Kino Wedding, Hackesche Höfe Kino, Union Filmtheater

7 Tage in Entebbe ¢ b-ware!ladenkino, Hackesche Höfe Kino

Arrhytmia ¢ Krokodil

Arthur und Claire ¢ Sputnik Kino

Die Augen des Weges ¢ b-ware!ladenkino, Bali Kino, Brotfabrik Kino

Aus dem Nichts ¢ Union Filmtheater

A Beautiful Day ¢ b-ware!ladenkino, City Kino Wedding, Hackesche Höfe Kino

Deutschland 2018 D 125 min D R: Thomas Stuber D D: Franz Rogowski, Sandra Hüller, Peter Kurth, Andreas Leupold

Dance Fight Love Die – With Mikis on the Road ¢ Brotfabrik Kino

Deadpool 2 ¢ b-ware!ladenkino, Union Filmtheater

The Death of Stalin ¢ Hackesche Höfe Kino

Dirty Dancing ¢ Union Filmtheater

¢ City Kino Wedding, Filmrauschpalast

D 50

D JUNI/JULI 2018

Hidden Figures

Lucky

¢ Bali Kino

¢ Acud Kino

Der Himmel über Berlin

Madame Aurora und der Duft von Frühling

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Jane ¢ Bali Kino

¢ Union Filmtheater

Frank Zappa – Eat that Question

La Boum

Die Grundschullehrerin ¢ Bali Kino

¢ Union Filmtheater

La La Land ¢ Union Filmtheater

Lady Bird

¢ Bali Kino

Das Mädchen aus dem Norden ¢ Bali Kino

Mein Leben -– Ein Tanz ¢ Bali Kino, Union Filmtheater

Meister der Träume ¢ Bali Kino

Moonlight ¢ Union Filmtheater

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Nach einer wahren Geschichte

¢ Union Filmtheater

Ein Leben

The Happy Prince

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The Cleaners

¢ Union Filmtheater

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Haialarm am Müggelsee

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Loving Vincent

¢ Hackesche Höfe Kino

The King – Mit Elvis durch Amerika

¢ Union Filmtheater

Originaltitel: Isle of Dogs D USA 2018 D 101 min D R: Wes Anderson D D: Bryan Cranston, Edward Norton, Scarlett Johansson, Jeff Goldblum, Tilda Swinton, Greta Gerwig, Liev Schreiber, Frances McDormand, Bill Murray, Harvey Keitel

Herrliche Zeiten

Eldorado

Der Buchladen der Florence Green Call Me By Your Name

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¢ b-ware!ladenkino, Xenon Kino

Hellraiser: Das Tor zur Hölle ¢ Filmrauschpalast

Onkel Wanja

Der letzte Dalai Lama?

¢ Bali Kino

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Die Pariserin – Auftrag Baskenland

Loveless

¢ Bali Kino

¢ Bali Kino, Krokodil


Maria by Callas Vor vierzig Jahren verstummte eine der größten Stimmen des Zwanzigsten Jahrhunderts. Regisseur Tom Volf widmet der einzigartigen Diva mit MARIA BY CALLAS ein intimes Porträt. Volf verwendet viele Aufzeichnungen ihrer Darbietungen und zitiert vor allem aus persönlichen Briefen (im französischen Original gelesen von Fanny Ardant) der Künstlerin. Er verzichtet auf Dritte, die ihre Begeisterung für „die Callas“ in die Kamera sprechen. Dadurch fehlt seinem Dokumentarfilm zwar die Außenperspektive, man kommt Maria Callas dabei aber schmerzhaft nahe.

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Frankreich 2017 D 113 min D R: Tom Volf

Pina

Taste of Cement

¢ Bali Kino

¢ Acud Kino, Hackesche Höfe Kino, Union Filmtheater

Ready Player One ¢ Union Filmtheater

Reggae Boyz ¢ Union Filmtheater

Rhinland. Fontane ¢ Krokodil

Roman J. Israel Esquire ¢ Union Filmtheater

Die Sanfte

Three Billboards outside Ebbing, Missouri ¢ b-ware!ladenkino, Union Filmtheater

Die Tochter ¢ Sputnik Kino

Transit ¢ Acud Kino, b-ware!ladenkino, Hackesche Höfe Kino

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Die Verlegerin

Schatzkammer Berlin ¢ Bundesplatz Kino

Vom Bauen der Zukunft – 100 Jahre Bauhaus

Shine a Light

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¢ Union Filmtheater

Solange ich atme ¢ Union Filmtheater

Solo – A Star Wars Story ¢ b-ware!ladenkino, Union Filmtheater

¢ Bali Kino

Was werden die Leute sagen ¢ Acud Kino, Il Kino

Weit. Die Geschichte von einem Weg um die Welt

System Error

¢ Acud Kino, Union Filmtheater

¢ Acud Kino, b-ware!ladenkino

Zud ¢ Krokodil

Termine unter www.indiekino.de

Love, Cecil

Das Leben des legendären Fotografen Cecil Beaton

AB 12. JULI IM KINO


INDIEKINDER

KinderfilmE A–Z

Early man

Der fantastische Mr. Fox Wes Anderson hat ein Kinderbuch von Roald Dahl verfilmt: Mr. Fox, der ein bisschen eitel ist, hat beschlossen, dass es schicker ist, auf einem Baumhaus als in einem Fuchsbau zu leben. Der Ausblick von dort oben auf die Höfe der Bauern Grob, Grimm und Gräulich erinnert ihn an die gute alte Zeit, als er noch ein großer Jäger war, und er beginnt, die Bauern zu bestehlen. Die setzen alles daran, ihn zu fangen, und so müssen Mr. Fox und seine vielen Freunde sich einen cleveren Plan einfallen lassen.

¢ City Kino Wedding

USA 2009 D R: Wes Anderson D 88 min, FSK: 6

¢ b-ware!ladenkino

Jim Knopf und die wilde 13 ¢ Sputnik Kino

Erich Kästner: Pünktchen und Anton ¢ Sputnik Kino

Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer ¢ Acud Kino, b-ware!ladenkino, Bundesplatz Kino, Il Kino, Union Filmtheater

Erich Kästner: Das doppelte Lottchen ¢ Sputnik Kino

Kinderfilm des Monats Juni: Carlitos groSSer Traum ¢ Bali Kino, Bundesplatz Kino. Eva Lichtspiele, Kino Intimes, Sputnik Kino, Union Filmtheater, Xenon Kino Alle Termine unter kinderkinobuero.de Vorbestellungen unter 030/235 562 51

Liliane Susewind – Ein tierisches Abenteuer

Ferien auf Saltkrokan ¢ Bali Kino

Liliane Susewind ist 11 Jahre alt – und sie kann mit Tieren sprechen! Aber das erzählt sie nicht mehr jedem, weil es schon öfter Ärger gegeben hat. Zuletzt musste die Familie umziehen, weil ein Stadtfest vollkommen außer Kontrolle geraten ist. In der neuen Stadt ist Liliane, die alle nur Lilli nennen, am liebsten im Zoo. Als das Elefantenbaby Ronni von einem fiesen Tierdieb geklaut wird, verbündet sie sich mit dem Nachbarsjungen Jess und macht sich an die Verfolgung des Bösewichts.

Kindheit ¢ Il Kino

Der kleine Maulwurf ¢ b-ware!ladenkino, Bali Kino

¢ b-ware!ladenkino, Bali Kino, Eva-Lichtspiele

D 52

D JUNI/JULI 2018

Deutschland 2018 D R: Joachim Masannek D 102 min, FSK: oA

Heidi ¢ Bali Kino


INDIEKINDER

Königin von Niendorf ¢ Bali Kino

Papa Moll und die Entführung des fliegenden Hundes ¢ filmkunst66

Luis und die Aliens ¢ b-ware!ladenkino, Sputnik Kino, Union Filmtheater

Pippi Langstrumpf ¢ Bali Kino

Britfilms Schulfilmfestival Jedes Jahr holt das BRITFILMS Schulfilmfestival englischsprachige Filme nach Berlin. Vom 11. bis 15.6. können Schulklassen Vorführungen im Acud Kino und im fsk-Kino buchen. Das Programm reicht von der freundlichen Roald Dahl-Verfilmung BFG: BIG FRIENDLY GIANT, die auch für Sprachanfänger und -anfängerinnen geeignet ist, bis zu I, DANIEL BLAKE, in dem Ken Loach das britische Sozialsystem anprangert. Mit MAHANA – EINE MAORI-SAGA und der Coming-of-Age-Komödie THE PERKS OF BEING A WALLFLOWER sind auch die USA und Australien mit Filmen vertreten. Mehr Infos unter: www.britfilms.de. Vorstellungen können direkt in den Kinos gebucht werden. ¢ Acud Kino, fsk-Kino am Oranienplatz

Kinderkino im INDIEKINO Matti und Sami und die drei groSSen Fehler des Universums ¢ b-ware!ladenkino, Bali Kino, Sputnik Kino, Union Filmtheater, am 9.6. um 15.30 Uhr mit Regisseur Stefan Westerwelle

Acud Kino

Sherlock Gnomes ¢ b-ware!ladenkino, Union Filmtheater

Sa+So auch 15+16 Uhr b-ware! ladenkino

Mein Freund, die Giraffe ¢ Acud Kino

¢ Bali Kino, Eva Lichtspiele, Kino Intimes, Union Filmtheater, Xenon Kino alle Termine unter spatzenkino.de, Vorbestellungen unter 030/449 47 50

täglich ab 12 Uhr

Bali Kino

DO, FR, SA, SO 16 Uhr

Bundesplatz Kino

DO, FR, SA, SO 13.30 Uhr

Eva-Lichtspiele

Spatzenkino im Juni: Plitschplatsch

Täglich 17 Uhr

DO, FSA, SO 13.15 Uhr

R,

filmkunst66

DO, FR, SA, SO 15 Uhr

Il kino

DO, FR, SA, SO Sa 14 Uhr/So 12 Uhr

kino intimes

DO, FR, SA, SO

KLICK kino

DO, FR, SA, SO

Sputnik Kino

DO, FR, SA, SO

Tilsiter Lichtspiele DO, FR, SA, SO wechselnde Zeiten Union Filmtheater

DO, Täglich 15 Uhr

Sa+So 13 Uhr WOLF Kino

DSA, SO

Xenon Kino wechselnde Termine

Meine teuflisch gute Freundin ¢ Union Filmtheater

Termine unter www.indiekino.de

Zwei Freunde und ihr Dachs

Eine aktuelle ­Programmübersicht über alle KinderfilmTermine finden Sie auf www.indiekino.de

¢ Acud Kino, b-ware!ladenkino, Union Filmtheater

JUNI/JULI 2018 D

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INDIEKINOHIGHLIGHTS

BUNDESPLATZ-KINO RETROSPEKTIVE JEANINE MEERAPFEL D 54

D JUNI/JULI 2018

Im Juni geht die Retrospektive mit Filmen von Jeanine Meerapfel weiter. Besonders hinweisen möchten wir auf den Abschlussfilm DER DEUTSCHE FREUND, der am 14.6. gezeigt wird, und erneut Meerapfels Herzensthemen aufgreift: Sulamit, Tochter jüdischer Emigranten aus Deutschland, wächst im Buenos Aires der 50er Jahre auf. In unmittelbarer Nachbarschaft leben hier Juden und Nazis, aus Europa geflohen, mit einer


Der deutsche Freund

gemeinsamen Herkunft, die sie in der Fremde erneut zusammenwirft. Eines Tages lernt die 16-jährige Sulamit den Deutschen Friedrich kennen, der mit seiner Familie direkt im Haus gegenüber wohnt. Eine Jahrzehnte und Länder umspannende Liebesgeschichte beginnt, geprägt von politischen Umwälzungen durch die Studentenbewegung von ’68 und später der Militärdiktatur in Argentinien.

Des Weiteren sind im Juni zu sehen AMIGOMIO (1993) über einen Vater und Sohn, die vor der Militärdiktatur fliehen, der Dokumentarfilm IM LAND MEINER ELTERN (1981), in dem Meerapfel jüdische Berliner*innen interviewt, und die Liebesgeschichte ANNAS SOMMER (2001).  3.6. um 18 Uhr AMIGOMÍO  6.6. um 18 Uhr IM LAND MEINER ELTERN  10.6. um 18 Uhr ANNAS SOMMER  14.6. um 20.30 Uhr DER DEUTSCHE FREUND

JUNI/JULI 2018 D

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INDIEKINOHIGHLIGHTS

CITY KINO WEDDING, FILMKUNST66, IL KINO, FSK-KINO JÜDISCHES FILMFEST BERLIN Holy Air

Das 24. Jüdische Filmfest Berlin findet vom 26. Juni bis 5. Juli unter dem Motto „No Fake Jews“ statt. Ein Schwerpunkt liegt in diesem Jahr, dem 70. Jubiläum der Staatsgründung von 1948, auf Filmen aus Israel. Zu den Höhepunkten zählt der Dokumentarfilm KISHON (Israel, 2017, R: Eliav Lilti), über den Satiriker und Holocaust-Überlebenden Ephraim Kishon, dessen Bücher sich im deutschsprachigen Raum 43 Millionen Mal verkauft haben. RITES OF PASSAGE (Israel 1999, R: Paula Weiman-Kelman) ist ein Porträt der israelischen Anglizistin, Feministin und Friedensaktivistin Alice Shalvi. Der Dokumentarfilm IN HER FOOTSTEPS (Israel 2017) von der beduinisch-israelischen Regisseurin Rana Abu Fraiha erzählt die Geschichte ihrer Familie, die halsüberkopf ihr Beduinendorf verlassen hatte, und in die nahegelegene jüdische Kleinstadt Omer gezogen war, weil Fraihas Mutter wollte, dass ihre Tochter in einer Gesellschaft aufwächst, in der Frauen und Männer gleichberechtigt sind. Als

die Mutter stirbt, hat die Familie ein Problem: In Omer gibt es nur einen jüdischen Friedhof. Eine Sonderreihe ist der Schauspielerin und Wissenschaftlerin Hedy Lamarr gewidmet, die als Hedwig Kiesler in Österreich geboren wurde und ihre Schauspielkarriere in den frühen 30er Jahren in Deutschland begann. Nach der Emigration in die USA wurde Hedy Lamarr zum Hollywoodstar. Der Dokumentarfilm BOMBSHELL – THE HEDY LAMARR STORY ist aber auch eine Würdigung ihrer Leistung als Wissenschaftlerin. Lamarr erfand ein Fernmeldesystem, das die Basis heutiger sicherer W-LAN, GPS- und Bluetooth-Verbindungen bildet. Als Spielorte des JFFB sind bisher das City Kino Wedding, filmkunst66, Il Kino, fsk-Kino, das Filmmuseum Potsdam, das Delphi Lux und das Theater Brandenburg bekannt. jffb.de  26.6.–5.7.

The Rocky Horror Picture Show

Damals

Klick Kino KLICK-O-TONART SPEZIAL

EVA-LICHTSPIELE DER ALTE DEUTSCHE FILM

Das Klick setzt sein Sonder-Exil-Programm im Theater-O-TonArt fort. Am 2.6. um 11 Uhr findet begleitend zur Ausstellung MICHELANGELO PISTOLETTO im Italienischen Kulturinstitut eine Matineevorstellung des gleichnamigen Dokumentarfilms von Daniele Segre mit Gästen und Gespräch statt. Am 14.6. um 20 Uhr lädt die Reihe KLICKlassico zu einer Vorführung von Vittorio de Sicas HOCHZEIT AUF ITALIENISCH (MATRIMONIO ALL’ ITALIANA, 1965) ein, in dem Sophia Loren die ehemalige Hure Filumena spielt, die ihren jangjährigen Liebhaber (Marcello Mastroianni) zur Ehe bewegen will. Am 15.6. um 22 Uhr gibt es eine bewährte Spätfilm-und-Theater-Kombi: Die ROCKY HORROR PICTURE SHOW mit Live Performance. Immer wieder schön.

Immer mittwochs um 15.45 Uhr zeigen die Eva-Lichtspiele deutsche Filme der 20er-50er Jahre. Vor jedem Film gibt Kurator Martin Erlenmaier eine Einleitung. Im Juni läuft Rolf Hansens Melodram DAMALS (1942/43), in dem Zarah Leander als Nachtclubsängerin durch Spanien tingelt und unter Mordverdacht gerät. Hans Albers ist EIN GEWISSER HERR GRAN (1933) und muss als Geheimagent in Venedig geraubte Papiere wiederbeschaffen. Im mit dem deutschen Filmpreis 1959 ausgezeichneten HELDEN hat Franz Peter Wirth George Bernard Shaws Satire „Arms and the Man“ verfilmt und in Carl Lamacs leichter Komödie DER SCHÜCHTERNE CASANOVA (1935/36) dekorieren Paul Kemp und Fita Benkhoff als Kaufhausangestellte zusammen eine Hochzeitstorte …  immer mittwochs um 15.45 Uhr: 6.6.DAMALS  13.6. EIN GEWISSER HERR GRAN  20.6. HELDEN  27.6. DER SCHÜCHTERNE CASANOVA

D 56

D JUNI/JULI 2018


INDIEKINOHIGHLIGHTS

Caramel

Zusammen mit dem Willkommensbündnis Steglitz-Zehlendorf lädt das Bali Kino Ende Juni zu einer interkulturellen Themenwoche mit Filmen und anschließendem „Austausch bei landestypischen Häppchen“ ein. Gezeigt werden Filme über das Leben von Frauen im arabischen Alltag. Dazu gehört zum Beispiel der libanesische Film CARAMEL von Nadine Labaki, dessen drei Protagonistinnen im Schönheitssalon Si Belle arbeiten, und CAIRO 678 von Mohamed Diab, der von drei Frauen aus unterschiedlichen Gesellschaftsschichten erzählt, die sich männliche Übergriffe nicht länger gefallen lassen wollen. EIN LIED FÜR NOUR und QUELLE DER FRAUEN basieren lose auf wahren Geschichten, im einen geht es um Nour und ihren Bruder Mohammed aus dem Gaza-Streifen, die zur Casting-Show Arab Idol wollen, im anderen um eine Dorfgemeinschaft, in der die Frauen den Sex verweigern, bis endlich eine Wasserleitung gebaut wird. Um 16 Uhr zeigt das Kino Filme, die auch für ältere Kinder und

BALI KINO INTERKULTURELLE THEMENWOCHE Jugendliche geeignet sind. Hier laufen zum Beispiel der Film DAS MÄDCHEN WADJDA, in dem sich ein Mädchen sehnlich ein Fahrrad wünscht, AUF DEM WEG ZUR SCHULE, der Kinder auf der ganzen Welt auf ihrem Schulweg begleitet, und GESCHICHTEN VON FREIHEIT UND FREUNDSCHAFT, ein Kompilationsfilm mit non-verbalen Kurzfilmen, die für Kinder in Flüchtlingslagern entwickelt wurden. Alle Filme werden in Originalsprache mit deutschen Untertiteln gezeigt. balikino-berlin.de  28.–31.6.

Schatzkammer Berlin

Null Motivation

BUNDESPLATZ-KINO BERLINFILM MATINEE

B-WARE!LADENKINO FRAGMENT FILM

Im Juni zeigt die Berlinfilmmatinee die Filme je zweimal. Am 3. und 17.6. wird die SCHATZKAMMER BERLIN erforscht, die riesige Sammlung der „Stiftung Preußischer Kulturbesitz“, wobei auch Fragen nach der Motivation, Hintergründen und moralischen Konflikten dieser Sammelleidenschaft gestellt werden. Am 10. und 24. Juni geht es dann nach Tempelhof, wo Karim Aïnouz ein Jahr lang das Leben auf dem ZENTRALFLUGHAFEN THF dokumentiert hat. Jogger treffen auf dem ehemaligen Flugfeld auf Flüchtlinge, die in den Hallen die Mühlen der deutschen Bürokratie durchlaufen. Infos zu den Juli-Filmen auf bundesplatz-kino.de

„Langeweile und Müßiggang“ sind die treibenden Kräfte der, in beiden Fällen autobiografischen, Filme der „Fragment Film“-Reihe im Juni. Federico Fellini ließ sich für die Tragikomödie DIE MÜSSIGGÄNGER (7.6.) von seiner eigenen Zeit als jugendliches „Rindviech“ inspirieren, in der wenig außer dem Paarungstrieb motivierte. Die jungen Israelinnen, die in NULL MOTIVATION (21. Juni) ihre Wehrpflicht ableisten, kennen das Gefühl, werden aber von einer übereifrigen Vorgesetzten ständig mit sinnlosen Aufgaben beschäftigt. Selbst beim Kaffeekochen gilt es, Haltung zu bewahren. Dabei würden Zohar und Daffi das viel lieber auf High Heels in Tel Aviv tun. Beide Filme laufen in OmU.

 Immer sonntags um 11 Uhr: 3. & 17.6. SCHATZKAMMER BERLIN  10. & 24.6. ZENTRALFLUGHAFEN THF

 7.6. DIE MÜSSIGGÄNGER  21.6. NULL MOTIVATION, jeweils gegen 20 Uhr

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INDIEKINOHIGHLIGHTS

Hoggeren

ACUD KINO, BROTFABRIK KINO, FSK-KINO, CITY KINO WEDDING NORDLICHTER – NEUES SKANDINAVISCHES KINO Die Filmreihe „Nordlichter“ stellt jedes Jahr aktuelle Filme aus Skandinavien zusammen und schickt sie auf Reisen. In Berlin ist das fünf Produktionen umfassende Programm im Acud Kino, der Brotfabrik, im fsk-Kino und im City Kino Wedding zu Gast. Zu den präsentierten Filme in diesem Jahr gehören der schwedische YARDEN, über einen Schriftsteller, der in einer Zeitschrift sein eigenes Buch rezensiert und dann als Hafenarbeiter anheuern muss, der dänische Thriller FANTASTEN über einen Zocker, der seinen Sohn retten muss, und die isländische Komödie THE HOMECOMING über die schwierigen Familienverhältnisse eines Selbsthilfe-Autors. Unsere Favoriten sind der norwegische Film HOGGEREN, in dem ein

Städter beschließt, auf die Farm seiner Eltern zu ziehen, und dort in Ruhe Holz hacken will, aber vergessen hat, wie viele Besserwisser mit klugen Ratschlägen es in dem Kaff gibt – und der finnische Thriller VIRAALI, in dem es um eine Bitcoin-Verschwörung geht. „Nordlichter“ ist übrigens nicht nur ein Festival, das jedes Jahr mit einer kleinen Auswahl von Filmen auf Deutschland-Tournee geht. Die Filme bleiben auf der Online-Plattform präsent und können als Stream oder VoD gesehen werden. Seit 2015 ist da schon eine schicke Auswahl zusammengekommen. nordlichter-film.de  Juni und Juli. Termine auf den Webseiten der Kinos

Shame

Acud Kino, Brotfabrik Kino, BUNDESPLATZ-KINO KLICK KINO RUSSISCH DOK: PSYCHE UND FILM: MEIN VATER – KOMMUNIST FREUNDSCHAFT In der Familie Oshkin ist der Sohn leidenschaftlicher Tänzer und der Vater leidenschaftlicher Kommunist. Der Dokfilm von Grigorij Grishin und Olga Yakovleva zeigt, wie sich die beiden Protagonisten, jeder auf seine Art, engagiert ihrer Sache widmen. Auch wenn die Sphären von Vater und Sohn sich nicht überschneiden, findet sich in ihrem Fanatismus so viel Gemeinsames, dass man unwillkürlich bemerkt, wie ähnlich und nah sich diese scheinbar völlig unterschiedlichen Menschen sind.  Acud Kino: 13.6. um 20 Uhr  Klick Kino: 25.6. um 20 Uhr  Brotfabrik Kino: 28.6. um 19 Uhr

Zwei sehr unterschiedliche Ansätze zu „Freundschaft“ sind diesmal Thema der Reihe „Psyche & Film“, moderiert von Donat Keusch. Im großen Komödienhit des Jahres 2012 wird der Kleinkriminelle Driss als Pfleger für den reichen, querschnittsgelähmten Philippe engagiert. So verschieden der Hintergrund der beiden auch ist, bald sind sie ZIEMLICH BESTE FREUNDE. Alles andere als eine leichte Komödie ist SHAME, in dem die Konfrontation mit seiner Schwester einen sexsüchtigen New Yorker zwar nach einer anderen Art der Zweisamkeit suchen lässt, ihn dadurch aber nur tiefer in sein exzessives Verhalten reißt.  26.6. um 20.30 Uhr: SHAME  31.7. um 20.30 Uhr: ZIEMLICH BESTE FREUNDE

D 58

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INDIEKINOHIGHLIGHTS

FREILICHTKINO FRIEDRICHSHAGEN MUSIKFILME OPEN AIR

Symphony of Now

Tatsächlich sind ja nicht alle Filme Open-Air-geeignet. Stille Dramen haben manchmal Schwierigkeiten, sich gegen sanft rauschende Bäume, flupsende Bierdeckel und Ausflugsstimmung Gehör zu verschaffen. Was

dagegen wirklich top funktioniert, besonders bei einer guten Anlage, sind Musikfilme. Das Union Kino hat fürs Freilichtkino Friedrichshagen gleich eine ganze Filmreihe zusammengestellt. Gezeigt werden Künstler- und Künstlerinnendokus wie THE KING, FRANK ZAPPA – EAT THAT QUESTION und ANNE CLARK – I’LL WALK OUT, die Musicals LA LA LAND, AN AMERICAN IN PARIS und MAMMA MIA 2 – HERE WE GO AGAIN, Konzertfilme der Rolling Stones und der Beatles und absolute Klassiker wie BLUES BROTHERS, LA BOUM und THE ROCKY HORROR PICTURE SHOW. Der aktuellste Beitrag ist ein Berlin-Film: In SYMPHONY OF NOW hat Johannes Schaff, angelehnt an Walter Ruttmanns BERLIN – SYMPHONY EINER GROSSSTADT von 1927, ein assoziatives musikalisches Stadtporträt montiert.  Den ganzen Sommer über. Alle Termine auf: kino-union.de

Der kleine Prinz

BROTFABRIK KINO BERLIN-FILM-KATALOG: LEICHENSACHE ZERNIK

ACUD KINO, BROTFABRIK KINO FREILICHTBÜHNE WEISSENSEE DEFA-DONNERSTAG

Helmut Nitzschkes DEFA-Krimi LEICHENSACHE ZERNIK (DDR 1972) spielt während der sowjetischen Blockade der Berliner Westsektoren, mit der 1948 der Kalte Krieg zwischen der Sowjetunion und den westlichen Alliierten offen ausbrach. Als der von einem authentischen Fall inspirierte Film über das Treiben eines Frauenserienmörders und die Jagd auf den Täter durch die Volkspolizei 1972 in die DDR-Kinos kam, lobten die Kritiker den Film praktisch unisono. Besonders gelobt wurde, wie exakt die damals ein Vierteljahrhundert zurückliegende Zeit rekonstruiert worden wäre. Dabei fehlt ein wesentliches Element: das nahezu ständige Dröhnen von Flugzeugmotoren über Berlin, wurden die Westsektoren doch fast ein Jahr lang aus der Luft versorgt. Auch dass die Suche nach dem Mörder auch dadurch erschwert worden sein könnte, dass man bei der Kriminalpolizei viele Fachleute durch unerfahrene, eilig angelernte Laien ersetzt hatte, wird nicht erwähnt. Last but not least erscheint die Teilung Berlins, seiner Verwaltung und schließlich auch seiner Polizei als reine Schikane des Westens.

Immer donnerstags zeigt die Freilichtbühne Weißensee DEFA Filme. Im Juni und Juli sind das die Historienkomödie HAUPTMANN FLORIAN VON DER MÜHLE (1968) mit Manfred Krug – der erste auf 70mm gedrehte Film der DDR –, die Kurzfilmzusammenstellung DOKU 1, die Arbeiten aus den letzten zwei Jahren der DDR zeigt, und Lothar Warnekes Drama BLONDER TANGO (1986) über den Chilenen Rogelio, der nach dem Putsch 1973 in die DDR flüchtet und dort sozial isoliert als Beleuchter arbeitet. Um seiner Familie in Chile eine Freude zu machen, erfindet er eine Ehefrau und schließlich sogar ein Kind… Für Große und Kleine ist Konrad Wolfs aufwendige Verfilmung DER KLEINE PRINZ von 1966 im Programm – die damals ohne Einholung der Urheberrechte produziert und nur ein einziges Mal gezeigt wurde (seit 2015 sind die Urheberrechte abgelaufen – ist also alles legal), und schließlich läuft die top besetzte Tragikomödie WHISKY MIT WODKA (2009) von DEFA-Regisseur ehrenhalber Andreas Dresen.

 11.–13.06. um 18 Uhr, am 11.6. mit einem Vortrag von Kurator Jan Gympel

 7.6. HAUPTMANN FLORIAN VON DER MÜHLE  14.6. DOKU 1  28.6. BLONDER TANGO  5.7. DER KLEINE PRINZ  12.7. WHISKY MIT WODKA

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INDIEKINOHIGHLIGHTS

Zu Gast im Kino GRAIN mit anschließender Diskussion zum Thema Gentechnik mit Journalist und Politiker (Grüne) Benedikt Härlin  30.5. um 17.30 Uhr, Filmrauschpalast

Premiere KINDERS mit Gästen  31.5. um 18 Uhr, fsk-Kino am Oranienplatz

MICHELANGELO PISTOLETTO mit Regisseur Daniele Segre  3.6. um 11 Uhr, Klick Kino

ZWEI IM FALSCHEN FILM, mit Regisseurin Laura Lackmann  4.6. um 20 Uhr, b-ware!ladenkino

ZWISCHEN DEN STÜHLEN mit Regisseur Jakob Schmidt  5.6. um 19 Uhr, Sputnik Kino

FILMRAUSCHPALAST MANGA MONDAY: SUMMER WARS & PATEMA INVERTED Am Manga-Montag im Juni läuft SUMMER WARS (2009, OmU) von Mamoru Hosoda. Die schöne neue Digital-Kultur trifft hier auf eine traditionelle Großfamilie, die im Kampf gegen eine entfesselte Künstliche Intelligenz ihre Streitereien beilegen muss, um die Welt zu retten. Im Juli zeigt der Filmrausch das Langfilmdebüt PATEMA INVERTED (2013) von Yasuhiro Yoshiura, der als neuer Stern am Anime-Himmel gefeiert wird. Die junge Patema ist nicht nur außergewöhnlich neugierig, sie ist auch die Prinzessin einer Zivilisation, die tief unter der Erde in einem komplexen Tunnelsystem lebt. Während die Bewohner vor einer geheimnisvollen Gefahr „von oben“ warnen, liebt es Patema, ihre Umgebung zu erforschen, und fällt dabei eines Tages durch ein Erdloch an die Erdoberfläche. Dort hat sie ein Problem: Diese andere Welt steht aus ihrer Sicht komplett auf dem Kopf!  11.6. um 20 Uhr SUMMER WARS (OmU)  9.7. um 20 Uhr PATEMA INVERTED (OmU)

DAS UNMÖGLICHE BILD mit Anna Mattes von Terre des femmes  6.6. um 19 Uhr, Sputnik Kino

Patema Inverted

DER PRINZ UND DER DYBBUK mit dem Regie-Duo Elwira Niewiera und Piotr Rosolowski  7.6. um 20 Uhr, Krokodil

DER SECHSTE KONTINENT mit Regisseur Andreas Pichler  8.6. um 18 Uhr, Sputnik Kino

MATTI UND SAMI UND DIE DREI GROSSEN FEHLER DES UNIVERSUMS mit Regisseur Stefan Westerwelle  9.6. um 15.30 Uhr, Union Filmtheater

Preview KOLYMA – STRASSE DER KNOCHEN mit Regisseur Stanislaw Mucha  9.6. um 20 Uhr, Krokidil

DER GIPFEL: PERFORMING G20 mit Regisseur Rasmus Gerlach  13.6. um 20 Uhr, Filmrauschpalast

Premiere AUS EINEM JAHR DER NICHTEREIGNISSE mit dem Regie-Duo Ann Carolin Renninger und René Frölke  13.6. um 19 Uhr, Wolf

AUS EINEM JAHR DER NICHTEREIGNISSE mit dem Regie-Duo Ann Carolin Renninger und René Frölke  14.6. um 19 Uhr, City Kino Wedding

MONTAGS IN DRESDEN mit Regisseurin Sabine Michel  19.6. um 20 Uhr, Krokodil

AUTOBAHN mit Regisseur Dennis Albrecht  19.6. um 20 Uhr, Z-inema

AUS EINEM JAHR DER NICHTEREIGNISSE mit dem Regie-Duo Ann Carolin Renninger und René Frölke  22.6. um 19.30 Uhr, Krokodil

Premiere WIE BOJEN IM MEER mit Regisseurin Stella Nikoletta Drossa  27.6. um 20 Uhr, Klick Kino

WAS UNS BINDET mit Regisseurin Ivette Löcker  18.7. um 21.30 Uhr, FLB Weissensee

D 60

D JUNI/JULI 2018

Dame mit Hund

ACUD KINO, CITY KINO WEDDING, FILMRAUSCHPALAST, Z-INEMA KURZE FILME Shorts Attack macht auch Urlaub: Im Programm FERNWEH wird zunächst gepackt (BIG BAG), dann geht es ans Wasser (MY MAN O.), in die Berge (SWISS MADE) in die Luft (GERONTO) und zurück in den Heimathafen (WELCOME HOME ALLEN). Bei Shorts on Tap ist das Motto des Abends noch geheim, es soll sich aber, so wird versprochen, unbedingt lohnen. Im Kurzfilm des Monats im City Kino Wedding trifft eine DAME MIT HUND im Park auf einen Mann, den sie lieber vermieden hätte.  Shorts Attack: 11.6. um 22 Uhr im Filmrauschpalast  20.6. um 21 Uhr im Acud Kino  Shorts on Tap: 12.6. um 20 Uhr im Z-inema  Kurzfilm des Monats: jeden Donnerstag um 21 Uhr im City Kino Wedding


INDIESERVICE

Die INDIEKINOS

ACUD Kino Mitte

1

Veteranenstr. 21, 10119 Berlin www.acudkino.de 030/44 35 94 98

City Kino Wedding Filmrausch­palast im Centre Français Moabit 9 Lehrter Str. 35, 10557 Berlin Wedding 6 www.filmrausch.de 030/394 43 44

Müllerstraße 74, 13349 Berlin www.citykinowedding.de 01525/968 79 21

fsk-Kino am ­Oranienplatz Kreuzberg 10

Eva-Lichtspiele Berlin Wilmersdorf 7

Rosenthaler Str. 40/41, 10178 Berlin www.hoefekino.de 030/283 46 03

Greifenhagener Str. 32, 10437 Berlin www.kino-krokodil.de 030/44 04 92 98

IL KINO NEUKÖLLN

14

Bali Kino Zehlendorf  3

Union Filmtheater Friedrichshagen Bölschestr. 69, 12587 Berlin 18 www.kino-union.de 030/65 01 31 41

REINICKENDORF

13

Hasenheide 54, 10967 Berlin www.sputnik-kino.com 030/694 11 47

Xenon Kino Schöneberg

20 Kolonnenstr. 5, 10827 Berlin www.xenon-kino.de 030/78 00 15 30

PANKOW  C

6   14   9   H    21    1

SPANDAU

Caligariplatz 1, 13086 Berlin www.brotfabrik-berlin.de 030/471 40 01

Wolf Kino NEUKÖLLN 19

Sputnik Kino am Südstern Kreuzberg 16

Boxhagener Str. 107, 10245 Berlin www.kino-intimes.de 030/29 77 76 40

8

Bleibtreustr. 12, 10623 Berlin www.filmkunst66.de 030/882 17 53

Kulmer Str. 20a, 10783 Berlin klickkino.de

Weserstraße 59, 12045, Berlin wolfberlin.org 030/921 03 93 33

Kino INTIMES Friedrichshain

Teltower Damm 33, 14169 Berlin www.balikino-berlin.de 030/811 46 78

filmkunst66 Charlottenburg

12

Nansenstr. 22, 12047 Berlin www.ilkino.de 030/81 89 88 99

Segitzdamm 2, 10969 Berlin www.fsk-kino.de 030/614 24 64

Blissestr. 18, 10713 Berlin www.eva-lichtspiele.de, 030/92 25 53 05

Brotfabrikkino Weissensee  4

Kino Krokodil Prenzlauer berg

Klick-O-TONART SCHÖNEBERG 15

b-ware! ladenkino Friedrichshain 2 Gaertnerstr. 19, 10245 Berlin ladenkino.de, 030/63 41 31 15

Hackesche Höfe Kino Mitte 11

MITTE

CHARLOTTENBURGWILMERSDORF  7

11

10   A    15   20

16    E

TEMPELHOFSCHÖNEBERG

STEGLITZZEHLENDORF

LICHTENBERG

17   13

MARZAHNHELLERSDORF

Tilsiter Lichtspiele Friedrichshain 17

B    2   Friedrichshain-

8

5

4

R.-Sorge-Str. 25a, 10249 Berlin www.tilsiter-lichtspiele.de 030/426 81 29

kreuzberg

F    22    12    G    19

Z-inema ­MITTE

21

Bergstr. 2, 10115 Berlin www.z-bar.de 030/28 38 91 21

18    D

TREPTOWKÖPENICK

NEUKÖLLN

3

Bundesplatz-Kino Wilmersdorf 5 Bundesplatz 14, 10715 Berlin www.bundesplatz-kino.de 030/85 40 60 85

B-ware! Open Air im Vor Wien ­Biergarten Kreuzberg  A  im FMP1 Friedrichshain  B ladenkino.de

Freilichtbühne WeiSSensee Weissensee

C

freilichtbuehne-weissensee.de

Freiluftkino  D  Friedrichshagen Friedrichshagen

www.freiluftkino-friedrichshagen.de

Freiluftkino ­Hasenheide KreuzberG  E

Freiluftkino ­Pompeji Friedrichshain

Freiluftkino ­Insel zu Gast im ­Cassiopeia Friedrichshain  F

Windlicht im Filmrausch­ palast: „Umsonst & DrauSSen“ Moabit  H

www.freiluftkino-hasenheide.de

www.freiluftkino-insel.de

G

freiluftkino-pompeji.de

Zukunft ­Friedrichshain

22

Laskerstr. 5, 10245 Berlin kino-zukunft.de 0176/57861079

www.filmrauschpalast.de

Impressum Herausgeber: INDIEKINO BERLIN UG (haftungsbeschränkt) Rudolfstr. 11, 10245 Berlin Telefon: 030 – 209 897 24, info@indiekino.de, www.indiekino.de

Bildnachweis: Filmbilder/Plakatmotive: Filmverleiher/Filmfestivals Cover „Ein Leben ist zu wenig“ (S. 6): Aufbau Verlag Vernissage „Close Up“ (S. 7): Benjamin Ortleb Elliott Sharp (S. 8): Janene Higgins Der alte deutsche Film (S. 62): Murnau Stiftung

Geschäftsführung: Hendrike Bake Redaktion: Hendrike Bake, Thomas Dorow redaktion@indiekino.de Filmtexte: Toby Ashraf, Hendrike Bake, Yorick Berta, Tom Dorow, Katharina Franck, Patrick Heidmann, Christian Horn, Susanne Kim, Christian Klose, Jan Künemund, Elinor Lewy, Sebastian Markt, Jens Mayer, Michael Meyns, Harry Mühlbeyer, Toni Ohms, Hannes Stein, Susanne Stern, Lars Tunçay Texte Kinohighlights: INDIEKINO BERLIN und Kinos Grafik: Michael Zettler, Nora Wiesner (Zett Media) Akquise/Marketing: Michael Spiegel, spiegel@indiekino.de Druck: Bonifatius Druck, Paderborn

Eine Gewähr für die Richtigkeit der Termine kann nicht übernommen werden. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Ein Nachdruck ist nur mit Genehmigung von Redaktion und Autor und mit Quellenangabe gestattet. Für unverlangt eingesandtes Textmaterial wird keine Haftung übernommen. Das INDIEKINO BERLIN Magazin erscheint in einer Auflage von 20.000 Stück. Das Magazin ist kostenfrei. Verteilung in den Berliner Kinos ACUD Kino, b-ware!ladenkino, Bali Kino, Brotfabrikkino, Bundesplatz Kino, City Kino Wedding, Eva Lichtspiele, filmkunst66, Filmrauschpalast Moabit, fsk-Kino am O ­ ranienplatz, Hackesche Höfe Kino, IL Kino, Kino Intimes, Kino Krokodil, Klick Kino, Sputnik Kino am Südstern, Tilsiter Lichtspiele, Union Filmtheater, Wolf Kino, Xenon Kino, Z-inema, Zukunft sowie an weiteren 400 Verteilstellen. Abonnement: Auf Wunsch liefern wir Ihnen das INDIEKINO BERLIN Magazin gerne zu einem Unkostenbeitrag direkt nach Hause. Weitere Informationen und ein Bestellformular finden Sie unter: www.indiekino.de/news/de/abonnement

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Fridas Sommer

Auf dem Rücksitz eines Autos zu sitzen und die Hand aus dem Fenster zu strecken, ist wie eine Berührung von zwei Welten. Während man selbst stillzustehen scheint, rast die Welt vorbei als wäre man im Kino. Nur kann man diese Welt spüren und berühren: die Kraft und das Gewicht des Windes, die eigene Energie, die diese Kraft besiegt, als könnte man die Welt besiegen, während man ihre ganze Wucht spürt, bis hin zu den Sternen.

Nachbild

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D JUNI/JULI 2018



24. Jüdisches Filmfestival Berlin & Brandenburg 26. Juni – 5. Juli 2018 jfbb.de


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