«Von Kopf bis Fuss denken oder Wie kann ich meinen Gedanken beistehen?» Lona Klaus

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Von Kopf bis Fuss denken oder Wie kann ich meinen Gedanken beistehen? Lona Klaus 2013


Wenn das Werk in der Ausstellung mein Kind ist, sind die folgenden Texte die Plazenta. Sie sind der nahrhafte, fruchtbare Boden, auf dem sich eine Idee einnisten kann. Genauer gesagt, sind nicht die Texte selber der nahrhafte Boden, ich mache schreibend neue Böden fruchtbar. Ich ermögliche es, Vitaminen, Nährstoffen usw. an Orte zu gelangen, an die sie sonst nie kommen würden und sich dort anzureichern und eine Grundlage zu schaffen für eine Idee, die sich da einnisten kann. Die Idee braucht dann noch eine Befruchtung von aussen. Das kann zum Beispiel eine Provokation sein, um sich zu entwickeln, grösser und grösser zu werden und schlussendlich geboren zu werden. Wenn das sichtbare Werk eine Pflanze ist, sind die Texte die Wurzeln, die parallel zum oberirdischen Teil in den Boden wachsen. Mit jedem Satz winde ich mich tiefer hinab, wie ein Bohrer, der irgendwo in der Teife eine Quelle finden will. Meine Grossmutter hat mir erzählt, dass man sich, wenn man beim Schwimmen in einen Wirbel gerät, nicht wehren soll, sondern sich hinabziehen lassen soll, bis man den Boden erreicht, um sich da abzustossen. So mache ich das, wenn ich schreibe. Auch wenn es da unten unerträglich ist, wie in einer Eiswüste in der nichts wachsen kann, alles tot ist, zieht es mich doch immer wieder dahin.

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Denn meine blosse Anwesenheit und Aufmerksamkeit ist ja Leben! Und es ist der erste Schritt zum fruchtbar machen der Böden. Wenn sich dann eine Idee einnistet, beobachte ich sie genau: Bleibt sie? Wächst sie? Ich bin schwanger, trage die Idee mit mir herum, bis der Impuls kommt, sie ins Leben zu rufen. Der Prozess der Geburt ist traumatisch und schmerzhaft und schon wird die Nabelschnur durchgeschnitten und alle stehen darum herum und wollen wissen, was es ist und ob es gut ist oder nicht. Ich spreche gern mit meinen Füssen, weil sie am anderen Ende meines Körpers sind, der Gegenpol zum Kopf, ganz unten. Dem Kopf traue ich nicht, das ist schade, ein Misstand. Immer wenn ich denke bekomme ich kalte Füsse, veliere den Boden unter den Füssen, werde vom Wind erfasst und an Orte getragen, wo ich nie hin wollte. Meine Füsse haben einen grossartigen Charakter, ich kann sehr davon profitieren. Sie sind nie beleidigt. Ich kann sie wochenlang ignorieren, sogar schlecht behandeln (einsperren in unbequemen Schuhen, immer auf hartem Beton gehen, niemals ausruhen). Doch sobald ich nur „hallo“ sage, freuen sie sich. Sie sind glücklich, voller Lebensfreude und Tatendrang.

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Ich brauche dieses Nachinnengehen für das Nachaussengehen. Dabei versuche ich, aufmerksam zu sein für Ideen, die aufblitzen und in die Tat umgesetzt werden wollen. Ich versuche ihnen beizustehen im Kampf gegen alle Stimmen, die die Ideen vernichten wollen. Ich sage mir: „Ich will wissen was passiert, wenn ich dieser Idee beistehe. Ich will sehen wohin sie mich führt.“ 17.8.2013

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zwei Welten

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Es geht darum die Hauptprobleme zu erkennen, um irgendwann nicht mehr an ihnen scheitern zu müssen: Ich lebe nur wirklich auf dem Papier. Ich fühle mich aufgespaltet in zwei Welten. Der Aufenthalt in der einen Welt ist totlangweilig, der Zugang zur anderen Welt wird je länger je schwieriger. Ich hasse mich selber. Ich fange an, mich selber zu hassen und alle Menschen, das Menschsein fange ich an unerträglich zu finden, wenn ich mich selber ausschliesse von der anderen Welt. Ich will wegkommen vom Papier. Wenn ich tanze und niemand sieht es, ist es Kunst? Ich brauche die künstlerischen Medien als Vehikel in die andere Welt, aber ich bringe keine Trophäen mit, nichts für den Ausstellungsraum, keine Beweise. Dieses Gefühl gespalten zu sein – zwei parallele Existenzen – macht mich so unglücklich, verzweifelt. Ich fühle mich machtlos, denn ich habe keine Ahnung was dagegen tun. Ich merke, wie ich in Panik gerate, wenn ich darüber nachdenke und das hilft nicht weiter. 13. Januar 2013

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enge Brust

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Ein enges Gefühl auf der Brust, die ich gerne sinken lassen möchte, mit dem Ausatmen, mit offenem Mund. das scheint aber nur zu funktionieren, wenn ich mich bei jedem Atemzug ganz auf den Schmerz konzentriere, vorallem beim Ausatmen. Dann entsteht am Schluss der Ausatmung der Impuls die letzte Luft noch herauszupressen, was ein Zusammenziehen der Muskulatur unterhalb der Rippen auslöst, was mich an Weinen erinnert und ein Gefühl von Trauer auslöst, blau und schwer, ich bekomme Angst. 27. Januar 2013

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Boot

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In meinem Körper fühlt es sich so eng und kalt an, so ein totes Schweigen, vor dem ich Angst habe, ich schaffe es fast nicht hinzuschauen. Bis zu den Füssen seh ich kaum, die Waden sind hart und angespannt. Wenn ich die Füsse zu mir hin ziehe, entsteht ein Kribbeln und Wärme, auch in den Händen, ein STROM von den Füssen bis zu den Händen, der Atem scheint sich dadurch auch auszubreiten, er versucht diesen Raum einzunehmen, zu öffnen, es ist wie ein ganz tiefes, warmes Surren. Um den Brustraum macht der Strom einen Bogen, dort ist es ganz kalt und eng. Die Füsse und Beine geben mir ein beruhigendes Gefühl: Tropische Wärme, entspanntes Schlafen auf dem Boden, Vertrauen in den Boden, Mutter, samtig warm, das Bild von einem Holzboot, indem ich liege und auf dem Wasser treibe. Es ist dunkel, die Lichter des Ufers spiegeln sich warm in den Wellen, das Boot ist weich ausgepolstert und ich bin mit einer Wolldecke zugedeckt. 4. Februar 2013

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Leck

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Es gibt kein trockenes Plätzchen mehr, es hat ein Leck. „Das ist gut so!“ Ich habe geträumt, dass ich in einem Haus lebe, im hohen Norden am Meer und das Wasser ist immer höher gestiegen, bis die Wellen auch in die Küche kamen. Dann hat jemand gesagt er würde Fisch kochen, aber wir müssten sie zuerst töten. Er hat mir eine Schildkröte gegeben. Ich hätte ihr die Kehle durchschneiden sollen. Ich konnte es nicht und habe sie zurück ins Wasser gebracht. 3. März 2013

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Kunst

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Wenn ich daran denke Kunst zu machen, wird ein Teil von mir hellwach, ganz aufgeregt und glücklich, der Teil den ich vermisse, wenn ich mich so leer fühle? Nicht weiss wer ich bin? Aber dann kommt auch gleich wieder dieser Gedanke: „Das ist nichts.“ Ich habe ein bisschen Angst, weil ich nicht weiss was ich da mache, aber ich freue mich auch. Ich zeichne in der Hoffnung, dass etwas das klüger ist (in mir) mit mir anfängt zu kommunizieren und das mache ich trotz einer Stimme die sagt: „Vergiss es, es gibt nichts Klügeres in dir.“ Spüre ich den Schmerz überhaupt, den ich mir zufüge? Es ist alles etwas ruhiger geworden um mich, aber eine Ruhe ein bisschen wie in einem heimeligen Grab. 22. März 2013

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Ich und der Vampir

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Der Morgen ist schrecklich, ich habe keine Lust irgendetwas zu tun, ich sehe mich in einem Raum mit Holzboden, weit oben, gedämpftes Licht flutet den Raum, eine schützende Hülle in der es warm und zugleich luftdurchlässig ist. Vielleicht bin ich schon wieder einen Schritt zu weit, denn ich fange an zu zweifeln. Ich sehe mich, wie ich mich rund mache, den Kopf nach vorne sinken lasse, er sinkt immer weiter, die Fortsetzung der Wirbelsäule folgt langsam, gleichzeitig vertieft sich der Atem, ich tauche ab… „Nur noch ein bisschen, es ist besser als schlafen!“ „Du musst zurück! Das hier führt zu nichts, du musst zurück auf die Welt und etwas produktives tun! Wenn du zu lange hier bleibst, kannst du nie mehr zurück.“ „Wer bist du? Warum sagst du das? Es ist doch das, was ich brauche. Warum kannst du mir das nicht lassen? Warum vertraust du mir nicht?“ Ich sehe ihn im Zwielicht am Boden kauern, es regnet. Er trägt einen langen dunklen Mantel und einen Hut, um ihn herum hat sich eine Pfütze gebildet. Ich sehe mich mit ihm durch den Regen gehen, versuch ich ihn anzusehen tut es weh. 12. April 2013 15


anders mit mir reden

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Ich muss den Schmerz in meiner Brust schützen „die Hand halten“und Zeit geben, Schutz und Zeit, mit ihm reden „Hallo Füsse wie geht es euch?“ Trotz unangenehmen Empfindungen „gut“ Das sagen vor allem die Fussohlen, von denen eine reine Lebensfreude strömt! Meine Beziehung zu meinem Herz ist etwas schwieriger, es ist fremd, unzugänglich geworden, ich habe etwas Angst davor und mein Herz ist deshalb beleidigt. Es tut mir so leid. 14. April 2013

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