H erb s t 2012
gute Bildung – bessere Chancen
Österreichische Post AG/Sponsoring.Post 08Z037821S, Österreichischer Integrationsfonds, Schlachthausgasse 30, 1030 Wien
So sichern wir optimale Lernbedingungen für Kids mit und ohne Migrationshintergrund
von Ghetto keine Spur
Musterschule trotz hohem Migrantenanteil
Kontroverse: Schulabbrecher
Wer ist schuld – Eltern, Schule oder Politik?
Starke Frauen braucht das Land Mädchenzentrum stärkt Zusammenleben in der Gemeinde
ed i to r i a l
Ii n teg r ati o n i n Za h l en
Liebe Leserinnen und Leser, Was kann die Schule tun, um die Zukunftschancen aller Kinder zu sichern?
Sie halten gerade die erste Ausgabe von ZUSAMMEN:ÖSTERREICH in Ihren Händen. Dieses Magazin, in das wir viel Freude und Herzblut gesteckt haben, folgt dem bisherigen „Integration im Fokus“ (2007–2011) nach und will sachlich und konstruktiv über aktuelle Themen, Erfolge und Herausforderungen im Bereich Migration, Integration und Zusammenleben informieren.
SOS-PATEN GESUCHT.
Mit Ihrer Patenschaft geben Sie Kindern wie Rosa Maria ein liebevolles Zuhause. Werden Sie SOS-Pate! Danke!
ÖIF/Fellhofer, COver-FOTO: Cover-Foto: www.weInFranz.aT, www.weinfranz.at, IlluSTraTIOnen: Illustrationen: © nIel Niel Mazhar FOTOS: © ÖIF/FellhOFer,
SOS-Kinderdorf bedankt sich beim Verlag für die kostenlose Anzeige!
www.sos-kinderdorf.at
Für die erste Ausgabe haben wir ein Schwerpunktthema gewählt, dessen Bedeutung nicht größer sein könnte: Die frühe Phase des schulischen Lernens entscheidet über den weiteren Lebensweg von Kindern – wie Zahlen und Daten eindrucksvoll zeigen, besonders von Kindern mit Migrationshintergrund. ZUSAMMEN:ÖSTERREICH hat für Sie recherchiert: Wie funktioniert der Unterricht in Klassen, wo kaum ein Kind Deutsch als Muttersprache hat? Senken Strafen fürs Schwänzen die Schulabbrecher-Quote? Welche Ansätze gibt es, Kinder mit Migrations Migrationshintergrund so früh wie möglich zu fördern? Im hinteren Teil des Hefts bieten wir Aktuelles und Unterhaltsames für alle, die beruflich oder privat mit dem Zusammenleben zwischen Menschen mit und ohne Migrationshintergrund in Österreich zu tun haben: Von der Vorstellung richtungsweisender Projekte und Initiativen über neue Publikationen hin zu Information, Service und Unterhaltung ist für jede und jeden etwas dabei.
Wir wünschen Ihnen eine spannende und informative Lektüre Ihres neuen ZUSAMMEN:ÖSTERREICH und freuen uns über Ihre Wünsche und Anregungen unter magazin@integrationsfonds.at.
Die ZUSAMMEN:ÖSTERREICH-Redaktion v. l. n. r.: Julian Unger, Valentin Schwarz, Franziska Troger und Roland Goiser.
Euro werden bis 2014 in die Sprachförderung für Kindergartenkinder mit Deutschproblemen investiert. Menschen erhielten im ersten Halbjahr 2012 die österreichische Staatsbürgerschaft. Auf Platz 1 der Herkunftsländer liegt die Türkei mit 668 Personen. Es folgen Bosnien und Herzegowina mit 595 und Serbien mit 293 Neo-Österreichern. Seit Jahren ist der Islam in Österreich staatlich anerkannte Religion. Die damalige österreichisch-ungarische Monarchie nahm mit diesem Schritt in Europa eine Vorreiterrolle ein. Prozent der Österreicher denken, dass die Integration von Migranten funktioniert. Letztes Jahr waren es nur 36 Prozent. Prozent der 16- bis 24-Jährigen mit Migrationshintergrund haben weder einen Job noch befinden sie sich in Ausbildung. Unter Altersgenossen ohne Migrationshintergrund trifft das auf 6,5 Prozent zu.
Auf Platz in der EU liegt Österreich mit seinem Ausländeranteil von 10,8 Prozent. Nummer 1 ist Luxemburg mit 43,1 Prozent, der Durchschnitt innerhalb der EU liegt bei 6,6 Prozent. Um Prozent stieg laut Wirtschaftsforschungsinstitut die Arbeitslosigkeit seit der Öffnung des Arbeitsmarkts für Migranten aus den neuen EU-Staaten.
Ii mp r es s u m Medieninhaber, Herausgeber und Redaktionsadresse: Österreichischer Integrationsfonds, A-1030 Wien, Schlachthausgasse 30, Tel.: +43(0)1/710 12 03-0, Fax: +43(0)1/710 12 03-500, mail@integrationsfonds.at. Redaktionsleiter: Mag. Roland Goiser, roland.goiser@integrationsfonds.at. Chef vom Dienst: Valentin Schwarz, valentin.schwarz@integrationsfonds.at. Redaktion: MMag. Franziska Troger, Mag. Julian Unger, MA, Mag. Jana Vladusic, Isabella Steger, Carolin Wallitzky, BA. Produktion und Anzeigen: Styria Multi Media Corporate GmbH & Co KG, Geiselbergstraße 15, 1110 Wien, www.corporate.styria-multi-media.com. Geschäftsführung: Mag. Erich Schönberg. Artdirektion: Mag. Nina Ullrich. Projektleitung: Kristina Gavric. Grafik: Ortwin Neumayer. Fotoredaktion: Harald Kuso. Ewa Bisztyga. Anzeigenleitung: Harald Kuso. Korrektur: Birgit Forst. Produktion: m4! Mediendienstleistungs GmbH & Co KG, www.m-4.at. Druck: Astoria Druck. ISSN: 1995-6606. Die Artikel von Gastautorinnen und -autoren drücken deren persönliche Meinung aus und müssen nicht den Positionen des Österreichischen Integrationsfonds entsprechen. Seiten, die mit „Werbung“ oder „Advertorial“ gekennzeichnet sind, sind entgeltliche Einschaltungen gemäß §26 Mediengesetz. Alle Rechte vorbehalten, auch die Übernahme, vollständige oder auszugsweise Weiter- oder Wiedergabe, gem. §44 Abs. 1 und 2 Urheberrechtsgesetz.
Zusammen:Österreich
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Fokus
Schule, Lernen und Integration
I n ha lt
L ei ta r ti k e l FOKUS. Schule, Lernen und Integration
Zusammen:Österreich. Integration fördern. Chancen sichern.
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Die Bildung entscheidet heute darüber, welche Chancen man im Leben hat. Bei der Integration von Kindern mit Migrationshintergrund sind weitere Anstrengungen notwendig.
12 14 15 16 Cover-Thema. Sprache bestimmt Zukunftschancen In den Schulen entscheidet sich die Zukunft unserer Kinder – mit und ohne Migrationshintergrund. Welche Herausforderungen bestehen und wie können wir sie bewältigen?
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Zusammen:Österreich
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Kolumne. Schule – Wo sich Schicksale entscheiden Meinung von FURCHEChefredakteur Claus Reitan.
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Reportage. Von Ghetto keine Spur Lokalaugenschein in einer Otta kringer Schule mit 90 Prozent Migrantenanteil.
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Portrait. Kleine Community mit Ehrgeiz Das Jüdische Berufliche Bildungszentrum. Interview. „Die Eltern sind die Experten ihres Kindes“ Gespräch über Berliner Vorzeigeschule am sozialen Brennpunkt. Kontroverse. Was tun gegen Schulabbruch? Soziologe Mario Steiner gegen Psychiaterin Maria BrunnerHantsch über Fördern und Strafen. Steckbrief. Vorzugsschüler mit fremden Wurzeln Vier Migrantenkids mit Startnachteil am Weg nach oben im Portrait. Reportage. „Sprechen Mütter Deutsch, geht’s den Kindern automatisch besser“ Hausbesuche, die Kinder und Mütter fördern. Nachmittagsbetreuung. Die Caritas Lerncafés Alle Standorte im Überblick.
FOTOS: © Universität Wien/Franz Pfluegl, Istockphotos.com, www.weinfranz.at
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Viel bleibt zu tun
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Kolumne. Wortwanderung Deutsche Begriffe mit Migrationshintergrund. Integration vor Ort. Eine Mädchenoase in Bregenz Das Vorzeigeprojekt dieser Ausgabe. Interview. Vom Maurerlehrling zum Schauspieler Integrationsbotschafter Haris Bilajbegovic über seinen Erfolgsweg. Projektportrait. Auf dem Berg sind alle gleich Eine neue Ausbildung macht Migranten zu Wanderführern. Publikationen. Integration messbar machen Das Statistische Jahrbuch für Migration und Integration. Projektportrait. Wer mehr weiSS, bleibt gesünder Gesundheitslotsen informieren Migranten übers Gesundheitssystem. Unterhaltung. Rezept und RatespaSS Bosnischer Obstkuchen und Kreuzworträtsel. Zusammen:Leben. „Ich sag immer: Streiten ist gesund“ Ottakringer Konditorin und bulgarische Angestellte im Doppelportrait.
Text
Heinz Faßmann
Wo man in der Gesellschaft steht, ist in hohem Ausmaß von Bildung, Beruf und Einkommen bestimmt. Darin liegt ein wesentlicher Unter schied zu vormodernen Gesellschaf ten, in denen der gesellschaftliche Status vererbt und nicht individuell erworben wurde. Zugegeben: Der Faktor „Vererbung“ ist bei der Wei tergabe nicht verschwunden. Der Bildungsstand der Eltern beeinflusst auch heute jenen der Kinder. Aber der Automatismus ist weggefallen: Sozialer Aufstieg ist grundsätzlich möglich geworden. Die Bildungs institutionen – Schule, Lehre und Universität – spielen dabei eine zentrale Rolle. In unserer leistungs bezogenen Gesellschaft sind sie es, die über gesellschaftliche Chancen des oder der Einzelnen entscheiden. Die Aufgaben der Schule, der Lehre und der Universität gehen aber darü ber hinaus. Sie vermitteln nicht nur Qualifikationen und Kompetenzen, sie sind auch Orte, in denen das Zu sammenleben von Kindern, Jugend lichen und jungen Erwachsenen praktisch gelebt wird. In den Klas senzimmern, den Lehrwerkstätten und den Seminarräumen treffen sich Schüler, Lehrlinge und Studierende und entwickeln so etwas wie Ge meinschaft. Integration findet statt, als eine Normalität des Alltags, ge tragen von einer geteilten Perspekti ve, einer kollegialen Solidarität und einem gemeinsamen Raum der Begegnung.
Integration durch Bildung gelingt, und dennoch braucht es weitere An strengungen: Wir müssen die vor schulische Bildung weiter intensivie ren, um Kompetenznachteile auszu gleichen – auch und besonders bei den Deutschkenntnissen, um allen Kindern ähnliche Startchancen in der Volksschule zu ermöglichen. Wir müssen aber auch institutionelle Mechanismen der sozialen oder eth nischen Segregation im Schulsystem kritisch beurteilen, denn sie laufen der integrativen Zielsetzung zuwider. Außerdem müssen wir die Eltern verstärkt für eine Bildungsallianz ge winnen und dafür die interkulturelle Kompetenz in die Ausbildung der Lehrenden hereinholen. Schließlich sind verstärkte Anstrengungen not wendig, um Jugendliche und junge Erwachsene länger im Schul- und Ausbildungssystem zu halten, denn nur eine abgeschlossene und weiter führende Ausbildung sichert die dauerhafte Erwerbsarbeit und damit ein selbstständiges Leben. Auf den großen Wurf einer kraft vollen und integrationspolitisch ausge richteten Bildungspolitik muss Öster reich offensichtlich noch warten.
Heinz Faßmann
ist Vizerektor der Universität Wien und Vorsitzender des Expertenrats für Integration
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Schule, Lernen und Integration
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Sprache bestimmt Zukunftschancen Schüler mit nicht-deutscher Muttersprache schneiden bei Lesetests schlechter ab, erreichen seltener höhere Abschlüsse und brechen die Schule häufiger ab. Gründe und Lösungsansätze werden heiß diskutiert.Wie sichert man die Bildungs- und damit Zukunftschancen junger Menschen wirklich? Text
FOTO: iStockPhoto.com, Illustration: ARTUR BODENSTEIN
Roland Goiser und Valentin Schwarz
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Zusammen:Österreich
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ahllose Kinderstimmen, ausgelassenes Gelächter – die Gänge der Volksschule (VS) Darwingasse in Wien-Leopoldstadt bieten eine typische Geräuschkulisse. Erst bei genauerem Hinhören fallen auch die vielen türkischen oder serbischen Wörter auf. Fast alle Schülerinnen und Schüler der Schule – 98 Prozent – haben eine nicht-deutsche Muttersprache, erzählt die Direktorin Renate Kammer: „Achtzehn unterschiedliche Sprachen sind es insgesamt. Mit einander reden die Kinder aber meistens Deutsch. Das ist ja die einzige Sprache, die alle verstehen.“ Betrachtet man alle Wiener Volksschulen, ist gut die Hälfte der Schüler (53 %) anderssprachig aufgewachsen. In Berufsschulen liegt der Anteil bei einem, an Hauptschulen gar bei
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Schule, Lernen und Integration
Migranten zählen bei PISA fast doppelt so oft wie Einheimische zur Risikogruppe mit besonders großen Leseproblemen.
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Wie gut lesen Kinder in österreich?
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Quelle: PISA 2009
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Sie nennt verschiedene Faktoren, die einander negativ beeinflussen: „Einwandererfamilien leben oft unter schlechteren ökonomischen, sozialen oder kulturellen Bedingungen“, erklärt sie, „im Elternhaus gibt es häufig weniger pädagogische Ressourcen wie etwa Bücher oder einen ruhigen Schreibtisch zum Lernen.“ Gut ein Drittel der Leistungsdefizite von Migranten gehen laut Schwantner auf das Konto dieser sozioökonomischen Rahmenbedingungen. Mehr Infos zur PISA-Studie unter www.bifie.at.
FOTOS: FotoliA.com, Christian Redtenbacher
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OECD-Schnitt
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Österreich
„Das würde ich nicht sagen“, meint Kammer. Der Unterricht verlange zwar mehr Zeit und Aufwand, man bringe den vorgeschriebenen Stoff aber letztlich durch.
Die PISA-Studie zeigt: Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund schneiden nicht nur schlechter ab als ihre einheimischen Altersgenossen, sondern auch schlechter als Migranten in anderen Ländern. Warum ist das so? „Es ist jedenfalls nicht der Migrationshintergrund an sich“, sagt Ursula Schwantner, die öster reichische PISA-Projektleiterin.
PISA-Lesekompetenz 2009 nach Migrationshintergrund
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Fehlende Praxis Jede Schulstunde verlangt den Pädagogen also Höchstleistungen im Multitasking ab – doch bereitet die Ausbildung ausreichend darauf vor? „Ich glaube nicht“, schüttelt Kammer den Kopf: „Mehr Praxis während des Studiums an Schulen wie unserer wäre sicher sinnvoll.“ Und wie steht es um die Kinder? Haben sie bereits vom Volksschulalter an weniger Bildungschancen als Gleichaltrige, die in Schulen mit stärkerer Durchmischung gehen?
Fakten
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Vielfalt braucht Zeit „Man kann im Unterricht nicht so rasch vorgehen wie noch vor zwanzig Jahren“, beschreibt Renate Kammer die Folgen der Sprachenvielfalt, „alles braucht mehr Zeit und Extra-Unterstützung.“ Die VS Darwingasse arbeitet etwa mit Begleitlehrern türkischer oder serbisch / kroatisch / bosnischer Muttersprache: „Sie kümmern sich vor allem um Quereinsteiger, die während des Schuljahres kommen und oft kein Wort Deutsch sprechen.“ Für die Lehrerinnen und Lehrer bedeute das deutlich mehr Vorbereitung und Aufwand in der Klasse. „Sie müssen den Stoff für jedes Sprachniveau gestaffelt vorbereiten“, erklärt Kammer, „man muss ja allen Kindern gleichzeitig etwas bieten können, je nachdem wie gut sie folgen können. Und auf die Begabten darf man auch nicht vergessen.“
Das Lernen zu Hause spielt eine große Rolle für den Schulerfolg. Besonders Schülern mit Migrationshintergrund fehlt oft die ideale Unterstützung durch die Eltern.
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zwei Dritteln (34 und 64 %). Die VS Darwingasse ist also deutlich über dem Mittelwert, doch Einzelfall ist sie keiner. Schulen, an denen oft nur noch die Lehrerinnen und Lehrer Deutsch als Muttersprache haben, gibt es in der Hauptstadt nicht wenige (siehe auch Reportage ab Seite 12) – Tendenz steigend.
Hintergrund
Alarmierende Statistiken „Letztes Jahr haben immerhin 15 von 45 unserer Schulabgänger den Sprung ins Gymnasium geschafft“, sagt die Direktorin stolz. Die österreichweiten Statistiken zeichnen ein weniger positives Bild: Jugendliche mit nicht-deutscher Muttersprache sind in höheren Schultypen deutlich unterrepräsentiert, brechen häufiger die Schule ab (siehe auch Seite 17). Eine Studie von Soziologen der Uni Linz zeigte Anfang des Jahres, dass 18,5 Prozent der 16- bis 24-jährigen Migranten weder in Ausbildung noch Beschäftigung sind. Das sind fast dreimal mehr als unter den einheimischen Altersgenossen. PISA: GroSSe Leseprobleme Auch die PISA-Studie wirft kein gutes Bild auf Österreich. Im internationalen Vergleich lesen unsere Schülerinnen und Schüler schlecht – und jene mit Migra
tionshintergrund besonders schlecht. Liegen bereits einheimische Jugendliche mit 482 Punkten unter dem OECD- Mittelwert, sind die Ergebnisse von Migranten noch deutlich darunter: Schülerinnen und Schüler der so genannten zweiten Generation, die bereits in Österreich geboren wurden, erreichen 427 Punkte – jene der ersten Generation gar nur 384 (siehe auch Diagramm). Zudem zählen Jugendliche mit Migra tionshintergrund fast doppelt so oft wie Einheimische zur Risikogruppe mit besonders großen Problemen beim Lesen. PISA-Projektleiterin Ursula Schwantner nennt im Gespräch mit ZUSAMMEN:ÖSTERREICH verschiedene Ursachen für diesen Leistungsrückstand (siehe Kasten „Fakten“ links). Sie sieht in den Ergebnissen eine „große Heraus forderung für Bildungspolitik und Schulen. Das Ziel muss sein, dass Jugendliche mit Migrationshintergrund genau so gute Chancen haben wie Jugendliche ohne Migrationshintergrund.“ Möglichst früh fördern Das ist auch das Ziel des Nationalen Expertenrats für Integration, wo Ilan Knapp für den Bereich Sprache und Bildung verantwortlich ist: „Österreich hat die Bedeutung der Deutschkenntnisse lange nicht erkannt. Deshalb sind wir heute Nachzügler.“ Die Lösung sieht der Wirtschaftspädagoge und -psychologe in der möglichst frühen Förderung der Sprachkenntnisse. Im zweiten und dritten Lebensjahr würden Kinder sich neue Dinge blitzschnell aneignen: „Das ist eine einmalige Lernphase, die müssen wir nützen. Deshalb bin ich für das zweite verpflichtende Kindergartenjahr.“ Sprachförderung vorab? „Deutsch vor Schuleintritt“ ist ein aktuell politisch umstrittenes Thema. Sollen
Junglehrer auf Zeit Diesen Herbst startete Teach for Austria nach international erprobtem Konzept auch in Österreich. Die Bildungsinitiative stammt aus den USA, wo heute knapp 10.000 Lehrkräfte sozioökonomisch benachteiligte Kinder fördern. Die Jungpädagogen haben kein Lehramtsstudium und sind zwei Jahre im Einsatz. Keine Konkurrenz zu Profis „Wir wollen bewusst nicht in Konkurrenz zu den Lehrerinnen und Lehrern treten“, erklärt Toni Kronke, verantwortlich für die Rekrutierung der „Fellows“ genannten Kurzzeit-Lehrerinnen und Lehrer, „es gibt schlicht einen eklatanten Leh rermangel in Österreich.“ Das treffe besonders auf jene Hauptschulen zu, die wegen eines hohen Migrantenanteils als problematisch gelten. „Unsere Fellows müssen dort hingehen, wo’s wehtut, an wirklich herausfordernde Schulen. Wir wollen zeigen, dass auch diese Kids etwas leisten können.“ Karriere dank sozialem Engagement Doch warum sollten sich herausragende Studienabgänger für diesen Knochenjob entscheiden? „Gute Lehrkräfte sind exzellente Führungskräfte. Sie schaffen es, 30 Schülerinnen und Schüler schrittweise zu Lernzielen zu führen. Da können unsere Fellows viel lernen“, erklärt Kronke. Tatsächlich konnte Teach for Austria, das mit 25 Fellows in Wien und Salzburg startete, aus einer Vielzahl an Bewerbungen auswählen. Die sozial engagierten Jungakademiker kommen aus vielfältigen Studienrichtungen von Slawistik und Operngesang hin zu technischer Informatik und Quantenphysik. www.teachforaustria.at
Zusammen:Österreich
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Schule, Lernen und Integration
Kolumne
Schule – wo sich Schicksale entscheiden Von Claus Reitan, Chefredakteur DIE FURCHE
Rundblick
nicht die ausschließliche Form sein. Die Kinder sollen auch voneinander und miteinander lernen.“ Eine nicht-deutsche Muttersprache, oft als Makel begriffen, will er als Stärke verstanden wissen: „Wenn ich ein Kind unterrichte, das vier Sprachen spricht, aber vielleicht Deutsch nicht ganz so gut, kann ich ihm sagen: ‚Wahnsinn! Du wirst sicher auch Deutsch sehr gut lernen.‘“ Die Kinder sollen so ihre Sprachkenntnisse positiv erleben und Selbstvertrauen gewinnen. So erübrigten sich auch oft andere Probleme, die gerade Jugendlichen mit Migrationshintergrund häufig zugeschrieben werden: „Wenn Kinder rebellieren oder keine Leistung erbringen, ist der Hauptgrund oft, dass ihnen Perspektiven fehlen.“
Sprache vor Schuleintritt Text
Carolin Wallitzky
Niederlande: Ein Jahr Vorbereitungsklasse Die Holländer setzen auf ein langes Sprachprogramm für Migrantenkinder. Unter-Zwölfjährige besuchen eine einjährige Vorbereitungsklasse, ältere Jugendliche einen Kurs, dessen Dauer von ihrer Lern geschwindigkeit abhängt. Kanada: Stufenweise Englisch lernen In British Columbia lernen Neueinsteiger in eigenen Kursen stufenweise Englisch. Je besser sie werden, desto mehr andere Fächer kommen hinzu. Ältere Schüler besuchen vormittags Sprachkurse, nach mittags reguläre Klassen. Australien: Sprachschulen für Jugendliche Kinder und Jugendliche nehmen vor Schulantritt an Englischkursen teil. In Städten wie Sydney gibt es dazu eigene Sprachschulen für zugewanderte Jugendliche. Dort wird der OberstufenStoff mit Englischunterricht kombiniert.
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Zusammen:Österreich
Mit zunehmender Vielfalt in der sprachlichen Zusammensetzung von Klassen sind auch kreativere Unterrichtstechniken gefragt.
Kinder mit mangelnden Deutschkenntnissen sofort eine reguläre Klasse besuchen, wie das in Österreich aktuell meist der Fall ist? Oder sollen sie zuvor fokussiert Sprachunterricht erhalten? Ein internationaler Rundblick (siehe Kasten links) zeigt, dass Staaten mit langer Integrationstradition auf Zweiteres setzen: Für Kinder, die der Unterrichtssprache nicht folgen können, gibt es eigene Sprachkurse oder -klassen. Erst danach steigen sie in den Regelunterricht ein. Diese Extraförderung grenze Migrantenkinder aus, lautet eine häufige Kritik. Experte Knapp sieht das anders: „Gerade wenn ein Kind nicht Deutsch spricht, führt das zu Segregation. Es wird dann in der Schule von den anderen ausgegrenzt.“ Innovation im Kleinen Abseits der politischen Diskussion sind in den letzten Jahren zahlreiche Initiativen entstanden, die im kleineren Rahmen Migrantenkindern mehr Bildungschancen geben wollen. Die Caritas-Lerncafés, die es in jedem Bundesland gibt (siehe Seite
22), bieten etwa Nachmittagsbetreuung an Orten, wo es keine Ganztagsschule gibt. Die Kinder – mit und ohne Migrationshintergrund – erledigen dort gemeinsam ihre Hausaufgaben. Auch das Spielen und gesunde Ernährung kommen nicht zu kurz. Ein aktuelles Projekt ist „Teach for Austria“, dessen Konzept aus den USA stammt (siehe Kasten Hintergrund, Seite 9). Dabei werden Uni-Absolventen ohne Lehramts-Studium speziell ausgebildet und an so genannten „Problemschulen“ zwei Jahre lang als vollwertige Lehrkräfte eingesetzt. Das Projekt startete diesen Herbst in ausgewählten Schulen in Wien und Salzburg. „Hauptschüler wissen, dass sie ausgesondert wurden“ „Kinder, die an einer städtischen Hauptschule sind, sind bereits vom Schulsystem ausgesondert worden – und sie wissen das auch“, beschreibt Toni Kronke das Problem. Er ist bei „Teach for Austria“ für die Auswahl der Junglehrer verantwortlich. Er hat selbst in einer „Brennpunkt-
Jugendliche ohne Pflichtschulabschluss haben dramatisch schlechtere Aussichten im Berufsleben. FOTOS: FotoliA.com, Christian Redtenbacher
Finnland: 900 Stunden Förderung Zugewanderte Sechs- bis Zehnjährige besuchen mindestens 900 Stunden einen Finnischkurs, bevor sie am Regelunterricht teilnehmen. Ältere Kinder bekommen im PISA-Spitzenland mindestens 1.000 Stunden Förderung.
schule“ in Köln zwei Jahre lang unterrichtet: „Diese Kinder versuchen dann gar nicht mehr, einen Text zu schreiben, weil sie gewöhnt sind, dass sie’s ohnehin falsch machen.“ Die Folge: ein angeknackstes Selbstbild beIlan Knapp, reits in jungen Jahren. Mitglied des ExpertenTeach for Austria will rats für Integration den betroffenen Jugendlichen klarmachen, dass auch sie etwas erreichen können. Die Philosophie dahinter, so Kronke: „Wir als Lehrkräfte sind dafür verantwortlich, was die Kids lernen oder nicht lernen.“ Perspektiven bieten Erfolg versprechen eine möglichst individuelle Förderung und dynamische Unterrichtselemente wie Gruppenarbeiten, ist Kronke überzeugt: „Frontalunterricht nach dem Trichterprinzip – Wissen reinstopfen, Test schreiben, das war’s – sollte
Bewusstsein für Bildung schaffen Ein weiteres oft genanntes Problemfeld ist das Elternhaus. In den 60er- und 70erJahren warb Österreich gezielt Gast arbeiter an. „Unter ihnen war der Anteil jener mit Lehre oder höherer Bildung viel geringer als bei der Mehrheitsbevölkerung“, sagt Ilan Knapp vom Expertenrat. Das mangelnde Bewusstsein für die Bedeutung von Bildung habe sich über die Generationen hinweg gehalten: „Junge Migranten werden zu Hause oft nicht ausreichend animiert oder angeregt.“ Eine Möglichkeit, die Eltern zu stärken, sind die so genannten Elterncafés, die der Österreichische Integrationsfonds an einzelnen Wiener Schulen anbietet (siehe Seite 14). Väter und Mütter erhalten dort Tipps, wie sie ihre Kinder bestmöglich fördern können. Die Bedeutung des Themas sei enorm, sagt Knapp: „Jugendliche ohne Pflichtschulabschluss haben dramatisch schlechtere Aussichten im Berufs leben.“ Mit ausreichendem Engagement könnten junge Migranten ihre Zukunfts chancen nützen, appelliert er an deren Selbstverantwortung: „Die Politik kann nur Möglichkeiten geben, nützen müssen die Menschen sie schon selber.“
Einer der bedeutsamsten Unterschiede zwischen dem Leben und der Schule ist einfach erklärt: Das Leben stellt Fragen und erteilt nachher die Lektion; an der Schule sollte zuerst gelehrt und gelernt, dann mit Fragen geprüft werden. Fünf Prozent aller Jugendlichen verlassen die Schule ohne Abschluss, unter jenen mit Migrationshintergrund sind es sogar 15 Prozent. Insgesamt 75.000 Jugendliche zwischen 16 und 24 Jahren sind in Österreich weder in Ausbildung noch in Arbeit, überdurchschnittlich viele von ihnen haben einen Migrationshintergrund. Das ist ein Problem – denn das Leben erteilt dann prompt harte Lektionen. Für alle. Schulabbrecher finden schwerer eine Arbeit, schlittern hingegen rascher in die Armut. Sie können kaum irgendwo mitsprechen, geraten eher ins soziale Abseits. Isolation anstelle von Integration. Treffpunkt aller Milieus Schule bedeutet zweierlei. Erstens Lernen und damit Chancen für jeden Einzelnen, zweitens soziales und gesellschaftliches Lernen für alle Beteiligten. Arbeit gibt es nur bei Bildung und Ausbildung, erst recht in einer arbeitsteiligen und globalisierten Welt. In einer offenen und vielfältigen Gesellschaft ist die Schule der letzte verpflichtende Treffpunkt aller Milieus. Die Schule hat damit eine enorme Bedeutsamkeit für die Integration: Wir lernen an Schulen voneinander und übereinander, allerdings noch ohne Gegeneinander, weil keine direkte Konkurrenz besteht. An den Schulen entscheidet sich zu einem guten Teil, ob Integration gelingt. Sie ist ein Schicksalsort, für den Einzelnen wie für die Gesellschaft, die sie dafür bezahlt.
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Schule, Lernen und Integration Deutsch ist in der 4b zwar für kein Kind die Mutter-, für alle jedoch die Umgangssprache: „Das ist die einzige Sprache, die alle verstehen.“
Eine gemeinsame Sprache Insgesamt 24 verschiedene Muttersprachen werden von den 240 Schülern an der Kooperativen Mittelschule (KMS) Brüßlgasse gesprochen. Am stärksten vertreten sind Bosnisch, Kroatisch und Serbisch sowie Türkisch, Albanisch und Polnisch. „Die Umgangssprache bei uns ist trotzdem Deutsch“, betont Direktorin Anneliese Hell. Das bestätigt auch Mario: „In unsere Klasse gehen Leute aus der Türkei, Bulgarien, Bosnien, Albanien oder Tschetschenien. Wir reden fast immer nur Deutsch, das ist die einzige Sprache, die alle verstehen.“ Dennoch ist es eine Tatsache, dass nicht alle die Sprache perfekt beherrschen. „Wir Lehrerinnen sind sozusagen die einzigen Native Speaker“, sagt die Pädagogin Waltraud Bichler, einander bringen sich die Kinder „unter oft ein fehlerhaftes Deutsch bei.“ Dass mangelnde Kenntnisse der Unterrichtssprache für dessen Qualität nicht förderlich sind, zeige sich laut Bichler tagtäglich.
Re po r ta g e
Zahlreiche Wiener Hauptschulen sind mit einem hohen Migrantenanteil konfrontiert.Wie der Unterricht unter diesen Bedingungen trotzdem blendend funktionieren kann, hat sich ZUSAMMEN:ÖSTERREICH in der Brüßlgasse in Ottakring angesehen. Text
Franziska Troger
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lyanas Familie stammt aus Bulgarien, die von Mario aus Tschetschenien. In die Schule gehen beide in Wien-Ottakring. Als Kinder von Zuwanderern sind sie in ihrer Klasse, der 4b, keine Minderheit – im Gegenteil: Alle ihre Mitschülerinnen und Mitschüler haben ebenfalls einen Migrationshintergrund. „Ich finde das cool“, sagt Ilyana, „da lernt man viele verschiedene Leute und Bräuche kennen.“
FOTOS: www.weinfranz.at
Von Ghetto keine Spur
Extra-Deutschkurse für Neulinge Die KMS Brüßlgasse reagiert mit viel Engagement: Sie bietet Extra-Deutsch kurse an, die sich vor allem an Quer einsteiger richten, also an Schüler, die während des Schuljahres mit ihren Eltern zuwandern und so fast ohne Deutschkenntnisse ins System kommen. Auch muttersprachlicher Unterricht in den häufigsten Herkunftssprachen wie Türkisch oder Serbisch gehört zum Programm. Hauptziel bleibe aber die Ver mittlung der Landessprache, so Direktorin Hell, sie sei die Voraussetzung dafür, dass die Kinder ihren Alltag gut meistern können. „Ohne Deutsch wird sogar die Frage nach dem Klo zum zwischenmenschlichen Problem. Ständig mit Händen und Füßen kommunizieren zu müssen ist wahnsinnig anstrengend.“ Migranten brechen öfter ab Aber ist all das repräsentativ für die Wiener Hauptschulen? Gewiss, nicht überall sind beinahe alle Schüler Migranten. Im Schnitt haben zwei Drittel der Hauptstadt-Hauptschüler eine nicht-deutsche
Das Klassenklima in der 4b ist gut – auch wenn die Statistiken ein düsteres Bild zeichnen, haben die Kinder ihre Ziele und Träume.
„Ständig mit Händen und Füßen zu kommunizieren ist wahnsinnig anstrengend“, beschreibt Direktorin Anneliese Hell die Auswirkungen mangelnder Deutschkenntnisse.
Ohne Deutsch wird sogar die Frage nach dem Klo zum Problem.
Muttersprache. Doch was deAnneliese Hell, ren BildungsDirektorin chancen angeht, spricht die Statistik österreichweit eine deutliche Sprache: Nur 19 Prozent der anderssprachigen Hauptschüler schaffen den Übertritt in eine Berufsbildende Höhere Schule, etwa eine HTL. Unter Klassenkameraden mit deutscher Muttersprache gelingt das immerhin 32 Prozent. Besonders alar mierend ist, dass Hauptschüler mit nichtdeutscher Muttersprache bei den vor zeitigen Schulabbrüchen deutlich voranliegen: 13 Prozent bleiben nach der letzten Hauptschulklasse ohne weitere
Ausbildung – gegenüber 4 Prozent der muttersprachlich deutschen Mitschüler. „Nicht alle haben dieselben Chancen“ Als Schlüsselfrage für diesen Bildungsrückstand sieht Lehrerin Waltraud Bichler die Rolle der Eltern. „Nicht alle Kinder haben dieselben Chancen“, erklärt sie, „viele Eltern können ihren Kindern schon wegen der fehlenden Sprachkenntnisse nicht bei den Hausaufgaben helfen.“ Auch die Unwissenheit der Eltern über Möglichkeiten im österreichischen Bildungssystem stehe einem weiteren Bildungsweg der Kinder häufig im Weg. Die KMS Brüßlgasse engagiert sich deshalb seit einem Jahr verstärkt in der Elternbildung:
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Schule, Lernen und Integration
Ich fühl mich hier daheim. Ich brauch nicht erst integriert werden. Zekir (13), Schüler albanischer Herkunft (links)
In wöchentlich stattfindenden Elterncafés informieren sich Mütter und Väter über wichtige Themen rund um Lernen und Schulsystem (siehe Hintergrund). Düstere Statistiken sind für die Schülerinnen und Schüler der Brüßlgasse kein Thema. Sie haben ihre Ziele und Träume und arbeiten guter Dinge auf sie hin: Ilyana aus Bulgarien will Friseurin werden, Mario aus Tschetschenien Bankkaufmann. Zekir, ein albanischstämmiger Mitschüler, möchte nach der Haupt- in die Handelsschule wechseln. „Ich fühl mich hier daheim“, sagt er mit einem kecken Grinsen, „ich brauch nicht erst integriert werden.“
P o r tra i t
Die Kinder an der KMS Brüßlgasse kommen aus 32 Ländern und sprechen 24 unterschiedliche Muttersprachen. Viele Eltern können weder bei den Hausaufgaben helfen noch wissen sie über die Möglichkeiten im Bildungssystem Bescheid. Um dennoch allen Kindern bestmögliche Chancen zu geben, gibt es an der KMS Brüßlgasse ein wöchentliches „Elterncafé“. Dort erhalten die Väter und Mütter Informationen zu Themen wie Lernen, Erziehung, Ernährung, Sport oder das Schulsystem. Damit möglichst alle Eltern teilnehmen können, sprechen die Café-Leiterinnen bei Bedarf Türkisch und Bosnisch / Kroatisch / Serbisch. Zudem gibt es während der Treffen Kinderbetreuung. „Das Angebot wird sehr gut angenommen“, sagt Direktorin Anneliese Hell. Das Elterncafé wird in Zusammenarbeit mit den Kinderfreunden und dem Österreichischen Integrationsfonds angeboten.
Mitten im 20. Wiener Gemeindebezirk prangt auf grauen Hauswänden ein riesiges blaues „J“. Dahinter verbirgt sich
das Jüdische Berufliche Bildungszentrum (JBBZ). Jüdische Migranten werden hier fit für den österreichischen Arbeitsmarkt gemacht. Jüdische Zuwanderer? „Ja, jedes Jahr wandern 60 bis 70 Menschen mit jüdischem Glauben nach Österreich zu“, bestätigt Alexandra Hartlieb, im JBBZ verantwortlich für den Bereich Sprachen, Integration und Soziale Kompetenz. Um die sehr alte, aber kleine jüdische Gemeinde in Wien zu erhalten, kümmere man sich intensiv um die Neulinge und
Strenge Regeln, breiter Erfolg Das Bildungsangebot im JBBZ ist breit und richtet sich an Jugendliche wie Erwachsene. Deutsch- und Maturavorbereitungskurse gibt es ebenso wie vielfältige Lehrstellen oder komplette Berufsaus bildungen, etwa in Büromanagement oder technischen Berufen. Dabei gilt ein Modulsystem, das jedem Schüler eine maßgeschneiderte Ausbildung ermöglicht. Zudem setzt das JBBZ unter dem Motto „Best of Class“ auf strenge Regeln: Wer zu oft fehlt, undiszipliniert arbeitet oder zu schlechte Prüfungsergebnisse hat, muss gehen. Ob ein so rigides Vorgehen nicht viele von vornherein ausschließe? „Nein“, widerspricht Hartlieb, „wir wollen schlicht, dass unsere Kunden das Bestmögliche aus sich herausholen. Die Zahlen zeigen, dass wir damit richtig liegen: Unsere Durchfallquote liegt unter zwei Prozent.“ (IS)
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Vorzeigeschule am sozialen Brennpunkt
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„Die Eltern sind die Experten ihres Kindes“ Die Erika-Mann-Schule liegt mitten in einem Problemviertel, ist bei den Eltern aber heiß begehrt. Maren Loeppke von der Schulleitung über theaterbasierten Sprachunterricht und den richtigen Weg, die Eltern ins Boot zu holen.
ihre schnellstmögliche Integration in den Arbeitsmarkt.
Jüdisches Berufliches Bildungszentrum Adalbert-Stifter-Straße 18, 1200 Wien, Tel.: 01/33106150, www.jbbz.at
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Text
Valentin Schwarz
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erlin-Wedding ist ein ehemaliger Arbeiterbezirk. Die Einkommen sind niedrig, der Migrantenanteil hoch. Die Erika-Mann-Schule setzt auf kreative Lehrverfahren.
FOTOS: Erika-Mann-Grundschule/Karin Babbe
Hundert Prozent Migranten, aber das Gegenteil einer Ghettoschule: Das Jüdische Berufliche Bildungszentrum setzt aufs Leistungsprinzip.
Elternbildung als Ausweg
FOTOS: www.weinfranz.at, JBBZ/Bernhard Weikmann
Kleine Community mit Ehrgeiz
Hintergrund
Ungewöhnliche und aufwendige Theater-Methoden, individuelle Förderung aller Kinder, Unterricht in Lehrerteams – wie finanzieren Sie das alles? Maren Loeppke: Wir haben nicht mehr Personal als andere Berliner Schulen, aber wir richten den gesamten Personaleinsatz nach unserem pädagogischen Gesamtkonzept aus. Beispielsweise arbeiten bei der Förderung von Kindern mit nichtdeutscher Herkunftssprache die Pädagogen immer zu zweit im Team.
Der Bildungserfolg eines Kindes hängt in Deutschland und Österreich
stark vom Bildungsgrad der Eltern ab. Doch gerade im türkisch-arabischen Raum ist es nicht üblich, dass Eltern sich in der Schule engagieren. Wie erreichen Sie die Eltern?
Loeppke: Die Eltern sind
Wir haben nicht mehr Personal als andere Berliner Schulen. Maren Loeppke, Lehrerin
die Experten ihres Kindes und so behandeln wir sie auch. Wir hören sehr genau zu, was und wie sie über ihr Kind berichten und geben dann unsere pädagogische Einschätzung. Wir beteiligen die Eltern an allen Entscheidungen, so stärken wir die Beziehung zu ihnen. Auch wenn die Eltern nicht immer alles verstehen, vertrauen sie uns. Zudem beteiligen wir sie aktiv am Schulleben. Bei unserem Sommerfest übernehmen sie beispielsweise die Verpflegung.
Alle Eltern wollen das Beste für ihre Kinder, aber Migranten wissen oft nicht, was in unserem Bildungssystem möglich und wie es zu erreichen ist.Wie gehen Sie damit um? Loeppke: In den letzten beiden Klassen informieren wir regelmäßig darüber, etwa auf Elternabenden. Wir geben Auskunft über die Schultypen und über Tage der offenen Tür. Gelegentlich besuchen wir verschiedene Oberschulen auch gemeinsam. Wir bemühen uns sehr darum, dass die Eltern genau wissen, welche Bildungschancen ihr Kind hat.
Maren-Angelika Loeppke ist
Lehrerin und Mitglied der erweiterten Schulleitung der ErikaMann-Grundschule. Weitere Infos: www.erika-manngrundschule.com
Rund 75 Prozent der Kinder an der Erika-MannGrundschule haben eine andere Umgangssprache als Deutsch. 16 verschiedene Sprachen sind es insgesamt. 80 Prozent der Eltern leben von staatlicher Unterstützung. Die Schule liege an einem „sozialen Brennpunkt“, heißt es auf ihrer Website. „Wir haben kein Ausländer-, sondern eher ein Unterschichtenproblem“, so Maren Loeppke von der Schulleitung. Mehr Anmeldungen als Plätze Doch die Erika-MannSchule ist keine, um die engagierte Eltern einen Bogen machen. Jährlich übersteigen die Anmeldungen bei weitem die Kapazität des Hauses. „Wir haben mittlerweile einen sehr guten Ruf in Berlin und können uns unsere Schülerinnen und Schüler aussuchen“, bestätigt Loeppke. Ein Grund ist der individualisierte Unterricht, der stark auf jedes einzelne Kind eingeht. Besser lernen mit Theater Ein weiteres Highlight ist der Theater-Schwerpunkt, dem zwei Schulstunden pro Woche gewidmet sind. Die Kinder würden dabei ganzheitlich gefördert, also zugleich in ihrer sprachlichen, geistigen, körperlichen und sozialen Entwicklung, erklärt Loeppke. „Beispielsweise sprechen die Kinder beim Theaterspielen ein Wort oder einen Satz nicht nur, sondern kombinieren den Text zugleich mit Gesten, Körperpositionen und Emotionen. Sie lernen also keine hohlen Wörter, sondern füllen sie sofort mit Inhalt.“ Der Erfolg kann sich sehen lassen: Rund drei Viertel der Kinder an der „Brennpunktschule“ erhalten am Ende ihrer Schulzeit eine Empfehlung für ein Gymnasium oder eine Realschule. Für ihr innovatives Konzept hat die Schule bereits zahlreiche Preise erhalten.
Zusammen:Österreich
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Fokus
Schule, Lernen und Integration
K o ntr o v e r s e schwer zu erreichen. Mit engagiertem Streetwork, offener Jugendarbeit und Ju gendcoaching sollte man versuchen, an die Jugendlichen heranzukommen und ihre Motivation neu zu wecken. Brunner-Hantsch: Mein Vorschlag sind Patenschaften: Freiwillige helfen dabei, besser Deutsch zu lernen und ins Bil dungssystem zurückzukehren. Überhaupt sollten wir Ehrenamtlichkeit in diesem Bereich stärker forcieren.
Was tun gegen Schulabbruch? Mario Steiner, Soziologe am Institut für Höhere Studien
Maria Brunner-Hantsch, Psychiaterin und Ausbildnerin an der Elternschule Steiermark
Brunner-Hantsch: Ich bin dafür, einen
interview
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Zusammen:Österreich
Sprache des Geldes ist eine, die alle ver stehen. Ich sehe das nicht als Bestrafung, sondern als Erziehungsmaßnahme für die Eltern. Es gibt immer wieder Fälle, wo
Order“-Politik gilt dasselbe wie für die Bestrafung von Jugendlichen. Sind Sys temfehler behoben, entstehen Probleme gar nicht und Strafen werden meist obso let. Davon profitieren letztlich alle.
Steiner: Das ist eine schwierige Heraus
forderung. Jugendliche, die bereits aus dem System ausgeschieden sind, sind durch die Vielzahl an Selektionserfah rungen oft stark demotiviert und deshalb
Statistik
Wie viele schüler müssen die 8.Schulstufe wiederholen bzw. brechen die Schule ab?
15,6 %
Schule abgebrochen
8,2 %
15 % Deutsch
10 %
Türkisch
5 % Bosnisch Kroatisch Serbisch
0 %
Brunner-Hantsch: Nein. Die Eltern ge
hören in die Verantwortung genommen. Sie sind schließlich die Erziehungsberech tigten. Die Kinder kommen unerzogen ins System, können kaum Deutsch. Was soll die Schule noch alles machen? Steiner: Wie bereits erwähnt: Jugendliche mit Migrationshintergrund werden bei uns in niedrigere Schulformen selektiert. Das begünstigt die vorzeitige Beendigung der Bildungslaufbahn. Die Verantwortung liegt hier ganz klar beim Bildungssystem.
Regierung Plant Härtere Strafen
nach Umgangssprache 2010/11
Klasse wiederholt
Trägt auch unser Schulsystem erantwortung dafür, dass Schüler mit V nicht-deutscher Umgangssprache überdurchschnittlich oft die Schule abbrechen und generell schlechtere Ergebnisse erzielen?
Fakten
Quelle: Statistik Austria, Schulstatistik
Brunner-Hantsch: Sehr sinnvoll – die
Steiner: Für diese Spielart der „Law &
Wie kann man jene Jugendlichen erreichen, die die Schule bereits frühzeitig abgebrochen haben?
3,5 %
Mario Steiner: Das österreichische Bil dungssystem ist hochgradig selektiv. Es geht mehr um die Sanktionierung von Schwächen als um die Förderung von Stärken. Wenn nun Jugendliche mit Migra
Wie sinnvoll sind Geldbußen für Jugendliche, die die Schule schwänzen?
Was halten Sie davon, als Druckmittel gegen die Eltern Sozialleistungen wie die Familienbeihilfe zu kürzen oder gar zu streichen?
Eltern-Schule-Pass einzuführen: Familien beihilfe nur dann, wenn die Eltern sich über Erziehungsmaßnahmen fortbilden. Sie sollen auch Erziehungsbeihilfe beantragen können, wenn sie das wollen. Und wenn ein Kind die Schulpflicht verletzt, soll die Fa milienbeihilfe gemindert werden.
3,7 %
Rund 75.000 Jugendliche in Österreich sind weder in Ausbildung noch arbeiten sie. Darunter sind besonders viele mit Migrationshintergrund. Warum ist das so?
ltern sich zu Schulbeginn eine Schulbe E suchsbestätigung für ihre Kinder holen, um die Familienbeihilfe zu kassieren. Ich glaube, dass in den meisten Fällen schon die Androhung einer Strafe reichen wür de, um diesen Missbrauch abzustellen und ein Bewusstsein zu schaffen. Steiner: Strafen für Schulschwänzen sind verzichtbar. Man muss sich vielmehr die Frage stellen: Warum schwänzen Jugend liche? Wie kann der Unterricht so gestaltet werden, dass er gesucht und nicht gemie den wird? Projektorientiertes und fächer übergreifendes Lernen sind sinnvoller als die verbreitete Stechuhrpädagogik mit Frontalvortrag. Sind diese Hausaufgaben für das Bildungssystem selbst erledigt, wird sich das Schulschwänzen auf ein vernachlässigbares Ausmaß reduzieren, weshalb es keiner Strafen bedarf.
4,3 %
W
er vorzeitig die Schule ab bricht, hat nicht nur keinen Abschluss. Daraus ergibt sich auch ein beruflicher Rückstand, der meist bis zum Karriereende nicht mehr aufhol bar ist. Schüler mit Migrationshinter grund, insbesondere jene mit türkischer Muttersprache (siehe Diagramm), sind deutlich öfter vom vorzeitigen Bildungs abbruch betroffen. Wer ist schuld – die Eltern oder das Schulsystem?
tionshintergrund beispielsweise Sprach defizite haben, führt dies sehr oft dazu, dass sie in niedrigere Schulformen kanali siert werden. Das geringere Qualifikations niveau wirkt sich schließlich am Arbeits markt aus, wo ihre Chancen drastisch reduziert sind. Die Ursache dafür, dass sich jugendliche Migranten häufiger weder in Ausbildung noch in Beschäftigung be finden, ist also die vorzeitige Selektion im Bildungssystem. Maria Brunner-Hantsch: Ich sehe das et was anders: Diese Jugendlichen werden schlicht nicht im nötigen Maß gefördert. Die Eltern schaffen das nicht, weil sie meist aus bildungsfernen Schichten kom men. Das führt dazu, dass die Jugend lichen im Unterricht nicht mitkommen und die Schule schließlich abbrechen. Mir sind aber auch Fälle bekannt, wo Väter ihre Töchter gezielt aus der Schule neh men, weil sie der Meinung sind, dass Frauen keine Bildung brauchen.
Illustrationen: Niel Mazhar, istockphoto.com
Valentin Schwarz
1,9 %
Jugendliche mit Migrationshintergrund fallen überdurchschnittlich oft aus dem Schulsystem. Die Gründe und möglichen Lösungen sind in der ZUSAMMEN:ÖSTERREICHKontroverse umstritten.
Der Maßnahmenplan sieht ein fünfstufiges Vorgehen gegen Schulpflichtverletzungen vor: Am Anfang steht ein verpflichtendes Gespräch zwischen Schülerin bzw. Schüler, Erziehungsberechtigten und Lehrerin bzw. Lehrer. Sind die Gründe für das Fernbleiben geklärt, schließen alle Beteiligten eine Vereinbarung. Besteht die Schulpflichtverletzung weiter, werden stufenweise Berater und Psychologen, die Schulaufsicht und schließlich die Jugendwohlfahrt hinzugezogen. Erst, wenn alle anderen Versuche gescheitert sind, wird eine Strafe von bis zu 440 Euro ausgesprochen. Geplant ist also ein gemeinsamer Prozess zwischen Schülerinnen und Schülern, Eltern und Schule, der als letzten Ausweg auch Strafen möglich macht.
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Schule, Lernen und Integration
Zu viele Interessen für einen Berufswunsch s tec k b r i e f
Vorzugsschüler mit fremden Wurzeln Sie nützen ihre Chancen trotz schwieriger Voraussetzungen: Vier START-Stipendiaten im Portrait.
Tahrin Alam
Alter: 15 Herkunft: Eltern aus Bangladesch zugewandert Berufswunsch: unklar
Was willst du einmal werden? Meine Interessen sind Musik, Politik und Umwelttechnik – etwas schwierig, das in einem Berufswunsch zu kombinieren. Vielleicht kann ich ja eine umweltschützende, Gitarre spielende Politikerin werden? Im Moment konzentriere ich mich einmal auf die Matura und den Instrumentalunterricht, den ich mir dank des Stipendiums leisten kann.
Fünf Sprachen und klare Ziele Jaspal Singh
Alter: 16 Herkunft: Indien Berufswunsch: Restaurantbesitzer, Unternehmensberater
Was bedeutet für dich Integration? Ich sehe den Menschen als Blume. Die Wurzeln werden immer dieselben sein, aber was über dem Boden ist, kann sich anpassen. Meine Wurzeln sind in Indien, aber ich bin in Wien daheim. Das ist kein Widerspruch, ich spreche ja neben Deutsch und Englisch auch Punjabi, Hindi und Urdu.
Welche Bedeutung hat Bangladesch für dich? Meine Eltern sind von dort nach Österreich gekommen, meine Schwester und ich sind in Wien aufgewachsen. Ich stecke im kulturellen Zwiespalt, aber letztlich ist jede Erfahrung, Sprache und Tradition in beiden Ländern eine Bereicherung für mich.
Wie gut funktioniert das Zusammenleben in Österreich? Ich finde, das Thema kommt zurzeit in Schwung. Es wird immer öfter über die positiven Seiten berichtet. Man muss sich anpassen, aber die Toleranz der Österreicher ist auch wichtig. Man kann nicht Forderungen an Ausländer stellen, die man selbst nicht erfüllen könnte.
Redetalent mit vielen Gesichtern
Weltreisende mit sozialer Ader
Text
Isabella Steger
Das Stipendienprogramm richtet sich an besonders engagierte Kinder von Zuwanderern. Gefördert werden vor allem Jugendliche aus wenig privilegierten Familien, die sich nach oben arbeiten wollen. START unterstützt die Stipendiaten sowohl materiell, etwa mit Zuschüssen zu Bildungsausgaben, als auch ideell, etwa mit Seminaren oder Coachings. Bereits 150 profitierten Das in Deutschland gegründete START-Programm kam 2006 nach Österreich. Seither wurden in Wien, Vorarlberg und Salzburg rund 150 Stipendien an Schüler mit Wurzeln in mehr als 30 unterschiedlichen Ländern vergeben.
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Zusammen:Österreich
Was sind deine größten Stärken? Ich bin ein optimistischer, verantwortungsbewusster Mensch und komme gerne mit vielen Leuten ins Gespräch. Ich spreche gerne von Leuten und habe auch schon Moderations- und Theatererfahrung sammeln können. Vielleicht kann ich das auch mal beruflich nutzen und dem Thema Integration ein lächelndes Gesicht geben. Welche Eigenschaften helfen, sich zu integrieren? Man sollte offen für Neues sein und Bereitschaft zeigen, ständig dazu zulernen. Wer motiviert ist, kann in Österreich viel erreichen. Man muss sich auch seiner eigenen Stärken bewusst werden: Das START-Stipendium hat mir Türen zu Unternehmen geöffnet, bei denen ich von meiner Mehrsprachigkeit profitieren kann.
Rahma Yasin
R ep o r ta g e
Alter: 17 Herkunft: Ägypten Berufswunsch: Kinderärztin
„Sprechen Mütter Deutsch, geht’s den Kindern automatisch besser“
Wie würdest du dich selbst beschreiben? Ich bin ein sehr fröhlicher Mensch, ich lache viel. Ich liebe die Arbeit mit Menschen. Ich kann nicht lange alleine in einem geschlossenen Raum sitzen, ich brauche Gesellschaft. Was wünschst du dir vom Leben? Mein größter Wunsch ist es, die ganze Welt zu sehen, alle Ecken und Winkel. Die Welt ist überall anders, so wie wir Menschen, das fasziniert mich.
Fotos: www.weinfranz.at
Was ist STARTÖsterreich?
Bogdan Hrnjak
Alter: 16 Herkunft: Serbien Berufswunsch: unklar
Fotos: Start/Privat
wissen
Die HIPPY-Übungen stärken Kinder und Mütter gleichermaßen: „Ich habe dabei selbst auch viel gelernt“, sagt Zöhre N. (links).
Kinder mit nicht-deutscher Muttersprache scheitern überdurchschnittlich oft im Bildungssystem. Bereits im Vorschulalter fördert sie deshalb ein Hausbesuchs-Projekt – und stärkt nebenbei auch die Mütter. Text
Franziska Troger
N
eun Uhr in der Früh in Wien-Rudolfsheim: Gülay Aslan macht sich auf den Weg zu ihrem ersten Hausbesuch. Frau Aslan ist weder Ärztin noch Friseurin – sie ist Betreuerin für das Projekt HIPPY. In dessen Rahmen besucht sie junge Mütter mit Migrationshintergrund einmal wöchentlich und unterstützt sie bei der Förderung ihrer Kinder im Vorschulalter. „Mein eigener Sohn geht ins Gymnasium. Bei ihm sehe ich, wie wichtig es ist, gut Deutsch zu können“, erklärt sie ihre Motivation. 58 Prozent brauchen Förderung Gerade bei den Sprachkenntnissen hinken Migrantenkinder ihren Altersgenossen oft hinterher, wie die Sprachstandsfeststellung für Kindergartenkinder ergeben hat: 58 Prozent der Kinder mit nicht-deutscher Muttersprache benötigen extra Sprachförderung, um ein altersgemäßes Niveau zu erreichen. Mit 82 Prozent besonders häufig betroffen sind türkischsprachige Kinder, unter deutschsprachigen sind es immerhin zehn Prozent.
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Fokus
Schule, Lernen und Integration wissen
Die Mütter lernen mit Tatsächlich ist die Förderung der Mütter kein Nebeneffekt, sondern Teil des HIPPY-Konzepts: „Unsere Zielgruppe sind Kinder und Mütter“, sagt Aslan, die selbst 1995 aus der Türkei zugewandert ist.
A n a ly s e
Früh fördern statt später korrigieren Je früher jemand den Kindergarten besucht, desto höher der spätere Bildungserfolg und das Einkommen. Kinder mit Migrationshintergrund profitieren besonders stark, zeigt eine internationale Vergleichsstudie. Text
Kurt Schmid
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Hausbesuche für Kinder und Mütter Das Konzept von „Home Instruction for Pa rents of Preschool Youngsters“ – kurz HIPPY – wurde in Israel entwickelt und in den 1970erund 80er-Jahren zu einem internati onalen Programm ausgebaut. Heute profitieren Familien von Australien über Dänemark bis in die USA von dem Haus
Investitionen in die frühkindliche Betreuung und Förderung rentieren sich mehrfach und auf vielen Ebenen. Das
zeigen zahlreiche nationale und inter nationale Studien, die das Institut für Bildungsforschung der Wirtschaft ver gleichend analysiert hat. Kinder, die Einrichtungen wie Hort, Kinderkrippe und Kindergarten besuchen, profitieren in ihrer sozialen und emotionalen, aber auch in ihrer kognitiven Entwicklung, also beim Sprechen, Lesen, Schreiben und Rechnen. Das hat zahlreiche positive langfris tige Effekte: Diese Kinder haben mehr Freude am Lernen, besuchen später eher höhere Schulen. Zugleich sind sie seltener von Sitzenbleiben oder Schulabbruch betroffen als Kinder, die ausschließlich in der Familie betreut wurden. Sprachförderung als Schlüssel Besonders positiv wirkt sich der Kindergartenbesuch auf Kinder aus einem sozial benachteiligten Umfeld aus. Wer benachteiligt ist, hängt vor allem von der Qualität der elterlichen Erziehung ab und weniger vom Einkommen oder Bildungsgrad der Eltern – schon gar nicht davon, ob sie zugewandert sind. In der Realität sind aber
Mir ist wichtig, dass meine Kinder auch gut Deutsch spre chen. Wir leben ja in einem deutsch sprachigen Land.
„Viele Frauen haben wenig Kontakt zur Umwelt, sprechen kaum Deutsch. Erst mit Sprachkenntnissen kommt das nötige Selbstbewusstsein, um rauszugehen und etwa mit der Kindergärtnerin oder Lehrerin ihrer Kinder zu sprechen.“ Kurz vor Mittag trifft sie bei Cherrylin B. in Wien-Ottakring ein. Die Mutter von vier Kindern folgte vor sechs Jahren ihrem Mann, einem Diplomkrankenpfleger, von den Philippinen nach Österreich. Ihr Jüngster heißt Sean, besucht den Kindergarten und freut sich schon auf die Volksschule. „Meine Kinder sprechen zu Ich habe bei Hause unsere Mutter- den Übungen sprache Tagalog, Engauch viel lisch und Deutsch. Manchmal kommen gelernt, meinen sie durcheinander und Wortschatz ihnen raucht der Kopf“, erweitert. schildert sie die SchatZöhre N., tenseiten der beein- Herkunftsland Türkei
druckenden Mehrsprachigkeit und ergänzt: „Deshalb ist mir die Deutschförderung besonders wichtig. Wir leben ja in einem deutschsprachigen Land.“
viele Kinder aus fremdsprachigen Familien auch sozial benachteiligt, weil ihre Eltern nicht in der Lage sind, sie ausreichend zu fördern. Das zeigen zahlreiche Studien. Migrantenkinder, die einen Kindergarten besucht haben, zeigen bereits beim Schulstart wesentlich bessere Ergebnisse als jene ohne Kindergartenplatz. Schon ein Kinderkrippenbesuch hat messbar positive Folgen. Wichtig ist, dabei die Eltern einzubinden, damit auch die Förderung zu Hause verbessert wird. Ein zentraler Punkt ist die Sprachförderung. Auch hier gilt: Sie nützt allen Kindern, besonders jenen aus sozial benachteiligten und fremdsprachigen Milieus.
einkommen, der Staat nimmt Steuern ein und die Kosten für Sozialtransfers sinken. Studien, die Kosten und Nutzen von Investitionen in die frühkindliche Bildung berechnen, kommen zu beeindruckenden Ergebnissen: Je nach Schätzung erbringt jeder Euro, der in Kindergarten & Co investiert wird, vier bis acht Euro an Nutzen. Bei Kindern aus sozial benachteilig ten und fremdsprachigen Familien ist der Ertrag tendenziell noch höher. Die Studien schränken aber auch ein: Der Kindergarten ist nicht in der Lage, Bildungsnachteile aufgrund der Herkunft vollständig auszugleichen. Außerdem können auch die besten Fördermaßnahmen nicht garantieren, dass Kinder nicht dennoch im Lauf ihrer Schulzeit Lernschwächen haben oder in soziale bzw. emotionale Problemlagen geraten.
Rendite bis zu 800 Prozent Vom Kindergartenbesuch profitieren aber nicht nur die einzelnen Kinder, sondern die gesamte Gesellschaft und Volkswirtschaft. Der höhere Bildungserfolg und die niedrigeren Abbruchquoten, die sich auf frühkindliche Förderung zurückführen lassen, sorgen einerseits für mehr Wirtschaftswachstum. Andererseits sind Eltern, vor allem Mütter, weniger mit Kinderbetreuung beschäftigt und häufiger selbst erwerbstätig. Damit steigt das Familien-
Cherrylin B., Herkunftsland Philippinen
Über den Alltag sprechen B. geht außerdem mit Begeisterung zu den HIPPY-Müttertreffen. Sie finden alle zwei Wochen statt und sorgen neben der sprachlichen auch für die soziale Integration. Neben gemeinsamen Gesprächs runden werden bei den Treffen alltägliche Themen wie Gesundheit, Schulsystem, Erziehung oder Ernährung besprochen. „Wenn die Mütter selbstständig sind, gut Deutsch sprechen und über den Alltag in Österreich Bescheid wissen, geht’s den Kindern automatisch besser“, fasst Gülay Aslan das HIPPY-Konzept zusammen.
Fotos: www.weinfranz.at
Aslans erster Besuch an diesem Tag gilt Zöhre N. Ihre Tochter Helin steht kurz vor dem Schuleintritt. „Schon mein Sohn Umut, er ist jetzt in der zweiten Klasse Volksschule, war bei HIPPY dabei. Der spielerische Zugang zum Lernen hat ihm besonders gefallen und den Schulstart hat er problemlos geschafft“, erzählt sie stolz. Eine Stunde lang geht sie mit der Betreuerin Lernblätter mit Lese-, Schreib- und Konzentrationsübungen durch. Am Nachmittag, wenn Helin aus dem Kindergarten zurück ist, werden Mutter und Tochter sie gemeinsam durcharbeiten. „Ich habe dabei selbst auch viel gelernt, meinen Wortschatz erweitert“, erzählt Frau N.
besuchsprogramm. Im Mittelpunkt des Projekts steht die gezielte Förderung von Kindern aus bildungsfernen Familien, häufig von Migranten. Weltweit nehmen derzeit über 22.000 Familien an HIPPY teil. Seit Mai 2007 bietet der Verein beratungsgruppe.at das Projekt auch in Österreich an. Das Projekt wird durch den Europäischen Integrationsfonds (EIF) und das Bun desministerium für Inneres (BM.I) sowie regionale Fördergeber unter stützt.
Jeder Euro, der in Kinder garten & Co investiert wird, erbringt vier bis acht Euro an Nutzen.
Fazit: Kindergarten lohnt sich Zusammenfassend zeigen die Studien: Der Kindergar tenb esuch ist sowohl für das einzelne Kind als auch für
Hintergrund
30 Millionen für Sprachförderung
die Gesamtgesellschaft vorteilhaft. Jede Investition in diesen Bereich rentiert sich später mehrfach. Das gilt gerade für Kinder aus Familien mit Migra tionshintergrund. Neben dem Kindergarten ist auch die Förderung im Elternhaus wichtig. Eine sinnvolle Maßnahme wäre der Ausbau des Kinderbetreuungsangebots, um bestehende regionale Unterschiede auszugleichen und allen Kindern den Zugang zu früher Bildung zu ermög lichen. Aber auch die Qualität der Betreuung kann verbessert, das Personal noch professioneller ausgebildet werden.
Kurt Schmid ist Leiter der Vergleichsstudie „Zum Nutzen frühkindlicher Förderung“ am Institut für Bildungsforschung der Wirtschaft. Die Studie ist in Kurzfassung auf www.ibw.at kostenlos verfügbar.
23 Prozent aller Kindergartenkinder brauchen extra Sprachförderung. Unter Kindern mit einer anderen Erstsprache als Deutsch sind es sogar 58 Prozent. Das hat die „Sprachstands-Feststel lung“ (2008) ergeben. Dabei wurden Kinder ein Jahr vor der Einschulung getestet. Diejenigen, bei denen Förder bedarf bestand, wurden an schließend im letzten Kinder gartenjahr speziell gefördert. Die Sprachförderung war für zwei Jahre budgetiert und lief danach aus. Nun hat Staatssekretär Sebastian Kurz die Sprachförderung wiederbelebt. Gemeinsam mit den Bundesländern stellt er insge samt 10 Millionen Euro pro Jahr zur Verfügung. Die Finan zierung ist vorerst bis 2014 gesichert. Zweites Kindergartenjahr gefordert Was die Sprach stands-Feststellung auch zeigt: Kinder, die einen Kindergarten besuchen, sind in ihrer Sprach entwicklung fortgeschrittener. Unter den getesteten Kindern mit nicht-deutscher Erst sprache, die zum Testzeitpunkt noch keine Kinderbetreuungs einrichtung besuchten, hatten sogar 80 Prozent Förder bedarf. Kurz fordert deshalb ein zweites verpflichtendes Kindergartenjahr. Dieses wird ab Herbst in zwei Projekt regionen, den Bezirken St. Pölten Land (Niederösterreich) und Oberpinzgau (Salzburg), erprobt.
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Schule, Lernen und Integration
ÖSTERREICH:TELEGRAMM
Nac hm i t ta g s b e t r e u u n g
Die Caritas Lerncafés Niederösterreich
Standort in Betrieb
Marchtrenk Wels
Standort-Eröffnung im Herbst 2012
Korneuburg
Linz
Wolkersdorf
Amstetten St. Pölten
oberösterreich
Wien Eisenstadt
Salzburg Bregenz Lustenau Dornbirn
Vorarlberg
B EG R I F F E MI T MI G R ATI O N S H I N TER G R U N D
Info
burgenland
steiermark
Innsbruck
Zell am See
Imst
Knittelfeld
salzburg
Tirol Tirol
Leoben Graz
Wolfsberg
Kärnten Villach
Klagenfurt
Häufig können Eltern ihre Kinder beim Erledigen schulischer Aufgaben nicht ausreichend unterstützen. In den „Lerncafés“ der Caritas erhalten Schülerinnen und Schüler mit und ohne Migrationshintergrund die nötige Unterstützung, um Hausaufgaben und Lernen gut zu bewältigen. Das Angebot ist kostenlos und in Städten in allen Bundesländern verfügbar.
TIROL/STEIERMARK: Dank Mentoring zum Sportfunktionär Beim ÖIF-Projekt „Mentoring im Sport“ unterstützen erfahrene Persönlichkeiten aus dem österreichischen Sport Migranten beim Einstieg in eine Tätigkeit als Schiedsrichter oder Funktionär. In Tirol und der Steiermark startete im Oktober bereits der zweite Projektdurchgang.
Wort wanderung Nicht nur Menschen migrieren, sondern auch Wörter – und das schon seit langer Zeit. ZUSAMMEN:ÖSTERREICH präsentiert Begriffe, die in den deutschen Sprachraum ein- oder aus diesem ausgewandert sind.
K we i t e n n e n S i e re B e mit M egrif i g h i n t e ra t i o n f e srg r Schr und?
Sie u eiben ns an ma :
integ
gaz ratio in@ n s fo nds.a t
OBERÖSTERREICH: Podiumsdiskussion: Berufsanerkennung von Migranten Über die Anerkennung von beruflichen Qualifikationen von Zuwanderern als Win-win-Situation ohne unnötige Schikanen diskutieren u. a. Staatssekretär Sebastian Kurz und Rudolf Trauner, Präsident der Wirtschaftskammer OÖ, bei einem „Magdalena Gespräch“ am 6.2.2013 im Erwin-Wenzl-Haus in Linz.
Die genauen Adressen aller Lerncafés finden Sie online unter www.caritas.at/ hilfe-einrichtungen/ lerncafes
Service
Sie wollen mehr wissen?
Umfassende Statistiken zu Bildungsthemen finden Sie im Statistischen Jahrbuch „migration & integration“ 2012. Online lesbar unter Publikationen Zahlen und Fakten Statistisches Jahrbuch 2012.
Die Medienservicestelle Neue ÖsterreicherInnen bietet zahlreiche detaillierte Hintergrundartikel und Faktensammlungen. Zu finden auf www.medienservicestelle.at unter Themen Sprache & Bildung.
Seminare und Lehrgänge, etwa zu Migrationspädagogik oder dem Islam, bietet das Department Migration und Globalisierung der Donau-Uni Krems. Kontakt: 02732/893-2416 – www.donau-uni.ac.at
Die PISA-Studie (2009) hat detaillierte Ergebnisse für Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund. Lesbar auf www.bifie.at/buch/1249/5/2.
Speziell für Lehrer in Schulklassen mit hoher Diversität bietet die Uni Wien einen viersemestrigen Zertifikatskurs an. Kontakt: 01/4277-10800 – www.postgraduatecenter.at
Schlechtes Klassenklima wegen hohem Migrantenanteil? Es gibt keinen signifikanten Zusammenhang, ergab eine ÖIF-Studie aus dem Jahr 2011. Erhältlich im Webshop. Wie wichtig ist der Kindergarten? Das ÖIF-Dossier n°9 (2010) untersucht die Rolle der frühkindlichen Förderung. Online lesbar unter Publikationen ÖIF-Dossiers. Die zweite Generation in Wien: Das ÖIFDossier n°3 (2009) beschäftigt sich mit der Bildungssituation der in Wien geborenen Kinder von Migranten. Online lesbar unter Publikationen ÖIF-Dossiers.
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Zusammen:Österreich
Probleme im Schulwesen hat die DonauUni Krems für das Bildungsministerium untersucht. Die Analyse „Schule – Migration – Gender“ (2011) ist lesbar auf www.bmukk.gv.at unter Bildung / Schulen Studien und Berichte. Mehr Wissen übers Bildungssystem müsste Migrantinnen und Migranten vermittelt werden, ergab eine Studie der Industriellenvereinigung (2012). Zu finden auf www.iv-net.at unter Publikationen & Links Publikationen Gesellschaftspolitik.
Als Prüfer im Rahmen der Integrationsvereinbarung können sich Lehrerinnen und Lehrer in Deutsch als Fremd- bzw. Zweitsprache beim ÖIF schulen lassen. Kontakt: 01/7151051-250 – Team Sprache Integration von der EU fördern lassen – diese Möglichkeit bieten der Europäische Integrations- und Flüchtlingsfonds. Weitere Informationen: www.bmi.gv.at/cms/ BMI_Fonds und www.integrationsfonds. at/europaeische_fonds
FOTOS: ISTOCKPHOTO.COM, ILLUSTRATIONEN: NIEL MAZHAR
Weiterbildung & Förderungen:
Foto: Istockphoto.com
Weiterlesen anderswo:
Die Farbe Türkis kommt vom gleichnamigen Edelstein, der auf Französisch turquoise heißt, also schlicht türkisch. Die ersten dieser Schmuckstücke kamen vermutlich aus der Türkei nach Frankreich, der Begriff von dort ins Deutsche. Der Kaffee hat zwei mögliche etymologische Ursprünge: Eine Theorie leitet den Begriff von der äthiopischen Region Kaffa her, wo die Pflanze herkommen soll. Die andere nimmt als Wurzel das arabische qahwa an, was neben Kaffee auch Wein bezeichnete. In jedem Fall wanderte das Wort über das türkische kahve nach Europa ein.
Weitere Hintergründe, Fakten und Ansprechpartner zum Thema Schule, Lernen und Integration haben wir Ihnen hier zusammengestellt:
Weiterlesen auf www.integrationsfonds.at:
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ÖSTERREICH: Kurz und Darabos verleihen Integrationspreis Sport Bereits zum fünften Mal zeichnet der ÖIF am 12.11.2012 Sportprojekte aus, die das Zusammenspiel von Menschen mit und ohne Migrationshintergrund fördern. Auf die Preisträger – im letzten Jahr unter anderem ein Turnprojekt für türkische, arabische und österreichische Frauen – warten 15.000 Euro Preisgeld.
Das Sakko stammt vom altfranzösischen jacquee ab, was sich mit Waffenrock übersetzen lässt. Dieselbe sprachliche Wurzel haben das Jackett und die Jacke.
Mehr Information zu den Angeboten des Österreichischen Integrationsfonds an seinen Standorten in Wien, Linz, Graz und Innsbruck finden Sie unter www.integrationsfonds.at
Die Krawatte ist nach den Kroaten benannt und kam über das Französische ins Deutsche. Konkret entstand der Begriff, als kroatische Soldaten im Dreißigjährigen Krieg zur Unter-
stützung nach Paris kamen. Dort fielen sie durch ihre eleganten Halstücher auf, die bald zur Mode à la croate wurden. Der Schal hat seinen Namen vom persisch/arabischen chalat. Ursprünglich war er ein Umhang für den ganzen Körper. Erst nach seiner Ankunft in Europa schrumpfte der Schal und wurde zum heute üblichen Accessoire.
Der Strudel stammt als Gericht vermutlich aus Asien und kam während der Türkenbelagerung nach Wien. Der deutsche Begriff wiederum breitete sich in der gesamten Monarchie aus und ist bis heute etwa im Bosnischen, Kroatischen und Serbischen als štrudla, im Rumänischen als ştrudel oder im Tschechischen als štrúdl verbreitet. Der Schlagobers ist ein sehr österreichisches Wort, in Deutschland sagt man Sahne. Der Austriazismus ist am Balkan verbreitet, sowohl im Bosnischen, Kroatischen als auch Serbischen gibt es das Wort šlag.
Zusammen:Österreich
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ZUSAMMEN:ÖSTERREICH
Integration fördern. Chancen sichern.
Die moderne Arbeitswelt hat für Mädchen mehr zu bieten als traditionelle Frauenberufe.
chen eigene Handlungsmuster entwickeln und Räume für sich haben, wo sie reflektieren und können“, so sich orientieren mädchen:impulstageMathis. Das Projekt bunt&quer gebe den jungen Frauen diesen Projektleiterin Karin Fitz Raum und „ermöglicht ihnen damit, sich als Teil der K ommune zu erle- und Workshops aktiv an die Öffentlichkeit ben und sich einzubringen“. Auch abseits und erzählen über ihre Lebenswelten“, von bunt&quer stärkt der Verein Amazone lobt Linhart die Ermächtigung der jundie Bregenzer Mädchen, etwa beim Ken- gen Migrantinnen durch das Projekt, „es nenlernen von Berufen, die als „typisch leistet somit präventive Arbeit gegen Dismännlich“ gelten (siehe Interview rechts). kriminierung und trägt zu einer Kultur der Toleranz in Bregenz bei. Ich bin über Projekte wie bunt&quer sehr froh.“ Gut verankert in Bregenz Bregenz ist eine Stadt, in der Menschen aus über 90 verschiedenen Nationen leben. „Das stellt uns immer wieder vor neue Fragen und löst auch Verunsicherung aus“, erklärt Bürgermeister Markus Linhart. „Die enorme Vielfalt als Chance zu erfassen ist eine herausfordernde Arbeit“, bringt er die Situation auf den Punkt, die wohl viele Stadtchefs kennen. Die Arbeit von bunt&quer spiele dabei in Bregenz eine wichtige Rolle: „Die Mädchen wenden sich bei Filmvorführungen, Dialogen
I n teg r at i o n v o r O r t
Eine Mädchenoase in Bregenz Im Projekt bunt&quer setzen sich junge Migrantinnen mit ihren verschiedenen Rollen in Familie und Gesellschaft auseinander – und leisten damit einen wichtigen Beitrag für das Zusammenleben in der Stadt. Text
M
service & unterstützung
Das Projekt bunt&quer des Mädchenzentrums Amazone wird durch den Europäischen Integrationsfonds und das Bundesministerium für Inneres im Bereich „Inter kultureller Dialog“ kofinanziert. Das Bundesministerium für Inneres, Referat III/8/a Flüchtlingsund Integrationsförderung ist für die Abwicklung des Europäischen Integrations- und Europäischen Flüchtlingsfonds als Teil der EU-SOLID Fonds in Österreich verantwortlich. Der
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Österreichische Integrationsfonds Team Europäische Fonds unterstützt das BM.I bei der Fondsabwicklung und ist als Anlaufund Servicestelle mit der Bereit stellung von Information für Projekt interessierte sowie mit der Verwaltung und Kontrolle der ausgewählten Projekte beauftragt. Mehr Informationen zu den Europäischen Fonds und zur Antragstellung finden Sie auf: www. bmi.gv.at/cms/BMI_ Fonds und www.inte grationsfonds.at/ europaeische_fonds.
Zusammen:Österreich
ädchen sind eine in der Gesellschaft in mancher Hinsicht benachteiligte Gruppe – und Mädchen mit Migrationshintergrund umso mehr. Der Bregenzer Verein Amazone fördert junge Migrantinnen deshalb gezielt im Projekt bunt&quer, das vom Europäischen Integrationsfonds und dem Bundesministerium für Inneres kofinanziert wird. Bei Workshops, Dialogveranstaltungen und sonstigen Events sollen sie in erster Linie selbst zu Wort kommen und sich nach ihren e igenen Vorstellungen mit Themen wie Interkulturalität, Geschlechterrollen oder Diskriminierung beschäftigen. Kulturellen Spagat bewältigen „Mädchen mit Migrationshintergrund sind häufig einem Spagat ausgesetzt“, sagt die für Integration zuständige Bregenzer Stadträtin Elisabeth Mathis. Sie müssten zwischen den traditionellen Vorstellungen der Kultur ihrer Eltern und den Erwartungen der österreichischen Gesellschaft balancieren, wo es viel um Selbstständigkeit und -verwirklichung gehe. „In diesem Wechselspiel ist es wichtig, dass die Mäd-
Info
FOTOS: Verein Amazone
Jana Vladusic
Das Mädchenzentrum Amazone in Bregenz fordert und fördert Selbstbestimmung jenseits geschlechtsspezifischer Einschränkungen und Zuschreibungen für Mädchen und junge Frauen. Amazone öffnet viermal wöchentlich für Mädchen von 10 bis 18 Jahren. Die Besucherinnen können Beratungsleistungen in Anspruch nehmen, an Workshops teilnehmen, im Internet surfen, sich kreativ
in der AmazoneWerkstatt betätigen oder einfach nur chillen und sich mit Freundinnen treffen. Die Themen der Workshops treffen die Interessen und Bedürfnisse der jungen Frauen im Kern: Liebe und Sexualität ist ebenso Thema wie Gewaltpräven tion und Courage oder praxisorientierte Angebote wie Schwarz-Weiß-Fotografie und kreatives Kunsthandwerk, Multimedia und Graffiti. Kontakt: Mädchenzentrum Amazone Kirchstraße 39 6900 Bregenz Tel.: 05574/45801 www.amazone.or.at
I n terview
Chancen für Mädchen fördern
Im Interview: Karin Fitz, Leiterin der mädchen:impulstage
Coole Berufe ausprobieren und dabei neue Talente entdecken, das konnten die jungen Besucherinnen der mädchen:impulstage 2012 des Mädchenzentrums Amazone. Warum brauchen Mädchen besondere Impulse für die Berufswahl? Die Berufswahl von Mädchen ist nach wie vor sehr traditionell geprägt und entspricht häufiger gängigen Rollenbildern als den eigenen Interessen. Mädchen stellen bei ihrer Berufswahl oft eigene Neigungen und Fähigkeiten zurück, um den Erwartungen der Erwachsenen zu entsprechen. Welche Chancen hält der Arbeitsmarkt für Mädchen bereit? Fast drei Viertel wählen ihre Ausbildung aus nur zehn Lehrberufen – ausschließlich traditionelle Frauenberufe. Die moderne Arbeitswelt hat mehr zu bieten! Speziell in handwerklichen und technischen Jobs gibt es eine große Nachfrage nach Frauen. Diese bieten außerdem bessere Bezahlung und Karrierechancen. Wie sieht das Angebot der mädchen:impulstage konkret aus? Wir bieten drei Tage lang Workshops, Spaß und Infos zum Thema Arbeit und Zukunftsplanung abseits „typischer“ Frauenberufe. Die Mädchen konnten mit einer Pilotin Wettermeldungen entschlüsseln, sich als Feuerwehrfrau beweisen oder als Kamerafrau eine Szene drehen. So machen wir Talente und „untypische“ Frauenberufe erfahrbar.
Zusammen:Österreich
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ZUSAMMEN:ÖSTERREICH
Integration fördern. Chancen sichern.
P o r tra i t
Vom Maurerlehrling zum Schauspieler
mein Traum, beim Film Persönliche Konweiter und das ist leider tätig zu sein. Diesen Traum takte sind wichtig, oft keine gute. Deshalb habe ich auch als Jugend haben viele Kinder und die hinterlassen licher während der anJugendliche von klein strengenden Zeit am Bau Eindruck. auf eine negative HalHaris Bilajbegovic nicht aus den Augen ver tung zum Thema. Man loren und nebenher etwa bei einem Schulbesuch sollte sie also so früh Schauspiel- und Stuntwie möglich mit posiUnterricht genommen, wann es eben tiven Beispielen konfrontieren! Wie denken die Jugendlichen selbst ging. Es muss einem immer bewusst sein, dass man Träume nicht von heute auf über das Thema? Gibt es etwas, was Sie an ihrer Sichtweise überrascht hat? morgen erreichen kann. War es jemals ein Nachteil, Kind von Bilajbegovic: Ja, es hat mich überrascht, Zuwanderern zu sein? dass sich so viele für Integration interesBilajbegovic: Nein, das war rückblickend sieren. Vor allem persönliche Kontakte eher ein Vorteil. Ich war als Schüler einer sind wichtig, die hinterlassen Eindruck. der wenigen „Ausländer“ in der Klasse. Deshalb sehe ich unsere Schulbesuche Ich hatte das Gefühl, „anders“ zu sein, nur als ersten Schritt. Ein einziger Besuch wollte aber unbedingt dazugehören. Diese ist zu wenig – die Integrationsbotschafter Kraft habe ich für meine Ziele genützt. sollten regelmäßig und flächendeckend in Ich glaube, ohne meinen Migrations ganz Österreich unterwegs sein. Denn das hintergrund wäre ich heute nicht dort, wo fehlt dem „Projekt Integration“ noch: ich bin. Mitarbeiter mit Migrationshintergrund, Die Studienberechtigungsprüfung die etwas erreicht haben und als Vorbilder ist für viele eine große Hürde, Arbeit und dienen können. Ich persönlich würde das Studium sind eine ständige Doppelbe- gerne machen.
Integrationsbotschafter Haris Bilajbegovic will Schülern so früh wie möglich positive Beispiele aufzeigen – und sieht es als Karrierevorteil, „Ausländer“ zu sein. interview
Valentin Schwarz
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aurer am Bau, Doppel-Akademiker, preisgekrönter Regisseur und Drehbuchautor, Trainer für Kampfkunst und Gewaltprävention – Haris Bilajbegovic hat in den unterschiedlichsten Bereichen viel erreicht. Im ZUSAMMEN:ÖSTERREICH-Gespräch erklärt er, wie ihm all das gelungen ist.
Sie haben zuerst eine Maurerlehre gemacht, dann Schauspielunterricht genommen und schließlich an der Universität studiert. Nur wenige entschließen sich nach einer Lehre dazu, eine höhere Bildung anzustreben. Was waren Ihre Gründe? Haris Bilajbegovic: Es war immer schon
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Zusammen:Österreich
Haris Bilajbegovic, Sohn bosnischer Zuwanderer, rät Jugendlichen, für ihre Ziele und Träume zu kämpfen, auch wenn das schwierig erscheint: „Man sollte sich die nötige Zeit geben.“
FOTOS: Simone Attisani Photography, ÖIF/Elisabeth Hütter
lastung.Wie haben Sie all das unter einen Hut gebracht?
Bilajbegovic: Sehr wichtig war die Unterstützung meiner Eltern. Sie stehen immer hinter meinen Geschwistern und mir, egal, was wir erreichen wollen. Aber jedes Ziel benötigt auch Zeit, die man sich geben sollte. Mein Ziel war es, nach der Schauspielausbildung noch ein Standbein zu haben, weil es beim Film oft keine Garantie fürs nächste Engagement gibt. Also habe ich die Studienberechtigungsprüfung gemacht. Die ist für viele eine große Hürde, das stimmt – aber sie ist zu schaffen, wenn man darum kämpft.
Als Integrationsbotschafter besuchen Sie Schulen und sprechen mit den Schülern über Integrationsthemen. Wo liegen Ihrer Erfahrung nach die Herausforderungen? Bilajbegovic: Meiner Meinung nach beginnt Integration zu Hause. Die Eltern geben ihre Einstellungen an die Kinder
Ihre Eltern sind aus Bosnien eingewandert, Sie sind in Österreich geboren. Was raten Sie Zuwandererkindern, die einmal so erfolgreich wie Sie werden wollen? Bilajbegovic: Es ist ein Glück, in einem Land wie Österreich zu leben. Hier wird einem die Möglichkeit geboten, seine Ziele und Träume zu verwirklichen. Wir, mit oder ohne Migrationshintergrund, sind aber selbst dafür verantwortlich. Wie heißt es so schön: „Träume nicht dein Leben – lebe deinen Traum!“ Dazu ist es nie zu spät, damit kann man jeden Tag beginnen.
Haris Bilajbegovic
ist Schauspieler, Stuntman, Regisseur und Drehbuchautor. Außerdem unterrichtet er Kampfkunst und Gewaltprävention, hat u. a. die erste Türsteherausbildung Österreichs abgehalten. Weitere Infos: www.haris.at
Initiative
Die Integrationsbotschafter „Zusammen: Österreich“ ist nicht nur der Name dieses Magazins, sondern auch eines Projekts, das Staatssekretär Sebastian Kurz im Herbst 2011 initiiert hat. Über hundert VorzeigeMigranten besuchen als Integrationsbotschafter Schulen in ganz Österreich, um ihre persönliche Erfolgsgeschichte zu erzählen und mit den Kindern zu diskutieren. Über 4.000 Schüler profitierten bisher bereits davon. Das Projekt, das mittlerweile vom Österreichischen Integrationsfonds geleitet wird, bezieht nun unter dem Motto „Jetzt Du!“ auch Vereine mit ein. Ziel ist es, einerseits junge Migranten zu ehrenamtlichem Engagement zu motivieren und andererseits die Vereine für sie zu öffnen.
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Integration fördern. Chancen sichern.
p r o j ek t Po r t r a i t
Auf dem Berg sind alle gleich
Touristen und Gästen kann bei einer späteren Jobsuche wertvoll sein.“ … und als Anknüpfungspunkt Gerade am Berg ist Österreichs Vereinslandschaft sehr präsent. Diese für die Verbesserung der Integration in Österreich zu nützen, ist ein Ziel des Projekts „Zusammen:Österreich“ (siehe auch Seite 26). „Wir bemühen uns intensiv darum, Zuwanderer in die Vereine zu bringen und diese umgekehrt für Mitglieder mit Migrationshintergrund zu öffnen“, sagt Projektleiterin Michaela Grubmüller. Selbst in Vorarlberg aufgewachsen, weiß sie: „Wer bei der Freiwilligen Feuerwehr oder im Sparverein mitmacht, knüpft schnell Kontakte und gehört dazu.“ Ob jemand in zehnter Generation im Ort lebe oder aus dem Ausland zugewandert sei – das spiele dann schnell keine Rolle mehr. Ähnliches weiß Rusmira Besic, die Wanderführerin aus Bosnien, zu berichten: „Während einer Tour haben wir alle das gleiche Ziel, den Gipfel. Da ist es egal, ob man aus Bosnien oder Österreich kommt. Ich sag immer: Auf dem Berg sind alle gleich.“
In einer neuen Ausbildung lernen Zuwanderer aus aller Welt, wie sie andere Naturbegeisterte durch Österreichs Bergwelt führen. Text
Julian Unger
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Mehr Migranten in die Natur Auf die Idee, ihr Hobby auch beruflich zu nützen, kam Rusmira Besic (41) erst vor einigen Monaten. „Ich habe gehört, dass in Linz eine Wanderführer-Ausbildung angeboten wird“, sagt sie. Das habe sie sofort interessiert: „In den Bergen war ich ja schon immer gern. Aber ich hab mir gedacht, als Wanderführerin könnte ich auch meine Landsleute besser dazu bewegen, mehr in die Natur zu gehen.“ Denn viele Migranten würden auch nach Jahren in Österreich die zahlreichen Ausflugsmöglichkeiten nicht kennen. Das bestätigt man im Staatssekretariat für Integration: „Migranten engagieren sich nur selten in traditionellen Vereinen wie dem Alpenverein“, so ein Sprecher, „dabei könnten sie
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„Im Herbst mache ich fast jeden Sonntag eine Tour. Das schöne Wetter muss man ja nutzen“, sagt Rusmira Besic (nicht im Bild), die den Wanderführerkurs absolviert hat.
so bequem Kontakte zu Österreichern knüpfen und Anschluss finden.“ Die Wanderführer-Ausbildung könne einen wertvollen Beitrag zur besseren Integration leisten. Die Landkarte und ich An diese denkt Besic gerne zurück: „Es war faszinierend zu lernen, nur mit einer Landkarte meine Position, die Seehöhe und die Landschaft um mich herum zu bestimmen“, erinnert sie sich. Auch Wetterbeobachtung, Orientierung oder Erste Hilfe stehen auf dem Programm. Der
Info
t heoretisch vermittelte Lernstoff wird während der Übungswanderungen direkt am Berg geübt und vertieft. Den Kurs hat Besic mit Bravour abgeschlossen. „Jetzt, im Herbst, mache ich fast jeden Sonntag eine Tour. Das schöne Wetter muss man ja nutzen. Zuletzt war ich mit 38 Frauen aus einem bosnischen Verein bei den Krimmler Wasserfällen“, erzählt sie. Eine Cousine aus Gmunden, die sich zuvor überhaupt nicht fürs Wandern interessiert habe, habe sie bereits angesteckt: „Sie geht jetzt in die Berge, wann immer sie kann.“
FOTOS: Istcokphoto.com, Vektorama/Gerhard Weber
usmira Besic lebt in Enns in Ober österreich, geboren ist sie aber in Bosnien. In der Natur war sie schon dort, als Kind, gern unterwegs – schließlich war ihr Vater Jäger aus Leidenschaft. In Österreich hat sie die Alpen lieben gelernt. Vor allem im Salzkammergut mit seinen vielen Seen ist sie gerne unterwegs, auch das Tote Gebirge schätzt sie.
Wanderführer als Jobchance … Doch der Wanderführerkurs bereichert nicht nur die Freizeit, er bietet auch eine Jobchance: Die Absolventinnen und Absolventen können ihre Kenntnisse für Tourismusverbände, Alpinvereine und Hotels nützen. „Davon zu leben ist vermutlich schwierig, aber es ist ein netter Zusatzverdienst“, sagt Michael HuberStrasser, der die Ausbildung für den Österreichischen Integrationsfonds koordiniert, „zudem erweitern unsere Wanderführer ihr berufliches Netzwerk. Der Kontakt zur Gemeinde, zu Sportlern,
Während einer Tour haben wir alle das gleiche Ziel, den Gipfel. Da ist es egal, ob man aus Bosnien oder Österreich kommt. Rusmira Besic, Wanderführerin
Der Wanderführerkurs wird bislang in Salzburg und Oberösterreich sowie in Wien und Niederösterreich angeboten. Organi satoren sind der Österreichische Integrationsfonds (ÖIF), der Verband Alpiner Vereine
Österreichs, Alpen verein und Natur freunde Wien. Die Ausbildung umfasst Kartenkunde, Wet terbeobachtung, Orientierung, Erste Hilfe und Führungs verhalten. Die Kos ten können vom ÖIF übernommen werden. Kontakt: Mag. Michael Huber-Strasser michael.huberstrasser@integra tionsfonds.at
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Integration fördern. Chancen sichern.
Wie spricht Österreich? Hintergrundbericht über in Österreich gesprochene Migrantensprachen.
P ubl ik at i o ne n
Integration messbar machen
sind als einheimische Frauen.
EU-Migranten sind gebildeter: Ein
Das Statistische Jahrbuch 2012 liefert Zahlen und Fakten zu allen Bereichen von Integration und Migration. Jetzt kostenlos bestellen!
W
ie viele Menschen wandern jedes Jahr nach Österreich ein und woher kommen sie? Wie hoch ist die Erwerbstätigenquote unter Türkinnen? Wie gut schätzen Einheimische und Migranten die Integration in Österreich ein? Fragen wie diese beantwortet das aktuelle Statistische Jahrbuch „migration & integration“ 2012, das der Österreichische Integrationsfonds zusammen mit Statistik Austria und dem Staatssekretariat für Integration herausgibt.
Info
87 Prozent der Zuwanderer fühlen sich in Österreich völlig oder eher heimisch.
Viertel der Zuwanderinnen und Zuwanderer aus EU-Staaten hat einen Uniabschluss. Unter Einheimischen trifft das nur auf ein Siebtel zu.
Österreicher skeptisch, Migranten optimistisch: Mehr als die Hälfte der Ös-
terreicherinnen und Österreicher (57 Prozent) ist der Meinung, dass Integration eher oder sehr schlecht funktioniere. Ganz anders sehen das die Migrantinnen und Migranten: 87 Prozent fühlen sich in Österreich völlig oder eher heimisch.
Wo gibt es Fortschritte, wo ist noch viel zu tun? 25 Indikatoren machen Erfolge und Herausforderungen messbar.
5.000 bis 6.000 verschiedene Sprachen sind der Wissenschaft heute bekannt. Deutsch ist mit rund 100 Millionen Sprecherinnen und Sprechern weltweit vorne dabei: Es ist die meistgesprochene Muttersprache in der EU und eine ihrer 23 Amtssprachen. In Österreich ist Deutsch nicht nur Amts- und Mehrheitssprache, sondern auch die Sprache der größten Migrantengruppe, nämlich der rund 220.000 im Land lebenden deutschen Staatsbürger.
Online lesen oder bestellen Bestellen Sie das Statistische Jahrbuch „migration & integration“ 2012 kostenlos per Mail an pr@integrations fonds.at. Auf www.integrations fonds.at finden Sie alle Diagramme auch digital und können die Publikation als PDF abspeichern.
Schwierige Unterscheidungen Hunderttausende Menschen in Österreich stammen aus den Staaten des ehemaligen Jugoslawien. Serbisch, Bosnisch und Kroatisch stellen daher – gefolgt von Türkisch, Rumänisch und Polnisch – die am häufigsten gesprochenen Migrantensprachen dar. Generell schwierig ist eine genaue Angabe der Sprecherzahl: Zum einen ist die Abgrenzung zwischen Dialekt und Sprache schwierig. Zum anderen werden Menschen einer Sprachgruppe nicht immer nach linguistischen Kriterien zugeordnet, sondern aufgrund politischer, wirtschaftlicher und sozialer Faktoren. Das Dossier n°24 „Wie spricht Österreich?“ ist auf www.integrationsfonds.at/publikationen kostenlos zum Download erhältlich.
Kroaten in Österreich Die Einwanderung von Kroatinnen und Kroaten hat eine lange Tradition: Mit fast 70.000 Personen stellen sie die fünftgrößte Migrantengruppe in Österreich. Der Großteil lebt in Wien, Oberösterreich und der Steiermark. Wie viele tatsächlich über einen kroatischen Pass verfügen, ist schwer zu sagen: Viele sind noch mit der Staatsangehörigkeit „ehemaliges Jugoslawien“ registriert.
Fast jeder Fünfte ist Migrant: 18,9
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FOTOS: istockphoto.com
Prozent der österreichischen Bevölkerung haben einen Migrationshintergrund, sind also selber zugewandert oder Kinder von Zuwanderern. Deutsche auf Platz eins: Die größte Migrantengruppe sind die Deutschen mit 227.000 Personen. Es folgen Serbien, Montenegro und Kosovo mit 209.000 und die Türkei mit 186.000 Menschen. Migrantinnen seltener erwerbstätig:
Diplom-/Masterarbeiten und Dissertationen
Zahlen und Fakten über die fünftgrößte Migrantengruppe.
Ein paar Key-Facts:
Während unter Einheimischen drei Viertel (74 Prozent) erwerbstätig sind, sind es unter Migrantinnen und Migranten nur zwei Drittel (65 Prozent). Der Rückstand ist darauf zurückzuführen, dass Frauen mit Migrationshintergrund – vor allem Türkinnen – deutlich seltener erwerbstätig
STIPENDIEN
Gut integriert Im Rahmen einer GfK-Befragung aben 84 Prozent der Kroaten an, sich in Österreich sehr g oder eher gut integriert zu fühlen. Die Community besteht aus zahlreichen Vereinen, die meist im kulturellen, sprachlichen oder sportlichen Bereich aktiv sind. Beliebt ist Österreich auch in Kroatien selbst: Bei einer Studie gaben 64 Prozent der Kroaten an, dass sie für einen besseren Arbeitsplatz ihre Heimat verlassen würden. 42 Prozent von ihnen konnten sich vorstellen, in Österreich zu arbeiten. Das Dossier n°23 „Kroatische Migrant/innen in Österreich: Zahlen. Fakten. Einstellungen“ ist auf www.integrationsfonds.at/publikationen kostenlos zum Download erhältlich.
16.000 Euro für Forschung über Integration! Der Österreichische Integrationsfonds vergibt bis zu fünf Stipendien je 2.000,- EUR für Diplom- oder Masterarbeiten und bis zu zwei Stipendien je 3.000,- EUR für Dissertationen an Absolvent/innen österreichischer Universitäten und Fachhochschulen, die sich gezielt mit Migration oder der Integration von Migrant/innen oder Flüchtlingen auseinandergesetzt haben.
Alle Infos hier: http://www.integrationsfonds.at/forschungsstipendium Bewerbung bis 30. Juni 2013
ZUSAMMEN:ÖSTERREICH
Integration fördern. Chancen sichern. „Ob jemand an Gott glaubt oder nicht, ob jemand an die Wiedergeburt glaubt oder nicht – es gibt niemanden, der nicht Freundlichkeit und Mitgefühl schätzt.“ Dalai Lama
wissen
Gesundheitslotsen für Wien
Migranten gehen oft erst spät zum Arzt.Viele bleiben dem Krankenhaus trotz Beschwerden überhaupt fern.Volkshilfe und Integrationsstaatssekretariat wollen das ändern. Text
Franziska Troger
Migranten bleiben dem Arzt häufig fern – wegen fehlenden Wissens sowie sprachlicher und kultureller Barrieren.
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ur knapp die Hälfte der Frauen ausländischer Herkunft geht zur Mammografie. Sechs von zehn Menschen aus der Türkei und dem ehemaligen Jugoslawien haben keinen intakten Impfschutz. Knapp 12 Prozent der Migranten gehen nicht zum Zahnarzt, obwohl sie Schmerzen haben. So erschreckend die Statistiken, so banal die Gründe: Fehlendes Wissen über das österreichische Gesundheitssystem, mangelndes Gesund-
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heitsbewusstsein, Sprachbarrieren und Sebastian Kurz, kulturelle Differenzen sind dafür Staatssekretär für verantwortlich, dass Integration Migranten der Vorsorge und dem Arztbesuch fernbleiben. „Erheblicher Nachholbedarf“ Die Volkshilfe Wien will in Kooperation mit dem Integrationsstaatssekretariat Abhilfe schaffen: Im Rahmen von „MiMi – mit Migranten für Migranten“ bildet sie gut integrierte Migranten in Wien zu „Gesundheitslotsen“ aus. „Wir suchen und schulen erfolgreich integrierte Zuwanderer, die ihren Landsleuten ehrenamtlich helfen wollen, sich besser im hiesigen Gesundheitssystem zurechtzufinden und mehr auf die eigene Gesundheit zu achten“, erklärt Stephan Amann von der Volkshilfe Wien. Diese tragen das Wissen in ihre Communities weiter und sorgen so für mehr Gesundheitsbewusstsein. „Die Statistik belegt, dass gerade im Bereich der Gesundheitsvorsorge und -information von Migranten in Österreich erheblicher Nachholbedarf besteht“, betont Integrationsstaatssekretär Sebastian Kurz. Im Nationalen Aktionsplan für Integration, den Kurz umsetzt, ist „Gesundheit und Soziales“ ein zentrales Handlungsfeld. Dort ist die Förderung des Gesundheitsbewusstseins von Migranten als zentrale Maßnahme festgeschrieben. Von Migranten für Migranten Bereits seit neun Jahren gibt es „MiMi“ in Deutschland – seit vier Jahren ist Esma Köse dabei. Die türkischstämmige junge Deutsche spricht Menschen aus ihrer Community in Moscheen, Schulen oder Kulturzentren aktiv an und informiert sie über Gesundheitsthemen. Der partizipative Ansatz des Projekts ist für sie ausschlaggebend für dessen Erfolg. „Für
In a l l e r Kü r z e
Spontanbesuch trifft Obstkuchen
Überraschender Besuch? Unangemeldete Gäste? Ein spontanes Klopfen von den Nachbarn? Was in Österreich zu Hektik führt, ist in Bosnien, dem Heimatland der Kinderbetreuerin Arifa Delic, ganz normal. Gastfreundschaft wird groß geschrieben. „Dass am Samstagnachmittag der Nachbar vor der Tür steht, überrascht bei uns niemanden“, erzählt Delic: „Als Gastgeber sollte man seinen Gästen immer
Sie möchten selbst Gesundheitslotsin bzw. -lotse werden? Info und Anmeldung per Telefon unter 01/3344739 oder per Mail an mimi@volkshilfe-wien.at
Es ist besonders wichtig, dass Integration mit Migranten und nicht nur für Migranten geschieht.
n ache mitm n d
u en! n gewin
Esma Köse, Gesundheitslotsin in Hannover, Deutschland
igranten ist es besonders wichtig, dass M Integration mit Migranten und nicht nur für Migranten geschieht“, erklärt sie. Dank ihren Sprachkenntnissen habe sie einen idealen Zugang zur Zielgruppe und könne kultursensibel vorgehen – beim intimen Thema Gesundheit besonders wichtig. Auch die Vernetzung nach außen, mit Gesundheitsstellen und sozialen Einrichtungen, ist ein wichtiges Ziel des Projekts. So wird die Aufnahmegesellschaft für die Anliegen und Herausforderungen, die sich Migranten im Gesundheitssystem stellen, sensibilisiert.
FOTOS: istockphoto.com, ÖIF/Unger
Wer mehr weiß, bleibt gesünder
Im Bereich der Gesundheitsvorsorge für Migranten hat Österreich erheblichen Nachholbedarf.
„Mit Migranten für Migranten“ lauten Motto und Titel der neuen Initiative von Volkshilfe Wien und Integrationsstaatssekretariat. Gut integrierte Migrantinnen und Migranten werden dabei zu Gesundheitslotsinnen und –lotsen ausgebildet. Sie informieren innerhalb ihrer Community über das österreichische Gesundheitssystem und fördern so das d ortige Gesundheitsbewusstsein. Die Ausbildung umfasst 50 Schulungseinheiten und beinhaltet wichtige Themen wie Sport oder Ernährung. Der erste Ausbildungsdurchgang startet am 21. November.
FOTO: istockphoto.com
P r o j e k t po r t r a i t
etwas anbieten können.“ Notfalls einen schnellen Obstkuchen, „dafür braucht man nicht extra einkaufen gehen und außerdem ist er in ein paar Minuten fertig“. Becher für Becher. Wichtigstes Utensil: ein leerer Joghurtbecher. Einen Becher Zucker mit drei Eiern verrühren. Anschließend einen Becher Sauerrahm sowie einen knappen Becher Öl, 2 Becher Mehl und
Kinderbetreuerin Arifa Delic
1 Packung Backpulver hinzufügen. Den Teig in einer flachen Form eine Viertelstunde bei 200 °C backen, dann Obst nach Saison darauf verteilen. „Am besten schmeckt er mir mit Zwetschken oder Äpfeln – oder mit beidem“, lacht Delic. Noch eine halbe Stunde ins Rohr, dann ist der Kuchen fertig. Ein wenig Staubzucker drauf, und dem entspannten Kaffeeplausch steht nichts mehr im Wege.
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ZUSAMMEN:ÖSTERREICH
Integration fördern. Chancen sichern.
Am Ende machen wir eh, was die Radi sagt. Erika Putz, geboren in Wien, Österreich
Ah, Blödsinn. Natürlich hat die Chefin immer recht! Radinka Schmidberger, geboren in Sevlievo, Bulgarien
Z USAMMEN : LEBEN
„Ich sag immer: Streiten ist gesund“ Erika Putz ist Konditorin am Brunnenmarkt, Radinka Schmidberger ihre Angestellte und gebürtige Bulgarin. Eine Beziehung zwischen Mehlspeisen-Duft und Sternzeichen-Krach.
Zusammen:Leben in Österreich.
Text
Franziska Troger
Seit 1966 führen Erika Putz und ihr Mann Richard ihre Konditorei am Wiener Brunnenmarkt. „In den Jahrzehnten hat sich einiges verändert, das können Sie mir glauben“, erzählt sie. Heute habe sie weit mehr Kunden mit Wurzeln außerhalb Österreichs als früher. „Mehlspeisen kaufen aber alle gleich gern.“
Hart, aber herzlich Seit 13 Jahren gehört Radinka Schmidberger als Kellnerin dazu. „Ursprünglich komme ich aus Sevlievo in Bulgarien, in Österreich bin ich seit 1990.“ Die Bezie-
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hung zur Chefin ist hart, aber herzlich: „Streiten tun wir schon oft, heute sicher schon zweimal. Aber ich sag immer: Streiten ist gesund“, lacht Putz, „und es sind ja immer nur Kleinigkeiten.“ Die 73-jährige Konditorin macht die Sterne dafür verantwortlich, dass manchmal eben die Fetzen fliegen: „Ich bin Löwe, sie ist Wassermann. Das passt halt nicht zusammen – und ein Löwe lässt sich nichts gefallen.“
gen. Die Wurzel allen Übels: „Zuerst sagt sie immer, sie hat Schmerzen – dann ist ihr aber auch nicht recht, wenn man ihr helfen will.“ Dafür hat Erika Putz nur ein schelmisches Lachen über: „Am Ende machen wir eh, was die Radi sagt. Sie red’t so viel, bis man irgendwann nachgibt.“ Das kann diese nicht auf sich sitzen lassen: „Ah, Blödsinn!“, lacht sie schallend auf: „Natürlich hat die Chefin immer recht!“
Löwe gegen Wassermann „Ein Wassermann aber auch nicht“, hält die 42-jährige Schmidberger lachend dage-
Café Konditorei Putz Brunnengasse 49, 1160 Wien Tel.: 01/4082640
FOTO: www.weinfranz.at
Sie kommen aus unterschiedlichen Ländern und teilen etwas miteinander: Auf dieser Seite stellen wir Ihnen zwei Menschen und ihre Beziehung zueinander vor.
Schenken Sie notleidenden Familien in Österreich ein warmes Zuhause. Caritas Sonntag am 18. November 2012. Inlandshilfe 2012, PSK 7.700.004, Erste Bank 012-34560
www.caritas.at