Debora Höly
Studienprojekt: Porträt
Januar 2013
Ein Herz für die Hölle Asiens „Freiheit für die Christen in Nordkorea! Genug Reis für alle! Die Auflösung der Straflager!“ Seit mehr als drei Jahren hält Gerda Ehrlich einmal pro Woche vor der nordkoreanischen Botschaft in Berlin eine Mahnwache. Ihr Herz brennt für das am meisten abgeschottete Land dieser Erde: für Nordkorea.
FOTO: DANIEL HÖLY
Seit mehr als drei Jahren fordert Gerda Ehrlich die Einhaltung der Menschenrechte in Nordkorea
E
s war am 29. August 2009, erzählt die blond gefärbte Rentnerin, während sie in ihrem Tee rührt. Sie sitzt in ihrer kleinen Wohnung in Berlin Mitte, auf dem Tisch stehen Kerzen und ein paar Kekse. Sie redet langsam, möchte kein Detail der Geschichte auslassen. Damals, im August 2009, hörte sie zum ersten Mal einen ausführlichen Bericht über das Leben in Nordkorea. Es war bei einem Treffen der christlichen Akademiker, zu denen auch sie gehörte. Sie war sofort ergriffen von dem Leid in dem asiatischen Land. Schon während des Vortrags wurde ihr klar: „Du kannst das jetzt nicht nur wissen. Wie gehst du damit um?“ Schnell stand für sie fest, dass sie handeln musste. „In diesen 20 Minuten wurde mir klar: Ich werde mich vor die Botschaft stellen, um zu zeigen, dass ich damit nicht einverstanden bin.“ Nur einen Wunsch hatte sie: Sie wollte nicht alleine gehen. Es sollte sie jemand unterstützen, wenn sie die unmenschlichen Zustände in Nordkorea anprangern würde. Als überzeugte Christin hatte sie bei dem Vortrag vor allem die Not der verfolgten nordkoreanischen Christen berührt. Aber auch der schreckliche Hunger in dem Land bewegte sie. „Im Moment hungern 16 von 23 Millionen Nordkoreanern. Dieser Hunger treibt Menschen in die Flucht“, erklärt sie. Das allerschrecklichste in dem
Land seien aber nach wie vor die Arbeits- und Straflager, die von rund 40 Menschenrechtsorganisationen als „die Hölle Asiens“ beschrieben werden. Voller Mitgefühl sagt sie: „Das ist es, was mir keine Ruhe lässt.“
spontan einen Sitzstreik. Die Gruppe will aber auch der nordkoreanischen Botschaft einen Spiegel vorhalten. Auch wenn politisch nicht viel getan werden könne, sollen sie über ihr Land nachdenken. „Sie sollen nicht sagen: Wir haben’s nicht gewusst!“ Ein Stückchen habe sie die Mahnwache aber auch für sich selbst ins Leben gerufen, sagt die 72-Jährige: „Damit man an irgendeiner Stelle seine Empörung und sein Mitgefühl ausdrücken kann.“ Heute hat sie die Freiheit dafür. Gerda Ehrlich weiß aber auch, dass es anders sein kann. Sie weiß, wie es ist in Unfreiheit zu leben. Vielleicht ist darum ihr Mitgefühl für die Nordkoreaner so groß. Der Kampf für Gerechtigkeit ist nie sinnlos Als 1945 der Zweite Weltkrieg zu Ende ging, war Gerda Ehrlich fünf Jahre alt. Als Jugendliche musste sie immer wieder erfahren, dass sie in der DDR nicht frei ist. Mehrmals wurde sie gezwungen, Dokumente zu unterschreiben, mit denen sie nicht einverstanden war. Nur einmal beugte sie sich diesem Zwang, weil sonst ihr Vater Schwierigkeiten bekommen hätte. Als junge Frau wollte sie Lehrerin werden. Doch sie wusste, dass dieser Beruf zu politisch werden würde und so wurde sie Außenhandelskauffrau.
„Sie sollen nicht sagen: Wir haben’s nicht gewusst!“ Drei Jahre sind nun vergangen, seit Gerda Ehrlich am 11. September 2009 das erste Mal vor der nordkoreanischen Botschaft protestierte. Damals standen sie dort zu zweit und mit handgemalten Plakaten. Doch im Laufe der Jahre stießen immer mehr Menschen zur Mahnwache dazu. Kein einziges Mal war sie allein. „Gerade sind wir 13, die wöchentlich für eine Stunde vor die Botschaft gehen“, erzählt sie stolz. Jeden Dienstag kommt FOTO: DANIEL HÖLY sie also mit ihrem Eine Stunde jede Woche: Für die Abschaffung der kleinen schwarzen Arbeitslager und gegen Christenverfolgung Wägelchen, in dem die Banner und Immer wieder bekam sie SchwierigPlakate liegen, in die Glinkastraße und keiten mit den staatlichen Behörden, begrüßt herzliche jeden, der an der weil sie ihre eigene Meinung hatte – Mahnwache teilnimmt. und weil sie Christin war. „Die QueIn diesen drei Jahren hat die Grup- relen mit dem Staat waren immer pe unzählige Gespräche mit Passanten eine latente Bedrohung“, erzählt sie. geführt. Manche hatten von den Zu- „Ich habe geträumt, dass es mal freier ständen in Nordkorea noch nie gehört, wird, dass man sagen kann, was man andere initiierten aus lauter Sympathie denkt. Aber ich hatte nicht gedacht,
dass sich dieser Traum erfüllt.“ Doch der Traum wurde wahr. Gerda Ehrlich erlebte, wie Ost- und Westdeutschland wiedervereint wurden. Sie hat erlebt, dass es sich lohnt, wenn man sich für Gerechtigkeit einsetzt und weiß, wie wertvoll Freiheit ist. Auch deswegen macht sie die Unfreiheit in Nordkorea so wütend. Aber gleichzeitig lässt sie das Erlebnis der friedlichen Revolution und Wende in Deutschland auch hoffen - auf eine Wiedervereinigung in Korea. Das öffentliche Interesse an Nordkorea sei in letzter Zeit etwas gewachsen, sagt die 72-Jährige. „Aber dass es ein Aufschrei ist, kann ich nicht sagen.“ Ihrer Ansicht nach müsste das Land zumindest auf den Stand der anderen bedrängten Länder wie Syrien und Ägypten gehoben werden. Die Möglichkeiten, politisch einzugreifen, sind sehr begrenzt. Trotzdem hat die Rentnerin aus Berlin ganz konkrete Vorstellungen, wie eben doch etwas getan werden könnte. So wünscht sie sich etwa, dass jede Hilfslieferung, die nach Nordkorea geht, an Bedingungen gebunden wäre. Und dass das internationale Rote Kreuz in die Lager gehen und dort helfen würde. Die Liebe tut ihr Werk bis ans Ende Nein, Gerda Ehrlich ist keine gewöhnliche Rentnerin. „Eine Rentnerin, die nur hier sitzt und fern guckt, das wäre nicht mein Leben“, sagt sie lachend. Sie habe sich schon immer neben dem Beruf ehrenamtlich engagiert. Eine eigene Familie hat sie nicht. Zwei Mal war sie verlobt, doch die Beziehung ging vor der Hochzeit auseinander. In ihrem Bücherregal stehen viele Bücher über Nordkorea und geflohene Nordkoreaner. „Ich muss immer etwas machen, wofür ich brennen kann, sonst würde ich mein Leben nicht mehr lebenswert finden“, sagt sie als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt. Wie lange sie noch für Nordkorea auf die Straße gehen wird, weiß sie nicht. „Die Liebe tut ihr Werk bis zum Ende. Ich möchte so lange weitermachen, bis sich etwas verändert.“
Debora Höly
Studienprojekt: Nordkorea
Fakten zu Nordkorea
Flucht aus Lager 14
I
QUELLE. DVA/RANDOMHOUSE
m April 2012 veröffentlichte der Pan Macmillan-Verlag das Buch „Escape from Camp 14“. Darin erzählt der US-amerikanische Journalist Blaine Harden die unglaubliche Lebensgeschichte des Nordkoreaners Shin Dong-hyuk. Shin ist der einzige Mensch, der in einem nordkoreanischen Arbeitslager geboren wurde, aufwuchs und fliehen konnte. Dass seine Eltern im Lager heiraten durften, war ihre Belohnung für harte Arbeit. Ihre zwei Söhne hatten nie etwas anderes gesehen als das Leben im Lager. Körperliche Misshandlung, Folter, Vergewaltigung und öffentliche Hinrichtungen waren der Alltag. Schrecklicher Hunger zwang die Gefangenen dazu, zu stehlen und für eine kleine Extraration ihre Mitgefangenen zu verraten. Seine Familie war für ihn Konkurrenz im Kampf ums Überleben. Was wie die Hölle auf Erden klingt, war für Shin Zuhause. Doch dann kam ein neuer Häftling, der Shin vom Leben außerhalb des Lagers erzählte. In Shin keimte der Wunsch zu fliehen und so kletterte er am 2. Januar 2005 durch den elektrischen Zaun, der das Lager umgibt. Sein Freund verfing sich darin und starb sofort. Nur so konnte Shin über seinen Körper klettern und trotz Verbrennungen an den Schienbeinen aus dem Lager fliehen. Es fällt Shin schwer über seine Erlebnisse zu sprechen. Er tut es um derer willen, die noch dort gefangen sind. Er will, dass die Weltöffentlichkeit von dem erfährt, was für niemanden sichtbar ist – denn er hat es am eigenen Leib erfahren.
Januar 2013
Songbun: Die nordkoreanische Gesellschaft wird in Klassen mit loyalen, schwankenden und feindlich gesinnten Personen unterteilt. Die Klassenteilung heißt Songbun und hat Auswirkungen auf den Zugang zu Bildung, Beruf und die von der Regierung verteilten Lebensmitteln. Zu der untersten Klasse gehören Familienangehörige von japanischen Geistlichen, Christen, Unternehmer und Überläufer nach Südkorea. Juche: In den 1950er Jahren führte Kim Il-sung die Juche-Philosophie ein. Der Ideologie zufolge ist es Aufgabe des Staates, für politische, wirtschaftliche und militärische Unabhängigkeit zu sorgen. Nordkorea begründet mit diesen Prinzipien seine Isolierung gegenüber dem Ausland. Atomwaffen: Nach eigenen Angaben verfügt das Land über mehrere einsatzbereite Atombomben. Christenverfolgung: Die Hilfsorganisation Open Doors schätzt, dass es in Nordkorea etwa 400.000 Christen gibt. Das Land gilt als weltweit schlimmster Christenverfolgerstaat. Öffentliche Religionsausübung ist strikt verboten.
Hunger: Grund für den jahrzehntelangen Hunger in Nordkorea sind Dürren, Überschwemmungen und Misswirtschaft. Schätzungen zufolge sind seit den 90er Jahren rund zwei Millionen Menschen vor dem Hunger geflohen. Obwohl internationale Hilfsorganisationen seitdem große Teile der Bevölkerung mit Essen versorgen, hungern Millionen Menschen. Nach Angaben des WFP ist jedes dritte Kind chronisch unterernährt Flüchtlinge: Nach Angaben von Menschenrechtsexperte David Hawk sind 200 000 bis 300 000 Nordkoreaner aufgrund ihres Hungers in den 1990er Jahren nach China geflohen. Für Peking sind alle in China lebenden Nordkoreaner kategorisch „illegale“ Wirtschaftsflüchtlinge, die regelmäßig nach Nordkorea deportiert werden. Militär: Mit rund 1,2 Millionen aktiven Soldaten ist die nordkoreanische Armee zahlenmäßig eine der größten der Welt. Nach Angaben des US-amerikanischen Think Tanks GlobalSecurity.org gibt Nordkorea dafür mindestens 25% seines Bruttoinlandprodukts aus.
QUELLE: CIA WORLDFACTBOOK
Hauptstadt: Pjöngjang Nationalität: Nordkoreaner Staatsform: Volksrepublik Staatsoberhaupt: Kim Il-sung († Juli 1994) Regierungschef: Kim Jong-un (seit Dezember 2011) Unabhängigkeit: seit 1948 Einwohnerzahl: 24,5 Mio. (Schätzung Juli 2012) Bruttoinlandsprodukt/Einwohner: 1800 US-Dollar (Schätzung 2011)
Arbeits- und Umerziehungslager
N
ach Angaben von diverHier werden sie zu unmenschlicher sen MenschenrechtsorArbeit gezwungen und sind nicht ganisationen existieren selten Folter ausgesetzt. in Nordkorea sechs Arbeitslager für Die International Coalition to politisch Gefangene und 15 bis 20 Stop Crimes Against Humanity in Umerziehungslager. Amnesty InterNorth Korea (ICNK) schätzt, dass jenational geht davon aus, dass diese des Jahr etwa 10 000 Menschen in Lager seit den 1950er Jahren exisden Lagern sterben. Nach Angaben tieren. Sie bestehen also doppelt so von Amnesty International sterben lange, wie es die sowjetischen Gu40 Prozent davon an Unterernählags gab und zwölfmal so lange wie rung. Viele der Gefangenen hatten die Konzentrationslager der Nazis selbst keine Straftat begangen, sonexistierten. Die Lager sind mehrere dern waren lediglich verwandt mit Quadratkilometer groß und können einer Person, die angeblich ein poauf Satellitenbilder deutlich idenlitisches Verbrechen begangen hat. tifiziert werden. In den einzelnen Die Art der Verbrechen ist ihnen oft Lagern leben zwischen 5 000 und unbekannt. Bis zu drei Generationen 15 000 politisch Gefangene. Men- QUELLE: “THE HIDDEN GULAG” werden für ein Vergehen bestraft, schenrechtsorganisationen gehen dacht, Christen oder gegenüber dem was offiziell Sippenhaft heißt. Kinder, davon aus, dass es insgesamt etwa Regime nicht loyal zu sein, werden die in den Lagern geboren werden, 200 000 Gefangene sind. Nordkorea ohne Prozess und oft mit der gesam- kennen nichts anderes als das Leben leugnet die Existenz dieser Lager. ten Familie in diese Lager deportiert. im Lager, da „ihr Blut schuldig ist“. In den Lagern mit so genannten Weiterführende Links: „total control zones“ werden poliLiberty in North Korea (LINK): http://libertyinnorthkorea.org/ tische Gefangene bis zu ihrem Tod Hintergrundinformationen: http://debooray.de/zuhause-in-der-holle.htm inhaftiert. Personen mit dem Ver-