Wir besingen die Tradition

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Dossier: Sitten und Bräuche rund um die Welt

Dezember 2013

FOTO: DANIELA JUNCU

Die Weihnachtsgesangsgruppe aus Rupea startet ihren Weg an der orthodoxen Gemeindekirche

Wir besingen die Tradition

55 junge Frauen und Männer gehen jährlich der weihnachtlichen Gesangs­ tradition nach und bringen den Tanz und die Melodie in die Häuser einer rumänischen Kleinstadt

Das Singen als Weihnachtsbrauch Der Anlass der Versammlung ist der 25. Dezember, der erste Weihnachtstag im christlichen Glauben. Sie alle sind freiwillige Mitglieder der Repser Weihnachtsgesangsgruppe, die in örtlicher Tradition alle Familien in der Stadt ansingen und damit ihren Haushalten und Insassen Besinnlichkeit, Glück und Gedeihen wünschen. Auf Rumänisch heißen sie „colindatori“, Weihnachtssänger. Ähnliche Gesangs-

gruppen zur Weihnachtszeit gibt es in vielen Regionen in Siebenbürgen. Was sie unterscheidet ist der Herkunftsort und manche Brauchunterschiede in der Traditionsdarstellung. Versammelt haben sich die 30 jungen Männer beim Gruppenleiter Zuhause, um als erstes seiner Familie Segen und Freude mittels ortsspezifischer Weihnachtslieder ins Haus zu bringen. Kurz nach neun Uhr sind alle Mitglieder anwesend und der Gruppenleiter, Alexandru Suma (26) stimmt das erste Weihnachtslied an. „Die Tradition und der Brauch motivieren mich immer wieder an dieser Feier teilzunehmen, seitdem ich 14 Jahre alt war. Ohne diesen Brauch wären Weihnachten nicht so schön.“, erzählt Alexandru. In tiefen Stimmen ertönt die Straße während sich die Gruppe ins Haus begibt. Vor der Tür warten schon die Eltern des Gruppenleiters und bitten die Gäste ins Haus. Im Hause werden sie von Eltern, Oma, Opa und den engen Freunden der Familie empfangen. Alle sitzen in einem großen Wohnraum in einem Halbkreis und warten mit neugierigen Gesichtern auf die Gesangsrunde. Die jungen Männer singen im Stehen und werden von den Gastgebern mit alkoholischen Getränken, Wasser und hausgemachtem Kuchen serviert. Die Feier erstreckt sich über drei Lieder hinaus, am Ende werden die Eltern des Gruppenleiters aufgefordert den traditionellen Trank zu probieren. Zwei junge Männer mit einem breiten Lächeln auf ihren Gesichtern, auch Wirte genannt, reichen den gastgebenden Familienmitgliedern der Reihe nach zwei mittelgroße rundförmige hölzerne Flaschen mit traditionellen Verzierungen.

Besuch bei der Familie einer Sängerin

Die Flaschen enthalten ein starkes Alkoholgetränk, das den Namen „Tuica“ oder Schnaps trägt und aus fermentierten Pflaumen gewonnen wird. Den Schnaps der Weihnachtssänger zu probieren ist ein Muss und versteht sich als Zeichen, dass die Familie den Segen und die Glückwünsche der Sänger annimmt.

Kurz danach teilen sich die Gruppen und gehen vorläufig getrennter Wege. Laut Tradition wird nicht jede Familie in der Kleinstadt sowohl von den jungen Frauen als auch von den Männern besucht. Die Regel besagt, dass die junge Männergruppe an alle Türen und Toren in der Kleinstadt klopfen muss, um ihre Ankunft anzukündigen und um Eintritt zu bitten. Es bleibt jedoch den Hausherren überlassen, ob sie die Weihnachtssänger in ihr Haus willkommen oder nicht. Eine Ausnahme ist der Besuch der Weihnachtssängerinnen. Sie statten nur denjenigen Familien einen Besuch ab, die mindestens eine Tochter in der Gesangsgruppe dabei haben. Somit werden den Frauen der ganze Stress und die Mühe einer kompletten Stadttour erspart. Unter den besuchten Familien in der Kleinstadt Rupea gehört auch die Familie Chioreanu. Ihre Tochter Andreea, 25 Jahre alt, ist

In Begleitung des christlichen Segens Singend machen sich die jungen Männer auf den Weg zur Kirche. Eine bestimmte Anreihung oder Reihenfolge gibt es nicht. Alle kennen den Weg zur Kirche in der kleinen Stadt, die um die 4.000 Einwohner zählt. Vor der Kirche erwarten sie die Sängerinnen. Es sind um die 25 jungen Frauen unterschiedlichen Alters, die stolz ihre traditionelle Weihnachtstracht tragen. In schwarzen perfekt gebügelten langen Röcken aus dünner Baumwolle, weißen mit Spitze verzierten Hemden und obendrüber mit beigefarbenen steifen dicken Kurzmänteln, beleben die jungen Frauen die kühle Morgenatmosphäre vor der orthodoxen Kirche. Zusammen mit ihren Partnern schreiten die jungen Leute in die kleine weiße Kirche, die auf einer kleinen Anhöhe steht. Die Männer gehen zum vorderen Eingang der Kirche hinein, die Frauen nehmen die Seitentür, das ist der orthodoxe Brauch. Der Priester lässt ein paar Gebete ertönen und der Chor sorgt für die melodische Untermalung. Nachdem der Priester allen den Segen Gottes zukommen lässt, ist die Gruppe entlassen.

Wein und Kuchen schmücken den Tisch Die jungen Frauen erreichen als erste das Haus der Familie Chioreanu. Sie werden von den Gastgebern vor der Tür erwartet und ins Haus hinein gebeten. Im geräumigen Wohnzimmer stehen ein paar Stühle und Sessel bereit für die Gäste und auch Getränke und Kuchen. Brauch ist es, dass das Haus der Gastgeber niemals leer ist. So wie an diesem Abend, sind Verwandte, Freunde und unmittelbare Nachbarn anwesend, um die Sängerinnen und Sänger willkommen zu heißen. Die Aufgabe der Gastgeber ist es, die Gäste je nach Wunsch mit Wein, Saft oder Wasser und mit hausgemachten Süßigkeiten zu versorgen. Während ihres Aufenthalts im Haus der Familie Chioreanu,

FOTO: DANIELA JUNCU

E

s ist 9 Uhr morgens an einem kühlen Wintertag im Dezember. Die Morgensonne kommt langsam schüchtern hinter den Wolken hervor und kündigt einen milden Tag an. Obwohl der Morgengrauen sich schon lange davongeschlichen hat, liegt eine wohltuende Stille über die kleine Stadt Rupea, auf Deutsch „Reps“ genannt, inmitten von Siegenbürgen, Rumänien. An einer kopfsteingepflasterten Straße stehen mehrere Häuser aneinander gereiht, manche mit verzogenen tristen Fassaden, andere frisch angestrichen. Vor einem großen orangefarbenen Haus im modernen Neubau Stil wird die Stille von Gewirr durchdrungen. Viele junge Männer laufen auf und ab, sprechen laut und begrüßen freudig die Neuankömmlinge. Sie tragen enge helle beigefarbene Wollhosen mit schwarzen Verzierungen am Saum, dunkelbraune kurze Mäntel aus steifem dickem Stoff, rote Tücher um den Hals und eine unterarmhohe schwarzen Mütze auf den Kopf, geschmückt mit grünen Efeusblättern.

eine der vier ältesten jungen Frauen in der Gruppe. Sie ist Mitglied dieser Gruppe seitdem sie mit 14 Jahren die 9. Klasse in der Schule besuchte. „Ich mag mit der Gesangsgruppe unterwegs sein, weil es mir Spaß macht und weil ich die Atmosphäre und das Zusammensein mit den Leuten mag.“, erzählt Andreea. Ihre Familie hält mit, denn solange Andreea an den Feierlichkeiten teilnimmt, ist ihre Familie von der Tradition gezwungen, die jungen Frauen und Männer am 25. Dezember für ein paar Minuten in ihrem Haus zu empfangen.

Junge Weihnachtssänger in traditioneller Tracht im Festsaal der Stadt Rupea


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FOTO: DANIELA JUNCU

Singen bis in die Morgengrauen

Ein junges Paar in Festkleidern lässt sich vor dem Tanzbeginn fotografieren

animieren die jungen Frauen die Atmosphäre mit traditionellen Weihnachtsliedern. Diese handeln von alten rumänischen Bräuchen und Tätigkeiten, wie Schafzüchtung, Feldarbeiten oder anderen alltäglichen Tätigkeiten, sowie von religiös christlichen Themen rund um die Geburt Jesus Christi. Mal traurig mal heiter geht die Melodie auf und ab und alle Anwesenden singen mit. Nach drei-vier Liedern hört man schon die Stimmen der jungen Sänger vor dem Haus erklingen. Endlich haben auch sie das Haus der Familie Chioreanu erreicht. Das Haus ist nun voll von jungen Leuten. Wie es sich gehört, müssen hier Frauen und Männer zusammen die Gastgeberfamilie mit einem Weihnachtslied ehren.

Was gesungen wird, entscheidet immer der Gruppenleiter und er singt das Lied an. Die Stimmung ist heiter, alle singen mit und die Freude kann man allen Anwesenden ansehen. „Die Freude die man auf den Gesichtern der Gastgeber sieht, wenn man für sie singt, bringt mir Genugtuung. Und so spürt man auch, dass es Weihnachten ist.“, sagt Ioana Scarneci.

Der Tanz belebt den Geist Der Höhepunkt eines solchen Besuchs ist immer die Tanzvorführung im eigenen Garten oder vor dem Haus. Die jungen Leute stürmen hinaus und gruppieren sich zu Paaren, bevor die Musik ertönt. Gleich werden die Paare von einem heiteren Rhythmus

getragen, die Röcke der Mädels drehen sich in einem Meer von Farben und die Männer lassen Glücksworte erhallen. „U-iu-iuiu-iuuuuuu“ hört man die jungen Frauen rufen und die Männer stampfen mit den Füßen zur Melodie. Nach 5 Minuten ist der Tanz schon vorbei. Mehr Zeit hat die Gruppe nicht zur Verfügung. Gleich geht es weiter zu immer weiteren Familien, alles nach dem gleichen Modell. Der Tag vergeht im gleichen Rhythmus. Die jungen Männer besuchen fast jede Familie in der Kleinstadt, die jungen Sängerinnen warten singend auf ihre Partner in den Häusern, wo getanzt werden muss.

Schließlich endet der Weihnachtstag für die Gesangsgruppe gegen 3 Uhr morgens. Die Müdigkeit kann man den jungen Menschen ansehen. Beine tun weh, der Körper schmerzt wegen der schweren Kleidung und die Energie zum Singen ist auch fast aufgebraucht. „Diese Kleidung ist die schlimmste, die ich je getragen habe. Es kann einem die Laune verderben, weil man sich nur schwer darin bewegen kann.“, sagt Radu Soanca, der schon seit 12 Jahren mitmacht. Bevor alle ihren Tag beenden und nach Hause gehen können, ist noch eine Aufgabe zu erfüllen. Es ist der Abschlusstanz im Stadtzentrum. Er ist als Krönung für eine erfolgreiche Weihnachtstour gedacht. Inmitten der Straße, wo zu dieser Zeit keine Autos unterwegs sind, tanzen die Paare zur rhythmischen Musik und enden die Feier mit einer „Hora“, einem spezifischen Tanz wo die Leute im Kreis stehen und sich gegenseitig an die Schultern packen. So dreht sich der Kreis einmal nach links, dann zweimal nach rechts und so weiter bis die Musik ausklingt. Für viele ist damit der Tag zu Ende. Die Weihnachtsfeier geht aber für alle weiter. In zwei Tagen sind alle zur großen Feier im Festsaal erwartet. Es ist eine traditionelle Tanzfeier, die die Weihnachtsfesttage in Freude und Geselligkeit ausklingen lassen soll. Reportage von Roxana Craciun Mehrere Infos und Fotos auf: http://roxanacraciun.wordpress.com

Dezember 2013

Das große Tanzfest

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m 27. Dezember, zwei Tage nach dem Weihnachtsgang feiern die jungen Sängerinnen und Sänger das große Fest. Der öffentliche Festsaal der Stadt Reps wird von dem Gruppenleiter und seiner Familie für die Feierlichkeiten vorbereitet. Das große Fest steht als Krönung und gleichzeitig als Abschluss der Weihnachtszeit für die jungen Sänger und ihren Gästen. Eingeladen sind Familie, Freunde, Bekannte und Nachbarn. Es wird gegessen, geredet und getanzt, solange die Energie reicht. Um Mitternacht ertönt die Orchestermusik zum großen offiziellen Tanz der jungen Sängerinnen und Sänger. Die Männer stellen sich nach Alter hintereinander, angefangen vom Ältesten bis zum Jüngsten. Angeführt werden sie von dem Gruppenleiter. An der Seite jedes Mannes steht eine junge Frau. Von Mann zu Mann wird eine traditionelle runde Flasche mit Schnaps gereicht und jeder Mann ist aufgefordert daraus zu trinken. Hinzu wird allen Mitgliedern ein Stück Gebäck aus Brotteig serviert. Danach kann das „große Spiel“, wie es übersetzt heißt, beginnen. Nach der Einführung, verteilen sich die jungen Leute auf der gesamten Tanzfläche des Saals und geben sich dem Tanz hin bis früh am Morgen.


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