Wandolo_Dossier

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FRAUENWELT Wochenthema: Zugereiste Mitbürgerinnen

Behindert, nicht hilflos 2

Alleinerziehung: Mütter und Väter 3

Schwanger und Gesund 4

Die Karriere Frau 5

Eine normale Frau mit einem etwas weniger normalen Leben

L

una. Ein Leben ohne sie kann ich mir nicht vorstellen“ sagt die 57-jährige Myriam Silva Perez mit einem Lächeln. Frau Perez ist alleinerziehende Mutter. Sie lebt allein mit ihrer Tochter Luna in einer behindertengerechten Wohnung in Köln. Luna ist schwerbehindert auf die Welt gekommen. „Mein Leben hat sich nach Lunas Geburt radikal verändert“ erzählt sie weiter. Frau Perez pflegt ihre Tochter alleine. Jede Minute ihres Alltags ist durch die Pflege von Luna geprägt. „Ich liebe es auf meine Tochter aufzupassen, und ich denke nicht daran sie in ein Heim zu schicken“. Die Ankunft

Familienleben Trotz drei jungen Kindern, eins davon schwer behindert, ohne Arbeit und ohne Ehemann, beschloss sie das Beste aus ihrer Situation zu machen. Das Leben mit einem behinderten Kind ist nicht einfach. Luna braucht rund um die Uhr Betreuung. Sie kann nicht reden, sich nicht

Wohin ohne die Sprache? 6

passieren könnte, sich Luna während der Fahrt übergibt, in der Werkstatt nicht genug isst oder sie sich in der Werkstatt nicht wohl fühlt. Obwohl Luna bis 16:30 Uhr in der Werkstatt bleibt hat Frau Perez nur wenig Zeit sich auszuruhen. Viel Wäsche muss gewaschen werden, denn oft halten die Windeln nicht. Neue Medikamente müssen gekauft werden. Dokumente warten darauf ausgefüllt zu werden, denn häufig gibt es Probleme mit Ämtern und der Krankenkasse. Einkäufe müssen erledigt werden und die Wohnung muss ebenfalls geputzt werden. „Die Zeit vergeht schneller als man denkt und am Ende merkt man, es ist kaum etwas fertig.“ erzählt Frau Perez. Falls Luna krank wird ändert sich alles. Luna bleibt dann zuhause und muss von ihrer Mutter gepflegt werden und Arztbesuche entwickeln sich oft zu anstrengenden Abenteuerreisen.

VON CHRISTINE WANDOLO

Frau Perez wurde am 17. Oktober 1953 in Santiago de Chile, in Südamerika, geboren. Dort erlebte sie die Militärdiktatur Pinochets und musste nach der Ermordung ihres Ehemanns im Jahre 1981 Chile verlassen. Dank der Hilfe von Amnesty International bekamen sie und ihr damals vierjähriger Sohn in Deutschland Asyl. Heute hat sie drei Kinder. Miguel ist 34 Jahre alt und arbeitet als Illustrator, Claudia ist 24 und beendete vor kurzem ihr Medizinstudium und Luna ist die Jüngste. Im Jahre 1982 begann sie in Dortmund ihren ersten Sprachkurs. Zwei Jahre später zog sie nach Köln. Nach einer abgeschlossenen Ausbildung arbeitete sie vier Jahre lang als Erzieherin. Im Jahre 1992 kam ihr drittes Kind Luna zur Welt.

Sonderausgabe Januar 2011

Frau Perez und ihre Tochter Luna geniessen die Weihnachtszeit selbstständig anziehen oder pflegen. Man muss sie zur Toilette begleiten, sie wickeln, ihr spezielles Essen zubereiten und sie füttern. Man darf nicht ihre Medikamente vergessen und man muss mit ihr spielen, um sie bei Laune zu halten. Luna hat autistische Züge. Kommunikation fiel anfangs

sich verletzten kann. „An ganz schlimmen Tagen muss mir mein Sohn oder meine Tochter helfen“ sagt Frau Perez. Unter der Woche fängt jeder Tag um fünf Uhr morgens an. Frau Perez muss das Frühstück vorbereiten und ihre Tochter wecken. Nach dem Frühstück wird Luna geduscht, gewickelt

„Wenn man ein behindertes Kind hat, lernt man viel Geduld zu haben“ sehr schwer, denn man wusste nicht was Luna wollte. Doch dank einer Autismus-Therapie kann Luna heute deutlich mit Gesten zeigen, wenn sie z.B. Hunger hat und eine Flasche Milch möchte. Sie ist ein lebendiges Kind. Sie spielt gerne, lacht gerne und braucht viel Aufmerksamkeit. Immer muss sie jemanden um sich haben, denn wenn sie allein ist, beginnt sie sich an am Ohr zu kratzen, so stark, dass sie

und angezogen. Dies ist zuweilen mühsam, denn Luna ist kein kleines Kind und will manchmal nicht aufstehen, oder sich anziehen lassen. Dann bedarf es viel Kraft und Geduld. Wenn Luna dann um 7 Uhr vom Bus abgeholt wird, der sie in die Behindertenwerkstatt fährt, fällt Frau Perez der Abschied schwer. Sie macht sich sorgen das während der Fahrt ein Unfall

Zeit auch für andere In ihrer Freizeit engagiert sich Frau Perez ehrenamtlich bei der Caritas sowie bei Agisra e.v., einer Informations- und Beratungsstelle für Migrantinnen und Flüchtlingsfrauen.* Dort hilft sie ausländischen Frauen, welche ähnliche Probleme haben, die sie früher auch hatte. Häufig können die Frauen nicht ausreichend Deutsch und kennen sich auf Ämtern nicht aus. Frau Perez hilft Deutschkurse zu finden, erklärt Dokumente und Gesetze und ist Übersetzerin auf Ämtern sowie bei Anwälten und Ärzten. Manchmal hört sie auch einfach nur zu und schenkt neuen Mut. Es ist ein anstrengendes Leben, dass Frau Perez führt, doch sie ist glücklich, denn sie hat Kinder, die sie lieben und die sie liebt. Und wenn Luna ihr ein Lächeln schenkt, dann weißt sie was wirklich im Leben zählt und wo sich ihrer Glück befindet. In ihrer Familie.

*www.e-migrantinnen.de


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Hilfe? Kommt doch vorbei

esundheitsamt, Bonn. Hier berät Cornelia Wolf Menschen mit Behinderung, sowie deren Angehörige. Um die Hilfsmöglichkeiten, welche Frauen mit Migrationshintergrund wie Frau Perez zustehen zu erörtern, haben wir ihr ein paar Fragen gestellt:

Mit Angehörigen sind in erster Linie Familienangehörige eines behinderten Menschen gemeint (z.B. Eltern behinderter Kinder). Es können sich aber auch Bekannte, Lehrer, Betreuer und andere helfende Personen an uns wenden, um eine Beratung zu erhalten.

Menschen mit Behinderungen können auf verschiedene Weise Hilfe erhalten. Was sind die Voraussetzungen dafür? Das ist von Fall zu Fall verschieden. Einige Angebote, zum Beispiel Tagesstätte für psychisch Kranke, Kontaktstellen und Stadtteilbüros sind für jeden frei zugänglich. Für andere Hilfsangebote ist der Behinderungsbegriff der Sozialgesetzbücher und somit eine genaue Diagnosestellung relevant (§ 2 SGB IX oder § 53 SGB XII). Diese definieren einen Personenkreis, für den durch die Deutsche Gesetzgebung explizite Hilfsangebote vorsieht (z.B. Betreutes Wohnen für behinderte Menschen, WfbM). Auch finanzielle Hilfe ist möglich, für die jeweils eigene Bestimmungen bei der Beantragung gelten (z.B. Blinden- und Gehörlosengeld).

Stehen diese Hilfsmöglichkeiten nur den deutschen Staatsangehörigen oder auch Menschen mit Migrationshintergrund zur Verfügung? Selbstverständlich richtet sich das Beratungsangebot an alle Bonner Bürger, ganz gleich, welche Staatsangehörigkeit sie haben.

Das Angebot der Beratungsstelle umfasst Beratungen und begleitende Hilfen für Menschen mit Behinderung und deren Angehörige. Was bedeutet hier „deren Angehörige?“

Sind Informationen über diese Hilfsmöglichkeiten öffentlich zugänglich oder sind nur für die zu finden, die sie suchen? Grundsätzlich leisten die Träger von Hilfsangeboten öffentlichkeitswirksame Arbeit. Die Stadt Bonn selbst hat ebenfalls sämtliche Angebote zusammengetragen und veröffentlicht: den Gesundheitswegweiser für Migrantinnen und Migranten oder den Stadtführer für behinderte Menschen). Es gibt außerdem auch ein Portal für Integration und interkulturelles Leben. Dort kann online gezielt nach Angeboten gesucht werden. Auch wird derzeit ein Behindertenpolitischer Teilhabeplan für die Stadt Bonn entwickelt, der die

Cornelia Wolf, Diplom-Sozialpädagogin ist in der Beratungsstelle für Menschen mit Behinderung im Gesundheitsamt Bonn tätig.

Zugänge für behinderte Menschen verbessern und eine inklusive Teilhabe aller Bürger ermöglichen soll. Wo kann man diesen Stadtführer finden? Sowohl der Stadtführer als auch der Gesundheitswegweiser liegen in sämtlichen Bürgerämtern und städtischen Einrichtungen, aber auch in privaten Beratungsstellen und Einrichtungen aus. In Kooperation mit dem Verein Migrantinnentreff Gülistan wird derzeit der Gesundheitswegweiser aktualisiert.

www.integration-in-bonn.de. www.migrantinnentreff-guelistan.de

Geteiltes Leid ist halbes Leid

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ihrem Alltag an Grenzen sto- teilen. Im Erfahrungsausßen. Sie werden von anderen tausch unterstützen sich die Menschen häufig nicht ver- Teilnehmer gegenseitig und standen, haben nur wenige helfen einander ihre ProFreunde und fühlen sich zu- bleme zu überwinden. ‚Es weilen diskriminiert. Schwie- gibt Leute in die Gruppe, die rigkeiten soziale Kontakte sprechen können, es aber zu knüpfen lässt sie sich oft nicht tun. Wenn sie später einsam fühlen. Angststö- nach Hause gehen bekomrungen und auch in vielen me ich manchmal eine Email, Fällen Depressionen können in der sie erzählen wie ihnen die Gruppe geals Folgeerholfen hat,‘ erzählt krankungen Gafrownski. Häufig stellen autistische a u f t r e t e n . „Man soll sich selbst Frau nicht vergessen“ Menschen fest, dass sie in Deshalb kann Auch Mütter und der Besuch einer Selbsthilfegruppe Geschwister von BetroffeMenschen mit autistischen nen bedürfen manchmal des Erkrankungen helfen. Austauschs ihrer Probleme. Oft stellen sie sich Fragen wie Astrid Gafrownski hat 2006 z.B. „Warum ist mir das pasihre Diplomarbeit über siert?“ oder „Warum muss Autismus geschrieben und ich so ein schwere Bürde tramoderiert seit Mai 2007 die gen?“ Für sie ist es empfehSelbsthilfe für Autisten in lenswert sich mit anderen BeKöln, eine offene Gruppe troffenen zu treffen, um sich für Menschen mit Autismus über ihre Sorgen und Prooder autistischen Zügen. bleme auszutauschen.“Das In ihrer Selbsthilfegruppe wichtigste ist, dass man Astrid Gafrownski, 33, Psychologe, modekommen Menschen zusam- sich selbst nicht vergisst riert seit Mai 2007 die Selbsthilfegruppe für men, die oft die gleichen und auch mal entlastet,“ Autisten in Köln Frau Gafrownski. oder ähnliche Probleme sagt utismus ist ein angeborene Störung und keine Krankheit. Autisten oder Menschen mit autistischen Zügen leiden unter einer unheilbare Wahrnehmungsund Informationsverarbeitungsstörung des Gehirns. Ihre soziale Interaktion mit anderen Menschen unterliegt Einschränkungen.

Ist eine selbsthilfe Gruppe für mich richtig? Ja, weil: • Ich bin bereit und in der Lage, regelmäßig an den Gruppentreffen teilzunehmen • Ich bin bereit, über meine Situation offen zu sprechen • Ich bin bereit, anderen zuzuhören • Ich wünsche mir den Austausch in einer Gruppe und nicht eine Fachperson, die mich berät • Ich kann mit den zum Teil schweren Schicksalen von anderen Gruppenmitgliedern umgehen? • Es ist mir klar, dass eine Selbsthilfegruppe kein Ersatz für eine Therapie ist • Ich bin bereit, meine Möglichkeiten/ Fähigkeiten zu nutzen, um Veränderungen zu bewirken, die meine Situation verbessern

Für Selbsthilfe Kontaktstellen:

www.selbsthilfenetz.de www.sekis-bonn.de


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