pharma:ch 1/2012: Gesundheitsausgaben lohnen sich

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1/12 Markt und Politik

pharma:ch Gesundheitsausgaben lohnen sich In der Gesundheitspolitik wird fast ausschliesslich über Kosten diskutiert. Keine oder nur wenig Beachtung finden der gesellschaftliche Nutzen des Gesundheitswesens in Form von Lebenserwartung und Lebensqualität, der volkswirtschaftliche Nutzen und der Beitrag zum Forschungsstandort Schweiz. Dank einem hochstehenden Gesundheitswesen ist die Lebenserwartung in der Schweiz eine der höchsten in der Welt. Schweizerinnen und Schweizer leben aber nicht nur länger, sondern auch länger bei guter Gesundheit. Das hat seinen Preis, der in Form der Gesundheitskosten zu immer wiederkehrenden Diskussionen führt. Dabei sind die Medikamentenpreise für Politiker jeglicher Couleur ein besonders beliebter und dankbarer Zankapfel. Zwar ist der Anteil der Arzneimittel an den Gesundheitskosten seit vielen Jahren stetig rückläufig, dennoch sollen Medikamente immer weniger kosten. Dabei blendet die Politik den volkswirtschaftlichen Nutzen der Pharmaindustrie einfach aus: Eine hohe Wertschöpfung und ein immenser Exportüberschuss tragen wesentlich zum Wohlstand in unserem Land bei. Forschungsausga-

Schweizerinnen und Schweizer leben nicht nur länger, sondern auch länger bei guter Gesundheit.

ben der Interpharma-Mitgliedfirmen von rund sechs Milliarden Franken jährlich bilden den stärksten Pfei-

Gesundheitswesen tätig, im letzten Jahr waren es

ler des Forschungsstandorts Schweiz. Zusammen

mehr als 12 Prozent. All dies wird in der Aufregung

mit den Hochschulen begründen die Pharmaunter-

über steigende Gesundheitskosten ebenso verges-

nehmen in der Schweiz ein weltweit einzigartiges

sen wie der Beitrag, den Medikamente zum medizi-

Forschungscluster.

nischen Fortschritt leisten. Sie verkürzen die Dauer oder mildern die Folgen einer Krankheit. Nicht selten

Als Ergebnis der guten medizinischen Versorgung

sind damit auch ökonomisch Vorteile verbunden: In-

und der innovativen Pharmaindustrie gehört die Ge-

novative Medikamente mögen zwar häufig teurer

sundheitswirtschaft zu den wichtigsten Wirtschafts-

sein als ihre Vorläufer, sie tragen aber auch zu Kos-

zweigen unseres Landes. Fast jeder Achte verdient

tensenkungen bei, indem sie etwa Spitalaufenthalte

hier sein Geld. Das sind gegen 600 000 Beschäf-

verkürzen oder gar operative Eingriffe unnötig ma-

tigte. Die Gesundheitswirtschaft entwickelt sich

chen. Schliesslich können Gesundheitsausgaben

nicht stürmisch, aber sie wächst stetig: Anfang der

Krankheitskosten reduzieren. Wer krank ist, verur-

90er-Jahre waren 8 Prozent der Beschäftigten im

sacht nicht nur Kosten, um wieder gesund zu wer-


Gesundheitsausgaben

Gesundheitsausgaben reduzieren die übrigen Krankheitskosten Eine ausschliessliche Betrachtung der Gesundheitsausgaben kann nicht nur zu Fehlschlüssen führen, sie ist im Grunde genommen auch falsch, da sie nur einen kleinen Teil der gesamten Krankheitskosten berücksichtigt. Dies ist die Kernaussage der Studie «Gesundheitsausgaben und Krankheitskosten», die Polynomics im Auftrag von Interpharma erstellt hat. 2

Diese Schlussfolgerung wird dadurch untermauert,

• Neben finanziellen Ausgaben führt Krankheit auch

dass Gesundheitsausgaben nicht einfach eine Kos-

zu einem Verlust an produktiver Zeit. Es resultie-

tenfolge von Krankheit sind. Sie entstehen daraus,

ren Absenzen am Arbeitsplatz und damit indirekte

dass die Krankheit bekämpft wird, um den Patienten

Kosten durch Produktivitätsverluste für Arbeitge-

zu heilen oder seinen Gesundheitszustand zu ver-

ber und Arbeitnehmer. Indirekte Kosten fallen aber

bessern.

auch an, wenn Familienangehörige und Freunde Zeit aufwenden, um Patienten selbst zu pflegen

Gesundheitsausgaben reduzieren somit die übrigen

(sogenannte informelle Pflege).

Krankheitskosten, da ein besserer Gesundheitszustand oder eine schnellere Genesung zu weniger

• Schliesslich verursacht Krankheit auch Kosten in

Produktivitätsverlusten, weniger informeller Pflege

Form von Schmerz und Leid beziehungsweise all-

und einer Reduzierung von Schmerz und Leid führt.

gemein schlechterer Lebensqualität, welche von

Mit andern Worten: Erst eine Gesamtbetrachtung

Patienten, Angehörigen und Nahestehenden ge-

aller Komponenten zeigt, ob sich Gesundheitsaus-

tragen werden. Diese intangiblen Kosten lassen

gaben lohnen oder nicht.

sich kaum in Franken beziffern und werden deshalb in Studien auch kaum erfasst, obwohl der re-

Insgesamt setzen sich Krankheitskosten aus drei

ale Nutzenverlust für die Betroffenen gross ist.

Komponenten zusammen: direkten, indirekten und intangiblen Kosten:

In Krankheitskostenstudien (Cost-of-Illness-Studien)

• Bei den direkten Krankheitskosten handelt es sich

werden die Bewertungen für spezifische Krankheiten

um finanzielle Ausgaben, die bei der Bekämpfung

vorgenommen. Daraus lassen sich die Grössenord-

einer Krankheit aufgewendet werden müssen.

nungen der verschiedenen Kostenkomponenten ab-

Diese können sowohl innerhalb des Gesundheits-

leiten. Sieben in den letzten Jahren publizierte Stu-

wesens (z.B. Entlöhnung von Ärzten oder Ausga-

dien für die Schweiz zeigen, dass die Gesundheits-

ben für Medikamente) als auch ausserhalb (z.B.

ausgaben im Durchschnitt einen Drittel der Krank-

Ausgaben für eine behindertengerechte Wohnung

heitskosten ausmachen, während zwei Drittel durch

oder Fahrtkosten zum Arzt) anfallen, weshalb man

indirekte Kosten wie Produktivitätsverlust am Ar-

von direkten medizinischen und direkten nicht

beitsplatz und informelle Pflege entstehen.

medizinischen Kosten spricht.

Fortsetzung von Seite 1

den. Er verursacht auch indirekte Kosten. Letztere

sundheitsausgaben der letzten dreissig Jahre durch

beinhalten Produktivitätsverluste durch das Fehlen

den Nutzen aus dem damit verbundenen medizin-

am Arbeitsplatz, die informelle Pflege durch Ver-

technologischen Fortschritt mehr als kompensiert

wandte und Freunde sowie verlorene Freizeit. In die-

wurden.

sem Sinn generieren Investitionen der Pharmaindustrie in Forschung und Entwicklung für neue Medika-

Wird also eine Gesamtrechnung gemacht, ist un-

mente nicht nur Arbeitsplätze, sondern bringen über

schwer zu erkennen, dass sich Ausgaben für die Ge-

die Verringerung der Krankheitskosten auch volks-

sundheit durchaus lohnen und die Gesundheitswirt-

wirtschaftliche Einsparungen. Die empirische Evi-

schaft – einschliesslich der Pharmaindustrie – für die

denz lässt darauf schlies­sen, dass die höheren Ge-

Schweiz einen positiven Wirtschaftsfaktor darstellt.

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Gesundheitsausgaben und Krankheitskosten in der Schweiz Gesundheitsausgaben (direkte medizinische Kosten) in Mio. CHF/a

Direkte nicht medizinische Kosten in Mio. CHF/a

Indirekte Kosten in Mio. CHF/a

Gesamtkosten in Mio. CHF/a

Anteil Gesundheitsausgaben an Krankheitskosten

Multiple Sklerose

192

55

273

520

37.0%

Sepsis

355

k.A.

844

1 199

29.6%

Rheumatoide Arthritis

790

278

1 332

2 400

32.9%

Demenz

3 486

k.A.

2 771

6 257

55.7%

Krebs

3 062

241

4 593

7 655

40.0%

Kreuzschmerzen (HKA)1

2 751

1 224

6 316

10 291

26.7%

Kreuzschmerzen (FKA) 2

2 751

1 224

3 390

7 365

37.3%

Gehirnerkrankungen

6 082

2 696

9 831

18 609

32.7%

Quelle: Polynomics, Gesundheitsausgaben und Krankheitskosten, 2011. 1 HKA: 2 FKA:

Humankapitalansatz. Friktionskostenansatz zur Berechnung der Produktivitätsverluste.

Ökonomisch gesehen handelt es sich bei den Ge-

Sieben Studien für die Schweiz

sundheitsausgaben lediglich um einen Teil der Ge-

Die in der Schweiz ausgewerteten Studien beschäf-

sundheitskosten. In der Volkswirtschaftslehre wer-

tigen sich überwiegend mit chronischen Krankhei-

den Kosten allgemein als entgangener Nutzen ange-

ten, da diese aufgrund der demografischen Alterung

schaut. Man spricht dabei von Opportunitäts- oder

immer häufiger auftreten und an Wichtigkeit gewin-

Alternativkosten, die aus den ungenutzten Möglich-

nen. Drei Arbeiten berechnen Kosten von Gehirner-

keiten resultieren, auf die man verzichten muss. Aus

krankungen, wobei neben multipler Sklerose und

gesamtgesellschaftlicher Sicht sind die gesamten

Demenz eine Übersichtsstudie alle wichtigen Hirner-

Krankheitskosten entscheidend, unabhängig davon

krankungen abdeckt. Die intangiblen Kosten sind –

wo, bei wem und in welcher Form sie anfallen. Nur

wie oben erwähnt – nicht berücksichtigt. Insgesamt

durch die Gesamtbetrachtung lässt sich bestimmen,

verursachen neben den Gehirnerkrankungen, wel-

welche Kosten eine Volkswirtschaft durch eine spe-

che zwölf Erkrankungen erfassen, Kreuzschmerzen

zifische Krankheit zu tragen hat.

die höchsten Kosten. Aber auch Krebs und Demenz

Schweiz als Pharma- und Forschungsstandort n Die Pharmaindustrie ist die wichtigste Export-

von Polynomics in Zusammenarbeit mit BAK Basel

branche der Schweiz. Sie hat die Wertschöpfung,

Economics im Auftrag von Interpharma hervor.

die Zahl der Arbeitsplätze und die Produktivität in den letzten Jahren weiter gesteigert.

Die Zahl der Erwerbstätigen in der Pharmaindustrie hat 2010 um 3 Prozent auf 36 700 Mitarbeiterinnen

Die Pharmaindustrie ist für mehr als 30 Prozent der

und Mitarbeiter zugenommen. Berücksichtigt man

Schweizer Exporte verantwortlich. Ihre Wertschöp-

die Verflechtung mit vor- und nachgelagerten Be-

fung, direkt und indirekt, erreicht gegen 30 Milliar-

trieben, hingen 2010 mehr als 135 000 Arbeitsplätze

den Franken, was einem Anteil von 5.7 Prozent am

von dieser Branche ab. Die Pharmaindustrie weist

nominalen Bruttoinlandsprodukt entspricht. Wäh-

zudem eine überdurchschnittlich hohe Produktivität

rend die nominelle Wertschöpfung aufgrund des

auf. Die Wertschöpfung ist mit 400 000 Franken pro

gestiegenen Preisdrucks und der Wechselkursent-

Erwerbstätigen und Jahr oder 232 Franken pro Ar-

wicklung resp. des Erstarkens des Frankens zuneh-

beitsstunde mehr als dreimal so hoch als die durch-

mend unter Druck gerät und aktuell nicht mehr die

schnittliche Produktivität der Gesamtwirtschaft. Die

ganz hohen Zuwachsraten der Vergangenheit er-

Pharmabranche liegt damit deutlich an der Spitze

reicht, bleibt das reale Wachstum mit über 4 Pro-

– vor den Versicherungen mit 194 und den Banken

zent robust und hoch. Dies geht aus einer Studie

mit 137 Franken pro Stunde.

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Gesundheitsausgaben

Die gezieltere und schnellere Wirkung neuer Therapien reduziert indirekte Krankheitskosten, wie z.B. die Kosten der informellen Pflege.

mit rund 6 bis 8 Milliarden Franken pro Jahr stellen

Gehirnerkrankungen und Kreuzschmerzen belegen

für die schweizerische Volkswirtschaft eine hohe Be-

dies trotz geringer Kosten pro Patient. Pro Patient die

lastung dar.

teuerste Krankheit ist Sepsis, gefolgt von Demenz und multipler Sklerose. Die relativ geringe Prävalenz

Selbstverständlich handelt es sich bei den Krank-

dieser Krankheiten führt dennoch zu insgesamt

heitsbildern in diesen sieben Studien nicht um eine

niedrigeren Gesamtkosten.

repräsentative Auswahl aller Krankheiten in der Schweiz. Mit rheumatoider Arthritis, Krebs und Ge-

Bei Demenzerkrankungen erreichen die Gesund-

hirnerkrankungen (inklusive Depressionen und Mi-

heitsausgaben einen Anteil von über 50 Prozent. Die-

gräne) finden sich unter den Studien jedoch vier

ser hohe Anteil erklärt sich dadurch, dass von De-

der sieben häufigsten chronischen Krankheiten in

menz überwiegend ältere Personen betroffen sind,

der Schweiz. Zusätzlich behandelt die Studie über

die sich meist nicht mehr im Arbeitsprozess befin-

Kreuzschmerzen die häufigste körperliche Be-

den. Deshalb wurden keine Arbeitsproduktivitätsver-

schwerde, an der beinahe die Hälfte der Bevölkerung

luste ermittelt, was sich in geringeren indirekten Kos-

leidet und die nicht direkt einer Krankheit zugeordnet

ten niederschlägt. Umgekehrt bedeutet dies, dass

werden kann.

der Anteil der indirekten Kosten bei Akuterkrankungen deutlich niedriger ausfällt als bei den chroni-

Hohe Kosten von Gehirnerkrankungen

schen Krankheiten, weil die Produktionsverluste von

und Kreuzschmerzen

kürzerer Dauer sind. Die indirekten Kosten von Sep-

Die Tabelle auf Seite 3 bietet einen Überblick über

sis werden hauptsächlich durch die hohe Mortali-

die in diesen Studien gesamthaft ermittelten Kosten

tätsrate verursacht, die bei der Studie bei knapp 50

für die Schweiz. Die Gesamtkosten setzen sich dabei

Prozent lag.  n

im Wesentlichen aus direkten medizinischen und direkten nicht medizinischen sowie indirekten Kosten (Produktivitätsverlust und informelle Pflege) zusammen. Die Gesamtkosten pro Krankheitsbild unterscheiden sich teilweise deutlich. Das liegt an der Anzahl Betroffener (Prävalenz) und den unterschiedlichen Behandlungsformen. Die hohen Kosten von

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Gesundheitsausgaben

Medizinischer Fortschritt führt zu tieferen Krankheitskosten Innovationen im Gesundheitswesen sind zwar teuer, aber neue Geräte, Medikamente und Verfahren sind unabdingbar, um Krankheiten besser bekämpfen zu können. Dadurch sinken nämlich die indirekten und intangiblen Kosten. Ein Aspekt, dem in der Diskussion um die Kostenexplosion zu wenig Beachtung geschenkt wird. Der Einfluss von Gesundheitsausgaben auf die

pie dazu geführt, dass Leistenbruchpatienten heute

Krankheitskosten ist vor allem im Zusammenhang

nach der Operation rund doppelt so schnell wieder

mit dem medizintechnologischen Fortschritt von

an den Arbeitsplatz zurückkehren können und deut-

grosser Bedeutung und deshalb auch immer wieder

lich weniger Schmerzen haben.

Gegenstand von Studien. Innovationen im Gesundheitswesen sind üblicherweise teurer als Bestehen-

Gerade im Bereich neuer Medikamente existiert

des. Dafür lassen sich im Gegenzug Krankheiten

eine Vielzahl an Studien, da die Zulassungsbehör-

wirkungsvoller und schneller behandeln. Beispiele

den in den meisten Ländern einen Nachweis für

dafür gibt es viele. So haben beispielsweise minimal-

eine bessere Wirksamkeit verlangen, bevor ein

invasive chirurgische Verfahren wie die Laparosko-

neues Präparat eingesetzt werden darf. Als Beispiel

Gesundheitswirtschaft n Das Gesundheitswesen hilft nicht nur Kranken, es

Gesundheitswirtschaft verfolgt und untersucht,

ist auch ein bedeutender Wirtschaftsbereich. So ste-

spricht von einem neuen Verständnis. Während die

hen hinter den Gesundheitsausgaben auch wirt-

Gesundheitswirtschaft früher ein Teil des Gesund-

schaftliche Leistungen und Arbeitsplätze: 16 000

heitswesens war, sei es heute umgekehrt. Damit

praktizierende Ärzte schreiben jährlich 65 Millionen

einher geht die Abkehr von der überwiegenden Fi-

Verordnungen, ihre Rezepte werden in 1700 Apothe-

nanzierung durch die öffentliche Hand. Die Gesund-

ken eingelöst, knapp 300 Spitäler leisten über

heitsversorgung wird nicht mehr oder nicht mehr

12 Millionen Pflegetage – dies nur ein kleiner Aus-

allein als Kostenfaktor betrachtet, sondern als

schnitt aus der Gesundheitswirtschaft. Die volkswirt-

Wachstumsbranche mit einer stetig steigenden Zahl

schaftliche Bedeutung ist nicht zu verkennen: Die

von Arbeitsplätzen und neuen Karrieremöglichkei-

Gesundheitsausgaben machen 11 Prozent des Brut-

ten. Als Folge dominiert nicht mehr der Konsu-

toinlandsprodukts aus, Gesundheit und Medika-

maspekt die Gesundheitsversorgung, sondern In-

mente 14 Prozent des Landesindexes für Konsu-

vestitionen in die Gesundheit dienen dem wirt-

mentenpreise. Beinahe jeder achte Erwerbstätige

schaftlichen Wachstum und der Produktivität.

arbeitet im Gesundheitssektor, das sind gegen 600 000 Beschäftigte. Damit ist das Gesundheitswe-

Henke hat für Deutschland ähnliche Zahlen erho-

sen einer der wichtigsten Arbeitgeber in der Schweiz.

ben, wie sie für die Schweiz gelten. Die Bruttowertschöpfung der Gesundheitswirtschaft macht rund

Die Gesundheitswirtschaft entwickelt sich nicht

11 Prozent der gesamten Volkswirtschaft aus – dies

stürmisch, aber doch stetig aufwärts: Anfang der

bei einer jährlichen Zuwachsrate von über 10 Pro-

90er-Jahre waren 8 Prozent der Beschäftigten im

zent. Henke gibt für die Gesundheitswirtschaft ei-

Gesundheitswesen tätig, im letzten Jahr waren es

nen direkten Multiplikator von 1.41 an. Das heisst,

mehr als 12 Prozent. Diese wachsende Bedeutung

jeder Euro in der Gesundheitswirtschaft löst EUR

hat bei den Ökonomen zu einer veränderten Be-

–,41 an zusätzlichen Leistungen in andern Berei-

trachtungsweise des Gesundheitswesens geführt.

chen aus. Berücksichtigt man auch noch den Kon-

Der Berliner Professor Klaus-Dirk Henke, der seit

sum aus diesen zusätzlich generierten Einkommen,

gut zwei Jahrzehnten Struktur und Entwicklung der

resultiert ein Multiplikator von 1.81.

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Gesundheitsausgaben

sei der technologische Fortschritt im Bereich der

wurde. Die Autoren kommen zum Schluss, dass ein

Antikoagulantien erwähnt, also die Masse aller Me-

Programm zur Entlastung der pflegenden Angehöri-

dikamente, die hemmend auf die Blutgerinnung ein-

gen von Alzheimerpatienten insgesamt mehr Nutzen

wirken. Hier hat beispielsweise der neue Wirkstoff

als Kosten generieren würde. Bei einer solchen Lö-

Rivaroxaban das Risiko einer Thrombose nach

sung können pflegende Angehörige für ein paar Wo-

gros­s en orthopädischen Operationen um rund die

chen pro Jahr zulasten der Krankenversicherung

Hälfte senken können.

professionelle Pfleger anfordern, um sich selbst zu entlasten. Dies käme einer Verschiebung von indi-

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Wann lohnen sich höhere

rekten Kosten durch informelle Pflege hin zu den di-

Gesundheitsausgaben?

rekten Kosten in Form höherer Ausgaben für profes-

Durch diese Wechselbeziehungen zwischen direk-

sionelle Pflege gleich.

ten und indirekten beziehungsweise intangiblen Krankheitskosten stellen steigende Gesundheits-

Höhere Lebenserwartung –

ausgaben – zum Beispiel durch medizintechnologi-

aber zu welchem Preis?

schen Fortschritt – nicht a priori ein Problem dar. Es

Wie komplex die Thematik letztlich ist, veranschau-

stellt sich vielmehr die Frage, wann sich höhere Ge-

licht das Beispiel der demografischen Alterung.

sundheitsausgaben lohnen beziehungsweise wie

Einigkeit besteht darüber, dass die in den Industrie-

der Gesamteffekt zwischen höheren Gesundheits-

nationen in den letzten 30 Jahren stark gestiegenen

ausgaben und den reduzierten anderen Kostenkom-

Gesundheitsausgaben einhergingen mit einer be-

ponenten ausfällt. Die empirische Evidenz lässt der-

merkenswerten Zunahme der Lebenserwartung bei

zeit darauf schliessen, dass die höheren Gesund-

Menschen über 60 Jahre. Und doch gibt es zwei

heitsausgaben der letzten dreissig Jahre durch den

gegensätzliche Sichtweisen: Die statische betrach-

Nutzen aus dem damit verbundenen medizintechno-

tet die Gesundheitsausgaben vor allem als Kosten-

logischen Fortschritt mehr als kompensiert wurden,

komponente von Krankheit – die dynamische als In-

die Krankheitskosten insgesamt also eher abgenom-

put für bessere Gesundheit. Anders ausgedrückt:

men haben.

Würde Krankheit nicht bekämpft werden, müssten auch keine Ressourcen im Gesundheitswesen auf-

So gibt es einige Untersuchungen, die belegen, dass

gewendet werden. Prävention kann in diesem Zu-

höhere Gesundheitsausgaben in den industrialisier-

sammenhang als Bekämpfung einer Krankheit vor

ten Ländern einen signifikanten Beitrag zur steigen-

deren Ausbruch verstanden werden.

den Lebenserwartung leisteten. Des Weiteren haben verschiedene wissenschaftliche Studien aus den USA gezeigt, dass jeder in den Jahren zwischen 1980 und 2000 ins Gesundheitswesen investierte Dollar einen Ertrag von USD 1,50 bis USD 2,– «erwirtschaftete», und zwar in Form von höherer Lebenserwartung und verbesserter Gesundheit. Die Studien lassen sich zwar nicht direkt auf die Schweiz übertragen. Auch klammern sie den Faktor aus, ob durch

«Die höheren Gesundheitsausgaben der letzten dreissig Jahre wurden durch den Nutzen aus dem damit verbundenen medizintechnologischen Fortschritt mehr als kompensiert.»

mehr Effizienz noch höhere Erträge möglich gewesen wären. Trotzdem sind sie ein starker Hinweis darauf,

Höhere Gesundheitsausgaben sind also dann ge-

dass sich der technologische Fortschritt und die da-

rechtfertigt, wenn der Nutzen daraus höher ist. Das

mit verbundenen höheren Gesundheitsausgaben

ist der Fall, wenn die Krankheitskosten trotz der

auch in der Schweiz gelohnt haben, sind doch die

höheren Gesundheitsausgaben niedriger ausfallen

USA das Land mit dem weltweit teuersten Gesund-

und somit der Rückgang bei den indirekten und

heitswesen.

intangiblen Kosten grösser ist als die Erhöhung der Gesundheitsausgaben. Im Gegensatz dazu ist eine

Für die Schweiz ist zum Beispiel die Studie von No-

Reduktion der Gesundheitsausgaben nur dann zu

cera et al. (2002 und 2003) zu nennen, bei der eine

vertreten, wenn sich daraus Effizienzverbesserun-

Kosten-Nutzen-Analyse zu verschiedenen Program-

gen im System ergeben und keine Leistungen mit

men gegen die Alzheimerkrankheit durchgeführt

einem hohen Nutzen abgebaut werden.

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Schlussfolgerungen

stützen deshalb entsprechende Bestrebungen (z.B.

In der Regel geht es in der Diskussion um die Schwei-

Erhöhung der Kostenbeteiligung der Patienten, eine

zer Gesundheitspolitik nur um jene Ausgaben und

Beschneidung des Leistungskatalogs oder der Spe-

Kosten, die direkt im Gesundheitswesen anfallen. Wie

zialitätenliste für Medikamente). Alle übrigen Krank-

«teuer» die Gesundheit die Volkswirtschaft insgesamt

heitskosten sind für sie derzeit von untergeordneter

zu stehen kommt, wird tendenziell ausgeblendet. Die

Bedeutung. Im Gegensatz zu der Unfallversicherung

ausgewerteten Krankheitskostenstudien zeigten aber,

gibt es keine obligatorische Taggeldversicherung, die

dass die indirekten Krankheitskosten die Gesund-

zumindest einen Teil der Produktivitätsverluste am

heitsausgaben in der Schweiz deutlich übersteigen.

Arbeitsplatz in die Sichtweite der Versicherer rückt.

Da diese aber nur etwa einen Drittel der gesamten

Trotz der Wechselwirkungen zwischen Gesund-

Krankheitskosten ausmachen, ist es ein falscher An-

heitsausgaben und Krankheitskosten ergreift die

satz, vor allem die Gesundheitsausgaben senken zu

Gesundheitspolitik vor allem Massnahmen, um bei

wollen.

den Gesundheitsausgaben zu sparen. Eine mögliche Erklärung: Langfristige Effekte auf die Gesamtkos-

Einer Gesamteinsicht zum Durchbruch zu verhelfen,

ten sind schwieriger zu vermitteln und liegen häufig

ist schwierig, da die Interessenlage der Akteure im

ausserhalb des Zeithorizontes, in dem Politiker wie-

Schweizer Gesundheitswesen (Leistungserbringer,

dergewählt werden möchten.

Versicherer, die Politik sowie die Bevölkerung) zu unterschiedlich ist. Aufseiten der Leistungserbringer

Bevölkerung von allen Kostenfaktoren

lassen sich zwei Gruppen unterscheiden:

betroffen

1. Die niedergelassenen Ärzte, Spitäler und Apothe-

Während bei den bisher genannten Akteuren Partial-

ken richten ihr Hauptaugenmerk auf die Wieder-

betrachtungen eine zentrale Rolle spielen, ist die Be-

herstellung oder Verbesserung des Gesundheits-

völkerung von allen Kostenfaktoren betroffen. Ent-

zustandes des erkrankten Patienten. Dieser trägt

weder als Patient oder als Angehörige von Kranken,

aufgrund der umfassenden Krankenversicherung

sodann als Betroffener von intangiblen Kosten und

nur einen Bruchteil der anfallenden direkten me-

schliesslich als Mitglied einer Krankenkasse bzw.

dizinischen Kosten unmittelbar. Dadurch haben

als Steuerzahler. Aus volkswirtschaftlicher Sicht be-

die Leistungserbringer kaum Anreize, bei ihren

trachtet besteht also ein Interesse, alle Kostenkom-

Behandlungsentscheiden die Gesundheitsaus-

ponenten gleichermassen im Auge zu haben.

gaben zu berücksichtigen. Erschwerend kommt der Kontrahierungszwang dazu. Dieser verlangt

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass im

von den Krankenkassen, dass sie für alle erbrach-

derzeitigen schweizerischen Gesundheitssystem

ten Leistungen aufkommen müssen, ungeachtet

die Anreize zur Betrachtung der verschiedenen Kos-

des Umfangs und der Qualität.

tenkomponenten bei den relevanten Akteuren sehr unterschiedlich gesetzt sind, sodass es schwierig

2. Bei den forschenden Pharma- oder Medtech-

ist, eine mehrheitsfähige und vor allem nachhaltige

unternehmen, den sogenannten «Innovatoren»,

Gesundheitspolitik zu betreiben. Dies gilt insbeson-

verhält es sich ähnlich. Der versicherte Patient

dere vor dem Hintergrund, dass chronische Erkran-

hat ein Anrecht auf das beste verfügbare Medi-

kungen nicht zuletzt aufgrund der demografischen

kament. Somit können sich die Firmen am Markt

Alterung in den nächsten Jahren weiter zunehmen

besser behaupten, wenn sie neue Behandlungs-

werden.

und Therapieformen entwickeln, um ein «Mehr» an Gesundheit anbieten zu können.

Dadurch wird das Schweizer Gesundheitssystem laufend vor neue Herausforderungen hinsichtlich der

Die Leistungserbringer haben also primär den Ge-

Finanzierung gestellt, für die es langfristig ausgerich-

sundheitszustand der Patienten im Auge und ver-

tete Lösungsvorschläge braucht. Dabei gilt es, auch

suchen, durch geeignete Behandlungen und Inno-

Möglichkeiten zur Effizienzsteigerung im Gesund-

vationen die indirekten und intangiblen Krankheits-

heitssystem zu identifizieren, um den durch medi-

kosten zu reduzieren. Bei den Krankenkassen ist es

zintechnologischen Fortschritt unweigerlich steigen-

genau umgekehrt. Sie haben in erster Linie das Ziel,

den Gesundheitsausgaben durch einen effizienteren

die Gesundheitsausgaben zu reduzieren, und unter-

Ressourceneinsatz entgegenwirken zu können.  n

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Impressum Herausgeber: Thomas B. Cueni, Roland Schlumpf Redaktion: Interpharma Layout: Continue AG, Basel Fotos: Barbara Jung

Interpharma Postfach, 4003 Basel Telefon 061 264 34 00 Telefax 061 264 34 01 info@interpharma.ch www.interpharma.ch

Pharma:ch ist der Newsletter von Interpharma, dem Verband der ­forschenden pharmazeutischen Firmen der Schweiz, Actelion, Merck Serono, Novartis, Roche, Amgen, Bayer, Boehringer Ingelheim, Janssen-Cilag, UCB und Vifor. Diese Plattform will durch differenzierte Information Verständnis für die medizinisch-pharmazeutische Forschung und Entwicklung in der Schweiz schaffen. Hintergrundinformationen und Stellungnahmen finden Sie unter www.interpharma.ch.

Forschungsplatz braucht Revitalisierung Die pharmazeutische Industrie der Schweiz hält weltweit eine Spitzenstellung. Ihr Rohstoff ist das Wissen – Forschung und Entwicklung an Hochschulen und Universitäten. Nur mit einem Revitalisierungsschub des Forschungsplatzes Schweiz wird das so bleiben. ständliche und langwierige Verfahren das Erreichte infrage. Dazu gehören bei Medikamenten die Zulassung zum Markt und die Erstattung durch die Krankenversicherer. Mit schlechteren Rahmenbedingungen müssen auch klinische Studien kämpfen. Ihre Zahl ist seit Jahren rückläufig und die Schweiz ist daran, einen ihrer besten Trümpfe in der Pharmaforschung zu verlieren. Thomas Cueni, Generalsekretär Interpharma

Lamentieren soll hier nicht im Zentrum stehen. Aber Forscher und Entwickler der pharmazeutischen In-

darauf aufmerksam zu machen, wo die forschende

dustrie bringen immer wieder neue Medikamente auf

Industrie der Schuh drückt, ist Pflicht. Denn zu viel

den Markt. Das hat drei wichtige Konsequenzen:

hängt von Rahmenbedingungen ab:

• D ie Medikamente heilen Kranke oder helfen, ihr

• das Wohl der Patientinnen und Patienten

Leid besser zu ertragen. Die Medikamente stiften einen individuellen Nutzen für das Individuum, der

• die internationale Spitzenstellung der schweizerischen Pharmaindustrie

sich gesellschaftlich in einer höheren Lebenser-

• die bedeutendste Exportbranche der Schweiz

wartung und mehr beschwerdefreien Lebensjah-

• ein weltweit einzigartiger Cluster von Industrie und

ren niederschlägt. • Die Gesundheitskosten steigen. Gleichzeitig neh-

Hochschule • Arbeitsplätze

men die volkswirtschaftlichen Kosten von Krankheit ab. Dabei übersteigen die volkswirtschaftli-

Alldem gilt es Sorge zu tragen, um es zu erhalten.

chen Einsparungen die Mehrkosten deutlich, wie

Doch nichts ist auf Dauer garantiert. Alles muss im-

es diese Publikation deutlich darzulegen vermag.

mer wieder neu erarbeitet und neu gestaltet werden.

• Die Gesundheitswirtschaft wächst. Je mehr The-

Das trifft auch auf die Rahmenbedingungen des For-

rapiemöglichkeiten es gibt und je differenzierter

schungsplatzes Schweiz zu. Er hat einen Revitalisie-

diese sind, desto mehr profitiert der in der Schweiz

rungsschub nötig.

mittlerweile grösste Wirtschaftszweig. Eine rundum gute Sache möchte man meinen und es ist naheliegend, dass der Bund beste Rahmenbedingungen für Forschung und Entwicklung schafft. Leider hält sich der Enthusiasmus dafür in Grenzen. Die Schweiz hat zwar viel erreicht. Doch stellen um-

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