INTER.VISTA 4

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Inter. Vista Magdeburger im Gespräch.

Nah. Persönlich. Echt.

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Reinhard Bolewski · Flavia Hollburg Wulf Gallert · Lars ­Johansen Christian Rathmann · Thomas Kluger Ulrich Wickert · Matthias Musche ­ Sebastian Rätzel · Jana Majewski Reginald Richter · Christoph Schödel Nils Klebe · Christoph Volkmar · Andy Lotz Wolfram Stäps · Gina Maria Mund



Vista noch nicht?

Inter.Visionär Voilà, die vierte Inter.Vista-Ausgabe ist da! Vieles beginnt ja als verrückte Idee und wird dann zu einer handfesten Sache. Das gilt für unser Interviewmagazin ebenso wie für Magdeburg. Ob Otto von Guerickes abenteuerliches Halbkugel-Experiment, Hundert­ wassers Grüne Zitadelle oder der Plan, Magdeburg als Kulturhauptstadt zu positionieren. Das sind eben nicht nur fixe Ideen. In unserer Stadt finden wir eine Menge Visionen und Leute, die diese auch verwirklichen. Die interessieren uns. Unser Team schwärmte wieder aus und traf einen Haufen interessanter Zeitgenossen. Denn wer kennt schon die Stories hinter diesen Ideen? Wisst Ihr zum Beispiel, wie ein Altenheim für Hunde funktioniert oder wie seinerzeit die Gläserne Blume im Palast der Republik entstand? Weshalb kehrt eine nach Österreich emigrierte Magdeburgerin zurück und er­ öffnet einen Feinkostladen? Was ist die Kulturschultüte? Wie kam es zu den Wohnzimmerkonzerten? Kennt Ihr eigentlich das Comic-Kombinat? Oder habt Ihr mal darüber nachgedacht, wer Eure Kinotickets am Einlass entwertet? Und was denkt eigentlich Mr. Tagesthemen über Magde­burg? Auf all diese Fragen findet Ihr hier Antworten. Viel Input also – auch für Eure eigenen Ideen! Eine lässige Lektüre wünscht Euch wie immer Euer Inter.Vista-Team


Interviews sind Situationen, die höchste Aufmerksamkeit erfordern, um im richtigen Moment nachhaken zu ­können oder das Gespräch in eine ­andere Richtung zu lenken. Philipp Schöner

www.alles-ueber-interviews.de


Inhalt

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Flavia Hollburg

Sebastian Rätzel

Reginald Richter

Nils Klebe

Unternehmerin Flavia Wilde Feinkost

Musiker The Baseballs

Glaskünstler

Tänzer Da Rookies

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42

52

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Ulrich Wickert

Gina Maria Mund

Andy Lotz

Reinhard Bolewski

Journalist und Krimiautor

Organisatorin Wohnzimmerkonzerte

Unternehmer Comic-Kombinat

Kartenabreißer Cinemaxx

70

80

90

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Wulf Gallert

Wolfram Stäps

Thomas Kluger

Matthias Musche

Vizepräsident des Landtags DIE LINKE

Künstler und Pädogoge Zinnober Kunstverein

Richter und Vorstand Magdeburgische Gesellschaft

Spieler SC Magdeburg

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106

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Christoph Volkmar

Christian Rathmann

Lars Johansen

Jana Majewski

Historiker Leiter Stadtarchiv

Fotograf

Kabarettist und Kolumnist Moritzhof

Tierschützerin Altenheim für Hunde

140 Christoph Schödel Moderator Radio SAW

Redaktion


Flavia Hollburg »Ich bin der Star in meinem eigenen Laden.« Sie ist die aufgeweckte und quirlige Geschäftsinhaberin von Flavia Wilde Feinkost. Ihr Laden ist eine Hommage an heimische Hausmannskost und an die Familie. Im Interview erzählt sie darüber, wie sie ihren Traum lebt, sich in einer Männerdomäne durchquatscht und wie das mit ihrer Rückkehr zu den ›Bördemuffeln‹ und ›Machdeburjern‹ so läuft. Interview und Fotos: Luisa Hensel


Nils Klebe

Interview und Fotos: Greta Haberstroh


Fl av i a Hol l bu rg Flavia, Dein Laden heißt Flavia Wilde Feinkost. Bist Du so wild, oder hast Du besonders wilde Ware? Das Logo ist ja Flavia Wilde Feinkost. Viele denken deshalb, wir hätten nur Wild im Sortiment. Aber Wild bezieht sich auf beides: Die wilde Flavi und das wilde Fleisch. Es gibt zudem traditionelle Hausschlacht­ wurst und viele Spezialitäten.

Es gibt dieses Sprichwort: Steht eine dünne Frau hinter der Verkaufstheke, dann brauchst du da nicht einkaufen! Würde es schmecken, wenn sie viel mehr auf dem Leib hätte? Wirst Du darauf angesprochen? Die Vorurteile gibt es auf jeden Fall. Aber jeder, der hier in den Laden kommt, wird ganz schnell vom Gegenteil überzeugt. Spätestens wenn sie sehen, wie wir uns gerade eine Scheibe Stichfleisch in den Mund schieben.

Wie bleibst Du denn bei den vielen leckeren Speisen schlank? Das sind meine Gene. Zudem bin ich wie ein Duracellhase.

Diese ›Bördemuffel‹ und Diese ›Machdeburjer‹, damit musst Du erstmal wieder klar kommen.

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Du bietest täglich ein Mittagsmenü an und hast eine große Auswahl an Lecker­eien. Du sagst, dass Du immer hungrig bist. Wie passt das zusam­ men? Ich habe immer Hunger auf alles. Aber mittags immer mein eigenes Essen essen,

das mache ich nicht. Ich esse einfach nicht gern zweimal dasselbe. Und dann habe ich meistens auf das Hunger, was ich nicht habe. Manchmal leckste halt Fett in so einem Laden. Das kennt auch jeder Gastronom. Bevor du es isst, verkaufst du es lieber.

Du bist leidenschaftliche Hobby­ köchin. Darüber hinaus hast Du Dein Können als Gewinnerin in Das perfekte ­Chaos-Dinner unter Beweis gestellt. Von wem hast Du das Kochen gelernt? Das Kochen liegt bei uns in der Familie. Ich habe es von meiner Oma und Mutter gelernt. Ich war als Kind viel bei ihr. Von ihr habe ich auch das Rezeptbuch. Das ist ein großer Schatz für mich.

Was ist dein Lieblingsessen? Ente, in allen Varianten. Ente und Gans könnte ich immer essen. Mein zweites Lieblingsessen ist ›Kirschsuppe mit Klump‹ von meiner Oma. Aber ich esse eigentlich alles gern. Außerdem mag ich Kotelett mit Salbei und Frühlingszwiebeln von Horst Lichter. Total geil. Das habe ich gerade neulich gemacht. Dazu Kartoffel-Karotten-Stampf und glasierte rote Zwiebeln mit Honig und viel Butter. Du erwähntest gerade Horst Lichter und postest Rezepte von Tim Mälzer auf Deiner Facbookseite. Wer ist Dein Lieblingsfernsehkoch? Tim Mälzer war für mich der erste große Fernsehkoch. Dann verfolgte ich alles, was Gennaro Contaldo und Jamie Oliver so machten. Die haben gute Produkte und kreieren ganz einfache und unkomplizierte Sachen damit. So wie zuhause auch gekocht wird. Man haut alles einfach irgendwo rein und fertig! Ich habe zwar


Fl av i a Hol l bu rg ganz viele Kochbücher und lese sie auch, koche aber nicht nach Rezept. Ich mache da immer mein eigenes Ding. Kann Feinkost auch vegetarisch sein? Na klaro! Es gibt viele tolle Gerichte und Produkte. Oliven, gegrillte Paprika, vegane Aufstriche, Bulgur und auch Quinoasalat. Zum Beispiel habe ich letzte Woche einen Tomaten-Fenchel-Salat als Mittagsgericht gemacht.

Tofu statt Fleisch, eine Alternative für Dich? Da bist Du hier definitiv bei der Falschen. (lacht) Ich habe schon Tofu und Würmer in Thailand gegessen und mache auch allen Mist mit. Aber Fleisch könnte ich nicht gänzlich weglassen. Ich esse sehr ausgewogen und halte diesen vegan-vegetarischen Trend für totalen Quatsch. Das machen jetzt alle eine Weile mit und dann hört die Welle wieder auf.

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Fl av i a Hol l bu rg Denn Wiener bestehen aus Kuttermasse. Wenn argumentiert wird, Wild oder Lamm schmecke nicht, dann ist das eine Sache des Geschmacksorgans. Es ist etwas Unbekanntes. Viele Leute, die hier in den Laden kommen, können Lamm nicht von Kalb unterscheiden. Sie haben sich damit noch nicht befasst, sind aber neugierig und hören gerne zu. Wir informieren oder geben Rezepte raus. Die Leute sind dankbar. Auch die Informationen zur Herkunft des Fleisches und der Weiterverarbeitung gehören zur Aufklärung.

Dennoch bin ich der Überzeugung, dass Massenfleischwaren und das Einkaufen von günstigen Nahrungsmitteln der absolut falsche Weg sind. Welches Rezept empfiehlst Du unseren Lesern? Auf jeden Fall Wildschweinrücken. (lacht) Wildschwein ist das am wenigsten streng schmeckende Wild und es ist nicht fettig. Außerdem ist es ganz einfach zuzubereiten. Das kann jeder.

Mit Kirche habe ich nichts am Hut.

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In einem Interview las ich, dass Du »Fleisch-Aufklärungsarbeit« leisten möchtest. Was gibt's denn aufzuklären? Beispielsweise, dass Eltern ihren Kindern gerne Wienerwürstchen geben, aber kein Wild, weil ihnen Bambi so leid tut. Aufklärung ist für mich, wenn ich ihnen erkläre, was in so einer Wiener eigentlich drin ist.

Aber ich habe Charakter und eine groSSe Klappe.

Wer freitags zur Mittagszeit in Deinen Laden kommt, entdeckt als Tagesmenü Fisch. Freitag ist Fischtag. Woher kommt's? Mit Kirche habe ich nichts am Hut. Den fleischlosen Freitag habe ich mir in meinen zwölf Jahren in Österreich angewöhnt. Freitagmittag, Feierabend, da haben die Leute nur Bock auf etwas Schnelles auf die Hand oder was Leichtes.

Unterstützt Du den Bio-Trend? Ich finde, dass dieser Bio-Trend extrem überbewertet wird. Es gibt auch viele Fakes. Da bin ich vorsichtig. Wenn ich die Möglichkeit habe, dann kaufe ich lokale Produkte bei meinem Gemüsehändler oder bei der Eierfrau um die Ecke. Die kenne ich, das ist Bio. Ich entscheide, ob ich etwas kaufe, nachdem ich es gesehen oder probiert habe. Dieser momentane Bio-Hype ist für mich vor allem Kommerz und davon war ich noch nie ein Freund.


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Auf einem Familienfoto auf Facebook trägst Du eine Tracht. Sehr ungewöhnlich für die platte Börde. Die Tracht stammt aus Österreich, aus dem Jagdbereich. Jagdbekleidung ist auch sehr speziell. Außerdem fahre ich gefühlt seit tausend Jahren nach München auf die Wies'n. Ich liebe das Oktoberfest. Dazu braucht man halt ein Dirndl. Ich ziehe auch sehr gerne ein Tracht an, damit ist man einfach gekleidet. Wenn das meine Berufskleidung wäre, fände ich das richtig cool. Apropos Jagd: Hast Du einen Jagdschein und schießt Du selber? Den Jagdschein mache ich gerade. Das sogenannte ›grüne Abitur‹ ist anspruchsvoll. Ich gehe schon seit der Kindheit mit zur Jagd. Natürlich würde ich gern selber mein Vieh schießen und es dann hier verkaufen, aber dafür muss ich erstmal die Prüfung schaffen.

Mit der Jagd hättest Du in Österreich womöglich mehr Glück gehabt. Warum bist Du nach so langer Zeit nach Magdeburg zurückgekehrt? Ich hatte schon länger den Plan, mich selbstständig zu machen. Außerdem wegen meiner Familie. Zu diesem Zeitpunkt brauchte mich meine Familie hier. Meine Eltern sind sehr dankbar, dass ich wieder zurück bin. Sie hätten es aber nie von mir verlangt. Sie sagten mir immer, ich solle mein eigenes Ding machen. Für mich steht aber auch fest, dass ich irgendwann wieder zurück nach Österreich gehe. Spätestens zur Rente. Dort ist eben auch Heimat für mich. Wie war die erste Zeit nach Deiner Rückkehr? Wurdest Du mit offenen Armen empfangen? Die erste Zeit habe ich nur geweint. Drei Monate lang. (lacht) Ich hatte ganz furchtbares Heimweh. Hier war Oktober. Es war

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Fl av i a Hol l bu rg grau und schneeig. In Österreich ist im­ mer blauer Himmel und schöner Sonnen­ schein. Aber ich habe hier Freunde, die mich ganz lieb aufnahmen. Es war aber eben alles anders. Diese ›Bördemuffel‹ und diese ›Machdeburjer‹, damit musst Du erstmal wieder klar kommen.

2016 wurdest Du mit dem Sonderpreis Erfolgreichste Rückkehrerin nach Sachsen-Anhalt ausgezeichnet. Was bedeutet Dir das? Eigentlich bewarb ich mich für den Preis Unternehmer des Jahres. Dann bekam ich die Einladung zur Veranstaltung. Ich dachte, dass mich das eigentlich nicht interessiert. Dann fragte man mich, ob ich denn zur Vergabe des Unternehmer­ preises käme. Es hieß, dass es schon gut wäre, wenn ich käme. Da hatte ich schon das Gefühl, dass ich nominiert bin. Ich wusste, dass vorher eine Jury kommt und mich inkognito bewertet. Eine Woche vor der Preisverleihung hielt ich jeden, der in den Laden kam für die Jury und war besonders freundlich. Letztendlich war es der Chef der Stadtsparkasse, der bei mir im Laden inkognito einkaufte. Der hielt auch die Laudatio. Die Preisverleihung war ziemlich cool. An dem Abend erzählte er über Editha, und dann kam er mit einem Schwenk auf mich. Mir liefen die Freudentränen Das war alles sehr beein­ druckend. Ich war stolz. Damit hatte ich nicht gerechnet.

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Bereust Du Deine Rückkehr ins Land der Neider? Ich habe noch nie etwas bereut. Mitleid bekommt man geschenkt, Neid muss man sich erarbeiten. Hier ist es schwerer als in Österreich. Dort hat man eine ganz tolle Mentalität, eine Lockerheit und Zu­

sammenarbeit trotz des Umstandes, dass jeder an seinem Strang zieht. Aber ich dachte, was ich in Österreich kann, das geht hier auch. Hier ist meine Heimat und ich probiere das jetzt. Bisher funktioniert es ganz gut. Manchmal muss man sich halt Kopfhörer aufsetzen. Als Teenie wolltest Du Moderatorin werden. Jetzt bist Du Geschäfts­führerin eines Feinkostladens. Lebst Du deinen Traumjob? Meinen Traumjob lebe ich jeden Tag. Ich moderiere hier hinter der Theke. (lacht) Ich muss so viel quatschen, das reicht für eine ganze Bühne. Das Erste, was ich zu hören bekam, als ich wieder hier war: Da kommt sie nun wieder, Frau ›Marketing­ leiterin‹, und steht jetzt hinter der Wurst­ theke. Was mir eigentlich völlig Wurst ist. Ich verdiene damit meine Brötchen und es macht Spaß. Ich bin der Star in meinem eigenen Laden. (lacht)

Ich muss so viel quatschen, das reicht für eine ganze Bühne.

Waren Deine Eltern dafür das Vorbild? Ich habe es nicht so mit Vorbildern. Der Mensch ist ein Individuum und er soll so leben wie er es sich denkt. Stolz auf seine Eltern ist man ja immer. In beruflichen Sa­ chen oder wenn es um Fachwissen geht, dann ist mein Vater das Vorbild. Er hat eine Firma aus dem Boden gestampft. Er hatte nicht ursprünglich Fleischermeister gelernt. Davor war er in der Kranmontage tätig und Fußballer beim FCM. Kurz nach der Wende war er Hausschlächter. Er hat


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das von meinem Onkel und meinem Opa gelernt. Aus der Not heraus machte er sei­ nen Meister und konnte so seinen Laden eröffnen. Wenn es um Lebenserfahrung geht, dann ist meine Mutti mein Vorbild. Weil, sie ist irgendwie … (Pause) Ach, das kann man gar nicht beschreiben. (lächelt mit Tränen in den Augen) Eine Firma gründen ist nicht schwer, Unternehmerin sein dagegen sehr! Früher war das eine reine Männerdomäne. Wie behauptest Du Dich? Durchsetzungsvermögen, Fachwissen und zu viel Energie.

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Frau und Wurst, das ist kein klassisches Bild. Fühlst Du Dich als Frau benachteiligt? Nein. Ich hatte das schon zwei oder drei­ mal, dass Männer komisch guckten und staunten: Was, du bist Fleischer? Aber ich habe Charakter und eine große Klappe. Dazu überzeuge ich mit Fachwissen.

Ich habe sehr viele Männer und Köche als Kunden. Die nehmen mich ernst in meinem Job. Und ein wenig Übung hab ich auch. Ich habe sechs Jahre als Projekt­ leiterin im Holzbau gearbeitet. Du sagst über Dich selbst, dass Du oft auf Dein Bauchgefühl hörst und ein ›Chaotenkind‹ bist. Redest Du dabei über Dich als Geschäftsfrau? Nein, das bin ich privat. Als Geschäftsfrau bin ich eine Planerin, aber hinter den Handlungen steckt ein gewisses Kalkül und Bauchgefühl.

Das erste Geschäftsjahr ist um. War es ein Erfolg? Ich würde sagen, ich habe das erste Jahr überlebt. Ich bin ein bisschen bekannter geworden. Mittlerweile funktioniert die Mundpropaganda sehr gut. Ich freue mich jeden Tag mehr, wenn die Tür aufgeht und die Kunden sagen, dass sie erstmal


Fl av i a Hol l bu rg gucken wollen, weil sie von mir gehört haben. Das ist schon ein kleiner Erfolg.

Man sagt, selbstständig sein heißt vor allem selbst und ständig arbeiten. Wie viel Zeit bleibt noch für Dein Privat­ leben? Von September bis Mai habe ich Sonntag frei. Das restliche Jahr habe ich auch sonntags geöffnet. Aber ich bin ein großer Freund von Work-Life-Balance. Würde das nicht funktionieren, liefe es auch im Job nicht richtig. Ich nehme mir frei, wenn ich es brauche und mache den Laden auch schon mal drei Tage zu. Wenn man seine Kunden gut erzieht, dann funktioniert das alles. Die haben dafür Verständnis und freuen sich, wenn ich wieder da bin.

Magdeburg als Kulturhauptstadt? Ist da was drin? Ich habe keine Ahnung. Aber wir werden uns bewerben und man wird irgendwo investieren und was dafür tun, den Titel zu bekommen. Januar 2017

Meinen Traumjob lebe ich jeden Tag.

Was ist das Verrückteste, was Du in Deinem Leben gemacht hast? Ich war Galionsfigur auf einem Wagen der Loveparade. Außerdem habe ich beim Perfekten Dinner mitgemacht. Das war recht chaotisch. Aber man hat ja gesehen, dass man auch damit zum Ziel kommt.

Nimmst Du das (Kultur)-Leben in Magde­burg wahr? Kultur? Gibt es hier? Keine Ahnung. Die Leute zwischen 30 und 40 haben keine Ahnung, was kulturell in Magdeburg läuft. Natürlich bekomme ich das Nachtleben in Magdeburg mit und ich gehe am Wochenende ein bisschen weg. Im Theater war ich aber noch nicht.

Vista.Schon? Flavia Hollburg, Jahrgang 1983, ist ein echtes Bördekind. Nach ihrer Ausbildung lebte sie zwölf Jahre in Österreich bis sie 2015 nach Magdeburg heimkehrte. Für die Gründung ihres Feinkostladens Flavia Wilde Feinkost erhielt sie 2016 den Editha-Preis. Ihr Lieblingsort ist das Dach über ihrem Laden im Hundertwasserhaus. Nach eigenen Aussagen beschreiben die Filme Das Leben des Brian und Pippi Langstrumpf ihr Leben treffend.

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Sebastian Rätzel »Berlin ist nur das größere Magdeburg.« Er ist einer der drei Sänger der Band The Baseballs. Mit den Jungs reiste er um die ganze Welt und gewann zahlreiche Musikpreise. Im Interview mit Inter.Vista erzählt er, warum er kein hundertprozentiger ›Rockabilly‹ ist, ob er schon als Kind der ›coole Rocker‹ war und woher seine Leidenschaft für Elvis rührt. Außerdem erfahren wir, wie es bei der Band zugeht, wenn sie auf Tournee ist. Interview und Fotos: Vera Reinicke

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Du warst vor kurzem in Memphis, der Stadt des Rock‘n‘Roll. Was hast Du da gemacht? Wir haben dieses Jahr zehnjähriges Bandjubiläum. Anstelle eines ­einfachen Best-Of-Albums wollten wir unsere Songs nochmal neu aufnehmen. Das machten wir im Sun Studio in Memphis, in dem auch Elvis anfing. Das ist ­quasi der ›Birthplace of Rock‘n‘Roll‹.

lichkeit und der Ausstrahlung, von der Stimme natürlich auch. Irgendwann war ich dann schon der ›kleine Elvis‹ in der Schule. Im frühen Teenageralter, so mit elf oder zwölf, hab ich eigentlich nur Elvis gehört. Er prägte maßgeblich einen Musikstil, auf dem bis heute alles aufbaut. Das faszinierte mich immer und deswegen ist es schön, dass mich mein Weg in diese Musik führte.

Apropos Elvis. Warum magst Du ihn so sehr? Ich bin relativ früh zu Elvis gekommen, da war ich acht oder sogar noch jünger. Samstagnachmittags liefen im Ersten immer die Elvis-Filme. Da war ich schon richtig begeistert von dieser Persön-

Hast Du dich schon immer gern im Fünfziger-Look gekleidet? In der Schule hatten wir so eine Art Mini­ playback-Show und da hab ich »Love Me Tender« aufgeführt. Schon früher versuchte ich, mir die typische Tolle zu ma­chen. Insofern war es immer ein Teil von mir.

Ich bin froh über alles was passiert ist, auch über das Negative.

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Du wurdest sechs Jahre nach Elvisʼ Tod geboren. Wenn Du einen Nachmittag mit Ihm verbringen könntest, was würdest Du mit ihm machen? Einfach nur zusammen Musik machen. Das wäre das Großartigste.


S e ba s ti a n Rätze l Aber ich bin kein Rockabilly oder jemand, der zu 100 Prozent wie in den Fünfzigern leben will. Aber ich mag den Stil sehr.

Es ist schöner, sich an eine Zeit zu erinnern, als sie noch einmal zu erleben.

Was sind die Fünfziger für Dich? Entschleunigung. Permanent ›erreichbar sein‹ gab es damals nicht. Wenn eine Band für drei Monate auf Tour ging, konnte man froh sein, wenn einmal die Woche angerufen wurde. Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen. Oder einen ganzen Nachmittag mit Freunden in einem Diner sitzen und Milchshakes trinken. Natürlich weiß ich, dass zu dieser Zeit nicht alles einfach war, vor allem auch im politischen Bereich. Aber der Lifestyle ist schon ziemlich cool. Ihr seid immer sehr gut gestylt. Bist Du eitel? Eitel vielleicht nicht, aber ich lege schon Wert auf mein Aussehen. Es gehört einfach zum Beruf des Musikers dazu, gut auszusehen. Das Wichtigste ist dabei aber, dass man sich selbst wohlfühlt und nicht nur darüber nachdenkt, was die anderen von einem denken.

Was fasziniert Dich an der Musik? Ich habe schon immer gern gesungen. Meinen ersten Auftritt hatte ich mit vier Jahren beim Geburtstag meines Opas. Zuhause habe ich mein eigenes Studio und da setze ich mich abends gerne mal an mein Klavier und spiele einfach nur

für mich. Musik ist Balsam für die Seele. Ich kann mir ein Leben ohne Musik nicht vorstellen. Sie wird immer ein Teil von mir sein.

Wann hast Du Klavier spielen gelernt? Ich hab's mir selbst beigebracht. Das fing mit 13 Jahren an. Ich wollte mich selbst begleiten können. Wahrscheinlich würde sich jeder Pianist an den Kopf fassen, wenn er mich spielen sieht, aber für mich und das Komponieren reicht es. In der Schule hatte ich auch mal Geigenunterricht, aber das war eine Quälerei für mich und meine Umwelt. (lacht) Wie sieht das Rockerleben bei Euch aus? Feiert Ihr viele Partys? Ja klar, wir feiern auch. Aber das hat abgenommen. Wir sind jetzt seit zehn Jahren dabei und man kann nicht jeden Abend, wenn man auf Tour ist, eine wilde Party feiern. Wir haben auch eine Verantwortung gegenüber dem Publikum. So ein Konzert ist für einige Leute ein Highlight des Jahres. Da sind wir einfach verpflichtet, jeden Abend das Bestmögliche zu geben.

Wie ist es für Dich, auf Tour zu sein? Ein bisschen wie Klassenfahrt. Man lebt im Bus, das hat was von Camping. Abends schläft jeder in seiner Koje ein, man wacht am nächsten Tag in einer anderen Stadt auf, geht dann Backstage in den Club und duscht sich erstmal. Das hat nicht viel von Glamour, wenn man morgens mit verstrubbelten Haaren aus dem Bus steigt. Außerdem entwickelt sich in der Gruppe immer eine Eigendynamik. Manchmal entsteht dabei ein kruder interner Humor. Da muss man aufpassen, den nicht auf die Bühne zu tragen. Den verstünden die Leute gar nicht.

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S e ba s ti a n Rätze l Ihr habt schon einige Preise abge­ räumt. Welcher ist Dir am wichtigsten? Preise sind eine schöne Sache und eine Bestätigung der Arbeit. Aber sie sind nicht entscheidend. Der erste Echo, den wir als Bester Newcomer National gewannen, war natürlich ein riesiges Ding. Wir waren zum Beispiel in Neuseeland und Australien – das sind einfach Erlebnisse, die wir sonst nie gehabt hätten. Die sind schöner als jeder Preis.

Wahrscheinlich würde sich jeder ­Pianist an den Kopf fassen, wenn er mich spielen sieht.

Wie und wo hast Du deine ­Bandkollegen kennengelernt? Wir lernten uns im Sommer 2007 in einem Proberaum in Berlin kennen. Ich probte dort mit meiner vorherigen Band. Wir sahen uns und erkannten schnell an unseren Frisuren, dass wir wohl einen ähnlichen Musikgeschmack haben. Darüber kamen wir ins Gespräch und machten an dem Abend noch gemeinsam Musik. Ein paar Monate später war uns klar, dass wir eigentlich was zusammen machen müssen. Als Erstes fingen wir mit »Umbrella« an, weil das zu der Zeit ein Nummer Eins Hit war. Ein halbes Jahr später hatten wir unseren ersten Plattenvertrag. Ist »Umbrella« deshalb auch Dein Lieblingssong? Das würde ich so pauschal nicht sagen. Aber das war natürlich der eine besondere Song, mit dem alles losging. Wenn es

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ein Lied gibt, was für The Baseballs steht, dann ist es »Umbrella«.

Wie sehr hat sich Dein Leben verän­ dert, nachdem Du so großen Erfolg hattest? Man hat plötzlich von der Musik gelebt. Nach dem nationalen kam auch der internationale Erfolg. Gefühlt waren wir jeden Tag woanders. Das kann man erst gar nicht realisieren. Ich bin froh, dass das erst mit Mitte 20 passiert ist, weil man realistischer darauf guckt. Dadurch hatten wir auch keinen Höhenflug.

Würdest Du sagen, dass Du Dich verän­ dert hast? Natürlich. Wenn man so etwas zehn Jahre lang macht, verändert man sich. Ich bin vielleicht sogar noch ein bisschen boden­ ständiger als vorher, weil man vieles besser einzuordnen weiß und nicht jedes nette Wort zu ernst nimmt. Du hast mit zwei anderen ein Lied für Helene Fischers neues Album kompo­ niert. Wie kam es dazu? Songwriting macht mir sehr großen Spaß. Irgendwann kam dann das Briefing für Helene Fischer raus. Ich dachte zunächst, dass ich da sowieso keine Chance habe. Ein Kumpel meinte zu mir, dass wir es einfach mal versuchen sollten. Wir haben das Lied »Nur mit dir« geschrieben. Danach holten wir noch einen Produzenten dazu. Im Mai letzten Jahres reichten wir es ein und dann passierte bis September nichts. Stille. Plötzlich erreichte uns eine E-Mail der Plattenfirma mit ein paar Änderungswünschen. Rund um Ostern hieß es dann, dass wir dabei sind. Als wir hörten, dass wir sogar der erste Song auf


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S e ba s ti a n Rätze l dem Album sind, freuten wir uns natürlich umso mehr. ­Helene Fischer ist auch eine herausragende Sängerin.

Bist Du ein Schlagerfan? Auf jeden Fall. Ich bin generell offen. In jeder Musikrichtung gibt es gute und schlechte Lieder.

Die anderen aus deiner Band kommen aus den alten Bundesländern. Merkst Du manchmal noch Ost-West-Unter­ schiede? Ja, ich bin der ›Quoten-Ossi‹. (lacht) Wenn ich »dreiviertel acht« sage, kommen wir schon in Schwierigkeiten. Deshalb haben wir uns auch angewöhnt, die genaue Uhrzeit zu sagen, nämlich »sieben Uhr fünfundvierzig«.

Gibt es irgendeine Zeit im Leben, zu der Du gerne nochmal zurückkehren würdest? Eigentlich nicht. Ich bin froh über alles, was passiert ist, auch über das Negative. Weil es den Menschen prägt. Es ist schöner, sich an eine Zeit zu erinnern, als sie noch einmal zu erleben. Wo bist Du hier zur Schule gegangen? Ich war am Gymnasium Otto-von-Guericke, das gibt es ja leider nicht mehr. Würdest Du lieber ein Jahr ohne Inter­ net oder ohne Fernsehen leben? Ohne Fernsehen, weil ich dann immer noch im Internet Fernsehen schauen kann. (lacht)

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Warst Du schon in der Schule der ›­coole Rocker‹? Nein, cool war ich nie und bin es bis heute nicht. Ich akzeptierte aber auch irgend-

wann, dass ich es nie sein werde. Das ist eine Sache, die das Leben leichter macht. (lacht) In meiner Jugend war es auch eher uncool auf Elvis zu stehen.

Du hast 2015 die schwul-lesbische Fußballeuropameisterschaft gewon­ nen. Was hat das für Dich bedeutet? Das war ein super Wochenende. Wir hatten eine tolle Mannschaft. Ein großer Erfolg, den wir im Anschluss ordentlich gefeiert haben. Ich weiß auch immer noch nicht, wo der Pokal gerade rumliegt. (lacht) Gibt es Unterschiede zu ›normalen‹ Turnieren? Nein. Eigentlich geht es bei solchen Turnieren auch darum, zu zeigen, dass gar nichts anders ist. Da heult auch keiner, wenn mal gefoult wird. Da gibt es eher mal einen witzig gemeinten Spruch, wie zum Beispiel »So’n schwuler Pass!«. Aber ich wünsche mir, dass irgendwann soviel Akzeptanz erreicht wird, dass solche Extra­ veranstaltungen nicht mehr nötig sind.

Hattest du schon einmal Probleme aufgrund Deiner Homosexualität? Anfeindungen hat jeder schon mal erlebt. Zum Beispiel, wenn ich in Berlin mit einem Partner händchenhaltend durch die Stadt gelaufen bin. Da kamen auch mal dumme Sprüche. Mehr ist mir zum Glück noch nicht passiert. Auf deinem Instagram-Profil sieht man, dass Du sehr gern Eis isst. Was ist denn Deine Lieblingssorte? Am liebsten mag ich Joghurteis-Variationen. Wer isst nicht gerne Eis? (lacht)


S e ba s ti a n Rätze l Vinyl oder mp3? Ich müsste jetzt klischeemäßig Vinyl sagen. Aber wenn ich ehrlich bin, ist es doch unglaublich unpraktisch mit einem Schallplattenspieler durch die Straße zu laufen. Dann lieber doch mp3.

Das hat nicht viel von Glamour, wenn man morgens mit verstrubbelten Haaren aus dem Bus steigt.

Was hat Magdeburg, was Berlin nicht hat? Begeisterungsfähigkeit, vor allem für Sport. Keinen ICE-Anschluss. Mehr Einkaufsfläche pro Kopf. Aber eigentlich ist Berlin für mich nur das größere Magdeburg. Von der Mentalität sind die beiden

Städte gar nicht so unterschiedlich. Außerdem gibt es in beiden Städten sehr viel Grünfläche, was ich sehr mag.

Meinst Du, das Image von Magdeburg hat sich schon etwas gebessert? Definitiv. Ich glaube, es kann immer noch besser werden. Aber das negative Bild beruht meistens auf Unkenntnis. Manche Freunde, die zum ersten Mal hier waren, meinten, dass Magdeburg eine sehr schöne Stadt ist. Hast Du hier einen Lieblingsort? Ich bin in der Stadtfelder Ecke groß geworden, weswegen ich dort am liebsten bin. Das ist immer wie eine Reise durch die Vergangenheit.

Kannst Du Dir vorstellen, später wie­ der nach Magdeburg zu ziehen? Vielleicht irgendwann einmal. Aktuell nicht. Ich fühle mich super wohl in Berlin.

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S e ba s ti a n Rätze l Das hat aber auch mehr was damit zu tun, dass ich meinen ganzen Freundeskreis dort habe. Aber ein- bis zweimal im Monat bin ich schon hier in Magdeburg.

Was ist Deine schönste Erinnerung an Magdeburg? Ein tolles Erlebnis war das Domplatz Open Air 2001. Da wurde ein Theaterstück aufgeführt und ich arbeitete zu der Zeit als Statist. Es war so ein schöner Sommer, weil man jeden Abend unter’m Dom auf der Bühne stand. Ich hatte hier viele tolle Erlebnisse.

Was möchtest Du in zehn Jahren er­ reicht haben? Immer noch hauptberuflich in der Musik sein. Aber ich bin offen für das, was passiert. In den nächsten zehn Jahren wäre auf jeden Fall eine eigene Familie fällig. Es wäre schön, privat mein Glück zu finden und vielleicht auch eigene Kinder zu ­haben. Juni 2017

Vista.Schon? Sebastian Rätzel ist 1983 in Magde­ burg geboren und lebte dort bis 2005. Vor seiner Musikerkarriere absolvierte er eine Ausbildung zum Kaufmann für audiovisuelle Medien bei der ProSiebenSat.1 Media AG in Berlin. Er ist ein Langschläfer und mag keine engstirnigen und undankbaren Menschen. Sein Lebensmotto: Nimm Situationen so an, wie sie sind und bleib flexibel. Magdeburg beschreibt er als grün, blau-weiß und als Heimat.

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Hochschule MagdeburgͲStendal Breitscheidstraße 2 Haus 11 39114 Magdeburg Tel: 0391 886Ͳ4431 Fax: 0391 886Ͳ4531 EͲMail: stura@hsͲmagdeburg.de

https://www.facebook.com/StuRa.h2 https://www.sturaͲh2.de BüroͲÖffnungszeiten: Montag und Freitag nach Vereinbarung Dienstag, Mittwoch und Donnerstag 23 Von 10:00 Ͳ 15:00 Uhr


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Re gi na l d Ri chte r

Reginald Richter »Wenn ich in meinem Alter zurückblicke, kann ich sagen, ich bin recht zufrieden.« Scherben bringen bekanntlich Glück, doch bei dem 86-jährigen Künstler Reginald Richter ist das anders. Sein Werkstoff ist Glas. Der Glasgestalter ist gemeinsam mit Richard Wilhelm Autor der Gläsernen Blume, die einst im Palast der Republik in Berlin zu sehen war. Im Interview lässt er uns wissen, wie seinerzeit dieses Großprojekt realisiert wurde, wie unterschiedlich ostund westdeutsche Künstler nach der Wende arbeiteten und wie er seine Frau kennenlernte, mit der er immer noch glücklich zusammenlebt. Interview: Julia Adam und Florina Ademi Fotos: Philipp Schöner

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Re gi na l d Ri chte r

Herr Richter, Sie arbeiten mit Glas. Ist denn schon mal was zu Bruch gegan­ gen? Sehr oft. Glas ist ein zerbrechliches Material, wie jeder weiß und einer der schönsten Werkstoffe. Man muss ziemlich schnell lernen, wenn man sich dem Glas verschworen hat, und darf nicht gleich verzweifeln, wenn es mal kaputt geht. Sonst wird man krank. Man sollte diesem Material munter begegnen.

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Würden Sie sich selbst als Künstler oder Handwerker bezeichnen? Das ist eine grundsätzliche Frage. Ich gehöre zu einer Generation, die sagt, wenn ein Künstler sein Handwerk nicht ver-

steht, dann sollte er lieber aufhören. Aber heutzutage ist der Begriff des Künstlers ja so weit gefasst, dass sich unter dieser Überschrift sehr viele tummeln. Ab und zu könnte ein bisschen Handwerk zu spüren sein. Ich hatte eine Glasgraveurlehre plus Meisterprüfung, ganz simpel und einfach. Ihre Werke sind sehr groß. Geraten Sie da körperlich manchmal an Ihre Grenzen? Was ich mit Glas anfange, wird immer schwerlastig. Das ist mein Handicap. Und natürlich wird es schwieriger, das ­Material zu transportieren. Aber oft waren auch Helfer da, die mit anpackten.


Re gi na l d Ri chte r Gibt es ein Werk, auf das Sie ganz be­ sonders stolz sind? Auf eine meiner letzten Arbeiten für die Universität Magdeburg. Es ging um die Eingangssituation Falkenbergstraße. Ich hatte ein Zitat von Otto von Guericke gefunden, dass ich dafür verwendete: »[…] denn allseits gleichmäßig kehrt das Antlitz der Erde sich dem Himmel zu, und allseits gleichmäßig hält sie jeglich Ding und lässt nicht los.« Übrigens mein einziger Wettbewerb, den ich gemacht und gewonnen habe.

Gibt’s auch andere, auf welche Sie nicht so stolz sind? Entweder hat man neue Erkenntnisse gewonnen und setzt einen neuen Maßstab oder eben nicht. Wenn ich in meinem Alter zurückblicke, kann ich sagen, ich bin recht zufrieden.

Ursprünglich kommen Sie nicht aus Magdeburg, sondern aus Wien. Wäh­ rend der DDR-Zeit war es schwierig in den Westen zu reisen. Waren Sie vor der Wende mal in Ihrer Heimatstadt? Nein. Und es hat mich sehr belastet. Meine Herkunft ist etwas schleierhaft. Ich wurde nach meiner Geburt abgelegt und war sechs Jahre in einem Kinderheim. Danach bin ich zur Pflege genommen worden, in einen hoch respektablen, liebevollen und breit gefächerten Familienverbund. Meine vier Jahre jüngere Schwester wurde schon als Säugling adoptiert. Ich hatte mit ihr sogar den gleichen Klavierunterricht und lud sie ab und an zum Kaffeetrinken ein. Ich durfte ihr aber nicht sagen, dass ich ihr Bruder bin, weil ihre Eltern das nicht wollten. Wir haben uns erst Mitte der sechziger Jahre wiedergefunden, als sie heiraten wollte. Und im Gegensatz zu

manch anderen Verwandtschaften hält diese noch im bestem Maße.

Wie hat ihre Schwester reagiert, als Sie erzählten, dass Sie Ihr Bruder sind? Glaubte Sie Ihnen? Sie fiel aus allen Wolken. Es gibt so viele Geschichten über Familien, die getrennt wurden. Aber wir sind stabile Naturen, wir haben das ausgehalten.

Man muss lernen zu unterscheiden, wo es sich lohnt, hinzuhören und ein bisschen zu verweilen.

Wie haben Sie eigentlich Ihre Frau kennengelernt? Das war Weihnachten 1950, in den kurzen Semesterferien. Meine Eltern meinten, ich solle wenigstens zu Silvester zu Hause bleiben, aber ich ging zu Neujahr tanzen und sah dieses Mädchen. Da war es um mich geschehen, wir unterhielten uns trefflich – und das nun schon 66 Jahre lang. Ich habe wohl einen guten Eindruck gemacht, denn sie erzählte sogar zuhause ihrer Mutter von mir. Ihr Vater meinte aber, sie solle die Finger von mir lassen, weil ich ein Hochstapler sei. (lacht) Hat aber alles nichts genützt. Meine Frau ist Lehrerin. Vier Jahre später heirateten wir, mit gemeinsamen Hausstand und drei Söhnen in Magdeburg. Was halten Sie von dem etwas zweifel­ haften Ruf Magdeburgs? Wenn sie einem alten Magdeburger sagen, wie schön es hier ist, wird er ihnen

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Re gi na l d Ri chte r womöglich noch einen Vorhang davor und nach vier Wochen sagte er dann: »So, das müsst ihr jetzt schlucken, das ist mein Beitrag zu diesem Bau.« Da wurde auf die Architektur nicht eingegangen. Ich habe immer versucht, mit dem Architekten zu einem Gesamtklang zu kommen.

nicht glauben. Wenn sie es einem Bayer erzählen, wird er sagen, das will er aber auch hoffen.

Wäre Magdeburg eine Skulptur, wie würden Sie diese darstellen? Wie das alte Wappenzeichen von Magdeburg.

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Wie hat sich Ihre Arbeit nach 1989 geändert? Nach der Wende waren Architekten aus Stuttgart auf meine Glaswand im Erfurter Museum aufmerksam geworden. Ich kam mit ihnen und anderen Künstlern zusammen. Um arbeiten zu können, brauchten wir Gebäudezeichnungen und -entwürfe: Wo sind Wegeführungen, wo werden Feuer­ löscher angebracht, die Beleuchtung. Sie konnten uns das nicht zeigen. Die Elektrik mache eine Firma, den Schallschutz mache eine andere Firma, mit der Außenhaut und der Innenhaut wäre eine dritte Firma beauftragt. Künstler arbeiteten oft autark, in künstlerischer Freiheit. Der Künstler machte

Wie war die künstlerische Arbeit in der DDR? Baugebundene Kunst, davon will ich reden, ist meistens Auftragskunst. Sie generell zu verteufeln ist Unsinn. Es gab in den einzelnen Bezirken Auftrags­ kommissionen, die vorwiegend mit Fachleuten besetzt waren. Was ein solches Großprojekt wie den Palast der Republik betrifft, wurden alle Entwürfe von der Tasse bis zur Bildergalerie dem Politbüro der SED vorgestellt. Es gab Ängste, dass irgendein alter Greis seinen Unmut äußern könnte. Aber das Projekt war so ganzheitlich gedacht, dass das Ergebnis später über die Grenzen hinaus verwunderte Anerkennung erfuhr.

Ich wurde nach meiner Geburt abgelegt und war sechs Jahre in einem Kinderheim.

Wie wurde man damals Künstler? In der DDR kamen meistens die Künstler in den Künstlerverband, die eine Hochschulausbildung hatten. Es gab eine dreijährige Anwartschaft, begleitet von einem ›Mentor‹. Die Studenten sollten ja nicht für ein Leben auf der freien Wildbahn studiert haben. Neben der immer deutlicher werdenden Trennung von der


Re gi na l d Ri chte r stark geförderten Laienkunst gab es auch Ausnahmen. Manch ein Laie malte wunderbare naive Bilder, eins schöner wie das andere. Da war mancher Hochschulabschluss blass dagegen. Also so viel zu den Kriterien für den Künstlerverband.

Wenn sie einem alten Magdeburger sagen, wie schön es hier ist, wird er ihnen nicht glauben.

Würden Sie jungen Menschen heute empfehlen Künstler zu werden? Junge Künstler verdienen manchmal nicht so viel, dass sie in die Künstler­ sozialkasse aufgenommen werden. Auch wenn sie mit dem Studium fertig sind. Sie leben teilweise zunächst von Hartz IV. Das ist keine Perspektive. Da muss man einen Arzt heiraten oder eine Ärztin, wie man

so schön sagt. (lacht) Warum lernst du dann sowas? Werde doch Bauingenieur. Ich las gerade, dass der Architektenberuf wieder so gefragt ist. Jetzt gibt es einen Bauboom. Vielleicht ist das eine kreative Alternative. Aber wie lange noch?

Gab es eigentlich auch einen Markt für Glaskunst? Nein. In der DDR gab’s die Regel, dass drei Prozent der Bausumme für Kunst zu verwenden sind. In der Bundesrepublik existierte eine Kann-Bestimmung, die bei fünf Prozent lag. Und dann gab es in den Neunzigern vom Finanzminister die Anweisung, dass diese Kann-Bestimmung in den neuen Bundesländern nicht angewendet werden soll.

Und heute? Die Weltkunst ist ein riesiges Geschäft. Da wird es sogar einem Gerhard Richter unheimlich, wenn sein Bild 1,2 Millionen eingebracht hat. Der kann das gar nicht

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Re gi na l d Ri chte r

fassen, weil er immer noch ein ruhiger, stiller Mann ist. Aber andere machen das ja mit. Es gab diese fünf künstlichen Wasserfälle vor der Hafeneinfahrt von New York. Die waren 30 Meter hoch. Jeder einzelne kostete 15 Millionen. Und das Ganze war für eine Sommersaison gedacht und dann wurde es wieder abgebaut. Das ist sehr ungesund. Geld scheint da zu sein. Wenn es einem dagegen gelingt, mit einem kleinen Stillleben zu berühren, weil es trotz seiner kleinen Größe eine menschliche Aussage hat, dann können mir alle fünf Wasserfälle gestohlen bleiben.

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Sie sind jetzt 86 Jahre alt. Was hat sich am meisten verändert, seit Sie jung waren? Einer meiner Söhne sagt, er wäre eigentlich wunderbar ausgebildet: analog und

digital. Der hat also noch Subtrahieren gelernt, ist aber mittlerweile auch perfekt in den modernen Medien. Heute ist das einseitiger. Von fünf Leuten spielen drei nur mit ihrem Handy. Ich möchte nicht wie ein ›altfränkischer Großvater‹ drüber urteilen, aber die surfen ja hoffentlich nicht nur in irgendwelchen gestanzten ›Billiggegenden‹. Haben Sie sich darüber geärgert, dass die Skulptur der Gläsernen Blume im­ mer als Blume bezeichnet wurde, ob­ wohl sie einen Baum darstellen sollte? Nein, gegen solche Bezeichnungen kann man nichts machen. Die Leute lassen sich da sehr schöne Dinge einfallen. Arbeiten Sie noch als Künstler? Nicht direkt, aber ich bin in der Arbeitsgruppe im Berliner Schloss dabei. Und das


Re gi na l d Ri chte r ist eine interessante Geschichte, weil es auf einem sehr angenehmen Gesprächsniveau ist. ›Honeckers Lampenladen‹ spielt da keine Rolle. Außerdem habe ich mit meinen Kollegen Wolfgang Rossdeutscher und Michael Emig für Magdeburg eine ganzheitliche Kunstkonzeption »Das Magdeburger Recht im Kontext der europäischen Rechtsgeschichte« mit entsprechenden Entwürfen erarbeitet. Der Stadtrat hat die Konzeption erst einmal angenommen und in die Ausschüsse verwiesen. Die angespannte Haushaltslage bremst oder blockiert jedwede raumgreifenden Kunstprojekte. Was macht Sie traurig? Wenn in Syrien Tempel weggesprengt werden, die nicht wieder aufgebaut werden können, wo die Kunstwelt einer Gesellschaft verloren geht. Ohne Vergangenheit gibt es keine Zukunft. Magdeburg in drei Worten? Aus – bau – fähig.

Nachteule oder Lerche? Ich war ein Frühaufsteher. Jetzt können wir es uns auch leisten später aufzu­ stehen. Wir bleiben auch nachts häufig wach, weil dann plötzlich doch was im Fernsehen kommt, was uns interessiert. Meine Frau und ich haben meistens den gleichen Geschmack, das ist wichtig. Die moderne Kunst oder die alten Meister? Beides.

Haben Sie einen Lieblingskünstler? Nein. Das würde allen anderen, die man nicht erwähnt, unrecht tun. Ich habe einen Lieblingskomponisten. Das ist Franz

Schubert. Guter Jazz ist natürlich auch was Wunderbares. Man muss lernen zu unterscheiden, wo es sich lohnt, hinzu­ hören und ein bisschen zu verweilen. Mai 2017

Vista.Schon? Reginald Richter war einer der bekanntesten Glaskünstler in der DDR. Er wurde 1931 in Wien geboren, wuchs aber in Nord­ böhmen auf. Nach Kriegsende wurde die Familie vertrieben und er kam so nach Ostdeutschland. Seine Werke waren und sind sowohl in Magdeburg, als auch in anderen Großstädten der ehemaligen DDR zu sehen. So schuf er das Werk Ganescha, das am Elefantenhaus des Magdeburger Zoos zu bestaunen ist sowie das Werk Genesung, das man vor der Berliner Charité findet. Für seine Arbeit wurde er unter anderem 1972 mit dem Kunstpreis der DDR geehrt. Er lebt mit seiner Frau in Barleben.

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Nils Klebe »Ich bin zu sehr Lebemensch.« Breakdance ist seine Leidenschaft. Er hat sein Hobby zum Beruf gemacht. Nils Klebe ist seit 1999 Tänzer der erfolgreichen Magdeburger Breakdance Crew Da Rookies und gründete die Movement Dance Academy. Inter.Vista erzählt er, was ihn fit hält, warum er nicht auf seine Ernährung achtet und ob die Magdeburger gute Tänzer sind. Außerdem arbeitet er an einem Mammutprojekt für Magdeburg. Interview und Fotos: Greta Haberstroh

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Ni l s Kl e be

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Ni l s Kl e be Wie viele Paar Sneakers hast Du eigent­­ lich? Als Breakdancer sicherlich einige? 30 bis 40 Paar. Das ist quasi meine Sammlung. Relativ groß. Da wir von Puma gesponsert werden, bekommen wir im Monat drei bis vier Paar gestellt.

Wir haben unsere Linoleummatte im Keller ausgerollt, um es nachzumachen. Daraus entwickelte sich meine Leidenschaft zum Breakdance. Mit dem Tanzen habe ich mit 15 oder 16 Jahren angefangen, also relativ spät.

Was begeistert Dich so am Breakdance? Breakdance ist offen für alles. Man kann Breakdance mit Ballett verbinden, mit Drehungen aus dem Jazz- oder Modern-­ Bereich.

Gibt es sonst Vorbilder oder Künstler, an denen Du Dich orientierst? In meiner ›Generation Breakdance‹ ist der Tänzer Niels ›Storm‹ Robitzky ein Vorbild gewesen, der mich sehr beeinflusste. Er hat in der TV-Sendung ZDF-Freestyle, Breakdance-Schritte erklärt. Damals gab es noch kein YouTube und Facebook. Wir mussten sehen, wo wir die ganzen Elemente lernen konnten. Da wurden

Wie würdest Du deinen Kleidungsstil beschreiben? Eigentlich immer sehr sportlich, aber auch ein bisschen flippig. Es kommt auf die Veranstaltung an. Zuhause trage ich lieber Jogginghose, aber wenn ich abends weggehe, dann natürlich schicker.

Wann und wie hat die Leidenschaft zum Breakdance begonnen? Mein großer Bruder Daniel hat den Film Beat Street geschaut. Dabei beobachtete ich ihn heimlich und fand das ganz cool.

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Was bedeutet Dir der Film? Beat Street war der ausschlaggebende Punkt, mit dem Breakdancen anzufangen. Zu der damaligen Zeit war es was ganz besonderes, so was überhaupt mal zu sehen. Jeder, der mit Breakdance in Verbindung kam, hatte Beat Street gesehen.


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noch VHS-Kassetten untereinander ausgetauscht.

Was meinten Deine Eltern, als Du mit Breakdance angefangen hast? Zunächst waren alle begeistert, dass ich sportlich aktiv bin. Irgendwann kam es auch zu kleinen Auftritten in unserem Dorf. Die Älteren waren der Meinung, wir sollten doch mal was Vernünftiges machen. Irgendwann wollte ich das gerne beruflich machen. Also nicht mehr nur Gabelstapler fahren. Meine Eltern schüttel­ten mit dem Kopf, mein Chef kündigte mir meinen Job, weil ich mich dem Break­ dance intensiv widmete. Danach zog ich aus dem kleinen Ort in die Weltstadt Magdeburg. (lacht) Hier wohnte schon der Großteil der Da Rookies. Hier konnten wir mehr erreichen. Du hast Dein Hobby zum Beruf ge­ macht. Was gefällt Dir am meisten an Deinem Job? Die künstlerischen Freiheiten. Ich muss nicht morgens um sieben Uhr auf der Arbeit sein und meine acht Stunden

runter­reißen, sondern ich kann kreativ sein, reise viel in der Welt rum, lerne viele Leute kennen und erlebe tolle Veranstaltungen. Die Arbeit in der Tanzschule mit den Kindern bereichert mich sehr.

Möchtest Du das noch Dein ganzes Le­ ben machen oder gibt es Alternativen? Irgendwann werde ich nur noch Projekte managen, Tänzer vermarkten und künstlerischer Leiter der Gruppe sein.

Ich bin ein typischer Fleischesser. Am liebsten esse ich ein schönes Rindersteak.

Sind die Magdeburger gute Tänzer? Magdeburg hat eine relativ starke Breakdance-Szene. Es gibt mehrere Gruppen und viele Tänzer. Allein in der Tanzschule tanzen über 150 Mitglieder Breakdance.

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Ni l s Kl e be Gibt es ein besonders gutes Nachwuchs­ talent in der Tanzschule? Unser Max. Der ist 15 Jahre alt und mit elf oder zwölf Jahren Deutscher Meister im Breakdance geworden. Er hat die RTLShow Shooting Stars gewonnen und im Kinofilm Dessau Dancer mitgespielt, der die Geschichte erzählt wie Breakdance damals aus den Staaten in die DDR kam. Wenn wir Talente haben, dann fördern wir sie und achten darauf, dass sie Aufmerksamkeit bekommen.

Was ist Euer Geheimrezept für den Erfolg? Jeder Tänzer muss stetig an sich arbeiten und ein Ziel vor Augen haben. A ­ nsonsten sind wir alle Kumpels, wir sind quasi wie eine Familie.

Weil ich Breakdance tanze, muss ich nicht nur Breakdance-Musik ­hören.

Wie sieht es mit Verehrerinnen und Fans aus? Etwa bis 2009 wurden wir ein bisschen in diese ›Boygroup-Schiene‹ reingedrückt. Wir bekamen Fanbriefe, Autogrammund Bilderwünsche und Kuscheltiere zugeschmissen. Es gab große Events, wie Radioveranstaltungen oder TV-Shows. Wir produzieren heute mehr Shows für Großkunden, weswegen sich der Markt für uns erweitert hat.

Wie ist es, vor so vielen Leuten zu tan­ zen? Hast Du Lampenfieber? Lampenfieber ist immer da. Gerade auch wenn wir neue Shows kreieren oder Choreografien zum ersten Mal vor Publi­ kum tanzen. Aber wenn wir auf einer kleineren Veranstaltung tanzen, wo die

Das Wort Da Rookies bedeutet An­ fänger. Wie seid ihr auf den Namen gekommen? Es gab damals zwei Gruppen: The Real Fresh Crew und die Per Anhalt-Formation aus Magdeburg. Mein großer Bruder und ich waren Teil der Real Fresh Crew. Auf einer ostdeutschen Meisterschaft Ende der Neunziger freundeten wir uns an.

Was war Euer emotionalstes Ereignis mit den Da Rookies? Wir sind mehrfach Welt- und Europameister und Deutscher Meister. Außerdem halten wir einen Weltrekord. Das erste Mal Weltmeister zu werden ist ein Gänsehautmoment. Bei der WM am Brandenburger Tor vor 1,2 Millionen Zuschauern zu tanzen oder der Auftritt beim Bundespräsidenten, das sind Highlights. Es gibt kaum einen Punkt auf der Erde, wo wir noch nicht waren. Aber der größte Erfolg ist, dass wir das schon seit über 18 Jahren machen können.

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Leute dich fast anfassen können, dann ist die Nervosität größer.

Wie ist es, sich selber auf Plakaten und in Musikvideos zu sehen? Man gewöhnt sich dran. Es ist schon cool, in andere Städte zu kommen und in der Zeitung steht dann groß: Da Rookies. Oder Kids sprechen dich an, weil sie dich auf Plakaten gesehen haben. Man darf nicht vergessen, wir sind eigentlich eine ›kleine Tanzgruppe‹, die aber mit Weltherstellern wie Puma, Rockstar Energy und Teufel Lautsprecher zusammenarbeitet.


Ni l s Kl e be

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Ni l s Kl e be Im Juli 1999 wollten beide Formationen zum Splash-Festival, aber da wir beide unvollständig waren, schlossen wir uns zusammen. Keiner wollte aber seinen Namen hergeben. Da wir am Tag der Meisterschaft neu waren nannten wir uns Rookies, also Anfänger. Daraus wurde dann Da Rookies. Heute hat sich der Name schon zu einer Marke entwickelt.

Das erste Mal Weltmeister zu ­werden ist ein Gänsehautmoment.

Welche Musik hörst Du privat? Das, was angesagt ist und mir gefällt. Weil ich Breakdance tanze, muss ich nicht nur Breakdance-Musik hören. Am Strand höre ich gern Chillhouse und Deephouse. Aber ich mag auch deutsche Songs, beispielsweise von Revolverheld. Und natürlich HipHop. Du bist 37, siehst aber noch sehr jung aus. Wie hälst Du Dich fit? Danke, das macht das Cap. (lacht) Ich denke, es ist der Umgang mit jungen Menschen, der mich jung hält. Und es macht mir Spaß.

Wer tanzt, muss auf die Linie achten. Wie sieht’s in Sachen Ernährung aus? Ich ernähre mich echt schlecht, trinke viel zu viel Cola. Ich bin ein typischer Fleisch­ esser. Am liebsten esse ich ein schönes Rindersteak und gehe gern im Bralo essen. Wenn ich zu sehr auf die Ernährung achten müsste, würde mich das einschränken. Ich bin zu sehr Lebemensch.

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Stehst Du morgens mit dem linken oder rechten Fuß auf? Wie läuft ein typischer Tag bei Dir? Montags geht standardmäßig am meisten schief. Das schiebe ich dann immer auf den Wochentag. (lacht) Aber sonst bringe ich morgens meinen siebenjährigen Sohn Jamie in die Schule, danach mache ich Sachen für Da Rookie und ab 15 Uhr geht die Tanz­schule los. Tanzt Dein Sohn und tritt er in Deine Fußstapfen? Nein, noch nicht. Aber vielleicht ent­ wickelt sich das noch. (lacht)

Von den Menschen her ist es hier wie auf dem Dorf und die Mentalität der Magdeburger passt einfach.

Lassen sich Beruf und Familie gut ver­ einen? Meine Frau Mandy und ich ergänzen uns gut. Wenn sie montags und dienstags in der Tanzschule ist, habe ich frei. Da kann ich dann mit meinem Kleinen umherzotteln. Mandy leitet auch das Da Rookies-Entertainment und macht die ganze Tourplanung. Ich bin derjenige, der die Ideen hat und voranschießt. Sie macht den Office-Kram. Das kann ich gar nicht, da bin ich zu sehr Künstler. Was ist Euer nächstes Projekt? Ein Mammutprojekt. Die Break­ danceWeltmeisterschaft mit dem größten Preisgeld von 25.000 Euro nach Magdeburg zu holen. Wir möchten es schaffen,


Ni l s Kl e be

die besten Tänzer aus jedem Land ranzuholen. Ansonsten steht jetzt die Show Nussknacker in den Startlöchern. Wir werden sie nochmal umgestalten und neue Tänzer aufnehmen.

Bist Du abends eher erschöpft oder geht da noch was freizeitmäßig? Manche Tage sind relativ stressig, zum Beispiel mittwochs oder donnerstags. Da habe ich vier Kurse am Stück und dann habe ich noch selber Training. Wenn mal ein Filmabend ansteht, was läuft da? Ich gucke gerne Horrorfilme, wie Resident Evil oder The Walking Dead, aber auch Fast and Furious oder Transformers. Hauptsache es passiert irgendwas.

Jeder hat Wünsche. Was möchtest Du unbedingt mal machen? Dubai wäre eine Reise wert. Mein persönlicher Traum ist es, einen krassen Videoclip mit der Gruppe auf dem Hub-

schrauberplatz des höchsten Gebäudes, dem Burj Khalifa, zu drehen. Ihr seid Vorreiter in Magdeburg ge­ wesen. War die Stadt günstig für Eure Karriere? In Berlin ist man nur einer von tausend. Da musst du schon ganz schön was bewerkstelligen, um gesehen zu werden. Magdeburg ist relativ übersichtlich. Von den Menschen her ist es hier wie auf dem Dorf und die Mentalität der Magdeburger passt einfach. Magdeburg ist auch in der Anbindung perfekt. Man ist relativ schnell an verschiedenen Flughäfen und an der Autobahn. Fährst Du öfter Tram oder Fahrrad? Fahrrad! Ich weiß gar nicht, wie man Tram fährt. (lacht) Vermisst Du etwas in Magdeburg? Eigentlich nur eine richtige Einkaufs­ meile. Denn es spielt sich fast alles im Allee Center oder im City Carré ab.

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Ni l s Kl e be Magdeburg hat ja nicht das beste Image. Begegnet Euch das manchmal auf Wettkämpfen? Im Ausland eher weniger. Da heißt es oft: »Oh, du kommst aus Deutschland, ich liebe Deutschland«. In anderen Orten wird Magdeburg manchmal runtergeredet. Aber in den letzten Jahren eigentlich kaum noch. Was hält Dich hier in der Stadt? Auf jeden Fall die Menschen. Die Stadt ist langsam im Aufbruch und versucht, mit der Zeit zu gehen. Natürlich stößt das manchmal auch auf Ungunst, wie zum Beispiel der Tunnelbau. Jetzt meckern erstmal viele, aber wenn der Tunnel fertig ist, dann werden alle happy sein. Magde­ burg wird in den nächsten zehn Jahren einen großen Sprung nach vorn machen. Davon bin ich überzeugt. Juni 2017

Vista.Schon?

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Nils Klebe ist 1979 im Ortsteil Pretzier in Salzwedel geboren und dort aufgewachsen. Bevor er professioneller Breakdancer wurde, war er nach seinem Realschul­ abschluss als Facharbeiter für Lager­wirtschaft tätig. 1999 schlossen sich die zwei Formationen The Real Fresh und Per Anhalt zu Da Rookies zusammen. 2002 zog Nils Klebe nach Magde­ burg, Er mag die Elbe und beschreibt Magdeburg als Stadt im Aufbruch, grün und freundlich.


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U l ri ch W i cke rt

Ulrich Wickert

Übrigens, was denken Sie eigentlich über Magdeburg?

Foto: Matthias Piekacz

Im Juli 2017 weilte Mr. Tagesthemen an unserer Hochschule. Inter.Vista nutzte die Gelegenheit, mit ihm über Interviews zu sprechen. Außerdem waren wir neugierig, was er über Magdeburg denkt.

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Was fällt Ihnen als Erstes zu Magde­ burg ein? Wenn ich an Magdeburg denke, dann zuallererst an meine Fahrten mit dem Zug hierher. Ich bin meistens vom Bahnhof zum Hotel zu Fuß gegangen. Ich habe hier unterrichtet oder Lesungen gemacht. Die Hochschule ist ein wichtiger Bezugspunkt.

Herr Wickert, Hand aufs Herz. Wann ermittelt Jacques Ricou in Magdeburg? In Der nützliche Freund war er ja in Leipzig. Ob er es nach Magdeburg schafft weiß ich nicht. Das Thema, das Ricou nach Leipzig brachte war der Skandal um den Verkauf der Minol-Tankstellen an Elf Aquitane. Da Jaques Ricou ein Unter­ suchungsrichter in Paris ist, kann er eigentlich nur Dinge recherchieren, die mit Paris und Frankreich zu tun haben. Ich wüsste im Moment nicht, was ihn nach Magdeburg bringen könnte. Aber als Krimiautor kann man sich ja was ein­ fallen lassen. Die Fragen stellte Luisa Hensel.

Fotos: Arlette Krickau

Wie würden Sie einem Franzosen schmack­haft machen, nach Magdeburg zu kommen? Sie denken vielleicht, weil das so typisch ist, ich würde über gutes Essen sprechen. Nein, für die Franzosen ist Geschichte etwas ganz Wichtiges. Wenn ich einem Franzosen sage, dass Magdeburg in der deutschen Geschichte eine große Rolle spielte, dass es einen Dom gibt, in dem ein Kaiser liegt – das funktioniert. Oder ich erzähle von der Elbe. Die ist hier ja manchmal noch ziemlich wild. Außerdem ist sie ein Fluss, den die Franzosen kennen.

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U l ri ch W i cke rt

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Gi na M a ri a M u nd

Gina Maria Mund »Den typischen Magdeburger muss man erst mal knacken.« Musik ist ihre Leidenschaft. Dafür investiert Gina Maria Mund viel Zeit. Mit den Wohnzimmerkonzerten möchte sie die Musiklandschaft in Magdeburg ankurbeln. Im Interview erzählt sie, wie es hinter den Kulissen der Wohnzimmerkonzerte abläuft, was ihre musikalischen Highlights sind und wo die schönste Straße Magdeburgs zu finden ist. Außerdem erfahren wir, was einen guten Konzert-Gastgeber ausmacht. Interview und Fotos: Greta Haberstroh und Jennifer Fiola

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Gi na M a ri a M u nd Wohnzimmer im Werk 4 in Buckau. Durch die 15 Meter hohen Wände ergab sich eine großartige Akustik und ein besonderes Feeling.

Was macht den perfekten Ort für ein Wohnzimmerkonzert aus? Bei einer Veranstaltung kommen in der Regel mindestens 60 Gäste und die Bands brauchen ihren Platz. Daher ist eine größere Quadratmeterzahl notwenig. Es ist gut, wenn die Wohnung nicht im achten Stock ist. Sonst müssen wir alles hochtragen, wenn es keinen Fahrstuhl gibt. Ansonsten machen vor allem nette Gastgeber die perfekte Location aus und wir dekorieren alles mit viel Liebe. Wäre Dein Wohnzimmer für ein Kon­ zert geeignet? Nein. Ich wohne in einer WG und wir haben eher kleine Räume.

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Welche Location war denn bisher die interessanteste? Außergewöhnlich war eine komplett leer stehende Wohnung. Bei einer Familie mit Kindern gab es mal eine Bar im Kinderzimmer. Eine Bar im Bad hatten wir auch schon. Vor kurzem veranstalteten wir ein Konzert unabhängig von einem

Wie aufwendig sind die Vorbereitungen für diese Konzerte? Wir investieren nach Feierabend viel Zeit in die Wohnzimmerkonzerte. Wir generieren Gastgeber, buchen Künstler und kümmern uns auch um den Aufbau vor Ort. Am Veranstaltungstag sind wir den ganzen Tag beschäftigt. Meistens kommen wir um 14 Uhr zum Gastgeber und bereiten den Rest vor. Um 15 Uhr kommen die Künstler und wir machen den Soundcheck. Nach der Veranstaltung bauen wir alles ab. Das hat aber keinen negativen Beigeschmack, sondern das ist unsere Leidenschaft.

Was passiert, wenn bei der Veranstal­ tung was kaputt geht? Das übernehmen wir aus unserer eigenen Tasche. Bei unseren Gastgebern ist bisher zum Glück noch nichts kaputt oder verloren gegangen. Die meisten Gäste verhalten sich so wie in ihren eigenen vier Wänden. Holst Du Dir auch mal Einrichtungs­ tipps aus Wohnungen, in denen die Konzerte stattfinden? Nein. Ich schaue mir aber an, wie die Location ist und lasse mich durchaus inspirieren. Aber es kam noch nicht vor, dass ich mich mit den Gastgebern über Einrichtungstipps unterhalten habe. Beschreib doch mal Dein Zimmer. Sehr hell, freundlich, lichtdurchflutet und relativ groß. Die Möbel sind ge­ mischt zwischen alt und neu. Mein Schall­platten­


Gi na M a ri a M u nd spieler hat einen guten Platz, der versorgt das Ganze noch mit einer schönen Akustik.

Du hast mit Phillip Kloss in den letzten drei Jahren über 70 Veranstaltungen organisiert. Welches Wohnzimmer­ konzert war das größte? Wir gehen immer von April bis Oktober nach draußen. Das nennt sich dann Sommer-Wohnzimmer. Unsere größte Veranstaltung ist das jährliche OpenAir, das wir im Glacis-Park veranstalten. Dort sind im Durchschnitt 800 bis 1.000 Gäste. Und das kleinste Konzert? Das fand bei einem älteren Pärchen in einem kleinen Wohnzimmer statt. Wir waren etwa 25 Personen.

Wie ist denn das Durchschnittsalter bei Euren Gastgebern? Ich würde sagen zwischen 18 und 40 Jahren. Unsere Zielgruppe sind größtenteils Studenten, die in WGs wohnen und junge Eltern. Manchmal haben wir auch ältere Gastgeber. Das schafft immer eine schöne Stimmung.

Lehnt Ihr auch Gastgeber ab? Es gibt viele Faktoren, die eine Rolle spielen. Gelegentlich müssen wir Gast­ geber auch ablehnen. Ich schätze das Engagement sehr, wenn jemand sein Wohnzimmer zur Verfügung stellt. Aber manche Räume sind zu klein oder zu verwinkelt. Andere haben Zwischen­ wände, da kann die Akustik schwierig sein. Verdient Ihr als Veranstalter Geld mit Eurer Arbeit? Alles, was wir als Team machen, ist ehrenamtlich. Die Musiker bekommen

die Spenden von den Gästen. Die werden nach jedem Konzert in der Hutkasse gesammelt.

Du organisierst die Wohnzimmerkonzerte seit 2014. Was reizt Dich an dieser Aufgabe? Was wir bisher erreicht haben, ist aus purer Leidenschaft zur Musik entstanden. Wir möchten die Konzertlandschaft hier verbessern und Künstlern eine Bühne geben. Ich sehe sehr viel Potenzial, Künstler und damit die Stadt zu fördern.

Magdeburg ist momentan ­unglaublich ­aktiv, gerade in der ­Kulturszene.

Du wirst von Deinen Kollegen als ›Sonnenschein‹ bezeichnet. Wann wirst Du zur ›Gewitterwolke‹? Gar nicht so leicht zu sagen. Vielleicht wenn irgendwas nicht nach meinen Vorstellungen klappt. Wenn etwas da­ zwischen kommt oder ich noch 28 Sachen spontan besorgen muss. Das sind Dinge, die stressen können. Aber ich würde nicht sagen, dass ich dazu neige aus der Haut zu fahren. Wenn etwas nicht klappt, werde ich eher zum ›Nieselregen‹ als zur ›Gewitterwolke‹. Und wie bewahrst Du einen kühlen Kopf in solch stressigen Situationen? Einfach das machen, was ansteht und gucken, wie das Problem schnellstmöglich gelöst werden kann. Das klappt dann meistens im Team.

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Gi na M a ri a M u nd Bist Du privat mehr der organisierte Typ oder eher spontan? Ich bin schon organisiert, manchmal aber auch schusselig. Wenn ich die Post vergessen habe, muss ich die halt morgen mitnehmen. Ich gebe den Dingen auch ihren Freiraum, denn zu strikte Pläne engen auf vielen Ebenen nur ein. Welche Musik hörst Du gern? Ich mag Soul, Funk, HipHop, Rockmusik oder auch Jazz. Das kann ich schwer einem bestimmten Genre zuordnen. Bands die mich begleiten sind zum Beispiel The National und Joy Division.

Kannst Du schätzen, wie viele Konzerte Du schon gesehen hast? Nein. Ich war auf unzähligen Veran­ staltungen. Ob bei Brothers of Santa Claus, AnnenMayKantereit oder bei Joy Wellboy. Durch meine vorherige Arbeit bei Universal Music in Berlin war ich mindestens alle zwei Tage auf verschiedenen Konzerten. Inwiefern helfen Dir diese Erfah­ rungen bei der Organisation der Wohnzimmer­konzerte? Die Zeit hat mich stark geprägt und mir in der Musikbranche ganz andere Weiten und Möglichkeiten aufgezeigt. Ich konnte mir ein gutes Netzwerk und Wissen aufbauen, das mir durchaus weiterhilft bei der Organisation der Wohnzimmerkonzerte. Was magst Du lieber? Konzert im Wohnzimmer oder in einer Halle? Das kommt auf den Künstler an. Eine Rockband macht sich in einer Halle besser. Andere passen eher in ein Wohnzimmer.

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Was ist mit OpenAirs? Jetzt ist ja wieder Festivalsaison. Drei bis vier Festivals sind eingeplant dieses Jahr. Ich bin beim 3000 Grad Festival und am Wochenende fliege ich nach London zum Field Day. Das ist ein Festival im Victoria Park. Spielst Du auch ein Instrument? Ja, Gitarre. Wie gut, darüber lässt sich streiten. (lacht)

Die Möglichkeit, dass wir reisen können, sollten wir nutzen.

Warst Du schon mal auf einem Wohnzimmerkonzert in einer anderen Stadt? Leider nicht. Es gibt auch SofaConcerts, die würden mich sehr interessieren.

Auf der Facebook-Seite des Musik­ kombinats ist ein Zitat von Dir ver­ öffent­ licht: »Damit ich nie wieder hören muss, in Magdeburg sei nichts los«. Dominiert die Techno- und Electro­szene Magdeburg oder hat es mehr Potenzial? Magdeburg ist momentan unglaublich aktiv, gerade in der Kulturszene. Viele Menschen engagieren sich, damit mehr Kultur und Livemusik in Magdeburg entsteht. Vorrangig Buckau entwickelt sich gerade zu einem lebendigen Stadtteil, in dem sehr viel kreativer Input stattfindet. Ich würde nicht sagen, dass Magdeburg eine Techno- und Electro-Stadt ist. Hier passiert viel mehr. Es ist auf jeden Fall eine Stadt mit großem Potenzial.


Gi na M a ri a M u nd Du bist viel in Magdeburg unterwegs. Wo ist die schönste Straße und Dein Lieblingsort? Die schönste Straße ist die Basedowstraße in Buckau, weil dort noch viele Fachwerkhäuser stehen. Mein Lieblingsort ist gerade im Sommer die Datsche. Dort verbringen mein Team und ich sehr viel Zeit. Ist Buckau das neue In-Viertel? Viele ziehen nach Buckau und Stadtfeld, weil es dort jung, modern und dynamisch ist.

Wenn Du dich entscheiden musst, Stadtpark oder Nordpark? Ich mag den Nordpark lieber.

Du bist Magdeburgerin. Wie würdest Du die Magdeburger charakterisieren? Den typischen Magdeburger muss man erst mal knacken. Aber sobald man eine gemeinsame Basis hat, können die Menschen sehr herzlich sein.

Magdeburg hat nicht immer das beste Image. Was hältst Du davon? Die Stadt ist mit vielen Vorurteilen behaftet, aber ich habe ein sehr gutes Bild von ihr. Ich erlebe oft, dass Besucher aus anderen Städten es sich anders vorgestellt haben, als es wirklich ist.

Von Magdeburg in die Ferne. Auf deiner Facebook Seite sieht man als Profilbild zwei Rucksäcke auf einem kleinen Boot. Auf Instagram finden wir viele Bilder von Indonesien. Du reist gern? Ja, gern und viel, um verschiedene Kulturkreise kennenzulernen. In Indo­ nesien war ich drei Monate unterwegs. Die Möglichkeit, dass wir reisen können, sollten wir nutzen. Anderen Kulturen bleibt das leider oft verwehrt. Wo möchtest Du noch unbedingt hin? Lateinamerika, Neuseeland und Teile von Afrika würden mich interessieren. Am liebsten überallhin.

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Gi na M a ri a M u nd

Dann auch als Backpacker oder mithilfe von Couchsurfing? Couchsurfing oder Airbnb ziehe ich in Erwägung, wenn ich länger auf Reisen bin, um Kosten zu sparen. Wenn ich Urlaub mache und nur zwei Wochen dafür Zeit habe, dann gebe ich für die Unterkunft auch schon mehr Geld aus.

Die Idee der Wohnzimmerkonzerte kam unter anderem durch Couchsurfing. Würdest Du Deine Couch anbieten? Auf jeden Fall, das ist eine schöne Sache. Couchsurfer bringen immer interessante Geschichten mit.

Wie läuft das bei den Wohnzimmer­ konzerten mit Essen und Trinken? Mitbringen oder stellt Ihr das?

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Essen und Trinken für die Künstler und die Crew stellen wir. Wenn die Gäste sich etwas mitbringen wollen, können sie das gerne machen. Ansonsten werden auch Getränke von uns angeboten. Wie sieht es bei Dir aus: lieber Chips oder Schokolade? Wenn, dann Schokolade.

Vor jeder Tournee geben die Toten Hosen ›Wohnzimmerkonzerte‹. Sie sind sozusagen die Vorreiter. Habt Ihr sie schon mal angefragt? Nein, haben wir noch nicht. Aber vielleicht kommen sie irgendwann auf uns zu, wenn sie mal Lust haben, in der Region zu spielen.


Gi na M a ri a M u nd Wenn Du Dir einen Künstler für ein . Wohnzimmerkonzert aussuchen könn­ test, welcher wäre das? RY X ist wirklich ein Künstler, der mich sehr stark inspiriert. Alles was er als Musiker produziert, ist überlegt, strukturiert und hat einen hohen An­ spruch. Ich habe seine Bookingagentur schon mal aus Spaß angefragt, aber da kam noch nichts zurück.

Was wir bisher erreicht haben, ist aus purer Leidenschaft zur Musik entstanden.

Wo seht Ihr Euch mit den Wohnzimmerkonzerten in fünf Jahren? Wir sind momentan mit allem zu­ frieden. Daher habe ich jetzt keinen ›Fünfjahresplan‹. Wenn das so gut weiterläuft, wird das einen positiven Effekt haben. Wir haben nicht unbedingt das Ziel, etwas ganz Großes zu werden. Ich hoffe, dass wir ein gutes Booking haben, mit neuen Gastgebern zusammenarbeiten können und weiterhin so ein großartiges Team bleiben. Dieses Jahr eröffnet Ikea in Magdeburg. Wirst Du vor Ort sein? Nicht gleich am ersten Tag, das wird bestimmt zu voll. Ich lasse mir Zeit und gehe ganz in Ruhe dort hin. Juni 2017

Vista.Schon? Gina Maria Mund ist 1989 in Magdeburg geboren. Nach ihrem betriebswirtschaftlichen Studium hat sie im Vertrieb von Universal Music in Berlin gearbeitet. Seit 2014 kümmert sich Gina Mund beim Musikkombinat um die Öffent­lichkeitsarbeit und organisiert mit einem zwanzigköpfigen Team die Wohnzimmerkonzerte in Magdeburg. Hauptberuflich ist sie seit 2016 Leiterin für Strategie beim Architekturbüro META architektur in Magdeburg. Ihr Lieblingsort in der Stadt ist die Datsche in Buckau. Magdeburg ist für sie freundschaftlich, familiär und im Wandel.

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Gi na M a ri a M u nd

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A ndy L o tz

Andy Lotz »Ich werde mir nie wieder im Sommer das Gesicht anmalen.« Schon seit seiner Schulzeit liebt Andy Lotz Comics. Dennoch will er als Kind erst Elektriker werden, später dann Imker. Wie es dazu kommt, dass er seit über 20 Jahren den Comic- und Manga-Laden Comic-Kombinat führt, verrät er uns im Inter.Vista- Interview. Außerdem spricht er über die besten Comics, die Contaku und über Cosplay. Interview und Fotos: Nadine Janetzky

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A ndy L o tz

Welcher Held aus einem Manga oder Comic wärst Du gern? Darth Vader wäre ich gern, davon gibtʼs ja auch einen Comic.

Und warum? Mit dem habe ich mich immer irgendwie identifiziert. Als Jugendlicher, kurz nach der Wende, war ich mehr der Luke Skywalker-Fan, aber man will dann doch immer mehr zum Bösen hin. Es gibt eigentlich viele Comic-Helden. Ich wäre auch gern der Captain von der Enterprise. Allein schon, weil es da ein Holodeck gibt, in dem man sich die Welten erschaffen kann, die man will. Man kann also theoretisch auf der Enterprise sein und Star Wars spielen und gleichzeitig durch den Weltraum fliegen. Das ist schon cool. Liest Du denn selbst noch viele Comics? Bei Manga und Comics lese ich eher nur die Klappentexte, damit ich weiß worum es geht. Durch die Arbeit komme ich kaum zum Lesen. Aber ich höre ganz viele Hörbücher und lasse mich berieseln.

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Was hörst Du gern? Science-Fiction. Fantasy. Game of Thrones habe ich komplett durchgehört. Die Leute, die das nur im Fernsehen schauen, wissen gar nicht alles. Das ist schon lustig.

Meine Star-Wars-Tasse benutze ich jeden Tag. Würde mich ärgern, wenn sie runterfällt.

Welche Hobbys hast Du? Ich habe einen Garten, der gibt mir einen Ausgleich. Ich spiele auch gern Karten. Vieles hat eigentlich mit dem Laden zu tun. Früher war ich auch noch Rollen­ spieler, hab irgendwie alles gemacht. Aber die eigene Firma ist dann doch wichtiger. Freunde treffen, etwas trinken gehen, entspannen. Das mache ich am liebsten.


A ndy L o tz Welcher war Dein erster Comic? Da ich aus der DDR komme, war der erste das Mosaik. Ich fand die Hefte ziemlich spannend. Als ich 1977 in die Schule kam, las ich Mosaik. In der Lehre, wenn man Glück hatte, bekam man Perry Rhodan-Hefte. Die waren der ­Kracher.

Unser Laden war eher düster, trotzdem haben sich auch die Mädels reingetraut, weil sie wussten, bei uns gibt’s Sailor Moon.

Evangelion. Da spielen 14-Jährige die Hauptrollen und müssen die Welt retten.

Hast Du ein Merchandise-Teil, das Du niemals hergeben würdest? Eigentlich mein Laserschwert. Aber das hatte ich mal weggegeben und es ist dann kaputt gewesen. Schade. Ich versuche seit Jahren, das Merchandise aus meinem privaten Leben herauszuhalten. Wenn ich in den Laden gehe, sehe ich alles, jeden Tag. Naja, meine Star-Wars-Tasse benutze ich jeden Tag. Würde mich ärgern, wenn die runterfällt.

Nach der Wende kamen dann die amerikanischen Comics? Genau. Dann ging’s los mit Batman und Superman. Die hab’ ich auch verschlungen.

Und Dein erster Manga oder Anime? Akira. Kann man aber nicht jedem Alter empfehlen. Das ist ein Anime-Kinofilm, 1988 gedreht. Den konnte ich dann Anfang der Neunziger sehen. Ein Trickfilm. In einer der ersten Szenen wird einer erschossen und du siehst eine riesige Blutlache über den Bildschirm laufen. Das konnte ich nicht fassen. Da wusste ich, warum der ab 18 war.

Beschreibe doch mal die Comic- und Manga-Szene. Früher wurden Nerds oder Comicfans schief angeschaut. Heute ist das salonfähig. Man trifft in der Szene auch Persönlichkeiten. Wolfgang Bahro alias Jo Gerner aus GZSZ ist ein großer Comicfan. Ich traf ihn schon öfter auf Messen an unserem Stand. Die Comicverfilmungen, die guten von Marvel und die nicht so guten von DC, tragen natürlich auch dazu bei, dass Comics was Normales geworden sind.

Gibt es einen Comic oder Manga den Du jedem, unabhängig von Geschlecht und Alter, ans Herz legen würdest? Schwierig. Gut ist Cowboy Beebop, ein Gibt es in Magdeburg viele Fans? schon etwas älterer Science-Fiction-­ Genug, dass wir uns hier seit 20 Jahren Anime, aber sehr lustig. Oder Neon Genesis halten können.

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A ndy L o tz Wie kamst Du auf die Idee, den Laden zu gründen? Man muss Fan sein. Nach der Wende kam ich gerade von der Armee und wollte mich unbedingt selbstständig machen. Damals als Imker. Das fand ich ganz toll. Zu DDR-Zeiten konnte man damit richtig Geld verdienen, aber nach der Wende nicht mehr. Das verwarf ich dann. Danach wollte ich eine Videothek aufmachen, aber es gab zu viele. Irgendwann war ich im Triplebookshop in Hannover und dachte mir: Mensch, so ein Laden isses. Im September 1990 zog ich dann nach Mannheim wegen der Arbeit. Da gab es einen Laden, der hieß Fantasy Forrest. Gibt’s heute leider nicht mehr. Der war richtig cool. Da habe ich ein paar Jahre lang mein Geld ausgegeben. Irgendwann kam ich zurück nach Magdeburg und so ist das hier entstanden.

Früher war das der Fruchthof, da ­konnte man in der DDR mit Glück ­B ananen ­erhaschen. Wenn sie keine hatten, ­lagen ­welche aus Plastik da.

Wie ging’s los? Die ersten Anime liefen ja erst 1995 im deutschen Fernsehen. Wir fingen damals in Sudenburg an, hinter der Ambrosiuskirche. Das war eher ein Rollenspiel-Laden. 1996 kamen dann die ersten Verlage. Damals gab es noch den Dino-Verlag, der Superman herausbrachte und später Batman. Und die Verlage

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Carlsen und Ehapa. Ehapa hatte Sailor Moon und Ranma ½ und Carlsen hatte Dragon Ball. Wir waren der einzige Laden in Magdeburg, der das ständig im Programm hatte. Die normalen Buchläden sagten, ›so einen Scheiß legen wir uns nicht hin‹. Unser Laden war eher düster, trotzdem haben sich auch die Mädels reingetraut, weil sie wussten, bei uns gibt’s Sailor Moon.

Eine Zeit lang wart Ihr bei der Krüger­ brücke. Wann seid Ihr in den aktuellen Laden gezogen? 2013. Wir hatten damals 400 Quadrat­ meter. Das war teilweise ein Jugendclub. Wir hatten so viel Platz, dass die Jugendlichen dort spielen konnten (Rollenspiele, Anm. d. Red.). Aber das rechnete sich nicht mehr, nachdem der Vermieter wechselte. Wir sind dann hier rein. Der alte Laden ist jetzt ein Parkplatz. Früher war das der Fruchthof, da konnte man in der DDR mit Glück Bananen erhaschen. Wenn sie keine hatten, lagen welche aus Plastik da. Glaubst Du, dass Manga und Comics noch weiter in die Popkultur integriert werden? Auf jeden Fall. Die Genres und Videospiele wachsen zusammen. Normale Leute, Banker und so zocken ihre Spiele und wollen den Comic dazu lesen. Comics gibt’s ja jetzt auch als E-book, aber ich finde man muss Papier zwischen den Händen haben und umblättern. Was verkauft sich denn momentan besonders gut? Vor ein paar Jahren machte DC einen Cut und fing neu an. Seitdem läuft DC echt gut. Also Batman und Superman und so.


A ndy L o tz

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A ndy L o tz Wie wird die Conventi­ on von den ›normalen‹ Magdeburgern an­ genommen? Ältere Menschen fra­gen mich öfter, was denn hier los sei. Dann erkläre ich ihnen das. In Kassel zum Beispiel, wo die größte Convention stattfindet, wissen das viele schon. Eigentlich wird es gut angenommen. Was stört ist der Müll. Aber welche Veranstaltung macht keinen Müll? Und es wird immer hochgehalten, dass die Fans sich nicht prügeln.

Das Comic-Kombinat ist mit für die Contaku zuständig. Wie kam es zu die­ ser eigenen Convention? Wir sind oft auf Conventions unterwegs. Anfangs arbeiteten wir mal mit dem City Carré zusammen. Da konnten die Leute umsonst rein. Dann hatten wir den großen Laden, der jetzt ein Parkplatz ist. Da konnten wir eine Convention machen. Jetzt sind wir im Moritzhof, der ist natürlich super.

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Hast Du schon mal selber gecosplayt? Ja natürlich. Darth Vader. (lacht) Wen sonst? Ich bin ein bisschen beleibter und habe auch schon Fred Feuerstein gecosplayt. Der kam ziemlich gut an, und Homer Simpson war ich auch schon, inklusive gelber Haut. Das war schlimm. (lacht) Ich werde mir nie wieder im Sommer das Gesicht anmalen. Captain Picard kriege ich gut hin. Vor allem jetzt, wenn mir die Haare ausfallen, ist das super. Und ich habe die Jacke, die nur der Captain trägt. Habe ich extra von einer Schneiderin anfertigen lassen. Vor 20 Jahren hätte ich das selbst genäht. Ich versuche immer etwas zu machen, was nicht aus der Mangaszene stammt. Da wird penibel drauf geachtet. Wenn Cosplayer ein Bild online stellen und der Scheitel ist zur falschen Seite ge-


A ndy L o tz Der Laden ist im Umkreis von über 200 km der größte seiner Art. Merkt Ihr das an der Kundschaft? An Wochenenden oder zu Feiertagen. Vor allem, wenn älteres Publikum sich beraten lässt, was sie ihren Kindern schenken könnten.

zogen, dann werden die da teilweise echt runtergemacht. Das ist schon sehr eigen. Was sind Deine Pläne für zukünftige Cosplays? Ich hab immer Ideen. Meistens ist es kurz vor der Contaku und mir fehlt die Zeit. Dann wird es doch wieder Captain Picard.

Ältere Menschen fragen mich öfter, was denn hier los sei. Dann erkläre ich ­ihnen das.

Gibt es in Magdeburg einen Ort, an dem man gut Cosplayfotos shooten kann? Ja, kommt auf den Charakter an. Der Dom ist immer ein super Hintergrund, die Lukasklause, alte Industriegebäude oder die Hubbrücke. Wenn man etwas Militärisches macht, ist Metall im Hintergrund gar nicht verkehrt.

Was ist Dein Lieblingsort in Magde­ burg? Schwere Frage. Wenn ich Freunden Magdeburg zeige, dann gehe ich immer an der Elbe entlang. Also Dom und Fürsten­wall, da bin ich aufgewachsen. Inzwischen wohne ich außerhalb von Magdeburg. Ich bin meistens zum Essen unterwegs. Aber ganz klar: Magdeburg und die Elbe gehören zusammen.

Februar 2017

Vista.Schon? Andy Lotz, Jahrgang 1971 und gebürtiger Magdeburger, ist Besitzer des Ladens Comic-Kombinat. Seit nunmehr 20 Jahren verkauft er Comics, Mangas und allerlei Merchandise. Früher träumte er davon, Elektriker zu werden und absolvierte auch eine Lehre in diesem Bereich. Nach eigenen Angaben hat er schon alle Sushi-Läden in Magdeburg ge­ testet und favorisiert das Sakura am Hasselbachplatz. Magdeburg beschreibt er als eine Stadt mit viel Geschichte.

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Re i nha rd B o l e ws ki

Reinhard Bolewski »Das Kino bringt nach wie vor Menschen zusammen.« An Reinhard Bolewski kommt keiner vorbei. Seit zwei Jahrzehnten arbeitet der Filmvorführer im Magdeburger Cinemaxx. Seit der Umstellung auf den Digitalbetrieb steht er am Einlass und entwertet die Tickets. Mit seiner herzlichen Art zaubert er oft den Besuchern ein Lächeln ins Gesicht. Im Interview mit Inter.Vista spricht er über Superhelden, brennende Bärte und wie man seine Zeit als Filmvorführer gut nutzen kann. Außerdem erfahren wir, was er von Fifty Shades of Grey hält. Interview und Fotos: Laura Rittler

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Re i nha rd B o l e ws ki

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Re i nha rd B o l e ws ki Manche Kinder möchten eines Tages Polizisten oder Feuerwehrmänner werden. Wollten Sie schon immer mit Filmen oder im Kino arbeiten? Ich glaube wir alle haben als Kinder gern Märchenfilme geguckt und wir alle sind ja auch sicher gern ins Kino gegangen. Der erste Beruf, den ich erlernt habe, war aber Fernsehmechaniker. Und als sich für mich dann später die Möglichkeit bot, Leiter eines Filmclubs in Staßfurt zu werden, beschloss ich, Nägel mit Köpfen zu machen und richtig zum Kino zu gehen. Sehr zum Unwohl meines Vaters, der der Meinung war, ich würde gesellschaftlich abstürzen. »Wie kann man denn nur beim Kino arbeiten«, hat er gefragt. Für ihn war das eine riesige Enttäuschung, dabei habe ich mich sogar noch der Mühe unterzogen und ›Kino‹ richtig als Facharbeiterberuf gelernt und die Meisterprüfung für die Reparatur von Kinomaschinen abgelegt. Aber man darf nicht vergessen, dass das Kino eigentlich seinen Ursprung im Jahrmarkt hat. Vielleicht wurde deshalb die

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Arbeit dort früher abwertend betrachtet. Ich sehe das aber überhaupt nicht so, ganz im Gegenteil. Wenn man beruflich Filme gucken kann, dann ist das doch eigentlich der Traum eines jeden Kindes!

Es macht natürlich auch SpaSS, in ­einer groSSen Gruppe kollek­tiv zu lachen oder zu schmunzeln oder zu weinen.

Wann haben Sie denn angefangen, im Kino zu arbeiten? Das war 1985 beziehungsweise 1984. Damals habe ich mit dem Gedanken gespielt im Kino zu arbeiten. Und am 3. Januar 1985 war dann mein erster offizieller Tag als Filmvorführer. Damals habe ich den Film Das fliegende Auge mit Roy Scheider vorgezeigt.


Re i nha rd B o l e ws ki Als Filmvorführer trugen Sie die Verantwortung dafür, dass die Zuschauer einen Film fehlerfrei sehen konnten. Sind Ihnen jemals Pannen passiert? Ja, das kam einige Male vor. Damals wurde ein Film in einzelnen Akten gespielt und immer nach etwa 17 bis 18 Minuten war ein Akt zu Ende. Dann musste der Filmvorführer den einen Akt ausblenden und den neuen aufblenden. Dieser Übergang, den man ›Überblend­betrieb‹ nannte, hat natürlich eine gewisse Aufmerksamkeit seitens des Vorführers erfordert. Aber wenn der Filmvorführer verpennt hat, dann ging der erste Akt zu Ende ohne, dass der darauffolgende begann – und die Zuschauer sahen kein Bild. Peinlich. Kam das oft vor? Es ist mir nicht oft passiert, aber es ist mir passiert. Es gibt einen merkwürdigen Zusammenhang zwischen der Tatsache, dass das immer sonntags passiert ist, und der Tatsache, dass am Samstagabend immer Disko war. (lacht) Ich muss dazu sagen – und jetzt, wo ich kein Filmvorführer mehr bin, darf ich das ruhig zugeben – ich bin eine große Lese­ratte und die meisten Bücher meines Lebens habe ich während meiner Arbeitszeit gelesen. Immer dann, wenn meine Kinomaschine lief und ich den Film schon kannte oder er mich nicht interessierte, habe ich ein Buch aufgeschlagen. (lacht)

Wie unterscheiden sich die Filme der DDR-Zeit von modernen Produk­tionen? Früher wurden viele Versuche unternommen, Gesellschaftskritik im Film und im Kino unterzubringen, indem man das Medium nutzte, um Kritik zu äußern. Dadurch ist es aber auch passiert, dass Filme nur eine Woche liefen und dann

ohne Begründung aus den Kinos verschwanden. Heute ist das Medium ›Film‹ weniger Aufklärungsgut als vielmehr reine Unter­ haltung. Aber das meine ich nicht abwertend. Unter­ haltung ist schließlich ein wertvolles Gut. Das Kino bringt nach wie vor Menschen zusammen. Es macht natür­lich auch Spaß, in einer großen Gruppe kollek­tiv zu lachen oder zu schmunzeln oder zu weinen.

Ich wurde in dem Jahr geboren, als der erste ­S putnik ins All flog. Als ­kleiner ­J unge sah ich die Mond­landung im Fernsehen.

Von welchen Filmen fühlen Sie sich besonders gut unterhalten? Ich war schon als kleiner Junge sehr begeistert von Filmen wie etwa 20.000 Meilen unter dem Meer, Reise zum Mittel­ punkt der Erde oder Spartakus. Das waren die Filme in den sechziger Jahren, die mich prägten. Ich bin allerdings ein großer Fan von Science-Fiction-Filmen. Ich wurde in dem Jahr geboren, als der erste Sputnik ins All flog. Als kleiner Junge sah ich die Mond­landung im Fernsehen. Ich bin also in einer Zeit groß geworden, in der das Weltall langsam und vorsichtig erobert wurde. Und wahrscheinlich, wie bei fast jedem kleinen Jungen, gehörte zu meinen Berufswünschen der Kosmonaut. Naja, mit dem Kosmonauten ist es nichts geworden, aber Fernsehmechaniker und Filmvorführer waren auch eine schöne Alternative.

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Re i nha rd B o l e ws ki Gibt es auch Filme, deren Erfolg Sie nicht nachvollziehen können? Ja. Diesen Rummel um Fifty Shades of Grey verstehe ich zum Beispiel überhaupt nicht. Warum spielen bei diesem Film alle so verrückt? Haben die Leute etwa Angst, ihren Partnern zu sagen, was ihnen gefällt? Am Abend der Premiere haben etwa 1.200 völlig aus dem Ruder gelaufene Frauen das Kino gestürmt. Ich habe an dem Abend als Kartenabreißer gearbeitet, und in der Menge fünf einzelne Männer gesehen, die aussahen, als hätte man sie mit der Peitsche hergezwungen. Auf jeden Fall saßen sie wie ein verlorenes Trüppchen in der Menge. (lacht)

ich die Zeiten, die mich an meine Jugend erinnern? Ja. Die Digitalisierung hat mich eben überrumpelt. Ich hätte gerne noch ein paar Jahre analog gehabt. Vielleicht, so egoistisch bin ich, bis ich Rentner bin. Nach mir die Sintflut! (lacht) Aber ich möchte mich nicht beschweren. Mir geht es doch gut. Jeden Tag strömen bei mir am Einlass eine Menge Menschen vorbei, die oft nicht so glücklich aus­sehen. Und dann gebe ich mir Mühe, dafür zu sorgen, dass sie, sobald sie an mir vorbeigegangen sind, zumindest ein leichtes Lächeln auf den Lippen haben. Mit dem, was ich tue, kann ich Menschen glücklich machen. Egal, ob analog oder digital.

Ist Film dann nicht eigentlich ein ­Medium für Faule? (lacht) Nein, denn es gehört auch zur Kunst des Kinos, Dinge nicht zu zeigen, sondern anzudeuten – man nennt es ja nicht umsonst Kopfkino. Dass es dann in den Gedanken des Zuschauers zu dem wird, was der Regisseur mit Bedacht vermieden hat zu zeigen. Das ist Kunst.

War es schwer, an Comichefte ranzu­ kommen? Insbesondere an solche aus dem Westen? Ja, das war gar nicht so einfach. Manche Ausgaben konnte man nicht immer am Kiosk kaufen, weil sie aufgrund des begrenzten Papierkontingents nur in kleiner Auflage gedruckt worden waren. Andere kamen nicht durch den DDR-Zoll. Wenn ein Junge in der Schulklasse ein solches begehrtes Heft hatte, dann war er für alle anderen der Held. Insbesondere Hefte aus der Bundesrepublik brachten noch weitere Probleme mit sich, aber

Sie haben bereits erwähnt, dass Sie viel lesen. Gab es jemals eine Buch­ verfilmung, die Sie unglaublich ent­ täuscht hat? Ich glaube, das ist nicht die richtige Herangehensweise. Es muss einem bewusst sein, dass das zwei unterschiedliche Medien sind. In einem Buch spielt ja unser Kopf mit, wir basteln uns da etwas zusammen, während wir es im Film präsentiert bekommen.

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Vermissen Sie manchmal die analogen Zeiten? Nein. Die Sache ist doch so: Vermisse ich meine Jugend? Ja. (lacht) Vermisse

Sie sind nicht nur Filmfan und Bücher­ narr, sondern sammeln auch Comic­ hefte. Erinnern Sie sich denn noch an Ihr allererstes Heft? Das weiß ich zufällig tatsächlich noch, weil es in der DDR keine allzu große Auswahl gab. Mein erstes Comicheft hieß Mosaik und es war die Nummer 99. Dig, Dag und Digedag [die Protagonisten der Comicreihe, Anm. d. Red.] waren die Helden meiner Kindheit.


Re i nha rd B o l e ws ki

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Re i nha rd B o l e ws ki Dinge nur kaufen, wenn sie in perfektem Zustand sind. Wenn Gegenstände ein gewisses Alter erreichen, dann haben sie eben häufig Gebrauchsspuren. Das ist ganz normal und es stört mich nicht – bei Menschen ist es schließlich genauso. (lacht)

das war mir damals gar nicht klar: In den meisten Comics gab es Leser-Kontaktseiten, auf denen Kinder nach Brieffreunden gesucht haben. Als ich noch ein Kind war, habe ich tatsächlich ab und zu auf diese Anzeigen geantwortet. Mir war gar nicht klar, dass ich mich damit auf sehr dünnem Eis bewegte. Jahre später habe ich dann in meiner Stasi-Akte gelesen, dass einige dieser Briefe wohl der Stasi in die Hände gefallen sind. Mit dem Erhalt meiner Akte habe ich diese alten Briefe noch einmal wiederbekommen. Inzwischen kann ich darüber eigentlich nur noch schmunzeln.

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Sie besitzen eine recht stattliche Co­ mic-Sammlung. Werden die Ausgaben tatsächlich gelesen, oder schließen Sie Ihre Bücher und Comics lieber in Glasvitrinen ein? Nein, nein, um Himmels Willen! Ich tüte meine Hefte zwar auch mal ein, wenn ich sie vor Staub schützen möchte. Esels­ ohren in Büchern sind für mich ein Grund, Freundschaften zu kündigen. Ich lese meine Bücher und Hefte aber durchaus und bin auch keiner dieser Sammler, die

Manche Städte haben ihre eigenen Super­helden – New York hat Spiderman, Gotham hat Batman. Braucht auch Magdeburg einen Helden und welche Superkraft müsste er haben? Er müsste die Fähigkeit haben, die Farbe Braun aus seinem Sehvermögen zu streichen. Und auf seinen Stiefeln sollte stehen: »Damit trete ich braun«. Ich möchte mich nicht als extrem links bezeichnen, aber ich finde es furchtbar, dass man Magde­burg ständig nur mit all diesen Vollidioten verbindet, die in Geschichte nicht aufgepasst haben und die sich wünschen, wir hätten hier noch immer Verhältnisse, die zum Glück lange vorbei sind.

Die meisten Bücher meines Lebens habe ich während meiner Arbeitszeit gelesen.

Sie wohnen nicht in Magdeburg, son­ dern arbeiten nur hier. Verbringen Sie auch Ihre Freizeit in der Stadt? Ich besuche sehr gern das Comic-Kombinat. Und natürlich gehe ich viel ins Kino. (lacht) Ansonsten weiß ich es gar nicht so genau, um ehrlich zu sein. Ich habe beispielsweise kein Lieblingsrestaurant – aber eine Vorliebe für Döner. Wo gibt es denn den besten? Direkt hier im City Carré.


Re i nha rd B o l e ws ki Wie hat sich die Stadt im Laufe der Zeit verändert? Ich habe die Kinoszene der Stadt bereits zu DDR-Zeiten kennengelernt. Damals gab es in fast jedem Stadtteil ein eigenes Kino. Ich vermisse diese kleinen Kinos. Es gibt inzwischen eigentlich nur noch den Moritzhof und das Studiokino; der Rest wird von diesen großen Häusern abgedeckt. Diese können bestimmte Filme, die künstlerisch besonders wertvoll sind, leider nicht spielen, weil sie davon ausgehen müssen, dass nicht genügend Besucher kommen. Die kulturelle Vielfalt der Stadt hat damit also leider etwas abgenommen. Wer sich Idealismus leisten will, der muss entweder über ein großes Portemonnaie verfügen oder ein hoffnungsloser Träumer sein. Seit 1980 schlüpfen Sie einmal im Jahr in die Rolle des Helden vieler Kinder: in die des Weihnachtsmannes. Wie kam es dazu? Zum ersten Mal als Weihnachtsmann verkleidet habe ich mich schon 1979. Damals war ich noch Soldat bei der Nationalen Volksarmee in Potsdam. Unsere Kaserne

wurde gebeten, einen Weihnachtsmann für den Potsdamer Weihnachtsmarkt zu stellen und ich wurde ausgewählt. Ich habe entdeckt, dass das etwas für mich ist – auch, weil ich Kindern sehr gerne Geschichten erzähle. Ich muss allerdings auch sagen: Weihnachtsmann spielen ist in meinem Fall auch eine Art ›Familienbewältigung‹. Ich habe selbst keine Familie bei mir zuhause und möchte den Heiligabend mit etwas angenehmem verbringen, statt mit einer Flasche Whiskey unterm Baum zu sitzen – und die Gefahr besteht. (lacht) Ich muss natürlich auch sagen: Ein bisschen Schuld an meinem Junggesellen­status ist auch mein Beruf. Wenn man so viele Jahre im Kino arbeitet und abends nie zuhause ist, ist das nicht gerade förderlich für eine Beziehung, wenn die Frau mindestens fünf Tage pro Woche ­alleine zuhause sitzt. Das war irgendwann abzusehen, dass das auf lange Sicht nicht funktionieren wird. Sind Kinder dem Weihnachtsmann früher anders begegnet als heute? Das nicht, aber der Job hat sich trotzdem verändert. Ich stelle mit Erschrecken

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Re i nha rd B o l e ws ki fest, dass Eltern oft völlig verpeilen, dass Weihnachten das Fest der Liebe ist. In manchen Familien versuchen die E ­ ltern, Omas, Opas, Tanten und Onkels sich in der Größe der Geschenke gegenseitig zu übertrumpfen. So, als müssten sie mit besonders teuren Geschenken beweisen, dass sie das Kind wirklich lieben. Und dann hat ein Kind letztendlich einen Berg von Geschenken, was mich nur den Kopf schütteln lässt. Aber es gibt natürlich auch sehr schöne Momente: Ich mache das schon seit 37 Jahren. Besonders toll finde ich, dass ich inzwischen auch Weihnachtsmann bei Kindern bin, bei deren Eltern ich das bereits gemacht habe. Das ist etwas ganz besonderes.

mit dem, was ich Tue, Kann ich ­M enschen glücklich machen. Egal, ob analog oder digital.

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Gerade Kinder sind ja etwas unbe­ rechenbar. Sind denn mal irgend­ welche merkwürdigen oder lustigen Dinge passiert, während sie Weih­ nachtsmann gespielt haben? Ja, da gibt es schon die eine oder andere Anekdote. Einmal habe ich mit dem Papa einer Familie in der Küche gesessen und wir haben ein Glas Schnaps getrunken. Ich rauchte einen Zigarillo und habe es dabei geschafft, meinen Bart anzuzünden. Weil er selbstgebaut aus Watte war ist er nicht einfach nur abgebrannt, sondern regel­recht verpufft. Tja, plötzlich saß ich da, mit einem verkohlten Zigarillo im Mund, einem völlig verbrannten Stück Watte vor meinem Mund, einer rot ver-

brannten Nase und ohne Augenbrauen. In dem Moment war ich geschockt, aber jetzt im Nachhinein kann ich darüber lachen. Februar 2017

Vista.Schon? Reinhard Bolweski, Jahrgang 1957, ist gelernter Fernsehmechaniker und sagt von sich selbst, er habe mit seinen Schraubenschlüsseln in der Vergangenheit bereits so manche Ehe vor dem Scheitern bewahrt. Der Batman-Fan sammelt seit seinem zwölften Lebensjahr ­Comics und Filme; seine Sammlung umfasst inzwischen mehr als 5.000 Stücke. Erste Erfahrungen als Filmvorführer sammelte er während seiner Zeit bei der Nationalen Volksarmee, bevor er beschloss, sein Hobby zum B ­ eruf zu machen. Seit zwei Jahrzehnten arbeitet Bolewski im Cinemaxx. Ursprünglich als Filmvorführer eingestellt, entwertet er seit der Umstellung auf den Digitalbetrieb Karten und führt Reparaturen durch. Ganz besonders freut er sich über die diesjährige Fort­ setzung des Science-Fiction-Films Blade Runner.


Um spontan, locker und ­gleichzeitig professionell zu bleiben, sollte man sich nicht zu sehr an den Fragen ­festhalten. […] Interviews führen ist eine Kunst […]. Es steckt eine Menge Arbeit drin. Zuhören hilft und ­Vorbereitung ist die halbe Miete. Franziska Seibert

www.alles-ueber-interviews.de


Re i nha rd B o l e ws ki

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W u l f Ga l l e rt

Wulf Gallert »Wer öffentlich kegelt, muss wissen, dass gezählt wird.« Er ist nicht nur in Sachsen-Anhalt ein bekannter Politiker. In der heute-Show im ZDF wurde sein Wahlslogan »Frauenversteher« aufs Korn genommen, was ihn auch bundesweit bekannt machte. Im Interview mit Inter.Vista spricht Wulf Gallert darüber, wie das medienwirksame Wahlplakat entstand, was sich mit dem Einzug der AfD in den Landtag für ihn veränderte und warum er nicht gerne in die ›Kneipe um die Ecke‹ geht. Interview und Fotos: Vera Reinicke und Philipp Schöner

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W u l f Ga l l e rt

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W u l f Ga l l e rt Sie warben bei der Wahl 2016 unter anderem mit dem Slogan »Wulf Gallert – Frauenversteher«. Warum muss man Frauen erst verstehen lernen? Das Interessante ist, dass Sie mir als Frau diese Frage stellen. Ein Mann hätte mir die Frage nicht gestellt, weil er weiß, dass es eine Herausforderung ist. Das war natürlich doppeldeutig gemeint. Wir haben lange darüber diskutiert, ob man auf ein politisches Plakat eine ironische Botschaft nehmen kann. Interessanterweise kam von Frauen mehr Verständnis dafür als von Männern. Diejenigen, die heutzutage sagen, es gebe keine Benachteiligung von Frauen mehr, denen muss man widersprechen. Punkt.

Twitter ist für mich effektiver, ­r eflexiver und geht stärker nach auSSen als Facebook.

Sie sagten ›wir sind auf diese Idee ge­ kommen‹. Wer ist damit gemeint? Das waren Leute, die diesen Wahlkampf mit organisiert haben. Unter anderem der Leiter des Landeswahlbüros und eine Werbeagentur. Wir haben das im Landes­ vorstand und in der Landtags­ fraktion beredet. Ich alleine hätte es so nicht entschieden, weil das eine Sache ist, bei der man schon mehr Meinungen einholen muss.

Was sind Sie für eine Art ›Chef‹? Es gibt dafür zwei wichtige Sätze. Erstens: Den wahren Charakter eines Menschen erkennst du erst, wenn er dein Chef ist. Zweitens: Den eigenen Führungsstil ein­

zu­schätzen ist eine schwierige ­Geschichte. Jeder Chef schätzt seinen Führungsstil sehr gut ein, aber man kann diese Frage nur durch die L ­ eute beantworten lassen, mit denen man zu tun hatte. Und die meinten, dass ich mich immer stark durchgesetzt habe. Der Leiter der Kinderklinik hier in Magde­burg gab mir einen schönen Vergleich. Er sagte, dass es bei mir so sei wie bei ihm. Ein Chef sei wie ein Bauer auf dem Bauernhof. Er müsse immer wach sein. Er sei für alles verantwortlich, was sich auf diesem Hof bewegt.

Es gab Parodien Ihrer Wahlplakate in den sozialen Medien. Wie gehen Sie damit um? Also man freut sich nicht immer darüber. Man sollte aber die Fähigkeit haben, sich ironisieren zu können. Wer öffentlich kegelt, muss wissen, dass gezählt wird. Ich habe mich darüber nicht aufgeregt, weil ich wusste, dass solche Reaktionen kommen.

Apropos Social Media. Sie betreiben selbst einen Facebook- und einen Twitter­­account, beide mit etwa 3000 Fans beziehungsweise Followern. War­ um sind Sie bei Twitter so viel aktiver als bei Facebook? Bei Twitter mache ich alles alleine, bei Facebook gestalten Mitarbeiter mit. Twitter ist übersichtlicher und wird von Medienvertretern genutzt, das heißt, du kannst dir häufig Pressemeldungen ­ sparen. Du schreibt es einfach rein und die Medienvertreter lesen es dann. Twitter ist für mich effektiver, reflexiver und geht stärker nach außen als Facebook.

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W u l f Ga l l e rt Warum haben Sie bei Facebook ein Landschaftsbild als Titelbild? Wir fragten uns, was sich mit Sachsen-­ Anhalt verbinden lässt. Das ist übrigens ein Bild aus dem Harz. Ich hätte aber auch eins aus Havelberg, aus meiner alten Heimatstadt, nehmen können. Wenn Sie sich mal informieren möchten, welches Medium nutzen Sie dann am liebsten? Ich schaue gern bei Twitter was bestimmte Medien so verlinken. Das guck ich mir dann an.

Wie stehen Sie dem Begriff ›Patriot‹ gegenüber? Kritisch. Ich kann ehrlich gesagt mit dem Begriff nicht viel anfangen. Natürlich hat er eine historische Entwicklung. Es gab auch im DDR-System einen positiven Bezug. Ich mag den Begriff aber nicht. Denn Patriot bedeutet ja im Grunde eine überaus s­ tarke Identifikation mit dem eigenen Land, mit dem eigenen Volk und führt letztlich immer dazu, dass man andere ausschließt. Auch heute ist Patriot ein exklusiver Begriff. Dahinter steht immer die Definition derjenigen, die nicht dazugehören sollten.

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Die AfD bedient sich des Öfteren dieses Begriffs. Seit 2016 hört man rechtskonservative Parolen auch im Landtag von Sachsen-Anhalt. Was hat sich mit dem Einzug dieser großen Fraktion ins Parlament für Sie verändert? Eine ganze Menge. Die Debatten sind in Ihrer Kontroverse nicht unbedingt schärfer aber härter geworden. Und sie gehen viel stärker von politischen Grundsatz- in Wertedebatten über. Ein Beispiel: Die AfD forderte, dass man Flüchtlingen in Deutschland die Stan-

dards bieten solle, die sie auch in ihren Heimatländern vorfänden und führten als denkbare Maßnahme 50 Schüler pro Klasse an. Mit deutschen Kindern dürften die Flüchtlinge deshalb auch nichts zu tun haben. Das repräsentiert für mich ein klassisches Apartheidsystem, wie es in Südafrika praktiziert wurde. Da diskutiere ich als Politiker nicht mehr über Schulpolitik, sondern darüber, ob Menschen unterschiedlich viel wert sind. Gibt es minderwertiges Leben? Da heißt es von Seiten der AfD über die Studenten, die gegen eine Veranstaltung der Partei an der Universität demonstriert haben, sie seien eine Wucherung am deutschen Volkskörper. Nochmal zum Begriff ›­Patriot‹: Mit dem Gedanken, dass man als Mensch ein organischer Teil eines Volkes ist, kann ich mich nicht vereinbaren. Deswegen mag ich diesen Begriff nicht. In erster Linie ist ein Mensch ein Mensch und das sogenannte Volk ist eine abstrakte Konstruktion.

Die Leute mögen es nicht, wenn sie pädagogisiert werden.

Wie sind Sie zur Politik gekommen? Ich hatte keine Alternative. (lacht) Ich bin in einem Elternhaus aufgewachsen, in dem beide Teile Lehrer waren. Beide waren in der SED und politisch interessiert. Das verband sich zu DDR-Zeiten nicht unbedingt miteinander. Wir haben zu Hause wahnsinnig viel diskutiert, debattiert. Mein älterer Bruder ist auch Lehrer geworden. Das war eine Konstellation in der ich mich durchsetzen musste, um über-


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haupt zu Wort zu kommen. Irgendwann 1986 bin ich Mitglied der SED geworden. Als dann 1989 die Wende kam und viele auf einmal aus der Partei austreten wollten, weil sie sich nun angeblich substanziell betrogen fühlten, kam es bei mir zu einer gegenteiligen Reaktion. Ich war vielleicht auch in einer Position, in der ich so denken konnte, weil ich keine Familie und keine Kinder hatte und nur für mich alleine verantwortlich war. Ich hatte die Freiheit zu sagen, was ich dachte. Das führte mich recht schnell in die Politik. Was machen Sie am liebsten, wenn Sie nicht im Parlament sitzen? Die Frage stellt man am besten meinen Jungs. Ich bin Familienvater, ich habe zwei Kinder. Mein Großer ist 19, geistig behindert und lebt bei uns zu Hause. Mein Kleiner ist elf Jahre jung und beschäftigt mich und seine Umwelt in einem Maße, in dem ich es mir vorher nicht hätte vorstellen können. Da bleibt relativ wenig Zeit. Ich lasse mich abends gerne vom Fernsehen berieseln. Hauptsache es ist nicht so aufregend. Ich trinke

auch ab und an ein Glas Whisky oder ein Bier. Früher habe ich gerne Krimis gelesen, aber da das Handy heute immer dabei ist, lese ich jetzt ständig Artikel oder Kommentare. Dadurch fehlt mir die Ruhe für Krimis. Das vermisse ich generell − die Ruhe. Um meinen zumeist sitzenden Beruf auszugleichen mache ich viel Sport. Ich fahre auch gerne am Wochenende weg.

Ich habe einen kleinen Hang zum Snob.

Was machen Sie denn für Sport? Ich gehe jeden Morgen runter in meinen Keller und stelle mich eine halbe Stunde auf den Crosstrainer. Das ist nichts was Spaß macht. Es findet auch nicht jenseits der Politik statt, weil nebenher das Morgenmagazin läuft und ich gucke was am Tag los ist. Wenn ich mehr Zeit habe, setze ich mich abends nochmal eine halbe Stunde drauf, um mein Gewicht zu halten.

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Apropos Sport: Magdeburg ist Sportstadt. Sind Sie eher Fußball- oder Handballfan? Ich interessiere mich weder für die eine, noch für die andere Profimannschaft so wirklich. Ich gucke beides ab und zu mal im Fernsehen wenn ein Spiel läuft. Aber selbst habe ich nicht den Antrieb ins Stadion zu gehen. Ich habe es bisher auch vermieden meinen Kleinen zu animieren. Ich bin froh, dass er selber nicht auf die Idee gekommen ist. (lacht) Der spielt jetzt allerdings Wasserball – eine schöne Alternative.

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Sie haben bereits erwähnt, dass Sie gerne reisen. Was ist Ihnen denn lieber: Berge oder Strand? Ich bin ein Wassertyp. In den Bergen geht es immer hoch und runter. Anstrengend. Dafür bin ich nicht gemacht. Ich war früher oft mit einem Faltboot wasserwandern. Ich versuche gerade das meinem kleinen Sohn

ein bisschen näher zu bringen. Motorboote sind was für Weicheier, sage ich immer. Ansonsten fahren wir gerne an die Ostsee. Meine Frau meint aber alle drei Jahre, wir müssten mal in die Berge fahren. Das ist nämlich eigentlich ihr Ding. Aber das geht in mein eines Ohr rein und zum anderen wieder raus und nach drei Jahren sagt sie es dann wieder. (lächelt)

Magdeburg hat eine deutlich höhere Lebens­ qualität, als man von auSSen denkt.

Wenn Sie in ein Land auswandern müssten, welches wäre das denn? Ich war häufig auf Zypern. Da hat es mir sehr gut gefallen. Ich habe ein Faible für die Antike und das Mittelmeer. Nach zwei


W u l f Ga l l e rt Monaten würde ich mich aber vermutlich auch dort langweilen. Meine ersten Reisen nach der Wende gingen in den anglo-irischen Raum. Ich bin Fan von Großbritannien. Zum Beispiel Cotswolds, da ist alles klein und beschaulich. Das fühlt sich ein bisschen wie Agatha Christie an. Ist aber auch alles nur Fassade. Lebte man dort länger, würde man merken, dass die Leute die gleichen Probleme haben. Mir fehlt so ein bisschen die Fähigkeit zum Selbst­ betrug, zu denken, dass es woanders besser ist.

Von der Ferne in die Nähe. Was gefällt Ihnen denn in Magdeburg besonders gut? Magdeburg hat eine deutlich höhere Lebens­qualität, als man von außen denkt. Die einzigen, die das bestreiten, sind unsere Abgeordneten und Mitarbeiter aus ­Halle. Aber alle anderen Leute von außerhalb sagen, dass Magdeburg eine schöne Stadt ist. Mir gefällt die Promenade an der Elbe sehr gut. Magdeburg ist eine gute Auto­fahrerstadt, trotz des Tunnel­ fiaskos. Die Stadt ist reich gesegnet mit Grünflächen wie dem Elbauenpark, Rotehornpark und Herrenkrug.

Und wie sieht es mit einer Lieblings­ bar aus? Ich bin hier funktional in der Politik eingebunden. Das mache ich 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. Das heißt ich bewege mich nie wirklich frei. Über die Straße gehen und sich in der Nase popeln kann man als Politiker aus Sachsen-­ Anhalt vielleicht in Johannesburg oder in Peking. Aber hier ist sofort jemand da, der einen kennt. Das ist mir auf Mallorca, auf den Kanaren und auf Zypern passiert. Deswegen kann ich nie sagen, ›ich geh'

heute mal in die Kneipe und mache einen drauf, ich habe es mir verdient‹. Irgendwann ist das so drin, dass man es auch nicht mehr will.

Wie sieht es aus mit einem Familien­ essen? Geht das ab und zu? Der größte Wunsch meines großen Sohnes ist es, einmal pro Woche mit mir ins City-Carré zum Italiener Eis essen zu gehen. Ich aber habe einen kleinen Hang zum Snob. Wenn ich in eine Gaststätte gehe, dann möchte ich nicht in ein Einkaufszentrum, wo die Leute um mich herumschwirren und mich angucken. Aber mein Sohn möchte es und deswegen machen wir das. Einmal im Jahr gehen wir mit der Familie im Herrenkrug essen, da finde ich es schön.

Wir haben lange ­darüber diskutiert, ob man auf ein politisches Plakat eine ironische Botschaft nehmen kann.

In einem Beitrag des Deutschland­ funks fanden wir die Aussage, dass Sie kein ›Ostalgiker‹ sind. Ja das stimmt. Ich glaube, dass wir außerordentlich kritisch mit unserer eigenen DDR-Vergangenheit umgehen müssen. Es war so ziemlich die spießigste Form dessen, was man sich als Sozialismus vorstellen kann. Das System war in großem Maße kleingeistig. Es hatte eine Geringschätzung gegenüber dem Individuum. ›Du bist Teil des Ganzen und als Individuum zählst du weniger‹, das war das Credo. Damit müssen wir uns jetzt

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kritisch auseinandersetzen. Es gibt aber Ausnahmen, bei denen auch ich zum ›Ostalgiker‹ werde.

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Und was sind das für Ausnahmen? Zum Beispiel die DDR-Architektur. Es gab Bauten, die waren einfach Mist, und es gab Vernünftiges. Und manches war nicht schön, ist aber gesellschaftliche Realität. Stichwort ›Platte‹. Diese Auseinander­ setzung Ostalgie versus Moderne haben wir in Magdeburg bei der Hyparschale. Architektonisch ist dieser Bau sehr wertvoll. Ich finde das muss man erhalten. Wir finden den Bau vielleicht nicht schön, aber was ist mit der übernächsten Generation? Ein Negativ-Beispiel ist da für mich Potsdam. Wo die neureichen Westdeutschen ­­− ich bediene jetzt ein paar Klischees − ein friderizianisches Disneyland hinsetzen und alles aus der DDR-Zeit tilgen. Man hat das Gefühl Friedrich II. soll dort wieder durch die Straßen reiten. Das Stadtschloss

in dem der Landtag sitzt, ist eine riesige Lüge. Draußen barocke Fassade und innen weiß und grell wie eine Klinik. Daneben steht die alte Fachhochschule. Eine Kopie eines Bauhausentwurfes aus Tel Aviv. Die lässt man aber verrotten, weil man dort das nächste Palais hinstellen will.

Entscheidend ist nie, was du sagst, sondern nur was bei den Leuten ankommt.

Wo haben Sie die Wende erlebt? In der Schule der beschaulichen Stadt Havel­berg. Ich hatte erst kurz vorher meine Ausbildung als Staatsbürgerkunde-­ Lehrer in Leipzig abgeschlossen. Im September 1989 kam ich dann nach Havelberg in die Schule und habe nicht eine Stunde Staatsbürgerkunde gegeben.


W u l f Ga l l e rt Ich habe versucht zu reflektieren, was da passiert. Und als Lehrer musste ich überlegen, was ich erzähle. Kurz nach der Wende − ich war damals dann schon in der PDS − gab es auch Fragen von Eltern, wie ich als ›Sozi‹ jetzt ihre Kinder unterrichten könne. Ich habe das für mich dann so gelöst, dass ich im September 1990 ein Promotionsstudium angefangen habe.

Hatten Sie einen besonderen Kniff, ­damit Ihre Schüler Ihnen zuhören? Du kannst Lehramt studieren und hinterher doch kein Lehrer sein. Da muss man ein Gefühl für haben. Entscheidend ist nie, was du sagst, sondern nur was bei den Zuhörern ankommt. Das ist mir erst in der Politik bewusst geworden. Du kannst von deiner Idee super überzeugt sein. Wenn du nicht in der Lage bist, die soziale Perspektive zu überschauen, dich ein Stück weit in den Kopf derjenigen reinzudenken, die du ansprichst, dann hast du verloren. Man kommt immer nur bis zum Kopf und was im Kopf passiert entscheidet derjenige, der zuhört. Politiker, Lehrer, das ist in der Frage identisch. Ich muss immer gucken, was meine Aussagen beim Zuhörer auslösen.

Für die dritte Inter.Vista-Ausgabe ha­ ben wir ein Interview mit Landtags­ präsidentin Gabriele Brakebusch ge­führt und dabei erfahren, dass sie ausgebildete Erzieherin ist. Mit Ihnen ist ein weiterer Pädagoge Stellvertreter in diesem Amt. Braucht politische Arbeit in Sachsen-Anhalt Pädagogen? Da scheiden sich die Geister. (lacht) Als Pädagoge hat man vor allem bei hitzigen Diskussionen im Landtag manchmal das bessere Händchen, weil man Leute besser einschätzen kann. Außerdem bin ich

nicht nur Lehrer, sondern auch als Preuße sozialisiert. Das heißt, wenn eine Sitzung bei mir um 15.00 Uhr anfängt und einer der Kollegen kommt erst um 15.02 Uhr, dann ist er zu spät. Punkt. Die Leute mögen es aber nicht, wenn sie pädagogisiert werden. Das geht einem manchmal auf den Senkel. Von Nachteil ist es aber auf keinen Fall, Pädagoge zu sein. Mai 2017

Vista.Schon? Wulf Gallert ist im Jahr 1963 geboren und kommt aus der kleinen Stadt Havelberg an der Grenze zu Brandenburg. Er beschreibt sich deswegen auch als ›sozialisierter Preuße‹, dem Pünktlichkeit wichtig ist. Er ist studierter Lehrer und wurde 1994 erstmals in den Landtag von Sachsen-Anhalt gewählt. Als Parlamentarischer Geschäfts­ führer der PDS-­Fraktion fädelte er das Magde­burger Modell mit ein, eine Minder­ heitsregierung der SPD, die von der PDS toleriert wurde. Er ist Mitglied der Partei DIE LINKE und seit 2016 Vizepräsident des Landtages. Durch sein politisches Amt lebt er schon lange in der Domstadt, so dass er hier fest verwurzelt ist und kein ›spezielles Magdeburg-Gefühl‹ mehr hat. Er habe eher ein ›spezielles Havel­ berg-Gefühl‹. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder. Magdeburg beschreibt er als unterschätzt, angenehm und angepasst.

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Wolfram Stäps »Wer Binnenschiffer war, muss Romantiker sein.« Binnenschiffer, Schulleiter, Vorsitzender eines Kunstvereins. Drei Tätigkeiten, die außer Wolfram Stäps wahrscheinlich nur wenige in einem Leben ausgeübt haben. Der gebürtige Hallenser setzt sich schon seit ­DDR-Zeiten für geistig behinderte Kinder in Magdeburg ein. Im Interview mit Inter.Vista erzählt er, wie er zu seinen vier Studienabschlüssen kam, warum an seiner Schule früh mit Sexualerziehung angefangen wird und wie er auf dem Weg zum Feierabendbier seine Berufung fand. Interview und Fotos: Julia Adam

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W o l fra m S tä ps Herr Stäps, außer dass die Wörter ›Binnenschiffahrt‹ und ›Behinderten­ schule‹ mit dem gleichen Buchstaben beginnen, haben diese Felder nichts gemeinsam. Dennoch liest man beides in Ihrer Vita. Wie kommt das? Mit 16 Jahren schloss ich die Schule ab und sollte einen Beruf erlernen. Wie viele andere junge Menschen auch, wusste ich nicht genau, was ich werden wollte. Mir wurde eine Adresse einer Ausbildungsstätte genannt, wo ich mich melden sollte. Auf dem Weg dorthin, entlang der Saale, las ich ein Schild: »Ausbildung zum Binnen­schiffer«. Das fand ich spannend und ich dachte mir, ›gehste da erst mal rein‹. Ich hatte schon immer eine Affinität zum Wasser, ging gerne wasserwandern als junger Mann. Ich stellte mich vor und sie nahmen mich. Somit ging es für mich von Halle nach Kleinmachnow, wo die Ausbildungsstätte war. Dort lernte ich das Binnenschifferhandwerk. Letzten Endes war es reiner Zufall, wie es so oft im Leben ist.

Und wie sind Sie dann zur Arbeit mit Behinderten gekommen? Zufall. Wir hatten in Magdeburg mit unserem Boot im Zollhafen Station gemacht und dort gearbeitet. Abends ging ich als Binnenschiffer gerne ein Bier trinken. Auf dem Weg dahin fand ich in Cracau eine Einrichtung, da stand drauf »Schulbildungsunfähige, Förderungsfähige, Intelligenzgeschädigte«. Das war eine Tagesstätte, die dem Gesundheitswesen der DDR unterstand. Da waren die sogenannten geistig behinderten Kinder untergebracht. Diese Kinder unterstanden nicht dem Bildungs- sondern dem Gesundheitswesen. Ärzte entschieden darüber, was mit geistig behinderten Kindern

geschah. Lehrer oder Schulen gab es für sie nicht. Das interessierte mich sehr, weil ich durch meine Arbeit auf dem Schiff einen jungen Mann kennengelernt hatte, der im Rollstuhl saß und kaum sprechen konnte. Das hatte mich berührt. In dieser Nacht dachte ich, guck dir das irgendwann nochmal an. Ich ging dann zu dieser Tagesstätte, fragte, was das denn für Kinder seien. Mir wurde das kurz erklärt, dann wurde ich zu einer Gruppe geführt. Beim Umgang mit den Kindern merkte ich: Das ist es, was ich machen möchte. Das ist meine Berufung. Einen Tag später fuhr ich zur Zentrale nach Kleinmachnow und kündigte.

Ich finde ­F ehler gut. Ich finde Lebens­ brüche gut, weil dann immer wieder umgedacht wird.

Sie haben Ingenieurpädagogik, Reha­ bilitationspädagogik, Kunstpädagogik sowie Philosophie und Ethik auf Lehr­ amt studiert. Warum so viele Studien­ gänge? Schon als ich noch Binnenschiffer war, wusste ich, dass ich auch mit jungen ­Leuten arbeiten kann. Da bot es sich an, dass ich in Magdeburg Ingenieurpädagogik studieren konnte. Nach vier Jahren an der Elbe ging ich wieder an meine Kleinmachnower Betriebsschule und war dort Lehrausbilder für Binnenschiffer. Haben Sie all diese Studiengänge abge­ schlossen? Ja, das habe ich. Als ich drei Jahre in dieser Tagestätte gearbeitet hatte, gab es

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W o l fra m S tä ps wendezeit war ja alles möglich. So stellte man mir mit den Worten »suchen Sie sich da welche aus« einen großen Karton mit den Akten aller geistig behinderten Kinder in Magdeburg auf den Tisch. Anarchie kann auch etwas Unkompliziertes sein. Ich schaute dann, wo die alle untergebracht waren. In der Tagesstätte war nur ein Drittel. Der Rest war zuhause, in der Psychiatrie, in Krankenhäusern und Kinderheimen. Wir gründeten die Schule, holten sie da raus. Zu dem Zeitpunkt fing ich an, als Schulleiter zu wirken. Das war eine der ersten Schulen für geistig Behinderte in Ostdeutschland.

von dort das Angebot, an der Humboldt-­ Universität zu studieren. 1988 fing ich das an. Nach der Wende ging ich nach Westberlin und ließ mich dort zum Lehrer für Schüler mit geistiger Behinderung ausbilden. Das gab es in der DDR nicht. 1991 kam ich als Diplom­pädagoge zurück nach Magdeburg. Der Teil mit den intelligenzgeschädigten Kindern war noch aus der DDR und die anderen Abschlüsse habe ich nach und nach an der Freien Universität in Westberlin gemacht.

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Wie ging es dann im wiedervereinigten Deutschland für Sie weiter? Nach der Wende hieß es plötzlich, dass auch diese Kinder ein Recht auf Schul­ bildung haben. Da fragte man in Magdeburg, wer sowas schon mal gemacht habe. Ich sagte, dass ich die Ausbildung dazu hätte und dass ich schon mit geistig behinderten Kindern arbeite. In der Nach-

Und wie kam es letztlich dazu, dass sie Kunstpädagoge wurden? Nach dem Aufbau der Schule suchte man händeringend Pädagogen, die eine Kunstausbildung haben. Solche gab es zu DDR-Zeiten nur wenige. Da habe ich mich beworben und berufsbegleitend Kunst­ pädagogik studiert.

Die Schulbildung ist nicht so wichtig, die Bildung als Mensch ist wichtiger.

Interessierten Sie sich schon vorher für Kunst? Ja, schon immer. Ich komme aus einer einfachen Arbeiterfamilie, aber ich wohnte als junger Mann in der Nähe der Kunsthochschule Burg Giebichenstein. Dort sah ich immer die Studenten reingehen, mit einer großen Mappe unterm Arm. Das fand ich toll. Als ich dort angenommen wurde, kaufte ich mir zuallererst so eine Mappe und ging damit durch den Haupt­eingang.


W o l fra m S tä ps (lacht) So was muss man mal machen, das ist wichtig im Leben. Und so kam das mit der Kunst. Später studierte ich noch Ethik und Philosophie auf Lehramt.

Also haben Sie insgesamt vier Studien­ abschlüsse? Ja, das darf ich meinen Söhnen immer nicht sagen, sonst kriegen die gleich wieder ʼne Krise. (lacht) Sie sind nicht nur Schulleiter, sondern auch Vorsitzender des Zinnober-Kunstvereins. Was ist anspruchsvoller, die Schule oder der Kunstverein? Die Schule ist anspruchsvoller. Das habe ich mir bewusst so erschaffen. In der Schule geht es nach Gesetzen und Erlassen. Da muss ich ganz korrekt sein. Im Kunstverein sind die Künstler Erwachsene und haben eine Begabung. Ich sehe uns mehr als Künstlergemeinschaft. Wir sind gleichberechtigt und arbeiten zusammen. Ich mache dort keine Kunstpädagogik, ich mache keine Kunsttherapie. Die kommen mit einer Begabung und die lasse ich so, wie sie ist. Kunst braucht Freiraum, den lasse ich hier auch für mich. Sie sind im Kunstverein also kein Leh­ rer, sondern selbst Vereinsmitglied. Genau, ich male hier auch. Wir sind zwölf Künstler und drei haben keine geistige Behinderung. Wir arbeiten alle gleichberechtigt. Wenn man so will, ist es eine Künstlerkommune.

Gibt es denn auch Gemeinsamkeiten zwischen beiden Tätigkeiten? Ich versuche das wirklich sehr strikt zu trennen. Denn der Verein wird ausschließlich durch Spenden finanziert, die Schule ist staatlich, also aus Mitteln der

Stadt und des Landes finanziert. Und genau deswegen möchte ich das auch nicht vermischen. Damit keine Unklarheiten bei den Kollegen, bei den Künstlern oder bei mir entstehen.

In der Öffentlichkeit ist oft von dem Begriff ›Inklusion‹ die Rede, also der Einbindung von behinderten Men­ schen in den Alltag. Inwieweit ist das in Deutschland gegeben? Ich denke, die Inklusion ist nicht mehr aus der Welt zu bringen und das ist gut so. Wirkliche Inklusion bräuchte aber eine Bildungsreform. Beispielsweise, dass junge Lehramtsstudenten grundlegend in ihrem Studium Inklusion und Behindertenpädagogik lernen. Aber viele Studien­ einrichtungen vermitteln das noch gar nicht. Es kann nicht sein, dass Menschen segregiert, ausgesondert werden. Der Kindergarten lebt es vor. Heißt: Dafür müsste man eine Schullandschaft aufbauen, die die Kinder nicht schon in der fünften Klasse trennt. Da bräuchte man Gemeinschaftsschulen, die bis zur zwölften Klasse gehen. Man bräuchte auch ein entsprechendes Schulgelände. Das sehe ich alles, seit ich Beratungslehrer im Förderzentrum bin und gerufen werde, wenn im gemeinsamen Inklusionsunterricht Probleme auftreten. Was sind da die größten Probleme? Jede Schule kriegt einen Inklusionspool. Sind also 100 oder 200 Kinder in der Grundschule, kann man zwei Förderlehrer einstellen. Die sind dazu da, den Kindern im gemeinsamen Unterricht zu helfen. Aber in diesem Erlass steht auch drin, dass die Schule den Förderlehrer für den regulären Unterricht einteilen darf, wenn ein anderer Lehrer ausfällt.

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Wenn es Langzeiterkrankte gibt, macht der Förder­ lehrer eben keinen Förder­ unterricht, sondern Unterricht in der Klasse. Das ist ein Hauptproblem.

Apropos Inklusion: Sie sind gebürtiger Hallenser. War es schwierig, sich in Magdeburg zu integrieren? Nein. (schmunzelt) Schwierig wird es, wenn der HFC gegen den FCM spielt. Dann weiß ich nicht, was ich machen soll. Meine Hallenser und Magdeburger Freunde fragen mich dann, zu wem ich denn stehe. Am besten gehe ich an dem Tag nicht ins Stadion.

Und jetzt haben die Leute was zu meckern, ist das nicht toll?

Sie leben in Stadtfeld. Was gefällt ­Ihnen da besonders gut? Der Schellheimer Platz gefällt mir gut. Vor allem, wenn er am Wochenende voll ist. Lauter Kinder und junge Eltern. Das erinnert mich an meine Kinder, die nun schon erwachsen sind. Da ist es voller Leben und das gefällt mir sehr.

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Die Baustelle gefällt Ihnen wahr­ scheinlich eher nicht so. Ach, das sehe ich nicht als Problem. Im Gegenteil: Ich finde Veränderungen immer gut. Ich finde Fehler gut. Ich finde Lebensbrüche gut, weil dann immer wieder umgedacht wird. Und jetzt haben die Leute was zu meckern, ist das nicht toll? (lacht) Irgendwann ist die Baustelle fertig und alle freuen sich.

Werden Künstlern in Magdeburg ei­ gentlich viele Steine in den Weg gelegt? Welcher Weg? (lacht) Magdeburg ist traditionell eine Arbeiterstadt. Den Menschen hier steht der Sinn nicht so nach Kunst. Das kommt ganz langsam. Magdeburg hat glücklicherweise unwahrscheinlich gute Künstler. Deswegen bin ich froh, dass sich eine Szene entwickelt, in Buckau zum Beispiel. Wenn ich nach Halle fahre, merke ich allerdings den Unterschied zu der Kunstszene, die es dort schon seit 100 Jahren gibt. Magdeburg entwickelt sich und unterstützt die Kunstszene, indem es Kunstpreise ausstellt. Auch die Sparkasse unterstützt Künstler und die Tessenow-Garagen. In den Ateliers können wir wirken mit unserer Outsider-Kunst. Und mal sehen, was sich durch das Projekt Kulturhauptstadt 2025 alles tut.


W o l fra m S tä ps Hat auch der Zinnober e. V. Projekte, um den Menschen Kunst näher zu bringen? Wir bringen Kunst allein dadurch näher, dass wir mitten in der Beims-Siedlung sitzen, eines der größten Flächendenkmäler der Architektur in Magdeburg. Ich weiß noch, wie man die Treppenhäuser wieder in Farbe gestaltete. Grüne Türen, knallrote Decken, schwarze Treppen­geländer. Die Leute beschwerten sich über zu moderne Farben. Welche modernen Farben? Wir hatten die Originalfarben von 1922 genommen. Dass wir hier unser Atelier haben, ist ein Beitrag.

Magdeburg ist traditionell eine Arbeiterstadt. Den Menschen hier steht der Sinn nicht so nach Kunst.

Von der Künstlerfreundlichkeit zur Be­hindertenfreundlichkeit. Ist Magde­ burg behindertenfreundlich? Sehr. Jedes Kind hat einen Platz in der Schule, unabhängig von Art und Schwere der Behinderung. Nach der Schule gibt es zwei große Werkstätten, die WfbM (Werkstätten für behinderte Menschen, Anm. d. Red.) und die der Pfeifferschen Stiftungen. Beide machen eine tolle Arbeit. Damit ist Magde­ burg sehr gut aufgestellt. So eine soziale Absicherung gibt es global sonst kaum.

Was inspiriert Sie in Magdeburg? Die Elbe. Da ist es von Vorteil, dass ich kein gebürtiger Magdeburger bin. Magdeburger sind oftmals ein bisschen mit ihrer eigenen Stadt im Unreinen. Die sehen die Elbe als Verkehrshindernis. Gott sei Dank ent­

decken die jungen Leute immer mehr die Elbe. Die Elbe inspiriert mich, weil ich dort mit meinen Kindern immer angeln war.

Wie wichtig ist es in der Kunst außer­ halb der Norm zu denken? Es gibt einen schönen Satz. Kunst ist Kunst und alles andere ist alles andere. Das ist für mich der grundlegende Kunstbegriff. Jeder Künstler will außergewöhnlich sein. Da bringen unsere Künstler durch ihre Andersartigkeit im positiven Sinne von vornherein etwas Eigenes, Besonderes mit. Bei unseren Ausstellungen sind Besucher mit akademischer Kunstausbildung oft hoch fasziniert von dieser Art Brut, dieser Kunst aus dem Bauch heraus. Dabei fördern wir vor allem die, die ein Talent, oder ›die Brisanz in ihren Bildern‹ haben, aufgrund ihrer geistigen Behinderung aber nicht studieren können. Mögen Sie lieber moderne Kunst oder eher die alten Meister? Beides. Ohne die alten Meister gäbe es die moderne Kunst nicht.

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W o l fra m S tä ps Nochmal zum Kunstverein: Klein Za­ ches, genannt Zinnober, ist eine Figur aus der Romantik. Sind Sie ein Roman­ tiker? Wer Binnenschiffer war, muss Romantiker sein. Die Augenblicke auf dem Wasser waren die romantischsten meines Lebens.

und Fingernägel mehr gehabt. Weil die Elbe jetzt so schön sauber ist, ist sie noch viel besser geworden, als sie einmal war. Mai 2017

Sind Ihre Kinder auch künstlerisch veranlagt? Wir sind eine Patchworkfamilie. Insgesamt sind es fünf Kinder. Mein großer Sohn ist künstlerisch sehr interessiert und mein kleiner hat überhaupt kein Interesse. Die Mädchen sind immer sehr fasziniert davon, was ich mache. Aber keiner malt selbst.

Sie sind Lehrer. Was wollten Sie ihren Kindern unbedingt mitgeben? Die höchstmögliche Selbstständigkeit in der sozialen Integration. Auch für unsere Schüler ist dies das Wichtigste. Wenn sie lesen und schreiben, aber sich nicht die Schuhe zubinden können, haben wir etwas falsch gemacht. Bei meinen eigenen Kindern ist es die Liebe zueinander, die Achtung vor anderen Menschen und um die Einmaligkeit des Lebens zu wissen. Einer meiner Söhne ist ein bisschen legasthenisch veranlagt. Aber die Schulbildung ist nicht so wichtig, die Bildung als Mensch ist wichtiger.

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Sie sagten bereits, dass Sie mit Ihren Kindern immer am Fluss angeln w ­ aren. Ist die Elbe denn noch dieselbe? Sie ist sogar noch schöner geworden. Zu DDR-Zeiten wurde sämtliche Chemie in die Saale und die Elbe gekippt. Die waren so verdreckt, dass kein einziger Fisch mehr drin war. Wenn man darin baden gegangen wäre, hätte man keine Haare

Vista.Schon? Wolfram Stäps leitet nicht nur den Kunstverein Zinnober e.V., er ist auch selbst als Künstler tätig. Wenn man ihn fragt, woran er Kunst erkenne, antwortet er ›am Kribbeln im Bauch‹. 1991 baute er mit der Förderschule Hugo Kükelhaus eine der ersten Förderschulen für geistig Behinderte in Ostdeutschland mit auf. Beim Lehrpersonal ist er der einzige Mann unter 44 Frauen. Seine Frau bezeichnet er als seine Muse. Seine Liebe zum Wasser lebte er in der DDR nicht nur als Binnenschiffer sondern auch durch wasserwandern aus.


W o l fra m S tä ps MAGDEBURGISCHE GESELLSCHAFT VON 1990 Zur Förderung der Künste, Wissenschaft und Gewerbe e.V.

KULTURschultüte

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KULTURELLE ANGEBOTE FÜR ERSTKLÄSSLER UHLICHSTR.5 39108 MAGDEBURG TEL. 0391-55838739

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Thoma s Kl u ge r

Thomas Kluger »Magdeburg passt zu mir. Klare Ansagen und nicht so hintenrum.« Er ist Vorsitzender der Magdeburgischen Gesellschaft von 1990 zur Förderung der Künste, Wissenschaften und Gewerbe e. V. (MG 90). Von dieser wurde vor elf Jahren die KULTUR schultüte ins Leben gerufen. Ein Beutel mit Gutscheinen für Erstklässler, um ihnen auf eine spielerische Weise Kultur näher zu bringen. Inzwischen ist es eine geschützte Marke, die es nur in Magdeburg gibt. Im Interview erzählt Thomas Kluger von den Anfängen des Projekts, wie ihn sein ehrenamtliches Engagement als amtierenden Richter beeinflusst und wer zu Hause ›die Hosen an hat‹. Interview und Fotos: Jana Bierwirth

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Thoma s Kl u ge r Haben Sie im Gericht schon mal eine falsche Entscheidung getroffen? Das Schöne im deutschen Recht ist der alte römische Grundsatz ›Im Zweifel für den Angeklagten‹. Das gilt im Strafrecht. Im Zivilrecht bei einem Streit unter Bürgern sind die streitenden Parteien die Herren des Verfahrens. Das heißt, sie bringen mir die Beweismittel. Ich bin wie ein Fußballschiedsrichter. Ich gebe nur den Rahmen vor. Es sind die Bürger, die im Prozess sehr stark beteiligt sind. Außerdem bieten die Gerichte zunehmend Mediationen an. Das ist eine Art Schlichtungsverfahren. Es ist das Beste, was passieren kann, wenn die Parteien selbst den Konflikt lösen.

Vom Bankkaufmann zum Juristen. Wie kam es dazu? Ich trat als Bankkaufmann mein Studium an. Das war beruhigend, denn das Jura-Studium ist nicht ohne. 400 Kommilitonen fingen mit mir an, 100 traten das Examen an und davon bestanden 60 die Prüfungen. Da war es gut, schon was in der Tasche zu haben, anstatt mit 25 Jahren ohne etwas dazustehen.

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Die eigentliche Entscheidung fiel aber nach dem Referendariat. Ich hatte dort einen Ausbilder, der Oberlandesgerichts­ präsident war. Er fragte mich, wie ich mich entscheiden würde. Ich sagte, dass ich zur Bank gehe, worauf er meinte, dass ich zur Justiz gehen soll. Die Möglichkeit, abwägen zu dürfen, hat man nicht oft in der freien Wirtschaft.

Hauen Sie zu Hause auch mal auf den Tisch oder halten Sie sich da aus Ent­ scheidungsfragen raus? Juristen sollen ja als Familienmitglied relativ anstrengend sein. Man hat immer Bedenken und das kann der Familie schon ›auf den Zeiger‹ gehen. Ich versuche mich aber zu disziplinieren und auf den Rat der anderen Familienmitglieder zu hören. Ich bin ein Teamplayer. Deswegen bin ich auch so gerne am Landgericht. Dort treffen immer drei Richter zusammen eine Entscheidung, nicht einer alleine. Mir ist in der Familie wichtig, dass alle ihre Meinungen vertreten können. G ­ erade für die Kinder ist das ein Schritt, sich zu selbstständigen Persönlichkeiten zu entwickeln.


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Ihre Frau haben Sie schon im Kinder­ garten kennengelernt. Wie und wann haben Sie sie dann endlich erobert? Kurz nach dem Abitur. Seitdem sind wir zusammen. Sie machen Yoga. Gibt's auch Hobbys, die Sie mit Ihrer Frau zusammen ma­ chen? Der Sport verbindet uns sehr. Sei es Joggen, Rad- oder Skifahren. Ich hoffe, dass ich das noch lange machen kann. Joggen ist so eine Sache mit Mitte 50. Da muss man ein bisschen aufpassen. Auch kulturell ziehen wir gemeinsam los.

Ihre Kinder betreiben Karate. Leonie ist mehrfache Europameisterin und Ihr Sohn Philipp ist Deutscher Meister. Wie unterstützen Sie die beiden? Das fängt schon beim Organisatorischen an. Die Fahrten zum Training zum Beispiel. Das Schöne an Karate ist, dass es ein

ganzheitlicher Sport ist. Natürlich nimmt das einen großen Rahmen ein, aber man kann das nicht übertrainieren. Es ist aber wichtig, dass noch Zeit für andere Dinge bleibt.

Juristen sollen ja als Familien­ mitglied relativ ­anstrengend sein.

Wie viel Hausmann steckt in Ihnen? Ganz viel. Ich bin der Koch in der Familie.

Beeindruckend, aber Hand aufs Herz, wer schwingt den Wischer? Ja gut, das macht dann meine Frau. (schmunzelt) Ihre größte Schwäche sind Gummi­ bärchen, die Sie nachts Ihren Kindern

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Thoma s Kl u ge r aus dem Kühlschrank klauen. Haben Ihre Kinder das jemals mitbekommen? Ja, natürlich. Das wird dann streng ratio­ niert. Es wird auch bis zum Lebensende meine Schwäche bleiben.

Mittlerweile werden wir schon begeistert empfangen.

Was begeistert Sie an Magdeburg? Sich überraschen zu lassen. Wenn man die Antennen ausfährt, dann passieren Dinge. Ich bin ja jetzt schon ein Viertel­ jahrhundert hier. Ich hätte nie gedacht, dass meine Kinder mal Karate trainieren, ich selbst wäre da nie drauf gekommen. Es gibt hier so unglaublich viele Möglich­ keiten. Ich will einfach weiterhin neu­ gierig bleiben. Wo zieht es Sie hin, wenn Sie reisen? Kann sein, dass sich das jetzt ohne die Kinder ein bisschen verändert. Mit den Kindern durchs Museum ist nicht so prickelnd, da geht es eher ans Meer oder in die Berge. Was mich noch sehr reizt sind die Königsstädte in Marokko und die baltischen Staaten. Das sind zwei Jugendträume von mir, die noch auf ihre Erfüllung warten.

Gibt es etwas, das Sie stolz macht? Ein gefährliches Wort. Stolz ist ganz nah am Hochmut. Aber zufrieden bin ich. Und ich möchte das auch nicht so sagen, dass ich ›stolz‹ auf meine Kinder sei. Das engt sie zu sehr ein und drängt sie in eine Ecke. Das assoziiert man nur mit Leistung und das soll bei uns nicht im Vordergrund

stehen. Ich bin froh, wenn sie ihren Weg finden und zufrieden sind.

Haben Sie ein Vorbild? Besonders faszinieren mich Leute, die neben ihrem eigentlichen Fachgebiet ­ noch andere Kernkompetenzen haben. Das ist inspirierend. Der Job als Vorstandsvorsitzender der MG 90 ist ein Ehrenamt ohne Bezahlung. Was spornt Sie an? Ich kann daraus einen Mehrwert ziehen. Als Richter ist der Blick immer retro­ spektiv. Was ist schief gegangen? Ich ­gucke immer auf Probleme. Das ehren­ amtliche Engagement ist genau umge­ kehrt. Da schaue ich in die Zukunft und überlege, wie man etwas positiv gestalten kann.

Wie kam es zu der Idee mit der KULTUR schultüte? Das war ursprünglich eine Stadtrat­ sinitiative der FDP zur Erhöhung der Lesefähigkeit. Dann wurde einstimmig im Stadtrat der Beschluss gefasst, das durch einen Verein fortführen zu lassen. Wir fingen mit einer Papierschultüte an und verteilen mittlerweile einen stabilen Turnbeutel, den die Kinder auch zum Schulunterricht oder zum Sport ver­ wenden können. Das Herzstück ist das Malbuch, in dem die Kinder verschiedene Magdeburger Sehenswürdigkeiten kolo­ rieren können. Das ist auch das Ziel der MG 90. Die Kinder sollen sich frühzeitig mit der Stadt identifizieren. Können Sie eine Entwicklung in dem Projekt wahrnehmen? Ja, ganz deutlich. Um mal die Dimen­ sionen aufzuzeigen: Wir kooperieren mit

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Thoma s Kl u ge r über 80 Schulen. Insgesamt sind das über 3.000 Schüler. Dieses Jahr sind 30 Gutscheine in der KULTUR schultüte. Das wird alles ehrenamtlich organisiert und von Hand gepackt. Die Vereins­mitglieder fahren das selber aus. Das heißt, wir gehen zum Schulleiter und überreichen die neuen Schultüten. Mittlerweile werden wir schon begeistert empfangen. Ein Erfolg, denn anfangs regierte die Skepsis und die Schultüten wurden erst mal in die Ecke gestellt. Wir fragen auch nach, welche Gutscheine im Jahr zuvor gut angenommen wurden. Die Stadt hat sehr viele kulturelle Einrichtungen und das sollte man nutzen. Durch den engen Kontakt verbessern wir die Schultüte von Jahr zu Jahr. Auch das Malbuch mit Texten wird regelmäßig überarbeitet. Die Lesefähigkeit wurde jedenfalls definitiv gestärkt.

400 Kommilitonen fingen mit mir an, 100 traten das Examen an und davon bestanden 60 die Prüfungen.

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Gutscheine, Malbuch, Turnbeutel. Wie viel kostet das gesamte Paket? Man könnte sagen, dass jede Tüte einen Wert von 70 Euro hat. Das geht nur, wenn man permanent am Ball bleibt. Über unsere Mitgliedsbeiträge schaffen wir das Fundament. 120 Mitglieder und 30 Euro Mitgliedsbeitrag. Einzelmitglieder spenden auch ein bisschen mehr. Es ist jedes Jahr ein neues Abenteuer, das alles zusammenzubekommen. Bisher ist es uns immer gut gelungen.

Soll die KULTUR schultüte irgendwann auch außerhalb von Magdeburg ver­ teilt werden? Das ist eine logistische Frage. Der kulturelle Anspruch dürfte dabei nicht verloren gehen. Der Traum wäre es natürlich, wenn die KULTUR schultüte, eine inzwischen geschützte Marke, auch in Bayern an die Erstklässler verteilt wird. Mit freundlichen Grüßen aus der Landeshauptstadt Magdeburg. Wenn es so weit ist, dann haben wir es geschafft.

Wie sehen Sie die Chancen für Magde­ burg zur Kulturhauptstadt 2025 zu werden? Wenn man die Frage so stellt, zweifelt man. Der Weg ist das Ziel. Wir versuchen jetzt, dass sich die Stadt durch viele Aktio­nen so gut wie möglich präsentiert. Man sollte sich auch nicht zwangsläufig nur auf 2025 konzentrieren, sondern daran arbeiten, dass wir weiterhin noch viele Ideen brauchen und umsetzen.

Sie sind ursprünglich aus Heidelberg, aber schon seit 1993 in Magdeburg. Haben Sie es jemals bereut hierher gekommen zu sein? Magdeburg passt zu mir. Klare Ansagen und nicht so hinten rum. Die Lage ist toll. Die Elbe ist ein Teil der Stadt. Für mich hat Wasser was Beruhigendes. Nein, ich bereue es nicht. Der Weg war zu weit, um zu pendeln. Ich musste mir das genau überlegen und habe mich dann gemeinsam mit meiner Frau für Magdeburg entschieden. Ich bin hier verwurzelt. Das ist mein zuhause. Gibt es etwas, das Sie hier vermissen? In Süddeutschland hat das Essen eine andere Bedeutung und einen anderen


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Stellenwert. Das war einfach besser. Hier wird oft alles zwischen Tür und Angel runtergeschlungen.

Wie haben Sie die Entwicklung von Magdeburg in den letzten 20 Jahren wahrgenommen? Stürmisch. Die Stadt hat sich entwickelt, wenn auch mit unterschiedlicher Dynamik. Nur mit der Architektur könnte man etwas mutiger sein. Welchen Teil von Magdeburg mögen Sie am meisten? Magdeburg ist ein Gesamtkunstwerk. Mit dem Fahrrad von Stadtfeld durch das Glacis nach Sudenburg. Ich mag das alles gerne.

Wie würden Sie die Menschen in Magde­burg beschreiben? Bodenständig, nicht so leicht zugänglich, aber wenn man sie geknackt hat, dann für ein Leben lang. Juni 2017

Vista.Schon? Thomas Kluger ist 1963 in Heidel­ berg geboren. Von 1982 bis 1984 arbeitete er bei der Deutschen Bank AG in Heidelberg. Anschließend studierte er Jura an der Universität Heidelberg. 1990 war Thomas Kluger drei Jahre Referendar in Konstanz. Seit 1993 ist er hier am Magdeburger Landgericht als Richter tätig. Magdeburg beschreibt er als unterschätzte, vielschichtige und lebenswerte Stadt.

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Matthias Musche »Ich war auf jeden Fall heiß und wollte ein gutes Spiel machen.« Als Profi und leidenschaftlicher Sportler gehört Matthias Musche übrigens auch zu den Studenten Magdeburgs. Inter.Vista erzählt er, wie er mit Prüfungen umgeht und was er Sportmuffeln rät. Dass seine größte Schwäche die Unpünktlichkeit sei, haben wir bei unserem Treffen auch gemerkt. Ursache war jedoch ein randvoller Terminkalender. In einem kurzen und knackigen Interview in einer Sudenburger Sporthalle verriet er uns auch noch, was seine liebsten Magdeburger Orte sind. Interview und Fotos: Jana Bierwirth und Patricia Rocha Dias

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M atthi a s M u s che immer ganz viel andere Sachen zu machen, wie Tischtennis, Beachvolleyball, Basketball oder Fußball. Ich möchte ab und zu einfach neue Eindrücke sammeln.

Hast Du besondere Rituale vor einem Spiel? Nein, nichts Spezielles. Ich bin nicht so der Ritualtyp, aber wir haben Mannschaftsrituale. Knapp zwei Stunden vor dem Spiel treffen wir uns und dann geht’s los. Aber eigentlich beginnt das schon zwei Tage vorher, wenn wir Videoaufnahmen analysieren und trainieren. Das ist immer der gleiche Ablauf. Vor dem Spiel trinke ich immer eine Cola im VIP-Raum.

Hast Du schon mal verkatert gespielt? Nein, das würde ich auch nicht machen. In der Bundesliga sollte man das sein lassen, aber sicherlich ist das schon mal bei einem Freundschaftsspiel in der A-Jugend vorgekommen.

Du bist schon mit acht Jahren zum SCM gegangen. Was fasziniert Dich so an Handball? Meine Eltern und mein Opa haben schon Handball gespielt, weswegen ich relativ früh mit diesem Sport in Verbindung kam. Mich fasziniert die Schnelligkeit im Sport. Man braucht Kraft, Ausdauer und Beweglichkeit. Außerdem benötigt man ein bisschen Köpfchen, denn Spiele werden ja oftmals im Kopf entschieden.

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Machst Du auch noch anderen Sport? Im Sommerurlaub muss man sich ja ein bisschen fit halten und da versuche ich

Welche besonderen Eigenschaften machen Dich auf dem Spielfeld unent­ behrlich? Leidenschaft und Emotionen.

Du kommst ja viel rum. Was kriegst Du vom Ruf mit, den Magdeburg hat? Ist ja leider nicht der allerbeste. Den besseren Vergleich haben Spieler, die nun woanders spielen, weil die tatsächlich in anderen Städten leben. Das war bei mir noch nicht der Fall. Ich war zweimal für ein paar Monate in Schwerin. Aber da hörte ich nur Gutes über Magdeburg.

Vor dem Spiel trinke ich immer eine Cola im VIP-Raum.

Was machst Du wenn Deine aktive Laufbahn zu Ende geht? Ich studiere jetzt noch Sportwissenschaften und möchte mir die Türen offenhalten, um auch weiterhin im Sport bleiben zu können. Was ich dann wirklich nach mei-


M atthi a s M u s che ner Karriere mache, weiß ich noch nicht genau. Ich hoffe, dass ich noch zehn Jahre Zeit habe, um darüber nachzudenken.

Könntest Du Dir denn vorstellen mal als Trainer tätig zu sein? Ja, aber das ist noch zu weit weg. Ich könnte mir allerdings auch vorstellen, als Polizist zu arbeiten. Mittlerweile kann man sich in ­Sachsen-Anhalt bis zum 34. Lebensjahr bewerben. Wenn ich mit 33 Jahren aufhöre, wäre das noch möglich. Aber da gibt es bestimmt noch einige Optionen.

Du warst bei der Handball-WM in Katar für die Bank geplant. Einen Tag vorher wurde Dir mitgeteilt, dass Du doch spielst. Wie bist Du damit um­ gegangen? Ich habe während des Turniers die erste Woche komplett auf der Bank verbracht und musste mir erst mal ein paar Spiele angucken. Als mir gesagt wurde, dass ich

spielen soll, habe ich mich natürlich riesig gefreut. Ich war auch ein bisschen nervös, aber auf jeden Fall war ich heiß und wollte ein gutes Spiel machen. Kennst Du Stefan Kretzschmar eigentlich persönlich? Ja. Wir haben schon öfter gequatscht. Wir hatten mal einen Mannschaftsabend in Leipzig, den er für uns arrangierte. Er war mit dabei und so kamen wir mal außerhalb der Halle ins Gespräch. Und macht Ihr auch mal eine Kneipentour? Mal so, mal so. Wenn es zeitlich passt und wir mal zwei Tage frei haben, dann geht’s auch schon mal ab. Was sind Deine Ziele? Eher ein Haus oder eine Weltreise? Beides. Aber da muss ich noch ein bisschen sparen.

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M atthi a s M u s che Wenn Du an Deine Kindheit denkst, was kommt Dir als erstes in den Sinn? Ganz viel. Der Wechsel auf das Sportgymnasium war schon ein großer Schritt. Bis ich die Grundschule verließ bin ich aus meinem ›Dorf‹ nie raus gekommen. Die lag nur 200 Meter von meinem Haus entfernt. Ich hatte meine Freunde und Familie dort. Mit elf kam ich dann auf das Sportgymnasium. Da habe ich viele neue Leute kennengelernt. Was würdest Du heute Deinem ›achtjährigen Ich‹ raten wollen? Das ist eine gute, aber auch schwere Frage. Ich würde ihm raten, am Ball zu bleiben und immer gut zu Familie und Freunden zu sein.

Gibt es etwas, was Du bereust und gern korrigieren würdest? Es gibt bestimmt Sachen, die ich heute vielleicht anders machen würde. Aber das passt schon alles ganz gut. Den einen oder anderen Streit mit meiner Schwester würde ich umgehen. Aber das gehört wahrscheinlich auch dazu.

Hast Du denn jetzt ein gutes Verhältnis zu Deiner Schwester? Ja. Wir wohnen in einem Haus. Sie hat die obere und ich die untere Wohnung mit einem gemeinsamen Hof. Mittlerweile streiten wir gar nicht mehr. Früher, als ich zehn und sie 17 Jahre alt war, da hat es schon manchmal gekracht. Jetzt, da wir beide erwachsen sind, ist alles entspannt.

Was ist Deine größte Schwäche? Manchmal Unpünktlichkeit. Ansonsten gibt es einige Kleinigkeiten, die man sicherlich noch verbessern kann.

Wie sieht‘s mit Schokolade aus? Esse ich überhaupt nicht. Auch keine Chips.

Also achtest Du schon sehr auf Deine Ernährung? Ich versuche natürlich gesund zu essen, aber es ist nicht so, dass ich einen Ernährungsplan habe. Wenn ich nach zwei Monaten gesunder Ernährung mal Lust auf Mc Donalds habe, dann ist das auch mal drin. Bist Du Pessimist oder Optimist? Optimist. Ich denke vor einem Spiel immer, dass wir gewinnen und mache mich nicht vorher schon verrückt.

Kannst Du Deinen Optimismus auch auf das Studium beziehen? Ja, wenn eine Prüfung anliegt zum Beispiel. Ich traf mich früher immer mit einem Kumpel, einem alten Mitspieler, zum Lernen. Er studiert das Gleiche wie ich. Vor den Prüfungen war er ziemlich angespannt, obwohl er top vorbereitet und um Klassen besser war als ich. Aber ich war halt der Entspanntere.

Ich glaube, dass die Leute hier sportverrückt sind.

Wie organisierst Du Dein Training während der Prüfungszeit? Genauso. Optimistisch. Wir haben zweimal am Tag Training und dazwischen ist Uni. Dieses Jahr wird es so sein, dass wir während der Prüfungszeit im Trainingslager in Halberstadt sind. Ich werde dann einen Vormittag zurück nach Magdeburg fahren, meine Prüfung schreiben und dann wieder ins Trainingslager zurückkehren.

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M atthi a s M u s che Inwiefern kommt Dir die Uni dabei entgegen? Es gibt einen Sonderstudienplan, den ich mir mehr oder weniger selbst zusammenstellen kann. Wenn ich beispielsweise montags eine Vorlesung um 17 Uhr hätte, würde ich es nicht zum Training schaffen. Da findet sich immer eine Lösung, beispeilsweise die Kurse ein Semester später zu machen.

Was glaubst Du, wann Du mit dem ­Studium fertig bist? Gute Frage. Ich studiere ja jetzt schon eine gefühlte Ewigkeit. Seit 2011. Dazwischen hatte ich allerdings eine P ­ ause, denn wir spielten im Sommer die Junioren-WM. Zu der Zeit schrieb ich keine Prüfung mit. Dann ging ich nach Schwerin und konnte ein Jahr nicht weiter studieren. Dadurch zieht sich das in die Länge. Ich hoffe, dass ich bald fertig bin, aber eine Zeitangabe kann ich nicht machen.

Ich denke vor einem Spiel immer, dass wir gewinnen.

Dein Herz schlägt für den SCM, aber schlägt Dein Herz auch für die Stadt? Natürlich, auch für die Stadt. Ich habe hier viele Freunde und Familie. Die Stadt ist wunderschön mit der Elbe und dem Dom. Ich glaube, dass die Leute hier sportverrückt sind. Das finde ich cool. Ich war schon beim Basketball, Fußball sehe ich ständig und neulich habe ich einem Kumpel beim Kickboxen zugeguckt. Der Hasselbachplatz ist auch super. Ich gehe gern mit meiner Freundin in ein Restaurant. Auch da hat man eine gute Auswahl.

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Was bist Du für ein Beziehungstyp? Soll ich meine Freundin mal kurz anrufen, ob sie uns da helfen kann? (lacht) Ich denke, dass ich zuhause sehr ruhig bin, obwohl ich glaube, dem würde sie nicht so ganz zustimmen. Meine Energie lasse ich beim Training raus. Ansonsten bin ich lieb und nett.

Was ist für Dich typisch magdeburgerisch? Mir wurde mal gesagt, dass die Leute hier sehr direkt sind. Egal wo du hinkommst, sie sagen dir, was ›Phase‹ ist. Ich weiß nicht, ob das so stimmt. Ich bin ja noch nicht so viel aus Magdeburg rausgekommen. Was bedeutet für Dich Heimat? Freunde und Familie.

Was könnte in Magdeburg noch besser sein? Vielleicht mehr coole Shoppingläden zu haben, so wie in Berlin? Wir waren neulich mit der Mannschaft in Berlin und hatten eine Unterkunft mitten in der Stadt. Wir hatten Zeit, einen Spaziergang zu machen und es gab ›eine Million‹ Geschäfte, wo man alles findet. Das Gefühl habe ich in Magdeburg nicht immer. Man kann hier nicht für alles mal eben


M atthi a s M u s che kurz losfahren und es in der Stadt besorgen. Das ist in Berlin anders. Nichtsdestotrotz würde ich dort nie wohnen wollen, weil die Stadt einfach viel zu groß ist. Eigentlich stört mich nichts an Magdeburg.

Gibt es einen speziellen Ort in dieser Stadt für Dich? Hasselbachplatz. Im Liebig oder im M2 sitzen wir gerne mal nach einem Spiel. Den Barleber See mag ich auch.

Also würdest Du den Barleber See dem Neustädter See vorziehen? Ja, aber nicht, weil ich den Barleber See schöner finde. Die nehmen sich da beide nichts. Mein Freundeskreis geht immer zum Barleber See, also gehe ich mit.

muss man sich aufrappeln und es durchziehen.

Also fällt es Dir bei gutem Wetter auch schwer? In der Halle geht es, aber wenn wir im Sommer draußen Training haben, ist es schon schwer. Bei über 30 Grad fällt einem jede Bewegung schwer. Mai 2017

Eigentlich stört mich nichts an Magdeburg.

Wie gehen Deine Kommilitonen damit um, dass Du in der Handball-Bundes­ liga spielst? Manche sind sogar ab und zu beim Spiel. Und in der Uni hatten wir Handball als Vorlesung. Da haben mich schon einige drauf angesprochen, weil ich das natürlich besser kann als die Fußball-Studenten. Wurdest Du von denen schon mal nach einem Autogramm gefragt? Nein, das nicht.

Was rätst Du Sportmuffeln? Besiegt den inneren Schweinehund. Es ist ja oft so, dass man keine Lust hat. Gerade bei gutem Wetter, was ich auch absolut nachvollziehen kann. Aber dann

Vista.Schon? Matthias Musche ist am 18. Juli 1992 in Magdeburg geboren. ­Seine Position beim SCM ist links außen. Neben seinem Verein ist er auch Mitglied der Nationalmannschaft und spielte 2015 bei der WM in Katar. Das Team erreichte dort den 7. Platz. Er lebt in der Landeshauptstadt und beschreibt sie als schön, belebt und direkt.

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Christoph Volkmar »Wir streben an, 1 Prozent aufzuheben und 99 Prozent wegzuwerfen.« Geschichte ist langweilig und verstaubt? Nicht, wenn man PD Dr. Christoph Volkmar fragt. Seit einem knappen Jahr leitet er das Stadtarchiv Magdeburg und spricht mit Inter.Vista über historische Start-Up-Unternehmer, wen er gern mal treffen würde und warum er den schönsten Beruf hat. Außerdem verrät er uns, woher sein F ­ aible für Straßenbahnen rührt. Interview und Fotos: Patricia Rocha Dias und Simone Osterwald

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Überlebt man im Archiv mit einer Stauballergie? Es gibt Staub im Archiv, aber wir versuchen dem beizukommen. Akten haben manchmal den Staub der Jahrhunderte an sich, aber für die langfristige Aufbewahrung werden sie gereinigt und in Kartons verpackt.

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Wie reagieren die Menschen, wenn Sie sagen, Sie seien Stadtarchivar? Ich bekomme interessierte Rückfragen, aber das ist normal, denn das Archiv ist ein kleiner Bereich, was Exotisches. Wenn man erklärt, welche vielfältigen Bezüge zur heutigen und lebendigen Stadtkultur existieren, reagieren sie umso interessierter. Auch an der Kulturhauptstadt-Bewerbung für 2025 ist das Stadtarchiv beteiligt. Außerdem kann der Stadtarchivar sagen: ›Wenn Sie mal was Interessantes gemacht haben, dann landen Sie im Archiv‹.

Wie viele Medien und Materialien hat das Stadtarchiv? In Regalmetern gemessen verwahren wir zirka 7,5 Kilometer Archivgut. Da viele Doku­mente im Dreißigjährigen Krieg verbrannten, haben wir aus den ersten 800 Jahren der Magdeburger Stadt­geschichte aber kaum Unterlagen. Daher versuchen wir Spuren der Magdeburger Geschichte systematisch in anderen Archiven zu entdecken, zum Beispiel in Braunschweig, Wien oder Rom. Magdeburg war im Mittelalter und in der frühen Neuzeit die bedeutendste Stadt im Osten Deutschlands. Fünfmal größer als Berlin. Ich sage immer, wenn man wenig Quellen hat, braucht man zumindest einen guten Historiker. Welche historischen Befunde werden aufbewahrt? Zu den historischen Beständen zählen unter anderem Unterlagen der Bauverwaltung von Magdeburg. Wir verwalten


Chri s toph V ol km a r auch das aktuelle Zwischenarchivgut der Landeshauptstadt. Akten, die nicht mehr benötigt werden, müssen aus Rechtsgründen hier solange liegen, bis Fristen abgelaufen sind.

Ein guter Archivar muss immer auch den Finger am Puls der Zeit haben.

Fliegen dann auch mal interessante Dinge raus? Auf keinen Fall. (lacht) Meine Aufgabe als Archivar ist es, das Material aufzubewahren, das uns in hundert Jahren noch viel über das heutige Magdeburg erzählen kann. Alles andere wird kassiert, das heißt datenschutzkonform vernichtet. Wir streben an, ein Prozent aufzuheben und 99 Prozent wegzuwerfen.

Zurzeit sind Sie dabei Archivgut zu digitalisieren. Wie sieht das denn aus? Wir stellen heute viel analoges Archivgut in digitaler Form bereit, damit man es besser benutzen kann. Dann bleiben Originale gut geschützt im Magazin. Wir arbeiten zum Beispiel mit Ancestry zusammen. Das ist eine Firma, die weltweit Geburten­ -, Heirats- und Sterbebücher online für die Familienforschung recherchierbar macht. Wir gehen aber auch mit ›Digital Born Data‹ um, also Material, das originär digital ist. Das Rechts­amt der Stadt arbeitet nur noch mit digitalen Unterlagen. Das digitale Original muss in einem elektronischen Archiv auf Dauer sicher aufbewahrt werden.

Stichwort Familienforschung. Haben Sie schon in eigener Sache recherchiert? Als ich neun war schrieb ich mir bei meiner Oma einen Stammbaum ab. Der ging leider auf einen Ariernachweis aus den dreißiger Jahren zurück. Aber da war die

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Chri s toph V ol km a r Familiengeschichte bis in die Zeit des Sieben­jährigen Krieges aufgezeichnet. Auch mit größeren Nachforschungen würde man wohl nicht weiter kommen.

Gibt es Kooperationen mit anderen Archiven? Als Reaktion auf die Katastro­ phe in Köln und den Brand der Anna-­Amalia existiert ein Notfallver­ bund der Magdeburger Archive. Dazu gehören unter anderem das Landesarchiv ­Sachsen-Anhalt, das Archiv des Landtages, die beiden Kirchenarchive und das Archiv der Stasiunterlagenbehörde.

Was ist Ihnen bei der Arbeit wichtig? Dass bekannter wird, dass das Stadt­ archiv ein Ort ist, den jeder besuchen kann. Ahnen­ forschung ist ein Thema, das wirklich jeden ins Archiv bringt. Aber auch Heimatgeschichte oder die Geschichte der Straßenbahn in Magde­ burg und anderes. Das Archiv ist eine demokratische Einrichtung. Man braucht keinen Doktortitel, um hier recherchieren zu dürfen. Wie viele Leute nutzen denn das Stadtarchiv? Wir haben im Jahr mehrere tausend Besu­ cher. Oft sind es Multiplikatoren, die Bü­ cher, Reportagen oder Filme produzieren. Dazu kommt eine vierstellige Zahl schrift­ licher Anfragen etwa von Gerichten, von Journalisten, aber auch Privatpersonen. Gibt es auch Geheimes im Archiv? TopSecret? Daten über die Geburt einer Person dür­ fen erst 110 Jahre nach der Geburt online zugänglich gemacht werden. Wenn das Todes­datum der Person bekannt ist, dann

zehn Jahre nach dem Tod der Person. Im Onlinebereich muss man die Schutz­ grenzen höher ziehen, denn diese Daten sind für alle verfügbar. Wenn dagegen Forscher ins Archiv kommen, dann kön­ nen wir konkreter Akten freigeben, und Auflagen wie Anonymisierung vorgeben.

Man braucht keinen Doktortitel, um hier recherchieren zu dürfen.

Haben sie in Ihrer Archivarbeit auch mal etwas Überraschendes heraus­ gefunden? Letztens hielt ich einen Vortrag über August Wilhelm Franke, der hier vor 200 Jahren Bürgermeister war. Interessant ist, dass er auch ein Eisenbahn­unternehmen leitete. Die Stadt Magdeburg erwarb Aktien und verkaufte am Ende sogar mit Gewinn. Also ein Bürger­meister, der auch ein Start-up-Unternehmer war. Ein Start-up-Unternehmer muss einen guten Geschäftssinn haben. Welche Eigen­ schaften benötigt ein Stadt­ archivar? Ein guter Archivar muss immer auch den Finger am Puls der Zeit haben. Wenn man die heutige Stadtgesellschaft nicht ver­ steht, kann man auch nicht dafür sorgen, dass das erhalten bleibt, was zukünftig mal interessant wird. Außerdem sollte er nie die Neugier auf Geschichte verlieren. Ein Archivar muss ein guter Historiker sein. Ich habe Geschichte studiert, promoviert und bin bis heute aktives Mitglied der Historischen Kommission von

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Chri s toph V ol km a r Sachsen-Anhalt. Kürzlich habe ich auch zu einem Geschichts­thema habilitiert.

Als Stadtarchivar blickt man ständig in die Vergangenheit. Was kann man daraus für die Zukunft schließen? Die Vergangenheit ist im modernen Sinn eine kulturelle Ressource. Wenn man da­ rum nicht weiß, kann man keine Zukunft bauen. Die Leute leben viel lieber in einer Stadt, die um ihre Vergangenheit weiß. Auch kleine Details sind wichtig. Wir sind hier zum Beispiel in der Mittagsstraße. In der frühen Neuzeit bezeichnete man die Himmelsrichtungen mit Morgen, Mittag, Abend und Mitternacht. Daher der Straßenname. Wenn ich das weiß, finde ich mich besser zurecht, nicht nur in der Neuen Neustadt.

Was ist Ihr persönliches Talent? Ich bin gut darin, Dingen eine Struktur zu verleihen oder Strukturen zu ent­decken, die in den Dingen liegen.

Ich muss nicht jeden Tag den Rest der Welt davon überzeugen, dass ich den schönsten Beruf habe.

Worüber? Landadel und Reformation im Mittel­ elberaum. Wenn Sie sich fragen, wie die Reformation gesellschaftlich durch­ gesetzt wurde, dann ist immer von den Fürsten und Städten die Rede und manchmal von den Bauern. Aber den landsässigen Adel vergisst man in dieser Darstellung immer. Fünf Jahre habe ich neben meiner Tätigkeit im Landesarchiv in Wernigerode daran gearbeitet. Dort gibt es die größte Sammlung von Adelsar­ chiven in ganz Deutschland.

Beherrschen Sie auch tote Sprachen? Ich habe eine Grundausbildung in Latein. Das hilft, wenn man mittelalterliche Urkunden lesen will. Allerdings ist das mittel­ alterliche Latein gar nicht so schwer zu lesen, weil die Leute damals in der Regel Deutsch gedacht und Latein geschrieben haben. Damit unterscheiden sich vor allem die Syntax und Grammatik deutlich vom klassischen Latein. Das macht es verständlicher. Stört es Sie, dass Ihre Arbeit Sie im ›stillen Kämmerlein‹ sitzen lässt? Mich stört das überhaupt nicht. Ich muss nicht jeden Tag den Rest der Welt davon überzeugen, dass ich den schönsten Beruf habe. (lacht)

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Welche Magdeburger Persönlichkeit aus der Vergangenheit hätten Sie gern mal getroffen? Otto von Guericke. Um herauszufinden, ob er mit seiner Seele mehr Wissenschaftler oder Politiker war. Nach dem Dreißig­ jährigen Krieg war die Stadt zu 95 Pro­ zent zerstört, zwei Drittel der Bewohner waren ums Leben gekommen. Er hat sich wie kein Zweiter bemüht, Magdeburg wieder eine Zukunft zu geben. Ich bin überrascht, dass er Zeit für solch absurde Dinge wie den Halbkugelversuch hatte. Denn in den Augen seiner Zeitgenossen hatte er eigentlich Wichtigeres zu tun.


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War Geschichte Ihr Lieblingsfach in der Schule? Schon. Allerdings mochte ich nicht die Art, wie Geschichte in der DDR vermittelt wurde; nur als eine Abfolge von Klassen­ kämpfen und mit dem Wissen darum, wie die Geschichte am Ende ausgehen musste. Ich fand es spannender Geschich­ te als einen ergebnisoffenen Prozess zu begreifen. Und, Geschichte lebt von Geschichten. So begreifen wir historische Zusammen­hänge am besten. Sie lesen viel. Was denn, eher Krimi oder Historienschinken? Wenn überhaupt, dann Krimi. Aber ich gebe zu, dass ich privat kaum lese, weil ich das den ganzen Tag schon mache. (lacht) Nach Feierabend gehe ich gern in den Garten oder spiele mit meinen Kindern. In den letzten Jahren habe ich wenig Belletristik gelesen.

Ist Ihre Familie auch so geschichts­ interessiert wie Sie? Nein, überhaupt nicht und das finde ich auch sehr gesund. Meine Frau ist Musi­ kerin und unterrichtet Deutsch und Musik an einem Magdeburger Gymna­ sium. Meine Söhne sind sechs und zehn, die sind noch dabei, ihre Interessen zu erkunden. Da wir gerade über Familie reden, was ist denn für Sie Heimat? Heimat ist für mich Mitteldeutschland. Ich habe lange in Leipzig und in Halle gelebt, kurze Zeit in Dresden und jetzt in Magdeburg. Auch wenn es mal Ani­ mositäten zwischen den Städten gibt, soziohistorisch sind es ähnliche Städte. Ich habe mich immer wohl gefühlt in die­ sen Städten. Vor allem, wenn vernünftige Straßenbahnen fahren.

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Chri s toph V ol km a r Und wie ist es heute? In welchem Stadtteil wohnen Sie? Stadtfeld West. Meine Bedingung war, dass es noch in Laufweite zur Straßenbahn liegt. Und sind Sie hier glücklich? Ja, ich bin ganz begeistert. Magdeburg ist eine interessante Stadt, vor allem, wenn man das Spannungsfeld zwischen der manchmal nüchternen Gegenwart und der reichen historischen Vergangenheit erkennt. Magdeburg hat keine Puppenstuben-Atmosphäre, sondern ist eine Stadt mit Weite, die mit neuem städtischen Leben zu füllen ist.

Sehen Sie Magdeburg als Kulturnest oder Kulturhauptstadt? Die Bewerbung für 2025 ist eine große Chance für Magdeburg. Jemand meinte mal, das sei kein Preis, sondern ein Stipendium. Genau so kann man das verstehen. Man wird nicht Kulturhauptstadt, weil man das ›Kultur-Mekka‹ für die Reisenden aus aller Welt ist, sondern weil man als europäische Stadt eine überzeugende Vision entwickelt, wie man sich in der Zukunft kulturell stärker aufstellen kann.

Zu guter Letzt, welche drei Assoziatio­ nen oder Begriffe fallen Ihnen spontan zu Magdeburg ein? Die Größe der Stadt, vor allem historisch gesehen. Die Weite in der Innenstadt, ebenfalls bemerkenswert. Und für die Zukunft ist es aus meiner Sicht der Gang zur Elbe. Die Elbe als Lebensraum in der Stadt.

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Wir haben übrigens alle bisherigen Inter.Vista-Ausgaben für Ihr Archiv mitgebracht. Die werden wir wahrscheinlich eher als Bibliotheksgut aufnehmen, denn wir haben eine Bibliothek mit dem Schwerpunkt Magdeburger Stadtgeschichte von über 20.000 Medieneinheiten. Da ist es genau richtig. Juli 2017

Vista.Schon? PD Dr. Christoph Volkmar ist mit 40 Jahren einer der jüngsten leitenden Stadtarchivare Deutschlands und mit Leib und Seele in Mitteldeutschland verwurzelt. Er ist in Leipzig geboren und studierte Religionswissenschaft, Historische Hilfswissenschaften und Archivwissenschaft in Leipzig, Tübingen und St. Andrews. Nach studien- und arbeitsbedingten Abstechern in die vatikanischen Archive in Rom, nach Marburg und Wernigerode ist er nun seit 2016 Leiter des Stadtarchivs Magdeburg.


Wer fragt, kriegt ­A ntworten. Es ist schlimmer, nervös ­herumzudrucksen, als ­ einen Begriff zu nennen, der eventuell missverstanden werden könnte. […] Einfach offen sein und man ­bekommt Offenheit zurück! Katerine Janietz

www.alles-ueber-interviews.de


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Christian Rathmann »Eine gute Veranstaltung fängt an der Tür an.« Die Musik dröhnt mit 130 Beats in der Minute. Strobo-Licht. Unwirkliche Bewegungen. In der Mitte der sogenannten ›Crowd‹ ragt eine Kamera aus der Menge. Zwei, drei Klackgeräusche, dann bewegt sie sich weiter. Die Kamera gehört Christian Rathmann. Der 28-jährige Student ist Partyfotograf. Inter.Vista erzählt der angehende Lehrer von seinem Job, seinem Lieblingsclub und was sich in der Szene geändert hat. Interview und Fotos: Philipp Schöner

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Christian, Du bist mit dem Fahrrad zum Interview gekommen. Und das im Winter? Das Fahrrad ist mein ständiger Begleiter. Ich fahre damit zu allen Veranstaltungen, bei denen ich fotografiere. Auch nach St. Petersburg bin ich schon mal mit dem Rad gefahren. Das hat vier Wochen und vier Tage gedauert. Und damit gefühlt nicht so lange wie manche Fahrt zu einem Veranstaltungsort bei Nacht und Schneeglätte.

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In Magdeburg bist Du allein unter­ wegs. Die Reise nach St. Petersburg hast Du auch alleine angetreten? Nein, mein guter Freund Georg hat mich begleitet. Den habe ich bei meinem Auslandspraktikum in Stockholm kennengelernt und ihm von meinen Touren und meiner Fahrt nach Paris erzählt. Da wollte er das mal mitmachen. Er ist aber erst auf halber Strecke dazugekommen. Von Magdeburg bis Danzig bin ich allein

gefahren. Er kam mit dem Zug dorthin und anschließend waren wir zu zweit unterwegs.

Ist für 2017 schon eine Tour geplant? Ja, dieses Jahr soll es mit dem Rad zum Nordkap gehen. Dafür haben wir sieben Wochen eingeplant. Wie lassen sich so lange Touren mit Beruf und Alltag vereinen? Ich bin noch Student und die Semester­ ferien eignen sich gut dafür.

Welche Fachrichtung studierst Du? Ich habe fünf Jahre an der ­Hochschule Magdeburg-Stendal studiert. Erst mach­te ich einen Bachelor im Bereich Bauwesen und dann noch einen Master. Seit dem Wintersemester 2016/17 studiere ich Berufsschullehramt für die Fächer Bautechnik und Sozialkunde an der Otto-von-Guericke-Universität.


Chri s ti a n Rathm a nn Warum willst Du Lehrer werden, wenn du schon einen Master in Ingenieurwesen hast? Ich war letztes Jahr nach meinem Studi­ um drei Monate auf Reisen. In Malaysia, Thailand und Kambodscha. Unterwegs wollte ich mir eigentlich als Ingenieur etwas dazuverdienen. Das hat aber nicht geklappt. Stattdessen habe ich eine Stelle als Aushilfslehrer für Englisch in Kam­ bodscha bekommen. Das hat mir so viel Spaß gemacht, dass ich das gerne weiter machen wollte. Im Sommer durfte ich in Magdeburg auch ein paar Flüchtlinge un­ terrichten. Dadurch ist der Wunsch in mir gereift, Lehrer zu werden. Gerade mache ich ein Praktikum in der Berufsschule. Wie kommt man als Ingenieur und angehender Lehrer dazu, nachts auf Partys Fotos zu machen? Das hört sich zunächst nach einem Gegen­ satz an. Aber das ist einfach ein Hobby von mir. Ich wurde schon gefragt, ob ich das nicht hauptberuflich machen möchte, aber mir macht das nur Spaß, solange ich das machen kann und nicht muss. Für welches Magazin arbeitest Du im Moment? Ich arbeite seit sechs Jahren für das Stadt­ magazin DATEs. Vorher habe ich für die Jugendseite der Volksstimme gearbeitet.

Nur als Fotograf? Nein, ich schreibe auch Artikel und bin journalistisch tätig. Die Hauptintention dafür war, dass ich in Deutsch immer relativ schlecht war. Ich konnte mich gut ausdrücken, hatte gute Ideen, aber die Rechtschreibung war eine Katastrophe. Ich wollte mich verbessern und habe

dadurch angefangen, viele Texte zu schreiben.

Und wie bist Du dann bei DATEs gelandet? Die Volksstimme war mir ein bisschen zu allgemein. So ein Stadtmagazin ist ein bisschen cooler und hipper. Und ich habe es bisher nicht bereut. Man wird akkre­ ditiert und geht zu Veranstaltungen und Konzerten, zu denen man sonst nicht ge­ hen würde. Dadurch lernt man die Stadt nochmal aus einer anderen Perspektive kennen. Das ist das Attraktive an dem Job.

Früher war man der zweite Star ­neben dem DJ.

Wie viele Partys fotografierst Du im Monat? Das ist unterschiedlich. Am Monatsanfang bekommen alle Fotografen eine Liste, auf der man sich eintragen kann. Man kann so viele machen, wie man schafft. Bei mir sind es durchschnittlich zwei bis drei Veranstaltungen pro Monat. Da es ein Nebenverdienst ist und man davon nicht reich wird, ist mir wichtig, dass ich mich mit der jeweiligen Party auch identifizie­ ren kann. Also ändern sich die Partylocations jeden Monat? Jeder Fotograf hat so sein eigenes Metier und bleibt dem im Großen und Ganzen auch treu. Keiner möchte in das Revier eines Kollegen eindringen, um nicht mit den Bildern des Anderen verglichen zu werden. Es wäre wirklich doof, wenn die Leute sagen, dass deine Bilder besser seien als die eines anderen Fotografen.

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Chri s ti a n Rathm a nn Das klingt nach Rivalität? Nein. Eigentlich ist es ein sehr kolle­ gi­ aler Umgang. Sowohl unter den DATEs-Fotografen, als auch mit Fotografen von anderen Portalen.

Welche Veranstaltungen machst Du am liebsten? Am liebsten fotografiere ich auf Konzerten. Partys im elektronischen Bereich finde ich auch gut. Da DATEs ein anzeigenfinanziertes Blatt ist, gibt es Veranstaltungen, zu denen man gehen muss, auch wenn es einem nicht ganz entspricht.

Was ist an Konzerten so besonders? Die Livesituation. Als Fotograf darf man in den Graben vor der Bühne und kommt den Künstlern sehr nahe. Man darf zwar dort nur während der ersten drei Lieder Bilder machen und keinen Blitz verwen-

den, aber das sind trotzdem immer sehr erinnerungswürdige Momente.

Wie viele Bilder machst Du pro Abend? Ich würde sagen 200 bis 300. Davon kommen 30 bis 50 ins Internet. Ausnahmen sind Festivals, da mache ich schon mal über 1.000 Bilder.

Auf wie vielen Veranstaltungen warst Du während Deiner Laufbahn schon? Ich mache das jetzt seit zehn Jahren. Da war ich sicher schon auf über 300 Veranstaltungen.

Sind Dir in dieser Zeit Veränderungen in der Partyszene aufgefallen? Diese Branche und dieser Job haben sich sehr gewandelt. Früher musste man im Club einfach nur eine Kamera hochhalten und die Leute sind über einen hergefallen. Man war sozusagen der zweite Star neben dem DJ. Heute sind die Leute nicht mehr so fixiert darauf. Deswegen ist es schwieriger geworden, gute Fotos zu bekommen. Worauf achtest Du, wenn Du auf Partys fotografierst? Ich bin ein Freund von indirekten Bildern. Das heißt, dass ich die Leute am liebsten ohne Blitz fotografiere und versuche, sie in der Szene aufgehen zu lassen. Ich möchte Menschen zeigen wie sie sind, statt irgendwelche frisierten, hochtupierten Leute frontal zu fotografieren.

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Wie funktioniert das? Man trifft auf Partys immer wieder die gleichen Menschen. Da weiß man irgendwann einfach, wer wie miteinander reagiert. Es ist mir wichtig, meinen eigenen Stil einfließen zu lassen.


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Du erwähntest bereits, dass man da­ von nicht reich wird. Was ist Deine Mo­ tivation, den Job trotzdem zu machen? Ich bin stark verwurzelt in der Magdeburger Club- und Kulturlandschaft. Es ist mir wichtig, Veranstalter und Kollektive zu unterstützen. Wenn die Stadt keine Leute hat, die so etwas machen, ist das schlecht. Sowohl für mich als auch für alle anderen Magdeburger. Ohne Clubszene erscheint eine Stadt immer unattraktiver. Das Coole ist, dass ich nicht der Einzige bin. Viele Fotografen haben angefangen, sich anderweitig in der Szene einzubringen. Einige machen Pressearbeit, andere organisieren Livestreams. Dadurch macht man sich ein Gesicht und einen Namen.

Welchen Veranstaltungsort magst Du am meisten? Ich finde die Datsche sehr schön. Dort bin ich immer wieder gern und mache auch Bilder. Die Kunstkantine gefällt mir auch gut.

Wo gehst Du nicht so gern hin? In den First Club in Magdeburg. Das liegt aber nicht daran, dass ich den Club nicht gut finde. Es ist einfach nicht mein Stil, nicht meine Altersgruppe. Generell sollte man mit Wertungen vorsichtig sein. Die einen finden Veranstaltungen gut, die anderen nicht. Das ist Geschmackssache.

Das Fahrrad ist mein ständiger Begleiter.

Gibt es etwas, dass Du an der Magde­ burger Clubszene schlecht findest? Mir fehlt hier ab und zu Vielfalt. Magdeburg ist sehr elektrolastig und ich finde, dass es mehr Hip-Hop-Partys oder Veranstaltungen mit anderen Musik­genres geben sollte.

Was gefällt Dir an deinem Job? Ich freue mich, wenn Leute meine Fotos als Profilbilder bei Facebook nutzen

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oder wenn Künstler meine Fotos auf ihren Inter­ netseiten einbinden. Es ist zwar immer ein bisschen schade, wenn die Nennung vergessen wird, aber ich vermute dahinter keine böse Absicht. Fast das Schönste am Job ist, dass man immer wieder neue Leute trifft. Es spült einem Leute ins Leben, die man sonst nie kennenlernen würde.

Mir macht das nur SpaSS, solange ich das machen kann und nicht muss.

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Und was stört Dich? Wenn Türsteher unfreundlich sind. Eine gute Veranstaltung fängt an der Tür an. Vielen Security-Leuten ist wahrscheinlich gar nicht bewusst, dass sie direkt die Party und den Veranstalter repräsentieren. Wenn schon am Einlass maulige und

unmotivierte Leute stehen, ist das schade. Ansonsten bedauere ich, dass die fetten Jahre in der Partyfotografie vorbei sind. Als ich anfing, gab es sicher 200 Partyfotografen. Jetzt machen das nur noch einige wenige.

Bist Du schon mal nach Hause gegan­ gen, weil auf einer Party zu wenig los war? Ja, klar. Es bringt dann auch nichts, Bilder zu machen. Einerseits, weil man womöglich nicht genug zusammen bekommt, um sie hochladen zu können. Andererseits muss man auch bedenken, dass man einem Veranstalter schaden kann, wenn man Bilder veröffentlicht, auf denen nur zwei oder drei Leute zu sehen sind. Das mache ich nicht. Das ist nicht mein Stil. Wie schwierig ist es, Studium und Party­fotografie zu vereinen? Ich kann selbst entscheiden, wann ich auf Partys gehe und wie viele Veranstaltun-


Chri s ti a n Rathm a nn gen ich im Monat besuche. Wenn ich mal Stress habe, dann lasse ich auch mal eine Party aus.

Wie lange bist Du mit einer Fotoserie beschäftigt? Das nimmt insgesamt etwa sechs Stunden in Anspruch. Dazu zählen 30 Minuten Anund Rückfahrt, zwei bis drei Stunden auf der Veranstaltung selbst und nochmal ein bis zwei Stunden Bearbeitung.

Was ist Dein persönliches ›Magde­ burg-Gefühl‹? Das verbinde ich mit dem Dom. Wenn man viel unterwegs war und wieder zurückkommt, löst der Anblick immer ein Heimatgefühl aus. Er ist für mich das Wahrzeichen der Stadt. Ich würde Magde­ burg für keinen anderen Ort verlassen. Februar 2017

Ich fotografiere am liebsten ohne Blitz.

Wohnst Du zentral, damit Du schnell überall hinkommen kannst? Ich wohne am Fuchsberg, also relativ zentral.

Was gefällt Dir an der Wohngegend? Im Innenhof meiner Wohnung steht eine Tischtennisplatte. Das fetzt total. Wir spielen da auch im Winter. Außerdem gefällt mir die Nähe zum Stadtpark. Ab und zu gehe ich an der Elbe angeln, da habe ich es nicht weit. Außerdem gefällt mir, dass es dort noch viel Altbausubstanz gibt. Ich bin in einer ›Platte‹ nahe der Festung Mark in der Stadtmitte aufgewachsen. Wo bist Du am liebsten, wenn Du nicht nachts unterwegs bist? Alte Industrieruinen ziehen mich an. Ich bin gerne an der Hyparschale. Die Elbe ist auch ein Ort, an dem ich mich oft aufhalte. Zum Angeln, Sitzen und Chillen. Ich könnte mir nicht vorstellen, in einer Stadt ohne Fluss oder Meer zu leben.

Vista.Schon? Christian Rathmann ist 28 ­ Jahre alt. In seiner Freizeit tourt er gern und ausgiebig mit dem Rad quer durch Europa. So fuhr er unter anderem nach St. Petersburg. Wenn er nicht gerade durch den Sucher seiner Kamera guckt, studiert er Berufsschullehramt in Magdeburg. Weil er so oft mit dem Fahrrad unterwegs ist, sieht man ihn häufig mit einem hochgekrämpelten Hosenbein. Magde­ burg beschreibt der Fotograf als ruppig, grün und wandelbar.

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Chri s ti a n Rathm a nn

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Lars Johansen »Magdeburg ist intelligentes Indie-Kino.« Vereinsvorsitzender, Koordinator, Filmkritiker, vielbeschäftigter Autor und Kabarettist. Die Liste an Aktivitäten, die der sogenannte ›Magdebürger‹ Lars Johansen vereint, reicht für mehr als ein Leben. Dem gebürtigen Hannoveraner macht all die Arbeit Spaß. Welchen ersten Eindruck er von Magdeburg hatte und wieso er damit gleich einen wütenden Leserbrief verursachte, erzählt er uns im Interview. Außerdem hat er ziemlich exakte Vorstellungen, wie Magdeburg als Film aussehen würde. Interview und Fotos: Philipp Schöner

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L a rs J o ha ns e n Der deutsche Kabarettist Wolfang Neuss sagte einst: »Mein Geheimnis ist es, mich stets so dumm zu machen wie mein Publikum. Gerade so weit, dass sie glauben sie seien so gescheit wie ich.« Was ist Ihr Geheimnis für gute Kabarett-Darbietungen? Man muss sich manchmal auch so klug machen wie das Publikum, denn es gibt ja durchaus unterschiedliche ›Publikümer‹. Dafür gibt es keinen Trick. Bei einer Live-Veranstaltung sollte man einen gemeinsamen Flow haben. Das ist jedesmal anders. Was zählt ist: Vorbereitet sein, klare Linie und Prämissen haben, an die man sich hält und das auf der Bühne rüberbringen. Wie wird man eigentlich Kabarettist? Muss man dafür studieren? Die beste Grundlage dafür ist, es machen zu wollen. Ich hatte das Glück, schon in der Schule Kabarett spielen zu können.

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Später haben wir uns in Hannover zusammengetan und uns Lehrer für verschiedene Bereiche gesucht. Akrobatik, Stimme, Spiel und anderes. Dadurch habe ich Grundlagen mitbekommen. Ich hatte auch einen Theater-Workshop bei Heinrich Pachl. Von ihm gibt es einen schönen Ausspruch: »Theater muss wie Fußball sein.« Das ist sehr wahr. Das Publikum muss mitgehen können und das Kabarett spüren. Außerdem habe ich Theater­ wissenschaften in Gießen studiert.

Ich reise in Büchern und Filmen.

Was war Ihr Diplomthema? Kabarett in Film und Fernsehen. Die Arbeit ist Gott sei Dank irgendwo verschollen, weil sie nicht brillant ist. (lacht) Ich hatte mich verschätzt, denn das Gebiet war sehr groß. Es gibt wenig ordentliche


L a rs J o ha ns e n theoretische Literatur über Kabarett in Deutschland.

Haben Sie sich jemals als Wissenschaftler gesehen? Nach der Diplomarbeit habe ich gewusst, dass ich es nicht bin. (lacht) Vorher dachte ich, dass ich wissenschaftlich arbeiten könnte. Seit ein paar Jahren schreibe ich öfter über Filme. Es ist nicht wirklich wissenschaftlich, das weiß ich. Aber ich versuche mich von der theoretischen Ebene zu nähern und Dinge zu zeigen. Ich habe beispielsweise zusammen mit anderen Autoren ein Buch über den italienischen Horrorfilm-Regisseur Lucio Fulci geschrieben und seit vielen Jahren mal wieder richtig wissenschaftlich gearbeitet. Das hat Spaß gemacht. Vor dem Diplom kommt logischer­weise erst mal die Studienzeit. Wie war Ihre? Ich hatte den Luxus in Gießen studieren zu dürfen. Da waren wir insgesamt 16 Leute im Matrikel. Das war für einen Theaterstudiengang sehr gut. Es gab tolle Dozenten. Robert Wilson hatten wir mal da. Willem Dafoe konnte ich in Gießen live auf der Bühne sehen. Ich habe mit großen Augen staunend zugeguckt, was es alles gibt. Und wie hat Sie das beeinflusst? Ich konnte einige Zeit nicht spielen, weil ich von den hochintellektuellen Performances meiner Mitstudenten beeindruckt war. Ich guckte zu und verstand nur die Hälfte. Ich dachte erst, ich sei nur ein kleines Würstchen. Irgendwann merkte ich aber, dass manche Sachen gar nicht so brillant waren. Nach einiger Zeit fanden wir in der Stadt einen Raum, der der Uni gehörte, den aber keiner nutzte.

Gemeinsam mit einem Freund machte ich dann wieder Kabarettaufführungen.

Wie viele Semester haben Sie studiert? 1986 fing ich in Gießen an, 1992 dann Abschluss mit Diplom. Ich muss allerdings zu meiner Schande gestehen, dass ich vorher schon drei Jahre vergeblich Germanistik, Geschichte und Sozial­ wissenschaften in Hannover studierte. Aber ich merkte, dass es das nicht ist. Meine Eltern waren so nett diesen Weg mit mir zu gehen.

Fahren sie noch regelmäßig nach Gießen und besuchen alte Kommilitonen? Nein. Ich bin seit 1994 in Magdeburg. Wenn man seit über 20 Jahren aus einer Stadt weg ist, dann ist man wirklich weg. Meine alte WG gibt es noch. Da wohnen sogar noch Leute drin, die ich kenne. Wir haben uns mal getroffen. Aber generell sieht man sich nur noch wenig.

Humor ist überall anders. Humor ist auch jeden Abend anders.

Wie sind Sie letztendlich in Magdeburg gelandet? 1992 hab ich aufgehört zu studieren und zunächst als Buchhändler gearbeitet. Nebenbei war ich Kabarettist. Ich stand vor der Entscheidung: Buchhändler oder Bühne? Als mein Vater starb, dachte ich, wer weiß wie lange ich noch lebe. Am 1. Januar 1994 kündigte ich deshalb. Kurz darauf zeigte mir ein Kommilitone eine Stellenausschreibung eines Dresdner Kabaretts, auf die ich mich bewarb. Die Stelle wurde anders besetzt, aber sie

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L a rs J o ha ns e n schickten meine Bewerbung an ein Kabarett nach Magdeburg weiter, die mich dann anriefen. Nach zwei Vorsprechen wurde ich Autor und Darsteller.

Ich finde es auch unverzeihlich, wenn man sich auf Kosten von Minderheiten amüsiert.

Was hat Magdeburg, was andere S ­ tädte nicht haben? Die Elbe. Die Stadt ist durch drei grundlegende Veränderungen gegangen. Das finde ich faszinierend. Der Dreißigjährige Krieg, die Besetzung durch Napoleon sowie die Zerstörung im Zweiten Weltkrieg und der anschließende Wiederaufbau mit sozialistischer Prägung. Diese drei Schichten treffen unmittelbar aufeinander und lassen Bilder entstehen, die scheinbar nicht zusammenpassen. Da steht das Hundertwasserhaus neben dem Dom, Plattenbauten neben Gründerzeithäusern. Zusammen ergibt das ein einzigartiges und interessantes Stadtbild.

Wie war Ihr erster Auftritt als Kabarettist in Magdeburg? Daran erinnere ich mich kaum noch. Der Regisseur und Hauptautor ging kurz vor der Premiere von Bord und wir mussten alles kurzfristig umschmeißen. Er war nicht der Größte und Umjubeltste der Welt. Aber er war gut.

Wurden Sie schon mal wegen kritischen Aussagen angefeindet? Das passiert natürlich. Ich hatte neulich eine Begegnung in der Straßenbahn.

Ein Anhänger der AfD meinte, dass er mich und meine Programme nicht mag. Wir hatten ein Gespräch und am Ende meinte er, dass er mich immer noch nicht mag, aber meine Aussagen jetzt besser verstehe. Auch Lutz Trümper kam schon auf mich zu und fragte mich, was ich denn schon wieder für einen Mist erzählt hätte. Aber wenn man es schafft, dass sich jemand getroffen fühlt, dann hat es funktioniert.

Sozialkritisch und humorvoll ist man heute häufig auch bei Lesungen und Vorträgen. Ist Poetry Slam das neue Kabarett? Interessantes Stichwort, denn was ist Kabarett? Das Wort kommt aus dem Französischen und bezeichnet eine Drehscheibe mit Essen, wo sich jeder das nehmen kann, was er gerne möchte. Begründet wurde das Kabarett im 19. Jahrhundert. Da stellten sich Studenten gegenseitig Sachen vor. Es wurde gelesen, gesungen, aufgeführt. Für mich ist Poetry Slam eine alte Form des Kabaretts. Slam wie auch Comedy und Liedermachen, alle diese Formen gehören zu dieser drehbaren Scheibe. Sie sind nicht nur als Kabarettist, sondern auch als Kulturschaffender und Vereinsvorsitzender des Offenen

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Kanals und des Moritzhofs unterwegs. Was machen Sie denn, wenn Sie mal ausspannen wollen? Genau das. Ich habe den Luxus, dass ich das, was ich gerne mache, auch beruflich mache. Das sind Dinge, die für mich keine lästige Pflicht sind, sondern die mir Spaß machen. Ansonsten gehe ich gerne zu Bühnenaufführungen, gucke Filme und lese Bücher. Wo holen Sie sich die Ideen für Ihre Arbeit? Von überall her. Ich habe keinen Führerschein, weswegen ich Bahn fahre. Da hört man viel. Ich habe Internet. (lacht) Ich lebe mitten in der Stadt. Mich quatschen Leute oft einfach an und sagen, dass sie was für mich hätten. Normale Gespräche mit netten, normalen Leuten bringen oft am meisten.

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Ihre nicht ganz so geheime zweite Leidenschaft ist das Kino. Erzählen Sie mal. Schon als Kind ging ich gern ins Kino. Im Studium organisierten wir während

des ersten Golfkrieges ein autonomes Filmseminar. Wir haben uns mit dem Thema Medien und Krieg auseinandergesetzt und Filme vorgestellt, über die wir anschließend diskutierten. So haben wir uns ein filmgeschichtliches Grundgerüst zugelegt.

Das sind keine Menschen, die spontan und fröhlich hüpfend durch die StraSSen eilen.

Was ist Ihr Lieblingsfilm? Das wechselt. Im Moment ist es Suspiria von Dario Argento aus dem Jahr 1977. Eine Geschichte, die in einer Art ­Fantasie-München und -Freiburg spielt. Allerdings liegen in der Geschichte Freiburg und München nur fünf Minuten durch einen finsteren Märchenwald voneinander entfernt. Deutschland durch die Augen eines Italieners. Ein sehr intelligenter und toller Film.


L a rs J o ha ns e n Sprechen Sie auch Italienisch? Nein. Ich hatte in der Schule neun Jahre lang Latein und deswegen das große Latinum. Ich kann mir Sachen herleiten, aber ich würde lügen, wenn ich sage, dass ich Italienisch spreche.

Wenn es hier heiSSt, dass etwas nicht ganz so scheiSSe war, dann war es wohl schon recht gut.

Reisen Sie gerne? Nach Italien? Ich bin niemand, der gerne und viel reist. Ich reise lieber in Büchern und Filmen. Einmal im Jahr gibt es ein Treffen eines Italoforums. Immer in einer anderen Stadt. Da fahre ich hin. Ich kenne Rom, weil ich mal da war. Aber ich bin kein Reisender. Den Lieblingsfilm hatten wir schon. Wer ist Ihr Lieblingsschauspieler? Das ist tatsächlich jemand, den jeder mag – Robert DeNiro. Er hat zwar nicht unbedingt in Italo-Filmen mitgespielt, aber er hat jahrelang einen Haufen sehr guter Filme gemacht.

Wenn Magdeburg ein Film wäre und Sie müssten eine Rezension darüber schreiben, was würde da drin stehen? Magdeburg ist ein Independent-Film. Einer von den ganz Großen ist er nicht, auch kein Blockbuster. Magdeburg ist intelligentes Indie-Kino, das sich mit Themen beschäftigt, mit denen sich nicht jeder große Film befasst. Hier und da wackelt die Kamera mal ein bisschen – auch aus finanziellen Gründen. Der Ton ist ab und

an nicht perfekt. Dadurch entsteht etwas sehr Rohes und Authentisches mit einer sehr bewegenden Kamera, die eine Stadt zeigt, die sich im und am Fluss befindet und sich ständig verändert. Und dadurch tut er genau das, was ein guter Film auch macht – eigene Sehweisen überprüfen und verändern. Wie Magdeburg. Mai 2017

Vista.Schon? Lars Johansen wurde 1963 in Hannover geboren. Bevor er Thea­ terwissenschaften in Gießen studierte, absolvierte er ein Studium der Germanistik, Geschichte und Sozialwissenschaften in seiner Heimatstadt. Mit 30 Jahren entschloss er sich dann haupt­beruflich Kabarettist zu werden und war ab 1994 im Magdeburger Kabarett Zwickmühle aktiv. Wenn er nicht gerade auf der Bühne steht, schreibt er Filmkritiken und würde gerne auch noch einen Roman verfassen. Die ersten drei Worte, die ihm zu Magdeburg einfallen sind: Stadt am Fluss.

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Ja na M a j e ws ki

Jana Majewski »Ich bremse auch für Ratten.« Ein Sprichwort sagt, der Hund sei der beste Freund des Menschen. Allerdings gibt es viele Hundehalter, die diese Freundschaft nicht erwidern oder sogar mit Füßen treten. Wortwörtlich. Um solche Fälle kümmern sich Menschen wie Jana Majewski. Ihr Altenheim für Hunde bietet Tieren ein Zuhause, die sonst keines mehr finden und beherbergt Hunde, bis sie die ›Regenbogenbrücke‹ beschreiten. Im Interview erzählt sie, wie ihre Liebe zu den Tieren entstand, was ein Fußballverein aus Gommern mit dem Altenheim zu tun hat und warum Imker beinahe den Verein ›gefährdeten‹. Interview und Fotos: Jennifer Fiola

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Ja na M a j e ws ki Worin unterscheidet sich Euer Heim von einem Tierheim? Wir werden nicht staatlich subventioniert. Die Hunde sind hier nicht eingesperrt. Sie verbringen den ganzen Tag draußen auf dem Gelände, können sich frei bewegen. Im Tierheim weiß man meistens, wie alt die Hunde sind, wir nicht. Wir können das Alter nur am Zahnstatus schätzen.

Wie viele Hunde können Sie aufnehmen? Wir haben Platz für sechs Hunde, die ständig bei uns leben. Jeder hat seine eigene Hütte. Wir haben eine Quarantäne­ station für einen zusätzlichen Hund. Da kommen neue Hunde oder Notfälle rein. Wir halten es klein, damit wir uns um jeden einzelnen Hund kümmern können. Woher kommen die Hunde? Größtenteils aus dem Tierschutz. Das sind Tiere, die es besonders schwer im Leben hatten und nicht mehr vermittel-

bar sind wie Malina mit ihrem entstellten Bein. Mascha ist zu alt und arthrotisch. Bela ist in sieben verschiedenen Familien gewesen und er wurde immer wieder abgegeben. In den letzten Jahren kamen auch viele ›ausländische‹ Hunde nach Deutschland. Davon sind wir nicht unbetroffen. Die Tierheime fragen an, ob wir einen Platz frei haben. Dann gucken wir uns an, ob die Hunde integrierbar sind. Was ist das Besondere an Eurem An­ satz? Wir sind ein kleiner Verein von neun Leuten. Keine festen Zeiten. Und wir betreiben keine aktive Vermittlung. Die Hunde verbringen bei uns ihren Lebensabend, wir sind ihre Endstation. Das ist eine Herzenssache.

Wer hatte die Idee für ein Hundealten­ heim? Birgit Kriese rief das Altenheim vor zehn Jahren ins Leben. Es ist aus einem Pilotprojekt entstanden. Sie war damals im Stadtrat und hatte viel mit der Tierpartei zu tun. Das Heim gab es zu der Zeit noch nicht in der Form. Es war im Aufbau und bestand aus einem kleinen Trupp.

Und wie sind Sie dazu gekommen? Ich ging ins Tierheim, weil ich durch die Arbeit nicht die Zeit hatte, mir selbst einen Hund zu halten. Mit einem Hund spazieren gehen konnte ich aber. Bei einem Tierheimfest durfte sich das Altenheim vorstellen und ich wollte mitmachen. Ich wurde gleich zum Schatzmeister gemacht und ich bekam einen Haufen Kisten mit Unterlagen zum Sortieren hingestellt. Somit hatte ich schnell Einblick in sämtliche Finanzen und den Schrift­verkehr.

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Wer leitet das Heim? Wir haben eine Vorsitzende und einen dreiköpfigen Vorstand. Die entscheiden gemeinsam. Wir machen keinen zum Chef.

Eingreifen würden wir alle, dafür kann ich meine Hand ins Feuer legen.

Wie wird die Arbeit im Altenheim auf­ geteilt? Aktiv kümmern sich sechs Mitglieder um die Tiere. Die anderen holen das Geld ran, machen Flohmärkte, gehen zu Firmen. Alles ehrenamtlich. Wie schätzen Sie denn die Magde­ burger diesbezüglich ein? In Magdeburg gibt es drei ›Ehrenamts­ tage‹, an denen das Ehrenamt in Magdeburg vorgestellt wird. Das zeigt schon, wie ehrenamtsfreudig die Magdeburger sind. Viel wird über das Familienhaus im Nord-

park gemacht. Es gibt auch eine Menge Tierschutzvereine. Da helfen vorwiegend ältere Leute, aber auch Studenten.

Wie ist die Zusammenarbeit mit ­diesen Tierschutzvereinen? Tierschützer untereinander sind nicht die besten Partner. Wenn man Hilfe braucht, unterstützt man sich, aber ansonsten haben wir wenig Kontakt. Wenn wir Katzen­ futter bekommen, geben wir es zum Beispiel an den Katzengnadenhof weiter, umgekehrt genauso. Telefonischen Kontakt haben wir auch zum Tierschutzverein 1893 Magdeburg und zu den Tierheimen in Burg, Wolmirstedt, Bernburg. Wenn wir etwas nicht gebrauchen können, geben wir es gerne weiter. Habt Ihr noch mehr Unterstützer? Seit ein, zwei Jahren hilft uns ein Fußballverein in Gommern. Sie helfen uns bei größeren arbeitstechnischen Sachen wie Hütten streichen oder Holz beschaffen. Zudem spendet ein Arzt aus Magdeburg jeden Monat Futtergeld. Ein großer

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Unterstützer ist die Abfallwirtschaft in Magdeburg. Sie hat uns das Gelände zur Verfügung gestellt.

Gab es auch mal Gegenwind? Ja, von eigenen Leuten, die Mehrheits­ entscheidungen nicht mittragen wollten. Sie versuchten uns über das Internet massiv kaputtzumachen. Es ging zum einen um die Finanzen, zum anderen um die Tierhaltung. Die Finanzen sind aber belegbar. Wir haben alle viel Hundeerfahrung, sind aber trotzdem keine Profis. Wir sind nur lieb zu den Hunden und mehr brauchen sie teilweise gar nicht. Man kann einen Verein schnell kaputtmachen, indem man irgendwas in die Welt setzt.

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Und von außen? Einmal sollte das Heim zugemacht werden. Wir hätten das Gelände verloren. Dort sollte dann eine Streuobstwiese für Arbeitslose entstehen. 2013 haben sich Imker aufgeregt, dass wir das Gelände haben. Wir durften den Rasen nicht mähen, weil Bienen auf die Wiese sollten. Wir

hatten aber durch die Stadt Magdeburg Unterstützung und konnten das abwehren. Gibt es ein Mindestalter für die Auf­ nahme im Altenheim? Ja, zehn Jahre. Bei Notfällen schauen wir auch mal nicht so genau hin. Wenn wir merken, dass der Hund nirgendwo mehr unterkommen würde.

Wie ist dann der Zustand der Hunde? Vielleicht ist es übertrieben, wenn ich sage, sie sind in einem erbärmlichen Zustand. Aber wir bekommen Hunde, die richtig schlimm aussehen. Ungepflegt, kaputte Zähne, ungekämmtes Fell und teilweise sind sie nicht leinenführig. Es gibt auch Hunde, die nicht schlecht aussehen, aber traumatisiert sind, zum Beispiel weil sie in Zwingerhaltung gelebt haben und keine Freiheit kennen. Jeder Hund hat sein besonderes Schicksal. Woher kommen die Gelder? Wir haben das Glück, dass wir Spenden kriegen. Davon sind wir abhängig. Die


Ja na M a j e ws ki Mitglieder zahlen im Jahr einen Mitgliedsbeitrag von 50 Euro. Der Beitrag ist relativ klein, dennoch ist es schwer Mitglieder zu finden. Eine Mitgliedschaft ist mit Arbeit verbunden, denn das Gelände muss sauber gehalten werden, die Hunde brauchen Pflege und ihren Auslauf. Außer­dem bekommen sie Physiotherapie. Die Tierarztkosten fressen uns am meisten auf. Jeder Hund bekommt seine Erstbehandlung vom Tierarzt. Mittlerweile kriegen alle Hunde bei uns Medikamente. Wie sieht die Öffentlichkeitsarbeit aus? Wir haben eine Internetseite. Die wird aber nicht mit den neuesten Informationen gefüttert. Dafür haben wir Facebook, da erreicht man viel mehr Leute. Auf dem Flohmarkt machen wir ebenfalls Werbung. Wir versuchen an möglichst vielen Veranstaltungen teilzunehmen, machen aber keine aggressive Öffentlichkeits­ arbeit. Dafür ist der Verein zu klein.

Haben Sie privat auch Tiere? Ja, ich habe drei Hunde. Alle sind Tierschutzhunde, zwei davon aus dem Altenheim.

Wenn ein Hund geht, ist es wie ein ­Volkstrauertag.

Sind Sie mit Tieren aufgewachsen? Ja, ich hatte einen Wellensittich und einen Hamster. Meine Eltern wohnten in einer Neubauwohnung, da gab es keinen Hund. Meine Oma und mein Opa hatten eine Schäferhundzucht. Von meinem Opa bekam ich mit zwölf Jahren einen Schäferhundwelpen geschenkt, durfte ihn aber nie mit nach Hause nehmen. Der

Hund lebte später lange bei meinem Vater und starb mit 18 Jahren.

Und wann hatten Sie den ersten ›rich­ tig‹ eigenen Hund? Als ich mit meiner eigenen Familie von Magdeburg auf's Dorf gezogen bin und einen Hund halten konnte. Wir kauften uns einen Welpen, der ist alt und krank gestorben. Das war ein Mischling zwischen Sheltie und Schäferhund.

Wir bekommen ­H unde,die richtig schlimm aussehen.

Was kann man aktiv gegen Tierquäle­ rei machen? Wer ein bisschen tierlieb ist, der wehrt sich, wenn ein Hund gequält wird. Das machen wir auch. Aber das ist nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Eingreifen würden wir alle, dafür kann ich meine Hand ins Feuer legen. Wie damals bei unserer Schäferhündin. Man sah schon die Würmer, sie stank wie Aas und die Augen waren entzündet. Der Besitzerin wurden Auflagen erteilt. Ich wusste aber, sie würde die niemals einhalten. Ich fuhr dann heulend nach Hause. Nachdem ich mit meiner Familie darüber gesprochen hatte, fuhren wir noch am selben Abend hin und nahmen den Hund einfach mit. Ich musste mein Auto zwei Mal professionell reinigen lassen. Im Prinzip ist das hier ein Versuch der Wiedergutmachung für das, was andere Leute getan haben. Waren Sie mal in Ländern, wo Hunde misshandelt werden? Ja, aber ich hatte dort mit dem Tierschutz nichts zu tun. Ich weiß hundertprozentig,

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Ja na M a j e ws ki dass ich mich als Rentnerin aktiv engagieren möchte. Ich finde es immer schön, wenn ältere Leute sich eine neue Aufgabe suchen. In Griechenland zum Beispiel besteht ein größeres Problem für die Katzen. Da die Tiere dort nicht sterilisiert werden, können sie sich ungehindert auf der Straße vermehren. Tierschutz beginnt im Ursprungsland. Was bringt es, wenn die Tiere mit Transporten hergeholt werden? Die Tierheime sind hier schon voll. Was geht Ihnen dann durch den Kopf? Einpacken. Mitnehmen. Logisch. Mir geht es so, wenn ein Hund relativ gut aussieht und auf der Straße rumläuft, finde ich das nicht schlimm. Aber das Tier, dem es am schlimmsten geht, das könnte ich mitnehmen. Aber ich bremse auch für Ratten. (lacht)

Im Prinzip ist das hier ein Versuch der Wiedergutmachung für das, was andere Leute getan haben.

Könnte man das Altenheim für Hunde mit einem Altenheim für Menschen vergleichen? Ja. Wir haben auch einen Rollstuhl. Malina läuft nicht mehr so weit. Sie kommt dann in den Hundewagen und wir gehen mit ihr spazieren. Ich bringe auch gerne meinen demenzkranken Vater mit ins Alten­ heim für Hunde. Er taut dann total auf. Ich finde immer schön, alte Hunde mit alten Menschen zusammen zu bringen.

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Wäre auch ein schönes Projekt. Ja. Ich bin dafür, in Altenheime Hunde mitbringen zu dürfen. Bei meinem Vater im Demenzheim haben sie einen Teddyhamster. Die wissen aber gar nicht, was sie damit anfangen sollen. Aber wenn ich mit meinen Hunden in das Demenzheim gehe, tauen die Leute auf und streicheln die Hunde. Ist das nicht auch eine unheimliche emotionale Belastung? Ja, am Anfang schon. Aber wenn man das jahrelang macht, nicht mehr. Die Hunde haben noch ein, zwei schöne Jahre bei uns, wenn sie Glück haben noch drei. Wenn dann ein Hund geht, ist das aber wie ein Volkstrauertag. Da geht es uns allen schlecht.

Was passiert, wenn ein Hund gehen muss? Dem Hund wird immer die Hand gehalten. Es könnte immer passieren, dass man morgens rein kommt und der Hund liegt hier. Das ist aber noch nicht passiert. Wir merken das schon vorher und sagen einander Bescheid, außer wenn es schnell gehen muss. Bei Angie zum Beispiel ist die Milz geplatzt. Da kann man nicht mehr allen Bescheid sagen. Wir versuchen den Hund nicht mehr wegzubringen. Sie werden hier auf dem Gelände von einem Tierarzt eingeschläfert und nicht in die Tierarztpraxis gebracht. Das haben wir einmal gemacht und das war ein Fehler. Alle Hunde dürfen dabei sein. Jeder Hund geht damit anders um, aber die meisten wenden sich ab. Wir sagen auch nicht, die Hunde sterben, sondern sie gehen über die ›Regenbogenbrücke‹. Das ist eine schöne Vorstellung.


Ja na M a j e ws ki Was passiert mit dem Hunden nach ihrem Tod? Wir haben die Möglichkeit, die Hunde zu beerdigen. Die Hunde bekommen kein Grab in dem Sinne, aber da ist eine Stelle, wo wir sie beerdigen dürfen. Auf unserem Gelände dürfen wir das nicht.

Auf welche Art setzen Sie sich noch für Tiere ein? Das Einzige was ich noch mache ist Pferdereiten. Ich setze mich dafür aber nicht ehrenamtlich ein. Der andere Teil meines Lebens ist meine Familie. Ich habe einen kranken Mann und einen demenzkranken Vater. Außerdem arbeite ich Vollzeit. Das ist einfach eine Zeitfrage. Mein Tag hat auch nur 24 Stunden. Was machen Sie in Ihrer Freizeit? Ich bin gerne an der Elbe und fahre mit dem Boot. Außerdem bin ich in einer Band, mit der ich mich ab und zu mal treffe. Sie sind in einer Band? Erzählen Sie mal. Die Band heißt – jetzt aber nicht lachen – Die schweren Jungs. Sie besteht seit 2011. Die Mitglieder wechseln immer mal, wie in den meisten Amateur-Bands. Wir spielen vorwiegend Rockmusik, ­Oldies, aber auch Tanzmusik für Feste. Ich hab' den Part der Sängerin. Da ich aber dienstlich nach Brandenburg versetzt bin, pausiere ich gerade. Aber als Gastsängerin trete ich immer mal mit auf. Wo kann man die Band denn mal ­hören? Wir treten nur sporadisch auf und haben uns erst vor kurzem gefunden, nichts Professionelles. Dafür aber ein ziemlich großes Repertoire. Letztens waren wir

auf dem Ascherslebener Gildefest. Wir haben Spaß an der Musik und werden immer besser.

Was hören Sie für Musik? Ich höre fast alles gerne, sogar Klassik. Nur Opern mag ich nicht. Welche Künstler mögen Sie gerne? Komischerweise zur Zeit deutsche Künstler, wie Adel Tawil und Gregor Meyle. Ich finde die Texte manchmal ganz witzig.

Was kann man tun, um im Altenheim zu helfen? Einfach anrufen und fragen. Auf Facebook steht unsere Telefonnummer. Oder man schreibt uns direkt auf Facebook. Juni 2017

Vista.Schon? Jana Majewski ist in Magdeburg geboren und aufgewachsen. Sie studierte Volkswirtschaft und Wirt­ schaftsrecht und arbeitet heute bei einer großen Ver­ sicherung. Seit 2007 ist sie ehren­amtlich im Altenheim für Hunde in Magdeburg tätig und unter anderem verantwortlich für die Finanzen. In ihrer Freizeit geht sie gerne reiten, ans Wasser und trifft sich mit ihrer Band. Ihr Lieblingsort in Magdeburg ist der Stadtpark, weil es dort eine schöne Hundewiese gibt. Magdeburg beschreibt sie mit den Worten grün, offen und viele Seen.

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Chri s toph S chöd e l

Christoph Schödel »Einen Platz, für den es sich lohnen würde Magdeburg zu verlassen, habe ich bis jetzt nicht gefunden.« Das Mikrofon ist an und das ›On Air‹-Symbol leuchtet rot. Im Studio steht ein Moderator, der meistens dann arbeitet, wenn andere Leute schlafen. Christoph Schödel kam mehr oder weniger zufällig zum Radio, ist aber seit mehr als zehn Jahren mit Leidenschaft bei der Sache. Inter.Vista erzählt er von seinen schönsten Momenten als Moderator, über die Faszination Radio und erklärt, warum er mal nach einer Sendung am liebsten im Boden versunken wäre. Interview und Fotos: Tobias Barthel

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Chri s toph S chöd e l Christoph, in Deinem Job hast Du fast jeden Tag mit Musik zu tun. Welcher ist aktuell Dein meistgehörter Song? Aktuell ist »Dye My Hair« von Alma mein Favorit.

fragte er, ob ich am Samstag Zeit hätte zu moderieren. Dann ging es ganz schnell und ich war regelmäßig auf Sendung.

Wann hast Du den Entschluss gefasst, Radiomoderator zu werden? Den Entschluss gefasst habe ich eigentlich nicht. Es hat sich einfach so ergeben. Alles fing mit einem Praktikum bei radio SAW an, das richtig Spaß gemacht hat. Das Praktikum konnte ich immer wieder verlängern und begann am Ende meiner Schulzeit mehr für den Sender zu arbeiten. Dann meinte unser Programmchef, dass ich doch eine Probe­sendung einsprechen solle. Als er das gehört hatte,

Als Radiomoderator kennen viele Leute Deine Stimme, aber kaum je­ ­ mand von den Hörern weiß, wie Du aussiehst. Siehst Du es als Luxus an, auf der ­Straße nicht so häufig erkannt zu werden wie Kollegen, die beim Fern­sehen arbeiten? Vor meiner Zeit bei radio SAW kannte ich auch nur die Stimmen der Moderatoren. Man hat immer eine bestimmte Vorstellung, wie die Leute aussehen. Als ich zum ersten Mal im Funkhaus war, sah ich, wel-

Welche Musikrichtung hörst Du privat am meisten? Eigentlich alles, was in den Charts gerade hoch und runter läuft. Außerdem habe ich in meiner Playlist auch Songs aus den Bereichen R´n´B und Hip Hop.

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Ich vergaSS das ­M ikrofon ­auszuschalten und habe dann bei dem ­ Song […] lautstark mitgesungen.


Chri s toph S chöd e l che Gesichter sich da­hinter verbergen. Ich bin aber nicht so berühmt, dass die Leute unbedingt wissen wollen, wie ich aussehe. Angenommen es wäre so, würde ich das schon als Luxus ansehen. Ich fin­ de es aber nicht wichtig, auf der Straße erkannt zu werden. Viel wichtiger ist es, den Hörern gute Unterhaltung zu bieten. Wann moderierst Du hauptsächlich? Hauptsächlich moderiere ich das Nacht­ journal mit Schwerpunkt auf politischen Themen. Im Vergleich zum Tages­programm hat man da die Möglichkeit viel ausgiebiger über Sachverhalte zu sprechen.

Woher nimmst Du die Motivation, dann zu arbeiten wenn andere schon oder noch im Bett liegen? Ich bin ein Nachtmensch. Wenn ich jeden Tag um halb vier aufstehen und zur Arbeit gehen müsste, hätte ich wahrscheinlich schlechte Laune. Von daher passt mir die Arbeitszeit ganz gut. Auch weil man nachts nicht den Tagestrubel um sich hat. Ich muss aber zugeben, dass es schwierig ist, abends von der Couch aufzustehen und zum Sender zu fahren. Was hättest Du gemacht, wenn es mit dem Job beim Radio nicht geklappt hätte? Es war immer mein Wunsch, Anwalt zu werden. Obwohl ich nicht gut in Mathe war, hatte ich nach meinem Abitur zu nächst Medienwirtschaft studiert. Da ich nach ein paar Semestern feststellte, dass das nicht mein Ding war, brach ich das Studium ab. Weil ich die juristischen Grundlagen aber so interessant fand, begann ich neben meiner Tätigkeit bei radio SAW ein Jurastudium an der Univer­ sität Hamburg.

Wie schaffst Du es, Studium und Radio unter einen Hut zu bringen? Aktuell stehe ich kurz vor dem Examen. Als ich aber noch die normalen Vor­ lesungszeiten hatte, fuhr ich montag­ morgens nach Hamburg und kam am Frei­ tagnachmittag wieder nach Magdeburg zurück, um dann am Wochenende beim Sender zu arbeiten. In den Semester­ferien hatte ich ein bisschen mehr Freiraum. Aber es war schon stressig. Da ich aber das Hauptstudium hinter mir habe, liegt es jetzt an mir, wann ich mich hinsetze und für das Examen lerne. In Deinem Steckbrief auf der Homepage des Senders steht, dass Dein schönster Moment bei radio SAW ­Deine erste Sendung war. Wann war das und welche Erinnerungen verbindest Du damit? Das war die Sendung im Mai 2004, als mir der Programmchef eine Woche vorher Bescheid gab. Ich erinnere mich, dass ich die ganze Woche ins Funkhaus lief, um im B-Studio nochmal alles zu üben.

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Chri s toph S chöd e l Als ich dann an dem Tag ankam, war ich unglaublich nervös. Meine Eltern hatten noch kurz vorher angerufen und gesagt, dass sie zu Hause am Radio zuhören. Eine Kollegin, die vor mir auf Sendung war, bot mir an noch zu bleiben und zu helfen, falls etwas Unvorhergesehenes passieren sollte. Ich lehnte aber ab und sagte, dass ich das schon alleine schaffen würde. Nach der ersten Moderation rief mich Ingolf Kloss (Moderator bei radio SAW, Anm. d. Red.) an und gratulierte mir, dass ich es ohne einen einzigen Versprecher hinbekommen hatte. Das war sehr cool.

Ich finde es nicht wichtig, auf der StraSSe erkannt zu werden. Viel wichtiger ist es, Hörern gute Unterhaltung zu bieten.

Abgesehen von Deiner ersten S ­ endung: Welche anderen interessanten Radio­ momente hast Du in den vergangenen 13 Jahren erlebt? Ganz oben auf der Liste steht ein Interview mit Ed Sheeran aus dem Jahr 2012. Damals war er bei Weitem noch nicht so bekannt wie heute. Als ich einmal während einer Nachtschicht die britischen Charts durchschaute, habe ich auf einer mittleren Platzierung sein Album entdeckt. Nachdem ich die CD durchgehört hatte, erzählte ich einem Kollegen von ihm und meinte, dass es super wäre, wenn wir ihn einmal als Gesprächsgast bekämen. Die Gelegenheit dazu ergab sich tatsächlich wenig später. Das war

mein persönliches Highlight. Außerdem moderierte ich mal eine Silvesterschicht mit Marc Angerstein (ehemaliger Moderator bei radio SAW, Anm. d. Red.). Es war sehr beindruckend, weil er wirklich Radio macht und mit den verschiedensten technischen Hilfsmitteln hantiert. Von ihm konnte ich sehr viel lernen.

Auch beim Radio läuft nicht immer ­alles nach Plan. Welche Pannen sind Dir schon einmal passiert? Zu der Zeit meiner ersten Sendung hatten wir fertige Stunden-Opener, die insgesamt 17 Sekunden lang waren. Von denen konnte man nach dem Start zwölf Sekunden reden, ehe nochmal das gesungene Logo von radio SAW kam. Darauf habe ich mich akribisch vorbereitet, um nicht zu lange zu sprechen. Ich wollte etwas über eine Aktion zum Kindertag erzählen, hatte einen Versprecher drin und merkte, dass es echt knapp wird. Dann habe ich natürlich über das Gesungene geredet. Das war ein Moment, in dem ich im Boden versinken wollte. Abgelöst hatte mich damals Holger Tapper (ehemaliger Moderator bei radio SAW, Anm. d. Red.), der die Sendung auf dem Weg gehört hatte. Als er dann ins Studio kam, sagte ich, dass ich ganz schnell nach Hause will. Er fragte nach dem Grund und meinte, dass es eine super Sendung war. Eine zweite Panne passierte mir bei der Durchsage von Verkehrsmeldungen, als ich während eines Songs einen Falschfahrer als Sofortmeldung durchgesagt hatte. Ich vergaß, das Mikrofon auszuschalten und habe dann bei dem Song »Lonely No More« von Rob Thomas lautstark mitgesungen. Kurz danach kam eine Kollegin vom Verkehr ins Studio und meinte, dass gerade ein Hörer angerufen hatte und sagte, dass es

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Chri s toph S chöd e l denen Situationen und Emotionen anzupassen. Anhand der Stimme merkt man direkt, ob der Moderator authentisch ist oder nicht.

zwar schön sei, dass der Moderator die Musik auch toll findet, er den Song aber lieber im Original höre. Das war mir ziemlich peinlich.

Anhand der Stimme merkt man direkt, ob der Moderator authentisch ist oder nicht.

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Was fasziniert Dich am Radio? Am Radio fasziniert mich vor allem die Schnelligkeit und Aktualität. Man kann sofort auf Ereignisse reagieren. Außerdem liebe ich Musik. Deswegen höre ich privat viel Radio. Generell kann man mit seiner Stimme sehr viel machen. Bei einem normalen Gespräch bekommt man das nicht mit. Wenn man aber eine Weile beim Radio arbeitet, lernt man, mit der Stimme zu arbeiten und sie den verschie-

Was machst Du in deiner Freizeit, wenn Du nicht gerade im Funkhaus arbeitest? Ich gehe sehr gern auf den Tennisplatz. Wenn die Eltern das machen, will man das irgendwann auch spielen und besser sein. Ich bin froh, dass mein Vater mich damals zum Tennis mitnahm. Ich liebe es, mich beim Sport auszupowern. Leider ist die Zeit dafür sehr begrenzt. Außerdem treffe ich mich gern mit meinen Freunden und besuche Konzerte. In diesem Jahr haben wir uns vorgenommen, jeden Monat zu einem Konzert zu gehen. Wann kamst Du zum ersten Mal nach Magdeburg? In meinem Personalausweis steht zwar, dass ich in Sangerhausen geboren wurde, ich kam aber nach einer Woche mit meinen Eltern, die in Magdeburg wohnen, hierher. Ich bin also Magdeburger. Was war der erste Eindruck von der Stadt, an den Du Dich erinnern kannst? Ich erinnere mich, dass es in unserer Straße ziemlich finster aussah. Da bei uns eine Wendeschleife für Straßenbahnen war, fuhr auch immer eine quietschende Straßenbahn an unserem Haus vorbei. Wenn Du hier schon länger wohnst, kannst Du sicher auch die Entwicklung der Stadt beurteilen. Wie hat sich Magdeburg in den letzten Jahren ent­ wickelt? Wahrscheinlich würde jetzt jeder einfach sagen, dass sich viel in der Stadt


Chri s toph S chöd e l getan hat. Zum Großteil stimmt das auch. Beispielsweise der Hasselbachplatz ist jetzt eine schöne Ecke von Magdeburg. Allgemein ist es eine sehr schöne Stadt geworden. Es könnte aber noch mehr gemacht werden, was zum Teil wohl an den öffentlichen Geldern scheitert. Auch an der Außenwirkung der Stadt müsste noch etwas verbessert werden. Aber Freunde von mir, die zum Studieren hierher kommen, sind begeistert von Magdeburg und es gefällt ihnen, dass hier alles ein wenig kleiner und aufgeräumter ist als beispielsweise in München. Das schätze ich ebenfalls sehr. Die Gesellschaft in Sachsen-Anhalt hat sich in den letzten Jahren verändert. Viele junge Menschen gingen in an­ dere Teile Deutschlands, um dort zu studieren oder zu arbeiten. Was hat Dich dazu bewogen, hierzubleiben? Hauptsächlich meine Familie und meine Freunde. Was so etwas angeht, tue ich mich mit Trennungen echt schwer. Natürlich hat mich auch mein Job bei radio SAW dazu bewogen hier in Sachsen-Anhalt zu bleiben. Wenn man so lange dabei ist, ist man mit viel Herz bei der Sache. Einen Platz in Deutschland, für den es sich lohnen würde Magdeburg zu verlassen, habe ich bis jetzt nicht gefunden. Obwohl ich sagen muss, dass mir Hamburg auch sehr gefällt.

Was möchtest Du in Zukunft unbedingt noch erreichen? Ich möchte auf jeden Fall demnächst mein Examen in der Tasche haben. Ansonsten möchte ich möglichst viel von der Welt sehen. Vielleicht ergibt sich ja noch die Möglichkeit, nach dem Examen in der juristischen Schiene tätig zu sein.

Mir würde aber der Moderationsjob fehlen. Ich lasse mich einfach überraschen, wohin die Reise geht. März 2017

Vista.Schon? Christoph Schödel, Jahrgang 1984, wurde zwar in Sangerhausen geboren, aber seine Eltern sind Magdeburger, weswegen er in der Domstadt aufwuchs. Nach dem Abitur studiert er Medienwirtschaft in Ilmenau. Seit 2004 arbeitet er bei radio SAW als Moderator. Daneben studiert er in Hamburg Jura mit Spezialisierung auf Medienrecht. Wenn er gerade einmal nicht im Studio steht, ist er auf dem Tennisplatz unterwegs oder unternimmt viel mit Freunden und seiner Familie. Seine Lieblingsorte in Magdeburg sind die Südspitze des Rotehornparks und der Hasselbachplatz. Magdeburg beschreibt er als grün, gelassen und sehenswert.

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Die Inter.Vista-Redaktion


Impressum Projekt- und Produktionsleitung Dr. Uwe Breitenborn, Arlette Krickau

Redaktion und Autoren der Ausgabe Julia Adam, Florina Ademi, Tobias Barthel, Jana Bierwirth, Jennifer Fiola, Greta Haberstroh, Luisa Hensel, Nadine Janetzky, Simone Osterwald, Vera Reinicke, Laura Rittler, Patricia Rocha Dias, Philipp Schöner Lektorat Philipp Schöner, Julia Adam, Dr. Uwe Breitenborn, Arlette Krickau Korrektorat Simone Osterwald Franziska Ertelt, Amelie Uding

Online publiziert auf www.issuu.com www.inter-vista.de Inter.Vista Nr. 4 | Dezember 2017 Redaktionsschluss November 2017

Satz und Layout Jana Bierwirth, Luisa Hensel Bildbearbeitung Luisa Hensel Redaktionsfotos Thomas Schäfer Coverscribbles Florina Ademi

Layout Controlling Jule Y. Brockenbach

Ein Projekt von Studierenden des BA Journalismus FB Soziale Arbeit, Gesundheit und Medien Hochschule Magdeburg-Stendal Breitscheidstraße 2, 39114 Magdeburg www.hs-magdeburg.de

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Inter. Vista MAGDEBURGER IM GESPRÄCH.

NAH. PERSÖNLICH. ECHT.

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Interview, das Substantiv, Neutrum

»[…] Gezielte Befragung (von ausgewählten Personen) für den Rundfunk, Fernsehen oder die Presse […]« *

* Duden

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