das netz iRIGHTS
Jahresr端ckblick Netzpolitik
2012
1. Auflage 2012 I DAS NETZ erscheint im iRights-Media-Verlag Berlin
das netz Jahresr端ckblick Netzpolitik
2012 ACTA GEMA Facebook Piraten google
Netzpolitik Urheberrecht Datenschutz Open Data
Inhalt
kino.to
Das Ende der Grauzone?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Megaupload
Aber bitte mit Drama
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9
Jahresrückblick: Januar 2012. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 Governance-Experte Kleinwächter
„Es herrscht kalter Krieg“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 Datenschützer Peter Schaar
„Wir müssen wachsam sein“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 Die Urheberrechtsdebatte
Einer geht noch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 Jahresrückblick: Februar 2012. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 Der Big Bang der Netzpolitik
ACTA. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 Frauen, Gender, Netzpolitik
Wo stehen wir 2012?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 Jahresrückblick: März 2012. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 Netzgemüse
Schluss mit lustig. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 Jahresrückblick: April 2012. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 Vorratsdatenspeicherung
Was war, was wird. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 Archivierung digitaler Medien
Mind the gap. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 Wikimedia-Vorstand Pavel Richter
„Den Kontrollverlust als etwas Positives begreifen“. . . . . . . . . 50 Jahresrückblick: Mai 2012 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 Beteiligung geht über Twitter hinaus
Internet-Enquete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 Was Facebook weiSS6�����������������������������������������������������������������������60 Datenschutz und Facebook
„Wir sind über den Punkt hinaus, wo wir Kontrolleüber unsere Daten ausüben können.“. . . . . . . . . . . . . 62 Reporter ohne Grenzen Pressefreiheit & Überwachungssoftware . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66
4
iRights das netz 2012
Jahresrückblick: Juni 2012. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 Google
Anpassung an die Rechte-inhaber. . . . . . . . . . . . . . . . . 74 GEMA nach Hause
Verloren zwischen Club und Youtube
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
78
Jahresrückblick: Juli 2012. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 Deutsche Presseverlage und das Internet
das recht auf content. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 Jahresrückblick: August 2012 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 Show- statt T ransparenzeffekt
Open Data
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
90
Jahresrückblick: September 2012. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 Leistungsschutzrechte an Tonaufnahmen
Der vergessene Skandal. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 Netzaktivist Markus Beckedahl
„Den Kaffeekranz unserer Eltern überwacht auch niemand“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 Die Piratenpartei
Spaß und Protest . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 Jahresrückblick: Oktober 2012. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 Ein Urheberrecht für das 21. Jahrhundert
Ideen für eine zukünftige Regulierung kreativer Güter. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 Kontrolle im Netz
„Eine gefährliche Illusion“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 Jahresrückblick: November 2012. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 Digitale Ökosysteme
Die Politik der Plattformen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Ministerin in bleierner Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 Netzpolitische Rede des Jahres
Urheberrecht, Internet, Eisenbahn und Buchdruck. . . . . . . . . 127 netzpolitiK 2012. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 Was ist iRights?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 Impressum, Bildnachweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142
iRights das netz 2012
5
Foto: Mario Sixtus
6 
iRights das netz 2012
kino.to
Das Ende der Grauzone? Millionen von Nutzern sahen auf kino.to jahrelang kostenlos aktuelle Filme und Serien. 2011 wurden die Betreiberfestgenommen und die Plattform geschlossen. Die Rechtslage bleibt schwierig.
von Valie Djordjevic Websites, die Streams von aktuellen Filmen und Fernsehserien sammeln und zugänglich machen, gehören für Jugendliche und junge Erwachsene zum Alltag. Sie kommen aus der Schule und schauen zur Entspannung erst einmal die neue Folge „How I met your mother“ oder „Two and a half men“ – nicht vorm Fernseher sondern am Computer. Als im Juni 2011 die Polizei eine Razzia gegen kino.to durchführte und die Website sperrte, schimpften viele Nutzer in den Foren: „Anscheinend ist die rechtliche Grauzone nun doch ein No-Go,“ meinte einer. Doch schon Tage danach waren die selbsternannten Nachfolger kinox.to und movie2k.to und dutzende andere Seiten online. Auch vorher war kino.to nie die einzige Seite, die Streams zu Filmen versammelte – sie war nur eine Weile lang, von 2008 bis 2011, die beliebteste. Das Geschäftsmodell von kino.to und den anderen Streamingseiten beruht darauf, dass um die eingebetteten Videos und Links zu den Filmen herum
Werbung geschaltet wird. Dazu bauten die Macher ein weitverzweigtes Netzwerk auf. Die Werbung war nicht immer harmlos. Auf der Seite lauerten zwielichtige Porno-Angebote, Abofallen, Viren und Trojaner. Die Dateien zu den Filmen, zu denen das Portal verlinkte, lagen bei sogenannten Filehostern (Dienste wie Rapidshare, Uploaded.to oder – und hier schließt sich der Kreis – Megaupload, der anderen spektakulären Verhaftungsgeschichte dieses Jahres). kino.to war zwar nur eine Linkssammlung; aber sein Ökosystem schloss eigene und fremde Filehoster ein, auf die bezahlte Helfer aktiv Filme und Serien hochluden. Der Chefprogrammierer Bastian P. sagte vor Gericht aus, er sei davon ausgegangen, das Portal operiere in einer rechtlichen Grauzone, weil dort nur die Links zu den Raubkopien verzeichnet waren. Dass er damit aber die illegalen Filmkopien zugänglich und sich damit strafbar machte, sei ihm in der Konsequenz nicht klar gewesen. Darf man illegale Film-Streams anschauen? Die Nutzer von kino.to stellten sich allerdings eine andere Frage. Die Antwort darauf führt tatsächlich in die rechtliche Grauzone: Darf man illegale FilmStreams anschauen oder nicht? Beim Streaming wird immer eine flüchtige Kopie im Arbeitsspeicher angelegt. Das Urheberrechtsgesetz erlaubt solche vorübergehenden Kopien explizit. Sie sind die technische Voraussetzung, um überhaupt irgendeine Webseite im Internet anzugucken. Im Fall legaler Quellen wie der ARD-Mediathek, in der man iRights das netz 2012
7
kino.to
sich etwa den Tatort anschaut, macht diese flüchtige Kopie keine rechtlichen Probleme. Doch was passiert rechtlich bei Angeboten wie kino.to, die gar keine Rechte an den Filmen besitzen? Da wird es schwierig. Eindeutig verboten ist es, Dateien herunterzuladen, wenn sie von Angeboten stammen, die offensichtlich als unrechtmäßig erkennbar sind. Das wurde in der letzten Urheberrechtsreform 2008 festschrieben. Wertet man das Anschauen eines Films auf kino.to also wie einen Download-Vorgang, ist die Sache einfach. Der Nutzer konnte sich an drei Fingern abzählen: Diese Quelle ist illegal. Kurz nach Kinostart war hier fast jeder Blockbuster gratis zu sehen – auf einem Portal, das wohl kaum zufällig uf der Südseeinsel Tonga gemeldet ist.
überwacht werden. Das ist außerhalb totalitärer Regimes bisher noch keine Option – jedenfalls nicht außerhalb von Hardliner-Kreisen der Rechteindustrie. Anders könnte es den Premiumnutzern gehen, die für schnellere Streaming raten auf Portalen wie kino.to Geld bezahlt haben. Über ihre hinterlegten Zahlungsdaten sind sie identifizierbar. Die Staatsanwaltschaft kündigte im Februar Ermittlungen gegen Premiumnutzer von kino.to an. Von Anklagen ist bisher allerdings nichts bekannt. Bisher nehmen die Behörden (und private Rechte-Detekteien wie die Gesellschaft zur Verfolgung für Urheberrechtsverletzungen GVU, die im Vorfeld an der Schließung beteiligt war) vor allem die Betreiber ins Visier, nicht die Nutzer. Doch auch das gestaltet sich schwierig,
larität bei den großen Anbietern nicht kaufen konnte. Die zeitversetzte Auswertung von Kino, DVD, TV hat in den Zeiten des Netzes ausgedient. Zumindest für Betreiber von kino.to ist das Streaming-Abenteuer vorbei. Mit Filmen, für deren Rechte sie keinen Cent bezahlt hatten, machten sie Werbeeinnahmen in Millionenhöhe. Im April wurde Chefprogrammierer Bastian P., 29, zu 3 Jahren und 10 Monaten Haft verurteilt. Sein Chef Dirk B. bekam im Juni 4 Jahre und 6 Monate.
Ob legal oder illegal – normalen Nutzern drohen, soweit es sich absehen lässt, im Augenblick keine Konsequenzen. Ob allerdings das Anschauen eines Streams gleichzusetzen ist mit dem Herunterladen einer Datei, ist angesichts der oben genannten Problematik der flüchtigen Kopie nicht eindeutig geklärt. Es könnte auch wie der reine Werkgenuss gewertet werden, wie das Lesen eines Buches. Dieser Werkgenuss aber ist urheberrechtlich nicht relevant. Er kann auch dann nicht verfolgt werden, wenn die Quelle rechtswidrig ist. Auch das Lesen eines Raubdrucks, eines illegal kopierten Buches, ist nicht verboten. Ob legal oder illegal – normalen Nutzern drohen, soweit es sich absehen lässt, im Augenblick keine Konsequenzen. Wie auch? Sie haben ihre Daten zwar auf den Servern der illegalen Anbieter hinterlassen, aber diese mit den realen Namen und Adressen zusammenzubringen, ist schwer möglich, da die Log-Dateien regelmäßig gelöscht werden. Um normale Nutzer zu verfolgen, müsste ihr komplettes Verhalten im Netz
8
iRights das netz 2012
da viele der Betreiber ihre Identität verschleiern oder im Ausland sitzen – meistens beides. Im Fall kino.to gelang der GVU nach jahrelangen Ermittlungen der Durchbruch erst, als einer der Uploader ihr Insider-Informationen verkaufte. Indes ließen sich Jugendliche wohl am ehesten mit guten legalen Film- und Videoangeboten überzeugen, die Finger von den illegalen Nachfolgern zu lassen. Doch bis heute gibt es immer noch keine legale Möglichkeit, sich im Netz Filme anzuschauen, die mit den illegalen Angeboten in Bezug auf Einfachheit der Bedienung und Verfügbarkeit konkurrieren könnte. Auch das ist leider ein Grund, weshalb Nutzer im Jahr 2012 immer noch lieber auf Seiten gehen, auf denen sie sich Viren einfangen oder in einer Abo-Fallen landen, als vergeblich auf iTunes nach ihrer Lieblingsserie zu suchen. Das Paradebeispiel ist hier die Fantasy-Serie „Game of Thrones“, die man auf dem Höhepunkt ihrer Popu-
Valie Djordjevic ist Redakteurin und Autorin bei iRights.info. Sie beschäftigt sich mit den Themen Netzkultur, Feminismus, Literatur und Urheberrecht. Sie ist seit 1996 aktiv in der Netzkunstszene und arbeitet außerdem als Übersetzerin und Trainerin.
Megaupload
Aber bitte mit Drama Es war eines der ersten großenInternet- Dramen des Jahres:Am 19. Januar 2012 wurde Kim Schmitz, der sich nun Kim Dotcom nennt, zusammen mit seinen Geschäftspartnern in Neuseeland festgenommen.
von Torsten Kleinz Eine Geschichte, wie für Boulevardmedien gemacht: Auf der einen Seite der überlebensgroße Deutsche, der eine lange Medienkarriere als vermeintlicher Superhacker und mehrere Verurteilungen hinter sich hat. Auf der anderen Seite die Copyright-Supermacht USA, die Schmitz in einer Blitzaktion mit Sondereinsatzkommenado festnehmen ließ. Mit immer neuen juristischen Schachzügen, Manövern und Publicity-Stunts versucht der Deutsche mit finnischem Pass seither die Auslieferung in die USA zu verhindern. Dabei versucht er sich als legaler Geschäftsmann zu präsentieren: Ein Unterseekabel will er verlegen lassen und den Neuseeländern freien Internetzugang verschaffen. Einen neuen, voll verschlüsselten Filehoster aufbauen, der über die ganze Welt verteilt sein soll. Schon vorher hat er den Aufbau eines neuen Musikdienstes „Megabox“ verkündet, der Künstlern Geld in die Kassen spülen soll. Dass keiner seiner Pläne wirklich viel Sinn ergibt oder besonders realistisch erscheint, stört wenig – die Presse schreibt trotzdem drüber.
Kim Dotcom, der Großartige, Kim Dotcom, der Märtyrer Sogar vor peinlichen Musikvideos schreckt Schmitz nicht zurück, um sich in der Presse zu halten. Dabei vergleicht er sich zum Beispiel mit US-Bürgerrechtler Martin Luther King. Kim Dotcom, der Großartige. Kim Dotcom, der Märtyrer. Das Getöse wurde so groß, dass eine unbekannte Gruppe die Homepage des neuen SuperProjekts hackte. „Kim Dotcom ist nicht besser als Universal. Er ist selbst ein Teil der Industrie, er ist nur da um zu stören“, teilten die vermeintlichen Angreifer dem Online-Magazin Torrentfreak mit. In der Tat. Tritt man einen Schritt zurück und betrachtet man den Fall ohne Kim Schmitz im Bild, ist der Fall Megaupload ein interessanter. Denn Filehoster wie Megaupload sind in den letzten Jahren immer mehr zum Problem gerade für die Filmindustrie geworden. Denn heute muss sich niemand mehr mit einer FilesharingSoftware aktuelle Folgen von „Game Of Thrones“ oder „Breaking Bad“ auf den Computer laden, um sie lange vor dem deutschen Erscheinungstermin zu sehen. Zahlreiche Linkseiten verweisen auf Filehoster, die die entsprechenden Inhalte nicht mehr nur zum Download, sondern gleich zum Streamen anbieten. Zwar ist umstritten, ob das Ansehen solcher Streams legal ist, doch in der Praxis ist es bis heute recht gefahrlos: Abmahnungen gegen nicht-zahlende Kunden solcher Services sind nicht bekannt. Filehoster und Linkseiten im Verbund hebeln das Regime des Digital Millennium Copyright Act aus. Denn das viel kritisierte Gesetz ist eigentlich ein Segen für die Serverbetreiber. Sie müssen keine Inhalte iRights das netz 2012
9
megaupload
Wer Kim Schmitz mit einem Freiheitskämpfer für das Netz verwechselt, der verwechselt das Netz mit AOL und Pro Sieben mit einem Nachrichtensender.
selbst prüfen, nur auf die offiziellen Beschwerden der Rechteinhaber reagieren. Von beiden Seiten wird der Bogen aber überspannt. Die Rechteinhaber versenden mittlerw eile Zigtausende von automatisierten DMCA-Anfragen, die oft genug die Falschen treffen. Gleichzeitig haben spezialisierte Hoster einen Weg gefunden, Löschaufforderungen auszumanövrieren: Ein Link wird gelöscht, die gleiche Datei auf dem gleichen Server wird aber flugs unter einer anderen URL angeboten. Juristische Niederlagen Anbieter wie Youtube oder Rapidshare stehen unter enormen Druck, zusätzliche Maßnahmen zu ergreifen: So wurde Rapidshare unter anderem vom Bundesgerichtshof aufgetragen, aktiv nach verlinkten Inhalten zu suchen, die möglicherweise illegal sind. Im Fall kino.to konnten deutsche Behörden in diesem Jahr nachweisen, dass die Betreiber von Hosting-Services und Linkseiten unter einer Decke steckten. Sie wurden 2012 zu teilweise langjährigen Haftstrafen verurt eilt. Ähnlich sind die Vorwürfe gegen Megaupload. Die US-Ankläger wollen der Unternehmensführung nachweisen, in vollem Bewusstsein illegale Kopien vertrieben zu haben. Abgefangene E-Mails sollen dies beweisen. Auf der einen Seite war der Zugriff auf Schmitz und seine Geschäftspartner bemerkenswert erfolgreich. Von einem Tag auf den anderen war Megaupload weg vom Fenster – mehrere andere Dienste stellten ihre Tätigkeit ein. Doch mittelfristig kassieren die US-Behörden eine juristische Niederlage nach der anderen.
10
iRights das netz 2012
Schmitz hat seine Bewegungsfreiheit wieder und kann auf reichlich Geld zugreifen, auch wenn viele Konten eingefroren bleiben. Aus der angestrebten schnellen Auslieferung ist ein juristisches Scharmützel in Neuseeland geworden, das immer mehr Politskandale nach sich zieht. Streit um Server und Daten So war Schmitz von neuseeländischen Behörden illegal abgehört worden, Premierminister John Key entschuldigte sich im September sogar offiziell dafür. Und der Streit um die in den USA befindliche Server-Infrastruktur, die Megaupload bei einem dort ansässigen Provider angemietet hatte, zieht sich über Monate hin. Sollen die Daten gelöscht werden oder dürfen die Megaupload-Kunden auf ihre Daten zugreifen? Auch die Bürgerrechtler der Electronic Frontier Foundation engagieren sich in dem Fall – wohlweislich aber nicht auf der Seite von Megaupload, sondern der Kunden, deren Daten verloren sind, wenn die Server einmal überspielt wurden. Auch im Jahr 2013 wird der Fall noch reichlich Popcorn-Potenzial bieten – egal wer sich in der Sache blamiert, die Häme wird hierzulande groß sein. Doch sollte man vor lauter Getöse und Medien auch das Kleingedruckte nicht übersehen. So kündigte Schmitz an, einen Musikdienst über Werbung zu finan zieren, die die Client-Software auf fremden Webseiten anzeigt. Eindeutiger kann man gegen die Netzneutralität nicht ver stoßen. Und auch die Prozessdokumente in den USA sollte man sehr genau le-
sen – enthüllen sie doch, wie die USRegierung auch ohne ACTA ihre Lesart des Urheberrechts und die Macht ihrer Unterhaltungskonzerne ausspielt. Das nächste Jahr wird sicher spannend, nicht nur für Kim Schmitz. Wer ihn aber mit einem Freiheitskämpfer für das Netz verwechselt, der verwechselt das Netz mit AOL und Pro Sieben mit einem Nachrichtensender. Wofür er taugt: Ein Exempel.
Torsten Kleinz ist freier Journalist und schreibt seit über zehn Jahren darüber, was das Netz und die Welt zusammenhält.
weiterlesen: bpb.de/netzpolitik
Foto: (cc) iStockphoto | re:publica 2012
>> Teilnehmende der re:publica 2012. Die bpb förderte die Subkonferenz rE:Unite, auf der nach der Rolle der europäischen Netzöffentlichkeit gefragt wurde.
www.bpb.de Politisches Wissen im Internet
Foto: Tiger Stangl
Was war los im Netz?
Januar 2012 1
2
3
(02.01.) Der Bundesvorsit zende der Piratenpartei, Sebastian Nerz, sieht seine Partei nach der Wahl 2013 im Bundestag und träumt von einer Koalition mit Grü nen und FDP, weil es in „der Bürgerrechtspolitik große Nähe“ gebe. (02.01.) Das Bundeskrimi nalamt (BKA) lässt wieder Besucher auf seine Website, die Anonymisierungsdiensten nutzen. Die waren vorher ausgesperrt worden. Die Be hörde reagiert damit auf eine Beschwerde des Bundesdaten schutzbeauftragten.
4
5
6
7
(04.01.) Der EU-Rat veröffentlicht einen Richtlinienentwurf, nach dem es erleich tert werden soll, Telefonate abzuhö ren und in Echtzeit auf E-Mails, Verbin dungs- und Stand ortdaten in anderen Mitgliedsstaaten zuzugreifen.
(02.01.) Der IT-Branchenverband Bitkom stellt sich hin ter eine Initiative des Bundesjustizministeriums gegen überzogene Abmahnungen im Internet. „Leider entsteht der Eindruck, dass Abmahnungen von manchen Anwälten und deren Auftraggebern als Einnahmequelle missbraucht werden“, so Bitkom-Präsident Dieter Kempf.
12
iRights das netz 2012
8
9
10
(04.01.) Es wird bekannt, dass die EU-Kommission das Projekt „Clean IT“ fördert. Später decken Netzexperten auf, dass darin der Vorschlag ent halten ist, dass europäi sche Internet-Anbieter alle Internet-Verbindungen überwachen und bestimm te Inhalte herausfiltern sollen.
11
12
13
14
15
(16.01.) Der Gesetzesvor schlag für den „Stop Online Piracy Act“ (SOPA) wird im US-Repräsentantenhaus auf Eis gelegt.
(17.01.) Facebook und Google legen beim High Court Delhi Beschwerde dagegen ein, „anstößige Inhalte“ aus ihren Angeboten zu filtern. Die Haftungspflichten für OnlineAnbieter waren 2011 durch ein neues Ge setz stark ausgeweitet worden.
(05.01.) Das Marktforschungs unternehmen Nielsen gibt be kannt, dass 2011 in den USA erstmals mehr Musik in rein digitaler Form verkauft wurde als auf physischen Tonträgern. 50,3 Prozent der Alben und Singles wurden nicht auf CD oder Schallplatte verkauft.
(18.01.) Verschiedene Websites, darunter die eng lischsprachige Wikipedia, protestieren für 24 Stunden gegen die US-Gesetzesent würfe SOPA und PIPA, die Maßnahmen gegen OnlinePiraterie einführen sollen. Während dieser Zeit sind die Seiten geschwärzt.
16
17
18
19
20
21
(19.01.) Kim Schmitz und drei Mitarbeiter des Filehosters Megaupload werden in Neuseeland festgenommen; gegen sie und vier andere erhebt das US-Justiz ministerium Anklage. Die Website ist abge schaltet. In der Folge schließen Betreiber wie Uploaded.to, Filesonic und FileServe ihre Ser ver oder schränken das Angebot stark ein.
(21.01.) Die Polizei in Hannover stoppt die Fahndung nach Straftätern per FacebookSeite. Bis auf weiteres sollen keine personen bezogenen Fahndungsaufrufe auf sozialen Netzwerken mehr veröffentlicht werden.
22
23
24
25
(24.01.) Die Industrie- und Handels kammer (IHK) Schleswig-Holstein legt beim Verwaltungsgericht Schles wig Klage gegen das Unabhängige Landeszentrum für Datenschutz (ULD) ein, das im Herbst mehr als ein Dutzend öffentliche und private Betreiber aufgefordert hatte, ihre Auftritte bei dem sozialen Netzwerk Facebook abzuschalten.
(26.01.) 22 EU-Mitglieds staaten und die Europäische Union unterzeichnen ACTA. Erwartet wird, dass die rest lichen fünf Staaten, darunter Deutschland, folgen werden.
26
27
28
(27.01.) Eine vom Bun desjustizministerium beim Max-PlanckInstitut für Strafrecht in Auftrag gegebene Studie kommt zu dem Schluss, dass die Vor ratsdatenspeicherung die Aufklärungsquote bei Straftaten nicht ver bessere.
(27.01.) Der Berliner In nensenator Frank Henkel (CDU) bestätigt, dass das Land Berlin bei der Software-Firma Syborg eine Überwachungssoft ware für 280.000 Euro in Auftrag gegeben hat, mit der PCs von Verdächtigen überwacht werden sollen.
(28.01.) DerBundestag beschließt eine „Digitalisie rungsoffensive“ für das kulturelle Erbe. Deutlich ambitioniertere Anträge der Opposition waren von der Regierungskoalition abgelehnt worden.
29
30
31
(30.01.) Die Website des CDU-Bundes tagsabgeordneten Ansgar Heveling wird gehackt, nachdem der Politiker im Handels blatt die Gegner der US-Gesetzesvorschlä ge SOPA und PIPA „digitale Maoisten“ genannt hat.
(31.01.) Die Musik industrie unterliegt vor dem Bundes verfassungsgericht dem Heise-Verlag. Heise Online darf somit im Rahmen der Berichterstattung auf einen SoftwareHersteller verlinken, der ein Programm zur Umgehung des DVD-Kopierschutzes anbietet.
iRights das netz 2012
13