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Zwei- und Dreiräder mit alternativen Antrieben
from Blaulicht 5/2023
by IV Group
Die Elektromobilität ist in aller Munde – auch bei den Blaulichtorganisationen. Längst stehen dabei nicht mehr nur Autos im Fokus der Betrachtung. Im Bereich Motorräder, Roller und Dreiräder tut sich einiges, wie unsere Recherchen zeigen.
Es ist Zeit für Neues – auch im Bereich der zweirädrigen Mobilität. Während Motorräder früher lautstark knatterten, sausen sie heute immer öfter nahezu lautlos durch die Strassens chluchten der Städte und über Alpenpässe – auch, wenn sie mit Blaulicht und Sirene ausgerüstet sind.
In Berlin gehören die bewährten und bekannten BMW RT 1200 R der Polizei zwar nach wie vor zum normalen Strassenbild. Doch seit März dieses Jahres flitzen auch vier Elektroroller des Typs BMW CE 04 durch die deutsche Hauptstadt. Diese hat die Berliner Polizei beschafft, um sie in den kommenden zwei Jahren ausgiebig zu erproben. «Zwar kommen diese Roller mit einer Akkuladung bestenfalls 130 Kilometer weit – im Sommer», weiss Jörg Tworeck, Ingenieur bei der Fahrzeugbeschaffung der Berliner Polizei. «Doch in der Stadt ist dies für einen Tag im Polizeieinsatz meist völlig ausreichend.»
Ein Wermutstropfen für die Piloten ist das Gewicht der Roller. Diese wiegen wegen ihres schweren Akkus nämlich rund 250 Kilogramm – und damit annähernd gleich viel wie die RT 1200 R, die zudem bis zu 400 Kilometer weit fahren kann, ehe nachgetankt werden muss. Ausserdem ist der E-Roller mit 32’500 Euro deutlich teurer als die Verbrenner (28’000 Euro), aber mit 120 km/h Spitzengeschwindigkeit nur rund halb so schnell wie diese.
Immerhin gelingt das Nachladen beim BMW CE 04 innert einer akzeptablen Zeitspanne. Zwar verstreichen an einer Haushaltssteckdose vier Stunden und 20 Minuten, ehe der Akku wieder vollgeladen ist. Doch an einer entsprechenden Ladestation vergehen nur rund 80 Minuten.
Vorteile bieten die neuen Gefährte gemäss ersten Erfahrungen insbesondere bei Begleitfahrten – etwa bei Staatsbesuchen, Demonstrationen oder Sportanlässen wie dem Berlin-Marathon. Ohne kuppeln zu müssen, können ihre Piloten dann locker im Schritttempo dahinrollen – leise und emissionsfrei.
Zero Motorcycles: Marktführer bei Behörden-E-Motorrädern
Geht es um Motorräder anstatt Roller zeigt der Hersteller Zero Motorcycles, der inzwischen neun Modelle im Port folio führt, allen Mitbewerbern im Behördenmarkt derzeit nur die Rücklichter. Denn nicht nur im Heimatland, den USA, sondern auch in Europa setzen bereits Hunderte Polizeikorps E-Motorräder von Zero Motorcycles im regulären Dienst ein – oder erproben diese zumindest.
Beispiele sind die Policía Nacional (Zero FX, DS, DSR) und die Guardia Civil (Zero FX) in Spanien, die Polizia di Elmas (Sardinien; Zero DS) und die Polizia di Pistoia (Zero DSR) in Italien sowie der South London Ambulance Service (Zero DSR/X, SR/S) und die South Yorkshire Police (Zero FX) in Grossbritannien.
Im benachbarten Deutschland hat Zero Motorcycles ebenfalls viel Erfolg. Seit März 2023 sind die Motorradpolizisten in Bremen mit vier Elektromotorrädern von Zero Motorcycles mobil. Erste Erfahrungen der Bremer fallen dabei positiv aus. «Die neuen Motorräder sind mit 160 km/h schnell genug, bieten eine praxistaugliche Reichweite und erleichtern die polizeiliche Arbeit nachhaltig. Dies, weil sie sehr wendig sind, und weil – da nicht gekuppelt werden muss – es deutlich leichterfällt, damit einhändig zu fahren, wenn man mit einem Arm polizeiliche Zeichen und Weisungen im Strassenverkehr geben muss», erklärte ein Bremer Polizist auf Nachfrage.
Ähnliche Erfahrungen haben Angehörige der Osnabrücker Polizei gemacht, die schon seit mehr als zwei Jahren mit E-Motorrädern von Zero Motorcycles auf Patrouillenfahrt gehen. Auch dort schätzen die Einsatzkräfte insbesondere die Handlichkeit der 60 PS starken E-Motorräder. Diese wiegen trotz des schweren Akkus nämlich etwa 100 Kilogramm weniger als die zuvor verwendeten schweren BMWBoxer-Motorräder, was sich vor allem im urbanen Einsatz sowie beim Rangieren positiv bemerkbar macht. Zudem kommen die Osnabrücker Polizisten, da ihre Motorräder mit Zusatzpower-Tanks ausgerüstet wurden, mit einer Akkuladung nicht nur 250, sondern knapp 330 Kilometer weit, ehe sie nachladen müssen.
Aber bei den Erprobungen haben die diversen Korps auch Nachteile festgestellt. «Die Verarbeitung entspricht nicht dem Niveau, wie wir es von BMW gewohnt sind. Zudem sind die Fahrwerkskomponenten nicht so fein abgestimmt, worunter der Komfort leidet. Zudem muss sich erst noch weisen, ob diese Motorräder genauso lange halten und ebenso viele Kilometer abspulen können, ehe sie ersetzt werden müssen, wie unsere bisherigen Krafträder», erklärt ein deutscher Flottenverantwortlicher auf Nachfrage der Redaktion.
Auch in der Schweiz werden E-Motorräder genutzt und erprobt
Hierzulande wird noch wenig Aufhebens um die zweirädrige E-Mobilität gemacht – auch wenn diverse Korps, etwa die Stadtpolizei Lausanne und die Luzerner Polizei, bereits E-Motorräder von Zero Motorcycles erworben respektive erprobt haben.
In Lausanne stehen seit 2022 zwei Zero SR/S im Dienst der stadteigenen Polizei-Motorradstaffel – eines davon mit Polizeilackierung, das andere dezent in Standardausführung. Der Leiter der Lausanner Motorradfahrer-Staffel, Yves Delprato, äusserte sich den Medien gegenüber positiv über die 110 PS starken Maschinen. Diese seien antrittsstark, leise und deutlich handlicher als die betagten BMWModelle, die zuvor im Einsatz standen. Die Reichweite von 250 Kilometern sei mehr als ausreichend angesichts der Tatsache, dass die Lausanner Stadtpolizisten im normalen Dienst kaum jemals mehr als 30 Kilometer am Tag fahren.
Bei der Luzerner Polizei steht seit August 2022 eine Zero SR/ZF 15.6 in der Erprobung. Ausgerüstet mit selbst eingebauter Sirene, Blaulicht und LED-Blitzern wird die 54 PS starke Maschine von der Verkehrspolizei im Patrouillendienst sowie bei Begleitfahrten, etwa beim «slowUP»-Event rund um den Sempachersee, eingesetzt. «Die Erprobung dieses Motorrades erfolgt im Rahmen unserer Strategie, bis 2040 CO 2-neutral zu werden», erklärt Flottenmanager Guido Bösch. Bisher seien gute Erfahrungen mit dem Motorrad gemacht worden. «Ich habe keine Klagen zu Ohren bekommen – also funktioniert das Motorrad», sagt er mit einem Schmunzeln. Zwar sei das Fahren mit einem E-Motorrad «etwas ganz anderes als mit einem konventionellen Motorrad», und die Reichweite von rund 250 Kilometern sei «je nach Einsatzgebiet und Einsatzszenario ein recht theoretischer Wert». Doch sei bisher auch kein Fahrer mit leerem Akku stehen geblieben. «Sofern man über die Mittagspause nachladen kann, reicht es», sagt Guido Bösch.
Gründe für den E-Motorrad-Einsatz
Wer nachforscht, welche Gründe Polizeikorps aus aller Welt für die Nutzung von E-Motorrädern anführen, stösst auf die immer gleichen Antworten: E-Motorräder beschleunigen fulminant, sind handlich, erlauben es, ohne zu kuppeln oder zu schalten, zu fahren, sind leise, was auch taktische Vor teile bietet, und sie verbessern die Ökobilanz der Flotte. Als nachteilig bewertet werden die derzeit noch geringe Reichweite, der hohe Preis der E-Motorräder, die Notwendigkeit, eine spezielle Ladeinfrastruktur einzurichten, und die Tatsache, dass es (derzeit) noch nicht ohne weitere, konventionelle Verbrenner-Motorräder in der Flotte geht, was deren Komplexität und damit die Kosten erhöht.
E-Motorräder aus Italien laden konkurrenzlos schnell
Ernst zu nehmende Konkurrenz für den derzeitigen Marktführer Zero Motorcycles kommt aus Italien. Die Energica Motor Company S.p.A. aus Soliera/Modena bietet mit dem klassischen Strassenmodell EsseEsse9+ und der Reiseenduro Experia gleich zwei Modelle für den Behördeneinsatz an. Beide Modelle sind mit 109 respektive 101 PS bärenstark, mit bis zu 200 km/h pfeilschnell und kommen dank ihrer grossen 22,5-kW-Akkus im Stadtverkehr bis zu 420 Kilometer weit (Mischbetrieb: 250 km; Überland: 200 km).
Überdies sind die Modelle von Energica die bislang einzigen E-Motorräder am Markt, die via CSS-Stecker mit Gleichstrom (bis 25 kW) laden können – an nahezu jeder Schnellladestation. So ist es möglich, den Stromspeicher der italienischen E-Motorräder in nur 20 Minuten von 20 auf 80 Prozent respektive in 50 Minuten von 0 auf 100 Prozent aufzuladen. Das sind Rekordwerte im aktuellen E-Motorradmarkt!
Eingesetzt werden E-Motorräder von Energica aktuell bereits in Italien sowie in Grossbritannien.
E-Motorräder aus China
Natürlich mischt auch China, wenngleich derzeit nur ausserhalb Europas, im Behördenmarkt mit. Ein bekannter P layer ist die Firma CFMoto, die mit dem Modell 300GT-E aktuell den chinesischen Markt beherrscht. Das an eine HarleyDavidson erinnernde, voll verkleidete Strassenmotorrad schafft dank wasser gekühltem 18-kW-Motor bis zu 120 km/h Topspeed und fährt pro Akkuladung bis zu 150 Kilometer weit. Einen Schnelllader sucht man vergebens, dafür gibt es Updates «on air», also ohne Werkstattbesuch, Keyless Go und ein eingebautes Navigationssystem mit 7-Zoll-TFTBildschirm.
Auf den ersten Blick skurril, auf den zweiten Blick indes gar nicht so abwegig mutet das von der White Motorcycle Concepts (WMC) in Northamptonshire/ England entwickelte WMC300FR an, das seit 2022 von der dortigen Polizei verwendet wird. Dieses Vehikel hat nicht nur ein Rad und einen Motor mehr als ein konventionelles Motorrad, sondern zeigt insbesondere auf, dass «einsatztauglich» in aller Regel auch «einfach» bedeutet.
Dazu hat WMC den dreirädrigen, von einem 28-PS-Vier takter angetriebenen Stadtflitzer Yamaha Tricity 300 mithilfe eines simplen 7-PS-E-Motors sowie handelsüblicher Akkus in ein Hybridfahrzeug verwandelt. Dieses soll im Blaulichteinsatz bis zu 50 Prozent Treibstoff einsparen (knapp 2 statt 3,7 l/ 100 km) und kommt ohne Anschaffung kostspieliger Ladestationen vor dem Gebäude oder in der Tiefgarage aus. Dies, weil es mit zwei simplen 56-V-10-Ah-Akkus von EGO bestückt ist, die blitzschnell aus dem Sitzbankhöcker entnommen und gewechselt werden können. Aufgeladen werden sie dann in einem handel süblichen Ladegerät – in der Garage der Einsatzkräfte oder in der Polizeistation. Ist mehr Reichweite vonnöten, als zwei Akkus bereitstellen, können die Einsatzkräfte einfach in den Seitenkoffern zwei zusätzliche geladene Akkus mitführen.
Der grösste Vorteil der E-Dreiräder, die ohne Seiten- oder Hauptständer stehen bleiben, wenn sie abgestellt werden, ist, dass diese in England mit dem PW-Ausweis gefahren werden dürfen – was die Zahl der Polizisten, die sie fahren dürfen, maximal erhöht.
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