Griffspuren
ein Versuch, dem Briefbogen mehr Halt zu geben.
Projekt zum Thema „Briefbogen“. Dozent: Georg Engels, Schule für Gestaltung, Ravensburg. 6. Semester, SS 2009 Konzeption und Umsetzung: Julia Franziska Valter
Betreff: Aufgabe, freie Arbeit zur aussterbenden Art des Geschäftsbriefes
Aspekte: Format, Geschichte, Bestandteile, Konstanten und Variablen, Stand der Elemente, Maße, DIN-Normen, Beschriftungen mit Schreibmaschine, Entwicklung im Computerzeitalter, Templates MS Word, Verwandtschaften und Abgrenzungen: Fax, E-Mail, Angebot, Rechnung, privater Brief, Memo, Druck (Offset, Stahlstich, Prägung, Blindprägung, Laser, Tintenstrahl…), Papier, Faltung, Kuvert, Versand, Kopierer, Kunst und Experiment/Dekonstruktion, Literatur und …Gestaltung
Konzept Um den Geschäftsbrief auf Papier von der stark konkurrierenden Email, die im Geschäftsverkehr immer häufiger verwendet wird abzugrenzen und positiv hervorzuheben geht meine Überlegung in Richtung Materialität und Haptik*. Um dem Empfänger bewusst zu machen, dass er etwas in den Händen hält, möchte ich vor allem das Erlebnis den Anfassens betonen. Papier ist an sich ein eher glattes Material. Es haptisch erlebbar zu machen ist mein Ziel. Die Über legung könnte nun weiter in Richtung schwereres, bzw. strukturhaltiges Papier gehen. Aus Kostengründen – Papier und Porto – wird jedoch meist ein einfaches Papier (80 g/ m²) verwendet; oft mit gedrucktem Briefkopf. Dabei möchte ich aus den genannten Gründen auch bleiben. Nur ein weiteren Arbeitsschritt möchte ich anfügen, nämlich die Prägung des Papiers. Durch Prägen** bekommt das Brieflesen eine weitere –sinnliche – Dimension. Und das ist im von PC-Arbeit bestimmten Büroalltag auf jeden Fall eine Bereicherung.
* Hap|tik Gesamtheit der Tastwahrnehmung [zu griechisch haptein „fassen“] . ** prä|gen 1 etwas ~ durch Druck mit dem Prägestock oder –stempel mit einem Bild – oder Schrift versehen 2 jmdn. od. etwas gestalten, mit einem bestimmten Gepräge, ~ einer Eigenart versehen
Ermittlung der Griffpunkte Die Prägung soll an den Stellen des Briefbogens angebracht werden, an denen durchschnittlich die meisten Menschen einen Briefbogen anfassen. Zur Ermittlung dieser Punkte habe ich 25 blanko Briefbögen gefaltet in Brief umschläge gesteckt und markiert wo vorne ist. Die Versuchspersonen –männlich und weiblich im Alter von 20 bis 70 Jahren – bekamen nur die Anweisung, die Fingerspitzen mit Wasserfarbe zu benetzen und dann den „Brief“ auszupacken wie gewohnt. Ich habe bewusst alle Farben des Malkastens zugelassen um die Differenzierung der Abdrücke zu erleichtern. Nachdem die 25 Versuchspersonen ihre Fingeabdrücke hinterlassen hatten, habe ich die Briefbögen eingescannt und im Photoshop* so übereinander gelegt, daß das Weiße des Briefbogens transparent ist, und die Fingerabdrücke sich sichtbar überlagern. So konnte ich feststellen an welchen Stellen des Briefbogens die meisten Fingerabdrücke, und damit die Griffpunkte, waren.
* Adobe Photoshop ist ein kommerzielles Bildbearbeitungsprogramm des amerikanischen Softwareherstellers Adobe Systems. Im Bereich der professionellen Bildbearbeitung ist das Programm Marktführer.
Graustufen Da es nun nicht mehr um die einzelnen Abdr체cke, sondern die H채ufung derselben ging, habe ich im n채chsten Schritt die Farbe entfernt. Auf der vorliegenden Ansicht in Graustufen ist gut zu erkennen, wo die Griffpunkte sind.
Vereinfachung* der Formen Um die Produktion der Prägung mit einer Handprägezange zu gewährleisten, habe ich eine Prägeform gewählt, deren Format realistisch ist. Die Kreisform bietet sich als Griffpunkt geradezu an, da die Fingerspitzen gut darauf ruhen können. Er hat einen Durchmesser von 45 mm.
* das Vereinfachen; vereinfachen einfacher machen π ein vereinfachtes Verfahren; eine Sache vereinfacht darstellen
Prägeform Der Kreis ist durch Prägepunkte sichtbar. Punkte habe ich gewählt, da sie haptisch deutlich zu erfahren sind.* Die anderen Formen, und Muster, die ich versucht habe, –verschiedene Linien, Fingerabdruckmuster, etc.– hatten nicht den gewünschten Effekt.
* Die Braille-Schrift für Menschen, die eine schwer eingeschränkte Sehfähigkeit besitzen bzw. blind sind, besteht aus Zeichen, die aus je sechs Punkten zusammengesetzt sind. Diese Braille-Buchstaben werden in festes Papier geprägt, sodaß sie zu ertasten sind. Erfunden und entwickelt wurde diese Schrift 1829 von Louis Braille. Geübte Braille-Leser schaffen ca. 100 Wörter pro Minute. Zum Vergleich: Schwarzschrift**-Leser schaffen etwa 200 bis 250 Wörter pro Minute. ** Schwarzschrift nennen Braille-Schrift-Benutzer die übliche Schrift der Sehenden. Also die geschriebene und gedruckte Schrift, –egal in welcher Farbe.