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Cornelia Walter Medienpädagogik beim Kreisjugendring München-Stadt: fest verankert

Als Anfang März 2020 schlussendlich auch die offene Kinder- und Jugendarbeit coronabedingt ihre Tore schließen musste, wurde im Kreisjugendring München-Stadt (KJR) schnell nach digitalen Lösungen in allen Bereichen – pädagogischen sowie in der Verwaltung – gesucht. Dabei zeigte sich, dass wir als KJR hier auf ein starkes Fundament an medienpädagogischen Erfahrungen und auch an digitalen Strukturen aufbauen konnten, wir von einer kompletten digitalen Transformation in allen Bereichen allerdings noch weit entfernt sind. In einem spontan eingerichteten speziellen Arbeitskreis zu Corona tauschten wir uns über aktuelle Methoden, Tools, Apps und Programme ebenso wie deren Rahmenbedingungen aus. Kolleg*innen aus allen Bereichen der Kinder- und Jugendarbeit, der Schulsozialarbeit und der Jugendverbandsarbeit waren ebenso im AK vertreten wie die Kolleg*innen aus der Öffentlichkeitsarbeit, der Datenschutzbeauftragte und zahlreiche Fachstellen. Jede*r brachte Ideen ein und neben zahlreichen kreativen Ideen und Aktionen, die entstanden sind und die wir online1 sammelten, legte die Frage nach der digitalen Kinder- und Jugendarbeit auch immer einige Mängel offen: denn wie können wir digital arbeiten, wenn es zum Teil an der technischen Ausstattung dafür fehlt? Wie muss eine Digitalstruktur im Bereich der Kinder- und Jugendarbeit beschaffen sein, die nicht nur die Verwaltung im Blick hat, sondern auch pädagogisch nachhaltig wirken kann? Wie können wir Online-Räume für Kinder und Jugendliche sicher machen und neben den kommerziellen Angeboten auch alternative Räume anbieten? Wie können Datenschutz und informationelle Selbstbestimmung gewährleistet werden und wie gut qualifiziert fühlen sich die Pädagog*innen

mit Blick auf die Vermittlung von Medienkompetenz?

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1 Angebote zu Zeiten von Corona ebenso wie Links und Tipps wurden auf https://webzweinull.kjr-blog.de/ gesammelt. Spezielle Angebote für Kinder kann man auf dem spontan entstandenen Blog www.kjr-kinderwelten.de nachlesen. 275

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Game-Creator-Workshop

Reflektierter Umgang mit Medien und Technologien: Grundhaltung im KJR

Mit Blick auf Digitalisierung und Medienpädagogik hat sich vor allem in den letzten Jahren so Einiges getan beim KJR. Während es mit dem Café Netzwerk bereits seit über 20 Jahren eine medienpädagogische Facheinrichtung gibt, die vor allem im Bereich der Medienbildung aktiv ist und für Kinder und Jugendliche einen spezialisierten offenen Treff mit Medien und Technologien anbietet, ist das Thema Medien und Technologien (MuT) mittlerweile beim gesamten KJR verankert. Vor acht Jahren wurde eine Projektstelle Web 2.0 geschaffen, die zunächst medienpädagogische Projekte in den 50 Einrichtungen der offenen Kinder- und Jugendarbeit anbieten und die Kolleg*innen beim Thema Medien unterstützen sollte. Schnell wurde klar, dass das Thema Medien und Technik größer ist als einzelne Projekte. Es musste fachlich umfassender aufgegriffen und gleichzeitig Standpunkte entwickelt werden, um sich hier zu positionieren. Vor zwei Jahren wurde daher aus der Projektstelle Web 2.0 die Fachstelle für Medien und Technologie, deren Kernaufgaben in zwei Bereichen liegen: einerseits die Beratung und Unterstützung der Kolleg*innen (durch Einzelberatung, Fortbildungen, Inputs und Fachtage), andererseits die Konzeption überregionaler medienpädagogischer Projekte für Kinder und Jugendliche in ganz München. Zur gleichen Zeit wurde das Thema Medien und Technologie in die Neuauflage der

pädagogischen Leitlinien mit aufgenommen. Die Leitlinien beschreiben die Grundhaltungen des KJR (Kreisjugendring München-Stadt 2020b) für die pädagogische Praxis mit Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Sie teilen sich auf in zwei übergeordnete Leitlinien: Chancengleichheit und persönliche Entwicklung sowie Demokratie und gesellschaftliche Verantwortung. In letzterer ist die Leitlinie Reflektierter Umgang

mit Technologien und Medien verankert:

Löten und Basteln

„Technologien und Medien sind fester Bestandteil des Lebens junger Menschen. Der ständige Wandel der Technik- und Medienlandschaft erfordert Anpassung an die sich verändernden Bedingungen. Junge Menschen müssen überprüfen, inwieweit sie Veränderungen in der Technik- und Medienlandschaft in ihre Lebenswelt einbeziehen und für ihre Interessen und Bedürfnisse nutzen können und wollen. Unsere pädagogische Arbeit greift diese Situation auf, unterstützt bei der Aneignung und Reflexion und stellt

notwendige Ressourcen zur Verfügung. Technologische Veränderung bedarf der Orientierung. Die pädagogischen Fachkräfte entwickeln Konzepte und Angebote und befähigen so Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene, Medien und Technik selbstbestimmt und kritisch zu nutzen. Wir orientieren uns dabei an den Interessen und Bedürfnissen junger Menschen und berücksichtigen aktuelle Notwendigkeiten und Neuerungen. Wir schaffen zum einen Erfahrungsräume, um spielerisch an Technik und Medien teilhaben zu können, und bieten zum anderen Gelegenheiten, sich reflektiert mit den Handlungsmöglichkeiten und gesellschaftlichen Konsequenzen von Technologien und deren Veränderungen auseinanderzusetzen“ (Kreisjugendring München-Stadt 2020a).

Bereits während der Entwicklung der Leitlinien wurden parallel konkrete Arbeitshilfen angefertigt, die die Eckpunkte und Ziele einer guten Medienpädagogik festlegen, Orientierung und pädagogische Tipps geben. Die Arbeitshilfen definieren auch das

Verständnis von Medienkompetenz und Medienpädagogik als handlungsorientierter Medienpädagogik. Ziel der medienpädagogischen Arbeit ist es, allen Kindern und Jugendlichen einen souveränen, aktiven, produktiven und reflektierten Umgang mit analogen

und digitalen Medien, Technologien und dem Internet zu ermöglichen. Die Arbeitshilfen sind einerseits theoretisch fundiert und konzentrieren sich auf die von Schorb (2017, S. 257) und Moser (2006, S.222) reduzierten drei Handlungsfelder bzw. Dimensionen

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278 der Medienkompetenz, und zwar Wissen, Handeln und Reflexion/Bewerten ebenso wie

am aktuellen fachlichen Diskurs. Andererseits sind die Arbeitshilfen angereichert mit den praktischen medienpädagogischen Erfahrungen der Pädagog*innen. Die (internen) Arbeitshilfen dienen als Unterstützung für die pädagogischen Mitarbeiter*innen für ihre Arbeit im Team, und geben Tipps zur Konzeption und Gestaltung der Angebote. Darüber hinaus wird eine institutionelle Verankerung von Medien und Technologien – sowohl in der eigenen Einrichtung als auch im gesamten KJR gefördert. Dabei fordern die Arbeitshilfen eine positive Grundhaltung zu Medien und Technologien und die Orientierung an den Bedürfnissen und Bedarfen der Zielgruppe.

Entwickelt wurden die Leitlinien und Arbeitshilfen von der Fachstelle Medien und Technologie gemeinsam mit dem Arbeitskreis Medien und Technologie (AK MuT). Die Mitarbeiter*innen des KJR werden in diesen Leitlinien und Arbeitshilfen regelmäßig geschult.

Der Arbeitskreis Medien und Technologie: fachlicher Austausch und Entwicklung

innovativer Projekte

Der AK MuT ist einer von zahlreichen Facharbeitskreisen des KJR. Aufgabenstellung, personelle Besetzung, Rahmenbedingung sowie Häufigkeit und Dauer sind dabei im

Organisationshandbuch des KJR geregelt. Der AK MuT findet regulär fünfmal jährlich

statt und wird geleitet von der Fachstelle MuT. Hier kommen die Kolleg*innen aus verschiedenen Bereichen, hauptsächlich aber der offenen Kinder- und Jugendarbeit, zusammen, um sich über aktuelle Themen auszutauschen und praktische Erfahrungen mit verschiedenen Medien und Technologien zu machen. Alle interessierten Kolleginnen* und Kollegen* sind dabei im AK MuT willkommen – unabhängig von Medienaffinität,

technischen Kenntnissen, Einstellungen gegenüber digitaler Welten und medialen Leidenschaften. Zusätzlich findet einmal jährlich ein Klausurtag zur intensiveren Beschäftigung mit einem Thema statt. Darüber gibt es regelmäßige Kooperationen mit anderen AKs des KJR, um thematische Schnittmengen zu beleuchten und gemeinsame Projekte zu entwickeln. So entstand z.B. im letzten Jahr ein gemeinsames Projekt von MuT und Nachhaltigkeit zum Thema Feinstaub. Aber auch die Zusammenarbeit mit anderen Fachstellen wie beispielsweise dem Bereich der Kinder(-kultur), Mädchen*/ Jungen* und LGBTIQ* findet regelmäßig statt.

Herzstück: die medienpädagogische Praxis

Der Arbeitskreis MuT ist auch ein Ort, in dem immer wieder Ideen für neue innovative Projekte gesponnen, Angebote konzipiert und gemeinsam durchgeführt werden. Zwar gibt es mit dem Café Netzwerk eine medienpädagogische Facheinrichtung, aber Medienpädagogik findet überall in den Häusern statt. Einige Kinder- und Jugendtreffs wie z.B.

das Intermezzo in Fürstenried, das Laimer Jugendzentrum mit Abenteuerspielplatz, der Kinder- und Jugendtreff 2Club in Sendling oder der Freizeittreff Freimann haben zahlreiche medienpädagogische Angebote etabliert und sind seit vielen Jahren in diesem Bereich tätig – mit LEGO-Mindstorm-Ferienangeboten, Podcasts, Minecraft-Events, Videoprojekten und vielem mehr. Daneben gibt es zahlreiche Medienangebote in der Nachmittagsbetreuung und im Rahmen von Schulangeboten.

Die thematische und methodische Vielfalt und die fruchtbare Zusammenarbeit der Pädagog*innen zeigen sich vor allem auch in den überregionalen Projekten. So gibt es seit vielen Jahren einen KJR-Minecraft-Server, auf dem immer wieder auch größere LAN-Partys zu verschiedenen Themen, wie z.B. Musikbauen mit Minecraft, Bauwettbewerbe oder Abenteuerspiele mit Erweiterung in der analogen Welt, stattfinden. Bei

der jährlichen Medienrallye lernen Kinder und Jugendliche aus unterschiedlichen KJR-Einrichtungen verschiedene Medien und Themen kennen – von Hacking und Datensicherheit über „alte“ Medien wie VHS und Disketten bis hin zur politischen Kommunikation durch einen fingierten Social Media-Wahlkampf. Der fachliche Austausch mit den

Fachbeauftragten für Mädchen* bzw. auch Jungen* zeigt sich auch in der Projektarbeit. Bereits seit vielen Jahren gibt es die mediale Stadtrallye für Mädchen*, die mit der App Actionbound durch für Mädchen* und Frauen* wichtige Orte von München führt und neben historischen Orten auch Anlauf- und Beratungsstellen ansteuert. Und auch der jährlich rund um den Weltfrauentag im März stattfindende Mädchen-Medientag Girls

vernetzt, wird nun auch speziell für Jungen* konzipiert.

In jedem Jahr gibt es darüber hinaus ein vom KJR gefördertes Kooperationsprojekt mit dem Medienzentrum München des JFF (MZM), an dem in den letzten Jahren zahlreiche Besucher*innen verschiedener Kinder- und Jugendtreffs des KJR teilgenommen haben. So entstanden Stop Motion-Filme zum Thema Cybermobbing, kreative Selfies,

Game-Trainings u.v.m. Die Ergebnisse aus dem 2016er Projekt „Games + digitale Spielkultur in der Jugendarbeit“ wurden 2017 auf einem Fachtag vorgestellt und die Materialsammlung ist online unter https://games.jff.de/gamesplus/ abrufbar.

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LEGO-Mindstorms

Im Rahmen der Medienkompetenzwoche #WhatsDepp2, die der KJR, genauer das Jugendinformationszentrum JIZ und das Café Netzwerk, mit der Münchner Stadtbibliothek und der Münchner Volkshochschule konzipiert hat, finden neben Schulklassenworkshops zu Social Media und Anti-Cybermobbing auch Informationsveranstaltungen am Abend für Eltern, Lehrer*innen, Multiplikator*innen und Interessierte statt. Bei diesen fachlichen Inputs sind immer auch die Kolleg*innen aus dem Netzwerk interaktiv, wie beispielsweise das SIN – Studio im Netz, mit von der Partie.

Daneben entstand in den letzten Jahren – initiiert vom Laimer Jugendzentrum und dem Intermezzo – im KJR ein umfassendes Maker-Ferienprogramm: MAKE.it (https:// makeit.kjr-blog.de/). Gestartet 2017 als zweiwöchiges Sommerferienprogramm mit einer offenen Werkstatt und geschlossenen Workshops rund ums Elektronikbasteln und Programmieren, können wir nun in jeden Ferien ein Angebot im Bereich Making und Coding anbieten – und immer mehr Kolleg*innen, Projektstellen und Häuser sind daran beteiligt. Hier ist vor allem das Ziel, allen Kindern und Jugendlichen einen Zugang zu Medien und Technologien ermöglichen.

Corona: Finger in die offene Wunde der digitalen Transformation

Die nur vereinzelt dargestellten Beispiele medienpädagogischer Angebote im KJR veranschaulichen, wie etabliert die Medienpädagogik bereits ist. Doch Corona offenbart: im medienpädagogischen Flickenteppich des KJR müssen noch einige Löcher gestopft werden, damit dieser stabiler wird. Angefangen von finanziellen Ressourcen

für Ausstattung und Technik über die Finanzierung größerer Projekte, die aktuell über

2 Mehr unter www.whatsdepp.de

MAKE.it: LED-Monster © Heiko Neumann, Intermezzo

die Budgets der Häuser abgedeckt werden bis hin zu personellen Ressourcen. Denn damit medienpädagogische Angebote regelmäßig und flächendeckend stattfinden

können, braucht es das Fachwissen und Engagement vieler, und nicht nur – wie aktuell – einzelner, die mit viel Herzblut und Spezialwissen, Angebote vorantreiben und nicht selten dabei ihre Freizeit opfern. Und die gesamte Kinder- und Jugendarbeit muss digital sein, denn das Internet mit all seinen Anwendungen ist ein Raum von und für Kinder und Jugendliche. Und hier zeigt sich: wir haben oft keine Antwort auf die – mit Blick auf Datenschutz und Privatsphäre fragwürdigen – kommerziellen Anbieter. Verschiedene Zielgruppen benötigen verschiedene Angebote, Plattformen und Tools und die Erreichbarkeit der Kinder und Jugendliche über Social Media ist für Viele noch eine neue Form der Beziehungsarbeit – und das sowohl für die Zielgruppe als auch für die Pädagog*innen. Diese Form der Kommunikation – online miteinander zu sprechen, zu spielen – ist noch nicht etabliert.

Die digitale Zukunft des KJR

Die Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen ist digital, und Corona hat nun endgültig gezeigt: die Trennung zwischen analoger und digitaler Welt im Denken muss endlich über Bord geworfen werden. Digitale Kinder- und Jugendarbeit ist (auch) Kinder- und Jugendarbeit. Und das muss sich auch strukturell widerspiegeln, in den Aufgaben- und Leistungsbeschreibungen der Kinder- und Jugendtreffs. Damit dies aber konsequent umgesetzt werden kann, braucht es allerdings Ressourcen, und zwar finanzielle wie

personelle. Und wir müssen digitale Strukturen ausbauen und den digitalen Raum sicher machen für Kinder und Jugendliche. Erste Schritte in diese Richtung, wie der Aufbau

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282 eines Jugendservers, sind gemacht. Alternative Angebote wie Jitsi oder Big Blue Button haben den Blick gelenkt auf die Notwendigkeiten nicht-kommerzieller Plattformen für Kinder und Jugendliche. Es braucht aber auch in der offenen Kinder- und Jugendarbeit eine Vielfalt an Plattformen und Methoden. Die digitale Infrastruktur muss auch pädagogisch gedacht werden. Diese und andere inhaltliche „neue“ Themen wie die Macht der Algorithmen, Fake News und Datenschutz verlangen nach neuen Methoden und damit nach einer steten Qualifizierung der Mitarbeiter*innen in diesen Bereichen. Es

braucht also noch ein wenig, um die digitale Transformation auch in der Kultur des KJR zu etablieren. Aber wir sind dran. Gemeinsam. Und das in allen Bereichen.

Literatur

Kreisjugendring München-Stadt (2020a). Leitlinie Demokratie und gesellschaftliche Verantwortung. München. www.kjr-m.de/fileadmin/KJR_Daten/PDF/KJR-Leitlinie_Demokratie_gesellschaftliche_Verantwortung.pdf [Zugriff: 13.6.2020]

Kreisjugendring München-Stadt (2020b). Pädagogische Leitlinien. www.kjr-m.de/index. php?id=268 [Zugriff: 13.6.2020]

Moser, Heinz (2006). Einführung in die Medienpädagogik. Aufwachsen im Medienzeitalter. 4. Auflage. Wiesbaden: Springer VS.

Schorb, Bernd (2017). Medienkompetenz. In: Schorb, Bernd/ Griemberg-Hartung, Anja/Dallmann, Christine (Hrsg.) (2017). Grundbegriffe Medienpädagogik. 6. Auflage. Müchen: kopaed.

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