Opa Franz Friedrich Storz - RS

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Unser Opa Franz Friedrich Storz Die Geschichte seines Lebens. Zusammengestellt von seinem Enkel Reinhard Storz mit Unterstützung von anderen Familienmitgliedern, hauptsächlich von Christa Sohr, wofür ich mich an dieser Stelle recht herzlich bedanken möchte.

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Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung.........................................................................................................................................2 2. Geburt. .............................................................................................................................................3 3. Seine Vorfahren. ..............................................................................................................................7 4. Kindheit, Schulzeit und Berufsausbildung.....................................................................................15 4.1 Kindheit...................................................................................................................................15 4.2 Schule.......................................................................................................................................16 4.3 Berufsausbildung.....................................................................................................................17 5. Wanderschaft, Militärzeit in Regensburg, Seefahrtszeit, Ansiedlung in Hamburg........................23 5.1 Wanderschaft...........................................................................................................................23 5.2 Militärzeit in Regensburg........................................................................................................23 5.3 Fortsetzung der Wanderschaft und erste Seefahrt ab 1903......................................................28 5.4 Erste Eintragungen im Seefahrtsbuch; Reisen im Jahre 1904...............................................34 5.5 Seefahrt im Jahre 1910. .........................................................................................................42 5.6 Postkarten aus aller Welt........................................................................................................60 6. Der Erste Weltkrieg........................................................................................................................83 7. Die 20er und 30er Jahre................................................................................................................119 7.1 Mitgliedschaft in Vereinen....................................................................................................119 7.2 Ansiedlung in Bramfeld.........................................................................................................122 8. Nazizeit und 2. Weltkrieg.............................................................................................................133 9. Nachkriegszeit als Rentner und Nachtwächter.............................................................................140 9.1 Garten und Tiere....................................................................................................................140 9.2 Fritz Storz in Partei und Gewerkschaft..................................................................................144 9.3 Reisen und Ausflüge..............................................................................................................146 9.4 Fritz Storz als Nachtwächter..................................................................................................149 9.5 Fritz Storz bei den Luftschiffern............................................................................................150 9.6 Die letzten Lebensjahre.........................................................................................................153

1. Einleitung. Bei einem Familientreffen in Hamburg, nach der Beerdigung meiner Mutter, kamen wir unter anderem auf das Leben unserer Vorfahren zu sprechen und ich berichtete in diesem Zusammenhang einiges, was mir aus dem Leben meines Großvaters, Franz Friedrich Storz, in Erinnerung war. Manches davon war den meisten Familienmitgliedern unbekannt, anderes im Laufe der Jahre in Vergessenheit geraten. Daher kam von meiner Nichte, Christa Sohr, die Anregung, diese Erinnerungen für die Familienangehörigen aufzuschreiben. Als Rentner habe ich jetzt die Zeit und will diese Aufgabe gerne übernehmen. Als ich über dieses Thema nachdachte, habe ich auch überlegt, aus welchem Grunde ich über meinen Großvater Fritz Storz so viel mehr Einzelheiten weiß als über die anderen Großeltern oder meine eigenen Eltern. Es kommen hier mehrere Gründe zusammen: 1. Habe ich viele Jahre mit ihm im selben Haus gewohnt, was bei meinen Großeltern mütterlicherseits nicht der Fall war. 2


2. Wurde er Rentner als ich 3 Jahre alt war und er war daher häufig im Hause oder Garten und somit für mich verfügbar, was bei der Oma in dem Maße nicht der Fall war. Die hat mit uns Kindern auch schon mal Karten gespielt oder Mensch ärgere dich nicht, war aber natürlich auch mit Wäsche waschen und Essen zubereiten beschäftigt. 3. Mit dem Opa bin ich häufig zusammen gewesen wenn er im Garten gearbeitet hat. So hat er mir beispielsweise gezeigt was zu beachten ist, wenn man Bäume zurück schneidet oder veredelt. 4. Bei sternklarer Nacht hat er das Fernglas geholt und ist mit mir in den Garten gegangen um den Sternenhimmel zu betrachten. Ihm hat es wohl gefallen mir diese vielfältigen Dinge mitzuteilen und ich habe gerne zugehört. Nachdem ich die bei mir vorhandenen Dokumente gesichtet und geordnet hatte schrieb ich einen ersten Entwurf dieser Lebensgeschichte und verteilte diesen an meine Geschwister und Christa Sohr. Zu vielen Einzelheiten waren Fragen offen. Durch weitere Dokumente, die ich dann, im Wesentlichen von Christa bekam, vervollständigte sich das Bild. Durch Suche im Internet kamen viele weitere Informationen über die damalige Zeit und die Zusammenhänge und Hintergründe zusammen, die es ermöglichen, die in den vorliegenden Dokumenten aus dem Leben von Fritz Storz enthaltenen Informationen besser einzuordnen. Ich bin bei der Aufzeichnung der Erinnerung aus eigenem Erleben und aus früheren Erzählungen älterer Familienmitglieder und anderer Personen sowie den zugehörigen Informationen aus Dokumenten im Wesentlichen chronologisch vorgegangen. An der einen oder anderen Stelle habe ich jedoch, um Zusammenhänge aufzuzeigen, auch einen Sprung in die Vergangenheit oder Zukunft gemacht. Ich habe am Anfang nicht gedacht, dass ich 3 Monate mit diesem Bericht beschäftigt sein würde. Vor allem durch die Größe der Datei sind mir sowohl unter Windows als auch unter LINUX die Dateien abgestürzt. Nach dem Speichern fand man die Abbildungen überall wieder, außer an der Stelle, wo sie hingehörten.

2. Geburt. Franz Friedrich Storz wurde am 05.09.1879 als Sohn eines Tischlers in Meinsdorf, Kreis Zerbst, in Sachsen Anhalt geboren. Das ist heute ein Vorort von Dessau. Während seiner Wanderschaft und Seefahrtszeit wird die Original- Geburtsurkunde wohl abhanden gekommen sein. Im Text der im

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Jahre 1911, vermutlich im Zusammenhang mit seiner bevorstehenden Hochzeit, ausgestellten Geburtsurkunde liest sich das so:

Und in lateinischer Schrift so: Geburtsurkunde Nr. 37 Mühlstedt am 22. September 1879 Vor dem unterzeichneten Standesbeamten erschien heute, der Persönlichkeit nach bekannt, die Hebamme Christiane Körner, geborene Schumann, wohnhaft in Meinsdorf und zeigte an, daß von der Wilhelmine Storz, geborene Kortleben, evangelischer Religion, Ehefrau des Tischlers Franz Storz, evangelischer Religion, wohnhaft bei ihrem Ehemann in Meinsdorf No. 42 zu Meinsdorf in der Wohnung ihres Ehemannes 4


am fünften September des Jahres Tausendachthundertsiebzig und neun vormittags um neun Uhr ein Kind männlichen Geschlechts geboren worden sei welches die Vornamen Franz Friedrich erhalten habe. Die Frau Körner erklärte, daß

Und in lateinischer Schrift heißt der Text der, anschließend abgebildeten, zweiten Seite der Geburtsurkunde wie folgt: - sie bei der Niederkunft der Ehefrau Storz zugegen gewesen sei. Vorgelesen, genehmigt und unterschrieben Christine Körner Der Standesbeamte. J. W. A. Eckert Daß vorstehender Auszug mit dem Geburts-Haupt-Register des Standesamts zu Mühlstedt Kreis Zerbst gleichlautend ist, wird hiermit bestätigt. Mühlstedt am 30ten September 1911 Der Standesbeamte Aug. Herrmann

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3. Seine Vorfahren. Bevor ich auf die Vorfahren von Franz Friedrich Storz eingehe, füge ich die Skizze einer Landkarte mit den Orten in Sachsen Anhalt ein, in denen diese gelebt haben.

Autobahn A9 Berlin München

Zerbst

Mühlstedt Rosslau

Düben Meinsdorf Coswig

Elbe

Dessau

Thurland

Bitterfeld Die Eltern von Franz Friedrich Storz waren der Tischler Gottfried Ernst Franz Minsel, genannt Storz und seine Ehefrau Wilhelmine geb. Kortleben Der auf der folgenden Seite abgebildete Auszug aus dem Geburts- und Taufregister der evangelischen Kirchengemeinde Thurland in Thurland / Anhalt vom 20. Juni 1942

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(möglicherweise zum Nachweis „arischer“ Vorfahren beschafft, wie es damals von den Nazis gefordert wurde) hat folgenden Inhalt:

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Abschrift der vorstehenden, in Sütterlin verfassten, Geburtsurkunde: Jahrgang 1849 Seite 12 Nr. 15 Täufling:

Eltern:

Zu- und Vornamen:

Minsel, Gottfried Ernst Franz

geboren am:

26. Mai 1849 zu Thurland

getauft am:

10. Juni 1849

Vater Zu- und Vornamen: Stand: Wohnort:

Religion:

Mutter: Zu- und Vornamen: Minsel, Marie Luise, ehelich zweite Tochter des Zimmermanns Ernst Minsel in Thurland

Religion: evangelisch

Angabe über den Erzeuger eines unehelichen Kindes, Paten, die als Verwandte des Täuflings erkennbar sind usw. Sonstige für die Abstammung wichtige Angaben:

Der Vater von Fritz Storz, Gottfried Ernst Franz Minsel, genannt Storz, war offensichtlich unehelich geboren. Über dessen Vater ist mir nichts bekannt. Thurland, der Geburtsort von Gottfried Ernst Franz Minsel, genannt Storz, dem Vater von Franz Friedrich Storz, liegt südlich von Dessau. In den folgenden Geburtsurkunden taucht mehrfach die Bezeichnung Kossuth auf. Ich habe vermutet, dass es sich dabei um einen in der Landwirtschaft beschäftigten handelt. Christa hat dazu folgendes aus GenWiki, dem genealogischen Lexikon zum Mitmachen herausgefunden: Cossat, Kossat, = Berufsbezeichnung Bedeutung: Ein Kossat war ein vom Grundherren angesiedelter Kleinbauer, der ein Haus und etwas 9


Land für die eigene Bewirtschaftung erhielt. Er musste dem Grundherren dafür Zinsen in bar zahlen, Naturalien (z. B. Hühner, Getreide) abgeben und auch Hand- und Spanndienste (z. B. auf dem Hofe, bei der Getreideernte, beim Holzeinschlag usw.) leisten. Kossut ist wohl eine andere, in Anhalt üblich gewesene, Schreibweise von Kossat. Opas Mutter, Wilhelmine Storz, geb. Kortleben wurde am 28.08.1845 in Meinsdorf geboren. Ihre Eltern, also die Großeltern mütterlicherseits von Franz Friedrich Storz waren Elisabeth Kortleben, geb. Hahn, geb. 1809 in Düben bei Coswig und Christoph Kortleben, geb. 1797 in Meinsdorf. (Die Daten laut handschriftlicher Angaben meiner Großeltern über die Vorfahren, Geburtsurkunde von Christoph Kortleben, liegt mir nicht vor) Zu Elisabeth Kortleben, geb. Hahn, geb. 1809 in Düben bei Coswig folgende Angaben: Auszug aus dem Taufregister der evangelischen Pfarrkirche St. Petri in Düben Jahrgang 1809

Seite 17

Täufling:

Nr. 1.

Name, Vornamen:

Marie Elisabeth Hahn

Geburtstag:

5. Februar 1809

Geburtsort:

Düben

Tauftag:

9. Februar 1809

Sonstige Angaben: Eltern:

Vater: Name, Vornamen:

Andreas Hahn

Beruf: Kossuth Mutter: Geburtsname, Vornamen: Christiane Marie geb. Lüdicke Wohnort der Eltern:

Düben

Sonstige Angaben, z.B. ob verstorben usw.: Sonstige für die Abstammung wichtige Angaben: Ort und Datum:

Zieko, d. 19. Juni 1942

Unterschrift:

Ev. Pfarramt Zieko bei Coswig Anhalt i.A. Raeuber, Kirchenbuchf.

Scan vom Original auf der folgenden Seite.

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Von den Eltern der Elisabeth Kortleben, geb. Hahn, habe ich Auszüge aus den Trau- bzw. Taufregistern, und zwar:

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Auszug aus dem Trauregister der evangelischen Pfarrkirche St. Petri in Düben Jahrgang 1804 Bräutigam:

Seite 4

Nr. 2.

Name, Vornamen:

Andreas Hahn

Familienstand:

Junggesell

Religion:

Beruf:

Kossuth

Alter:

Geburtsort:

Düben

Wohnung usw.

Düben

Religion:

Ev.

Braut: Geburtsname, Vornamen

Ev.

Christiane Marie Lüdicke

Familienstand:

Jungfr.

Beruf:

Alter:

Geburtsort:

Renden

Wohnung usw.

Vater, Name, Vornamen:

Andreas Hahn

Beruf: Kossuth

Mutter, Geburtsname, Vornamen:

--

Wohnort der Eltern:

Düben

Eltern des Bräutigams:

Sonstige Angaben, z.B. ob verstorben usw.: Eltern der Braut: Vater, Name, Vornamen:

Johann Erdmann Lüdicke Beruf: Kossuth u. Gerichtssch.

Mutter, Geburtsname, Vornamen:

--

Wohnort der Eltern:

Renden

Sonstige Angaben, z.B. ob verstorben usw.: Sonstige für die Abstammung wichtige Angaben: Ort und Datum:

Zieko, d. 19. Juni 1942

Unterschrift:

Ev. Pfarramt Zieko bei Coswig Anhalt i.A. Raeuber, Kirchenbuchf.

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Scan der Geburtsurkunde von Johann Andreas Hahn, unserem bislang ältesten dokumentierten Vorfahren (geboren 31. August 1776) Inhalt der Urkunde in lateinischer Schrift auf der folgenden Seite.

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Auszug aus dem Taufregister der evangelischen Pfarrkirche St. Petri in Düben Jahrgang 1776

Seite 285

Täufling:

Nr. 3.

Name, Vornamen:

Johann Andreas Hahn

Geburtstag:

31. August 1776

Geburtsort:

Düben

Tauftag:

1. September 1776

Sonstige Angaben: Eltern:

Vater: Name, Vornamen:

Johann Andreas Hahn

Beruf: Kossuth Mutter: Geburtsname, Vornamen: Anna Elisabeth, geb. Frenkel Wohnort der Eltern:

Düben

Sonstige Angaben, z.B. ob verstorben usw.: Sonstige für die Abstammung wichtige Angaben: Ort und Datum:

Zieko, d. 19. Juni 1942

Unterschrift:

Ev. Pfarramt Zieko bei Coswig Anhalt i.A. Raeuber, Kirchenbuchf.

4. Kindheit, Schulzeit und Berufsausbildung. 4.1

Kindheit.

Aus seiner Kindheit in Meinsdorf hat Fritz Storz verschiedentlich erzählt. An einem Bach hat er gespielt, Dämme gebaut um das Wasser aufzustauen und aus Holz geschnitzte Schiffe fahren zu lassen. Auch ein kleines Wasserrad hat er aus Holz gebaut und dort im Bach ausprobiert. Damals gab es noch keine Möbelindustrie wie heute. Schränke, Tische, Stühle usw. ließ man sich vom Tischler (z.B. Opas Vater Gottfried Ernst Franz Minsel, genannt Storz ) nach Bedarf auf Maß anfertigen. Wenn der Tischler keine Aufträge hatte so lief er durchs Dorf oder ging in die Wirtschaft um dort um Aufträge zu werben. Wenn man momentan keine Möbel brauchte, aber ein gutes Werk tun wollte, so ließ man sich einen Sarg anmessen und fertigen. Den brauchte man ja auf jeden Fall früher oder später.

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So hatten auch Opas Großeltern, Elisabeth und Christoph Kortleben, sich irgendwann bei passender Gelegenheit Särge tischlern lassen. Diese standen auf dem Dachboden und wurden auf eine Weise genutzt, die ich, als Fritz Storz davon erzählte, reichlich makaber fand. Die Särge wurden nämlich dafür genutzt, darin das jährlich zubereitete Dörrobst zu lagern bis es verbraucht wurde. In den verschlossenen Särgen war das Dörrobst vor Mäusen geschützt und wurde trocken gehalten. Von der goldenen Hochzeit seiner Großeltern, Elisabeth und Christoph Kortleben, die wohl um 1890 herum stattgefunden haben dürfte, erzählte Fritz Storz folgende Begebenheit: Die ersten Festgäste waren schon eingetroffen als es zum Streit zwischen dem Goldhochzeitspaar kam. Die Oma Kortleben wurde von ihren Mann Christoph gerade verdroschen als der Pfarrer in vollem Ornat eintraf um das Paar anlässlich der Goldenen Hochzeit zu segnen. Der Pfarrer war entsetzt und sagte: Aber Herr Kortleben, wie können Sie nur ihre Frau schlagen? Worauf dieser antwortete: „Komm nur her, du schwarzer Teufel, dich zu verdreschen reichts auch noch.“ Darauf hätte der Geistliche sich bekreuzigt, seine Rockschöße hochgerafft und sich eiligen Schrittes davongemacht. Christoph Kortleben, geb. 1797, muss damals etwa 90 Jahre alt gewesen sein, seine Frau um die 80.

4.2

Schule.

In der Zeit von 1886 bis 1894 besuchte Franz Friedrich Storz die Schule in Meinsdorf. Was ich aus seinen Erzählungen erinnere ist folgendes: Schüler verschiedenen Alters waren in der selben Klasse. Ob 1. bis 4. Schuljahr in einer Klasse und die größeren Kinder des 5. bis 8. Schuljahres in einer anderen Klasse waren kann ich nicht sagen. Ich habe deshalb per E- Mail die heutzutage zuständige Schulbehörde in Dessau angefragt, aber bislang keine Antwort erhalten. Während der Lehrer sich mit einer Gruppe Schüler beschäftigte mussten die jeweils anderen still sein und selbständig arbeiten. Mancher Unterricht wurde auch gemeinsam abgehalten. So wurden Gedichte auswendig gelernt und aufgesagt. Auch mussten von den Schülern die lateinischen Namen der Sonntage auswendig gelernt und auf Verlangen des Lehrers vorwärts und rückwärts aufgesagt werden. Wer Fehler machte bekam Sänge, d.h. er wurde vom Lehrer mit dem Rohrstock geschlagen. Fritz Storz konnte noch in hohem Alter die lateinischen Namen der Sonntage, zumindest von Neujahr bis Ostern, aufsagen. Schon in den letzten beiden Jahren seiner Schulzeit war Franz Friedrich Storz nach der Schule als Bote für die Druckerei von Wilhelm Meisenheimer in Rosslau tätig. Da hat er Pakete mit druckfrischen Reklamezetteln und ähnliches zu den Auftraggebern transportiert und dort abgeliefert. Aber er hat beispielsweise auch Öl zum Schmieren der Druckmaschine beim 16


Lieferanten, der auch seine Reklamezettel in dieser Druckerei herstellen ließ, abgeholt. Auf einigen dieser Zettel war der Text wohl nicht ganz rechtwinklig aufgedruckt. Diese musste der Fritz Storz seinem Chef im Auftrag des Öllieferanten zurückgeben weil dieser sie nicht akzeptierte. Sie seien schief. Daraufhin wurde Fritz Storz am nächsten Tag von seinem Chef mit dem letzten Behälter Öl zum Öllieferanten geschickt um dieses zurückzugeben mit der Bemerkung, das Öl sei ebenfalls schief und schiefes Öl könne man für die Druckmaschine nicht gebrauchen. Fortan musste Fritz Storz das Öl von einem anderen Lieferanten abholen.

4.3

Berufsausbildung.

Als er im Alter von 14 Jahren die Schule beendet hatte, begann er in der Druckerei Meisenheimer, in der er schon als Bote tätig gewesen war, eine Lehre als Buchdrucker und Schriftsetzer. Auf den folgenden Seiten der Lehrvertrag als Scan vom Original in Sütterlin und die Abschrift in lateinischer Schrift. Es lohnt sich das Papier zu lesen.

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Einige Klauseln wären heute in einem Lehrvertrag sicher nicht mehr zulässig und für die Bezahlung würde auch kein Lehrling mehr einen Finger krumm machen. Lehrvertrag, Seite 1

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Lehrvertrag, Seite 2

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Lehrvertrag, Seite 3

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Lehrvertrag, Seite 4

Es folgt der Text in lateinischer Schrift. 21


Lehrvertrag 1. Unter dem heutigen Tage ist zwischen dem Tischler Franz Storz in Rosslau als Vater seines am 5. September 1879 zu Meinsdorf geborenen Sohnes Friedrich Storz und dem Buchdruckereibesitzer Herrn Wilhelm Meisenheimer in Rosslau zur Begründung eines gesetzlichen Lehrverhältnisses nachstehender Lehrvertrag verabredet und getroffen worden. 2. Der Lehrherr Wilhelm Meisenheimer verpflichtet sich, den Friedrich Storz im Buchdruckergewerbe sowohl als Setzer wie auch als Drucker anzulernen, ihm die erforderliche Anweisung zu erteilen und ihn im Verlauf von 31/2 Jahren zum Gehilfen auszubilden. Es wird vorausgesetzt, daß er sich während dieser ganzen Zeit gut aufführt, fleißig und ehrlich ist. 3. Die Lehrzeit wird auf 31/2 aufeinander folgende Jahre und zwar vom 15. März 1894 bis 15. September 1897 festgesetzt. 4. Während der Lehrzeit erhält der Lehrling im ersten Jahr 4 Mark, im zweiten Jahr 4 Mark 50 Pfennige, im dritten Jahr 5 Mark von Beendigung des dritten Jahres bis zum Schluß der Lehrzeit 5 Mark und 50 Pfennige pro Woche. Außerdem zahlt der Lehrherr den vom Gesetz vorgeschriebenen dritten Teil der Kranken- und Invalidenkassengelder. 5. Für etwaige Vernachlässigungen und Ungebührlichkeiten und falls der Lehrling seinem Lehrherren irgendwelchen Schaden verursacht, ist er mit seinem Lohn zur Erstattung der entstandenen Benachteiligungen verpflichtet, außerdem aber macht sich Mitcontrahent unbedingt verbindlich, für solche Schulden einzustehen. 6. Sollte der Lehrling ohne Einverständnis des Lehrherren die Lehre verlassen, so verpflichtet sich der Vater zum Storz 150 M. als Entschädigung an Herrn Meisenheimer zu zahlen. Für den Fall, daß der Lehrherr während der Stipulierten Lehrzeit versterben oder sein Geschäft verkaufen sollte, wird an diesem Contractverhältnis nichts geändert, vielmehr tritt der nachfolgende Geschäftsinhaber in alle Rechte und Pflichten des jetzigen Lehrherrn. 7. Sollte ferner Herr Meisenheimer behindert sein, sei es durch Krankheit oder sonstige Umstände, seinen Functionen als Lehrherr weiter nachkommen zu können, so hat derselbe ebenfalls die Verpflichtung, für einen Geschäftsführer resp. Geschäftsnachfolger Sorge zu tragen und muß der Lehrling ebenfalls seine Lehrzeit beim Letzteren fortsetzen und vollenden. Sollte der Lehrling glauben, daß ihm von Seiten des Lehrherrn Unrecht geschehen sei, so darf derselbe auf keinen Fall die Lehre verlassen, vielmehr steht es dem Vater frei, gegen den Lehrherrn klagbar zu werden, und muß der Lehrling, bis nach erfolgter Entscheidung des Gerichts, in seiner Lehre verbleiben. 8. Kontrahenten einichten sich an diesen Kontrakt gebunden, entsagen allen dagegen zustande 22


kommenden Einreden jeder Art und Wirkung, haben ihn nach geschehener Durchlesung eigenhändig unterschrieben und je eines der beiden gleichlautend ausgefertigten Exemplare in Empfang genommen. Rosslau, den 21.Juli 1894 (Unterschrieben von)

Wilhelm Meisenheimer

Die Lehre als Buchdrucker und Schriftsetzer hat Friedrich Storz erfolgreich in der vereinbarten Zeit von 31/2 Jahren beendet. Mit dem Gesellenbrief verlor er jedoch seine Anstellung und ging, wie es damals unter Handwerksgesellen üblich war, auf die Walz, d. h. auf Wanderschaft.

5. Wanderschaft, Militärzeit in Regensburg, Seefahrtszeit, Ansiedlung in Hamburg. 5.1 Wanderschaft. Während seiner Wanderschaft ist Fritz Storz weit herumgekommen. So hat er zum Beispiel erwähnt, dass er auch einige Zeit in einer Druckerei in Roskilde in Dänemark sowie in Sonderburg nordöstlich von Flensburg beschäftigt war. Gewandert wurde manchmal allein, häufiger in Gruppen. Die Wandergesellen erzählten sich, bei welchem Meister man, auch wenn er keine Stelle frei hat, zumindest einen Imbiss bekam. Häufig gab es jedoch weder Arbeit noch einen Imbiss. Das wenige Geld, was man verdiente, war schnell aufgebraucht. Dann wurde im Stroh geschlafen und wegen Essen gefochten. Fechten war ein anderer, unter Wandergesellen üblicher, Ausdruck für etwas erbetteln. Er kommt aus dem Rotwelschen.

5.2 Militärzeit in Regensburg. So ist Fritz Storz dann auch durch Bayern gewandert und hat wohl in Regensburg gearbeitet. Da er im geeigneten Alter war wurde er gemustert und eingezogen zum Militärdienst. Seine Militärzeit verbrachte er beim „Bayerischen 11. Infanterie- Regiment von der Tann“ in Regensburg. Dort hat er sich mit Hans Feiner angefreundet, der in Regensburg wohnte. Diese Freundschaft hat ein Leben lang gehalten. Ich habe den Hans Feiner in den 50er Jahren bei einem seiner Besuche in Hamburg kennen gelernt. Er hatte einen Druckereibetrieb in Regensburg und hat mir ein Science Fiction Buch geschenkt. Fritz Storz durfte, so sagte er mir, sich während seiner Militärzeit in Regensburg nicht allein aus der 23


Kaserne entfernen. Der Ausgang war auf Dauer gestrichen weil den Vorgesetzten bekannt geworden war, dass er Anhänger der Sozialdemokratie sei. So gefährliche Leute, die König und Kaiser absetzen wollten, konnte man doch nicht frei herumlaufen lassen. Deshalb musste beim Ausgang von Fritz Storz stets ein Unteroffizier als Bewacher mit. Entsprechend selten waren die Ausgänge. Am 24.10.1900 endete der Militärdienst in Regensburg und die Wanderschaft konnte fortgesetzt werden. Das folgende Foto von Fritz Storz stammt aus dieser Zeit. Abgebildet sind Vorder- und Rückseite des Fotos.

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Aus einer im Jahre 1953 ausgestellten Urkunde geht hervor, dass Fritz Storz im Jahre 1900 Mitglied der SPD geworden ist.

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5.3 Fortsetzung der Wanderschaft und erste Seefahrt ab 1903.

Auf diesem Foto von einem Treffen der Buchdrucker in Dresden im Jahre 1900 ist Fritz Storz hinter der linken Ecke vom Schild „Gott grüß die Kunst“ zu sehen. Er hat einen Bierkrug in der Hand und eine Pfeife im Mund. Nach der Entlassung vom Militär in Regensburg am 24.10.1900 scheint er sich auf den Weg in Richtung Dresden gemacht zu haben. In der Zeit seiner Berufstätigkeit in Heide in Dithmarschen, so sagte er mal, hat er den dortigen Ortsverein der SPD mit gegründet. Im Laufe der Wanderschaft hat er sich dann irgendwann in Hamburg angesiedelt. Gewohnt hat er vor dem ersten Weltkrieg in Hamburg auf Zimmer in der Eiffestr. 151 1. bei Stapelfeld., in der Süderstr. 128 2. bei Schulz sowie später, als er schon mit Elisabeth verheiratet war, in Hamburg 35, Boizenweg 18 4. Bei der Ausstellung seines Seefahrtsbuches am 2. März 1904 unterlag er vom Militärverhältnis der Kontrolle durch das Bezirkskommando Hamburg 1. Später dem in Heide, dann dem in Rendsburg und schließlich wieder dem in Hamburg 1. Aus den folgenden Abbildungen und der Speisekarte aus seinem Nachlass entnehme ich, dass er 28


schon vor Ausstellung seines Seefahrtsbuches auf dem Schiff „Cap Roca“ der „HamburgSüdamerikanischen Dampfschiffahrts-Gesellschaft Eggert & Amsinck“, kurz: Hamburg-Süd, zur See gefahren ist. Er ist zunächst als Steward und 2. Drucker tätig gewesen.

Auf der Rückseite des oben abgebildeten Prospektes hat er die täglichen Positionen einer Fahrt nach Südamerika eingetragen. Die Eintragungen beginnen am 05. 12. 1903 in Hamburg und enden am 26. 12. 1903 südöstlich von Rio de Janeiro.

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Hier die Rückseite des zuvor abgebildeten Prospektes mit den täglichen Positionen:

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Nachfolgend dann ein Prospekt von Vigo und eine Speisekarte, die offenbar aus der selben Zeit bei der Hamburg-Süd stammen.

Zu Fritz Storz Aufgaben an Bord gehörte zunächst die Bedienung der Passagiere während der Essenszeiten und in der Zeit zwischen den Mahlzeiten das Setzen und Drucken von Speisekarten, Einladungen usw. Aus seinen Erzählungen ging hervor, dass er nach handschriftlichen Vorgaben

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vom Chefsteward oder Koch im Laufe seiner Tätigkeit auf Schiffen auch Speisekarten usw. in anderen Sprachen wie Englisch, Französisch und Italienisch gesetzt und gedruckt hat. Über die offensichtlichen Fehler in der folgenden Speisekarte der „Cap Roca“ vom 15. Januar 1904, bitte ich daher großzügig hinwegzusehen.

Da im Seefahrtsbuch keine Eintragungen über eine Reise nach Buenos Aires zu finden sind, er aber mit Sicherheit dort gewesen ist, wird das wohl in der Zeit vom 05.12.03 bis zum 02.03.1904, dem Zeitpunkt der Ausstellung seines Seefahrtsbuches gewesen sein. Wie das nach Recht und Gesetz auf einem deutschen Schiff in dieser Zeit möglich war, ohne ein 32


Seefahrtsbuch beschäftigt zu werden, ist mir rätselhaft. Im §7 der Seemannsordnung, die 1902 novelliert worden war, heißt es:

7. Voraussetzung für den Eintritt in den Schiffsdienst, Seefahrtsbuch. Niemand darf im Reichsgebiet als Schiffsmann in Dienst treten bevor er sich über Namen, Geburtsort und Alter vor einem Seefahrtsamt ausgewiesen und von demselben ein Seefahrtsbuch ausgefertigt erhalten hat. Seefahrtsbücher wurden, wie Reisepässe oder Personalausweise, bei der Ausstellung durchnumeriert. Sie sind gleichzeitig Pass und Sozialversicherungsnachweis. Fritz Storz hat 1968 meiner Schwiegermutter Isabel Korth, geb. Renner, die in Buenos Aires geboren war und dort lebte, von seinem Aufenthalt in Buenos Aires und Einzelheiten aus dem Stadtteil Belgrano berichtet, in dem er ca. 65 Jahre zuvor gewesen war. Die war beeindruckt von den vielen Details, an die Fritz Storz sich noch erinnert hat. Er hat bei seinem Aufenthalt in Argentinien, wie er sagte, auch mit dem Gedanken gespielt, sich dort niederzulassen, hat diesen Gedanken aber nach eigener Aussage, nachdem er sich dort etwas umgesehen hatte, wieder verworfen. Auf den folgenden Seiten füge ich die wesentlichen Seiten aus seinem Seefahrtsbuch, bzw. Ausschnitte daraus, ein. Leere Seiten, Bestimmungen zur Invalidenversicherung, aus der Seemannsordnung von 1902, dem Gesetz betreffend die Verpflichtung der Kauffahrteischiffe zur Mitnahme heimzuschaffender Seeleute sowie Bestimmungen über die Militärverhältnisse der seemännischen und halbseemännischen Bevölkerung habe ich nicht beigefügt, weil ich meine, daß das diesen Rahmen sprengen würde. Wer daran interessiert ist kann sich bei mir melden um eine Kopie zu erhalten.

Wie es im Hamburger Hafen in diesen Jahren aussah kann man auf dieser Postkarte aus der Hinterlassenschaft von Fritz Storz sehen.

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5.4

Erste Eintragungen im Seefahrtsbuch; Reisen im Jahre 1904.

Am 2. März 1904 hat Fritz Storz, wie aus der Seite 10 in seinem an diesem Tage ausgestellten Seefahrtsbuch mit der eingetragenen Nummer 1653 hervorgeht, in Hamburg am Petersen- Kai seinen Dienst als Steward und Drucker auf dem Passagierschiff „Prinzregent“ für eine Reise bis zum 26.05.04 angetreten. Die Heuer betrug 47.- Mark Monatslohn. Die Reise ging nach Südafrika und zurück. Es scheint Fritz Storz auf dem Passagierschiff „Prinzregent“ gefallen zu haben, obwohl er über die Enge in den Unterkünften der Besatzung geklagt hat, denn er ist, wie aus den Seiten 10 bis 13 im Seefahrtsbuch hervorgeht, mit dem selben Schiff am 8. Juni wieder in Richtung Süd- und Ostafrika losgefahren, am 7. September zurückgekehrt und hat am 09. September in Hamburg abgemustert. Die „Prinzregent“ war ein neues Passagierschiff der Deutschen Ostafrikalinie. Gebaut 1903 bei Blohm und Voss war es 126 m lang, 15,4 m breit, hatte 6341 BRT und eine Antriebsleistung von 4000 PS. Damit lag die Reisegeschwindigkeit bei 13kn. Das Schiff hatte 138 Mann Besatzung und konnte 111 Passagiere in der 1. Klasse; 88 Passagiere in der 2. Klasse und 76 Passagiere in der 3. Klasse mitnehmen. Von dieser Fahrt berichtete er, dass sie Gefangene des Herero- Aufstandes in Deutsch Südwestafrika (Heute Namibia) transportiert haben, die auf eine Insel, ich glaube die lag vor der Küste von Kamerun, deportiert worden seien. Das wären ganz arme Teufel gewesen. Ihre Kleidung hätte nur aus Löchern bestanden und sie seien total ausgezehrt gewesen. In der Kälte an der Küste Südwestafrikas hätten sie so gezittert, das die Besatzungsmitglieder ihnen aus Mitleid ihre ältesten Kleidungsstücke geschenkt hätten die von diesen dankbar angenommen worden seien. Wie man unten auf der folgenden Seite 1 des Seefahrtsbuches mit den allgemeinen Angaben sieht, war der Preis des Seefahrtsbuches damals 35 Pfennige.

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Text der Seite 3 des Seefahrtsbuches mit den persönlichen Angaben.

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Text der Seite 7 des Seefahrtsbuches zu Militärverhältnis.

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Seite 10, Anmusterung als Steward und Drucker für die Zeit vom 2. März bis 29. April 1904.

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Seite 11, Bescheinigung Fahrzeit nach Ost- und Südafrika als Drucker vom 2.3. bis 26.05.04.

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Seiten 12 und 13, Bescheinigung über Fahrzeitverlängerung als Steward und Drucker vom 08. 06 bis zum 10.September 1904.

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5.5

Seefahrt im Jahre 1910.

Auf dem nächsten Schiff, der „Blücher“, (siehe folgende Seiten im Seefahrtsbuch) hat Fritz Storz am 3. Januar 1910 als 2. Drucker für 70.- Mark Monatslohn angeheuert. Auf den folgenden Seiten 14 und 15: Dienstantritt als 2. Drucker für eine Reise nach New York vom 03. 01. 1910 bis zum 21. 01. 1910

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In der davor liegenden Zeit von September 1904 bis Dezember 1909 hat Fritz Storz wohl an Land gearbeitet und sich in der SPD und der sozialistischen Jugendbewegung engagiert. Um seine Bildung zu verbessern hat er Kurse bei Arbeiterbildungsvereinen besucht, den Vorläufern der heutigen Volkshochschulen. Er berichtete von den engagierten Lehrern, die meistens auch Mitglieder der SPD gewesen seien und neben ihrer Tätigkeit in der Schule abends in diesen Einrichtungen unterrichtet haben. Er war in dieser Zeit in Hamburg, Heide und Rendsburg gemeldet.

Dieses Foto von einer Versammlung des Bezirksmaschinenmeisterclubs schickte sein Freund Hans Feiner aus Regensburg an Fritz Storz, Maschinenmeister, Adresse Hamburg, Gothenstraße, Haus 2, Parterre. Text ist teilweise unleserlich wegen verlaufener Stempelfarbe. Vermutlich kannte Fritz Storz einige der abgebildeten aus seiner Zeit in Regensburg.

In der sozialistischen Jugendbewegung hat er dann auch 1907 seine spätere Frau Elisabeth Dorothea Augusta Bartels kennen gelernt, die im Jahre 1908 als 18 jährige in die SPD eingetreten ist. Das folgende Foto von Fritz Storz stammt aus dem Jahre 1910.

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Auf der Rückseite dieses Fotos ist folgender Text von Elisabeth Bartels zu finden: Fritz Storz 1910 ; 1907 haben wir uns kennen gelernt. Zur freundliche Erinnerung Liesbeth 45


Das nächste Foto auf einer Glasplatte aus seinem Nachlass könnte Fritz Storz auf dieser Reise in Januar oder Februar 1910 bei schwerer See im Nordatlantik aufgenommen haben.

Die Reise mit der „Blücher“ ging von Hamburg nach New York, wo er am 21. Januar abgemustert hat um dann dort am 22. 1. 1910 auf der „Pretoria“ anzuheuern, die am 5. Februar in Hamburg 46


eintraf und von der er am 7. Februar abmusterte. Von Hoboken und Spaziergängen in New York, zum Beispiel zur Gegend um die 86. Straße, wo schon damals viele Deutsche wohnten, hat er später erzählt. Ich hatte allerdings nie davon gehört, dass er zu einer internationalen Flugschau in Long Island war und von an Bord verstorbenen, die auf See bestattet wurden, von Cholera an Bord und Quarantäne, habe ich auch jetzt erst aus den von Christa erhaltenen Postkarten erfahren. Dazu mehr unter Postkarten. Die „Blücher“ war ein Passagierschiff von 12 335 BRT, 1902 bei Blohm + Voss in Hamburg gebaut. Sie war ein Schwesterschiff der baugleichen „Moltke“, auf der Fritz Storz später ebenfalls gefahren ist. Die „Pretoria“ war ein Passagierschiff von 13 023 BRT, 1898 bei Blohm + Voss in Hamburg gebaut. Am 12. Mai 1910 hat Fritz Storz dann auf der „President Lincoln“ für 70.-Mark Monatslohn angeheuert. Die „President Lincoln“, bei Harland + Wolff in Belfast gebaut, nahm 1907 den Liniendienst Hamburg - New York auf. Mit Ausbruch des Ersten Weltkrieges wurde die „President Lincoln“ in New York interniert und nach dem Kriegseintritt der USA von der US-Marine beschlagnahmt und zum Truppentransporter umgerüstet. Auf der ersten Rückreise aus Europa wurde das Schiff im Atlantik von einem deutschen U-Boot durch einen Torpedo versenkt. 26 Menschen starben beim Untergang. Vermessung: 18168 BRT Besatzung: 344 Mann Länge: 182, 52 m Breite: 20,78 m Antrieb: 2 Vierfachexpansions- Dampfmaschinen mit je 3825 PS auf 2 Schrauben Geschwindigkeit: 14,5 Knoten Passagiere: 324 Personen 1. Klasse / 152 Personen 2. Klasse / 1004 Personen 3. Klasse / 2350 Personen im Zwischendeck

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Die Reise mit der „President Lincoln“ ging nach New York, wo Fritz Storz in Hoboken als 2. Drucker für 70.- Mark Monatslohn auf das Schiff „Moltke“ umgestiegen ist, mit dem er von New York nach Genua und zurück gefahren ist.

Im Anschluss die Seiten aus dem Seefahrtsbuch mit den entsprechenden Einträgen zur Tätigkeit auf den Schiffen „Pretoria“, „President Lincoln“ und „Moltke“ .

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Nach einer Dienstzeit von 5 Monaten und 28 Tagen hat er dann am 11. November 1910 in Hamburg abgemustert, womit die Eintragungen im Seefahrtsbuch enden.

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Hier die Abmusterungs-Bescheinigung vom genannten Datum. Zu den Aufgaben von Fritz Storz gehörte auf Schiffen, vermutlich bei der Hapag, auch das Fotografieren der Passagiere sowie das Entwickeln der Bilder und Herstellen von Abzügen. Bis in die 50er Jahre lag auf dem Dachboden über der Nähstube noch seine alte Kamera mit einem schwarzen Balg, einem stabilen Dreibein und Schalen und Chemikalien zum Entwickeln und fixieren von Bildern. Es gab auch, ich würde sagen hunderte von belichteten Glasplatten, die er ursprünglich in Bramfeld auf dem Dachboden des Hauses gelagert hatte. Nach dem Bombenangriff auf das Haus mit Brand von Dach und Obergeschoss, bei dem wohl einige schon durch Bomben und Löschwasser in Mitleidenschaft gezogen waren, sind diese Glasplatten dann im Schuppen im Garten gelagert gewesen, wo sie im Laufe der Jahre stark gelitten haben. Von denen sind dann wohl die meisten, ebenso wie ein Bandoneon meines Vaters, von dem im Laufe der Jahre die meisten Knöpfe durch die Feuchtigkeit abgegangen waren und das total verstimmt war, als Müll entsorgt worden. Einige dieser Glasplatten Fotos haben offensichtlich überlebt und wurden mir von Christa digitalisiert auf CD zur Verfügung gestellt. Ich werde sie an geeigneter Stelle einfügen. Auch das folgende Bild ist von einer der Glasplatten abgezogen worden bevor diese gelitten hat, und wurde von mir eingescannt. (oben) Darunter die in heutigem Zustand gescannte Glasplatte. Auf dem 54


folgenden Foto Fritz Storz (mit Mütze und Bart) auf der Moltke.

Auf dem Foto sieht man links den Schrank mit den Kästen voller verschiedener Lettern, den Druckbuchstaben aus Blei. Im Vordergrund rechts vermutlich die Druckerpresse.

Dasselbe Bild, jetzt von der Glasplatte gescannt, die am Rand helle Schatten hat. 55


Von den 100 Jahre alten Aufnahmen auf Glasplatten von Passagieren, Häfen und Küsten mit Bergen und Ortschaften sind mehrere erhalten, die man auf den nächsten Seiten sehen kann. Schäden wurden von mir mit dem Programm GIMP retuschiert. Auf dem folgenden Bild ist der Fotograph Fritz Storz (Bildmitte im Hintergrund ) an Bord, vermutlich mit Passagieren, zu sehen.

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Welcher Ort mag das sein? Eventuell Genua?

Küste mit Ortschaft und Bergen im Hintergrund. Wo mag das sein?

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Welcher Felsen mit Leuchtturm auf dem diesem Bild?

Welche Hafenstadt mag das auf dem Bild unten sein, Tanger?

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Fritz Storz hat mir als Kind von einer Ortschaft in Italien erzählt, die er besucht hat und in der einige Zeit vorher ein Vulkan ausgebrochen war. Man habe die teilweise durch Lava verschütteten Häuser wieder freigelegt und in einem freigelegten Keller noch Wein in Flaschen gefunden der trinkbar gewesen wäre. Wie der Ort ( vermutlich auf Sizilien am Ätna ) hieß erinnere ich nicht mehr, aber dieses Foto könnte Fritz Storz dort bei der Gelegenheit aufgenommen haben.

Noch eine Küste mit Ortschaft und Bergen im Hintergrund. Wo mag das sein?

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Dieses könnte Kap Sao Vicente, die Südwestspitze von Portugal, mit der von Heinrich dem Seefahrer errichteten Seefahrtsschule und dem daneben gelegenen Leuchtturm sein.

5.6

Postkarten aus aller Welt.

Aus dem Jahre 1910 sind diverse Postkarten erhalten, die Fritz Storz an seine Lisbeth geschrieben hat. Diese sind auf den folgenden Seiten jeweils als Vorder- und Rückseite abgebildet. Die Karten haben leider vielfach kein Datum und die Briefmarken fehlen meistens.

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Der Text dieser Karte aus Rapallo (östlicher Vorort von Genua) lautet: Signora

Germania !

Elisabeth Bartels Hamburg 35 Borstelmannsweg 159 III.

Liebe Lisbeth! Deinen Brief Dienstag erhalten. Wollte gerade an Steinhardt nach London einen Brief aufgeben, was natürlich nicht mehr ging. Bin jetzt auf einer Fußtour an der Riviera di Levante. Montag Nachmittag gehts wieder in See. Dann kommt die letzte Tour. Schade das Du nicht hier bist. Es ist das herrlichste Fleckchen Erde, vielleicht von Europa. Grüße Deine Eltern Dein Fritz

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Steinhardt auch?

Folgende Karte kam aus Tanger

Der Text der Karte aus Tanger lautet: Seńorita Elisabeth Bartels

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Alemania !


Hamburg 35

Borstelmannsweg 159 III.

Liebe Lisbeth! Wir haben heute sehr starken Sturm. Nur sehr wenige von den Passagieren haben sich hier an Land gewagt. Nachmittag gehts durch die Straße von Gibraltar.

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Dein Fr. Storz


Diese Postkarte mit dem Bild vom Plaza Hotel kommt aus New York. Der Text auf der anschließend abgebildeten Rückseite lautet: Miss

Germany !

Datum 16.10.1910

Lisbeth Bartels Hamburg 35

Borstelmannsweg 159 III.

Liebe Lisbeth! Heute, den 16. Oktober ist die Quarantäne über uns aufgehoben. Wir dürfen also in die Stadt gehen. Wie jetzt bestimmt feststeht, fahren wir doch nach Hamburg. Abfahrt New York am 29. Oktober. Dann sind wir am 10. oder 11. November in Hamburg. Sollten wir schwere Stürme haben, kann es auch 2 bis 3 Tage länger dauern. Von den Cholerakranken ist, soviel ich erfahren habe, keiner gestorben. Immerhin war für uns alle die Gefahr sehr groß. Herzlichen Gruß Dir und deinen Eltern.

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Dein Fr. Storz


Fritz Storz war 1910 beim internationalen Wettfliegen in Long Island und schickte anschließend die folgende Postkarte an Lisbeth.

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Zugehöriger lateinischer Text. Fräulein

Germany !

Datum 25.10.1910

Lisbeth Bartels Hamburg 35 Borstelmannsweg 159 III.

Liebe Lisbeth! Heute Nachmittag war ich zum internationalen Wettfliegen in Belmont?? Park auf Long Island (40 km von hier). Zehn Maschinen flogen zugleich in der Luft. Die eine stieg etwa 2500 Meter. 4 Tage noch, dann gehts heim! Herzl. Gruß

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Dein Fr. Storz


Postkarte mit Seepanorama: Pegli Villa Pallavicini Templo di Diana

Rückseite und anschließend zugehöriger lateinischer Text.

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Fräulein

Germania !

Lisbeth Bartels Hamburg 35 Borstelmannsweg 159 III. Liebe Lisbeth! Gestern vormittag war ich auf dem Campo Santo, dem schönsten Friedhof in Europa. Ich wünschte nur Du wärest hier und könntest das alles selber einmal sehen. Dienstag Vormittag 10.00 gehts wieder in See. Herzl. Gr.

Dein Fr. St

Lateinischer Text zur vorhergehenden Karte aus Gibraltar. Miss

Germany !

Lisbeth Bartels Hamburg 35

Borstelmannsweg 159 III.

Liebes Lischen! Soeben haben sie die Post an Land gebracht. Jetzt gehe ich an Land spazieren. Nachmittag gehts nach Neapel. Dann nach Genua. Schreib doch einmal. Nach Genua. Ich bin an Bord der Moltke 68


Anschließend Originaltext zur vorhergehenden Karte aus Gibraltar

Die folgende Karte kommt aus Neapel

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Zugehöriger lateinischer Text. Fräulein

Germania !

Lisbeth Bartels

Herzlichen Gruß sendet

Hamburg 35

Dein Fritz Storz

Borstelmannsweg 159 III.

Diese Karte kommt aus Portofino 70


Zugehöriger lateinischer Text. Signorita

Germania !

Elisabeth Bartels Hamburg 35, Borstelmannsweg 159 III. Liebe Lisbeth! Gestern Nachmittag habe ich ganz allein eine Fußtour von 12 Stunden an die Riviera di Levante gemacht. Es ist wohl der schönste Ausflug der sich in Italien machen lässt. Einstweilen? herzl. Gruß Dir, deinen Eltern und Geschwistern

Fr. St.

Die Karte auf der nächsten Seite kommt aus Genua. Der zugehörige lateinischer Text lautet: Signorita

Germania !

Lisbeth Bartels Hamburg 35

Borstelmannsweg 159 III.

Herzl. Gruß

Dein Fr. St.

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Diese Karte kommt ebenfalls aus Genua

Zugehöriger lateinischer Text. Fräulein

Germania !

Liesbeth Bartels Hamburg 35

Borstelmannsweg 159 III.

Herzl. Grüße sendet Dir

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Fr. Stz.


Die folgende Karte kommt ebenfalls aus Genua.

Zugehöriger lateinischer Text auf der nächsten Seite. 74


Signorita

Germania ! Borstelmannsweg 159 III.

Elisabeth Bartels

Hamburg 35

Liebes Lieschen!

Vergangenen Sonntag sind wir von Neapel nach hier gefahren. Die Tour war

die schönste, die ich überhaupt jemals gemacht habe. Nächsten Dienstag reisen wir wieder über Neapel nach New York. Zum Oktober komme ich wieder nach Hamburg. Wie geht es Dir noch immer? Schreibe mir doch einmal nach New York. Ich bin auf dem Dampfer „Moltke“ der Hamburg Amerika Linie. Hast Du schon einen neuen ????? . Einen freundlichen Gruß an Deine Eltern und ? Geschwister. Mit v. Gr. u. K.

Dein F. St.

Meine Genueser Adresse ist: Fr. Storz II. Drucker an Bord der „Moltke“ Hamburg Amerika Linie

Via ala Nunziata

Von der nächsten Karte wegen der vielen über der Straße zum Trocknen aufgehängten Wäsche aus Platzgründen zunächst der Text und dann das Bild. Fräulein

Germania !

Lisbeth Bartels Hamburg 35 Liebes Lischen! 75

Borstelmannsweg 159 III. Deine Karte gestern Erhalten. Besten Dank für ?? ?? . Während dieser


Reise hatten wir 2 Tote. Die Leichen wurden Sonntag vor 8 Tagen, abends 10.00 im Ocean versenkt. Mit meinem neuen Kollegen lebe ich auf dem Kriegsfuß Es ist wirklich eine traurige Kreatur. Ende der Woche wollte ich einmal nach Rom. Ich weiß aber noch nicht, ob ich soviel Urlaub kriege. Schreib bitte noch einmal. Wir fahren Dienstag erst von hier wieder weg. Ein Schiff kommt ?? an. Grüße an Deine Eltern, Freunde und ????

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Fr. Storz


Bilderseite oben und anschließend Text einer Postkarte von der Wartburg 77


Fräulein Liesbeth Bartels

Freundlicher Gruß

Hamburg 35 Borstelmannsweg 159

Herzlichst III.

Fr. St.

Bilderseite und anschließend Text einer Karte aus Neumünster an Lisbeth in Erfurt.

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Fräulein Lisbeth Bartels Per. Adr. Familie Müller Büchners Brauerei, act. Ges. Erfurt Liebe Lisbeth! Gestern Abend 10 1/2 Uhr wohlbehalten wieder in Hamburg eingetroffen. Hier in Neumünster ist gerade Johannisfest. Leider regnet es. Morgen Abend folgt Brief. Gruß an Georg?, Anna und Großmutter. Dein Fr. St. Elisabeth Bartels hat vor ihrer Ehe einige Zeit im Haushalt gearbeitet. Ob das bei der Familie Müller in Erfurt war ist mir nicht bekannt. Nachdem Fritz Storz die Seefahrt aufgegeben hatte und in Hamburg auf Dauer sesshaft geworden war hat er in seinem Beruf als Buchdrucker gearbeitet. Daneben hat er sich in der SPD und der sozialistischen Jugendbewegung sowie in der Buchdruckergewerkschaft engagiert. Er hat in dieser Zeit mit jungen Leuten an Wochenenden beispielsweise Wanderungen in der Umgebung von Hamburg veranstaltet. Zu diesen jungen Leuten gehörten unter anderem manche später bekannte Politiker, so auch der Vater von Lord Ralf Dahrendorf, der spätere Reichstagsabgeordnete Gustav Dietrich Dahrendorf und dessen Bruder. Auch den späteren Reichstagsabgeordneten Franz Spliedt kannte er aus dieser Zeit. Auf dem folgenden Bild die 4 Schwestern Bartels vermutlich im Jahre 1911. 79


v.l.n.r.: Guschi, Elisabeth, Hertha und Gertrud. Fritz und Liesbeth haben im Jahre 1911 geheiratet. Ihr einziges Kind, Walter, wurde am 30. Januar 1912 geboren. Aus der Zeit bis zum 1. Weltkrieg sind mir weiter keine Dinge bekannt. Hier noch einige Fotos aus dieser Zeit. Die Abzüge von den Glasplatten hatten Schäden. Ich habe sie mit dem Bildbearbeitungsprogramm GIMP retuschiert. Das folgende, wohl im Sommer 1912 aufgenommene Bild, zeigt im Vordergrund Elisabeth Storz mit Walter im Kinderwagen, daneben ihre Schwestern v.l.n.r.: Guschi (Koseform von Auguste), Hertha und Gertrud, im Hintergrund Elisabeths Eltern, Carl Christian Heinrich Bartels und Alwine Auguste Dora Christina Bartels, geb. Kurtze, die schon damals gesundheitlich nicht auf der Höhe war und am 17. 11. 1917 im Alter von 55 Jahren gestorben ist. Elisabeth hat sich deshalb um die Schwestern gekümmert und den Vater mit versorgt. Gertrud war beim frühen Tod ihrer Mutter erst 12 Jahre alt.

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Familie Bartels mit Tochter Elisabeth Storz und Walter Storz im Kinderwagen.

Unten Elisabeth mit Walter wohl im Sommer 1913.

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Walter mit seinen Tanten Guschi (Koseform von Auguste) und Gertrud im Jahre 1913.

Carl Bartels war als Kutscher bei der Konsumgenossenschaft beschäftigt. Auch er war Mitglied in der SPD. Soviel ich weiß haben Fritz Storz und sein Schwiegervater sich gut verstanden. Elisabeth war nicht so gut auf ihren Vater zu sprechen, vor allem nicht weil dieser, einige Jahre nach dem Tod ihrer Mutter, (ich glaube zu erinnern es war von 1919 die Rede) wieder geheiratet hat. Carl Bartels ist dann 22. 12. 1929 im Alter von 69 Jahren gestorben. Er hatte sich in den 20er Jahren ein neues Fahrrad gekauft. Das habe ich geerbt. Es ist 1947 mein erstes Fahrrad gewesen. Da ich wegen des großen Rahmens nicht mit den Füßen an die Pedalen kam, haben Fritz und Walter Storz auf die Pedalen Holzklötze geschraubt. Damit konnte ich dann fahren.

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6. Der Erste Weltkrieg. Direkt nach Ausbruch des 1. Weltkrieges wurde Fritz Storz zu den Waffen gerufen, und zwar nicht zur Infanterie, wie man aufgrund seiner Militärzeit in Bayern glauben könnte, sondern zur Marine nach Wilhelmshaven. So musste er Frau und Kind in Hamburg zurücklassen. Er berichtete später, dass in Wilhelmshaven damals das totale Chaos geherrscht habe. Die ersten Wochen nach Kriegsbeginn sind die meisten noch in Zivilklamotten herumgerannt, weil es keine passenden Uniformen in ausreichender Menge gab. Irgendwann haben sie dann wohl doch noch eine Uniform für ihn aufgetrieben. Auf dem Ölbild aus dieser Zeit, welches bei mir im Treppenhaus hängt, hat er jedenfalls eine an.

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Text auf der Rückseite dieser Postkarte: S.M. “U9)“ Kommandant Kapitänleutnant O. Weddigen sichtet die 3 englischen Kreuzer „Cressy“, „Aboukir“ und „Hogue“ am 27. September 1914 und bohrte dieselben innerhalb einer Stunde in den Grund. Während manche Leute vom Seekrieg begeistert waren, wie aus der Rückseite der obigen Postkarte hervorgeht, stand Fritz Storz der Sache skeptisch gegenüber. Dass er sich in Wilhelmshaven nicht wohl gefühlt hat, geht auch aus einem 4- seitigen Brief hervor, den er am 19. November 1914 an Elisabeth schrieb. Wilhelmshaven, 19. Novbr. 1914 Meine liebe Lisbeth! Paket, Zeitungen und Brief ist gestern alles gut angekommen. Na, wie ich mich gefreut habe, das könnt Ihr euch wohl denken. Habt dafür alle recht vielen Dank. Mit den Kirschen hatte ich mir gestern abends bald noch den Magen überladen. Heute habe ich dafür nichts gegessen. Am meisten habe ich mich gefreut, dass auch klein Guschi und mein lieber kleiner Stromer sich an der Gabe beteiligt haben. Gleichzeitig erhielt ich auch ein Paket vom Bezirk 178 durch den Genossen Schütt. Sie haben Zigarren, ein Paket Tabak, Priem, eine Shagpfeife, Schokolade und diverse Kleinigkeiten geschickt. Wenn das so weiter geht, werde ich schließlich noch leichtsinnig mit all den Genüssen. Tatsache ist, daß ich in meinem Leben noch nicht soviel geraucht habe wie jetzt, was eigentlich gar nicht gut ist. Unangenehm ist vor allem, daß bei den überfüllten Zimmern, in denen wir schlafen, 84


einige auch nachts in der Koje noch rauchen müssen. Es ist oft eine wahre Stickluft, in der wir schlafen. Morgens hat man dann häufig Kopfschmerzen. Und Beschweren hilft nicht viel. Die Fenster werden natürlich dicht geschlossen, weil einige dieser rauhen Krieger durchaus nichts vertragen können, und sich bitter beklagen wenn frische Luft im Zimmer ist. Von Montag auf Dienstag war ich auf Hauptwache. Während der Zeit wurde die MaschinengewehrSeite 2 Kompanie zusammengestellt. Von den Unteroffiziers- Diensttuern sind alle dazu genommen worden als Geschützführer. Weil ich nicht da war, ist für mich ein anderer genommen worden. Wir andern, 4 Mann, die nicht da waren, sind darauf wieder in die Front eingetreten. Aussicht auf Beförderung ist doch nicht mehr für uns. Ich wenigstens habe keine Lust mehr Dienst zu tun, für den andere Leute das Geld in die Tasche packen. Unter den 4 Mann ist auch Herzog. Von den 24, die sich seinerzeit gemeldet haben, sind jetzt 18 befördert. Uns will man jedenfalls nicht haben. Von den beförderten rückte einer als Matrose ein, brachte es nach kurzer Zeit dadurch, dass er sich beim Feldwebel fortwährend anbiederte, zum Obermatrosen. Jetzt ist er Maat geworden und riskiert ein ungewöhnlich freches Maul. Vorgestern kam es nun heraus, dass es ein Soldat 2. Klasse, ein jetzt noch steckbrieflich verfolgter Verbrecher ist. Seine Charge ist ihm nun wieder aberkannt und er ist in Untersuchungshaft gesteckt worden. Militärische Fähigkeiten und Kenntnisse spielen hier überhaupt keine Rolle. Gut die Hälfte der beförderten Unteroffiziere ist nicht einmal felddienstfähig. Unter solchen Umständen verzichte ich lieber auf militärische Ehren und Auszeichnungen. Heute Morgen bin ich der 1. Kompanie des 5. Matrosenregiments überwiesen worden. Meine Adresse bleibt aber vorläufig noch die alte. Hier ist alles durcheinander. Landstürmer bis zu 50 Jahren und junge Rotznasen mit Kindergesichtern, die kaum 17 Jahre alt sind. Es ist ein Anblick Seite 3 wenn wir zusammen exerzieren. Hier die alten Graubärte von Landstürmern, die Wachmänner auf der Höhe der Manneskraft und daneben auch die jugendlich weichen Gesichter der freiwilligen Rekruten. Dieses Regiment kommt Mitte Dezember nach Frankreich. Ich bin also Weihnachten nicht mehr hier. An Urlaub überhaupt nicht mehr zu denken, das wurde uns heute früh noch einmal eingeschärft. Gestern am Dienstag nachmittag habe ich mit einigen Kameraden das gerade im Hafen liegende Linienschiff Friedrich der Große besucht. Wir kamen aus dem Staunen fast nicht mehr heraus. Welch ein gewaltiges Bauwerk und Wunderwerk der Technik. Besonders die riesigen Geschütze erregten unser helles Staunen. In 4 gewaltigen Drehtürmen sind 2 Riesengeschütze von 30,5 cm Kaliber untergebracht. Wenn man davor steht, sehen sie bald aus wie liegende Dampfschornsteine. Die Wände der Panzertürme sind etwa 40 cm dick ganz aus Stahl und jeder 85


Turm ist schon 5 m breit, 8 m lang und etwa 4 Meter hoch. Dann eine ganze Anzahl kleinerer Schnellfeuerkanonen, Maschinenkanonen und Maschinengewehre und die Tausend anderer Dinge, die zur Ausrüstung einer solchen schwimmenden Festung gehören. Die Panzerwände der Schiffe fast einen Meter dick, ganz aus Stahl. Alles Eisen und Stahl in kolossalen Abmessungen. Hoffentlich kann ich Dir nach dem Kriege, Wenn auch für ZivilSeite 4 personen der Besuch an Bord Kriegsschiffe wieder gestattet ist, Dir das alles einmal zeigen. Im Hafen lag auch das Schwesterschiff der untergegangenen Yorck. Hier beim Anblick dieses Kolosses konnte man erst ermessen, was für einen schweren Verlust der Untergang für die Marine bedeutet. Die Mannschaften der York liegen jetzt auch teilweise bei uns in der Kaserne. .????? passiert es auch jetzt noch nachts, dass sie aus dem Bett springen, wie wild um sich greifen und vor Schreck um Hilfe schreien. Wie muss einem Menschen Zumute sein, der alle Schrecknisse einer modernen Feldschlacht mitgemacht. Wie in den Briefen, die Jahr bringt, zu lesen ist, wird so mancher wahnsinnig. Was der Krieg an rein menschlichen Werten zerstört, hört man auch von so manchen Verwundeten, die hier sind. So erzählte uns einer, dass sie den Auftrag hatten, Engländer, die sich ergeben wollten, nicht gefangen zu nehmen. Wer einen Engländer gefangen nimmt, kriegt drei Tage strengen Arrest. Bei einem Sturm, in einem Schützengraben, Wollten englische Soldaten sich gefangen geben und hoben die Hände auf. Es nützte nichts. Sie wurden noch einzeln von oben erstochen. Als sie alle tot waren, wurde der Graben über sie zugeschüttet. Kein Mensch weiß wo sie waren. Und so manche Mutter wird auf die Rückkehr ihres Sohnes nach dem Kriege vergeblich warten. Ich würde solch unmenschlichen Befehl sicher nicht ausführen. Hoffentlich kriege ich gar keine Gelegenheit dazu. Einstweilen herzlichen Gruß an euch alle Dein Fritz

Die „S.M.S. Yorck“, von der im Brief die Rede ist, war ein großer Kreuzer, der 1904 bei Blohm und Voss in Hamburg gebaut worden war. Er gehörte zu Beginn des 1. Weltkrieges zur 3. Aufklärungsgruppe. Das Schiff hatte 633 Mann Besatzung. Am 4. November 1914 lief die „Yorck“ in der Jade bei Nebel auf eine von den deutschen gelegte Mine und versank. 336 Mann der Besatzung verloren ihr Leben.

Der Brief ist auf den folgenden Seiten abgebildet.

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Brief vom 19. November 1914, Seite 1

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Brief vom 19. November 1914, Seite 2

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Brief vom 19. November 1914, Seite 3

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Brief vom 19. November 1914, Seite 4

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Wie auch Frauen und Kinder unter der Abwesenheit ihrer Männer bzw. Väter gelitten haben sieht man am folgenden Brief von Lisbeth an Fritz vom 28. Dez. 1914, der im Original anschließend zu sehen ist.

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Mein lieber Fritz!

Hamburg, den 28. Dez. 1914

Soeben fährt der Zug aus der Halle. Walter ist sehr enttäuscht und fängt fürchterlich an zu weinen. Ich kann ihn nicht beruhigen, es geht so bis zur Eiffestr. und immer auf dem Arm. Zu Hause angekommen, treffen wir Gottfried. Walter erzählt: Papa ist eben in der Eisenbahn nach Wilhelmshaven und die Onkels wollten mich nicht reinlassen. Heute morgen gehe ich mit Mutter nach dem Borstelmannsweg. Da treffen wir im Kreuzbrook noch einen Obermatrosen, ganz Deine Statur als wenn es ein Doppelgänger von Dir ist, der wohnt Nr. 11. Hoffmann ist Dienstag gekommen und ist heute noch hier. Walter sieht ihn und sagt: O, siehste Papa ist wieder da u. läuft ihm entgegen und kuckt ihn groß an, nein der ist gar nicht Papa. Ich sage heute Abend schreibe ich an Papa, soll ich schreiben das Du gar nicht geweint hast, nein. Ich frage was soll ich denn schreiben. Lieber, lieber Papa komm bald wieder. Es kam so schnell aus seinem Munde als wenn er gestern drüber nachgedacht hätte. Ich muss schließen, Walter weint ich soll bei Ihm schlafen. Gute Nacht. Lieber Fritz die Freude war groß als Du gekommen bist aber nun ist zu Hause kaum mehr als öd und leer, mir war das Herz zu schwer. Hoffentlich bist Du gut angekommen. Mit herzl. Grüßen und Küssen Deine Lisbeth und Dein Sohn Walter.

Kurze Zeit später hat Fritz Storz sich dann von Wilhelmshaven aus zu den Marineluftschiffern gemeldet und wurde zunächst nach Nordholz bei Cuxhaven versetzt, wo seit 1912 ein Luftschiffstützpunkt im Aufbau war der 1914 in Betrieb ging und wohl dringend Personal suchte.

Fritz Storz gehörte zum Bewachungspersonal des Stützpunktes. Bei der Landung von Luftschiffen mussten immer alle mit anpacken um das Luftschiff am Tau festzuhalten und es am Mast zu befestigen oder in die Halle zu befördern. Damit sich bei solchen Aktionen niemand ein Bein brach durften auf dem Gelände keine Kaninchenbaue sein. Kaninchen wurden deshalb auf dem Luftschiffplatz und in der Umgebung mit dem Karabiner gejagt. Die erlegten Kaninchen wurden, so erzählte Fritz Storz, abgezogen und von denjenigen mit heim genommen, die gerade in Urlaub zu ihrer Familie fuhren. Einige male ist er aber auch auf dem Luftschiff mitgefahren. Aus dieser Zeit in Nordholz berichtete er über eine Vorführung von Fallschirmen. Das war etwas neuartiges. Zunächst wurden Sandsäcke vom Luftschiff abgeworfen, die am Fallschirm sicher zu Boden schwebten. Dann wurden freiwillige gesucht, die bereit waren mit dem Fallschirm 93


abzuspringen. Denen wurde eine Woche Sonderurlaub versprochen. So haben sich welche gemeldet und sind abgesprungen und sicher gelandet. Fritz storz sagte, er sei in Versuchung gewesen, sich auch zu melden. Eine Woche bei Frau und Sohn wäre schön gewesen. Wenn er allerdings abgestürzt wäre mit dem Fallschirm, hätte er Frau und Kind nie mehr gesehen. Diese Überlegung führte dazu sich nicht zu melden. Außer in Nordholz ist er später auch auf dem Luftschiffplatz in Seddin bei Stolp in Pommern, dann in Ahlhorn und in Tondern stationiert gewesen. Der Platz in Seddin wurde 1915/16 eingerichtet. Aus Seddin, wo er die längste Zeit gewesen ist, hat er die folgenden Briefe und Feldpostkarten geschrieben:

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Brief vom 27. Oktober 1915, Seite 1

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Brief vom 27. Oktober 1915, Seite 2

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Seddin, 27. Oktober 1915 Liebe Lisbeth! Der Winter hat gestern hier seinen Einzug gehalten. Feiner ganz leichter Schneedecke war gefallen über Nacht. Im Lauf des gestrigen Tages hat es dann noch mal geschneit. Heute früh liegt er bereits 20 cm hoch. Der ganze weite Platz, die blaugrauen Hallen und alle Gegenstände sind gleichmäßig mit einer blendend weißen Schneeschicht bedeckt. Dazu hat es in der Nacht etwas gefroren und heute früh grüßt der Sonnenschein. Der Westhorizont ist allerdings behangen mit einer dunklen schwarzblauen Schneewand. Es wird im Laufe des Tages noch mehr geben. Wenn es dort auch schon geschneit hat, dann holt den Schlitten heraus für Walter. Ich habe von Gestern auf heute Wache. Heute früh 400 bin ich der Spur eines Hasen nachgegangen. Nicht lange so sah ich ihn im Schnee schlafend sitzen. Bis auf einen Schritt hab ich mich an ihn herangeschlichen, so dass ich ihn schon greifen konnte. Da wachte er mit einem Male durch das Knirschen des Schnees unter meine Füßen auf. Ich rührte mich nicht und er starrte mich wenigstens eine Minute lang verwundert an. Als ich ganz leicht meinen Fuß hob, sprang er davon. Na ich erwisch schon noch einen für euch. Sonst nichts Neues. Den einen Brief, den ich gestern mit abgeschickt habe, hatte ich versehentlich mehrere Tage im Schrank liegen lassen. Er war Samstag früh geschrieben und enthielt 5 MK. Herzliche Grüße

Dein Fritz

Dann ein Brief vom 23.11.1915 in lateinischer Schrift und anschließend im Original. Seddin, 23. Novbr. 1915 Meine liebe Lisbeth!

Deinen lieben Brief soeben erhalten. Also Du willst schon wieder ein

Paket schicken. Na, soll mich recht freuen. Strümpfe hätte ich vorläufig noch genug. Kannst aber trotzdem ein Paar stricken, wenn Du Zeit dazu hast. 2 Paar habe ich erst vor kurzem noch vom Detachement erhalten. Einen einzelnen grauen Strumpf habe ich hier nicht mehr. Dann muss ich den anderen wohl verloren haben. Vor kurzem habe ich außer den Strümpfen noch einiges Zeug neu erhalten: 1 Überzieher, 1 Hemd, 1Unterhose, 2 Paar Strümpfe und 1 Mützenband. Der Überzieher ist allerdings viel zu groß. Ich habe ihn ändern lassen vom Schneider und muß ihn noch bezahlen. Den anderen wollte ich waschen lassen, dann ist er auch wieder wie neu. Viel kanns ja nicht kosten. Das Auftrennen machte ich selber und der Schneider näht ihn wieder zusammen. Seit der Katastrophe sind heute 8 Tage verflossen. Die letzte Leiche haben wir Sonntag Morgen noch an der Unglücksstelle gefunden. Sie stak fast einen Meter tief im Sumpf. Montag Nachmittag um 3.00 Uhr war die Beisetzung auf dem Stolper Friedhof. 13 Kameraden sind dort in einem gemeinsamen Grab beigesetzt. 5 Leichen wurden nach der Feier vom Friedhof aus durch die Stadt nach dem Bahnhof überführt um in ihrer Heimat beerdigt zu werden. Fast ganz Stolp nahm an 97


der Feier teil. Leider hat sich noch ein recht ärgerlicher Zwischenfall abgespielt, der die christlichen Gemüter schwer erregt hat. Nachdem der protestantische Pfarrer seinen Phrasen Sermon abgeleiert hatte, kam der katholische an die Reihe. Dieser war ein religiöser Fanatiker, ein finsterer, mitleidsloser Helot. An der offenen Gruft der armen Opfer beschimpfte er die Stolper Seeleute als ganz gottvergessene Kerls. Ich kann diese religiösen Eiferer sehr wohl begreifen und rege mich vor allem schon deshalb nicht darüber auf, weil ich keiner Kirche angehöre. Doch die anderen Kameraden alle gerieten gewaltig in Aufregung und auch die anwesende Zivilbevölkerung schüttelte missbilligend den Kopf. Der streitbare Gottesmann dürfte so ziemlich das Gegenteil von seiner Absicht erreicht haben. Heute war ich wieder den ganzen Tag mit Aufräumungsarbeiten an der Unglücksstelle beschäftigt. Es gibt noch viel Arbeit. Wäre das Unglück 10 bis 12 Minuten früher passiert, dann wären wohl die meisten von uns getötet worden durch die Explosionen und den Brand. Weihnachten bin ich vielleicht doch noch hier. Mit dem ersten Transport, der bereits fort ist, bin ich nicht mitgekommen. Vielleicht gibts dann ein paar Tage Urlaub. Wenn ich Schwein habe, bringe ich vielleicht einen Hasen mit. Morgen früh will ich mein Heil mal wieder versuchen. Man muss bei dieser Fleischart aber sehen, dass man nicht zu kurz kommt. Hoffentlich gehts Vater nun auch bald wieder besser. Wir werden dann recht fröhlich Weihnachten feiern. Inliegend 10 durchgestrichen 5 Mk. Herzliche Grüße Euer Fritz.

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Brief vom 25 November 1915, Seite 1

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Brief vom 25 November 1915, Seite 2

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Brief vom 25 November 1915, Seite 3

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Brief vom 25 November 1915, Seite 4

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Die große Katastrophe, von der Fritz Storz im Brief berichtet, war der Brand und Absturz des Luftschiffs SL6. Dieses ist kurz nach der Abfahrt im November 1915 in unmittelbarer Nähe des Luftschiffsplatzes Seddin explodiert, abgestürzt und verbrannt. Fritz Storz schreibt in seinem Brief ja, dass, wenn der Unfall 10 bis 12 Minuten früher passiert wäre, sie alle durch Explosion und Brand mit getötet worden wären. Es war eins der Luftschiffe, welche im 1. Weltkrieg von der Firma Schütte Lanz gebaut worden waren. Im Gegensatz zu den Luftschiffen vom Grafen Zeppelin (Abkürzung LZ), deren Gerippe von Anfang an aus Leichtmetall gebaut wurden, verwendete Schütte Lanz (Abkürzung SL), dafür Sperrholz, welches bei feuchtem Wetter Wasser aufnahm, so dass das Luftschiff schwerer wurde. Die Luftschiffe wurden im 1. Weltkrieg zur Aufklärung, zum Minensuchen aber auch für Bombenangriffe z. B. auf London, eingesetzt. Ein Zeppelin war sogar unterwegs nach DeutschOstafrika (heute Tansania), um die dortigen Streitkräfte mit Waffen, Munition und Verbandsmaterial zu versorgen. Der General Paul von Lettow - Vorbeck führte dort mit seinen Askaris einen verzweifelten Kampf gegen die Engländer. Der Zeppelin flog zunächst nach Bulgarien, was mit Deutschland verbündet war, und wartete auf günstiges Wetter. Als er dann endlich unterwegs war und schon südlich von Khartum im Sudan, fast an der Grenze zu Kenia war, kam über Funk die Aufforderung zur Umkehr. Die restlichen deutschen Truppen hatten aufgegeben und sich über die Grenze nach nach Mosambik zurückgezogen. Folgende Geburtstagskarte hat Fritz Storz dann am 29. Januar 1916 zum 4. Geburtstag seines Sohnes geschrieben:

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An meinen kleinen Goldsohn Walter Storz Seddin, 29.Jan. 1916 Lieber Walter! Morgen hast Du Geburtstag. Dann wirst Du vier Jahre alt. Dein Papa kann Deinen Geburtstag leider nicht mitfeiern, weil er im Krieg ist. Wenn Papa aber wieder kommt, dann spielen wir wieder zusammen. Dann gehen wir mit Mama in die Heide und lassen Drachen steigen und ich bringe Dir auch recht viel Schönes mit. Bei Mama musst Du immer recht artig sein, dann freut sich auch Dein Papa. Nun bleib auch hübsch Gesund und feiere recht fröhlich mit Mama, Großmama und Herta, Guschi und Gertrud Deinen 4. Geburtstag. Dein Papa. Rechts sehen wir auf dem Foto aus dem Jahre 1916 vlnr. Gertrud, Guschi, Auguste, Herta und Carl Bartels sowie Walter, Fritz und Elisabeth Storz

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Es folgt ein 4- seitiger Brief aus Seddin vom 27.12.1916 Liebe Liesbeth!

Seddin, 27.12.16.

Gestern nachmittag habe ich das Paket und heute morgen auch Deinen lieben Brief erhalten. Für alles meinen herzlichen Dank. Du armes Mädel hast also in letzter Zeit wieder so schwer arbeiten müssen. Und hoffentlich wird es nach den Feiertagen wieder besser damit. Unser Weihnachtsfest war recht feierlich ins Werk gesetzt. Wir hatten dazu den Fliegerschuppen, einen riesigen Raum, der elektrisch beleuchtet ist und Dampfheizung hat, benutzt. An einem Ende war aus Tonnen und Brettern eine Bühne erbaut. Die Seitenwände wurden mit Trägern von einem verunglückten Luftschiff eingefasst, über die Segelleinen und Persennige gezogen wurden. Dann wurden die Wände mit Tannenzweigen aus unserm Wäldchen und mit Fahnen und Flaggen verziert. Ein riesiger Weihnachtsbaum von unserem Wäldchen vervollständigte das Bild. Der Baum selbst war mit farbigen elektrischen Glühlämpchen erleuchtet. Draußen brauste ein orkanartiger Sturm. Außerdem regnete es den ganzen Tag. Der Platz stand voller Pfützen, und der Lehmboden war tief aufgeweicht. Ich wollte gerade zur Feier mit antreten, als mir jemand mitteilte, dass der Sturm meinen Karnickelstall umgerissen hatte. Den schweren Stall konnte ich alleine nicht aufrichten. In dem stürmischen Regen suchte ich dann meine armen Viecher wieder. Die hatten anscheinend weiter Seite 2 keinen Schaden genommen. Doch waren sie triefend nass und zitterten. Ich sperrte sie vorläufig in den Hühnerstall und barg dann noch das Heu, damit es nicht zu nass war. Dann ging ich in den Saal. Jeder Unteroffizier saß bei seiner Korporalschaft. Und musste die Geschenke verteilen. Es erhielt jeder 3,50 Mk., 2 Biermarken, dann ein Liebesgabenpaket. Meines enthielt 25 Zigarren, eine Flasche Si Si Klosett- und Nasenputzpapier, Ansichtskarten. Die Liebesgaben und das Geld ist für die Flotte gesammelt worden. Mein Paket hat eine Lübecker Firma gespendet. Die Hauptsache bei der ganzen Feier war: große Galatafel. Alle Tische weiß gedeckt. Es gab eine schön große Portion Schweinebraten mit Rotkohl und Kartoffeln. Essen konnte jeder soviel er wollte. Das Programm war: 1. Musik (unsere Hauskapelle: 3 Violinen, Bass, Harmonium, Klavier) gespielt wurden zum Weihnachtsfest passende Stücke. Dann trat unser Gesangverein auf die Bühne und sang: Stille Nacht. Darauf gemeinsamer Gesang O du fröhliche. Wieder Musik. Dann hielt unser Häuptling seine Weihnachtsrede in der sehr viel vom lieben Gott und Jesus Christus und vom deutschen Gemüt und deutscher Frömmigkeit die Rede war und anderen schönen Sachen. Nach der Rede verschwanden die Offiziere. Während des Essens spielte dann die Musik wieder ihre Weisen. Diejenigen Leute, die ihre Familien hier in der Nähe haben, sollten ihre Angehörigen mitbringen. Einige Frauen und Kinder saßen mit ihren-

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Seite 3 Vätern und Männern am Familientisch. Leider erlosch während der Feier das elektrische Licht. Der Sturm hatte die Leitungen beschädigt. Doch wir wussten uns gleich zu helfen. Die Weihnachtspakete wurden aufgemacht und nach Kerzen durchsucht, die sich auch in vielen Paketen vorfanden. Außerdem wurden elektrische Taschenlampen in Betrieb gesetzt. Es entstand so eine recht besinnliche Beleuchtung. Die aber den Reiz der Feier sogar erhöhte. An der Feier mussten auch die Wachen und Posten, sobald sie abgelöst waren, teilnehmen. Sogar die Arrestanten wurden aus ihren finsteren Löchern auf eine Stunde geholt. Bald nach 7.00 Uhr war die offizielle Feier zu Ende. Die Offiziere hatten in ihrem Kasino Gänsebraten. Die Unteroffiziere und Mannschaften feierten auf ihren Zimmern weiter. Einige hatten sich kleine Fässer Bier gekauft. Meine Korporalschaft lud mich zu ihrer Feier ein. Wir haben dann noch bis 12.00 weiter gefeiert. Am 1. Feiertag habe ich bis 9.00 vormittags geschlafen. Nachmittags war ich auch ein paar Stunden spazieren. Es fing aber gegen Abend sehr stark an schneien. Einzelne von uns waren zu den Bauern und Gutsbesitzern der Umgegend zu Besuch und kehrten gegen Abend mit Nettigkeiten und Kuchen beladen heim. Einige brachten auch Hasen mit. Ich war auch schon ein paar mal zur Jagd, habe aber bis jetzt nichts verrichten können. Schickt mir nicht soviel Pakete. Ich habe augenblicklich genug zu essen. Danke nochmals. Seite 4 Am 2. Feiertag hatte ich von 1.00 bis 5.00 nachmittags und von 1.00 bis 5.00 morgens Hallenwache. Ich wollte schreiben und lesen. Es war aber zu kalt, obwohl ich meinen dicken Mantel und Filzstiefel angezogen hatte. Heute habe ich erst mal wieder Zeugwäsche gemacht. Ein Förster, der ???? war, hat mich zu Neujahr eingeladen. Es ist aber etwas weit zu fahren. 2 Stunden mit der Bahn. Ich könnte dort wahrscheinlich Rehe schießen. Muss es mir noch mal überlegen. Noch während der Feiertage sind wieder Unteroffiziere abkommandiert worden, darunter gute Freunde von mir. Den einen soll ich mit Familie unbedingt später mal besuchen. Er wohnt in Wyk auf der Nordseeinsel Föhr. Wenn der Krieg einmal vorbei ist, will ich das alte Haus dort einmal besuchen. Er hatte früher Schiffe, ist heute aber Landwirt. Vielleicht schick ich Dich und Walter mal dort in die Sommerfrische. Eine schöne Gegend ist es dort oben wohl auf den Inseln und Halligen. Wie es mit Heimaturlaub wird, ist noch nicht gewiss. Sie warten alle darauf. Weihnachten habt Ihr ja wohl gut gefeiert. Hoffentlich sind wir im nächsten Jahr alle wieder beieinander. Ich sorge dann für einen Gänsebraten oder so was ähnliches. Und nun kommt alle recht fröhlich und gesund ins neue Kriegsjahr 1917 hinein. Es ist hoffentlich das letzte. Und dann seid alle recht herzlich gegrüßt von eurem Fritz.

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Brief aus Seddin vom 27.12.1916, Seite 1

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Brief aus Seddin vom 27.12.1916, Seite 2

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Brief aus Seddin vom 27.12.1916, Seite 3

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Brief aus Seddin vom 27.12.1916, Seite 4

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Kurz darauf hat er am 3. Januar 1917 noch den folgenden eindrucksvollen Brief geschrieben:

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Brief aus Seddin vom 3. Januar 1917, Seite 2

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Liebe Lisbeth!

Seddin, 3. Januar 1917.

Zunächst herzliche Glückwünsche für Euch alle Zuhause im neuen Jahr. Wir sollten keine Neujahrskarten schreiben, sonst hätte ich schon eher wieder geschrieben. Die Hoffnung, dass endlich 1917 den ersehnten Frieden bringen wird, ist gleich in der Schwalbe des neuen Jahres vernichtet worden. Die Worthelden in Frankreich, England, Russland wollen den Krieg fortsetzen bis zur Vernichtung der deutschen Wehrmacht. Die Ausführung dieses Riesenplanes würde noch viele Jahre dauern, abgesehen davon, dass es überhaupt möglich ist. Bis jetzt werden von den deutschen Soldaten 1 ½ bis 2 Millionen dass Leben verloren haben. Mindestens ebenso viele sind dauernd Krüppel. Hunderttausende schmachten in Gefangenschaft und werden dort langsam zu Tode gequält. In allen anderen Ländern sieht es ähnlich, meist noch viel schlimmer aus. Am meisten Menschen hat Russland verloren. Jetzt wollen wahnsinnige Verbrecher dass die gesamte jüngere männliche Bevölkerung Europas vernichtet werden soll. Ihr eigenes Leben wissen die erbärmlichen Feiglinge in genügender Sicherheit. Jeder Tag kostet heute viele tausend Männern das Leben. So geht die Würgerei weiter Monate, Jahre lang. Dieser Tage wurde hier erzählt, dass unser ganzer Trupp nach Dresden kommen soll. Ob das wahr ist müssen wir erst Abwarten. Ein Teil von uns wird wahrscheinlich Mitte Januar noch abgelöst werden. Am Neujahrstage hatte ich Wache. Es ging hier sehr still zu. Von der sonstigen Fröhlichkeit, die immer in den letzten Stunden eines alten Jahres geherrscht, keine Spur. Jeder war gespannt auf die Antwort der Ententemächte, ob das neue Jahr den Frieden näher bringen würde. Nun ist diese Hoffnung auch entschwunden. Nicht nur das deutsche Volk, alle Völker Europas stehen vor endlosen grauenvollem Elend. Denn je länger der Kampf nun dauern wird, um so stärker tritt der Vernichtungswille ins Werk. Und wenn das Jahr 1917 zu ende sein wird, werden Millionen, die jetzt noch jung und lebensfroh atmen, ins Grab gesunken sein. Das letzte Paket habe ich auch noch an Neujahr erhalten. Ich lebe jetzt tatsächlich im Überfluss. Vorläufig schicke mir nichts wieder. Ihr werdet es selber nötig gebrauchen. Für all die guten Sachen meinen besten Dank. Mit Urlaub ist es immer noch nichts. Vielleicht zu Ostern. Heute habe ich noch einen Karnickel geschlachtet. Es war der kleinste. Ich habe ihn einem Kameraden, der uns unsere Hühnerfütterung besorgt, für 3.50 Mk. geschossen. Die Hühner werden hoffentlich bald legen, sonst schneide ich dem Viehzeug auch noch den Hals ab. Das Wetter ist jetzt hier milde. Herzl. Grüße an Euch alle. Dein Fritz.

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Kurz darauf hat er dann seinem Sohn zum 5. Geburtstag die abgebildete Karte geschickt:

Gemaltes buntes Bild. Fritz in Marineuniform überreicht bunten Blumenstrauß an seinen Sohn Walter. Unter einem Luftschiff steht geschrieben: Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstage

Dein Papa.

An meinen kleinen Goldsohn Walter Storz Hamburg

Bei Großpapa

Lieber Walter! Zu deinem fünften Geburtstage wünscht Dir alles Gute Dein Papa.

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Die Anschrift „Bei Großpapa“ ist ein Hinweis darauf, dass Elisabeth Storz in der Kriegszeit teilweise im Konsum als Verkäuferin tätig war. Die Männer waren im Krieg, da mussten die Frauen deren Arbeit übernehmen, wie in Fabriken arbeiten oder Straßenbahnen bedienen. So arbeitete Elisabeth Storz als Lebensmittelverkäuferin. Da ihre Mutter Alwine Auguste Dora Christina Bartels häufig krank war, hat sich der zu der Zeit 56 Jahre alte Carl Bartels, den wir auf dem folgenden Foto sehen, nach der Arbeit sicher zeitweise den Enkel Walter betreuen müssen während Elisabeth sich nach der Arbeit um den Haushalt und die Schwestern kümmerte.

Aus dieser Zeit, in der sich die Deutschen weitgehend von Steckrüben ernährten, stammt auch der Aufruf an die Bevölkerung, der nachfolgend zu sehen ist.

Der Luftschiffhafen Seddin hatte nach dem Friedensschluss mit Russland im Jahre 1917 seine Bedeutung verloren. Luftschiffe und Personal wurden weitgehend abgezogen. Damals hatte man den Luftschiffhafen Ahlhorn eingerichtet. Ursächlich dafür war, dass man an den Stützpunkten an der Nordsee häufig mit Nebel zu Tun hatte. Da nützten auch die Fesselballons, wie Fritz Storz einen in Tondern kommandierte, nicht viel. Mit denen stiegen bei Nebel Beobachter auf um am Tage nach den rückkehrenden Luftschiffen Ausschau zu halten und die Besatzungen bei der Landung über Winkflaggen oder Funk einzuweisen. Bei Dunkelheit wurde oben Ausschau gehalten, gehorcht und es wurden Lichtsignale vom Fesselballon aus gegeben und auch der Funk genutzt. 115


Das System war aber sehr anfällig und es gingen auch Luftschiffe bei Nebel verloren. Das weiter im Landesinnern gelegene Ahlhorn wurde als Standort ausgewählt, weil dort seltener Nebel herrscht. So kam dann auch Fritz Storz nach Ahlhorn und erhielt dort die folgende Postkarte:

Absender Musk. H. Weber Res. Inf. Reg. 265, II. Batl. F. K.

17. 4. 17

Lieber Fritz! Sende Dir einen schönen Gruß. Ich bin noch gesund und munter u. hoffe dasselbe auch von Dir. Dein Freund Heinrich 116


Wann Fritz Storz nach Tondern kam ist nicht bekannt. Daher kann ich auch nicht sagen, ob er dort war als am 19. Juli 1918 der Stützpunkt von britischen Flugzeugen bombardiert wurde. Diese Flugzeuge waren in 2 Angriffswellen von einem Flugzeugträger in der Nordsee gestartet. Die eine vorhandene Doppelhalle und die 2 Einzelhallen wurden beschädigt und 2 Luftschiffe verbrannten. Einmal, so berichtete Fritz Storz, musste er einen Fahnenflüchtigen, der aufgegriffen worden war, mit dem Zug nach St. Avold (zwischen Saarbrücken und Metz) in die Nähe der Front bringen und dort übergeben. Was aus dem geworden sei, könne er nicht sagen. Er sei sicher vor ein Kriegsgericht gestellt worden. Die Marine Luftschiffer trafen sich später regelmäßig auf dem Flugplatz in Fuhlsbüttel, wo sie in einer Baracke ein Museum unterhielten, sowie in einer Gaststätte in der Nähe des Flughafens. In Hamburg Fuhlsbüttel war schon vor dem ersten Weltkrieg eine Ausbildungsstätte für Luftschiffer. Ab den 1960er Jahren war Fritz Storz der älteste noch lebende Marineluftschiffer in Deutschland. Er ist deshalb anlässlich eines Jubiläums der Firma Lanz, die heute zur Firma John Deere gehört, gebeten worden einen Artikel über die Schütte- Lanz Luftschiffe zu schreiben, die im ersten Weltkrieg zum Einsatz kamen. Ich erinnere mich, dass er was handschriftlich geschrieben hat und meine Schwester Renate hat es dann für ihn abgetippt. In den 60er Jahren habe ich ihn, wenn ich in Hamburg war, manchmal zu den Treffen der Marineluftschiffer begleitet und wurde mit den alten Herren bekannt gemacht. So wurde mir ein rundlicher Herr um die 70 als „unser Findelkind“ vorgestellt. Wie ich dann erfuhr war er Besatzungsmitglied eines Kriegsschiffes gewesen welches, ich glaube in der Skagerrakschlacht 1916, versenkt worden war. Man hat dann mit einem Luftschiff nach überlebenden gesucht und ihn gefunden. Er wurde an Bord genommen und mit dem Luftschiff an Land gebracht. So wurde er in die Lufschifferkameradschaft aufgenommen.

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In einer dieser Zusammenkünfte wurde auch über die Passagierluftschiffe der 30er Jahre, d.h. Graf Zeppelin und Hindenburg, geredet, als Fritz Storz, erwähnte, das er damals mit seinem Sohn Walter auf dem Motorrad eine Reise entlang des Rheins gemacht habe. Da hätten sie einen Abstecher zum Flughafen in Frankfurt gemacht und vom Zaun aus das Luftschiff betrachtet. Einer der Anwesenden fragte warum er sich damals nicht gemeldet hätte. Er sei zu der Zeit genauso wie 2 weitere frühere Kameraden, mit denen er in Nordholz zusammen gewesen sei, in Frankfurt auf dem Luftschiffstützpunkt gewesen. Sie hätten sicherlich eine Möglichkeit gefunden ihn als Besucher zu empfangen und Hugo Eckener hätte sich sicher auch gefreut, ihn mal wieder zu sehen. Seine bescheidene Antwort war, er hätte nicht stören wollen. Ich hatte bis dahin keine Ahnung, dass mein Opa, Fritz Storz, den Nachfolger vom Grafen Zeppelin gekannt hat. Ich wollte ihn danach fragen, habe es aber dann vergessen. Deshalb habe ich jetzt im Internet nachgesehen, was Dr. Hugo Eckener so alles im Laufe seines Lebens gemacht hat. Da habe ich bei Wikipedia gefunden, dass Hugo Eckener ab 1914 Luftschiffer in Nordholz ausgebildet hat. Daher kannten sie sich also. Nach Ende des 1. Weltkrieges kehrte Fritz Storz zur Familie nach Hamburg zurück und arbeitete wieder als Buchdrucker.

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7. Die 20er und 30er Jahre. 7.1 Mitgliedschaft in Vereinen Er engagierte sich neben der SPD und Buchdruckergewerkschaft auch an vielen anderen Stellen.

Erhalten sind seine Mitgliedskarte der Typografischen Gesellschaft von 1918/1919. Siehe oben (Vorder- und Rückseite)

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Eine Mitgliederkarte der Liedertafel Gutenberg, in die er am 01.12.1918 eingetreten ist.

Weiterhin sind Mitgliedskarten des Maschinenmeistervereins Hamburg-Altonaer Buchdrucker der Jahre 1926 und 1927 erhalten, deren Vorder- und Rückseite die folgenden Abbildungen wiedergeben. Einige Beitragsmarken haben sich offensichtlich im Verlauf der Jahrzehnte abgelöst.

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Hier die Seite mit den Beitragsmarken und dann diejenigen für 1927

Diese Ausweise sind , wie man sieht, bei Auer & Co. gedruckt worden, einer Hamburger Druckerei, bei der Fritz Storz viele Jahre beschäftigt war. Später ist er dann bei der Druckerei Broschek tätig gewesen. 121


7.2 Ansiedlung in Bramfeld 1921 wurde das Grundstück in der Kastanienstraße (jetzt Walnusssstieg) in Bramfeld gekauft und anschließend mit dem Hausbau begonnen. Zunächst die Waschküche als Wochenendunterkunft, dann das Haus. Ich meine zu erinnern, dass Elisabeth Storz immer davon sprach, dass sie im Jahre 1923 nach Bramfeld gezogen seien. Nach einer mir vorliegenden Kopie der Meldebescheinigung hat sich Friedrich Storz am 29. 11. 1924 vom Boitzenweg in Hamburg in die Kastanienstraße in Bramfeld umgemeldet. Bramfeld gehörte damals noch nicht zu Hamburg sondern zum Kreis Stormarn, also zu Preussen. Es ist aber ausdrücklich erwähnt, dass er mit Hamburger Staatsangehörigkeit geführt wird. In Hamburg, so wurde mir erzählt, hatten nur diejenigen Kommunalwahlrecht, die Bürger der Stadt waren und auch Steuern bezahlten. Viele Sozialdemokraten wurden damals freiwillig Hamburger Bürger und zahlten ein Minimum an Steuern, wegen des Wahlrechts. Die Hamburger Bürgerurkunde von meinem anderen Großvater, Richard Fritsche, ist erhalten. Die von Fritz Storz kenne ich nicht und kann daher auch nichts zu näheren Daten sagen. Das folgende Foto scheint kurz nach dem Einzug aufgenommen worden zu sein. Die Wege sind noch nicht mit Platten belegt. Die einzige Person auf dem Foto, die ich eindeutig identifiziere ist Gertrud Bartels, (später Kötzsche).

Als Fritz und Elisabeth Storz das Grundstück 1921 gekauft haben, war es Teil eines Ackers gewesen, über den quer ein Knick lief. Da haben sie erst einmal das Buschwerk gerodet und die Steine entfernt, die der Bauer im Verlauf von vielen Jahren auf dem Feld gefunden und jeweils am 122


Knick deponiert hatte. Diese Steine sind dann beim Hausbau teilweise mit in die Fundamente gekommen. Auf dem folgenden Foto ist Fritz Storz mit einigen Steinen zu sehen, die aus dieser Quelle stammen könnten.

Wie das Grundstück und die Umgebung vor 1930 aussah kann man auf diesem , im Winter aufgenommenen Foto sehen. Die angepflanzten Bäume sind schon deutlich gewachsen.

Gartenarbeit und die Beschäftigung mit Haustieren haben Fritz Storz bis ins hohe Alter gefallen. So wurden über viele Jahre Hühner, Gänse, Enten, Kaninchen, Schweine und nach dem 2. Weltkrieg auch Schafe gehalten. Katze und Hund gab es selbstverständlich auch. Die folgende Aufnahme zeigt Fritz Storz beim Basteln im Garten.

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Aus dieser Zeit um 1933 stammen auch die folgenden Bilder. Der Weg ums Haus ist inzwischen mit Platten belegt. Neben dem Haus, in dem Bereich wo später die Terrasse war, hatte Fritz Storz einen Fahnenmast, an dem an Feiertagen, am 1. Mai usw. die Fahne Schwarz Rot Gold der Weimarer Republik gehisst wurde.

Rechts: Elisabeth und Fritz Storz mit Katze.

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Rechts: Elisabeth Fritz und Walter Storz im Garten.

Links: Elisabeth und Fritz Storz im Vorgarten.

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Rechts: Elisabeth und Fritz Storz mit Besuch im Garten.

Unten: Haus vom Garten aus gesehen.

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Hier eine Aufnahme von Fritz und Walter Storz im Garten. Der Dritte auf dem Bild könnte Hans Sandini, ein Freund, Lehr- und Arbeitskollege von Walter Storz sein. Der stammte aus Bayern und hatte in Hamburg keine Angehörigen. So kam er manchmal übers Wochenende zu Besuch. Später hat er geheiratet und ist im Krieg gefallen.

Um zur Arbeitsstätte in Hamburg zu kommen wurden öffentliche Verkehrsmittel benutzt, die SBahn ab Wellingsbüttel und die U- Bahn ab Farmsen. Zu beiden Haltestellen war die Entfernung etwa 3 Km, also eine halbe Stunde Fußweg. Die Straßenbahn nach Bramfeld wurde erst um 1950 herum gebaut und die Buslinien nach Farmsen, Berne, Wellingsbüttel und Bramfeld fuhren erst ab Mitte der 50er Jahre.

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Unten: Elisabeth und Fritz Storz mit Blockwagen.

Transporte wurden damals, wie auf dem Bild zu sehen, von Elisabeth und Fritz Storz um 1935, mit dem Blockwagen durchgeführt. Diesen Blockwagen haben sie ab 1921 morgens vom Borstelmannsweg in Hammerbrook zur Kastanienstraße in Bramfeld gezogen und sind damit abends wieder zurückgegangen. Mit diesem Wagen wurden Lebensmittel, Viehfutter, Baumaterial, Düngemittel wie Thomasmehl usw. transportiert. Der Blockwagen wurde nach dem Krieg bis in die 50er Jahre noch zum Transport von Brennholz, Torf usw. benutzt. Torf wurde im Frühsommer im Moor (Am Damm oder in der Nähe vom Bahnhof Trabrennbahn) gestochen, aufs eigene Grundstück transportiert und dort die Soden im Garten zum Trocknen aufgeschichtet. Zwischen den Soden wurden jeweils seitlich Lücken gelassen damit der Wind das Ganze besser trocknen konnte. Oben wurde das Ganze gegen Regen abgedeckt. Als Fritz Storz Rentner geworden war, hat er mich zum Torf- Stechen mitgenommen. Auf dem Hinweg durfte ich im Blockwagen sitzen. Auf dem Rückweg durfte ich den beladenen Wagen mit ziehen oder schieben. Ob ich damals dem Opa als 4- oder 5-jähriger eine Hilfe war, darf bezweifelt werden. Manche Leute haben auch den gestochenen Torf im Moor zum Trocknen aufgestapelt, in der Hoffnung der getrocknete Torf sei dann leichter zu transportieren. Das Ergebnis war, so erzählte mir Fritz Storz, das sie einen sehr leichten Transport hatten, weil ihnen zwischenzeitlich viel von ihrem getrockneten Torf gestohlen worden war.

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Auf den folgenden Abbildungen ist der Hühnerstall mit einigen Hühnern davor hinter Gittern zu sehen. da die Hühner durch ihren Kot den Boden düngen, diesen aber auch verfestigen, wurde der Standort des Hühnerauslaufs von Zeit zu Zeit verlegt bevor der Boden überdüngt war und an der Stelle, wo vorher der Hühnerstall war wurden Gemüse oder Kartoffeln gepflanzt.

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Dazu mussten die Hühner dann auch den Hauptweg im Garten überqueren. Diesem Zweck dient die Hühnerbrücke, deren Beginn man auf diesem folgenden Foto sehen kann und deren weiterer Verlauf durch den Garten auf dem dann nachfolgenden Foto zu erkennen ist. Diese Bilder sind im Juli 1929 aufgenommen worden.

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Wie schön es im Garten war, wenn alles schön blühte kann man auf auch dem folgenden Foto sehen.

Es wurde viel im Garten gearbeitet und man mußte sich um die Tiere kümmern. Für Urlaubsreisen war weder Zeit noch Geld verfügbar. Soviel ich weiß, hat Fritz Storz mit Frau und Sohn in allen diesen Jahren nur einmal eine Wanderung im Harz gemacht. Nachdem sich sein Sohn Walter ein Motorrad angeschafft hatte, hat er mit Fritz Storz eine Fahrt entlang des Rheins gemacht. Da ist Elisabeth daheim geblieben und hat sich um die Tiere gekümmert. Andererseits haben Walter und Elisabeth eine Motorradfahrt zum Besuch der Verwandten in Anhalt gemacht. Während der Zeit ist Fritz daheim geblieben und hat sich um die Tiere gekümmert. Bei dieser Reise sind Walter und Elisabeth auf nassem Blaubasalt-Pflaster mit dem Motorrad gestürzt und Elisabeth hat mehrere Zähne verloren. Sie brauchte anschließend eine Prothese. Ende der 20er Jahre bis in die 30er Jahre, die Zeit der Weltwirtschaftskrise, hat Fritz Storz wohl mehrfach seine Arbeit als Buchdrucker verloren. In dieser Zeit hat er im Tiefbau gearbeitet und dort ausgeschachtet und Kanalisationsrohre unter der Erde verlegt. Einige Zeit ist er auch in einer Baumschule beschäftigt gewesen, was ihm besser gefallen hat. In dieser Zeit war er in Bramfeld in der SPD aktiv. Sowohl Fritz Storz als auch mein Vater Walter Storz waren damals Mitglieder im Reichsbanner Schwarz Rot Gold. Fritz Storz hat von einer Gemeinderatssitzung erzählt, bei denen die Nazis vor der Tür auf sie gewartet haben, um mißliebige 131


Gemeinderatsmitglieder nach Sitzungsende zu verprügeln. Die sind dann durch ein rückwärtiges Fenster abgehauen. Sowohl Fritz Storz als auch mein Vater Walter Storz haben in der Zeit Baskenmützen getragen, die innen eine der Schädelform exakt angepasste Blechauskleidung besaßen. Das war eine Vorsichtsmaßnahme gegen die Totschläger, mit denen Kommunisten und Nazis damals auf politisch missliebige eingedroschen haben. Bei einem Besuch von Minna, der Schwester von Fritz Storz, Ostern 1939, wurden die folgenden Fotoaufnahmen gemacht. An der Kaffeetafel sitzen v.l.n.r.

Schorsch Kieras? , Walter und Elisabeth Storz, Tante Minna (Schwester von Fritz), Fritz mit Jens Kieras, Wilfried Kiras, Guschi Kieras, Ferdinand Kötzsche?, Gertrud Kötzsche.

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Unten: Fritz Storz mit seiner Schwester Minna Ostern 1939.

8. Nazizeit und 2. Weltkrieg Nach der Machtübernahme durch die Nazis war Schluss mit SPD und Gewerkschaften. In Zeitungen und Rundfunk wurde nur noch im Sinne der Nazis informiert. Drucker, die wie Fritz Storz hochwertige Druckqualität produzierten, wurden in dem Maße nicht mehr gebraucht. Ich erinnere Probebögen mit Mehrfarbendruck auf einer Art Hochglanzpapier für Tabak und Zigaretten der Firmen Brinkmann, Reemtsma und andere, die er als Nachweis seines Könnens aufgehoben hatte. Bild rechts: Fritz, Elisabeth, Walter und Guschi vor dem Fahnenmast im Garten, an dem zur Zeit der Weimarer Republik die Fahne Schwarz-Rot-Gold gehisst wurde.

Die Nazizeit brachte eine Fülle von Veränderungen mit sich. Waffen, von den Nazis verbotene Bücher, die Fahne SchwarzRot-Gold und vieles andere wurde in Blechbüchsen eingelötet und im Garten vergraben. Der Fahnenmast wurde abgebaut und versteckt um nicht die Hakenkreuzflagge hissen zu müssen. Das Vermögen der Gewerkschaften war von den Nazis 133


eingezogen worden, die damit das Programm Kraft durch Freude KdF finanzierten. Dieses Programm hatte zum Ziel die Volksgenossen auch während des Urlaubs zu kontrollieren und zu indoktrinieren. Dazu wurden etwa gigantische Urlaubsherbergen wie die PRORA am Prorer Wiek bei Binz auf Rügen errichtet. Es wurden neue Schiffe gebaut um die Urlauber für wenig Geld in die norwegischen Fjorde oder nach Madeira zu fahren. Diese KdF- Schiffe wie die „Wilhelm Gustloff“ oder die „Robert Ley“ wurden in weiser Voraussicht gleich als Lazarettschiffe gebaut. Aber auch andere ältere Passagierschiffe wurden zu diesem Zweck verwendet. So die „Monte Sarmiento“, auf der Elisabeth und Walter Storz mit KdF eine Nordlandfahrt machen konnten.

So haben die beiden einen Teil der von ihnen vor 1933 gezahlten und dann von den NAZIS konfiszierten Gewerkschaftsbeiträge genutzt. Von dieser Reise stammt die Postkarte an den daheim gebliebenen Fritz.

Der Text auf der anschließend abgebildeten Rückseite folgt:

(Stempel: Denkt an den Vierjahresplan) Herrn Fritz Storz

Bramfeld

Kastanienstrahse 8

Lieber Fritz! Es ist herrliches Wetter. Heute Morgen machen wir eine Hafenrundfahrt. Gestern waren wir in Hagenbeckspark. Um 1 Uhr Abfahrt. Das Essen ist herrlich. Vergesse nicht die letzten Kirschen und Erdbeeren zu pflücken. Hier im Hafen herrscht reges Treiben. Die ganze Nacht wurde auf den Werften gearbeitet. Es grüßt dich Walter und Liesbeth.

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Von früheren Mitgliedern der SPD wurden in dieser Zeit an frühere Genossen Informationen verteilt, die in Schweden auf Zigarettenpapier gedruckt wurden und dann nach Deutschland herein geschmuggelt wurden. Diese wurden zusammengefaltet in Streichholzschachteln unter den Streichhölzern versteckt weitergegeben und konnten, wie Fritz Storz erzählte, wegen der kleinen Schrift nur mit dem Vergrößerungsglas gelesen werden. Sein Schwager, der Vater von Wilfried und Jens Kieras ist, wie Fritz Storz erzählte, beim Verteilen dieser Art Propaganda erwischt worden und ins KZ gekommen. Obwohl es während des Krieges strengstens verboten war Feindsender zu hören, hat Fritz Storz häufig BBC gehört. Ich erinnere mich noch, dass er sich mit dem Ohr am Lautsprecher des Radios unter einer Wolldecke versteckte, die er über seinen Kopf und das Rundfunkgerät deckte.

Auf diesem Foto, welches im Mai 1940 aufgenommn wurde, sehen wir Mutter Kötzsche, Ferdinand und Gertrud Kötzsche, Fritz Storz, Guschi Kiras, davor Jens und WilfriedKiras, Gisela und Elisabeth Storz.

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Im August 1942 wurde das Haus bei einem Bombenangriff getroffen und geriet in Brand. Spitzboden und Obergeschoss brannten teilweise aus. Die Löscharbeiten gestalteten sich schwierig, weil bei Bombenangriffen in Hamburg das Wasser in den Vororten abgesperrt wurde um in der Innenstadt für die Löscharbeiten der Feuerwehr mehr Druck zu haben. So blieb nur die Möglichkeit mit Wasser aus der Pumpe am Ende des Gartens das Löschwasser in Eimern herbeizuschaffen.

Mir wurde erzählt, dass ich, Reinhard, damals im Alter

von 9 Monaten von Frau Bremer, einer Nachbarin, in Sicherheit gebracht wurde. Carl Bremer war gerade auf Fronturlaub und hat Fritz und Elisabeth sowie meine Mutter Gisela bei den Löscharbeiten unterstützt. Da das Obergeschoss unbewohnbar war, wurde ich mit meiner Mutter nach Straubing in Niederbayern evakuiert, bis das Dach notdürftig repariert worden war. An dieser Reparatur, die vom Dachdeckerbetrieb Pfriehm durchgefhrt wurde, hat auch ein französischer Fremdarbeiter mitgewirkt. Der Herr Pfriehm war ein guter Freund von Richard Fritsche, meinem Großvater mütterlicherseits. Ohne derartige Beziehungen wäre eine kurzfristiger Reparatur sicher an der Materialbeschaffung gescheitert, da man ja für alles einen Bezugsschein brauchte. Auf dem folgenden Bild ist das ausgebrannte Dach schon wieder repariert. Vor dem Eingang stehen Elisabeth und Fritz Storz neben Hölzern und einer Leiter..

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Durch den Brand und die genannten Löscharbeiten wurden die im Spitzboden gelagerten Fotoplatten von Fritz Storz vermutlich teilweise beschädigt. Aus den verkohlten Balken des Dachstuhls hat man damals auf dem Grundstück einen Schuppen errichtet und alles was an Dingen im Obergeschoss und Spitzboden gewesen war, darin zunächst provisorisch untergebracht. Viele der Glasplatten lagen dort bis in die 50er Jahre. Bei einem dieser Bombenangriffe ist eine Brandbombe auf den Kaninchenstall gefallen. Sie hat die beiden übereinander liegenden Ställe durchschlagen sowie die darunter liegende Zementplatte und ist in den Boden eingedrungen ohne ernsthaft beschädigt zu werden. Als Fritz Storz nach der Entwarnung herauskam und den Schaden bemerkte, saßen die Kaninchen noch verängstigt in den Ecken ihres Käfigs, obwohl das Loch in der Mitte des Käfigs groß genug war um zu entkommen. Keines der Tiere war verletzt worden. Im 2. Weltkrieg war Fritz Storz dienstverpflichtet in einer Firma tätig, die Bomben hergestellt hat. Seine Aufgabe war zum Beispiel die Dichtheitsprüfung der fertigen Metallkörper, bevor diese mit Sprengstoff gefüllt wurden. In dieser Zeit war er auch als Feuerwehrmann zum Löschen von Bränden eingesetzt. Als der Petroleumhafen in Waltershof nach einem Bombenangriff brannte ist er 3 Tage und Nächte im Einsatz gewesen. Geschlafen wurde abwechselnd vor Ort bis der Brand gelöscht war. Nachdem Fritz Storz im September 1944 das 65. Lebensjahr vollendet hatte wurde er Rentner. Da hatte er mehr Zeit sich um Garten und Tiere zu kümmern und Nachrichten aus London zu hören. 137


Dieses Foto zeigt ihn am 5. September 1944, seinem 65. Geburtstag, mit Frau Elisabeth und Enkeln Renate und Reinhard. Ich habe, es muss wohl im Winter 1944/45 gewesen sein, von meiner Mutter furchtbare Schläge bekommen, weil ich mir gemeinsam mit anderen Kindern aus der Nachbarschaft gegen 17 Uhr, als es schon dunkel war, das Spektakel eines Bomberangriffs mit Scheinwerfern und Flak angesehen hatte, statt, wie üblich, bei Fliegeralarm schnellstens nach Hause zu rennen und mich im Luftschutzkeller in Sicherheit zu bringen. Wir hatten uns in einem Graben an der Grünstraße (Heute Quittenweg) gehockt, von wo aus die Scheinwerferbatterie am heutigen Haselnußweg in Sichtweite war. Diese Scheinwerferbatterie war zwar von einem Erdwall umgeben, aber die sich bewegenden Lichtstrahlen konnte man deutlich sehen. Hätte Fritz Storz meine Mutter Gisela nicht mit einem Hinweis wie jetzt ist es aber genug oder so was gestoppt, hätte ich bei der anschließenden Heimkehr sicher noch mehr Prügel bekommen. Das nächste Bild zeigt, wie der Himmel in Bramfeld damals während der nächtlichen Bombenangriffe aussah wenn die Scheinwerfer nach feindlichen Flugzeugen suchten und die Flak schoss.

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In dieser Zeit war der Nachbarssohn Erhard Lemmermann, der Bruder von Lilli, auf Urlaub. Von dem hatte ich einen gebrauchten Brummbären geschenkt bekommen. Der Erhard Lemmermann muss wohl mit 16 oder 17 kurz vor Kriegsende noch Soldat geworden sein. Er war in Uniform und stand am Zaun. Fritz Storz stand neben mir und hat ihm über den Zaun hinweg Ratschläge gegeben in Deckung zu bleiben und die Nase nicht zu weit aus dem Schützengraben zu strecken. Elisabeth, die in der Nähe im Garten arbeitete hat Fritz anschließend Vorwürfe gemacht, derartige Ratschläge könnten als Wehrkraftzersetzung aufgefasst werden. Das würde mit Zuchthaus oder dem Tode bestraft. Kurz darauf erfuhren wir, dass Erhard Lemmermann gefallen war. Als die Nachricht von Hitlers Tod verbreitet wurde hat Fritz Storz einen Freudentanz aufgeführt und anschließend dem Blockwart, Herrn Meißner, dem Vater von Minna, gesagt, dass es jetzt bald mit dem braunen Spuk ein Ende haben werde. Auch da wurde er von seiner Frau Elisabeth gefragt, ob er unbedingt noch ins KZ wolle.

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Elisabeth und Fritz Storz 1942 in Festtagskleidung im Garten

9. Nachkriegszeit als Rentner und Nachtwächter 9.1 Garten und Tiere Ich erinnere Fritz Storz aus meiner Kindheit so, wie er auf der Seite 1 mit der Tabakspfeife abgebildet ist. Als es keinen Tabak gab, hat er die Blätter von Heckenrosen gesammelt, getrocknet und klein geschnitten. Die hat er dann 1945 in der Pfeife geraucht. In den darauf folgenden Jahren wurde auch Tabak im Garten angebaut, Teilweise offiziell, der als Pflanze versteuert werden musste und teils schwarz, wobei die Pflanzen im hohen Mais versteckt waren. Die Blätter wurden dann von 140


Fritz und Walter Storz gemeinsam geerntet, auf Draht aufgezogen auf dem Dachboden getrocknet, mit Pflaumensaft fermentiert, abermals getrocknet und schließlich klein geschnitten und in der Pfeife geraucht. Um 1960 herum hat er sich dann das Rauchen abgewöhnt. Neben dem Rauchen hatte Fritz Storz eine Leidenschaft für den Kaffee. Wenn man ihm Tee anbot machte man sich unbeliebt. Nachdem sicher war, dass die Nazizeit endgültig vorbei war, wurden die 1933 vergrabenen Dinge wieder ausgegraben. Einige der verlöteten Behälter hatten nicht dicht gehalten. Die Bücher waren verdorben. In anderen Behältern, die dicht geblieben waren, hatten die Bücher keinen Schaden genommen. 2 Bücher von August Bebel, die so wieder ans Tageslicht kamen, habe ich geerbt. Sie stehen in meinem Bücherschrank. Auch die Fahne Schwarz Rot Gold kam wieder zum Vorschein und der in der Nazizeit abgebaute Fahnenmast wurde wieder aufgestellt und die Fahne Schwarz Rot Gold voll Stolz gehisst. Die vergrabenen Waffen wurden allerdings erst 20 Jahre später ausgegraben weil der Waffenbesitz von den Alliierten verboten war. über deren Zustand kann Dieter Sohr Auskunft geben, der sie mit Walter Storz zusammen ausgegraben hat.

Hühner und Kaninchen schlachtete Fritz Storz selber. Sie wurden vorher mit einem Knüppel betäubt. Für das Schlachten der Schweine und Schafe kam ein ambulanter Schlachter mit einem Bolzenschussgerät und ein Fleischbeschauer. Ich durfte als Kind beim Schlachten und Zerlegen der Tiere zusehen und beim Wurstmachen helfen. Die Würste und Schinken wurden selber geräuchert. Dazu hatte Fritz Storz im Keller eine Räucherkammer, die an den Schornstein des Hauses angeschlossen war. Er beschaffte das geeignete Sägemehl und erzeugte damit den erforderlichen Rauch. Wenn dann ein Schinken, der nach dem Räuchern noch einige Zeit an der Luft hing, angeschnitten wurde, dann war das ein besonderes feierliches Ereignis, woran ich mich noch gut erinnern kann. Für den Winter wurden selbst angebaute Gurken eingelegt, Kohlköpfe aus dem Garten zu Sauerkraut verarbeitet usw. Fritz Storz hat auch in den 50er Jahren noch aus Kirschen, Johannisbeeren, Stachelbeeren und Erdbeeren Obstwein hergestellt.

Um die Ernährung der Familie sicherzustellen wurden neben Hühnern und Kaninchen auch Schafe und Schweine sowie einmal eine Ziege gehalten.

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Fritz und Elisabeth Storz wohl im Jahre 1948 mit Schafen vor dem Haus.

Die Ziege hat mal, als die Haustür offen war, die Gelegenheit genutzt und ist die Treppe hinauf bis in das Obergeschoss gestiegen. Obst wurde gepflückt und zum Teil eingekocht, zum Teil im Keller für die Winterzeit eingelagert. Dazu ist Fritz Storz auch in hohem Alter noch auf die Leiter gestiegen. Dabei verwendete er geflickte Leitern die nach meiner und meines Vaters Ansicht lebensgefährlich waren.

Bild rechts: Elisabeth + Fritz bei der Apfelernte.

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Als ich ihm in den 60er Jahren mal bei der Obsternte geholfen habe, ist eine der geflickten Sprossen unter mit durchgebrochen, woraufhin ich die Leiter, obwohl er protestiert hat, direkt zu Brennholz verarbeitet habe. Da war er ernsthaft böse mit mir. Er hing wohl an der alten defekten Leiter, obwohl es im Schuppen auch mehrere neue Leitern gab.

Auf den folgenden beiden Fotos sehen wir Fritz Storz im August 1961, im Alter von knapp 82 Jahren bei der Apfelernte.

Auf dem Foto rechts sehen wir Elisabeth und Fritz Storz vor dem Hause auf der Einfahrt etwa im Jahre 1962.

Das folgende Foto zeigt die beiden im Wohnzimmer in der selben Zeit.

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9.2 Fritz Storz in Partei und Gewerkschaft Kurz nach Kriegsende wurden Parteien und Gewerkschaften wieder zugelassen. Fritz Storz engagierte sich wieder in der SPD in Bramfeld. Er ging zu Parteiveranstaltungen und machte vor Wahlen Propaganda für die SPD. Am 1. Mai wurde traditionell zur Kundgebung marschiert. Zur ersten Maifeier nach dem Krieg hat er mich schon mitgenommen. Da sind wir nach Barmbek gefahren, haben uns am Bahnhof aufgestellt und sind dann mit einigen Tausend Gewerkschaftern über einige Kilometer zur Maikundgebung in den Stadtpark an den Wasserturm marschiert. Alles, was mit SPD und Gewerkschaft zu tun hatte, wurde von Fritz und Elisabeth Storz unterstützt. Gelesen wurde das Hamburger Echo. Lebensmittel usw. wurden bei der Konsumgenossenschaft eingekauft. (COOP war bis 1989 eine Gewerkschaftsbeteiligungsgesellschaft.) Versichert war man bei der Volksfürsorge, bei der die Gewerkschaft bis1993 beteiligt war. Bücher wurden bei der Büchergilde Gutenberg gekauft, an der die Gewerkschaft bis 1998 Anteilseigner war. Wenn Fritz und Elisabeth Storz in Urlaub fahren wollten, so buchten sie die Reise, z.B. nach Bodenmais im Bayrischen Wald, selbstverständlich beim Reisebüro im Gewerkschaftshaus. Jedes Jahr im Sommer veranstalteten die gewerkschaftlich gut organisierten Buchdrucker das Johannisfest. (Wegen ihres Stammvaters Johannes Gutenberg an dessen Namenstag) Da bin ich auch einige male mitgenommen worden. Bei einer solchen Gelegenheit habe ich, da ging ich noch 144


nicht zur Schule, im Hamburger Vorort Blankenese das erste mal auf einem Pferd gesessen. Nach und nach starben dann die SPD- Mitglieder in seinem Alter und auch viele, die jünger waren als Fritz Storz. Darunter auch viele, die er seit der Jugendbewegung gekannt hatte. Da hat er es sich nicht nehmen lassen, jeweils mit der historischen Parteifahne der SPD in Händen an den Beerdigungen teilzunehmen. Ich erinnere, dass er sich regelmäßig mit Willi Brocke getroffen hat, den er aus der Jugendbewegung kannte. Von einem solchen Treffen stammen die folgenden beiden Fotos aus den Jahren 1960 und 1962, aufgenommen jeweils am 2. Januar. Das war vermutlich der Geburtstag von Willi Brocke, der seinen Freund Fritz auch jeweils am Geburtstag besuchte.

Bei einem solchen Besuch erzählte Willi Brocke mir von seinen Vorstellungen als ganz junger Soldat im 1. Weltkrieg über die Demokratische Gesellschaft in der Zeit nach dem Kriege wenn es keinen Kaiser mehr gäbe und die SPD regiert. Ich war 18 oder 19 als er mir das erzählte. Damals, so um 1917 sagte er, hätten er und andere Sozialisten im Schützengraben erwartet, dass

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innerhalb weniger Jahre kaum noch jemand in die Kirche gehen würde und man die leer stehenden Kirchen in sozialistische Fürsorgestellen und Versammlungsorte umwandeln würde. Er war bitter enttäuscht, dass auch 40 Jahre nach dieser Zeit die Kirchen noch so großen Zulauf hatten.

9.3 Reisen und Ausflüge Von den Reisen und Ausflügen in den 50er und 60er Jahren sind einige Bilder erhalten, die anschließend zu sehen sind.

Auf diesen Bildern sieht man sie während einer Busreise

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und einer Barkassenfahrt in Kolmar im August 1959

sowie 1962 am Arber See, wo Fritz seinen alten Freund Hans Feiner sowie dessen Tochter und Schwiegersohn getroffen hat.

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Weinfahrt 1966 auf die Wachau steht auf der Rückseite dieses Fotos und unten sind sie bei einem Spaziergang im Urlaub im Bayrischen Wald zu sehen.

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9.4 Fritz Storz als Nachtwächter Es muss wohl 1947 gewesen sein, als im Kinderheim Bramfelder Tannen mehrfach eingebrochen worden war. Daraufhin wurde ein Rentner als Nachtwächter gesucht. Fritz Storz hat sich beworben und wurde eingestellt.

Kinderheim Bramfelder Tannen im Winter

Das vorherige Foto wurde vor dem Kinderheim am 08.09.1964 aus Anlass seines 85. Geburtstages aufgenommen. 149


Er hat viele Jahre diese Tätigkeit ausgeübt. Irgendwann sollte er wegen zu hohem Alter entlassen werden. Da hat er argumentiert, der damalige Bundeskanzler Adenauer sei noch einige Jahre älter als er und wäre auch noch im Amt. Daraufhin wurde er noch einige Jahre weiter beschäftigt. In dieser Zeit hat er viel gelesen. Es gab kaum Themen, an denen er nicht interessiert gewesen ist.

9.5 Fritz Storz bei den Luftschiffern Wie schon an anderer Stelle erwähnt, hat er an den regelmäßigen Treffen der Marine Luftschiffer teilgenommen und auch deren Ausflüge mitgemacht. So ist er auch wieder nach Nordholz und nach Ahlhorn gekommen. Von diesen Gelegenheiten zeugen die folgenden Fotos. Das erste zeigt die älteren Herren vermutlich bei einem Treffen in Hamburg.

Die Marineflieger der Bundeswehr sehen sich in der Tradition der Luftschiffer. An einigen Luftschiffstützpunkten hat es im 1. Weltkrieg schon Flugzeuge gegeben, die die Stützpunkte ebenso wie die Flugabwehrgeschütze, gegen feindliche Angriffe verteidigen sollten. So gab es auch zum Beispiel in Tondern schon im 1. Weltkrieg einige Marineflieger. Auf dem folgenden Bild von einem Besuch der Marineflieger sitzt Fritz Storz links in der2. Reihe. Vor ihm sitzt das Findelkind, ein Besatzungsmitglied eines deutschen Kriegsschiffes, welches im 150


1. Weltkrieg nach dem Untergang seines Schiffes von einem Zeppelin aus Seenot gerettet worden war. Den Namen des Herren erinnere ich nicht. Er wurde immer nur unser Findelkind oder Findelkind genannt.

Die vorigen Bilder wurden von der Horstbildstelle des Marinefliegergeschwaders 2 aufgenommen. Auch das folgende Bild dürfte von einem dieser Besuche bei den Marinefliegern stammen.

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Dieses Bild wurde wohl aufgenommen, als man Fritz Storz dazu beglückwünschte, daß er nun der älteste Luftschiffer in Deutschland sei. Möglicherweise hat er bei der Gelegenheit auch eine Urkunde bekommen.

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9.6 Die letzten Lebensjahre Fritz Storz hat sich sein Leben lang fit gehalten. Morgens stand er auf, öffnete das nachts auf Kippe stehende Fenster weit und machte erst einmal Morgengymnastik. Er ist auch als 85 jähriger noch viel mit dem Fahrrad gefahren. Das folgende Bild zeigt ihn Pfingsten 1966 am Gartenzaun.

Elisabeth und der 91 jährige Fritz Storz im März 1970 153


Hier ist Fritz Storz auf seinem letzten Personalausweis zu sehen.

Am 31. März 1972 um 21.00 Uhr ist Fritz Storz im Alter von 92 Jahren gestorben. Zu Ursache hat mir meine Mutter, Gisela Storz folgendes erzählt. Er hatte sich an einem sonnigen Frühlingstag nach dem Mittagessen in einen Liegestuhl in den Garten gelegt. Dabei ist er wohl eingeschlafen und hat nicht bemerkt, dass inzwischen Wolken die Sonne verdeckten und es dadurch kühler geworden war.. So hat er sich erkältet. Daraus wurde dann eine Lungenentzündung, die in in seinem Alter in wenigen Tagen zu seinem Tode führte. auf der nächsten Seite ist seine Sterbeurkunde abgebildet.

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