Menschen mit Rechten

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MENSCHEN mit

RECHTEN ?! Stuttgart, Februar 2010

Projekt Obdachlosigkeit/ Wohnungslosigkeit


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Inhalt Seite 3

Ortstermin: Ein Besuch in der Caritas-Tagesstätte

Seite 4-5

Beispiele von Einrichtungen ausgewählter Träger

Seite 6

Unbedachte Facetten des Lebens in der Obdachlosigkeit

Seite 7

Alle Menschen sind gleich und werden frei geboren

Seite 8

Interview mit unserem Zeitzeugen

Seite 9

Faktentafel

Seite 10

Im Bild festgehalten

Impressum: Projektzeitung der Projektgruppe der Klasse 11b Maike Bernert, Daniel Bonk; Annalena Ehmann, Kevin Ferson, Alexander Goltz Königin-Charlotte-Gymnasium Stuttgart-Möhringen Fotos: Annalena Ehmann, Maike Bernert Das Zeitzeugeninterview „Obdachlos – wohnungslos“ mit Blick auf die Menschenrechte wird in Kooperation mit dem Stadtmedienzentrum Stuttgart durchgeführt. Es wird im Rahmen des Programms „VIELFALT TUT GUT. Jugend für Vielfalt, Toleranz und Demokratie“ des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und durch das Ministerium für Kultus, Jugend und Sport des Landes Baden-Württemberg gefördert. www.vielfalt-tut-gut.de Konzept: Jugendstiftung Baden-Württemberg www.jugendstiftung.de, www.menschenrechte.jugendnetz.de


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Ortstermin: Ein Besuch in der Caritas-Tagesstätte „Grüß Gott, so sagt man doch, wenn man irgendwo reinkommt“, so begrüßt man uns. Auf den ersten Blick sieht alles aus wie in einer Kneipe. Es riecht nach Essen. Im ganzen Raum verteilt stehen Tische. An einigen Tischen sitzen Menschen. Es wird gespielt, Karten oder Würfelspiele. Auf der linken Seite eine Theke, die an eine große Küche angrenzt. Hierher kommt also der Geruch nach Essen. saubere Kleider bekommen. Dann ist unsere „Tour“ auch Und doch, dies ist keine gewöhnliche Kneipe. Hier trinkt man schon zu Ende. Wir verabschieden uns von Herr Wohlmann nicht sein Bierchen nach Feierabend. Nein, wir befinden uns und bedanken uns für seine Hilfe. in der Tagesstätte der Caritas in der Olgastraße in Als wir aus dem Gebäude der Caritas Stuttgart. Hier trifft man hauptsächlich Obdach- Und doch, dies ist keine kommen, haben wir alle ganz unterschiedund Wohnungslose aus Stuttgart-Mitte, die sich gewöhnliche Kneipe. liche Eindrücke gesammelt. Mich hat sehr einen Kneipenbesuch nicht leisten können. Frühsbeeindruckt, dass in Stuttgart keiner auf tück gibt es kostenlos und ein warmes Mittagesder Straße leben muss, wenn er oder sie das nicht möchte. Jesen kann man für 1,50 € bekommen. Heute am Montagabend der hat für sich heute etwas Neues gelernt, sei es das reine ist Freizeitgestaltung angesagt. Wissen um die Obdach- und Wohnungslosen, die Begegnung Wir haben hier heute einen Termin mit Herrn Wohlmann. Er mit den Menschen oder beides. Gemeinsam fahren wir mit der ist der Dienststellenleiter der ambulanten Hilfe für wohnungsStraßenbahn nach Hause. Als ich den Rest meines Heimwegs lose Menschen der Caritas Stuttgart e.V. Von ihm erhoffen wir durch Degerloch gehe, merke ich, wie ich schon jetzt den betuns viele interessante und detaillierte Informationen über die telnden Mann, der an der Straße sitzt, mit anderen Augen anProblematik der Obdach- und Wohnungslosigkeit in Stuttgart schaue. und im Allgemeinen. Er will uns auch helfen, einen geeigneAnnalena Ehmann ten Zeitzeugen für unser Interview zu finden.

Das liegt vor allem daran, dass es in Stuttgart ausgesprochen gut funktionierende Hilfsorganisationen gibt. Um 16.00 Uhr treffen wir uns in Herrn Wohlmanns Büro. Gleich zu Beginn unseres Gesprächs macht er uns darauf aufmerksam, dass zwischen Obdachlosen und Wohnungslosen unterschieden wird. Obdachlose sind Menschen, die direkt auf der Straße leben, im Gegensatz dazu haben Wohnungslose keine eigene Wohnung beziehungsweise keinen eigenen Mietvertrag. Sie leben bei Verwandten oder Bekannten, in betreuten Wohnformen oder in einer Wohnung, deren Mietvertrag über die Caritas läuft. Häufige Ursachen für Obdach- und Wohnungslosigkeit sind das Ende einer Beziehung oder Jobverluste, mit denen dann der Verlust der Wohnung einhergeht. Durch die Caritas bekommen Obdach- und Wohnungslose die Unterstützung, die sie brauchen. Hier in Stuttgart gibt es nur 50 polizeilich bekannte Obdachlose, in Hamburg sind es 2500. Das liegt vor allem daran, dass es in Stuttgart ausgesprochen gut funktionierende Hilfsorganisationen gibt. In Stuttgart-Nord hilft die evangelische Kirche; die Caritas in Stuttgart-Süd und -Mitte, während sich in Stuttgart-Ost und den Neckarvororten die ambulante Hilfe um die Obdach- und Wohnungslosen kümmert. Herr Wohlmann erklärt uns, dass man den Menschen in den verschiedenen Einrichtungen auf ihrem Weg zu einer eigenen Wohnung und bei der Wiedereingliederung in die Gesellschaft hilft. Es werden einfache Hotelzimmer oder betreute Wohnformen vermittelt und in der Tagesstätte werden Kultur- und Freizeitveranstaltungen angeboten. Nach dem ausführlichen Gespräch, in dem wir viel über die Situation von Obdach- und Wohnungslosen erfahren haben, zeigt uns Herr Wohlmann die Tagesstätte und die Kleiderkammer. In der Kleiderkammer werden Kleider gesammelt, die von Privatleuten oder von Krankenhäusern und ähnlichen Einrichtungen gespendet werden. Obdach- und Wohnungslose können hier passende und


4 MENSCHEN mit RECHTEN Beispiele von Einrichtungen ausgewählter Träger des HilfeSystems Der Schlupfwinkel Der Schlupfwinkel ist eine Anlaufstelle der Caritas für Kinder und Jugendliche, die auf der Straße leben. Er bietet eine anonyme Beratung, Unterstützung bei den Ämtern und Behörden, sucht zusammen mit den Kindern und Jugendlichen nach Lösungen und will neue Perspektiven aufzeigen. Außerdem ist es ein Schutzraum um eine Auszeit zu nehmen. Entweder zum Reden oder um einfach nur zum Billard spielen. Schlupfwinkel Stuttgart Schlosserstraße 27

Mara Mara ist eine Einrichtung des Vereins zur Hilfe suchtmittelabhängiger Frauen e.V. Lagaya. Sie bietet in mehreren Wohngemeinschaften ambulante Wohnbetreuung für Frauen ab 18 Jahren an. Dort leben Frauen die: • Wohnungslos ,bzw. von akuter Wohnungslosigkeit bedroht sind, • in unzumutbaren Wohnsituationen leben. • akut Drogen-und mehrfachabhängig sind • sich in einer qualifizierten Substitutionsbehandlung befinden und motiviert sind, ohne Beikonsum zu leben Ziel dieser Einrichtung ist es die Gesundheit der Frauen zu stabilisieren, sowohl physisch als auch psychisch. Und ihnen eine Lebensperspektive geben.

Neeffhaus Das Neeffhaus ist ein Hilfeangebot von Leben&wohnen ein Sozialunternehmen der Landeshauptstadt Stuttgart. Es bietet Räume für alleinstehende Frauen, ab 18 Jahren, die wohnungslos sind oder akut von Wohnungslosigkeit bedroht sind. Die Frauen werden von Sozialarbeiterinnen unterstützt und finden dort einen Ort der Geborgenheit. Es gibt die Möglichkeit, entweder nur eine Nacht im Neeffhaus zu übernachten oder für einen längeren Zeitraum, aber es ist auch möglich dort dauerhaft zu bleiben.


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Johannes-Falk-Haus Im Johannes-Falk-Haus der Evangelischen Gesellschaft leben jungen Frauen und Männern zwischen 18 und 27 Jahren, die auf eine Notunterkunft angewiesen sind, junge Menschen, die hungrig, müde, depressiv und hilflos auf der Straße stehen. Sie erhalten Essen, saubere Kleidung, ein Bett und sie können sich duschen. Manchmal wird aus dieser Notunterkunft auch eine Heimat. Sozialpädagoginnen und -pädagogen stehen den Bewohnern täglich in allen Lebensbereichen zur Seite.

Das MedMobil Das Projekt MedMobil wurde realisiert von „Ärzte der Welt“. Das MedMobil bietet Menschen in sozialen Schwierigkeiten medizinische Grundversorgung ohne bürokratische Hürden: Eine Ambulanz fährt an die öffentlichen Plätze in Stuttgart. Die Ärzte des MedMobil arbeiten eng mit anderen medizinischen Einrichtungen im stationären und ambulanten Bereich zusammen.

Maike Bernert

Asphalt tribe – ein Buch zum Thema Als Buchtipp empfehlen wir das Buch „Asphalt tribe“. Es erzählt von New Yorker Straßenkindern, die sich Asphalt tribe nennen wie ein Indianerstamm, der im Großstadtdschungel unter freiem Himmel lebt. Maybe, die als Berichterstatterin auftritt, lebt zusammen mit den Anarchisten Maggot, 2Moro und Jewel, die sich auf dem Strich ihr Geld verdienen, und dem kleinen Tears, mit Rainbow, die an der Nadel hängt, mit OG, seinem Hund Pest und Country Club, der schon am Anfang der erzählten Geschichte stirbt, in einem baufälligen Haus. Nachdem die Stadtverwaltung entscheidet, das Haus abreißen zu lassen, beschließen die Kinder, unter eine Brücke zu ziehen. Dort bauen sie sich aus einer alten Plane ein Zelt, um einen trockenen Schlafplatz zu haben. Das Buch schildert den Alltag von Straßenkindern in New York. Es berichtet von Kälte, Gewalt,

Prostitution, Hunger, Tod, Erfolg und Misserfolg, von Stolz und Erniedrigung. Außerdem müssen sich die Asphalt tribe mit Zuhältern, Freiern und dem Ärger mit der Gesellschaft herumschlagen. Doch wird auch berichtet, dass Hilfe angeboten wird: New Yorker Streetworker versuchen immer wieder, die Kinder von der Straße zu holen. Erst durch den Tod von Country Club, 2moro und Rainbow löst sich der Stamm auf. OG wird mit schwerem Husten in ein Krankenhaus eingeliefert. Tears wird von Anthony, einem Bibliothekar, der ihnen Hilfe anbietet, und Maybe nach Hause gebracht. Maggots Eltern holen ihren Sohn wieder nach Hause und Maybe entschließt sich, in ein Jugendheim zu gehen. Das Buch beruht zwar nicht auf einer wahren Begebenheit, ist aber dennoch sehr lebensnah geschrieben. Dank der klaren und leicht lesbaren Sprache sowie durch die detaillierten Beschreibungen kann man sich sehr gut in die Story hinein versetzen. Viel Spaß beim Lesen Daniel Bonk


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Unbedachte Facetten des Lebens in Obdachlosigkeit des Sozialgesetzbuches (SGB) finanzielle Hilfe, um überleben zu können. Meist liegt diese Unterstützung unter dem Hartz-IV -Regelsatz. Die Personen können täglich einen festgelegten Tagessatz beim Amt abholen. Jedoch muss dies täglich bis zu einer festgelegten Uhrzeit geschehen, um zu verhindern, dass diese Unterstützung in verschiedenen Städten abgeholt wird. Im Grundgesetzt ist festgehalten, dass der Staat Fürsorge überSchwer ist es jedoch, eine Arbeitsstelle zu erhalten, vor allem nimmt für sozial Schwächere. Gesetzlich ist die Grundlage weil eine feste Wohnanschrift benötigt wird, um Arbeitsangegeschaffen, dass den in Not geratenen Menschen geholfen bote erhalten zu können. Jedoch haben sich Obdachlose selbst wird. Theoretisch erfüllt der Staat seine Pflicht. Doch wie sieht es in der Wirklichkeit aus? Wird alles so umgesetzt, wie geeine Alternative geschaffen, indem sie eine eigene Zeitung herausgeben: Trott-war. setzlich geregelt? Zeitungsverkäufer von Werfen wir zunächst einmal ein Augen- Wird ein Obdachloser oder auch Wohnungsloser Trott-war verdienen am merk auf die Gesundheit. Wird ein Ob- Mensch einmal krank, so muss er nicht auf dachloser oder wohnungsloser Mensch Verkauf jedes Blattes mit oder haben eine Stelle in einmal krank, so muss er nicht auf ärzt- ärztliche Hilfe verzichten der Redaktion gefunden. liche Hilfe verzichten. In Deutschland Wie sieht es aber aus, wenn Geld verdienen Betteln heißt? Was ist das Versicherungswesen so aufgebaut, dass man, wenn man muss beim Betteln geduldet werden, was ist erlaubt und was einen festen Wohnsitz vorweisen kann, eine Versicherungskarnicht? Beim Betteln ist eigentlich fast alles erlaubt. Dies kann te bekommt. Sollte man bereits vor der Obdachlosigkeit versinur durch Hausordnungen unterbunden werden. Rechtlich verboten ist das aggressive Betteln – Betteln auf aggressive Weise mit körpernahem Ansprechen von Personen. „Stilles“ Betteln ist jedoch meist geduldet. Polizeilich sollte nur dann eingegriffen werden, wenn tatsächlich gegen geltendes Recht verstoßen wird. Zuerst wird dann ein Platzverweis erteilt. Wehrt sich der Betroffene allerdings mit aktivem Widerstand oder Gewalt, kann er verhaftet werden. Im Jahr 2009 fanden in Deutschland Bundestagswahlen statt mit einem erschreckenden Ergebnis. Nicht etwa, dass die einzelnen Parteien schlecht abgeschnitten hätten, sondern es beteiligten sich nur wenige Bundesbürgerinnen und Bundesbürger an den Wahlen. Viele der Wahl Ferngebliebene begründeten ihre Wahlverweigerung damit, dass sie mit ihrer Stimme in der Politik nichts bewegen könnten und sich die Lebenssituation für sie nicht geändert habe. Dieses Denken findet man bei vielen Obdachlosen. Sie nehmen wahr, dass sich trotz ihrem „Kreuzchen“ ihre persönliche Lebenssituation nicht geändert hat. Im Grunde genommen sind sie von der Politik enttäuscht und wenden sich von den Wahlen ab. Diejenigen, die dennoch wählen gehen, haben es nicht so leicht, wie Bürger mit festem Wohnsitz. Denn als Wähler muss man in einem Wahlverzeichnis eingetragen sein, das meist nach dem Wohnsitz zusammenstellt wird. Doch da Obdachund Wohnsitzlose keinen Wohnsitz haben, können sie dann eigentlich nicht an Wahlen teilnehmen. Doch ihnen steht das Wahlrecht zu, wie jedem anderen auch. Deshalb muss der Staat einen Weg finden, der diesen Menschen das Wählen chert gewesen sein, so kann man die Abrechnung über die alte ermöglicht. Sie müssen sich dazu im Wahlamt melden und in Versicherung abwickeln lassen. Aber selbst wenn man noch ein Wählerverzeichnis eintragen lassen, dann können sie ihr nicht versichert war, so hat man einen Anspruch auf mediziniWahlrecht ausüben. sche Versorgung. Dann bekommt man von der zuständigen Obdachlose dürfen also Wählen, bekommen eine geringe fiBehörde eine Art Krankenschein, über den man die Behandnanzielle Unterstützung und können medizinische Hilfe in lung abwickeln lassen kann. Teilweise ist es auch möglich, von Anspruch nehmen. Doch was passiert mit ihnen, wenn sie geden Wohlfahrtsverbänden eine Wohnanschrift zu bekommen storben sind? um somit Versicherungsleistungen erhalten zu können. Auch Obdachlose haben eine würdige letzte Ruhe verdient. Wie sieht es aber aus mit Hartz IV, Arbeitslosengeld oder Die Obdach- oder Wohnsitzlosen werden auf dem städtischen sonstiger finanziellen Unterstützung? Auch finanziell bekomFriedhof anonym auf einem Gräberfeld beerdigt. Die Kosten men Obdach- und Wohnungslose in Deutschland Hilfe vom für das Begräbnis übernimmt das Sozialamt. Staat. Die in Not Geratenen bekommen, im Zug der Gesetze

An Wahlen teilzunehmen, zum Arzt zu gehen oder Unterstützung im Fall der Arbeitslosigkeit vom Staat zu erhalten gilt für die meisten Bürger. Doch gelten auch alle diese Dinge für Obdachlose?

Alexander Goltz


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Alle Menschen sind gleich und werden frei geboren gehalten, sondern auch ein fairer Lohn. Bemühen wir uns darum in Zeiten der Wirtschafts- und Finanzkrise? Während unseres Projekts haben wir erfahren, dass für Obdach- und Wohnungslose in Stuttgart relativ gut gesorgt wird. Es stehen Wohnungen und Notunterkünfte zur Verfügung, sodass keiner wirklich auf der Straße leben muss. Das ist aber nicht in allen deutschen Großstädten so, z. B. in Hamburg leben etwa 3000 Obdachlose auf der Straße. Aus Es gibt Menschen, die auf der Straße leben. Manche tun das Statistiken und Berichten geht hervor, dass bundesweit die freiwillig, um beispielsweise dem gesellschaftlichen Druck Anzahl wohnungsloser Menschen und von Wohnungslosigzu entkommen. Andere würden lieber ein bürgerliches Lekeit bedrohter Menschen steigt. Da stellt sich die Frage, ob ben führen, doch sind sie aus wirtschaftlichen, psychischen, diesem Problem mit Hartz IV und Ein-Euro-Jobs ausreifamiliären oder anderen Gründen durch das soziale Netz chend begegnet wird. Bedauerlich ist, dass die meisten Bürgefallen und finden keinen Anschluss mehr. Menschen langer zu wenig über das Sozialsystem wissen. Wohin wendet den zum Beispiel auf der Straße, weil sie ihre Arbeit verloman sich denn, wenn man kein Dach mehr über dem Kopf ren haben und ihre Wohnung nicht mehr bezahlen können. hat? Welche Hilfen gibt es, um wieder in die Gesellschaft Eine Übernachtung in der Notunterkunft lehnen sie häufig zurückzufinden? ab. Die kleinen Zimmern mit mehreren Personen zu teilen, Und was tun wir, die ein warmes Zuhause liegt nicht jedem, genauso wenig haben, wenn wir den „anderen“ begegnen? wie eine Hausordnung, die beBekommen sie eine Münze? Auch einen stimmt, was wann geht und was In Hamburg leben etwa 3000 Blick? Oder übersehen wir sie lieber? Sprenicht. Obdachlose auf der Straße chen wir ihnen dieselbe Würde zu, die wir Wer nicht betreut wohnen möchte selbst für „unantastbar“ halten? oder sich vom Sozialamt helfen Kevin Ferson & Daniel Bonk lässt, verzichtet auf ihm zustehende Menschenrechte wie auf Artikel 2, der besagt, dass kein Mensch grundlos unterschiedlich behandelt oder diskriminiert werden darf. Oder Artikel 3, der sich auf das Leben und die Sicherheit jeder Person bezieht. Artikel 7 der Menschenrechtskonvention verweist darauf, dass vor dem Gesetz alle Menschen gleich sind. Doch ist das wirklich so? Ähnlich wie Artikel 7 beziehen sich auch die Artikel 8, 9, 10 und 11 auf faire Verhandlungen und Behandlungen. Artikel 16 schreibt fest, dass jeder Mensch das Recht hat zu heiraten und eine Familie zu gründen. Und wie soll das gehen? Artikel 17 besagt, dass jeder das Recht hat, Eigentum zu besitzen. Doch in solchen Lebensverhältnissen ist das schwierig, überhaupt etwas zu besitzen. Wie reagieren wir denn, wenn wir kleinere Gruppen von Obdachlosen sehen, die sich treffen, um gemeinsam über ihre Ängste und ihre Träume zu sprechen. Wie begegnen wir ihnen und was ist ihnen wirklich erlaubt? In Artikel 20 der Menschenrechtskonvention steht, dass jeder Mensch das Recht auf friedliche Versammlung hat. Dass Obdach- und Wohnungslosen beim Betteln vor bestimmten Läden nicht erwünscht sind, weil diese um ihren Ruf und ihre Kundschaft fürchten, kann man oft selbst miterleben. Dabei besagt Artikel 29, dass Rechte und Freiheiten anderer zu schützen und zu achten sind, also auch die der Obdach- und Wohnungslosen. Vom Wahlrecht, das ihnen gemäß Artikel 21 zusteht, machen Obdachlose und Wohnungslose oft keinen Gebrauch. Ihre Lebenssituation erschwert es, sich über Staat und Politik informieren. In Artikel 22 und 25 wird auf das Recht auf soziale Gerechtigkeit (bezahlbares Gesundheitswesen, Wohnung, Essen usw.) hingewiesen. Jeder Mensch hat also das Recht auf einen angemessenen und bezahlbaren Wohnraum und auf Arbeit. In Artikel 23 ist nicht nur die Arbeit als Recht festDie Menschenrechte besagen, dass alle Menschen gleiche Rechte und Pflichten haben. So steht es im Artikel 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Doch entspricht das immer der Realität? Ob nun freiwillig oder unfreiwillig, nicht immer werden die Menschenrechte eingehalten.

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Interview mit unserem Zeitzeugen Am 24. Januar 2010 kam ein etwas schüchtern wirkender junger Mann in die Caritas, doch dann blühte er auf. Das Projektteam traf sich am 24. Januar 2010 um 11 Uhr in der Caritas. Doch an diesem Tag war es nicht nur ein Treffen zum Planen und Organisieren, sondern heute sollte das Interview mit dem Zeitzeugen stattfinden. Die Technik wurde aufgebaut und die letzten Feinheiten wurden besprochen. Um Punkt 13.00 Uhr kam unser Zeitzeuge. Ein junger Mann, der zurzeit wohnungslos ist, der sich den Fragen stellen wollte. Fragen aus dem familiären Bereich, dem gesellschaftlichen Bereich und vielem mehr. Am Anfang wirkte er ein bisschen unsicher, was ja auch kein Wunder ist, denn in dem kleinen Raum standen mehrere Scheinwerfer und Kameras und es lagen gefühlte hundert Kabel herum. Da das Projektteam inzwischen ziemlich Hunger bekommen hatte, wurde erst einmal gegessen. Dabei „taute“ der Zeitzeuge ein bisschen auf, denn es wurde über alles Mögliche geredet und auch viel gelacht. Dann ging es los! Die Kameras wurden eingeschaltet, das Licht wurde nochmal in die richtige Position gerückt und der Ton überprüft. Nachdem alles perfekt stand und ausgeleuchtet war, ging es los. Um den Ton noch einmal zu überprüfen, sollte die erste Frage zunächst als Test gestellt werden, doch da die Antwort des Zeitzeugen so ausführlich war, wurde das Interview ohne Unterbrechung fortgeführt. Der Ton war trotzdem perfekt. Der Zeitzeuge beantwortete die Fragen sehr ausführlich und man konnte spüren, dass er zu diesem Zeitpunkt richtig aufblühte. Die Interviewer konnten viele Fragen, die sie sich überlegt hatten, überspringen, da er bereits im Erzählen diese

Fragen beantwortet hatte. Das Projetteam hörte aufmerksam zu und wurde im Laufe der Zeit immer betroffener. Denn der Zeitzeuge erzählte ziemlich bedrückende und schlimme Tatsachen aus seinem Leben. Aber, was alle beeindruckte, war, wie er es erzählte. Denn wenn man später den Ton rausgenommen hätte und nur die Mimik und Gestik gezeigt hätte, hätte man das, was man hörte, niemals mit dem Gesagten in Verbindung gebracht. Er erzählte alles sehr bewusst und musste manchmal sogar lachen über Dinge, die ihm gerade eingefallen waren. Während diesem Interview wurde allen bewusst, was dieser Mensch durchgemacht haben musste und wie schlimm sein Leben eigentlich war. Doch er ließ sich von all dem nicht entmutigen und hat weiter gekämpft und heute hat er ein einigermaßen geregeltes Leben. Trotz seiner kurzzeitigen Obdachlosigkeit und seiner jetzigen Wohnungslosigkeit, lässt er sich nicht hängen. Am Ende gab es Filmmaterial von über einer Stunde. Nach einem lockeren Gespräch danach ging der Zeitzeuge wieder; natürlich nicht ohne gefilmt zu werden, denn jetzt war das Projektteam in seinem Element. Nach dem Abbau wurden die nächsten Schritte besprochen und dann ging ein langer, aber sehr interessanter Tag zu Ende. Maike Bernert


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Faktentafel

Al s Obd achl os beze ich net man Men schen d ie di rekt au f der Stra ße l eb en.

Woh nun gslos sind Mensch en di e ke in e eig en e Woh nun g b zw. kei nen ei gen en Mi etvertrag be sitzen ab er e in Da ch übe r dem Kopf hab en .

Obda chlo se sterb en in d er Re gel 10 -15 Jah re frü her al s Mensch en mit fe ste m Wohn sitz.

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Annalena Ehmann

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Das Projektteam

Besuch in der Caritas


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