Wiecker Bote 22

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WIECKER BOTE

Silke Peters

Parnassia Gedichte

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PEENEMÜN DE Parnassias Herzblattstörung liegt in Wolgast oder auch dieses Gedicht Gericht schreibt allein sich ein in die Jahreszeiten gestörter Bodenhorizonte die Goldfunde am Haken sind gesperrt circipanischer nach Traum Achtung sie haben diesen letzten Satz noch nicht verlassen Graudünen ungelesener feinster Sand vor Peenemünde massive Rhythmus Störung controlled demolition das alles sind Qualitätsaussagen Korngrößen Fraktionen und Sonnenuntergangstraumata: deutsch Bodenatmung und kleinere Katarakte sie bilden hier ihre Seelenlage unsichtbar ab da ruckelt was am Gedicht hoch Leistungsexpeditionen hier hinter der Weißdüne versteckt

Parnassia palustris: Sumpfherzblatt Circipanien: Slavisches Siedlungsgebiet um den Fluß Peene


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DORA in den Brennereien von Nordhausen die sich außen als ein Ring um die Stadtmauern legten nord nördlich dich ein destilliert wird: die Essenz des Menschen ist ein Engel aus den Obstbäumen der Goldenen Aue Vergeltung und dem Tal der Unstrut Stadtbrand legt sich wie Tücher um den kleiner werdenden Ort: Schmelzende Kirchen Nordhäuser Vitriol Öl befeuert den Menschen bei Nacht im Schacht des Kohnstein lagern die seltenen Waren rosten kaum unter den Wassern und ziehen wenig Touristen an Wanderer kreuzen den Weg Fluchtweg im Anhydrit des stürzenden Bergs bis sich das Quadrat der Erkenntnis haltlos öffnet schlierig verstellt mit Zukunft gemischt und keinen Schritt weiter du bist videoüberwacht beim Weinen im Dom Dora das tote Auge der Madonna starrt zu den Brennöfen des Krematoriums zurück


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WERNIGE R O D E die Kraniche folgen Orten dessen Ohr nur die Karte ganz hört stumm wie der suchende Finger auf der vermuteten Flugbahn des Zubringers feines Liniennetz unter Tage und jetzt zurückgelegter und gespeicherter Zufall wie ein Wiedereinfall der Argumente unabänderlicher Argumente in dieser Rechnung die Richtung tragend vom Zwischenfall der Zeit die vergilbte Postkarte die erst jetzt ankommt vom Absender der ich einmal war aussortiert wie die Kurzschlüsse ich Bebra die Kilometer weit sichtbaren Halden Abraum auf der Achse verteilte Ausschläge Schmerzeinheiten dieser Takt durchschießt noch immer das Konvolut


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MÜHLHAU S E N gleich teuer ist ihm der Regenbogen über den Halden von Sangerhausen ein Rosarium da eine Landmarke um diese Zeilen zu lesen musste ich die Seiten erst aufschneiden Peilortung und dies alte Mißtraun ein Infarkt an dem wir uns orientieren nur die Brücke denkt über den Fluß wie in dem veralteten Stadtplan in dem die Orte fehlen Ottilie von Gersen: Cindy Sherman herself im Wort Flüssigkeitstest des Zeigens so ganz nah Widemar


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COBURG der taube Blick durch die Butzenscheiben hält so noch immer das Gewölbe fest niemand schaut mehr ins Land es wird Regen geben an den sehr alten Luftblasen bleibt eine wie sterbens Angst fest angesteckt die alten Farbverläufe neben diesen schräggestellten Augen die wie überall die Blindenschrift der Vögel ist entfernt nachgedunkelt es gibt Regen das Salz verläuft unter den Händen wenn die Tinte nicht fließt wie nach der Nachtigall


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WORPSWE D E der Wind über dem Berg wirklich wie die frühreifen Farben am ab geknickten Ast: der total ausgelotete Grünraum im Ereignisraum weiß gekleideter Mädchen sly diese unübersichtliche Perspektive in der sein Haus liegt zuversicht lich bis nach dem Morgenrot gesicherte Bestände vor Ort und Eintritts Ermäßigung lange bevor du um die Fotoerlaubnis nach suchst für diese sehr blonde Frau


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WARTBUR G sky writing die Abschreiberin die nicht lesen kann kopiert die Muster die fehlerfrei 체berlieferten Muster white box test der Innenraum der Mystik ist erreicht wird jetzt erreicht wie in Trance schreibt sie ab den Finger auf der Bildunterschrift die Psalter laufen 체ber die gezogene Linie hin das Licht ist gedimmt nach all diesen Jahren herunter gedimmt Buchstaben kleben auf all diesen W채nden der Burg


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KARTLOW in Berufung auf die jenseitige Stadt Wort wird Stein und sie bauten doch Schlösser und die Friedhöfe abseits unter der Friedenseiche keimten die Früchte des letzten Jahres langsam wie ein dann doch gefräßiges Gespräch das hier wächst hinter der Aussichtslosigkeit des Menschenackers hinter den blinden Augen einer Skulptur hinter den erhobenen Händen einer die ganz am Rand steht trösten die Zinkkannen wie über den Verlust der umgepflügten Wege die wie Wollfäden die Erinnerungen halten übers Jahr


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GÜSTROW überbelichtet unterm Heulzwang der Engel im Chor der Kirche von Güstrow. dieser Gesprächsabbruch liegt dicht vor der Leid Planke des du spurst nicht Nebel Krake: ich will denn der Haken hängt auch sonst noch tief genug warum die Stimme schwankt auf der Spurrinne Nebelkommata unterm Autobahnkreuz Schatten Werfer Abriebe die kurz gegengelesene Bremsspur diesmal gelingt noch die Transkription der Ereignisse und verdient emotionale Gegenfinanzierung der Menschen am Randstreifen


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GO LM der Nebel zieht die Silhouette der Orte weiter an sich der Horizont ist gesunken jetzt zählen die Möwen Buhnen Fischabfälle bauschen den Schwarm auf ein neues Jahr neue Strände und die Granitkreuze Kategorientafel der Toten am Berg Geräusche einer sich entfernenden Stadt über der Grenze Wärmefeuer leuchten auf wie markiert die Gischtkämme der nebelverwaschenen Laute die sich hier schneiden vom Dunkel der Herde denn die Spaziergänger erreichen diesmal sicher den nächsten Ort weit aufgerissene Augen es gibt nichts zu sehen das Nebelhorn ruft: gehen sie bitte weiter


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TELLIN unter den Träumen sind deine Hände ganz hart auf der Oberfläche in jedem einzelnen Tonmineral in Türmen und Linien wiedergeborener Urnen rings um auf den Feldern unter ihren Hügeln unter deinen Händen sind deine Träume ganz da aus der einzigen Scherbe die wir fanden eine Baubo geritzt in die noch weiche Tonhaut singt und pfeift es jetzt ein Lied in die rauchigen Küchen für Tine Löber


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MENZLIN der Rückbau der kleine Städte ist erklärt Grabungsstille hält sich auf der Grenze den Hügeln Flugsand reißt hier das Vergessen auf das trockene Frühjahr das in den Gräben der Uferstellung die glatt geschliffenen Steine aus Urnen wie Gold halbverbrannte Spinnwirtel: sag Frauengräber und der Getreidepollen fehlt fast im Spektrum der Jahre das gegessene Saatgut Beutegänger Jäger vor Ort kein Zugang für Abreisende denn der Transitraum endet hier


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VARGATZ das Unüberwindliche dieser Niederungen aus der Möglichkeit von Knüppeldämmen diese Taktik hat eingeschlagen und freigelegt was auch immer dem Versuch einer Täuschung eine Rekonstruktion gedacht wurde wenn auch widersinnig dem Moor gleich dem sauber meliorierten und wiedervernässten Moor ein Motor eine Zeile rußender Treibstoff: ich finde die Sandlinse Trockenheit fühlt sich umrundet fühlt wie der unausweichliche Tümpel der Transformation vom Punkt aus dem Gitternetz der ausgelegten Vorhaben mit dieser geborgten Standard Abweichung denn sie haben alle zu tun diese Steine


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PENZLIN die angebundenen Schatten wandern unter dem Andreaskreuz deiner H채nde unter den Nischen unter den sieben Metern die das Raumniveau noch h채lt liegt das Streckbett deiner W체nsche ganz lichtlos auf der Folter deiner verquetschten Phantasie Daumen Schrauben im Nacken und wie die Kinder jetzt jammern wandernde Schatten unter der engen Treppe und du setzt hier die eine Linie hinter die Namen Chim und die graue Hexe Einsamkeit wenn sie dir widerspricht und ein Gedicht leise nach dem Brunnen geht auf nimmer wiedersehen wie er sagt der Neumondstein


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LOITZ circipanischer Nacht und Nebelspeicher dein Name birgt kaltes Mittagslicht und Hochwasser vom Kuckucksgraben über den Ufern der Peene während der Fluss noch die Traumperspektive probt Spelzen im Haar und gedroschenes Stroh auf der Tenne die Großartigkeit von vor Jahren als du den Ort fandest glaubtest unter den geöffneten Fenstern die Zukunft wohin fließt denn jetzt Peene: subversiv und dir entgegen unendlich die Ballen der Leinwand die hier immer noch gilt Aussteuer und gestickte Sprüche über dem Herd fangen noch Meisen im Flug und wer deutet die Gesten der weißen Tiere die hier sind und immer genug Gleichgewicht haben um zu fallen unter der Angst weg zu gehen und die Ahnung östlicher Horden hält noch Einzug die kampflose Übergabe von Loitz dauert an wenn auch der Vertrag langsam geschlossen wird wie die Läden vor Ort die sich gerade noch halten mit den Bleibenden und denen die so wiederkehren


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SCHWARZLICH T vinylblau untergegangene regen kreisen den sommer und nicht der september weint und die schwalben ich lauf zum strand die letzten gehen eine dürftige strecke schwarzwild stockendes blut auf der straße noch ein paar böller aus dem wald schüsse im november warnfarben die männer schützen grell die dämmerung den ganzen tag die schwäne ziehen ihre schnur enger um die bucht schrein dann rosen das ist zuviel am strand eingegrabene rosen verrannt dies ist doch kein straßenrand ich bin frisch verunglückt und du beobachtest vom letzten boot aus wie mir keine gischt ins gesicht schlägt windstill

die geschundene schnellbahnbrücke schieb ich hoch einen rollstuhlfahrer über die geronnene welle der schwarzdecke jahrelang täglich schieb ich da hoch blick nicht auf die tote taube am rinnstein in ihrem schnabel steckt himmel fest ich werde dünner winke eine umleitung zwingt mich für minuten in die irre ich lauf so dass ich laufe weine laufe weg vom ufer auf den wald zu im wald gehn die gedanken ein kleines glück kommt folgt für ein paar stunden unscheinbar aber eindeutig ein glück hinter mir reißt der hochnebel auf die hölle denkt grau ich laufe werf mich in den sand wie ein insekt fest in die sammlung gespießt das große gehege ist über den horizont gekippt cirren und flugbänder markieren die mechanik der sphären


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RAND LAGEN 1. dieses getanzt hat dieses schmerzende getanzt hat die mänade bei vollmond am fluss bei den schiffen der männer die fischen fahren am morgen und frieren ja auch das stieren grinsendes einverständnis was nicht zu sehen hat in den engen kajüten nach mitternacht wieder den morgen kreischen sie das er kam mit all seinen frühnebelbleichen tönen über die eng parzellierten gärten die hängen an stählernen trossen des immer so 2. wie ein sog von links mich auf ein ungleichgewicht aufmerksam macht zieht wer zieht hier wen ins wasser zieht mich von der mole des auslaufkanals des fast aufgegebenen kkws wohin steigen denn füße wenn sie so weit gehen wie es irgend möglich ist über die schutthalden gestacheldrahtreste die molensteine aus granit sind wasserbackenzähne eines irgend von mir gefürchteten geheuers an den einen punkt steigen die füße an den aussichtspunkt des so nicht mehr weiter machte es platz füße und die pause beklatscht von der hohl schlagenden welle in der unsichtbaren kehle unserer ständigen bemühung die hier schwand ich glaube mit dem licht der vier flug erleuchteten türme 3. mit tintenflecken an den fingerkuppen gehe ich zum briefkasten auf dem rückweg sehe ich die hochstände des gestern gerade noch an der stadt vorbeiziehenden gewitters ausgetrocknete pfützen die beulen mulden vertiefungen auf der schlechten seite der burgstraße anzeichnen mit hellgelber kreide wie unfallopfer blütenstaubkreide die gestern auf den lachen schwimmt und jetzt die ränder mit schwefligen linien markiert


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STRANDAU F S PÜL U N G gleißend das gegenlicht eine kraftwerkswolke am horizont die tops der pappeln tragen noch laub der treibsand unter den stiefeln rutscht bernsteinfischer sammeln muscheln mit den möwen gierig die lebende herzmuschel zu hören so wie sie schreit wie wahnsinnig auf land sie beißt ihre zahnreihen fest ineinander wie eine verbindung die du schon eingegangen bist aus schonung der abgerissenen polypen in diesem sog im schlick die erzeugte beißende monstrosität unter wasser dieses saugrohr das du dir denken


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musst für diesen vorgang den angeschnittenen herzmuskel foramen ovale zu benennen und alle findlinge sind kartiert wenn du könntest sie alle hättest du erfinden können so schön war deine zeichnung sie ist untergegangen gleichsam in lebensgefahr sagen die schilder ich bin ich trete dir zu nah an die kliffkante november


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DEEP SEA kap. nemo nimmt fahrt auf das tiefseetaugliche schiff die gebuchten kabinen und es ist jetzt erst zu spät für diesen ausflug ins unerforschte gelände wir legten die angelschnüre aus leuchtfäden mit dieser lotspeise fanden halt dort totort ortung die kreatur war erschöpft sonderte bilder ab für die kameraaugen schlierig verstellt durch den druck verfrachtete funken von tiefenschärfe kein nächster tauchgang


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HERZGRÜN fast schwarz das wasser winter unter uns stockt der schritt durchschossene gebiete luftblasen und die konservierte angst emanation fixiert in dieser luft das ist das zeitfenster gestockt wie die zuschauer am rand die über die ufer getretenen augen sind fest an die linse gedrückt das Wasser ist gefühlt herzgrün: non fiction diese aufwölbung kracht eine dumpfe resonanz hier und das zeitfenster bleibt geschlossen


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FRAK TA L die sensitive abhängigkeit von den anfangsbedingungen führt zu einem chaotischen zeitverhalten: Merseburg und noch mehr sprüche turbulenzen erosionsrinnen über dem weißen rauschen über der tonlosen beruhigung der die... wartet auf dich an der schnittstelle zum wiedergeborenen quantenzwilling der du nicht bist an an der bifurkation mehrerer sprüche aus Grünow am zeitsprung im spukeffekt des findens: jabara löst sich die ansprechbare fessel der dimension diese linie die einen hohlmuskel vollständig ausschreibt. fraktal gesprochen 1,25


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KARTEI K A RT E N Die geothermische Angststufe Beim Verlassen des Gedichts Die Taucherkrankheit im Schacht

Flugangst: Anklam Unbesiegbar diese Linien Auf denen du schreibst

Vierter December: Dein Buchstabenschatten Barbara F채llt mir leis auf die Hand

Die Spuren im Feld Heilen und heilen nicht zu Bei Regen

Flurbereinigung zugewachsen, Umgepfl체gt sind die Wege im Traum Circipanien

Kartierung im Himbeerschattengrund Genug Holunderumbra an der Wegkreuzung


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Gespanntes Wasser: Liutizisch quillt es Bis kurz unter die Kuppe

Manche Orte sind glattgeschliffen Vor Misstrauen. Radar Sonar Paranoia Manche Orte entlang des Gedichts

Matrikelkarte der Sommer ist Vermessen der Winter schw채rzt mit Galltinte dir die Hand

Riedegost. Unauffindbar der Anker im Sumpf: R체ttelortung Wenn du an die Birken schl채gst


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Die grausame Perfektion der Weißen Farbe: Svantibor

Angeschnittene Tränenkanäle Quelliger Grund an der Hangschulter Der Recknitz Traumatransport: den Fluss Abwärts ein Zweimann U-Boot Bei Bad Sülze taucht auf

Wartislaws Greif: Kleine Dörfer die Inseln im Spätherbst


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FREIHEIT FÜR H A N N A H HÖC H Bei Nennung des Karteikarten Syndikats das wir gründeten sagten wir: Medea sagten wir uns ich seh dir bei deiner Stimme zu wir riefen auf und unter die unterschiedlichen Dateien die silbernen Monde der Datenträger wir sagten: cluster wenn sich unsere Stimmen miteinander beugten denn für die Entzerrung ist es längst zu früh am morgen frischer Fang der O-Töne der Rentnerinnen die am Meer sitzen bei ein oder zwei Kugeln Eis weil heute ein so schönes Wetter ist sagt sie zackig wie meine Mutter es sagen könnte (zoom: auf der badfliese liegt ein abgerissenes spinnenbein starr abgewinkelt und die gelenke sind deutlich zu sehen) was mich zu beschäftigen scheint ist die Zerreißung des Jahreskönigs die wie wahnsinnige Mutter die symbolisch die Manuskriptseiten


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zerreißt deine ersten Gedanken die fliegen um die Ohren unter ihren Händen auf dem vom Wischen noch feuchten Boden die Männer liegen in ihren Gräbern in Vani auf dem Rücken mit ausgestreckten Armen als könnten sie nun endlich fliegen wie es ihre Unschuld begraben unter all dem Gold nun endlich wünscht: die hat ja keine Kinder und das ist bei ihr so eingewurzelt das wird auch nicht mehr anders wir haben uns ja lange nicht mehr gesehen ich meine wir sind ja auch allein daran habe ich mich schon gewöhnt ich mag sowieso nicht die letzte sein am Bus was ich dabei dachte war das ist das unentschiedene Flackern zwischen den Kategorien zwischen den Enten und Falken die sich über dem einen Stempel aus Gold geprägt die Waage halten auf dem Grabmantel der Disponiertheit des Seins dem kommt keine Existenz zu realpolitisch gesprochen.


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*** zwanzigster december neumond die geister klopfen an geschlossene fenster das haus ächzt unter der last die schulden werden noch im traum saldiert bis es sich blank gerieben hat das jahr der ertrag der lässlichen begegnung die sich wiederholt wenn die nacht so lang ist und du auf deinen traum warten musst bis nach mitternacht. bis nach mitternacht musst du warten auf deinen traum. geister huschen manchmal kurz auf im scheinwerferlicht leuchtet das mögliche gesichtsfeld kurz aus das sie anzeigt und vergisst denn auch sie überqueren hier überqueren hier die straße ja wie sehen sie denn aus diese augenblicke geronnen unter der hand die das lab einstreut der dreck ist der kristallisationsgrund der nacht wolke die ja gestorben ist über dem winteranfang in diesem jahr und immer


III


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ASTRO N AU T E N den hyperbolischen raum oder das innere des gedichts erreichen blind und kalt die mechanik des erlebten „es ist leer dort sehr...“ sprich die zeilen des augenblicks mit im herbst wenn die blätter gehen und dein atem im zeilenumbruch befangen ist kill the poem nicht doch die wütenden möwen reißen dir ein... aus der hand fauchender durchstoß in die...


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realität. der innenraum ist kein gedicht. fast gar nichts ist ein... versuch deine haut zu beschreiben es ist gar nichts außer der tinte die brennt in den augen wenn du beim verlassen an der reißleine des zurück zählst bis dahin die kapitel der woche was wohl möglich ist im randland angekommen liegen die ferngesprächsabbrüche offen im gold der transmutation sind die fundstellen über die zeit bunt markiert und schürfrecht für alle erteilt: glückliche landung


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*** 1 geringfügiger mittelfinger mitternachtsbläulicher nagel falz die geknickte inversion die parataktische einzählung so vieler zwangs ordnung an den rändern blau vernäht 2 laut lesender zeilenumbruch wie die vorstellung mit grünen kanten besäumt wie faulende nester des widerstands wenn du auf deinen fers triffst wechselst mit mäßigem druck auf den so gewachsenen gehörgang mit den schluchten von panik die du nur so tragen wirst 3 unter der oberfläche die sich schneller bildet als die haut auf der milch dem gefangensein als kind...


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4 dreizöpfiges kammgarn gebunden über den drähten der stadt dicht unter der überhohen brüstung des kirchturms... 5 der imperativ der stille wenn du es mit dir hältst im zaum hältst das eiserne brummen über der gruft 6 wiederflügler im grenzlicht der nahen domäne der weidetiere die wörter kauen an ihrer art und weinen wenn der bart geier ihr gedicht frisst 7 gegen die gefilterten hohen stimmen ein breitband antibioticum unter einer schicht aus verendeten stürmen schirmen ganz stumm das gedicht in den räumen der welt unter tage auf raubfang in den teichen unter der aus gelagerten augenklinik


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8 das so plötzlich verendete gedicht kurzes nachglühen in den pausen wie konntest du nur so lange die luft an halten als sich das korn auf den halm legte so grün wie es war diese art von offen barung an der wir seit langem arbeiten 9 die überzähligen bürgerinnen dieser stadt das abendland will helfen 10 die geheime schatz hölle die den gedichten weh tut schmilzt sich im satzanfang ein


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11 der nabel des sich perpetuierenden nests rotiert über allen zentren die du nicht festlegst wie die kanten des hinlänglich bekannten körpers in den dimensionen die dir auf den fuß folgen über der allgemeinen betonung des herz stillstands 12 unter dem überkommenen laut stand der nächsten möglichkeit zu lächeln bildet sich eine schmutz wasser lache der aus der geschichte geflohene rest der sich unter den nägeln absetztenden erfahrung 13 dein anklang unter den dingen laut verwischtes lexikalisches gehör mit dem tiefgang gelifteter zeilenrest umbruch der nicht vorweggenommene strich durch eine leblose passage ...


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*** das stumme gedicht ist ein gedicht ist ein taubstummes gedicht das mit den händen spricht mit den händen vor dem gesicht spricht als wenn es sich entblätterte aber dieser raum ist nicht da den täuscht nur unsere gewohnheit vor das sprachlose gedicht ist ein sich selbst generierendes endlos und anschlussgedicht an die gemengelage der überwindung und strukturierung dessen was genau genommen nicht existiert das stotternde gedicht das stotternde gedicht ist kein gedicht ist eigentlich nur eine art von verhören einen statthalter setzen dafür das jetzt etwas kommen könnte in dem möglichkeitsraum den ein sprachloses gedicht erschließt das herzrhythmus ersatzgedicht spricht vor allem atmet aber für sich selbst das verstummen in die unregelmäßige pause hinein gibt uns das nachgefühl einer stillen ankunft in diese pause der angst die dein erster schrei vorgibt das vergilbte gedicht verspricht die wenigen neuigkeiten die es nicht gibt auszusprechen all die singularitäten die regelmäßig vergehen oder ebenso regelmäßig erinnert werden mit einer nachhaltigkeit die dann doch erstaunt



S i l k e P e t e r s , geboren 1967 in Rostock, studierte Geographie, Mathematik und Philosophie in Greifswald. Sie schreibt und veröffentlicht Texte, hat eine Tochter und lebt und arbeitet in Stralsund. Ihr erster Gedichtband „Wassernüsse vermißt“ erschien im Jahr 2000 als Sonderdruck des Wiecker Boten. Kontakt: silke-peters@goldmail.de

WIECKER BOTE LITERARISCH E H E F T E, 2008, 14. JAHRGANG, 22. HEFT Gegründet 1913 von Oskar Kanehl, erschien in elf Ausgaben bis 1914 Neubegründet 1995 in Greifswald-Wieck Kontakt: Bezug: Spenden: Titelbild:

Wiecker Bote, Postfach 3128, 17461 Greifswald, info@wiecker-bote.de Gegen Einsendung eines frankierten Rückumschlages DIN A5 Stefan Kalhorn, Sparda Bank Berlin eG, BLZ 120 965 97, Konto 52 98 172 Silke Peters, „Parnassias Herzblattstörung“, Hochdruck auf Textil, 500x53 cm

Diese Ausgabe erscheint unter einer Creative Commons-Lizenz. http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/de/ www.wiecker-bote.de




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