Nr. 28 • 44. Jg. • 8. Juli 2013
€ 3,50
P.b.b. GZ 02Z032111 W Verlagspostamt: 1020 Wien . Envoi à taxe réduite Ausland € 3,80
Das unabhängige Nachrichtenmagazin Österreichs
Ägypten Vier Fragen zum Putsch Schwule & Lesben Die Ausgrenzung auf dem Land Christian Rainer „Erfolgreich auf die schiefe Bahn“
Die Pensionslüge
Zukunftsvorsorge, Pensionskasse, Abfertigung neu – 5,2 Millionen Österreichern bleiben vom politischen Wunderwerk nur Verlust und Ärger.
www.profil.at Persönliches Exemplar von k.brandstetter@aon.at, alle Rechte vorbehalten. Nutzungsbedingungen unter www.kiosk.at
Persรถnliches Exemplar von k.brandstetter@aon.at, alle Rechte vorbehalten. Nutzungsbedingungen unter www.kiosk.at
inhalt1 44. Jahrgang cj. burton/corbis
Nr. 28 • 8. juli 2013
Österreich Umfrage. Kremsmünster-Urteil. Fakten zur Jugendhaft. Wirbel um Mölker Bastei. Glosse. Privatpensionen
12
Titel. Was bleibt von den hochgelobten Privatpensionen? Verluste und Ärger.
14
Fußball. Der SK Rapid ist unsterblich – dank der lebenserhaltenden Maßnahmen der Wiener SPÖ.
24
Justizskandal. Wie Internetmobbing bei einer 14-Jährigen dazu führte, dass sie zustach.
25
Traunsee. Mit der Jahrhundertflut kam die Geröll-Lawine. Sie war angekündigt worden.
30
Sommergespräch. Kaiserenkel Karl Habsburg über politische Ambitionen und seine Ehe.
32
Wirtschaft Hypo-Karussell. Finanzgeschäfte der Stadthalle. Klagen gegen Alpine. Nöte des Verbund. 36 dayli-Pleite. Irrtümer und Irrwege einer gescheiterten Sanierung.
38
Klagenfurt. Ungereimtheiten beim Bau des Stadions? Der Landesrechnungshof prüft.
42
kapital.ausflug. Börsen. Investmentprodukte. Reisen.
45
Ausland Jean-Claude Juncker und die Spione. Angebot an Assad. Teure Bräute in China.
46
Ägypten. Die Muslimbrüder sind weggeputscht – doch ohne sie wird es nicht gehen.
48
USA. Robert Treichler über den Krimi um den Aufdecker Edward Snowden.
56
Mandela. Wie Weggefährten und Familie versuchen, Kapital aus dem Erbe des Sterbenden zu schlagen.
62
Gesellschaft Salgados neue, alte Welt. Mediamarkt.
66
Homophobie. Besonders auf dem Land leiden Schwule und Lesben unter Ausgrenzung, Mobbing und Gewalt.
68
eatdrink.schöner trinken. Sommerküche: Niçoise XIV. Weintipp.
74
salon raftl. profil-Society-Kolumne.
97
Wissenschaft Die Parade der Parasiten.
77
Medizin. Reflux kann Halsweh auslösen – und Krebs begünstigen.
78
Cyberama. Warum sind Web-Konsumenten so blauäugig?
81
Kultur ImPulsTanz. Cerith Wyn Evans. Pedro Almodovar.
82
Porträt. Cornelius Obonya, der neue Salzburger Jedermann.
86
Debatte. Die Festspiele gehen in eine ungewisse Zukunft.
89
Meinungen Christian Rainer. Blöd gelaufen.
11
Elfriede Hammerl. Homemade.
29
Georg Hoffmann-Ostenhof. 55 Sommer des Zorns. David Staretz. Objekt der Wissenschaft.
75
Peter Michael Lingens. 96 (K)ein Orden für Snowden. Rainer Nikowitz. Stop Over.
Pop. Neil Tennant von den Pet Shop Boys über Retro-Klang und die EU.
98
92
Rubriken Leserbriefe. Impressum.
6
profile. profil vor 25 Jahren.
9
Persönliches Exemplar von k.brandstetter@aon.at, alle Rechte vorbehalten. Nutzungsbedingungen unter www.kiosk.at
8. Juli 2013 • profil 28 3
Persรถnliches Exemplar von k.brandstetter@aon.at, alle Rechte vorbehalten. Nutzungsbedingungen unter www.kiosk.at
inhalt2 profi lipad ab samstag 15:00
redaktion@profil.at
Aus der Redaktion Liebe Leserin, lieber Leser blog.profil.at Otmar Lahodynsky „Der EU-Beitritt eines neuen Mitgliedslands ist kein Garant mehr für Jubelstimmung, weder unter den alten Ländern, noch jetzt in Kroatien. Dass sich die Begeisterung wegen der Finanzkrise und der Wirtschaftsflaute auf beiden Seiten in Grenzen hält, ist verständlich.“
www.profil.at profi laktuell
Hintergründe, Analysen und Kommentare zum aktuellen Nachrichtengeschehen
unerhört
Sebastian Hofer und Philip Dulle besprechen die CDs der Woche.
profi lmobil
profi l online in optimierter Version für Ihr Smartphone und Tablet: mobil.profi l.at
profi lkritiken Film, Theater, Literatur, Kunst, Musik: alle Rezensionen zum Nachlesen
profi lcover seit 1970 profi lredakteure
A
n vorauseilendem Selbstlob herrschte anno 2002 kein Mangel. FPÖ-Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer bejubelte eine „historisch bedeutsame Leistung“, ÖVP-Kanzler Wolfgang Schüssel eine „neue Ära“ und ÖVP-Wirtschaftsminister Martin Bartenstein nicht weniger als „eine echte Jahrhundertreform“. Die schwarz-blaue Regierung warb mit Pauken und Trompeten für die betriebliche und private Altersvorsorge, und bis heute beharren die Apologeten der Schüssel/Haider-Wende gern darauf, dass trotz der unzähligen Korruptionsaffären, die später aufflogen, nicht alles schlecht gewesen sei. Wirklich nicht? In der aktuellen Titelgeschichte unterziehen Eva Linsinger und Edith Meinhart ein Kernstück der Schüsselschen Reformpolitik einer kritisch-nüchternen Überprüfung und kommen zu einem vernichtenden Urteil: „5,2 Millionen Österreicher erleben nun, was von den hochgelobten Privatpensionen bleibt: Verluste, Ärger und falsche Versprechen.“ Ein ehemaliger Manager der Bank Austria macht aus seiner Verbitterung kein Hehl: „Wir wurden über den Tisch gezogen.“
„5,2 Millionen Österreichern bleibt von den hochgelobten Privatpensionen der Ära Schüssel nur Ärger und Verlust.“
Im März 2012 sorgte eine PROFIL-COVERSTORY über das jahrzehntelange Gewaltregime im Benediktinerstift Kremsmünster für gewaltigen Aufruhr im Land. Vergangene Woche kam es zu einem gerichtlichen Nachspiel und einer veritablen Sensation: Der ehemalige Konviktsdirektor Pater A. ist österreichweit der erste Priester, der wegen sexueller und gewalttätiger Übergriffe verurteilt wurde, und zwar zu zwölf Jahren Haft (nicht rechtskräftig). Opferanwalt Johannes Öhlböck fordert nun, dass Verjährungsfristen bei sexuellem Missbrauch „zur Gänze“ fallen müssen. ihre redaktion
profi lshop profi laboservice
profil-Abo Abo profil.at/abo
1/2 Jahr profil + Musikbox gratis um nur
€65,90 8. Juli 2013 • profi l 28 5
Persönliches Exemplar von k.brandstetter@aon.at, alle Rechte vorbehalten. Nutzungsbedingungen unter www.kiosk.at
leserbriefe redaktion@profil.at
profil-Cover 27/2013
Der Held, den keiner mehr wollte Abhörskandal-Aufdecker Edward S nowden: Der mutigste Mann der Welt.
V
ielen Dank an die Redaktion für die professionelle Aufbereitung dieser Thematik. Wir gaben uns bisher der Illusion hin, dass das virtuelle Dorf namens Erde trotz seiner in jeder Weise der Chaostheorie anhängigen Netzstruktur einen gewissen Ehrenkodex – nämlich jenen des Schutzes der Privatsphäre, sofern gewollt – hochhält. Mitnichten. Seit Snowdens Aufdeckungen muss jedem Webnutzer klar sein, dass nichts verborgen und alles anlassbedingt öffentlich gemacht werden kann – alles! Eines muss jedoch auch klar sein: Es sind
profil 27/2013
Wenn das „Volk“ begehrt Das politische Possenspiel um die direkte Demokratie.
Herr Blecha ist also gegen verpflichtende Volksbefragungen. Aha. Wenn die politische Nomenklatur so sehr gegen ein Gesetz ist, das
die Rechte des Souveräns stärkt, kann es nicht ganz falsch sein.
Günter Wendel Wien
impressum Herausgeber Chefredaktion
Anschrift von Herausgeber und Redaktion, Verlagsort/Sitz Profil Redaktion GmbH, A-1020 Wien, Taborstraße 1–3 Tel.: 01/534 70-0, Fax: 01/534 70-3500, E-Mail-Adresse: redaktion@profil.at, Homepage: www.profil.at
Dr. Christian Rainer Sven Gächter, Dr. Herbert Lackner (Ressortleitung Österreich), Dr. Christian Rainer
Redaktion Art-Direktor Erich Schillinger Chefin v. Dienst Dr. Nicole Schmidt Österreich Mag. Gernot Bauer, Dr. Marianne Enigl, Otmar Lahodynsky (Europa-Koordination), Mag. Eva Linsinger, Mag. Edith Meinhart, Rainer N ikowitz, Ulla Kramar-Schmid, Rosemarie Schwaiger, Christa Zöchling Wirtschaft Michael Nikbakhsh (Leitung), Mag. Christina H iptmayr Außenpolitik Mag. Martin Staudinger (Leitung), Mag. Robert Treichler (Leitung) Gesellschaft Angelika Hager (Leitung) Wissenschaft Alwin Schönberger (Leitung) Kultur Stefan Grissemann (Leitung), Mag. Wolfgang Paterno profil extra Michaela Ernst (Leitung) Fotoredaktion Eva Kerschbaum MA, Alexandra Unger, Walter Wobrazek Grafik Judith Illmer, Manfred Tesch Redaktionsmanagement Dr. Eva Streng (Leitung), Johanna Fally Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Alexander Bartl M.A., Franz C. Bauer (Kapital), Dr. Robert Buchacher, Mag. Karin Cerny, Dr. Horst Christoph, Noa Croitoru-Weissman, Mag. Natalie Dietrich, Mag. Philip Dulle (Online), Dr. Franziska Dzugan, Mag. Marie-Therese Eberle, Heinz Engelhart, Mag. Anna Giulia Fink, Mag. Tina Goebel, Elfriede Hammerl, Mag. Sebastian Hofer, Georg Hoffmann-Ostenhof, Andrej Iwanowski ( Moskau), Klaus Kamolz, Ruud Klein, Doris Klimek, Peter Michael L ingens, Beate Maisner, Dr. Gregor Mayer (Belgrad), Thomas Migge (Rom), Elfi Puchwein, Ro Raftl, Mag. Karl Riffert, Dr. Nina Schedlmayer, David Staretz, Dr. Tessa Szyszkowitz (London), Thomas Vašek (Cyberama), Stephan Wabl, MA, MSc (Online) Art-Copyright VBK/Wien Copyright Alle Rechte, auch die Übernahme von Beiträgen nach § 44 Abs 1 Urheberrechtsgesetz, sind vorbehalten.
nicht nur die USA oder Großbritannien, die uns Tag und Nacht routinemäßig beobachten und gegebenenfalls näher observieren, nein – es sind selbstverständlich auch Russland, China und andere, die in ähnlicher Weise Milliarden von elektronisch umherschwirrenden Informationen einfangen, maschinell analysieren und in Einzelfällen gezielt erheben. Dass diese Art der totalen Kontrolle von einem Ex-US-Geheimdienstler aufgedeckt wurde, zeigt einmal mehr, dass trotz aller Überwachung die demokratische Grundstruktur der westlichen Staaten nach wie vor intakt zu sein scheint und derartige Missstände früher oder später sehr wohl an die
Geschäftsführung
Mag. Thomas Kralinger, Profil Redaktion GmbH, 1070 Wien, Lindengasse 52
Medieninhaber, Eigentümer, Verleger, Produktion Verlagsgruppe NEWS Gesellschaft m.b.H. FN 183971 HG Wien, A-1020 Wien, Taborstraße 1–3, T el.: 01/213 12-0 Geschäftsführung Axel Bogocz (Vorsitz), Anett Hanck, Dr. Ekkehard Veser Generalbevollmächtigter Dkfm. Helmut Hanusch Verlagsleitung Wolfgang Hermeneit Geschäftsleitung Sales Elisabeth Giesser Anzeigenleitung Christoph Gillissen International Sales Mag. Evelyn Strohriegel (Ltg.) Mediaservice & Marktforschung Andrea Peter (Ltg.) Anzeigenverrechnung Andrea Peter (Ltg.), Claudia Fabian Derzeit gilt Anzeigenpreisliste 2013 Controlling & Rechnungswesen Mag. Richard Starkel (Ltg.), Christine Glaser (Ltg. RW) Produktion Sabine Stumvoll (Ltg.), Martina Höttinger Anzeigenproduktion Günter Tschernitz (Ltg.) Vertrieb Mag. Angela Schuh-Haunold (Ltg.), Mag. Lisa Heigl-Rajch (Abo), Cornelia Wolf (EH) Leser-Marketing Biene Janitschek Ad-on Agency Stefan Kubina (Ltg.) Anzeigenmarketing Antje Lehnert-Jaich (Ltg.) Eventmarketing Verena Sedelmayer (Ltg.) Reproduktion Neue Medientechnologie Ges.m.b.H. 1020 Wien, Taborstraße 1–3 Druck Leykam Druck GmbH & Co KG, Werk: 7201 Neudörfl, Bickfordstraße 21 Vertrieb Morawa Pressevertrieb GmbH & Co KG, Hackinger Straße 52, 1140 Wien Abo-service Tel.: 01/95 55-100, Fax: 01/95 55-200, E-Mail: abo@profil.at Abonnementpreis Jahresabo: 129,90 Euro Der Offenlegungstext gem. § 25 MedG ist unter www.profil.at/offenlegung abrufbar. www.leseranwalt.at
6 profil 28 • 8. Juli 2013
Persönliches Exemplar von k.brandstetter@aon.at, alle Rechte vorbehalten. Nutzungsbedingungen unter www.kiosk.at
Druckauflage (2. Halbjahr 2012): 89.577 ÖAK geprüft
profilFrühstücks-Abo Ihr Informationsvorsprung. profil am Sonntagmorgen vor Ihrer Haustüre. Öffentlichkeit gelangen. Wäre Snowden Russe oder Chinese, hätte man ihn vermutlich ohne großes Aufsehen längst liquidiert. Martin Krämer BA. MA via E-Mail
D
ie Justiz der USA beschuldigt den eigenen Staatsbürger – Edward Snowden – der Spionage, des Diebstahls von staatseigenem Datenmaterial. Aber stehen nicht die USA selbst nach den Enthüllungen Snowdens als große Datendiebe da? Mit welchem Recht plündern die USA die Daten von EU-Behörden, europäischen Regierungen
Bestellen Sie Ihr profil-Jahresabo zum Inlandspreis mit Hauszustellung von 129,90 Euro! Abo-Hotline: 01/95 55-100 oder Fax: 01/95 55-200 oder Postkarte an: profil-Abo-Service, Postfach 222, 1231 Wien Abo-Garantie: Wenn ich mich nicht bis zum 49. Heft schriftlich melde, möchte ich profil zu den jeweils gültigen Bedingungen für Jahresabonnenten weiterbeziehen. Die Zustellung erfolgt kostenlos. Das Porto übernimmt profil. Druckfehler und Irrtümer vorbehalten. Sollte die Hauszustellung an Ihre Adresse nicht möglich sein, erhalten Sie profil am Montag per Post.
unzerbrechlich – aber dehnbar (Stanislaw Jerzy Lec). Sorry, das Schweigen Obamas in dieser Causa rechtfertigt diese Annahme. Wilma Kropf Wien profil 27/2013
Lokal, global, fatal und auch Privatpersonen? Grundsätzlich entbehrt die Entrüstung der Chinesen und Russen aber nicht einer gewissen Pikanterie, denn ihre eigenen Geheimdienste überwachen mindestens so genau die Online-Aktivitäten der eigenen Bürger. Zum Unterschied von Russland
und China präsentieren sich die USA aber gerne als Gralshüter der modernen demokratischen Wertegemeinschaft. Offensichtlich mutierte der US-Militärnachrichtendienst zu einem „Daten-Messie“, der Informationsmaterial sammelt und speichert. Charaktere sind
Persönliches Exemplar von k.brandstetter@aon.at, alle Rechte vorbehalten. Nutzungsbedingungen unter www.kiosk.at
Alpine: Ruin durch Gier, Planlosigkeit und absurde Expansionspläne.
I
hre gut recherchierte Alpine-History übertrifft bei Weitem das Fachwissen der Bank, die mir im Juni 2012 als Mit-Emittentin der Alpine-Anleihe diese zum Kauf empfohlen hat. Meine diesbezüglichen Vorhaltungen wurden jetzt mit dem Kom-
leserbriefe redaktion@profil.at
mentar quittiert, „man hätte erst im Oktober 2012 aus den Medien erfahren, wie es um das Unternehmen stünde“. Gut für profil, schlecht für die Bank, dass sie der Medienberichterstattung für fundiertes wirtschaftliches Hintergrundwissen bedarf. Danke für Ihre hohe journalistische Qualität! Dkfm. Karin Lehmann Wien
auch verschmitzt lächelnd verschlungen habe. Was ist Ihnen da eingefallen? Ich bin zutiefst enttäuscht ... Ja, Frau Karl war patschert ..., und ich mag die Dame nicht einmal; sie deswegen in der Boulevardpresse so fertigzumachen, finde ich schon nicht gut; aber diese Hinrichtung im profil? Bruno Friedl via E-Mail
Gesellschaft
Grünen verhandelt und möchte unter anderem klarstellen: Es gab im Parlament zwei Anhörungen mit ExpertInnen und die Enquete des Bundesrats zum Thema. Dabei wurde unter anderem von Professor Merli und Professor Öhlinger jener Weg vorgeschlagen, welcher nun in das verhandelte Demokratiepaket Eingang gefunden hat: eine Volksbefragung nach ausreichend un-
Mister Universum im Gespräch.
Welch ein kongeniales Interview vom neuen „Wödmasta“ in Bodybuilding. Ein schöneres Geschenk zu meinem Geburtstag konntet ihr mir gar nicht machen. Als „Ehemaliger“ musste ich über jede Antwort des Befragten richtig herzhaft lachen und erkennen: Auch ich war einmal so ein „Vollei“! Inzwischen züchte ich aber lieber Hühner ... Vielen Dank für eure immer wieder einzigartigen Beiträge! Walter Rohrmanstorfer via E-Mail
Die Frau Karl
Satire von Rainer Nikowitz.
I
hre Kolumne ist treffsicher wie immer und genial in der Analyse der herrschenden politischen Situation. Aber diesmal ist die Thematik so ernst, dass ich nicht lachen konnte. Das ist aber kein Vorwurf, sondern ich gratuliere zu Ihrem Mut, auch mal auf Lacher zu verzichten. Thomas Ertl via E-Mail
M
it 64 Jahren am Buckel schreibe ich den ersten (!) Leserbrief meines Lebens ... und ausgerechnet an Sie, dessen Seiten ich meistens als Erstes und zumeist
I
n welchem Land leben wir, in dem 14-Jährige hinter Gitter gebracht werden? Und welche Justiz haben wir, die dies erlaubt, und welche Justizministerin haben wir, die dermaßen unbeeindruckt auf solche Vorfälle reagiert? Elfi Mayerhofer via E-Mail
G
ratuliere zum ebenso schlichten wie genialen Titel „Die Frau Karl“! Sabine Wallinger via E-Mail
Wenn das „Volk“ begehrt Das politische Possenspiel um die direkte Demokratie.
I
n Ihrem Artikel finden sich einige Unrichtigkeiten. Ich habe das DirekteDemokratie-Paket für die
terstützten Volksbegehren. Diesen Vorschlag haben Grüne-FPÖ-BZÖ Anfang Mai aufgenommen und erreicht, dass das Thema wieder diskutiert wurde. Ihre Behauptung, dass „alle Experten (das jüngste Demokratiepaket) für gefähr lichen Unsinn halten“, ist daher jedenfalls falsch. Die Weiterentwicklung der direkten Demokratie ist überfällig. Aktive BürgerInnen wollen ihre demokra tische Partizipation nicht auf die Teilnahme an Wahlen reduziert wissen. Sie wollen, dass ihre Initiativen im Parlament ernsthaft behandelt werden. Ich bin überzeugt davon, dass dies nicht nur der direkten, sondern auch der repräsentativen Demokratie nützt. Eine
8 profil 28 • 8. Juli 2013
Persönliches Exemplar von k.brandstetter@aon.at, alle Rechte vorbehalten. Nutzungsbedingungen unter www.kiosk.at
andere politische Kultur wird notwendig werden. Möglicherweise ist diese Veränderung nicht im Sinne so mancher „Alt“AkteurInnen. Mag.a Daniela Musiol Nationalrätin und Sprecherin für Verfassungs- und Demokratie politik der Grünen
Eiertanz
Druckmittel Kultur: Der Kunst- und Bildungsabbau im ORF geht weiter.
V
or etwa 25 Jahren saß ich einmal spät nachts vor dem Fernsehapparat, weil sich sonst nichts anbot. Es gab damals nur zwei Fernsehprogramme. Außerhäuslich waren die Geh steige spätestens um Mitternacht hochgeklappt. Auf diese Art kam ich in den Genuss des Klagenfurter Wettlesens. Es wurde einem mit Nachdruck gutes Programm geboten. War interessant. Aber dennoch sage ich: Wer solche alternativlosen Zeiten der Zwangsbeglückung zurückhaben will, der pudle sich darüber auf, dass der ORF diese Veranstaltung nicht mehr finanzieren will. Wer nicht, der mache sich auf die Suche nach anderer Finanzierung. Reinhold Sulz Wien
W
ieso kommt eigentlich beim ORF niemand auf die Idee, bei den Kosten für Fußballübertragungen zu sparen? Kann es sein, dass der ORF trotz Kulturauftrag lieber bei den Kulturkonsumenten spart, weil diese in der Minderheit sind und damit Proteste gegen Sparmaßnahmen weniger heftig ausfallen? Karl Hons via E-Mail
Persรถnliches Exemplar von k.brandstetter@aon.at, alle Rechte vorbehalten. Nutzungsbedingungen unter www.kiosk.at
Persรถnliches Exemplar von k.brandstetter@aon.at, alle Rechte vorbehalten. Nutzungsbedingungen unter www.kiosk.at
Leitartikel Christian Rainer christian.rainer@profil.at http://blog.profil.at/christianrainer/
Blöd gelaufen
Was treibt erfolgreiche Menschen auf schiefe Bahnen? Unter anderem eine Wende zum Besseren.
K
eine Woche, in der nicht irgendjemand von gröberem öffentlichen Interesse einen Schritt in Richtung Vorhölle macht. In den vergangenen Tagen etwa: der ehemalige Hypo-Kärnten-Chef Wolfgang Kulterer, der jetzt rechtskräftig zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt ist; der nun auch ehemalige Vizegouverneur der Notenbank Wolfgang Duchatczek, der seines Renten- und Abfertigungsanspruchs verlustig ging (und das am Ende eines langen Berufslebens nur Tage vor der geplanten Pensionierung); Gernot Schieszler, der Kronzeugenstatus bekommt, womit zwar er aus dem Schneider ist, die Verdächtigen in mehreren Telekomaffären aber noch tiefer drinnen stecken. (Die Tatsache, dass erstmals tatsächlich ein Kronzeugenstatus zuerkannt wurde, lässt übrigens auf Aufklärung in anderen Causen hoffen.) Unter Wahrung jeder Unschuldsvermutung – bei laufenden Verfahren, bloßen Verdachtsfällen und erst recht bei lediglich windschiefer Optik: Was treibt Manager oder Politiker ins Kriminal oder ins Zwielicht, warum gehen Menschen, die es augenscheinlich gar nicht nötig hätten, derart ins Risiko? Diese Frage wird allerorts diskutiert, teils mit Unverständnis gegenüber den Akteuren, teils aber auch mit Unverständnis für die Unrechtmäßigkeit der vorgeworfenen Taten. Jene Personen, die sich besonders heftig artikulieren, sind oft potenziell Betroffene: Spitzenkräfte der Republik, welche die Welt nicht mehr verstehen – und gelegentlich mit einem Hauch von schlechtem Gewissen an sich selbst zweifeln.
ruud klein
E
rste Antwort. In vielen Fällen ist es natürlich die gute alte Gier, die jemanden verleitet, nahe an der Grenze zwischen legal und verboten zu laufen – oder auch jenseits. Wer ein Leben lang reflexartig die Möglichkeiten des Geschäftes bis ans Äußerste genutzt hat, der wechselt die Codierung nicht, nur weil er zwischenzeitlich über einen prallvollen Geldspeicher verfügt oder im Job ganz oben angekommen ist. Dennoch wundert es, welches Risiko Menschen eingehen, ohne dass sie einen unmittelbaren Vorteil daraus ziehen. Zum Beispiel:
Die Telekom-Manager, die den Aktienkurs manipulierten, um einen Bonus herauszuholen, taten das vermutlich nicht wegen ein paar tausend Euro für sich selbst, sondern eher, weil das eine große Gruppe von Führungskräften motivieren sollte. (So analysiert das zumindest ein ehemaliger Telekom-Capo.) Da ist der Zusammenhang mit dem individuellen Vorteil der Täter nicht leicht zu erkennen. Erst recht nicht bei Herrn Duchatczek: Falls stimmt, dass er als Aufsichtsrat von Schmiergeldzahlungen wusste, die Aufträge der Banknotendruckerei sicherten, dann ist nicht einsichtig, warum er diese goutierte oder gar forcierte. Wegen des Erfolgsdrucks, der auf dem maroden Tochterunternehmen der noblen Nationalbank lastete? Na ja. Und auch beim Hypo-Alpe-Adria-Chef lässt sich nicht alles mit Gier erklären. Vielleicht wäre ja sein Job flöten gegangen, wenn er den rechtswidrigen Wünschen des Kärntner Landeshauptmanns nicht entsprochen hätte. Sicher ist das aber nicht. Allenfalls lässt sich auch hier sagen: Wer nicht von vornherein ein lockeres Verhältnis zu den Gesetzen und damit zu Gefälligkeitsgeschäften hatte, wäre nicht bis an die Spitze der Kärntner Hypo aufgestiegen.
W
ie es scheint, bedarf es einer zweiten Antwort, um zu verstehen, warum so viele Manager und Politiker einen derart entspannten Umgang mit Rechtsvorschriften pflegten – zumal die Fälle, welche nun bei der Justiz landen, mit Sicherheit nur einen kleinen Ausschnitt von hunderten ähnlichen Sachverhalten darstellen. (Nicht vergessen: Ohne die Zufallsfunde bei der Immofinanz-Pleite wäre der gesamte Hochegger-Grasser-Buwog-Telekom-Komplex nicht bekannt geworden.) Diese zweite Antwort lautet: Über die vergangenen 20 Jahre hat sich die Sichtweise auf Recht und Unrecht im Wirtschaftsleben und in der Politik massiv geändert. Was einst als normaler Vorgang im internationalen Geschäft galt, heißt heute Bestechung. Die Aufsichtsratsprotokolle des Baukonzerns Porr, die von profil vor einiger Zeit veröffentlicht wurden, zeugen von jenem überkommenen Verständnis. Was als Deal unter Freunden geduldet wurde, ist nun Korruption. Das Transparenzgesetz ist ein Spiegelbild dessen, was früher möglich war. Wo frei und gegen Kickbacks vergeben wurde, liegt nun ein Gesetzesbruch vor. Und wer sich mit der Politik verabredet, kommt samt den Politikern zumindest in die Zeitung. Der Paradigmenwechsel hat recht schnell stattgefunden (unter Druck der EU und von Medien). Was heute auffliegt, wurde entweder schon anno Schnee verbrochen. Oder erst heute aber von Menschen, die im Kopf noch damals leben. Für die Beteiligten in beiden Fällen darf man festhalten: blöd gelaufen. n
Persönliches Exemplar von k.brandstetter@aon.at, alle Rechte vorbehalten. Nutzungsbedingungen unter www.kiosk.at
8. Juli 2013 • profil 28 11
Persรถnliches Exemplar von k.brandstetter@aon.at, alle Rechte vorbehalten. Nutzungsbedingungen unter www.kiosk.at
Vlbg
Tirol
Sbg Stmk OÖ
Bgld Ktn Wien
NÖ
Quelle: Statistik Austria
Persönliches Exemplar von k.brandstetter@aon.at, alle Rechte vorbehalten. Nutzungsbedingungen unter www.kiosk.at
T itel
pensions-
schocks Ärger und Verlust, das bleibt 5,2 Millionen Österreichern von den hochgelobten privaten Pensionen. Vor zehn Jahren gab es hochtrabende Versprechen. Nun zeigt sich: Die zugesagten Renditen sind überzogen, Bürokratie überbordend. Für Gier, Rechenfehler und Dilettantismus will niemand die Verantwortung übernehmen.
Von Eva Linsinger und Edith Meinhart Fotos: Sebastian Reich
P
ost von seiner Abfertigungskasse bedeutet für Christoph Huber verlässlich Ärger. Noch heute klingen dem 44-jährigen IT-Techniker die vollmundigen Versprechen im Ohr: Sechs Prozent Rendite sollte die „Abfertigung neu“ abwerfen. Seit Huber im Juli 2004 den Job wechselte, weiß er, dass die Abfertigung eher ein Zwangssparen ohne Rendite ist. Das Zwischenergebnis nach neun Jahren: Null Cent Rendite. Selbst mit einem simplen Eckszinssparbuch hätte er vergleichsweise üppige Gewinne eingefahren. Als Sabine Zhang aus Shanghai zurückkehrte, wo sie sechs Jahre lang gearbeitet hatte, war sie in ihren Dreißigern – also im besten Alter, um eine „Grasser-Pension“ abzuschließen, die damals mit großem Tamtam unter das Volk gebracht wurde. 9,5 Prozent legte der Staat auf die Prämien drauf.
Nun, nach zehn Jahren, tendiert die Rendite der Polizze gegen Null. Zhang hätte die 70 Euro Monatsprämie genauso gut unter ihre Matratze schieben können. Max Arbesser ging im Jahr 2004 in den Ruhestand – und erlebte einen Pensionsschock der besonderen Art: „Meine Firmenpension war um 25 Prozent niedriger als versprochen.“ Seither kann der Ex-Manager der ehemaligen CA-Bank Austria zusehen, wie das Geld in seiner Pensionskasse schrumpft. Der 71-Jährige kalkuliert seine Verluste mittlerweile mit „fast 50 Prozent“ und resümiert bitter: „Wir wurden über den Tisch gezogen.“ Zhang, Huber und Arbesser sind nicht allein. Sie gehören zum Millionenheer, das sich verschaukelt fühlt. 1,6 Millionen Österreicher haben den Slogans von Schwarz-Blau vertraut und eine staatlich
14 profil 28 • 8. Juli 2013
Persönliches Exemplar von k.brandstetter@aon.at, alle Rechte vorbehalten. Nutzungsbedingungen unter www.kiosk.at
s
Josef Broukal Sinkende Privatpensionen, Zukunftsvorsorge mit NullErtrag. Danke, Wolfgang Schüssel und Karl-Heinz Grasser!
Persönliches Exemplar von k.brandstetter@aon.at, alle Rechte vorbehalten. Nutzungsbedingungen unter www.kiosk.at
8. Juli 2013 • profil 28 15
Titel
Sabine Zhang Nach zehn Jahren Zukunftsvorsorge mit Kapitalgarantie tendiert die Rendite gegen Null. Die 70 Euro Monatsprämie hätte ich genauso gut unter die Matratze schieben können.
16 profil 28 • 8. Juli 2013
Persönliches Exemplar von k.brandstetter@aon.at, alle Rechte vorbehalten. Nutzungsbedingungen unter www.kiosk.at
geförderte Zukunftsvorsorge abgeschlossen. 2,8 Millionen zahlen in eine Abfertigungskasse ein. 820.109 sind in einer Pensionskasse, 76.000 davon schon im Ruhestand. In Summe erleben nun 5,2 Millionen Österreicher, was von den hochgelobten Privatpensionen bleibt: Verluste, Ärger und falsche Versprechen. Die zweite und dritte Säule des Pensionssystems, wie sie im Fachsprech heißen, entpuppen sich als veritabler Schwindel. Eine Kombination aus Fehlkalkulationen und Vortäuschung falscher Tatsachen lässt die zugesagten Renditen im Nachhinein wie Hohn erscheinen. Bei der Abfertigung neu wird das versprochene Jahresgehalt nie auch nur ansatzweise erreicht werden. Und bei der Zukunftsvorsorge – vulgo Grasser-Rente – dümpeln die Erträge nach zehn Jahren weit unter der Inflationsrate dahin. Schon vor der Finanzkrise waren die Renditen dürftig, seither sind sie eingebrochen. Im August laufen die ersten Pensionsverträge ab, dann droht ein böses Erwachen. Die Geschichte der betrieblichen und privaten Altersvorsorge ist eine Geschichte der Gier, der Rechenfehler und des Dilettantismus. „Sparer und Pensionsanwärter sind die Gelackmeierten, die Finanzindustrie ist die Gewinnerin“, so lautet für SPÖ-Wirtschaftssprecher Christoph Matznetter das Résumé nach 20 Jahren privater Pensionen. Noch in den frühen 2000er-Jahren konnten ihre Apologeten die Privatpensionen nicht genug rühmen. Der Staat könne den Alten kein Auskommen sichern. Wer nicht selbst vorsorge, werde darben. Der Altersarmut, so unausweichlich wie der Verlust der Spannkraft von Haut und Haar, sei bloß mit „mehr privat, weniger Staat“ beizukommen. Das war das Prestigevorhaben von Schwarz-Blau. Auf europäischer Ebene halfen EUKommission und Rat mit, die private Altersvorsorge auf Schiene zu bringen. In Österreich schoben die Sozialpartner bei betrieblichen Pensionen, Abfertigung neu und Zukunftsvorsorge an. ÖAAB-Obmann Werner Fasslabend pries 2002 Österreich als Pionier: Als erstes EU-Land baue man ein zweites Pensionsstandbein auf, ohne die Arbeitnehmer zu belasten. Die Regierung stimmte euphorisch ein, „echte Jahrhundertreform“ (ÖVP-Wirtschaftsminister Martin Bartenstein), „neue Ära“ (ÖVP-Kanzler Wolfgang Schüssel), „historisch bedeutsame Leistung“ (FPÖ-Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer). Der Gewerkschaftsbund assistierte mit Elogen auf den „Quantensprung“. Schwer zu sagen, ob vom Kanzler abwärts alle glaubten, was sie damals trommelten. Viele, bei denen profil nun ein Jahrzehnt später nachfragte, zogen es vor, nichts zu sagen. Andreas Khol, sei-
Peter Westenthaler Als FPÖ-Klubobmann, 9. Juli 2002 „Diese Regierung schreibt sozialpolitische Geschichte. Die Abfertigung neu ist einer unserer größten Erfolge.“ Als BZÖ-Abgeordneter, 2. Juli 2013 „Ich bin als Abgeordneter für diesen Bereich nicht zuständig.“ Fritz Verzetnitsch Als ÖGB-Präsident, 6.4.2004 „Mit der Abfertigung neu ist den Sozialpartnern ein Quantensprung gelungen.“ Als Pensionist, 2. Juli 2013 „Kein Kommentar.“ Andreas Khol Als ÖVP-Klubobmann, 10. Juni 2002 „Die Abfertigung neu ist ein Herzstück der Regierungsarbeit.“ Als Obmann des Seniorenbundes, 5. Juli 2013 „Pensionskassen sind an sich gut, aber es wurden viele Fehler gemacht. Die Erwartungen waren überzogen, der Rechenzins zu hoch, und dann kam noch die Krise dazu. Viele Leute haben 50 Prozent ihrer Pensionen verloren. Die Grasser-Pension ist ein totales Fiasko. Die Kosten sind so hoch, dass die staatliche Prämie nicht den Pensionisten zugutegekommen ist, sondern den Versicherungen. Es wäre besser gewesen, die Leute hätten das Geld auf ein Sparbuch gelegt.“ Christoph Leitl Als WirtschaftskammerPräsident, 5. Juli 2012 „Das österreichische Modell der betrieblichen Vorsorge gehört zu den Best Practices.“ Als WirtschaftskammerPräsident, 4. Juli 2013 „Ich bin stolz, dass heute alle Beschäftigten eine Abfertigung bekommen. Wir haben den Rechenzins nach bestem Wissen festgelegt. Aber wir sind alle Mitgefangene des internationalen Finanzsystems.“
nerzeit Klubchef, heute Obmann des schwarzen Seniorenbunds, urteilt inzwischen so hart wie die Konsumentenschützer der Arbeiterkammer. Bei den Pensionskassen seien viele Fehler gemacht worden: „Die Erwartungen waren überzogen, der Rechenzins zu hoch, und dann kam noch die Krise dazu.“ Zur Grasser-Pension fällt ihm „totales Fiasko“ ein: „Die Kosten sind so hoch, dass die staatliche Prämie nicht den Pensionisten zugutegekommen ist, sondern den Versicherungen.“ Er habe als Verfassungsrechtler von Kapitalmärkten nichts verstanden, sagt Khol. Verhandelt habe sein Parteifreund, Budgetsprecher Günter Stummvoll. Der allerdings bleibt bis heute auf Linie: „Die größte Finanzkrise seit fast einem Jahrhundert konnte niemand voraussehen.“ *** Herbert Dworak hat geklagt und demonstriert. Jetzt ist der 66-Jährige müde und werkelt lieber in seinem Garten in Wien, anstatt für seine Pension zu kämpfen. „Das Geld ist weg“, seufzt er. „Meine Pension ist um ein Drittel niedriger, als versprochen.“ Zugesagt waren 80 Prozent des Letztgehalts – was von der ASVG-Pension auf den Betrag fehlte, hätte als Firmenpension draufgelegt werden sollen. Das versprachen damals viele Banken, auch die Bank Austria, bei der Dworak den Immobilienbereich leitete. „Dieser Pensionsraub ist der Dank für die jahrzehntelange harte Arbeit. Eine Schweinerei“, schnaubt er und geht wieder in den Garten. Von den Pensionskassen, dem ersten Versuch von Altersvorsorge per Kapitalmarkt, bleiben vor allem Verluste. Erfunden wurden sie nach der Verstaatlichten-Krise der 1980er-Jahre. Die Voest stand am Rande der Pleite. Um sie zu retten, wurden die Rücklagen für die Firmenpensionen aufgelöst – mit gewaltiger Schieflage: Arbeiter fielen um ihre Firmenpension um, Manager bekamen sie bezahlt. Das sorgte für empörte Aufschreie. Um ähnliche Desaster zu vermeiden, beschloss die Regierung Vranitzky Anfang der 1990er-Jahre das Pensionskassengesetz. Die Unternehmen sollten die Gelder für Firmenpensionen in private Kassen auslagern und die Auszahlung vom eigenen Wohl oder Wehe unabhängig machen. Doch statt mehr Sicherheit gab es rote Zahlen. Bald begann sich der Faktor Gier zu entfalten: Die neuen Pensionskassen versprachen in Hochglanzbroschüren hohe Renditen (und damit aggressive Veranlagungen). Das kam den Unternehmen, vor allem Banken und Firmen wie ORF oder Siemens, zupass. Je höher sie den Rechenzins ansetzten, also den angenommenen Gewinn, desto weniger Geld mussten sie in die Pensionskasse bezahlen, damit sich die versprochene Firmenrente
Persönliches Exemplar von k.brandstetter@aon.at, alle Rechte vorbehalten. Nutzungsbedingungen unter www.kiosk.at
8. Juli 2013 • profil 28 17
T itel
ausgeht. So kamen Rechenzinssätze von sechs Prozent und mehr zustande. „Die Unternehmen haben sich damit viel Geld gespart“, resümiert Thomas Url, Veranlagungsexperte des Wirtschaftsforschungsinstitutes, trocken. Auch Betriebsräte ließen sich blenden und stimmten zu. Von Risiko war in der Pensionskassen-Euphorie nie die Rede. „Die Pensionskassen wurden geschaffen, um absolute Sicherheit zu gewährleisten und ein Höchstausmaß an Rendite sicherzustellen“, warb etwa Wolfgang Nolz, Sektionschef des Finanzministeriums, in seiner Funktion als Staatskommissär der Pensionskassen 1999 bei einer ORF-Versammlung. Erst das Platzen der Dot-Com-Blase im März 2000 und die herben Verluste der Pensionskassen in den Jahren danach rüttelten auch Laien auf. Immerhin, die Mindestertragsgarantie gab gewissen Schutz – theoretisch: Denn als diese Garantie 2003 zum ersten Mal schlagend geworden wäre, wurde sie flugs durch ein schwarz-blaues Gesetz beseitigt. Die Begründung, vorgetragen vor dem Verfassungsgerichtshof, wirkt im Nachhinein wie eine Chuzpe: Die Finanzkrise nach der Dot-Com-Blase sei ein „Jahrhundertereignis“ gewesen. Nur acht Jahre später folgte die LehmanPleite. Wieder ein „Jahrhundertereignis“. Erneut Kürzungen der Firmenpensionen. Unter den Pensions-Opfern befinden sich ehemalige Banker, die gut rechnen können. Sie haben ihre Pensionistenvereine, die früher gemeinsamen Theaterbesuchen und anderen Belustigungen frönten, in die Selbsthilfegruppe „pekabe“ umgewandelt. Diese rechnet nun regelmäßig vor, dass trotz mehrerer Pensionskassennovellen das Gros der Senioren zwischen zehn und 50 Prozent der versprochenen Pension verloren hat. Unterstützung erhält die pekabe-Truppe von mediengewandten Ex-ORFlern. Josef Broukal ist einer von ihnen. Er wetterte schon als SPÖ-Mandatar gegen die „trickreiche Konstruktion“ der Pensionskassen. An der Aufklärung des Schlamassels scheiterte auch der Ex-Journalist. Kein Wunder: Die Pensionskassenverträge waren bis vor Kurzem geheim. Selbst parlamentarische Anfragen, wie jene, warum das Finanzministerium überhöhte Rechenzinssätze bewilligte, liefen ins Leere: „Angaben sind mangels nicht mehr verfügbarer Akten nicht möglich.“ Beanstandungen der Pensionskassen durch die Finanzmarktaufsicht? „Unterliegen der Amtsverschwiegenheit.“ *** Mario Reischl, 37, war als gelernter Schweißer auf Baustellen im ganzen Land im Einsatz, bevor er im Voest-Blechwerk in Linz landete und schließlich vor
Susanne Riess-Passer Als Vizekanzlerin, 14. Mai 2002 „Die Abfertigung neu ist die historisch bedeutsamste Leistung für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den letzten Jahrzehnten.“ Als Generaldirektorin von Wüstenrot, 2. Juli 2013 „Kein Kommentar.“ Günter Stummvoll Als ÖVP-Finanzsprecher, 19. September 2002 „Das sind Weichenstellungen von historischem Charakter. Uns ist zur neuen Altersvorsorge gelungen, basierend auf drei Säulen: staatliche, betriebliche und Eigenvorsorge. So stelle ich mir Zukunftspolitik vor.“ Als ÖVP-Finanzsprecher, 3. Juli 2013 „Die größte Finanzkrise seit den 1930er-Jahren konnte niemand voraussehen. Die Renditerwartungen waren nicht überzogen. Die Experten haben diese Annahmen getroffen, sicherlich beeinflusst durch die Börseneuphorie.“ Karl-Heinz Grasser Als Finanzminister, 13.11. 2003 „Ich habe die Zukunftsvorsorge gezeichnet. Ein tolles Produkt. Das muss ein sehr umsichtiger Finanzminister gewesen sein, der das eingeführt hat.“ Als Privatier, Juli 2013 Keine Antwort auf die profil-Anfrage Wolfgang Nolz Als Sektionschef im Finanzministerium und Staatskommissär der Pensionskassen, 1999 „Pensionskassen wurden geschaffen, um absolute Sicherheit und ein Höchstmaß an Rendite sicherzustellen.“ Als Kapitalmarktbeauftragter, 5. Juli 2013 „Ich habe sicher nie gesagt, dass die Renditen erzielbar sind. Es war nicht mein Metier, den Rechenzins zu beurteilen. Man darf jetzt nicht so tun, als hätte man Pensionisten absichtlich getäuscht.“
eineinhalb Jahren in den Werkstätten der ÖBB in Wien-Simmering Lokomotiven und Zugwaggons zu reparieren begann. In wenigen Wochen bekommt er seinen ersten Dienstvertrag. Eine Premiere, Reischl war zeit seines Berufslebens Leiharbeiter. Beim Begriff „Abfertigung neu“ sollte ein Lächeln über sein Gesicht huschen, für Jobnomaden wie ihn wurde sie schließlich erfunden. Doch der Oberösterreicher denkt an die endlosen Telefonate und an Berge von Unterlagen, die er zusammensuchen muss, um die eingezahlten Beiträge bei jedem Arbeitsplatzwechsel mitzunehmen: Fünf Leiharbeitsfirmen und vier Vorsorgekassen kamen zusammen. Er müsste Urlaub nehmen, um einen Überblick über seine Konten zu bekommen, stöhnt er: „Ich frage mich, ob die Leute durch die Bürokratie zermürbt werden sollen, damit sie ihr Geld gar nicht abholen.“ *** Der Jubel wollte kein Ende nehmen, damals 2003: Wirtschaftsminister Martin Bartenstein pries die „echte Jahrhundertreform“, Klubobmann Peter Westenthaler witterte „sozialpolitische Geschichte“ und ÖGB-Präsident Fritz Verzetnitsch zeigte sich angesichts des „Quantensprungs“ nachgerade enthusiastisch. Zehn Jahre nach Einführung der „Abfertigung neu“, einem der wenigen Projekte von SchwarzBlau, das den Beifall der Gewerkschaft, der SPÖ und der Grünen fand, ist von der Begeisterung nicht mehr viel übrig. Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner fällt, wie vielen, zur Ehrenrettung des Modells nur ein, „dass davon mehr Menschen profitieren als vom alten System“. Immerhin bekommt man nun auch Abfertigung, wenn man selbst kündigt. Ansonsten seufzt Mitterlehner: „Die Erwartungshaltung war zu hoch.“ Das ist ein Hilfsausdruck. Sechs Prozent Rendite wurden seinerzeit versprochen – und das zu einer Zeit, als die dürftigen Gewinne der Pensionskassen schon bekannt waren. Der Grüne Sozialsprecher Karl Öllinger war einer der wenigen, dem sich die Haare aufstellten, als im Hohen Haus Tabellen herumgereicht wurden, „auf denen man mit unrealistischen Annahmen ein Jahresgehalt nach 25 Jahren Arbeit hochgerechnet hat. Die Leute wurden zum Narren gehalten.“ In der Tat haben die Abfertigungskassen zwischen 2004 und 2012 nicht sechs, sondern durchschnittlich 2,8 Prozent erwirtschaftet. Selbst Andreas Csurda, Vorsitzender der Plattform der Vorsorgekassen, gibt heute offen zu: „Viel mehr als drei Prozent ist nicht realistisch.“ Das eigentlich in Aussicht gestellte Jahresgehalt ist damit Schimäre. So dürftig die Erträge, so üppig sprießen die Verwaltungskosten. David Mum, Ökonom in der
18 profil 28 • 8. Juli 2013
Persönliches Exemplar von k.brandstetter@aon.at, alle Rechte vorbehalten. Nutzungsbedingungen unter www.kiosk.at
Mario REischl Im Laufe meines Berufslebens habe ich es auf fünf Leiharbeitsfirmen und vier Abfertigungskassen gebracht. Sollen die Leute durch Bürokratie zermürbt werden, damit sie ihr Geld gar nicht abholen?
Persönliches Exemplar von k.brandstetter@aon.at, alle Rechte vorbehalten. Nutzungsbedingungen unter www.kiosk.at
8. Juli 2013 • profil 28 19
T itel
Gewerkschaft der Privatangestellten, kann penibel vorrechnen, dass im Schnitt „mehr als die Hälfte der Veranlagungserträge für die Verwaltung aufgewendet wird“. Das Resultat ist auf jedem beliebigen Abfertigungskonto zu bestaunen. Journalistin Sabine S. etwa arbeitet seit Februar 2011 in ihrem derzeitigen Job, also seit einer Zeit, als an den Börsen wieder ordentliche Gewinne erzielt wurden. Nur auf ihrem Abfertigungskonto nicht: Dort haben sich in den zwei Jahren 2043,70 Euro angesammelt – um exakt 40,44 Euro weniger, als ihr Arbeitgeber für sie einbezahlt hat. Die gute Nachricht: Den Betrag (1,53 Prozent der Lohnsumme) bekommt sie beim nächsten Jobwechsel ausbezahlt. Die schlechte Nachricht: Möglicherweise keinen Cent mehr. „Diese Nullverzinsung hätte ich auch noch gerade geschafft“, ätzt S. Insgesamt 5,3 Milliarden Euro von 2,8 Millionen Österreichern liegen derzeit in den Abfertigungskassen. Dass sie mit dieser gewaltigen Summe keine anständigen Renditen erwirtschaften, ist vielen ein Rätsel – nur Csurda nicht. Der Vertreter der Vorsorgekassen sieht die Schuld bei den Abfertigungsberechtigten: „Sie lassen sich ihr Geld zu rasch auszahlen.“ Rasch ist ein dehnbarer Begriff, wie jeder bestätigen kann, der versucht hat, sein Geld aus einer Abfertigungskasse loszueisen: Die eingezahlten Beträge verteilen sich oft auf verschiedenen Konten, weil jedes Unternehmen seine Kasse wählt. Selbst ohne Jobwechsel kann man es auf mehrere Konten bringen: Johann P. war von 2007 bis 2012 im selben Unternehmen und ist inzwischen stolzer Inhaber dreier Abfertigungskonten – eines für die Zeit vor seiner Vaterkarenz, eines für die Karenzzeit, eines für danach. Zudem arbeiten Abfertigungskassen, als wäre der Computer noch nicht erfunden. Sind in einem Unternehmen 100 Menschen beschäftigt, wird für Person X nicht der persönliche Abfertigungsanspruch berechnet, sondern das statistische eine Prozent der Lohnsumme des Unternehmens. Nachdem niemand genauso viel verdient wie der Durchschnitt der Kollegen, werden die Beträge einmal im Jahr korrigiert. Oder auch später. Frau Barbara B. war von Oktober 2007 bis September 2009 in einem Röntgeninstitut angestellt. Im Jänner 2010 wurden ihr 1242,12 Euro Abfertigung ausbezahlt. Über zwei Jahre später, im September 2012, verlangte die Abfertigungskasse 320,15 Euro zurück: Ihr Lohnzettel sei nun korrigiert worden. Alice Kundtner, Leiterin des Bereichs Soziales in der Arbeiterkammer, weiß von vielen derartigen Fällen zu berich-
Wolfgang Schüssel Als ÖVP-Bundeskanzler, 14. Mai 2002 „Die betriebliche Mitarbeitervorsorge ist ein zentrales Anliegen der Bundesregierung. […] Wir sind stolz auf dieses Reformprojekt.“ Als Polit-Pensionist, Juli 2013 Keine Antwort auf die profil-Anfrage Reinhold Mitterlehner Als Generalsekretär der Wirtschaftskammer, 7. August 2002 „Die Abfertigung neu ist ein Meilenstein der Sozialpolitik.“ Als Wirtschaftsminister, 4. Juli 2013 „Die Abfertigung neu ist ein Erfolg, weil von ihr viel mehr Menschen profitieren als von der alten Abfertigung. Die Erwartungshaltung bei den Renditen war aber zu hoch.“ Karl Öllinger Als Grüner Abgeordneter, 19. September 2002 „Das Gesetz über die Zukunftsvorsorge ist schlicht eine Katastrophe.“ Als Grüner Abgeordneter, 4. Juli 2013 „Wir waren schon damals die schärfsten Kritiker der Lobpreisungen und Heilserwartungen für die private Pensionsvorsorge. Aus heutiger Sicht war unsere Kritik völlig berechtigt.“ Martin Bartenstein Als Wirtschaftsminister, 27. Dezember 2002 „Die Zukunftsvorsorge ist ein attraktives Vorsorgemodell für alle, um die private Altersvorsorge anzukurbeln.“ Als ÖVP-Abgeordneter, 5. Juli 2013 „Die Finanzkrise war nicht vorhersehbar.“ Josef Cap Als Klubobmann der SPÖ, 4. Juli 2013 „Die Abfertigung neu wurde von der SPÖ mitbeschlossen. Es ist richtig, dass die damals zugrundegelegten Renditeannahmen zu hoch waren.“
ten. Die Verwaltungskosten seien ein „bequemes Körberlgeld für die Kassen“ und gehörten endlich gesenkt. Kundtner hofft auf eine Reform in der nächsten Legislaturperiode. Allerdings versprach bereits die jetzige Regierung eine Evaluierung – und kam über die Einsetzung eines Arbeitskreises nicht hinaus. *** Andreas Hartenthaler-Dallinger, 55, wuchs zu einer Zeit auf, als Kinder ihre Sparefrohs mit Münzen fütterten, um sie am Weltspartag mit heiligem Ernst auf die Bank zu tragen. Vor zehn Jahren machte sich der Kulturmanager als Coach selbstständig und dachte regelmäßig darüber nach, wovon er im Alter leben sollte. Sparbuch? Aktien? 2003 ging es beruflich bergauf, die „prämienbegünstigten Zunkunftsvorsorge mit staatlicher Förderung“ schien wie maßgeschneidert. Hartenthaler-Dallinger verließ sich darauf, dass die 205,87 Euro monatliche „garantierte“ Pension ab 2023 tatsächlich „garantiert“ war. Doch das Investment lief aus dem Ruder: Die anfängliche Prämie von monatlich 154,25 war bis zum Jahr 2011 auf 192,78 Euro gestiegen. Die erwartbare Pension kletterte zunächst mit (auf 255,79 Euro). Die Kurse der Aktien, die mit seinem Geld angeschafft worden waren, waren freilich im Keller. Vor zwei Jahren legte ihm seine Versicherung einen neuen Vertrag ans Herz – weniger Aktien, mehr Sicherheit. Der Effekt: 2013 war seine „garantierte“ Pension auf 202,29 Euro gefallen, die Prämie auf 203,79 Euro gestiegen. Wie das sein könne, fragte er nach. Man verwies ihn auf die „Versicherungsmathematik“. Seine Sparefroh-Welt geriet ins Wanken: „Für mich war eine Versicherung eine Frage des Vertrauens.“ Es ist genau zehn Jahre her, dass der SPÖ-Mandatar Johann Maier auf einer Pressekonferenz über die Risiken der Zukunftsvorsorge neu herzog. Sie war knapp vor der Wahl im November 2002 von Schwarz-Blau durchgepeitscht worden. Grüne und SPÖ hatten das Vorhaben zerzaust, letztlich aber doch dafür gestimmt. Maiers Ausritte gegen die Grasser-Rente zogen anno 2003 bitterböse Briefe aus Finanzkreisen nach sich, wo man eine andere Sicht auf die Dinge hatte als der rote Konsumentenschützer. Mit der Zukunftsvorsorge neu sollten biedere Sparbuchbesitzer an die Börse getrieben werden. Ein großer Teil der Prämien musste in österreichischen Aktien angelegt werden. So wollte Finanzminister Karl-Heinz Grasser dem schwächelnden Kapitalmarkt auf die Beine helfen. Die Quote von ursprünglich 60 Prozent wurde bald auf 40 Prozent verringert, ab 2009 galten 30 Prozent. Mit der jüngsten Reparatur-Novelle vom vergangenen Freitag wurde sie noch einmal reduziert –
20 profil 28 • 8. Juli 2013
Persönliches Exemplar von k.brandstetter@aon.at, alle Rechte vorbehalten. Nutzungsbedingungen unter www.kiosk.at
Andreas Hartenthaler-Dallinger Ich bin mit dem Sparefroh aufgewachsen und habe darauf vertraut, dass eine staatliche Förderung und Garantie etwas wert sind. Nun ist meine garantierte Pension ziemlich tief gefallen und die Prämien sind deutlich gestiegen.
Persönliches Exemplar von k.brandstetter@aon.at, alle Rechte vorbehalten. Nutzungsbedingungen unter www.kiosk.at
8. Juli 2013 • profil 28 21
T itel
Herbert Dworak Meine von der Bank zugesagte Firmenpension ist um ein Drittel niedriger als versprochen. Dieser Pensionsraub soll der Dank für jahrzehntelange, harte Arbeit sein?
Max Arbesser Als ehemaliger Bankmanager muss ich nun zusehen, wie das Geld in meiner Pensionskasse schrumpft. Die Verluste betragen mittlerweile fast 50 Prozent. Wir Firmenpensionsten wurden über den Tisch gezogen.
und zwar je nach Alter des Polizzeninhabers: Je jünger, desto mehr Aktien. Experten wie Wirtschaftsforscher Thomas Url hielten von Beginn an wenig von der Idee: „Die Verquickung von Privatpensionsförderung und der Belebung des Kapitalmarkts konnte nicht funktionieren. Es war fast unverantwortlich, einen Anteil von 40 Prozent heimischer Aktien vorzuschreiben.“ Die Vorgabe engte das Wirken der Fondsmanager ein und trieb die Kosten in die Höhe. Auch die Kapitalgarantie verteuerte die Zukunftsvorsorge. Dazu kamen hohe Kosten für Verwaltung und Marketing. Ein Fünftel des Kapitals war aufgefressen, bevor es zur Veranlagung kam. Wenig überraschend, befindet sich heute in vielen Fonds weniger, als die Inhaber der Polizzen eingezahlt haben. Sie sitzen nun, nach zehn Jahren, auf dem garantierten Kapital plus staatlicher Förderungen. „Über die Laufzeit bleibt eine Rendite von 0,4 bis 0,5 Prozent“, sagt Walter Hager, Finanzexperte des Vereins für Konsumenteninformation (VKI). Die Schlagworte „garantiert“ und „gefördert“ hatten das Geschäft mit der Angst vor der Altersarmut beflügelt. Laut Hager ließ so mancher Anbieter die Kunden in der irrigen Annahme, die 9,5 Prozent Prämienförderung seien so etwas wie eine Verzinsung: „Was wir bei Testkäufen erlebt haben, war abenteuerlich.“ Seit 2003 wurden 1,6 Millionen Polizzen verkauft. Über 90 Prozent der Verträge laufen bei einer Versicherung, der Rest bei Fondsgesellschaften. Nun werden die ersten fällig, und Hager stellt sich auf Schlangen vor dem Beschwerde-Schalter und lange Gesichter ein. Nach dem Sparpaket im Vorjahr war von der Förderung weniger als die Hälfte übriggeblieben (4,25 Prozent) und die Wirtschaftskrise 2008, 2009 hatte einen Teil der Aktienfonds weggeschmolzen. „Die meisten Kunden steigen jetzt mit einem Minus aus, wenn man die Inflation abzieht“, sagt Hager. „Ausgestoppt“ nennen Fachleute diese Verträge. Die Aktienfonds waren mit Derivaten gegen Kursverluste abgesichert worden. Als die Börsen sich nach dem Crash erholten, hatten die Derivate viele Mittel gebunden. Für Aktien blieb oft nichts mehr übrig. SPÖ-Finanzsprecher Christoph Matznetter hat bereits einen Blick auf ablaufende Zukunftsvorsorge-Verträge geworfen: „Sie haben zehn bis 20 Prozent verloren.“ Er selbst hütete sich seinerzeit, einen zu unterschreiben: „Ich bin Steuerberater – wäre ich darauf hineingefallen, müsste ich mich besachwaltern lassen.“ Die Feiern zum zehnjährigen Geburtstag der Zukunftsvorsorge werden wohl eher entfallen. Auch das erste Jahrzehnt der Abfertigung neu wurde recht verhalten begangen. Das 20-jährige Jubiläum der Pensionskassen sowieso. Ist es doch allen drei Instrumenten gelungen, das System von privaten Pensionen nachhaltig in Verruf zu bringen. n
22 profil 28 • 8. Juli 2013
Persönliches Exemplar von k.brandstetter@aon.at, alle Rechte vorbehalten. Nutzungsbedingungen unter www.kiosk.at
Persรถnliches Exemplar von k.brandstetter@aon.at, alle Rechte vorbehalten. Nutzungsbedingungen unter www.kiosk.at
österreich
Wem die Viertelstunde schlägt
gepa pictures/christian orth
Finanziell ausgelaugt, sportlich Regionalklasse – Rapid Wien bleibt dennoch unsterblich. Dank der lebenserhaltenden Maßnahmen roter Spitzenpolitiker.
Edlinger, Darabos Rapid ist eine Religion – und die Fetzenlaberl-Sektion der Wiener SPÖ
Von Gernot Bauer
E
in echter Fan weiß, wann seine Leidenschaft ausbrach. Norbert Darabos war knapp 13, als er am 10. Mai 1977 mit seinem Vater das erste Fußballspiel im neu errichteten Gerhard-Hanappi-Stadion – damals noch „Weststadion“ – in Wien-Hütteldorf sah. Der SK Rapid Wien schlug die Austria 1:0. Erwin Rasinger war zu diesem Zeitpunkt 25 Jahre alt und stand knapp vor dem Abschluss seines Medizinstudiums. Als Bub pilgerte Rasinger regelmäßig auf die legendäre Pfarrwiese, die frühere Rapid-Spielstätte. Peter Pilz, geboren 1954 in Kapfenberg, studierte 1977 Volkswirtschaft an der Universität Wien. Neben dem Marxismus huldigte er einer weiteren Glaubenslehre: „Ich war schon ein Grüner, bevor ich einer wurde.“ Im Parlament sitzen die Abgeordneten Darabos (SPÖ), Rasinger (ÖVP) und Pilz (Grüne) in verschiedenen Klubs. Sportlich vereint sie ein grün-weißer: der SK Rapid Wien. Der rote Bundesgeschäftsführer, der schwarze Gesundheitssprecher und der grüne Chefaufdecker sind allesamt Mitglieder im Kuratorium des Rekordmeisters. Und alle verweisen dieser Tage darauf, dass das 40-köpfige Gremium rein beratende Funktion hat – und selbstverständlich keinen Einblick in die Gebarung des Vereins. Die Klarstellung ist verständlich. Der SK Rapid Wien steckt in der schwersten Krise seiner jüngeren Geschichte. Die Vereinskassa ist leer, der mit Amateuren aufgestockte Spielerkader hat teilweise Regionalliga-Ni-
veau. Angesichts der prekären Lage sind keine Neuverpflichtungen für die neue Saison möglich. Der gewünschte Neubau des Hanappi-Stadions ist unwahrscheinlicher als der Gewinn der Champions League innerhalb der nächsten drei Jahre. Wäre Rapid Wien ein normaler Verein, könnte die Bundesliga früher oder später aktive Sterbehilfe durch Verweigerung der Lizenz leisten. Doch Rapid ist bekanntlich eine Religion und hat daher wie alle Glaubenslehren kein Ablaufdatum – dank lebenserhaltender Maßnahmen roter Spitzenpolitiker. Trotz politisch bunter Zusammensetzung der Gremien ist der proletarische SK Rapid – mehr noch als die bürgerlich angehauchte Austria – de facto eine Fetzenlaberl-Sektion der Wiener SPÖ. Neben Norbert Darabos und Staatssekretär Andreas Schieder ist auch Vizebürgermeisterin und Finanzstadträtin Renate Brauner Mitglied des Kuratoriums. „Rein als Privatperson und eingefleischter Rapid-Fan“, wie Brauner auf Anfrage ausrichten lässt. Präsident des Vereins ist seit 2001 einer von Brauners Vorgängern als Finanzstadtrat: Rudolf Edlinger. Die Finanzen von Rapid sind dem früheren SPÖ-Finanzminister (1997 bis 2000) freilich entglitten. In der Saison 2011/2012 kickte Rapid laut „Kurier“ bei einem Jahresbudget von rund 20 Millionen Euro einen Verlust von 3,3 Millionen ein. Das negative Eigenkapital belief sich auf 1,8 Millionen Euro. Für die heurige Saison dürfte sich immerhin ein minimales Plus von 250.000 Euro ausgehen.
24 profil 28 • 8. Juli 2013
Persönliches Exemplar von k.brandstetter@aon.at, alle Rechte vorbehalten. Nutzungsbedingungen unter www.kiosk.at
Das Geschäftsfeld Profi-Fußballverein ist in Österreich überaus zäh. Spielergehälter belasten die Bilanzen, die Einnahmen aus TV-Lizenzen und Sponsor-Verträgen sind angesichts der Größe des Landes und der Bedeutung der heimischen Bundesliga beschränkt. Und selbst ein Kultklub wie Rapid mit hohen Besucherzahlen lukriert aus dem Ticketverkauf nur 1,5 Millionen Euro jährlich. Freilich erinnert die Finanzgebarung von Rapid Wien an das Schuldenmanagement der früheren Salzburger Landesregierung. So wie die langjährige rot-schwarze Koalition an der Salzach mit fixen Erträgen aus den Millionenveranlagungen der Landes-Finanzabteilung rechnete, kalkuliert auch die grün-weiße Vereinsführung in Hütteldorf mit jährlichen Zusatzeinnahmen von zumindest zwei Millionen Euro durch die erhoffte, aber nicht immer realisierte Teilnahme an internationalen Bewerben. Der negative Saldo aus Kauf von teuren und Verkauf von billigeren Spielern belastete den Vereinsetat zusätzlich. Und hat man kein Glück, kommt im Sport bekanntlich noch Pech dazu: Erst in der Vorwoche verlor Rapid mit dem Mobilfunker Orange – aufgrund der Übernahme durch Drei – einen Hauptsponsor und damit 1,4 Millionen Euro. Schon zuvor hatte die OMV ihren Jahresbeitrag in Höhe von 1,8 Millionen Euro massiv gekürzt. Dass der Verein einerseits Sponsoren verliert, andererseits keine neuen gewinnt, liegt auch an den Glaubenskriegern der Rapid-Religion. Im Derby gegen die Austria
2011 stürmten die sogenannten Ultras – chen Mitteln halten Edlinger und die GeHardcore-Fans der Westbühne – das Spiel- schäftsführung des städtischen Energieverfeld. Beim Auswärtsspiel gegen PAOK Sa- sorgers wenig. Die Höhe des Sponsorings loniki im August 2012 lieferten sie sich mit bleibt ein Geschäftsgeheimnis. Insider gegewalttätigen griechischen Fans regelrech- hen von bis zu 2,5 Millionen Euro aus. te Schlachten. Zu Edlingers aktiver Zeit als Politiker Auch wenn „Rapid“ die wohl stärkste funktionierte das Modell des politisch inMarke des österreichischen Mannschafts- duzierten Zwangssponsorings deutlich bessportwesens darstellt – Fanausschreitun- ser. Laut langjährigen Mitgliedern des Ragen schädigen das Image massiv. Kuratori- pid-Kuratoriums hielt der ehemalige Chef umsmitglied Norbert Darabos: „Ich selbst (1995 bis 2000) der Bank Austria, Gerhard hätte zwei potenzielle Sponsoren für Rapid Randa, wenig von der Werbewirksamkeit gewonnen, die nach den Vorkommnissen seines Unternehmenslogos auf den Dreswieder abgesprungen sind, weil sie nega- sen des SK Rapid. Doch aufgrund des Eintive Schlagzeilen befürchteten.“ flusses der Wiener SPÖ auf die frühere städDass unter Rudolf Edlingers Regime die tische Zentralsparkasse konnte sich Randa Vereinsführung allzu nachsichtig gegen- Wünschen aus dem Rathaus kaum entzieüber den Ultras war, ist im Kuratorium na- hen. Vier Millionen Euro überwies die Bank hezu Konsens. Ein Mitglied: „Angesichts Austria jährlich auf das Vereinskonto von des Ausmaßes der Verbrüderung der Ver- Rapid Wien. Bei finanziellen Engpässen soll einsführung mit radikalen Fans konnte die Bank – auf Anregung des damaligen Fiman bisweilen nicht mehr klar sagen, wer nanzstadtrats Rudolf Edlinger – kurzfristig die Entscheidungsgewalt bei Rapid hat.“ mit Sonderfinanzierungen eingesprungen Norbert Darabos sieht Versäumnisse beim sein. Edlinger dementiert: „Das AktiengeKlub: „Die Austria hatte ähnliche Proble- setz stellt ganz klar fest, dass ein Vorstand me mit weit rechts stehenden Fans. Aber weisungsunabhängig ist. Ich habe als Stadtdort hat die Vereinsführung entschlossen rat nie für den Verein interveniert.“ aufgeräumt und kompromisslos StadionEdlinger wird im November wie geplant verbote erteilt.“ als Rapid-Präsident abdanken. Der logische Dank der Beziehungen zum Rathaus Nachfolger, Kuratoriumsvorsitzender Dietkann der SK Rapid Wien den Ausfall pri- mar Hoscher, Vorstandsmitglied der Casivater Sponsoren durch das Anzapfen öf- nos Austria und früherer SPÖ-Nationalratsfentlicher Quellen zumindest teilweise abgeordneter, sagte im Juni ab – dem Verkompensieren. Einzig verbliebener Haupt- nehmen nach aufgrund des Ausmaßes der mäzen des Vereins ist die gemeindeeigene Finanzprobleme und der chaotischen ZuWien Energie. Dass ein stände in der VereinsorMarktbeherrscher wie ganisation. Als Favorit gilt der städtische Stromvernun der Xerox-Manager sorger einen FußballDie Wurzeln der Grün-Weißen sind und Ex-Ligakicker Erich klub sponsert, ergibt Kirisits. rot. Der SK Rapid Wien wurde 1899 werbetechnisch nur beGeht es um Rapid, akgegründet, hervorgegangen aus dem dingt, politisch aber zeptierten Edlinger und 1. Wiener Arbeiter Fußballklub. Die umso mehr Sinn – Erfolgsbilanz: 32 Mal Meister (zuletzt die SPÖ auch weniger schließlich sind Fuß2007/2008), 14 Mal Pokalsieger, Euro- sympathische Geschäftsballfans auch Wähler. partner. So pumpte der pacup-Finalist der Pokalsieger 1985 Wo keine offizielle öfEurofighter-Hersteller und 1996, Champions-League-Teilfentliche Förderung beEADS zwischen 2005 und nehmer 1996/1997 und 2005/2006. steht, wird eben über Bei Rapid kickten Legenden wie Josef 2007 kolportierte fünf die Bande subventioMillionen Euro in den Uridil, Franz Binder, Walter Zeman, niert. Rapid-Präsident Verein – offiziell zur FörErnst Happel, Franz Hasil, Hans Edlinger kontert: „Der derung der Jugendarbeit. Krankl und Andreas Herzog. SprichWerbewert für Wien Aus Sicht der EADS-Lobwörtlich ist der Rapid-Kampfgeist – Energie ist doppelt so vor allem in der letzten Viertelstunde. byisten dienten die Sponhoch wie die eingesetzsormillionen freilich als Das Planbudget des Vereins beträgt ten Sponsorgelder.“ Laut Goodwill-Versuch zur Be19,5 Millionen Euro. Die Hälfte Wien Energie gebe es sänftigung der Eurofighstammt von Sponsoren, der Rest aus keinen politischen ter-Gegner in der SPÖ. TV-Rechten, Merchandising, TicketDruck zum Sponsoring. Eine Gegenleistung für verkauf und Spielertransfers. SpielVon Transparenz im das Sponsoring wurde von stätte ist das sanierungsbedürftige Umgang mit öffentliHanappi-Stadion in Wien-Hütteldorf. Rapid nicht verlangt. n
SK Rapid Wien
Neun Wochen
Wie Internetmobbing bei einer 14-jährigen Steirerin dazu führte, dass sie zustach und nun wegen versuchten Mordes in Untersuchungshaft sitzt.
Von Christa Zöchling Fotos: Monika saulich
I
n der ehemaligen Krisenregion in der Obersteiermark bahnt sich ein Justizskandal an: Ein junges Leben ist im Begriff ruiniert zu werden, weil Schul- und Denkstrukturen noch aus dem vorvorigen Jahrhundert stammen und die Welt der Erwachsenen nichts mitbekommt vom Treiben ihrer Kinder auf Facebook & Co, keine Ahnung hat von Shitstorms, pubertärer Gewaltsprache und Ausgeliefertsein in der Parallelwelt des Internet. Vor neun Wochen, am Morgen des 7. Mai 2013, war es in der Theodor-Körner-Schule in Kapfenberg zum Showdown gekommen. Bei den Kontrahenten handelte es sich um Mona G., die erst im Februar dieses Jahres an die Hauptschule gekommen war, und einen Jungen, der die Klasse mehr oder weniger in Schach hielt, sich auf Facebook als der „Größte“ feiern ließ und einen entsprechenden Nickname gewählt hatte. Nennen wir ihn „King Kevin“. Ein paar Tage zuvor war ein über Wochen im Internet ausgetragener Konflikt aus dem Ruder gelaufen. Mona G. sollte am 12. Mai in einer betreuten JugendWohngemeinschaft in Graz untergebracht werden und hatte Angst, ihre Freunde in Kapfenberg zu verlieren. Sie postete das auf Face-
Persönliches Exemplar von k.brandstetter@aon.at, alle Rechte vorbehalten. Nutzungsbedingungen unter www.kiosk.at
8. Juli 2013 • profil 28 25
ö sterrei c h
book. Sie zeigte Schwäche. „King Kevin“ attackierte seine Klassenkameradin danach heftiger als jemals zuvor – als „emo-bitch“, Hure und Drogensüchtige. Er drohte, er werde sie „zaficken“, sie „aufschlitzen“, ihr einen Sessel auf den Schädel hauen, sie beim Fenster hinauswerfen. Sie solle sich „aufhängen“. Sie sei ein „Opfer“. Seinen Freunden „gefällt das“. „King Kevin“ verhöhnt auch Monas Eltern und stichelt, er habe wenigstens einen Vater. Das bringt das Mädchen endgültig ins Schleudern. Sie war eineinhalb Jahre alt, als der Vater die Familie verließ. Er kümmert sich kaum. Sie vermisst ihn. Das sei jetzt „ eines zu viel“ gewesen, simst sie zurück. Er werde schon sehen. Wer so über ihren Vater schreibe, den werde sie „aufschlitzen“, kündigt sie per SMS an. Ein „Friedensangebot“ von „King Kevin“ lehnt Mona G. ab. Das geschah am Vorabend der Tat. Mitschüler von Mona und Kevin verfolgten die Auseinandersetzung der beiden über WhatsApp, kommentierten, beschwichtigten oder heizten den Konflikt an. Es ist der 7. Mai, halb neun Uhr. In der Pause nach der ersten Schulstunde herrscht dicke Luft. Mona G. hat sich in der Schultoilette ein Jausenmesser von daheim in den Ärmel geschoben, geht nun schnurstracks auf „King Kevin“ zu und stellt ihn zur Rede. Doch er reagiert nicht, tut, als ob ihn das alles nicht anginge. Sie reißt ihm die Baseballkappe vom Kopf. Er versetzt ihr einen Fußtritt in den Bauch. Das zarte Mädchen taumelt gegen ein Pult, „King Kevin“, der einen Kopf größer ist und kräftig, stürzt sich mit voller Wucht auf seine Widersacherin, nimmt sie in den Schwitzkasten, ihren Kopf unter seinen Arm, drückt sie nach unten und schleift sie durch den Raum zum Ausgang. Mit einer Hand gelingt es Mona G., das Messer aus ihrem Ärmel zu ziehen. Sie sticht zu. „King Kevin“ hat Glück. Innere Organe sind nicht verletzt. Nach drei Tagen kann er das Krankenhaus verlassen. Hinter Mona G. ist an diesem Tag eine Tür ins Schloss gefallen. Die 14-Jährige teilt ihre Zelle in der Justizstrafanstalt Leoben mit einer erwachsenen Frau, die wegen schweren Raubes eine Haftstrafe abbüßt. Die Stunden sind endlos. Das Mädchen hat nichts zu tun, außer zu warten. Auf eine weitere Haftprüfung,
JUSTIZSTRAFANSTALT LEOBEN Ihre Familie kann die 14-Jährige nur hinter einen Glaswand treffen.
THeodor-KörnerSchule in KAPFENBERG Direktorin und Lehrerschaft verweigern jede Stellungnahme.
26 profil 28 • 8. Juli 2013
Persönliches Exemplar von k.brandstetter@aon.at, alle Rechte vorbehalten. Nutzungsbedingungen unter www.kiosk.at
„Das Oberlandesgericht möge die U-Haft gegen Anordnung gelinderer Mittel aufheben.“ Christine Schneidhofer, Anwältin von Mona G.
auf die Gutachterin, auf ihre Anwältin, auf Mutter, Opa oder Oma. Insgesamt sechs Stunden in der Woche dürfen engste Familienangehörige sie besuchen. Ihren Freunden ist es untersagt, sie zu sehen. Handy und Internet sind verboten – was heutige Jugendliche wohl als Isolationshaft empfinden. Seit neun Wochen ist Mona G. auf sich allein gestellt. Keiner, der das Mädchen an sich drückt, ihr übers Haar streicht, ihr ins Ohr flüstert, es werde alles gut. Ihre Familie sieht Mona nur hinter einer Glasscheibe. Gesprochen wird übers Telefon. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Mona G. wegen des Verdachts auf versuchten Mord. Mona G. habe „King Kevin“ „vorsätzlich töten“ wollen. Es sei „dem Zufall zu verdanken, dass er nicht zu Tode kam“. Mona G. habe sich „nicht gewehrt“, als sie in den Schwitzkasten genommen wurde, „sondern unvermittelt zugestochen“, so steht es im Beschluss der Haftprüfung. Bei Mordversuch ist die Untersuchungshaft obligatorisch. Aber auch andere Haftgründe seien nicht auszuschließen, meint der Staatsanwalt. Es sei zu befürchten, dass die Beschuldigte auf freiem Fuß „neuerlich eine strafbare Handlung mit schweren Folgen begehen“ würde, die „auf derselben schädlichen Neigung beruht“. Die Untersuchungshaft wurde vorläufig bis 21. August verlängert. Nachteile für die Persönlichkeitsentwicklung der 14-Jährigen müsse man in Kauf nehmen, die „stehen nicht außer Verhältnis“, meinen Staatsanwalt und Haftrichterin. Eine therapeutische Begleitung des Mädchens wurde abgelehnt. Jörg Ebner-Schwarzenegger, Streetworker in Kapfenberg, der die Angelegenheit aus der Ferne kennt, findet die Verhängung der U-Haft „furchtbar“ und meint: „Das mag ein Staatsanwalt in seiner Abgehobenheit so sehen. Vielleicht weiß er nicht, wie bei Jugendlichen Affektkontrolle funktioniert. Mit dem Messer wollte Mona G. wohl beeindrucken und einschüchtern. Es war ein lange schwelender Konflikt, in dem sich beide Kinder nichts schuldig geblieben sind.“ Es wird berichtet, Mona G. sei in der Justizstrafanstalt ganz nach innen gekehrt und würde kaum Regungen zeigen. Man halte sie für bockig und uneinsichtig. Bei einem Lokalaugenschein, der
Persönliches Exemplar von k.brandstetter@aon.at, alle Rechte vorbehalten. Nutzungsbedingungen unter www.kiosk.at
8. Juli 2013 • profil 28 27
österreich
„Die U-Haft für Mona G. finde ich furchtbar. Vielleicht weiß der Staatsanwalt nicht, wie Affektkontrolle bei Jugendlichen funktioniert.“ Jörg Ebner-Schwarzenegger, Sozialarbeiter
klären sollte, was am 7. Mai im Klassenzimmer passiert ist, hat es Mona G. „gerissen und geschüttelt. Sie war nicht in der Lage, die Tat noch einmal vorzuführen“, sagt ihre Anwältin Christine Schneidhofer. Im Polizeiprotokoll heißt es, die Beschuldigte sei zwar geständig, habe an der Aufklärung der Tat jedoch nicht mitgewirkt. Der Anwalt des Opfers, Harald Terler meint, die U-Haft sei „schon hart, doch es ist eine Grenze überschritten worden“. Was Mona G. in den vergangenen Monaten im Internet ertragen musste, war brutal, ist aber an österreichischen Schulen allgegenwärtig. Die Schule in Kapfenberg, in der sich das Drama ereignete, bunkert sich ein. Die Direktorin und die Lehrerschaft verweigern jede Stellungnahme gegenüber der Öffentlichkeit. Sie ist auf ihren Ruf bedacht. Die Schule soll eine Zukunft haben. Ab kommendem Herbst wird sie als neue Mittelschule geführt. Der in den 1950erJahren errichtete Flachbau mitten in einer Arbeiterwohnsiedlung wirbt mit grünen Wiesen, farbigen Wandpaneelen und Eichkätzchen, die den Kindern beim Lernen zuschauen. Überall hängen Plakate, die von Toleranz, Respekt und höflichem Umgang künden. Handys sind ebenso verboten wie Energydrinks und Coca-Cola. Und doch beginnen die meisten Schüler schon in der ersten Schulstunde, sich über ihre Smartphones an Shitstorms zu beteiligen. Schulpsychologin Heike Ebner-Ornig, die nicht der Schulhierarchie untersteht und einmal in der Woche eine Sprechstunde an der Theodor-Körner-Schule abhält, berichtet von „massiven Bedrohungen und Abwertungen unter Kindern“ – ein Phänomen, das nicht nur an dieser Schule üblich sei. Klaus Strassegger, Experte für CyberMobbing, hatte noch zu Weihnachten an der Theodor-Körner-Schule über die Gefahren sozialer Netzwerke referiert – gewarnt, dass alles, was dort hineingestellt werde, niemals verschwinde. Den erhobe-
nen Zeigefinger, die Verteufelung des Internet findet er falsch. Kinder trauten sich meist nicht, ihren Eltern von ihren Mobbingproblemen zu erzählen, weil sie befürchten, dass ihnen dann das Smartphone weggenommen werde, sagt Strassegger. Mona G. ist ein Kapfenberger Kind, das ohne Geschwister aufwuchs. Ihre alleinerziehende Mutter geht einem kreativen, anstrengenden Beruf nach. Mona G. verbrachte viel Zeit bei ihren Großeltern. Sie war bei der Freiwilligen Feuerwehr in Kapfenberg aktiv, beim Roten Kreuz, Mitglied bei der Kapfenberger Stadtkapelle und beim Turnverein. Vor wenigen Wochen noch ist sie zur Jugendgruppe des Roten Kreuzes gekommen. Mona G. ging einmal ins Gymnasium in Kapfenberg. Sie war eine gute Schülerin. Doch mit dem Frühlingserwachen begann das Schulschwänzen, pubertätstypische Reibereien mit der Mutter setzten ein. Keiner wusste, wer ihre neuen Freunde waren, mit wem sie sich in der Freizeit traf, was sich im Internet abspielte. Ein Abgrund der Entfremdung tat sich auf. Sie war 13 Jahre alt, als sie einen Jungen kennenlernte, in den sie sich verliebte. Alle sollten es wissen: auf Facebook, WhatsApp und in anderen sozialen Netzwerken. Der Junge war älter als sie. Der Freundeskreis veränderte sich. Mona fühlte sich Gleichaltrigen überlegen, und sie war es wohl auch. Sie blieb manchmal über Nacht weg. Alles, was sie tut, spiegelt und verstärkt sich nun in der Parallelwelt des Internet. Hatten es Außenseiter immer schon schwer, geraten sie im Internetzeitalter in eine Hölle totalitärer und lückenloser Ächtung durch Gleichaltrige, in der es keinen Rückzugsort und Ausweg mehr gibt. Auf Facebook heißt es nun: Mona rauche, trinke und ficke. Sie solle sich von der Schule „schleichen“. Sie sei eine „Schlampe“ und eine „Hua“. Die Kinder geben Beschimpfungen im tiefsten Dialekt wieder, gespickt mit Rechtschreibfehlern, überhaupt nur zu verstehen, wenn man sie laut vor sich hersagt. „Du bist anfoch nua hässlich! (…) Im Bus sitz i meistns hinter dia & hea wie du übers fickn redest.“ Mona ist in keiner guten Verfassung. Sie postet zurück, man sei wohl eifersüchtig auf ihr Leben. Auch sie bedient sich einer hässlichen Dialektsprache. Ihre Mutter hat sich um Erziehungshilfe an die Jugendwohlfahrt gewandt. Im Spätherbst 2012, an einem Tag der offenen Tür
28 profil 28 • 8. Juli 2013
Persönliches Exemplar von k.brandstetter@aon.at, alle Rechte vorbehalten. Nutzungsbedingungen unter www.kiosk.at
am Gymnasium in Kapfenberg, steht Mona G. provokant rauchend im Schulhof und liefert sich mit einer Lehrerin ein Wortgefecht. Sie wird vom Gymnasium verwiesen und kommt mitten im Schuljahr an die Hauptschule. Es ist auch ein sozialer Abstieg. In der neuen Klassengemeinschaft trifft sie auf „King Kevin“, den Anführer der Klasse, älter als die anderen, ein allseits bekannter schwieriger und verhaltensauffälliger Kerl, der gern provoziert, vor dem alle Angst haben. Schon in den ersten Tagen geraten die beiden aneinander. Mona G. ist frech und lässt sich nichts gefallen. Er nimmt sie – damals schon – in den Schwitzkasten, sie droht mit ihrem Feuerzeug. Die Aggression verlagert sich bald vom Klassenzimmer ins Internet. „Jeder der beiden wollte der Chef der Klasse sein“, gab eine Mitschülerin bei den Tatermittlungen der Polizei gegenüber an. „King Kevin“ war Chef der Klasse, weil er ein entsprechendes Auftreten hatte. Er drohte, Mitschüler zu verprügeln, wenn sie etwas gegen ihn sagten, erzählte ein anderer. Mona G. gab in Polizeigewahrsam – ohne Beisein eines Anwalts oder einer Vertrauensperson an: „Während er mich zu Boden drückte, (…) stach ich unter meiner linken Hand nach hinten. Ich habe nicht bewusst nach XY gestochen, sondern wollte mich lediglich wehren, um aus dem Griff zu entkommen.“ „King Kevin“ sagte: „Ich bin vom Sessel gesprungen, zu ihr hin und habe Mona in den Schwitzkasten genommen. Ich habe sie dann nach hinten geschoben und wollte sie aus der Klasse befördern. (…) Ich hatte Mona die ganze Zeit im Schwitzkasten. (…) Sie hat sich eigentlich überhaupt nicht gewehrt, sie hat auch nichts gesagt.“ Im Internet wurde die Tat von den Jugendlichen gefeiert und verdammt. „Jeder Mensch macht mal Fehler und wenn ich ganz ehrlich bin würde ich es auch machen, wenn ich so was unterstellt bekomme. Es ist nicht okay so was zu machen aber wenn man psychisch so belastet ist findet man manchmal keinen anderen Ausweg. Kümmert euch um euren Scheiß. Sie wird ihre Strafe bekommen. Wenigstens mal eine Frau die sich gegen so was wehren kann und auch gemacht hat. Gute Besserung an den Verletzten.“ Die meisten Postings waren weniger pädagogisch. Von einem Mordversuch ging keines aus. n
Elfriede Hammerl elfriede.hammerl@profil.at www.elfriedehammerl.com
Homemade
In den Familien wird zu wenig gekocht, heißt es. Und zwar von wem genau?
N
eulich im Radio: Eine Moderatorin und eine Ernährungsexpertin plaudern über die Bedeutung gesunden Essens. Viel ist die Rede von der Wichtigkeit des selber Kochens und davon, dass in den Familien kaum noch gekocht werde. Statt sich der Nahrungszubereitung zu widmen, würden die Menschen vor dem Fernseher sitzen. Mittlerweile gäbe es Jugendliche, die nur noch Kantinenessen kennen würden: Kindergartenkantine, Schulkantine, demnächst Firmenkantine. So wie das gesagt wird, hört es sich ziemlich schrecklich an. Man sieht bedauernswerte junge Leute vor sich, krank von minderwertigem Fraß, geschmacksgeschädigt durch Chips, Fertig-Pommes und picksüße Limonaden. Das Bild ist realistisch, keine Frage, die Ernährungsgewohnheiten – aber auch Ernährungsmöglichkeiten – großer Bevölkerungsgruppen sind tatsächlich reformbedürftig, trotzdem kommt Ärger auf bei dem ständigen medialen Geseufze (die beschriebene Radiosendung ist ja kein singulärer Ausreißer) über angeblich verlorengegangene Kochkünste und Esstraditionen. Wer oder was ist denn konkret gemeint, wenn geklagt wird, dass in den Familien nicht mehr gekocht würde? Wer sind die Menschen, die angeblich lieber vor dem Fernseher sitzen statt in der Küche Gemüse zu schnipseln und Rouladen zu dünsten? Pflichtvergessene Hausangestellte? Honorige Familienväter, die nicht wie einst die Küchenschürze umbinden und an den Herd eilen, sobald sie aus dem Büro heimkehren? Oder doch wieder einmal die Hausfrauen und Mütter? Und welches Mutterbild wird beschworen, wenn gefordert wird, dass Kinder selbst Zubereitetes essen sollen statt Großküchenfutter? Das der tüchtigen Buchhalterin, die in der Mittagspause heimeilt, um ihren Nachwuchs mit frisch zubereitetem Steinpilzrisotto zu füttern oder das der 1950er-Jahre-Mutti, die ihre Küche nur verlässt, um auf dem Markt die schönsten Fisolen zu ergattern? Ich zweifle wie gesagt nicht daran, dass auf dem Ernährungssektor viel im Argen liegt. Wenn ich bei den Supermarktkassen sehe, was sich in manchen Einkaufswagen türmt, kriege ich schon vom bloßen Hinschauen Gallenanfälle und einen Zuckerschock, wobei die Warenauswahl im Übrigen zeigt, dass selbst Gekochtes keine Garantie für Bekömmliches ist – die Grillwürstel und das fette Schweinerne, die da demnächst daheim, in den Familien, verwertet werden, fallen sicher nicht unter frisch & ausgewogen. Daher: Aufklärung ja. Ernährungslehre und Kochunterricht an den Schulen: überaus wünschenswert. Aber passen wir um Himmels willen auf, dass dabei nicht Rollenbilder beschworen werden, die wieder einmal zulasten der Frauen gehen. Keine Frauen-an-den-Herd-Politik (auch wenn das die Arbeitslosenstatistik schönen würde)! Nicht
kritisieren, dass in den Familien nicht mehr gekocht wird, sondern gesünderes Essen in den Kindergärten, an den Schulbuffets, in den Firmenkantinen verlangen! Bessere Großküchen fordern beziehungsweise kleinere Schul- und Firmenküchen statt Fließbandkost vom Giganto-Zulieferer! Halten wir einmal fest: Täglich frisch zubereitete Nahrung im Klein-Haushalt anzubieten erfordert einen nicht zu unterschätzenden Aufwand an Zeit und Arbeitskraft. Ja, es gibt Gerichte, die relativ schnell hergestellt sind, trotzdem ist es eine Augenauswischerei, wenn so getan wird, als ließe sich die ausgewogene Verköstigung einer mehrköpfigen Familie mit selbst Geköcheltem spielend und nebenbei erledigen.
D
as Delegierenkönnen ist ein Fortschritt, weil es den einzelnen Haushalt entlastet. Die arbeitsteilige Gesellschaft wäre im Prinzip ja eine vernünftige Erfindung, sie setzt Energien frei und ermöglicht theoretisch, dass Menschen sich auf Tätigkeiten konzentrieren können, für die sie einigermaßen talentiert sind. Praktisch ist dabei, zugegeben, einiges schief gelaufen. Gift in Lebensmitteln, Gift in Kleidungsstücken, dazu Ausbeutung und Sklaverei bei der Herstellung, das alles wird zu Recht angeprangert. Aber was folgt daraus? Dass der einzelne Haushalt möglichst zum Selbstversorger werden soll, wo vom Erdäpfelanbau auf dem Balkon bis zum Weben der Kleiderstoffe nichts mehr nach außen abgegeben wird? Wird irgendwie nicht zu machen sein und wäre auch unlustig, denn es besteht ein gewaltiger Unterschied zwischen Stricken und Basteln als Hobby und einem täglichen Zwang, für die gesamte Grundversorgung zuständig zu sein. Natürlich soll in den Familien gekocht werden und zwar durchaus mit Lust, Freude und Sachkenntnis, aber doch nicht deshalb, weil wir es als unumgänglich akzeptieren, dass in Kindergärten, an Schulen und an Arbeitsplätzen bloß minderwertiger Fraß angeboten wird. (Ein eigenes Kapitel sind übrigens die öffentlichen Spitäler, wo ebenfalls häufig schwer genießbare Kost serviert wird. Ein Verschulden der Angehörigen, weil sie kochen lassen, statt Selbstgebrutzeltes ans Krankenbett zu bringen?) Fernsehen statt Strudelteigausziehen ist jedenfalls nicht per se verwerflich. Verwerflich ist bloß ein Großteil der angebotenen Sendungen, aber auch hier heißt es: Qualität fordern statt Müll hinnehmen. n
Man könnte gesünderes Essen in Kindergärten, Schulbuffets und Firmenkantinen verlangen.
Persönliches Exemplar von k.brandstetter@aon.at, alle Rechte vorbehalten. Nutzungsbedingungen unter www.kiosk.at
8. Juli 2013 • profil 28 29
ö sterrei c h
Von Marianne Enigl
A
m. enigl
m ganzen Attersee gebe es keinen Ort wie diesen. Ein Paradies sei es gewesen. Ewig schade darum. Die Kommentare derer, die in diesen Tagen quer über den Traunsee nach Karbach am Ostufer kommen, sind einhellig. Die ambitionierten Festwochen Gmunden bewerben den Flecken als einen der schönsten Plätze im Salzkammergut. Sie bespielen unter anderem den Vierkanthof Thomas Bernhards in Ohlsdorf, das Schloss Ort und das nur per Boot oder stundenlangen Fußmarsch erreichbare Karbach. Im Vorjahr griff der Wiener Liedermacher Ernst Molden hier in die Saiten, auf den Holzbänken direkt am See saß auch Notenbank-Gouverneur Ewald Nowotny, schwärmte von der „Symbiose aus Karbach und Molden“. Heuer wird es damit nichts. Der Spielort am Wasser ist vom Stadtamt Gmunden zur Sperrzone erklärt worden, Moldens Auftritt wurde in die Hipphalle verlegt. Statt Konzertkarten und Einkehr bei Florian Vogl, dem „skurrilsten Wirten des Salzkammerguts“ (profil im Sommer 2010), erwartet Besucher der kleinen Halbinsel eine Steinhalde. Gesperrt ist auch der Steinbruch betrieb, der sich seit mehr als 100 Jahren in den dahinterliegenden Berg frisst. Bei der Flut Anfang Juni hat eine gewaltige Geröllmure den Platz verwüstet. Unter den vielen tausend vom Hochwasser und von Murenabgängen verheerten Häusern und Landstrichen ist Karbach eine marginale Größe. Doch es steht im Kleinen für die Suche danach, inwieweit Natur und wo menschliche Eingriffe Art und Ausmaß der Schäden verursacht haben (siehe auch Seite 37). Geologe Roman Lahodynsky von der Universität für Bodenkultur in Wien hatte bereits im vergangenen Herbst gewarnt. Neben der Naturgewalt des Wildbaches führte er eine Reihe „künstlich hervorgerufener Gefahrenquellen“ an: landschaftliche Eingriffe, fehlende Instandhaltung von Schutzbauten und deren möglicherweise widerrechtliche Verwendung. Der Steinbruchbetrieb (die Mineral Abbau GmbH des Strabag-Konzerns, Anm.) habe Rückhaltebecken für Geröll mit Feinschlamm gefüllt, bei Hochwasser fehle ihnen daher jede Schutzfunktion. Am Wildbach fand Lahodynsky Schlägerungsabfall und ganze Baumstämme, die zum Abtransport per Muren oder Bacherosion liegen gelassen werden. Waldeigner sind die Bundesforste.
Sperrzone
Karbach gilt als einer der schönsten Flecken im Salzkammergut. Bei der Jahrhundertflut wurde das Gebiet massiv in Mitleidenschaft gezogen. Dabei hatte ein Geologe frühzeitig vor Geröllmuren gewarnt. Die Folgerung des Geologen war eindeutig: „Angesichts der künstlichen Eingriffe und Unterlassungen sollte man im Katastrophenfall dann aber nicht von einem ‚Naturereignis‘ sprechen, da menschliches Handeln zumindest einen bedeutenden Beitrag geleistet hat.“ Gefährdet nannte er Arbeiter und Besucher all dessen, was inzwischen auf dem Mündungsplatz des Karbachs angesiedelt worden ist – die Gebäude des Steinbruchs und die Mole für Lastkähne, die den abgebauten Split und tonnenschwere Felsen über den Traunsee abtransportieren: Jagdhütte, Wirtshaus, Landungssteg eines Schiffahrtsbetriebs, Forststraße. Die Gefahreneinschätzung des Geologen hatte keines der zuständigen Ämter, sondern der kauzige Pächter des Jausenwirtshauses Vogl veranlasst. Seinen Gästen gilt er als eigensinniges Original, Institutionen als Querulant. Mit dem brisanten Papier in der Hand belagerte Vogl Amtsstuben so lange, bis die Bezirkshauptmannschaft Gmunden Ende März einen Lokalaugenschein anberaumte. Die Befunde der Experten waren eindeutig. Andreas
30 profil 28 • 8. Juli 2013
Persönliches Exemplar von k.brandstetter@aon.at, alle Rechte vorbehalten. Nutzungsbedingungen unter www.kiosk.at
Waltenberger, Amtssachverständiger für Wasserbautechnik, stellte fest, man habe „keinen ordnungs- beziehungsweise bescheidgemäßen Zustand“ vorgefunden. Die Mineral Abbau GmbH (im Jahr 2011 schrieb die Strabag-Tochter bei 16 Millionen Euro Umsatz 0,8 Millionen Euro Verlust) müsse die Rückhaltebecken für Geschiebe halbjährlich räumen, tatsächlich sei das zuletzt vor zwei Jahren gemacht worden. Der rote Schlamm im Rückhaltebecken, der den Traunsee verunreinigt und bei Hochwasser zur Rutschbahn für Fels wird, müsse laut ausdrücklichem Bescheid in ein eigenes Becken hochgepumpt werden. Wolfram Bitterlich von der Wildbach- und Lawinenverbauung ortete „sehr grobe Missstände bei den Verbauungen, aber auch im Karbach selbst“. Diese sollten dringend behoben werden, „um einer Zunahme des Gefährdungspotenzials für den Siedlungsraum am Schwemm kegel entgegenzuwirken“. Klaus Stifter vom Steinbruch-Unternehmen gab zu Protokoll, im Jahr 2012 sei die behördlich verfügte Räumung des Geschiebebeckens wegen geringen Anfalls
Karbach-Wirt Florian Vogl, Geröllhalde am Traunsee Amtsstuben mit der Gefahreneinschätzung belagert
nicht notwendig gewesen. Den Schlamm werde man „entsprechend den Vorgaben abtransportieren“. Bundesforste-Revierleiter Stefan Mößler sprach ebenfalls von nicht erlaubter Schlammdeponierung und gab zu Protokoll, seines Wissens werde der Karbach selbst regelmäßig von der Stadtgemeinde Gmunden begangen. Sie sei laut Forstgesetz für den Wildbach zuständig – auf Missstände habe sie nie hingewiesen. Der sintflutartige Regen brachte tatsächlich, was Geologe Lahodynsky befürchtet hatte: Am Sonntag, dem 2. Juni, wurden die idyllische Halbinsel völlig vermurt, die Hochwasserschutzmauer und eine Brücke zerstört sowie ein Betriebsgebäude des Steinbruchs unterspült. Wolfgang Gasperl, Chef der Wildbach- und Lawinenverbauung in Oberösterreich, hielt danach penibel fest, dass erste Sicherungsmaßnahmen vor Ort 1944 im Auftrag des NS-Reichsstatthalters und danach durch die Bundesforste sowie die Solvay-Werke erfolgten, die den Steinbruch 2005 an die StrabagTochter verkauften. Die Strabag sprach trotz der jüngst protokollierten Missstände und Rechtswidrigkeiten gegenüber profil von Unter- Roman Lahodynsky, stellungen, die Geologe man zurückweise. Auch Gutachter Gasperl erkennt nur noch ein Starkregen-Ereignis. Dieses habe Verbauungen zerstört und zu „sprunghafter Verschlechterung der Gefährdungssituation geführt“. Karbach sieht er ohne Schutzbauten nur noch für Bergbau nutzbar. Der Damm, den der Steinbruchbetrieb noch rasch vor der Flut aufgeschüttet hatte, hat laut Gasperl übrigens eines erreicht: „Er leitet die Stoßrichtung eventueller Muren in Richtung Süden, Zugang zum Tourismusbetrieb, ab.“ Genau diesen Weg hat die Mure genommen. Ob an einem der schönsten Plätze des Salzkammerguts nun nur noch ein Steinbruch bleibt oder auch das Refugium samt dem aufmüpfigen Wirt Florian Vogl, der in seiner Holzlaube US-Milliardär Larry Ellison wie jeden anderen Gast duzt, ist offen. Andreas Gruber von den Bundesforsten: „Uns gehören der ganze Traunsee und die Berge rundum. Wir sondieren jetzt in den See-Gemeinden das öffentliche Interesse am Tourismus in Karbach.“ Das Interesse der Gmundner Festspielgemeinde ist dem Ort jedenfalls sicher. n
„Angesichts der künstlichen Eingriffe sollte man im Katastrophenfall nicht von einem ,Naturereignis‘ sprechen.“
Persönliches Exemplar von k.brandstetter@aon.at, alle Rechte vorbehalten. Nutzungsbedingungen unter www.kiosk.at
Persรถnliches Exemplar von k.brandstetter@aon.at, alle Rechte vorbehalten. Nutzungsbedingungen unter www.kiosk.at
„Ich bin ein Ein-MannUnternehmen“ Kaiserenkel Karl Habsburg über seine politischen Ambitionen, seine Geschäfte in Bulgarien und seine Ehe.
rofil: Herr Habsburg, vor 14 Jahren haben wir beide ganz in der Nähe, in Ihrem Parteihauptquartier auf der Landstraßer Hauptstraße, ein Interview geführt. Ihre CSA erreichte bei den Wahlen 1999 dann 1,4 Prozent. Warum klappte es nicht? Habsburg: Im Verhältnis zu heute hatte eine Neupartei überhaupt keine Chance. Für mich war es damals ein echtes Anliegen. Ich bin kurz zuvor ziemlich unrechtmäßig aus meiner Position im Parlament rausgekippt worden. profil: Sie saßen für die ÖVP im Europaparlament. Man warf Ihren Wahlhelfern vor, dass sie Spendengelder der Organisation World Vision für Ihren Wahlkampf verwendet hatten. Die wurden dann auch verurteilt. Habsburg: Mir wurde damals vorgeworfen, dass ich im Vorstand der Organisation war. Das war richtig, nur war ich das Jahre, bevor das dort passiert ist. profil: Und darum ist es mit Ihrer Partei nichts geworden? Habsburg: Nein. Wir waren schon halbwegs realistisch, wir wussten, dass die Chancen relativ gering waren. Aber wir hofften, dass wir die 4-Prozent-Hürde knapp überspringen könnten. Das war nicht so. profil: Haben Sie danach immer noch ÖVP gewählt? Habsburg: Ich schaue mir schon an, wer die Personen sind, die kandidieren. Dass ich bei der Europawahl beispielsweise meinen Freund Paul Rübig unterstützt habe, ist bekannt. profil: Ein Zeitlang ist es ruhig um Sie geworden. Erst mit dem Tod Ihres Vaters sind Sie wieder ins Licht der Öffentlichkeit gerückt. Ist der Name Habsburg jetzt endgültig nur noch ein Nachhall der Geschichte? Habsburg: Der Name ist jedenfalls eng mit der Geschichte verbunden. Bei den Vorbereitungen auf die Jahrestage, die nächstes Jahr auf uns zukommen – Wiener Kongress 1814, 1914, 25 Jahre Fall des Eisernen Vorhanges –, ist die Familie nach wie vor eingebunden, natürlich in den meisten Fällen im historischen Kontext. Meinem Vater ist es gelungen, aus dem rein historischen Kontext herauszutreten. Ihm ist es geglückt, den Na-
Persönliches Exemplar von k.brandstetter@aon.at, alle Rechte vorbehalten. Nutzungsbedingungen unter www.kiosk.at
8. Juli 2013 • profil 28 33
österreich
„In der öster reichischen Parteipolitik men der Familie europapolitisch zu positionieren: Die hatte ich nicht alte „Reichsidee“, die Vorstellung von einer übernationa- den erhofften len Rechtsordnung, war ja eine Vorform des Vereinten Rückhalt.“ Europas. Wir, die Kinder, haben versucht, in vielen Bereichen mitzuwirken – mit mehr oder weniger Erfolg. profil: Sie werden in Interviews immer wieder gefragt, ob Sie in die Politik zurückkehren wollen. Ich habe nirgends ein klares Nein gefunden. Habsburg: Was heißt in die Politik zurückkehren? In die Parteipolitik? In der österreichischen Parteipolitik hatte ich nicht den erhofften Rückhalt. Subventionen für bestimmte Gruppen waren dort immer wichtiger als Außenpolitik oder Menschenrechtsfragen. Das kommt auch leichter rüber. Soll sein. Für mich heißt Politikmachen momentan, in Organisationen zu arbeiten, in denen humanitäres Völkerrecht geschaffen oder zumindest vorbereitet wird. Ich schließe für die Zukunft nichts aus. Aber ich bin nicht in Eile, eine politische Funktion anzustreben profil: Sie sind jetzt auch schon 52. Habsburg: Mein Vater ist erst mit 68 ins Parlament gekommen. profil: Sie wären das erste Familienoberhaupt seit 800 Jahren, das nicht in einer politischen Topfunktion ist. Habsburg: Damit kann ich absolut leben. Andere Dinge haben sich auch geändert. profil: Vor wenigen Monaten haben Sie versucht, sich an einem bulgarischen Zeitungskonzern zu beteiligen, in dem die größten Zeitungen des Landes erscheinen. Hatten Sie politische Interessen? Habsburg: Nein, rein wirtschaftliche. Ich habe Beteiligungen an Radiostationen in den Niederlanden, in Mittel- und Osteuropa. Andere Gruppen von Medien kommen eben dazu. So war es auch in Bulgarien. Wir haben damals den Printmedienbereich des Konzerns angeboten bekommen. profil: Das war eine Investorengruppe aus Wien, in der Sie dabei sind. Habsburg: Ja genau. Plus Investoren aus Bulgarien, die dann aber nicht nur Investoren sein wollten, sondern sich mit Hilfe dieser Medien auch politisch engagierten. Wir wollten das keinesfalls, und das hat unseren bulgarischen Partnern absolut nicht gepasst profil: Was ist der Status quo? Habsburg: Der Status quo ist, dass wir vor drei Wochen den letzten Prozess gewonnen haben, der klar ergeben hat, dass unsere Anteile genau in der Größenordnung bestehen, wie wir es festgestellt haben. profil: Sie sind noch beteiligt? Habsburg: Oh ja. Das wird aber nicht mehr lange so sein. Durch den Streit haben die Zeitungen übrigens ungemein an Wert eingebüßt. profil: Haben Sie viel Geld verloren? Habsburg: Ich bin ziemlich pari ausgestiegen. profil: Im österreichischen Fernsehen sieht man derzeit ständig Monarchen-Hochzei-
„Der Vielvölker staat hat so lange gehalten, weil er nicht assimiliert hat.“
ten mit Prinzen und Prinzessinnen in glanzvollen Kutschen. Wären Sie auch manchmal gern dabei? Habsburg: Nein. Ich sehe das gar nicht. Ich schaue kaum fern. Ich nehme Ihnen, Herr Lackner, nicht ganz ab, dass Sie sich das immer anschauen. Aber natürlich bringen solche Events wieder Kontakte in Schwung. profil: Da sind natürlich viele Ihrer Cousins und Cousinen dabei. Habsburg: Jede Menge. Aber ich muss nicht auf jeder Hochzeit tanzen. Das überlasse ich gern anderen. profil: Es gab Versuche von Brüdern Ihres Vaters, bestimmte Güter in Österreich restituiert zu bekommen: mehrere Zinshäuser in Wien, das Schloss Laxenburg. Haben Sie das Gefühl, dass das Ihrer Familie zusteht? Habsburg: Ja, natürlich. Es gab ursprünglich eine Rechtsgrundlage für die Enteignung. Da ging das Vermögen an einen Witwen- und Waisenfonds. Der wurde 1928 aufgelöst, damit hätte das Eigentum – wie in diesem Fonds vorgesehen – rechtlich zurück an die Familie gehen müssen. Das ist nicht geschehen. Dann wurden in den 1930er-Jahren Teile davon zurückgegeben, in der Hitler-Zeit wurde das wieder enteignet und dann so vom befreiten Österreich belassen. Das finde ich absolut nicht rechtmäßig. Das war keine rechtliche, sondern eine rein politische Entscheidung. Die rechtliche Position ist da relativ klar. Aber diese Frage bereitet mir jetzt keine schlaflosen Nächte. profil: Was denken Sie eigentlich, wenn Sie durch Wien gehen und an jedem Souvenirstand Kitschzeug mit Sisi oder Franz Joseph finden? Habsburg: Ich habe sie ja nicht gekannt. Für meinen Vater hatte das eine andere Dimension, weil er diese Zeit miterlebt hat. Ich schaue mir das wie jeder andere an, der daran vorbeiläuft. profil: Sie sagen nicht: Wie kann man das meinen Vorfahren antun? Habsburg: Nein. Es berührt mich wenig. Es amüsiert mich, wenn es zu sehr in den Kitsch abgleitet. profil: Wie erklären Sie sich, dass es viele merkwürdige politische Bewegungen gibt, wie die Stronach-Partei oder die Piraten-Partei, aber keine monarchistische Partei? Habsburg: Weil es ein innerer Widerspruch wäre. Die Idee des Monarchen besteht ja darin, dass er über den Parteien steht. profil: Es gibt eine „Schwarz-gelbe Allianz“, die jetzt eine Kandidatur überlegt. Haben Sie mit ihr Kontakt? Habsburg: Der Kontakt ist eher einseitig. profil: Der Vorsitzende der „Schwarz-gelben Allianz“ hat beim Begräbnis Ihres Vaters gerufen: „Der König ist tot, es lebe der König!“ Er meinte wahrscheinlich Sie. Habsburg: Ich fühlte mich nicht persönlich betroffen. profil: In Ihrer Ehe leben beide Partner ihr eigenes Leben. Wäre in der Familie Habsburg eine Scheidung überhaupt möglich? Habsburg: Wie in jeder anderen Familie gibt es auch bei uns Scheidungen. Ich
34 profil 28 • 8. Juli 2013
Persönliches Exemplar von k.brandstetter@aon.at, alle Rechte vorbehalten. Nutzungsbedingungen unter www.kiosk.at
ersönlich kann es mir nur sehr schwer vorstellen. p profil: Im britischen Königshaus sind sowohl der Thronfolger wie fast alle seine Geschwister geschieden. Habsburg: Damit müssen sie selbst zurechtkommen. profil: Sie sind ein tief katholischer Mensch. Vor zehn Jahren haben Sie die Pille danach mit dem Holocaust gleichgesetzt. Vertreten Sie immer noch diese Meinung? Habsburg: Ich habe meine Meinung als Katholik, und die ist prinzipiell gleich geblieben. Aber ich stehe heute auf dem Standpunkt, dass ich nicht zu jedem Thema Stellung beziehen muss. profil: Soll Schwangerschaftsabbruch wieder strafbar werden? Habsburg: Da bin ich realistisch. Ich stürze mich politisch lieber auf Bereiche, wo ich das Gefühl habe, etwas ändern zu können. Aber meine Position dazu ist bekannt. profil: Ihr ältester Sohn Ferdinand Zvonimir ist jetzt 16. Bereiten Sie ihn schon auf die Rolle des Familienoberhaupts vor? Habsburg: Ja, natürlich. profil: Wie machen Sie das? Habsburg: Indem ich versuche, ein gutes Beispiel zu sein. Viel mehr kann ich nicht tun. Er begleitet mich zu diversen Auftritten. Das macht er gut. Ich versuche, dass er ein tieferes Verständnis für Geschichte und Geografie bekommt. Was an den Schulen in Geschichte geboten wird, ist mir zu wenig. profil: In welche Schulen gehen Ihre Kinder? Habsburg: Meine älteste Tochter studiert in London. Ferdinand geht in Wien in die Danube International School. Meine jüngste Tochter derzeit auch, wechselt aber nächstes Schuljahr. profil: Wie geht es Kindern in der Schule, wenn sie Habsburg heißen? Habsburg: Die Tatsache, dass sie internationale Schulen besuchen, macht es ihnen sicherlich leichter. Viele wissen dort gar nicht, was Habsburg ist. profil: 2014 haben wir das große Weltkriegs-Jubiläum. Was sagen Sie Ihrem Sohn, wenn er fragt, wer am Ersten Weltkrieg schuld war? Habsburg: Ich zeige einfach Tatsachen auf. Und ich behaupte nicht, dass Sarajevo allein den Ersten Weltkrieg ausgelöst hat. Wenn es nicht Sarajevo gewesen wäre, dann hätte es ein paar Tage später einen anderen Auslöser gegeben. profil: Würden Sie dem Satz zustimmen: Die österreichisch-ungarische Monarchie hat den Anlassfall Sarajevo in fast krimineller Weise ausgenützt, um einen Krieg vom Zaun zu brechen? Habsburg: Nein, dem würde ich so nicht zustimmen. Wenn ich unbedingt versuchen müsste, einen Fehler zu finden, dann würde ich ihn darin finden, dass in der österreichischen Monarchie der Nationalismus in seiner Auswirkung verkannt wurde. Dass man nicht gesehen hat, wie sehr die nationalen Kräfte im Vielvölkerstaat schon Platz gegriffen und welche Sprengkraft sie hatten. profil: Das Ultimatum, das Österreich Serbien damals
stellte, war nicht anzunehmen. Gesetzt den Fall, der serbische Thronfolger wäre in Wien erschossen worden und Belgrad hätte gefordert, dass die serbische Polizei in Wien ermitteln darf. Dem hätte der Kaiser auch nicht zustimmen können. Habsburg: Wahrscheinlich nicht. profil: Darum war es ein Ultimatum, von dem jeder wusste, dass es abgelehnt werden würde. Habsburg: Die Konsequenzen der Kriegserklärung wurden vom Generalstab sicher falsch eingeschätzt. Aber wenn man sich die Spannungen ansieht, die an der deutsch-russischen Grenze herrschten, oder den Briefverkehr zwischen Kaiser Wilhelm und dem russischen Zaren liest, dann sieht man, dass es nicht nur das Ultimatum an Serbien gab. Alles hatte sich über Jahre hinweg in eine praktisch unausweichliche Situation hinein entwickelt. profil: In Europa versagten die Monarchien. Nach dem Krieg waren vier Kaiserreiche untergegangen: das österreichisch-ungarische, das deutsche, das russische und das türkische. Habsburg: Und die österreichisch-ungarische Monarchie war damals mit Abstand die fortschrittlichste, was das Soziale betrifft. profil: Im Vergleich mit dem furchtbar rückschrittlichen osmanischen oder dem russischen Zarenreich ist das keine Kunst. Die österreichische Monarchie ist ja ruhmlos untergegangen: Die einzelnen Nationalitäten sind einfach von den Schlachtfeldern abgezogen und haben gesagt: „Es reicht.“ Habsburg: Das große Wunder war, dass der Vielvölkerstaat so lange gehalten hat. Und er hat so lange gehalten, weil er nicht assimiliert hat. Er hat versucht, die kulturelle und religiöse Vielfalt aufrechtzuerhalten. Es gab auch positive Aspekte, die man heute im Vereinten Europa anwenden könnte. profil: Sie sind in der Organisation „Blue Shield“ aktiv, die sich um die Erhaltung von Kulturgütern in Kriegsgebieten bemüht. Sind Sie dort angestellt? Habsburg: Nein. „Blue Shield“ ist eine Nicht-RegierungsOrganisation, eine NGO. Wir sind in der Haager Konvention verankert, so wie das Rote Kreuz in der Genfer Konvention verankert ist. Die Organisation arbeitet ausschließlich mit Freiwilligen. Es gibt keinen einzigen Angestellten. profil: Sind Sie überhaupt irgendwo angestellt? Habsburg: Nein. Ich bin ein Ein-Mann-Unternehmen. profil: Ein habsburgisches Familienoberhaupt als EinMann-Unternehmen. Das ist neu. Sind sie pensionsberechtigt? Habsburg: Vielleicht in meinem landwirtschaftlichen Betrieb. Ich weiß das nicht so genau. profil: Dann bekommen Sie ja in ein paar Jahren eine Bauern-Rente! Habsburg: Ausgezeichnet! Interview: Herbert Lackner Fotos: Monika Saulich
Persönliches Exemplar von k.brandstetter@aon.at, alle Rechte vorbehalten. Nutzungsbedingungen unter www.kiosk.at
Karl Habsburg im profilInterview* „Ich muss nicht auf jeder Hochzeit tanzen.“ * Im profilGespräch mit Herbert Lackner in seinem Büro in WienLandstraße
8. Juli 2013 • profil 28 35
Persรถnliches Exemplar von k.brandstetter@aon.at, alle Rechte vorbehalten. Nutzungsbedingungen unter www.kiosk.at
Persรถnliches Exemplar von k.brandstetter@aon.at, alle Rechte vorbehalten. Nutzungsbedingungen unter www.kiosk.at
Trend/Michael Rausch-Schott
Wirtschaft
38 profil 28 โ ข 8. Juli 2013
Persรถnliches Exemplar von k.brandstetter@aon.at, alle Rechte vorbehalten. Nutzungsbedingungen unter www.kiosk.at
Das Ende einer Dienstreise
Der Dayli-Sanierer Rudolf Haberleitner verliert eine Million Euro in einer Sporttasche – der NovomaticKonzern verliert in der Dayli-Pleite bis zu 25 Millionen Euro. Das Tagebuch einer Irrfahrt.
RUDOLF HABERLEITNERS „DARLEHENSVERTRAG“ Ein vermeintlich seriöser italienischer Unternehmer unterbreitete ein unwiderstehliches Angebot – und erleichterte ihn schließlich um eine Million Euro. 8. Juli 2013 • profi l 28 39 Persönliches Exemplar von k.brandstetter@aon.at, alle Rechte vorbehalten. Nutzungsbedingungen unter www.kiosk.at
W irtschaft
Von Ulla KramarSchmid und Michael Nikbakhsh
ls Rudolf Haberleitner am frühen Nachmittag des 27. Juni mit einem Vertrauten in Udine eintrifft, hat er eine mehrstündige Autofahrt in den Knochen. Und ist trotzdem bester Dinge. Wochen hat er sich auf diese Dienstreise vorbereitet. Telefonate, Mails, Meetings, Background check. Eigentlich kann nichts schiefgehen, darf nichts schiefgehen. Schließlich hat er seinen Teil der Vereinbarung erfüllt. Sein Termin, ein italienischer Geschäftsmann, den er unter dem Namen Ermanno R. kennt, wartet bereits in der Lobby des „Best Western“-Hotels in der Viale Tricesimo. Im heimatlichen Pucking, das Haberleitner in den frühen Morgenstunden verlassen hatte, war die Betriebstemperatur zu diesem Zeitpunkt unter null gefallen. In der oberösterreichischen Konzernzentrale der TAP Dayli Vertriebs GmbH, vormals Schlecker Österreich, türmten sich die Rechnungen. Handelspartner lieferten nur mehr gegen Vorkasse, rund 3400 Beschäftigte, vornehmlich Frauen, warteten auf ihre Juni-Gehälter. In den Medien wurde bereits offen über eine Insolvenz spekuliert. Die Handelskette, die Haberleitner erst elf Monate zuvor aus der Konkursmasse der deutschen Schlecker-Gruppe herausgelöst hatte, schuldete den Banken keinen Cent – und zwar, weil kein Kredit institut bereit war, das Unternehmen mit Fremdkapital zu alimentieren. Ermanno R., den Unternehmer aus Seri-
ate nahe Bergamo, kennt Haberleitner erst seit dem 14. Juni persönlich, von einem Treffen in Mestre. Und er hat von dem Italiener den besten Eindruck mitgenommen. Seriöses Auftreten, fundiertes betriebswirtschaftliches Wissen, fließend in Deutsch und Englisch. Den Kontakt vermittelte ein Oberösterreicher mit Wohnsitz in Vorchdorf. Kommen die Herren in Udine ins Geschäft, ist Haberleitner vorerst aus dem Gröbsten raus. R. will – das hat er beim ersten Meeting nahe Venedig signalisiert – Dayli einen Millionenkredit gewähren; als „Anschubfinanzierung“ für eine spätere Beteiligung. Im August 2012 hatte Haberleitner den Österreich-Ableger von Schlecker übernommen. Da war das Unternehmen bankrott – wie auch die deutsche Mutter. Der Jahresabschluss 2011 wies ein Minus von 55 Millionen Euro aus, der mit Abstand größte Vermögenswert in der Bilanz waren uneinbringliche Forderungen gegenüber Schlecker Deutschland. Zu den 900 Österreich-Filialen bekam Haberleitners Sanierungsgesellschaft TAP – die Abkürzung steht für „Turnaround Platform“ – noch hunderte Standorte in Belgien, Italien, Polen und Luxemburg. Allein im Lande beschäftigte Schlecker zu diesem Zeitpunkt rund 3600 Mitarbeiter. Die Pläne trabten hoch. Haberleitner projektierte nur im Superlativ. Schon 2013 wollte er wieder tiefschwarze Zahlen schreiben, die Summe der Filialen diesund jenseits der Grenze sollte bis 2016 auf 4800 steigen, ein Börsegang war da nur die logische Konsequenz. In Interviews sprach Haberleitner davon, dass Financiers seinem „TAP-Fonds“ bis zu 500 Millionen Euro zugesagt hätten, die nur darauf warteten, abgerufen zu werden. Die Wahrheit: In den Monaten darauf sollte lediglich ein Investor eine nennenswerte Summe einbringen: Novomatic. Im Oktober 2012 gewährte der Glückspielkonzern der TAP Dayli Vertriebs GmbH einen Kredit in der Höhe von zehn Millionen Euro, im März dieses Jahres übernahmen Novomatic und dessen Gründer Johann Graf dann auch noch 50 Prozent der Gesellschaft – gegen einen einmaligen, „nicht rückzahlbaren“ Zuschuss von weiteren 15 Millionen Euro, in Summe also 25 Millionen Euro. Doch die Partnerschaft war enden wollend. Im Mai 2013 stiegen Novomatic und Graf wieder aus. Und erwiesen sich als großzügig. Der Kredit über zehn Millionen Euro wurde auf Jahre gestun-
40 profil 28 • 8. Juli 2013
Persönliches Exemplar von k.brandstetter@aon.at, alle Rechte vorbehalten. Nutzungsbedingungen unter www.kiosk.at
det, der Gesellschafter-Zuschuss in der Höhe von 15 Millionen Euro gegen eine sogenannte Besserungsvereinbarung getauscht. Obschon Novomatic keine Forderungen aus dem missglückten Experiment geltend machte, benötigte TAP Dayli weiteres Geld. Haberleitners Planungen zufolge sollten kurzfristig mehr als 50 Millionen Euro in die Modernisierung der abgewirtschafteten Schlecker-Filialen gehen. Ein Betrag, der aus dem Cashflow nie und nimmer darzustellen gewesen wäre. Und die laufenden Umsätze reichten anscheinend nicht einmal mehr aus, um die Rechnungen zu bezahlen. Ermanno R. also, der weiße Ritter und sein „Darlehensvertrag“. Noch ehe Haberleitner die Dienstreise nach Udine antritt, hat er den Vertrag unterzeichnet. Dieser ist gerade einmal vier DINA4-Seiten lang, zusammengefaltet passt er in jede Westentasche. Da steht etwa: „Der Darlehensnehmer (Anmerkung: TAP Dayli) beabsichtigt … ein zweckgebundenes Darlehen aufzunehmen, welches als Anschubfinanzierung zu einer später von Herrn R. beabsichtigten Beteiligung an der TAP Dayli Vertriebs GmbH zu sehen ist: Das Darlehen findet Verwendung für die Überbrückung der Warenfinanzierung bis zu einer Einräumung einer Warenkreditversicherung und für die Finanzierung von Investitionen, die im Zuge des Roll outs der neuen Dayli-Filialen benötigt werden.“ Ermanno R. will in Summe 26 Millionen Euro auf fünf Jahre vorschießen – gegen einen Fixzinssatz von nur drei Prozent per anno. Aber er will, das hat er im Vorgespräch in Mestre unmissverständlich klargemacht, Sicherheit. Eine Vorabzahlung – im Vertrag als „Sondertilgung“ tituliert – in der Höhe von einer Million Euro. Dayli würden also netto 25 Millionen Euro zufließen. Im Rückblick kann man Haberleitner bestenfalls Naivität nachsagen. In jeder Hinsicht. Kern seines unternehmerischen Konzepts war – und das hat er erst Monate nach der Übernahme von Schlecker Österreich öffentlich gemacht – ein Sieben-Tage-Konzept, frei nach dem texanischen Vorbild 7-Eleven. Der siebente Tag der Woche ist bekanntlich der Sonntag – und der ist durch eine Allianz aus Politik, Gewerkschaft und Kirche als freier Tag einzementiert, noch jedenfalls. Das musste schon Richard Lugner zur Kenntnis nehmen. Haberleitners Idee, den Ruhetag mittels einer Gastronomiekonzession zu umgehen, sorgte für den programmierten
Wirbel. Bis hin zu einer Präzisierung des Gesetzes, die heute als „Lex Dayli“ gilt. Keine Sonntagsöffnung, keine Umsätze, kein Konzept, auf das Investoren oder Banken oder beide ansprängen. Haberleitner glaubt, seine Hausaufgaben gemacht zu haben. TAP Dayli hat auch Filialen in Italien, er hat Konfidenten vor Ort gebeten, Erkundigungen über Ermanno R. einzuholen. Dessen Leumund wirkt untadelig, von einem frühen Drogendelikt einmal abgesehen. Daher schöpft er anscheinend auch keinen Verdacht, als R. ihn ersucht, die „Sondertilgung“ bei Geschäftsabschluss der Einfachheit halber in bar mitzubringen. Im Mai dieses Jahres spitzte sich die Lage in Pucking immer weiter zu. Haberleitner sprach öffentlich von einer „Verschwörung“ gegen Dayli und davon, dass die Gewerkschaften dem Unternehmen einen Schaden in der Höhe von 20 Millionen Euro zugefügt hätten. Längst waren die Lieferanten und Gläubigerschutzverbände nervös, die Banken weigerten sich, dringend benötigte Liquidität bereitzustellen. Die Expansionspläne lagen da schon auf Eis, Dayli hatte vielmehr den Rückwärtsgang eingelegt. 560 Beschäftigte wurden beim AMS vorsorglich zur Kündigung angemeldet, 180 der 900 Filialen sollten geschlossen werden. Und plötzlich war auch von einem Rückzug aus Österreich die Rede. Aufgeben wollte Haberleitner dennoch nicht. Am 29. Mai stellte er gegenüber dem „Wirtschaftsblatt“ Gerüchte über eine nahende Insolvenz vehement in Abrede, gegenüber dem „Standard“ erklärte er am 4. Juni, er sei mit ausländischen Banken ebenso im Gespräch wie mit ausländischen Investoren. Als Haberleitner mit seinem Kollegen das „Best Western“-Hotel betritt, hat er eine Sporttasche mit dem Logo der deutschen Lufthansa bei sich. Darin eine Million Euro cash – 2000 Banknoten à 500 Euro, in zwei Bündeln. Das Geld hat Haberleitner zuvor vom Geschäftskonto der Dayli bei der Allgemeinen Sparkasse in Linz abheben lassen. Die Herren kommen zunächst in der Lobby zu sitzen. Der Darlehensvertrag wird noch einmal durchbesprochen. Anschließend, so will es die von Ermanno R. erdachte Choreografie, sollen sie gemeinsam die Bankfiliale auf der anderen Straßenseite aufsuchen. Erst wird R. 26 Millionen Euro an Dayli überweisen, dann Haberleitner – sobald seine Hausbank in Österreich den Zahlungseingang bestätigt hat – die Million aushändigen. Soweit der Plan. Wer ist Rudolf Haberleitner? Diese Fra-
Später wird Haberleitner bei der Polizei aussagen, sein vermeintlicher Darlehensgeber habe einen Haken geschlagen und sei mit der Tasche unterm Arm aus dem Hotel gestürzt.
ge wurde in den vergangenen Monaten oft gestellt. Seine Vita ist untermittelmäßig dokumentiert. Ein gebürtiger Niederösterreicher, Jahrgang 1945, Besuch der HTL Mödling, später soll er im Ausland einen Doktortitel erworben haben. In den 1970er-Jahren arbeitete er als EDV-Experte für die Voest, dann für den US-Elektronikkonzern NCR. In den 1980er-Jahren war er in die Sanierung des dann doch kollabierten Waldviertler Möbelherstellers Bobbin involviert, später auch beim Hersteller von Torsystemen Lindpointner. In den 1990er-Jahren verdingte er sich als Privatisierungsberater der tschechischen Regierung, 2001 machte er hierzulande als Konsulent von FPÖ-Infrastrukturministerin Monika Forstinger von sich reden. Und zwar vor allem wegen der Gage: 30.000 Schilling pro Tag. Mit seiner in Wien niedergelassenen MCS Consulting will Haberleitner in Summe „250 Transaktionen“ durchgeführt haben. Auf der Homepage seiner Plattform TAP 09 (die Zahl bezieht sich auf das Gründungsjahr 2009) präsentiert er sich so: „Seit 30 Jahren Unternehmer und Eigentümer eines internationalen Consultingunternehmens mit Fokus Restrukturierung, Turnaround-Management, M&A und Corporate Finance. Spezialgebiet außergerichtliche Unternehmenssanierungen.“ Der 68-Jährige ist ein Mann mit Erfahrung. Sollte man meinen.
Nach wenigen Minuten in der Lobby zückt Haberleitners Gegenüber unvermittelt ein Banknotenprüfgerät, um den Inhalt der Lufthansa-Tasche auf seine Echtheit hin zu untersuchen. Die Eingangshalle ist an diesem Tag stark frequentiert, man sucht sich eine ruhige Ecke hinter der Rezeption. Ermanno R. greift nach der Tasche und bittet die Österreicher, mit ihm zu kommen. Er wolle nicht allein mit dem Geld sein. Später wird Rudolf Haberleitner bei der Polizei aussagen, sein vermeintlicher Darlehensgeber habe auf dem Weg zur Rezeption plötzlich einen Haken geschlagen, sei mit der Tasche und also der Million unter dem Arm aus dem Hotel, durch einen Busch über die Straße gestürzt und in ein wartendes Auto gesprungen, das sofort abfuhr. Nach profil-Recherchen dürfte Haberleitner einer international organisierten Tätergruppe mit serbischen Wurzeln auf den Leim gegangen sein. Und er soll längst nicht das einzige Opfer dieses sogenannten Rip deals sein. Der Fall liegt zwar formell bei der italienischen Polizei. Zwischenzeitlich wurde jedoch auch Anzeige gegen den österreichischen Mittelsmann aus Vorchdorf erstattet, der Haberleitner mit dem vermeintlichen Italiener zusammengebracht hatte. Der zuständige Ermittler des Landeskriminalamts Oberösterreich Rupert Ortner wollte gegenüber profil mit Hinweis auf die laufenden Untersuchungen keine Details nennen. Der Betrüger lässt bei seiner Flucht aus dem Hotel einen Aktenkoffer mit einer halben Million Schweizer Franken zurück – nach vorläufigen Erkenntnissen lupenreine Blüten. Einen Ermanno R. aus Seriate bei Bergamo gibt es tatsächlich. Dieser hat mit der Affäre jedoch nichts zu tun. Er sieht dem Gauner noch nicht einmal ähnlich. Am Donnerstag vergangener Woche musste die zahlungsunfähige TAP Dayli Vertriebs GmbH einen Antrag auf Eröffnung eines Sanierungsverfahrens ohne Eigenverwaltung stellen. Im Insolvenzantrag der Unternehmensanwälte Hasch & Partner werden die Verbindlichkeiten mit insgesamt 56 Millionen Euro beziffert. Diesen stehen Vermögenswerte in ähnlicher Höhe gegenüber – ob diese jedoch tatsächlich zu realisieren sind, bleibt abzuwarten. TAP Dayli bietet den rund 1300 Gläubigern eine Quote von 25 Prozent. Ironie am Rande: Laut Status vom 30. Juni führt Dayli eine offene Forderung gegen Ermanno R. in der Höhe von einer Million Euro in den Büchern. n
Persönliches Exemplar von k.brandstetter@aon.at, alle Rechte vorbehalten. Nutzungsbedingungen unter www.kiosk.at
8. Juli 2013 • profil 28 41
W irtschaft
stadion klagenfurt Vergabe, Bau und Fertigstellung waren begleitet von Schuldzuweisungen und Rechtsstreitigkeiten.
Von Ulla Kramar-Schmid
D
Rangordnung
42 profil 28 • 8. Juli 2013
Persönliches Exemplar von k.brandstetter@aon.at, alle Rechte vorbehalten. Nutzungsbedingungen unter www.kiosk.at
APA/BARBARA GINDL
ie Wörthersee-Arena gilt als eines der herzeigbarsten Stadien Mitteleuropas. Das liegt daran, dass das 30.000 Porr favorisiert hatte, beZuschauer fassende Oval, Eröffhauptet in einem Schreiben nungsjahr 2007, so gut wie nie an den Landesrechnungshof, bespielt wird – und die Stadt Kladass die Vermietung des genfurt sich dennoch liebevoll Oberranges in einer entscheium das vermeintliche Wahrzeidenden Vergabe-Sitzung chen kümmert. „sehr wohl angesprochen und 70 Millionen Euro wird das zur Kenntnis genommen Projekt am Ende gekostet haben, worden“ sei. Dem gegenüber derzeit läuft die Fertigstellung (im stehen drei Vertreter des LanFachjargon „Permanentmachung“ des Kärnten, welche entschieden bestreiten (und genannt) der obersten Ränge, die im Hinblick auf die Fußball-Eurodies in einer diesbezüglichen pameisterschaft 2008 nur provisoAnfrage des Landesrechrisch errichtet worden waren. nungshofes auch schriftlich Die Stadt Klagenfurt sollte Millionen Und genau dieser Oberrang ist bezeugen), dass eine Mietvaein Problem. Der Kärntner Lan- an Miete für Stadiontribünen der riante jemals zur Diskussion desrechnungshof prüft derzeit Wörthersee-Arena zahlen, die ihr gehören. gestanden sei. Mehr noch: auch diese Vorgänge in Zusamdass in dieser Sitzung auch nicht darüber gesprochen menhang mit der Errichtung des Der Landesrechnungshof prüft. worden sei. Stadions. Im Kern geht um es die ordnungsgemäße Verwendung der Gelder. den Ausschreibungsunterlagen aus 2004 Tatsächlich findet sich im entsprechenIm Lichte der schon im Vorfeld umstritte- sei klar zu entnehmen, dass der Oberrang den Sitzungsprotokoll auch kein Vermerk nen Vergabe verwundert es, dass die Bü- im Eigentum der Stadt stehe. Mitglieder darüber. cher nicht schon eher durchforstet wur- der Vergabekommission erklärten, dies sei Also: Warum soll die Stadt Klagenfurt den. Denn Bau und Fertigstellung wurden für die seinerzeitige „Vergabeentscheidung“ Miete für etwas bezahlen, was ihr gevon widersprüchlichen Angaben, fragwür- an die Porr ein entscheidender Punkt ge- hört? Die Porr verweist in einer Anfrage auf digen Rechnungen und daraus resultie- wesen; eine Leasing-Variante sei nie zur die Stadt Klagenfurt; der ehemalige BürDebatte gestanden hatte. renden Rechtsstreitigkeiten begleitet. germeister Scheucher verweist auf den Die Vorgeschichte im Zeitraffer: 2007 Die Vergabeentscheidung: Schon 2004 amtierenden Bürgermeister; dessen Sprewurde das Stadion mit über 30.000 Sitz- hatte es in der zuständigen Kommission schwere Zerwürfnisse gegeben. Die Ver- cher verweist in einer ersten Reaktion daplätzen fertiggestellt, nach der EM traf die Stadt Klagenfurt – damals noch regiert von treter des Landes Kärnten hatten den Ver- rauf, dass all dies vor Amtsantritt ScheiVP-Bürgermeister Harald Scheucher – den tretern des Bundes vorgeworfen, dem Kon- ders passiert sei – ringt sich letztlich aber Entschluss, die Spielstätte auf 18.000 Plät- sortialführer Porr mit allen Kräften den doch zu einer schriftlichen Stellungnahze zu reduzieren und den obersten Zu- Auftrag zuschanzen zu wollen. Die Verga- me durch: „Über die Besitzverhältnisse hat schauerrang abzubauen. Nach den Ge- besitzungen waren begleitet von Vorwür- es unterschiedliche Rechtsmeinungen gemeinderatswahlen im Frühjahr 2009 ent- fen, wonach Protokolle gefälscht und geben. Im Zuge des angesprochenen Geschied die neue Stadtregierung unter Absprachen im Vorfeld getroffen worden samtpaketes für die „Permanentmachung“ FP-Bürgermeister Christian Scheider, das seien; sogar von vermeintlichen Telefon- gab es diesbezüglich aber eine Einigung Stadion mit seinen 30.000 Plätzen perma- Abhörungen des damaligen Landeshaupt- zwischen Stadt und Baufirma. Somit ist nent zu machen. das Thema geklärt, der Oberrang ist im mannes Haider war die Rede gewesen. Letztlich sollte sich aber die Porr/Alpi- Besitz der Landeshauptstadt. Von der Stadt So weit, so unstrittig. Nur: 2009 sah sich ne gegen Mitbewerber Strabag durchset- erfolgten zu keinem Zeitpunkt Mietzahdie Stadt plötzlich mit Forderungen von beinahe sechs Millionen seitens der Bau- zen. lungen für den Oberrang an die ausfühgemeinschaft Porr/Alpine konfrontiert. rende Baufirma.“ Und 2009, Jahre später, stand plötzlich Und zwar aus dem Titel „Miete“ für den Jedenfalls aber flossen 2012 schlussder Verdacht im Raum, dass ein wesentliOberrang. ches Kriterium der Ausschreibung – näm- endlich 15,5 Millionen Euro Richtung Das war nun doch einigermaßen selt- lich die Frage der Eigentumsverhältnisse Porr/Alpine – zehn Millionen für „offene sam. Schließlich war die Stadt bis dahin – mutmaßlich unterlaufen worden war. Rechnungen“, 5,5 Millionen für die Fertigder Meinung gewesen, dass diese Tribüprofil liegen Unterlagen, Schriftstücke stellung. nen in ihrem Eigentum standen und da- und Protokolle vor, die tatsächlich ein Die Bauarbeiten sollen im November her keine Miete zu bezahlen sei. Rechts- schiefes Licht auf die Vorgänge innerhalb abgeschlossen sein. Bis dahin werden wohl anwälte und Gutachter wurden einge- der Vergabekommission werfen. Ein Teil- auch die Prüfer des Landesrechnungshoschaltet. Letztere kamen zu der Auffassung, nehmer jener Gruppe, welche 2004 die fes ihre Schlüsse gezogen haben. n
Persรถnliches Exemplar von k.brandstetter@aon.at, alle Rechte vorbehalten. Nutzungsbedingungen unter www.kiosk.at
Persรถnliches Exemplar von k.brandstetter@aon.at, alle Rechte vorbehalten. Nutzungsbedingungen unter www.kiosk.at
wirtschaft
kapital Redaktion Franz C. Bauer • franz.bauer@profil.at
Unerfreulicher Halbzeitstand
Nach sechs Monaten liegen viele Börsen im Minus. Anleger hoffen nun auf ein besseres zweites Halbjahr.
S
echs Monate Turbulenzen an den Börsen – und jetzt geht‘s in die Halbzeit-Pause. Die ersten Tage im zweiten Halbjahr brachten den für die Sommermonate üblichen Rückgang der Aktivitäten an den Aktienmärkten. Der „Halbzeitstand“ kann Anleger allerdings kaum erfreuen: Es steht drei zu eins für die Bären. Euro Stoxx 50 (Euro-Aktien), Shanghai Composite Index (chinesische Aktien) und Morgan Stanley Emerging Markets Index (Schwellenländer) lagen zur Halbzeit unter dem Niveau vom Jahresbeginn. Nur an der Wall Street gelang den Bullen ein Erfolg: Der S&P 500 der
500 wichtigsten US-Aktien schaffte in ges. Anfang Juni fiel die Zahl der Erstden ersten sechs Monaten ein deutli- anträge auf Arbeitslosenunterstützung ches Plus. bereits zum zweiten Mal in Folge, und Dass es an den Börsen überwie- zwar um 5000 auf 343.000. US-Untergend nicht nach Wunsch gelaufen ist, nehmen schufen 188.000 neue Jobs, hat unterschiedliche Gründe, die al- mehr als Analysten erwartet hatten. lerdings auch Anlass zur Hoffnung für Im Harmonie mit dem Euro Stoxx die zweite Halbzeit geben. Europa Index bergab ging es im ersten Halbsteckt in der Rezession. Der Markit- jahr mit dem Wiener Aktienindex ATX. EinkaufsmanagerDoch auch für Österindex für Dienstleisreich stehen die ter und Industrie in Chancen auf eine erder Eurozone stieg freuliche Kursentim Juni um einen wicklung im zweiten Friedrich Mostböck, Punkt auf 48,7 PunkHalbjahr nicht so Erste Group schlecht. In ihrem te. Damit blieb er unter der Wachstumsschwelle von 50 jüngsten Austro-Report prognostiziert Punkten und die Rezession in der Eu- die OECD Österreich für das laufende rozone hat sich auf sieben Quartale Jahr zwar nur ein Wirtschaftswachsausgedehnt. „Dennoch gibt es guten tum von 0,5 Prozent (immerhin kein Grund zur Annahme, dass sich die Minus), 2014 sollen es dann aber wieKonjunktur der Eurozone derzeit sta- der 1,7 Prozent werden. Da die Börsen bilisiert und im zweiten Halbjahr in der Konjunktur oft ein halbes Jahr vodie Wachstumsregion vorstoßen wird“, rauslaufen, könnte sich diese Prognomeint Markit-Chefökonom Chris Wil- se bereits heuer auswirken. „Die Beliamson. In den USA unterstützen po- wertung österreichischer Aktien ist jesitive Arbeitsmarktdaten die Hoffnung denfalls günstig“, so Friedrich Mostböck, auf eine Fortsetzung des Aufschwun- Chefanalyst der Erste Group.
„Die Bewertung österreichischer Aktien ist günstig.“
ausflug
Die jüngste Zimmer-Generation im Top-Wellness-Hotel Hochschober Viel Holz und Zirbenlüfter für gesunden Schlaf
Single mit Kind sucht Wellness
P
apa allein mit Tochter Marie in den Ferien, Mama mit Sohnemann Fritzi solo auf Urlaub: Was vor 30 Jahren noch selten war, ist heute ein wachsendes Tourismussegment. Laut der Mikrozensuserhebung 2012 gibt es in Österreich 107.000 Alleinerziehende mit Kindern unter 15 Jahren, der Großteil davon Frauen. Dazu kommt eine statistisch nicht erfasste Zahl geschiedener Väter oder auch Omas und Opas, die gerne mal mit den Kids ein paar Tage wegfahren wollen. Häufig stoßen Single-Reisende mit Kind dabei in Wellness-Hotels auf das Problem, dass der Nachwuchs entweder nicht erwünscht ist oder so viel zahlen soll wie ein Erwachsener. Drei Beispiele aus der ersten Liga heimischer Spa-Hotels: Im Steirerhof sind Kinder unter zwölf Jahre nicht erlaubt, ab zwölf wird für Kids der volle Tarif verlangt. Im Posthotel Achenkirchen darf man den Nachwuchs erst mitnehmen, wenn er 14 Jahre ist und dann muss voll gezahlt werden. Im Krallerhof gibt es zwar ein paar kleine
karl Riffert • karl.riffert@profil.at Single-Eltern-Zimmer, sonst gilt Kind= Vollzahler. Interessant daher ein Blick auf das Hotel Hochschober auf der Turracher Höhe, das oft als Benchmark der Wellness-Branche angesehen wird. Im Hochschober, bekannt für sein 28 Grad warmes und 25 Meter langes Seebad, das türkische Hamam und den China-Turm, erhielten Alleinreisende mit Kind bis zum Vorjahr nur schnöde zehn Euro Ermäßigung für den Nachwuchs. Jetzt aber gilt: Außerhalb der Hochsaison (nach dem 31. August) sind Kindertarife für Single-Eltern angesagt, die je nach Alter des Kindes 30 bis 88 Euro betragen. Außerdem wurden 33 Zimmer Ist das jetzt der Urlaub? Der Lonely-Planet-Guide gibt Tipps für komplett erneuert und im Restaurant ungewöhnliche Fernreise-Urlaube mit kann man auch vegan speisen. In den Kindern: Straußenreiten in Südafrika, neuen Zimmern gibt es übrigens Zirben- Bergklettern in Meteora in Griechenland, lüfter, die geräuschlos für optimale Luft- mit Delphinen schwimmen, wilde Bären beobachten usw. Und er hilft feuchtigkeit sorgen. Die Kindertarife gelin der schwierigsten Disziplin: ten für alle Doppelzimmerkategorien (auUrlaub mit Teenagern. „Travel ßer „Bergkristall“). Info: Tel. 04275/82 13, with Children“ (engl.), Lonely www.hochschober.com Planet, 19,90 Euro.
Persönliches Exemplar von k.brandstetter@aon.at, alle Rechte vorbehalten. Nutzungsbedingungen unter www.kiosk.at
8. Juli 2013 • profil 28 45
ausland E
s wird eine Schicksalsrede, die JeanClaude Juncker diesen Mittwoch im Parlament von Luxemburg halten will. Vier Stunden Zeit hat sich der Regierungschef dafür ausbedungen, um zu erklären, warum der Geheimdienst des Landes in den vergangenen Jahren unter seiner Aufsicht so aus dem Ruder laufen konnte. Diese vier Stunden werden darüber entscheiden, ob der dienstälteste Premier der EU seine im kommenden Jahr regulär endende Regierungszeit in Würde zu Ende bringen kann – oder schon bald seinen Rücktritt erklären muss. Seit vergangenem Dezember hat eine Untersuchungskommission des Parlaments allerlei illegale Praktiken des luxemburgischen Geheimdienstes Service de Renseignements de l’État (SRE) zutage gefördert. Die Liste der Verfehlungen reicht von illegalen Lauschangriffen über getürkte Ermittlungen bis hin zu Schiebergeschäften. Am vergangenen Freitag legte der Ausschuss seinen Abschlussbericht vor. Junckers Christlich Soziale Volkspartei (CSV), die größte Fraktion im Parlament, konnte nicht verhindern, dass dem Premier in dem Papier eine objektive und subjektive Mitverantwortung für die Skandale des Dienstes zugeschrieben wird. Schließlich ist der 58-Jährige seit seinem Amtsantritt als Premier im Jahre 1995 auch oberster Dienstherr des SRE. Die von der Untersuchungskommission erstellte chronique scandaleuse des SRE ist beeindruckend. So wurde bekannt, dass der Geheimdienst bis weit
in die 1990er-Jahre linke Politiker, Abgeordnete und Aktivisten sowie Umweltschützer observierte. Der von 2003 bis 2009 amtierende SRE-Direktor Marco Mille – heute Sicherheitschef bei Siemens – hatte in einem Gespräch mit Premierminister Juncker 2007 erklärt, der Geheimdienst habe seinerzeit „alles überwacht, was nicht stramm konservativ“ gewesen sei. Wie weit die Bespitzelung ging, ist nicht mehr nachzuvollziehen: Die Akten über observierte Politiker hat der Dienst vernichtet, noch bevor die Opfer sie einsehen konnten. Skrupellos agierte der SRE auch 2006, als es darum ging, den Generalstaatsanwalt des Großherzogtums mit einem angeblichen Pädophilen-Ring hochrangiger Politiker in Verbindung zu bringen. Die Vorwürfe waren von der Führung des Geheimdienstes konstruiert, um den obersten Ankläger in Misskredit zu bringen. Grund: Ermittlungen in einer anderen Affäre, die dem SRE gefährlich zu werden drohten. Schließlich fand die Untersuchungskommission noch heraus, dass die Agenten auch heimlich Regierungspolitiker abhörten – sogar Juncker selbst. In einem Fall marschierte SRE-Chef Mille etwa mit einer Armbanduhr, in der eine Wanze versteckt war, zu einem Gespräch mit dem Regierungschef. Selbst ein Gespräch zwischen Juncker und Großherzog Henri soll belauscht worden sein. Vorwürfe gab es auch wegen eines angeblichen illegalen Handels mit Luxusautos. Diese waren vom Geheimdienst mit Sonderkonditionen ange-
Brautpreisanstieg Männer in der ostchinesischen Provinz Zhejiang in der Regel, um sich ein seltener werdendes Privileg in China zu sichern: eine Ehefrau. 117 Buben kommen heute im Reich der Mitte auf 100 Mädchen. Der Frauenmangel ist das Ergebnis der vor drei Jahrzehnten eingeführten Ein-Kind-Poli-
46 profi l 28 • 8. Juli 2013
tik, mit der Peking zwar das Bevölkerungswachstum in den Griff bekommen, aber dafür ein neues Problem geschaffen hat: Millionen männlicher Chinesen könnten künftig keine Partnerin mehr finden. Um das BevölkeREUTERS/CLARO CORTES IV
19.000 Euro bezahlen
rungswachstum einzudäm- treibungen vor. Deshalb wird im wohlhabenderen men, erlauben chinesische Zhejiang mehr als das dreiBehörden seit 1979 meist fache durchschnittliche Jahnur noch ein Kind je Ehepaar. In der Hoffnung auf ei- resgehalt in China (5800 nen Jungen Euro) für eine Braut bezahlt. töten viele In der Provinz Shandong an chinesische der Ostküste sind es Eltern neuge- 16.000 Euro, in der Hafenborene Mädstadt Shanghai 12.300, im chen oder Autonomen Gebiet Tibet nehmen Ab10.000.
Persönliches Exemplar von k.brandstetter@aon.at, alle Rechte vorbehalten. Nutzungsbedingungen unter www.kiosk.at
CHINESISCHE BRÄUTE Lieb und teuer
EPA/OLIVIER HOSLET
JEAN-CLAUDE JUNCKER Luxemburgs Premier muss erklären, warum der Geheimdienst des Landes außer Kontrolle geraten ist.
Wanze in der Armbanduhr
Luxemburgs Premierminister Jean-Claude Juncker könnte diese Woche über eine Geheimdienstaffäre stolpern, zu deren Opfern er absurderweise selbst gehörte.
schafft, aber privat genutzt und zum Teil später zu höheren Preisen weiterverkauft worden. Für Juncker könnte sich nun die absurde Situation ergeben, dass er für die Rechtsverstöße des SRE abgestraft wird, zu dessen Opfern er selbst geworden ist. Und das dürfte den Regierungschef noch mehr ärgern als die Enthüllung der österreichischen Finanzministerin Maria Fekter (ÖVP), die vergangenes Jahr seine Probleme mit Nierensteinen ausgeplaudert hatte. Am Mittwoch muss der Premier nun versuchen, das luxemburgische Parlament milde zu stimmen. Bereits im Juni hatte er sein weiteres Schicksal in die Hände der Volksvertretung gelegt. „Wenn die Abgeordneten der Meinung sind, dass ich mich schuldig gemacht habe, dann müssen sie daraus die Konsequenzen ziehen“, sagte er damals in einer Debatte über die SRE-Affäre. Luxemburgische Medien rechnen mit vorgezogenen Neuwahlen bereits in drei Monaten. Für Juncker würde dies aber wohl kaum das Ende seiner politischen Karriere bedeuten. Gilt er doch, Schlapphut-Affäre hin oder her, als aussichtsreicher Kandidat für ein hohes EU-Amt: Nachdem er 2009 daran gescheitert war, Ratspräsident zu werden – unter anderem war damals Österreichs Ex-Kanzler Wolfgang Schüssel gegen ihn ins Spiel gebracht worden –, ist er nun als Kommissionspräsident nach der Europawahl 2014 im Gespräch. andreas förster
Eine Zukunft mit Assad?
A
schen Wandel). Gegenüber profil kann sich NCC-Vorsitzender Hussein Abd alAzim etwa Bashar al-Assad weiterhin als Präsidenten vorstellen. Bedingung: ein parlamentarisch-demokratisches System, in dem die Macht des EPA/SANA
ngesichts des nicht enden wollenden Blutvergießens in Syrien werden innerhalb der Opposition vermehrt Stimmen laut, die auf eine Einbindung des Assad-Regimes in eine politische Lösung drängen – vor allem von Seiten des ElfParteien-Bündnisses NCC (Nationales Koordinationskomitee für den demokrati-
Staatschefs stark eingeschränkt ist. „Funktioniert die Regierung, und Bashar ist nur mehr eine Figur von vielen, dann soll es so sein“, so al-Azim. Das NCC, die größte in Syrien tätige Oppositionsbewegung, gilt als An-
sprechpartner für Russland – im Gegensatz zum Syrischen Nationalkongress (SNC), der vor allem nach Saudi-Arabien und Qatar orientiert ist. Al-Azim reist derzeit durch Europa und bereitet sich auf eine Teilnahme an den geplanten Friedensgesprächen in Genf vor, wo er auf Gehör für seinen Vorstoß hofft. m. st.
BASHAR AL-ASSAD Angebot von der Opposition
Persönliches Exemplar von k.brandstetter@aon.at, alle Rechte vorbehalten. Nutzungsbedingungen unter www.kiosk.at
8. Juli 2013 • profi l 28 47
ausland
imago
Ägypter feiern den Umsturz Mursi-Gegner brachen in Jubel aus, nachdem Armeechef Abdel Fattah al-Sisi die Absetzung des Präsidenten bekannt gegeben hatte.
48 profil 28 • 8. Juli 2013
Persönliches Exemplar von k.brandstetter@aon.at, alle Rechte vorbehalten. Nutzungsbedingungen unter www.kiosk.at
Die Revolution putscht gegen ihre Kinder
Mit dem Abgang von Präsident Mursi sind die Probleme Ägyptens noch lange nicht gelöst. Die Armee hatte zwar die Mehrheit der Bevölkerung hinter sich, als sie die Muslimbrüder aus dem Amt jagte – ohne die Islamisten geht allerdings auch nichts.
Persönliches Exemplar von k.brandstetter@aon.at, alle Rechte vorbehalten. Nutzungsbedingungen unter www.kiosk.at
8. Juli 2013 • profil 28 49
ausla n d
„W
Von Anna Giulia Fink und Gregor Mayer, Kairo
AFP/Getty Images
as würden Sie tun, wenn plötzlich Millionen Ägypter auf die Straße gingen, um Ihren Rücktritt zu fordern?“ Die Frage des TV-Moderators richtet sich an Mohammed Mursi, der ihm gegenübersitzt. Ägypten, im Mai 2012: Es herrscht Wahlkampf, ein Jahr zuvor wurde Diktator Hosni Mubarak nach drei Jahrzehnten
Die Panzer der Armee rollten bereits durch die Hauptstadt, als Präsident Mohammed Mursi (Foto) noch eine Rede hielt, in der er exakt 57 Mal das Wort „Scharaiya“ benützte: „Legitimität“.
Alleinherrschaft aus dem Amt gejagt. Mursi, Kandidat der Muslimbrüder, ist im Rennen um das Präsidentenamt in den ersten freien Wahlen, er zögert also nicht lange: „Erstens würden die Menschen nicht gegen mich demonstrieren, weil ich als Präsident den Willen des Volkes repräsentieren würde. Sollten sie aber demonstrieren gehen: Ich wäre der Erste, der zurücktreten würde.“ Vergangene Woche erbrachte Mursi den Beweis dafür, dass sein Versprechen damals nur leere Worte gewesen waren. Am 30. Juni dieses Jahres war Ägyptens erster demokratisch gewählter Präsident genau zwölf Monate im Amt. Zu feiern hatte er zu diesem Zeitpunkt aber nicht viel. Zweieinhalb Jahre nach Beginn des Arabischen Frühlings marschierten gerade erneut Millionen erboste Bürger durch die Straßen Ägyptens. Es waren die größten Demonstrationen
50 profil 28 • 8. Juli 2013
Persönliches Exemplar von k.brandstetter@aon.at, alle Rechte vorbehalten. Nutzungsbedingungen unter www.kiosk.at
in der Geschichte des Landes, größer noch als jene gegen Mubarak. Doch während die Muslimbruderschaft im Jänner 2011 noch an der Seite der Demonstranten marschiert war, richteten sich die Proteste nun gegen sie. Die in der Gesellschaft an sich fest verankerten Islamisten hatten aber auch zielsicher jede Chance ergriffen, sich unbeliebt zu machen. Die Wirtschaft im einflussreichsten arabischen Land liegt darnieder, seine 82 Millionen Einwohner sind in zwei Lager gespalten: Anhänger und Gegner der Muslimbrüder. Fünf Tage demonstrierten die Ägypter, sechs Minister traten in dieser Zeit zurück, zuletzt verhängte die Armee ein 48-Stunden-Ultimatum zur Lösung des Konflikts: Das Land versank im Chaos, und was tat Mursi? Er krallte sich bis zum bitteren Ende an die Macht und wollte nicht einsehen, dass er längst den Rückhalt in der Bevölkerung verloren hatte. Die Panzer der Armee rollten bereits durch die Hauptstadt, als der Präsident noch eine Rede hielt, in der er exakt 57 Mal das Wort „Scharaiya“ benützte: „Legitimität“. Mohammed Mursi wurde mit klarer Mehrheit vom ägyptischen Volk gewählt – und dennoch Donnerstag vergangener nur eine Stunde nach Auslaufen des Ultimatums auf Druck der Straße seines Amtes enthoben. Die 2012 vom Volk in einem Referendum angenommene Verfassung wurde für ungültig erklärt, der Präsident des Verfassungsgerichtes, Adly Mansur, als Übergangspräsident eingesetzt. Das Ausland zeigt sich besorgt über das Vorgehen der Streitkräfte, die Ägypter jedoch feiern den Staatsstreich wie seinerzeit Mubaraks Abgang. Inwiefern aber lassen sich die Ereignisse vergleichen? Sind die aktuellen Entwicklungen die Fortführung des Arabischen Frühlings, ist der Schritt der Armee ein Versuch, die junge Demokratie zu retten – oder sie endgültig zu zerstören?
REUTERS/Amr Abdallah Dalsh
Adli Mansur Vor den Mitgliedern des obersten Verfassungsgerichts Ägyptens legte der Übergangspräsident (Mitte) den Amtseid ab.
Persönliches Exemplar von k.brandstetter@aon.at, alle Rechte vorbehalten. Nutzungsbedingungen unter www.kiosk.at
8. Juli 2013 • profil 28 51
ausland
Was haben die Muslimbrüder eigentlich falsch gemacht? urz vor Ausbruch der Proteste zog Mursi folgendermaßen Bilanz über seine Amtszeit: „In manchen Fällen lag ich falsch, in manchen richtig“, sagte der Präsident am Anfang einer Rede anlässlich des Jahrestages seines Machtantritts. Ganze zwei Stunden nahm er sich für sein Résumé Zeit, auf seine Fehler kam er dabei allerdings mit keinem Wort zu sprechen – symptomatisch für den sturen, geheimniskrämerischen und kompromissunfähigen Regierungsstil der Muslimbrüder. Im Juni 2012 hatte Mursi die Stichwahl mit 52 Prozent gewonnen. In absoluten Zahlen bekam er damit um acht Millionen Stimmen mehr als im ersten Wahlgang. Seine Entscheidung, den Hohen Militärrat um Feldmarschall Mohammed Hussein Tantawi im August 2012 – 16 Monate nach dem Sturz Mubaraks – zu entmachten, brachte Mursi zwar noch Sympathiepunkte. Kurz darauf begann er aber sukzessive an Rückhalt in der Bevölkerung zu verlieren. Denn einmal im Amt interpretierte seine „Freiheits- und Gerechtigkeitspartei“ – der politische Arm der Muslimbrüder – ihren Wahlsieg nicht als Verpflichtung, sondern als Freifahrtschein: Sie gaben sich etwa selbst die Vollmacht, Gesetze zu erlassen und die Justiz zu ignorieren und schrieben die Verfassung im Alleingang. Gleichzeitig begannen die christlichen Kopten, die schiitische Minderheit sowie Frauen und Menschenrechtler die wachsende Intoleranz im Land zu beklagen. Die Zahl der Arbeitslosen stieg, die Stromausfälle nahmen zu, Benzin und Brot verteu-
„Eine ernstgemeinte Übergabe an eine zivile Regierung ohne Teilahme der Muslimbrüder ist nur sehr schwer vorstellbar.“ Tarek Osman, Schriftsteller und Ägypten-Experte
erten sich Tag für Tag mehr. Währenddessen blieb die Infrastruktur weiterhin miserabel, die Sicherheitslage verschlechterte sich. „Ägypten befindet sich im freien Fall“, fasst der einflussreiche „Time“-Kolumnist und CNN-Moderator Fareed Zakaria die Lage zusammen. Das alles ist zwar zu einem großen Teil Folge einer jahrzehntelangen Misswirtschaft, Mursis Regierung hat sich aber als gänzlich unfähig erwiesen, die Probleme auch nur im Ansatz anzugehen. 64 Prozent gaben zuletzt in Umfragen an, die Regierung hätte noch schlechter abgeschnitten als erwartet. Und 73 Prozent gestanden der Regierung im Jahr zuvor keine einzige positive Maßnahme zu. Mursi mag also zum ersten zivilen Präsidenten Ägyptens nach dem Sturz der Monarchie 1952 gewählt worden sein – Demokratie mutierte unter ihm dennoch zum Nullsummenspiel.
War das jetzt ein Putsch? Oder eine zweite Revolution? illionen Demon stranten auf den Straßen, eine politisch handlungsunfähige Regierung – und dann ein Machtwort des Militärs: Es ist gar nicht so leicht auszumachen, was die treibende Kraft hinter dem Sturz von Mursi und seinem Islamistenkabinett war. Wie groß der politische Einfluss der ägyptischen Generäle ist, bewies Militärchef Abdel Fattah al-Sisi vergangenen Mittwoch. Als die Armeeführung die Spitzen von Politik und Religionsgemeinschaften zu einer Besprechung ins Kommando beorderte, kamen alle herbeigeeilt: Mohammed el-Baradei, der ehemalige Chef der Internationalen Atomenergie-Organisation; bekannte Akteure der revolutionären Jugendbewegung; ein Repräsentant der strenggläubigen islamistischen Salafisten, die ihr Bündnis mit den Muslimbrüdern aufgekündigt hatten; der moderate Großscheich der angesehenen islamischen AlAzhar-Universität; der Papst der christlichen Kopten. Lediglich die Muslimbrüder hatten die Einladung ausgeschlagen. „Die Armee strebt nicht nach der Macht
52 profil 28 • 8. Juli 2013
Persönliches Exemplar von k.brandstetter@aon.at, alle Rechte vorbehalten. Nutzungsbedingungen unter www.kiosk.at
und will keine Macht“, versicherte al-Sisi. Doch die Ikonografie der Fernsehbilder sprach eine andere Sprache: hinter dem Rednerpult, sich mächtig aufbauend, der kommandierende General; zu beiden Seiten aufgereiht sitzend, stumm wie Statisten, die zivilen Politiker und kirchlichen Würdenträger. Gleichzeitig wirkten die Demonstrationen wie ein Dacapo der Revolution, die vor zwei Jahren das Mubarak-Regime gekippt hatte. Bloß, dass die Front der Regierungsgegner heuer noch viel breiter war als damals, was sich alleine aus der Zahl der Teilnehmer ergibt. Es war eine Vereinigung verschiedenster Gruppen, die gegen Mursi auf die Straße gegangen ist: die zornige Jugend, Anhänger des alten Mubarak-Regimes, Frauen mit und ohne Schleier, sogar Salafisten, die den ehemaligen Muslimbruder selbst unterstützt hatten. Der Bewegung „Tamarod“ (Rebellion) gelang es, nicht nur die städtische Elite zu mobilisieren, sondern auch Ägyptens schweigende Mehrheit in den abgelegenen Regionen, die mit Mursi immer weniger zufrieden war. Kurzfristig konnten sie sich auf ein gemeinsames Ziel einigen: Mursi sollte abtreten. Doch darüber hinaus sind die Anliegen höchst unterschiedlich. Den Anstoß gab also die Macht der Straße. Ihre Motivation lag einerseits natürlich darin, dass sich die soziale und wirtschaftliche Situation seit Amtsantritt Mursis nicht verbessert, sondern im Gegenteil tendenziell verschlechtert hat – andererseits aber auch in den zunehmend autoritären Tendenzen der Muslimbrüder. Die Entscheidung führte, wie schon beim Sturz des Mubarak-Regimes, letztendlich aber die Armee herbei. Wobei ihre Motivation wohl nicht in erster Linie die Verteidigung des demokratischen Wandels war, sondern der Schutz ihrer eigenen politischen und wirtschaftlichen Interessen. Immerhin kontrolliert das Militär bis zu 40 Prozent der ägyptischen Wirtschaft. Diese Pfründe blieben auch in der neuen, von den Muslimbrüdern ausgearbeiteten Verfassung unangetastet. Allerdings schien die Regierung immer weniger in der Lage, die entsprechenden politischen Rahmenbedingungen aufrechtzuerhalten: Die damit verbundene Gefahr dürfte die Militärs veranlasst haben, einzugreifen. Was sich in Ägypten derzeit abspielt, ist also die Fortsetzung einer Volksrevolution mit Unterstützung des Militärs.
Kann ein Militärputsch der Demokratie dienen? atürlich nicht, lautet die reflexhafte Antwort. Aber das stimmt nur bedingt. Der amerikanische Jus-Professor Ozan Varol etwa listet im „Harvard International Law Journal“ sieben Kriterien auf, nach denen ein Militärputsch demokratisch angebracht sein kann. Sie lauten: Der Staatsstreich richtet sich gegen ein autoritäres oder totalitäres Regime.
1 2
Das Militär unterstützt damit eine weit verbreitete, anhaltende Oppositionsbewegung.
3 4
Das Regime weigert sich dennoch, abzutreten.
Das Militär ist – normalerweise durch allgemeine Wehrpflicht – eine im Land anerkannte und respektierte Institution.
5 6 7
Das Militär putscht, um das Regime zu stürzen. Das Militär ermöglicht binnen kurzer Zeit freie und faire Wahlen.
Das Militär gibt anschließend die Macht an eine demokratisch ermittelte Regierung ab. Seit 1991, so eine Studie der Universität Yale, ist eine deutliche Mehrheit der weltweit registrierten Militärputsche nach diesem Muster erfolgt – vor allem in Ländern, die besonders von westlicher Finanzhilfe abhängig waren. Im Fall von Ägypten treffen vorerst allerdings nur die Kriterien zwei bis fünf zu. Endgültig autoritär war Mursi wohl noch nicht. Auf dem Weg dahin tendenziell sehr wohl, daran ändert auch die Tatsache nichts, dass er demokratisch gewählt war: Auch legitime Regierungen können totalitäre Züge entwickeln. Mursi etwa hatte in den vergangenen Monaten durch mehrere höchst umstrittene Dekrete immer mehr Macht an sich gerafft. Unter anderem stellte er sämtliche präsidentielle Entscheidungen unter Immunität (ein Vorstoß, den er nach Protesten allerdings wie-
der zurücknehmen musste), ließ eine private TV-Anstalt schließen, Journalisten unter Anklage stellen, Kabarettisten verhaften – all das auch als Reaktion auf Querschüsse von Institutionen wie dem Verfassungsgerichtshof. Je lauter die Kritik wurde, desto weniger ging der erste demokratisch ermittelte Präsident Ägyptens auf sie ein. Ob der Putsch von vergangener Woche die Rettung des demokratischen Experiments bringt, wird sich erst zeigen: Zunächst anhand der Frage, ob und wann die von der Armee eingesetzte TechnokratenRegierung Neuwahlen durchführen lässt – und dann an der Reaktion auf das Ergebnis, das durchaus wieder die Moslembrüder an die Macht bringen kann.
Sollte man die Muslim brüder angesichts der jüngsten Erfahrungen nicht komplett von der Macht ausschließen? usgerechnet dort, wo der politische Islam seinen Anfang genommen hat, ist er nun gescheitert: Die ägyptische Bruderschaft (Ikhwan), 1928 von dem ägyptischen Lehrer Hassan alBanna gegründet, gilt als Urmutter des politischen Islam. Die Muslimbruderschaft gehört zu den einflussreichsten islamisch-fundamentalistischen Bewegungen im Nahen Osten, ihr Ziel ist die Errichtung einer globalen islamischen Staats- und Gesellschaftsordnung strikt nach den Vorschriften des Koran. Ägypten galt stets als ihr wichtigster Wirkungsort, obwohl sie dort die längste Zeit verboten war. Die Bewegung baute im ganzen Land Moscheen, Fabriken, Krankenhäuser und Schulen auf und avancierte durch Bildungsangebote, kostenlose medizinische Versorgung und Armenspeisung zu einer Massenbewegung mit zehntausenden Anhängern. Die strenge innere Kaderorganisation ließ kaum ein demokratisches Parteileben zu: Die Führung bestimmt alles, die Mitglieder handeln nur auf ihre Weisung hin. Kaum an der Macht, begannen sie mit dem islamistischen Komplettumbau der Gesellschaft: Mursi dachte laut über einen
früheren Ladenschluss nach, damit Geschäftsinhaber und Bedienstete das vorgeschriebene Gebet zum Sonnenaufgang nicht verschlafen. Sein Kulturminister brachte die Idee ins Spiel, das Ballett zu verbieten, weil die Zurschaustellung menschlicher Körper unislamisch sei. Nach und nach wurden ehemalige Terroristen mit Ämtern und Posten betraut. Die starre innere Struktur hinderte die Führung daran, die verfehlte politische Strategie zu erkennen. Hinzu kamen die Machtgier, die Intransparenz und die Sturheit der Muslimbrüder, die sich auch aus der Erfahrung im Untergrund erklärt. Jetzt bekamen sie die Quittung dafür. Sie als politischen Faktor zu ignorieren, ist aber weder möglich noch ratsam – alleine ihrer schieren Größe wegen. „Eine ernstgemeinte Übergabe an eine zivile Regierung ohne Teilnahme der Muslimbrüder ist nur sehr schwer vorstellbar“, sagt etwa Tarek Osman, Autor des Buches „Ägypten an der Kippe“. Schließlich repräsentierten die Muslimbrüder weiterhin „einen nicht unbedeutenden Teil der Ägypter“. Und sie haben Wahlen gewonnen, die weitgehend als frei und fair galten. Ähnlich wie in Algerien in den 1990er-Jahren oder wie in Palästina nach dem Wahlsieg der Hamas sehen sich die Islamisten daher um ihren Erfolg betrogen. Die Lehre, die sie daraus ziehen, lautet schlicht: Darauf, dass demokratische Entscheidungen akzeptiert werden, ist gerade in ihrem Fall kein Verlass. Die „International Crisis Group“ fürchtet angesichts der Ereignisse in Ägypten nunmehr, dass radikale Teile der Muslimbrüder in den Untergrund abtauchen könnten. Kriminalisiert die Armee die Religiösen, könnte sie eine neue Generation junger, frustrierter und gewaltbereiter Islamisten hervorbringen, so die NGO. Um Stabilität zu garantieren, muss Übergangspräsident Mansur letztlich eben jenen die Hände reichen, die das Militär zuvor aus dem Amt gejagt hat. Wie schwierig das wird, zeigte sich vergangenen Freitag: Da marschierten Mursi-Anhänger auf den Offiziers-Klub der Präsidentengarde zu, wo sie den abgesetzten Präsidenten vermuteten. Daraufhin eröffneten Soldaten das Feuer. Es gab Tote. Mursis Anhänger wehrten sich gegen seine Absetzung und riefen zum Widerstand auf. Die Lage bleibt angespannt, der Zorn wächst. n
Persönliches Exemplar von k.brandstetter@aon.at, alle Rechte vorbehalten. Nutzungsbedingungen unter www.kiosk.at
8. Juli 2013 • profil 28 53
Persรถnliches Exemplar von k.brandstetter@aon.at, alle Rechte vorbehalten. Nutzungsbedingungen unter www.kiosk.at
Meinung Georg HoffmannOstenhof georg.ostenhof@profil.at
Sommer des Zorns
Eine globale Protestbewegung ist unterwegs. Die alten Mächte des Status quo haben allen Grund, beunruhigt zu sein.
W
ird 2013 als Revolutionsjahr in die Geschichtsbücher eingehen? Das insinuiert zumindest das liberale Magazin „Economist“ in seiner Ausgabe vom 29. Juni. Wie so oft ist das Coverbild des britischen Blattes auch diesmal geistreich und originell. Vier Figuren zeigen sich nebeneinander in gleicher Pose. Eine halbnackte Frauenfigur mit roter Mütze schwingt die französische Trikolore und hält in der anderen Hand ein Bajonett. Ein Langhaariger mit Blumenstrauß droht mit einem bereits gezündeten Molotowcocktail. Schnauzbart Lech Walesa ist mit Kerze und Schraubenzieher bewehrt, dann eine junge Frau mit Handy in der Rechten und Coffee-to-go-Becher in der Linken. Und jedem Bild ist ein Untertitel zugeordnet. In der Reihenfolge: „1848, Europa“, „1968, Europa und Asien“, „1989, Sowjetreich“ und schließlich „2013, überall“. Gewiss ist die Einordnung des aktuellen Jahres in die Reihe dieser historischen Ereignisse bewusst provozierend gemeint. Aber wenn kurz darauf Millionen Ägypter, von einer Initiative namens Tamarod (Rebellion) aufgerufen, auf die Straße gingen und – in Tateinheit mit dem Militär – die herrschenden Muslimbrüder stürzten, dann riecht das tatsächlich nach Revolution. Vielleicht ist das als spezifisch nordafrikanisches Ereignis zu werten. Was aber frappiert, ist die Tatsache, dass sich in den vergangenen Tagen und Wochen nicht nur der Tahrir-Platz mit zornigen Menschen gefüllt hat, sondern sich auch in den Straßen von Santiago und Djakarta, von Istanbul und Rio, von Sofia und anderen Städten der Welt sehr Ähnliches abspielt: Allen voran junge Menschen aus der Mittelschicht drücken – mobilisiert durch Facebook, Twitter und Co. – in einer Mischung aus Wut und Volksfeststimmung ihren Unmut über die herrschenden Verhältnisse aus. Die Gleichzeitigkeit der Protestbewegungen in den verschiedensten Ländern ist wirklich erstaunlich. Die jeweiligen politischen und ökonomischen Umstände können unterschiedlicher nicht sein. Auch die Anlässe. Da geht es um Preiserhöhung von Busfahrscheinen (Brasilien), um einen Park, der verbaut werden soll (Türkei), um korrupte Politiker (Bulgarien), um verteuertes Benzin (Indonesien), um einen unfähigen und autoritären Präsidenten (Ägypten) und um unbezahlbare Ausbildungskosten (Chile). Und doch dürfte es sich nicht um disparate, voneinander unabhängige Entwicklungen handeln – sondern um eine Art Epidemie des Protests, um eine globale Bewegung. Francis Fukuyama, der US-Politologe, der mit seiner These vom „Ende der Geschichte“ seinerzeit Furore machte, sieht in der globalen Unruhe, die wir jetzt beobachten, den Ausdruck dessen, was er die „Middle-Class Revolution“ nennt.
Fukuyamas Analyse: Vor allem in Schwellenländern wie der Türkei, Brasilien und Indonesien ist in den vergangenen Jahrzehnten eine neue, relativ gut ausgebildete Middle-Class entstanden. Er zitiert Umfragen, die zeigen, dass mit höherer Ausbildung die Menschen immer mehr Wert auf Demokratie, individulle Freiheiten und Toleranz für alternative Lebensstile legen. Diese stark angewachsene neue globale Mittelschicht ist es zu allererst, die jetzt mit den herrschenden politischen Strukturen und Repräsentanten zusammenkracht.
N
icht nur in halbwegs demokratischen Schwellenländern, auch in autoritäreren Regimen wie in China, Russland und dem Iran sind die urbanen jungen Mittelschichtler das Ferment der Veränderung. Und in Europa spielen sie gleichfalls Avantgarde, wenn es darum geht, gegen die desaströse Sparpolitik auf die Straße zu gehen. Sie sind meisterhaft im Mobilisieren und gut im Vernetzen, aber waren nirgendwo bislang in der Lage, eigene Strukturen aufzubauen, oder auch nur handlungsfähige Führungsfiguren hervorzubringen. Allein können die jungen Digital Natives keine dauerhaften politischen Veränderungen herbeiführen. Dafür brauchen sie Bündnispartner. Und wenn sie die nicht finden, dann können sie so schnell wieder weg von der Straße sein, wie sie da aufgetaucht sind. Nehmen wir als Beispiel Occupy Wall Street, die so spektakuläre Protestbewegung in den USA. Sie gab vor zwei Jahren ein nur sehr kurzes Gastspiel. Trotzdem: Aufruhr liegt in der Luft. Die Straße, das zeigt dieser Sommer des Zorns eindrücklich, ist als politischer Akteur voll da. Wohin diese Straße führt, ist in der Umbruchsituation, in der sich die Welt befindet, freilich noch nicht abzusehen. Das war aber früher auch nicht anders. Die Demokratie, die sich die Revolutionäre des Völkerfrühlings 1848 auf die Fahnen schrieben, ließ noch Jahrzehnte auf sich warten. Die antikapitalistische Jugend des Jahres 1968 revolutionierte zwar das Sexleben, der Kapitalismus stürzte aber mitnichten, er wurde nicht zuletzt durch sie erst so richtig modernisiert. Und die idealistischen Dissidenten, die 1989 die Kommunisten Osteuropas davongejagt hatten, waren bald weg vom Fenster. Eines ist aber sicher: Die herrschenden Mächte, die alles beim Alten belassen wollen und den Status quo verteidigen, haben in diesen Sommertagen allen Grund, beunruhigt zu sein. n
Die Aufständische von heute: junge Frau mit Handy und Coffee-to-go-Becher
Persönliches Exemplar von k.brandstetter@aon.at, alle Rechte vorbehalten. Nutzungsbedingungen unter www.kiosk.at
8. Juli 2013 • profil 28 55
Ausland
A
Wenn die USA als Schutzmacht der Freiheit versagen und Europa ihnen dabei devot zur Hand geht, dann hat nicht nur Aufdecker Edward Snowden ein Problem, sondern die ganze Welt, meint Robert Treichler.
REUTERS/Sergei Karpukhin
AP/Richard Drew/dpa picture alliance
m 11. März dieses Jahres sprach Thomas Donilon, Nationaler Sicherheitsberater der USA, in New York vor der Asia Society, einer Art Freundschaftsgesellschaft zwischen Asien und Amerika, und wurde bei aller Höflichkeit ziemlich deutlich: Die USA seien „mit Cyber-Attacken aus China in bislang ungekanntem Ausmaß konfrontiert“, zürnte Donilon und formulierte ein unumstößliches Prinzip: „Die Internationale Gemeinschaft kann es sich nicht erlauben, solche Aktivitäten zu tolerieren, egal welches Land dafür verantwortlich ist.“ Keine vier Monate später haben sich die USA der Lächerlichkeit preisgegeben. Ihre Position in der Frage der CyberSpionage ist seit den Enthüllungen des Whistleblowers Edward Snowden, der die Existenz riesiger Überwachungsprogramme des US-Nachrichtendienstes NSA (National Security Agency) im In- und Ausland aufdeckte, sinnentlehrt. Das hat – zum Teil – gar nicht mal unkomische Aspekte. Die chinesischen Regierungsvertreter etwa, die diese Woche am jährlich stattfindenden US-Chinesischen Strategie- und Wirtschaftsdialog in Washington teilnehmen, werden alle Mühe haben, ihre ernsten Mienen zu bewahren. Ihr Gegenüber, Jack Lew, seit Februar Finanzminister der USA, hat sich nämlich vorgenommen, ein aus seiner Sicht eminent wichtiges Thema anzuschneiden: Cyber-Sicherheit, präzise: den Verdacht, China betreibe zum Schaden der USA Internet-Hacking. Washington, das Spionage-Opfer? An diesem Punkt des Strategie- und Wirtschaftsdialogs werden die chinesischen Gesprächsteilnehmer wohl um eine kurze Pause ersuchen, um auf der Toilette mal ordentlich abzukichern. Wieder zurück am Verhandlungstisch, könnten die Gäste aus Peking Minister Lew mit einem Zitat von dessen Chef, US-Präsident Barack Obama, antworten. Dieser beschrieb die Tätigkeit von Nachrichtendiensten vergangene Woche so: „Geheimdienste versuchen, die Welt besser zu verstehen, und verwenden dabei eben andere Quellen als nur die ‚New York Times‘ und ‚NBC News‘“. Mit diesen Worten rechtfertigt der Führer der freien Welt die Tatsache, dass Kommunikationsdaten von hunderten Millionen von Bürgern weltweit ebenso aufgezeichnet werden wie die Gespräche in EU-Botschaften. Hier beginnen die weniger komischen Aspekte der Affäre, die Edward Snowden ans Tageslicht gebracht hat. Im August des Jahres 2007, also mehr als ein Jahr vor seiner Wahl zum US-Präsidenten, hatte Obama noch den Anschein erweckt, den Praktiken seines Vorgängers George W. Bush ein Ende setzen zu wollen. In seiner Rede „The War We Need To Win“ (Der Krieg, den wir gewinnen müssen) sagte er: „Diese Regierung (die Regierung Bush,
Die Friedensnobelpreisträger-Bande
Land of the Free? Die Baustelle rund um die Freiheitsstatue, die vergangene Woche zum Unabhängigkeitstag wieder eröffnet wurde. Edward Snowden, Held oder Staatsfeind, auf einem Bildschirm am Moskauer Flughafen
56 profil 28 • 8. Juli 2013
Persönliches Exemplar von k.brandstetter@aon.at, alle Rechte vorbehalten. Nutzungsbedingungen unter www.kiosk.at
Anm.) handelt, als sei das Missachten von bürgerlichen Freiheiten der Weg, um unsere Sicherheit zu verbessern. Das ist nicht der Fall.“ Und der damalige Präsidentschaftskandidat Obama versprach „kein weiteres illegales Anzapfen von Leitungen amerikanischer Bürger“. Noch im März dieses Jahres antwortete James Clapper, der Direktor von 16 US-Geheimdiensten, auf die Frage, ob die NSA „irgendeine Art von Daten von Millionen oder hunderten Millionen Amerikanern“ sammle: „No, Sir, nicht wissentlich.“ Das war eine Lüge. Am 21. Juni war Clapper gezwungen, seine Antwort schriftlich zu widerrufen. Das illegale Anzapfen von Leitungen amerikanischer Bürger wurde ganz einfach ohne Wissen der Bevölkerung legalisiert und von der NSA durchgeführt. Die gigantischen Überwachungsprogramme, kombiniert mit der Irreführung der – nationalen und internationalen – Öffentlichkeit, sind der Kern des Skandals. Den hätte die USRegierung entschärfen können – etwa, indem sie sich entschuldigt und für die Zukunft klare Richtlinien beschließt. Doch Obama tut nichts dergleichen. Nicht einmal für die Verwanzung von EU-Botschaften findet er öffentlich Worte des Bedauerns. Entschuldigungen gehen dem US-Präsidenten leichter von der Lippe, wenn es um Verfehlungen seines Vorgängers geht. 2009 bekannte er bei einer Europa-Reise in Straßburg: „Es gab Zeiten, als sich Amerika arrogant und herablassend oder sogar verächtlich benahm.“ Diese Zeiten sind wieder da. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel ließ vergangene Woche in einem Interview mit der deutschen Nachrichtenagentur dpa durchblicken, dass Washington auch Wochen nach der offiziellen Bitte der Bundesregierung um Aufklärung noch keine erhellenden Antworten übermittelt habe. Ist es wirklich so schlimm, wenn Geheimdienste geheim Daten sammeln? Ja, wenn sie diejenigen derart dreist ausspionieren, die sie öffentlich als ihre engsten Partner und Alliierten bezeichnen. Obama, die vermeintliche Galionsfigur des Multilateralismus, hat sich als transatlantischer Rowdy entpuppt. Alle Abhörmaßnahmen waren von höchster Stelle – vom Weißen Haus – abgesegnet. Wäre das nicht so und hätten die Geheimdienste eigenmächtig gehandelt, würden längst Köpfe rollen. All das widerspricht drastisch dem Bild, das sich die freie Welt von den USA macht. Ist es naiv, von den Vereinigten Staaten zu erwarten, der Freiheit und dem Rechtsstaat im Cyberspace mit allen Mitteln zum Durchbruch zu verhelfen, anstatt dort das Recht des Stärkeren in Anspruch zu nehmen? Wenn es das ist, was meinte dann Thomas Donilon, als er sagte, die Internationale Gemeinschaft könne es sich nicht erlauben, solche Aktivitäten zu tolerieren? Es kommt noch schlimmer. Edward Snowden, der Mann, ohne den die Welt nicht erfahren hätte, was die NSA treibt, wird von den USA gejagt, als wäre er ein Kriegsverbrecher. Snowden hat, im Gegensatz zur Job-Description eines Spions, seine Informationen nicht geheim einer fremden, feindlichen Macht zugänglich gemacht, sondern der ganzen Welt.
Er hat damit unter anderem mutmaßliche Rechtsbrüche, die US-Behörden im Ausland – etwa durch die Verwanzung von EU-Büros – begangen haben könnten, zur Anzeige gebracht. Untersuchungen der Staatsanwaltschaft, etwa in Deutschland, laufen. Die Verfolgung von Snowden wäre weniger beklemmend ohne das abschreckende Beispiel von Bradley Manning, dem mutmaßlichen Informanten der Enthüllungsplattform WikiLeaks. Dessen Behandlung durch die US-Behörden beschrieb Juan Mendez, der UN-Sonderberichterstatter über Folter, als „grausam, unmenschlich und erniedrigend“ – dabei ist Manning noch nicht einmal verurteilt. Die Whistleblower sollen zum Zweck der Generalprävention zerstört werden. Wer glaubt, Missstände bekannt machen zu müssen, soll wissen, dass er nirgendwo auf der Welt mehr sicher ist. Repräsentanten der US-Regierung wie Botschafter William C. Eacho in Österreich wollen die Aufregung nicht verstehen. Gegenüber der „Presse“ sagte Eacho, vom Überwachungsprogramm der NSA Betroffene müssten sich „nur Sorgen machen, wenn es Grund zur Annahme gibt, das sie in Zusammenhang mit Terrorismusstehen“. Doch wenn dank geheimer Genehmigung geheim überwacht wird und in weiterer Folge auf Basis geheimer Beweise Urteile gesprochen werden, dann kommt es zu Fällen wie jenem des in Deutschland geborenen Türken Murat Kurnaz, der von 2002 bis 2006 im US-Gefangenenlager Guantanamo interniert war. Unter Verdacht kam er, weil er sich in Pakistan aufgehalten hatte und weil einer seiner Bekannten angeblich in Afghanistan gegen die US-Armee kämpfen wollte. So leicht gerät man in Zusammenhang mit Terrorismus. Eine US-Richterin stellte später fest, dass Kurnaz’ Inhaftierung rechtswidrig gewesen sei. Was wird mit Edward Snowden geschehen? Der Fall Manning sollte als Indiz dafür ausreichen, dass ihm in den USA unmenschliche Behandlung bis hin zur Folter droht, vielleicht auch die Todesstrafe. Doch mehrere europäische Staaten, darunter Österreich, verweigern dem 30 Jahre alten US-Bürger, dessen letzter bekannter Aufenthaltsort die Transitzone des Moskauer Flughafens Scheremetjewo gewesen ist, politisches Asyl und verweisen heuchlerisch auf die formaljuristische Anforderung, Asyl könne man nur beantragen, wenn man bereits im betreffenden Land sei. Das ist eine Ausrede. Selbstverständlich können Regierungen Personen, denen sie Schutz gewähren wollen, auch aus der Ferne Asyl anbieten. Als etwa der damalige georgische Staatspräsident Eduard Schewardnadse 2003 durch die „Rosenrevolution“ gestürzt worden war, bekundete die deutsche Bundesregierung öffentlich, sie werde ihm Exil gewähren, falls er nach Deutschland kommen wolle. Er blieb jedoch in Georgien. Auch als 2002 militante Palästinenser fünf Wochen lang von der israelischen Armee in der Geburtskirche in Bethle-
„Selbstverständlich können Regierungen Personen, denen sie Schutz gewähren wollen, aus der Ferne Asyl anbieten.“
Persönliches Exemplar von k.brandstetter@aon.at, alle Rechte vorbehalten. Nutzungsbedingungen unter www.kiosk.at
8. Juli 2013 • profil 28 57
Ausland
Gert R. Polli, Ex-Chef des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung, über Edward Snowdens Enthüllungen, Wirtschaftsspionage und Wien als Agentenhochburg.
Gert R. Polli, 53 Der Kärntner leitete von 2002 bis 2007 das „Bundesamt für Verfas sungsschutz und Terrorismus bekämpfung“ (BVT) im Innen ministerium. Zuvor war er im Heeresnachrichtenamt tätig. Jetzt berät er in seiner Wiener Firma „polli-IPS“ Unternehmen bei der Abwehr von Betriebsspionage.
Monika Saulich für profil
hem belagert wurden, half die Europäische Union aus und bot ihnen mit Israels Einverständnis Asyl an. 13 Männer wurden schließlich nach Italien und Spanien gebracht. Im Fall Snowden aber schlottern den Europäern die Knie. Als vergangenen Dienstag die USA Snowden im Flugzeug des bolivianischen Staatspräsidenten Evo Morales vermuteten, verlangten sie von mehreren europäischen Ländern, den Luftraum für den Jet zu sperren. Morales musste in Wien landen. Frankreichs Außenminister Laurent Fabius entschuldigte sich tags darauf bei seinem bolivianischen Regierungskollegen für den „Zwischenfall“, der durch die „verspätete Bestätigung der Überflugsgenehmigung“ ausgelöst worden sei. Die Willfährigkeit gegenüber den USA kennt in Europa keine Grenzen. Und so hat Snowden alle Welt gegen sich. Gejagt vom Friedensnobelpreisträger Barack Obama, weil er unter anderem aufgedeckt hat, dass das nach dem Friedensnobelpreisträger Jimmy Carter benannte Atom-U-Boot Datenkabel unter dem Meer anzapft, will ihm auch die mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnete Europäische Union nicht beistehen. Ein möglicher Grund für die eigentümliche Zögerlichkeit einer Werte-Union, die sich mehr als jede andere den Menschenrechten verschrieben hat, ist das schlechte Gewissen einzelner Staaten, die ihre Bürger selbst ohne rechtliche Deckung abhören. Vergangenen Donnerstag meldete die Tageszeitung „Le Monde“, dass der französische Auslandsgeheimdienst DGSE den Internetverkehr zwischen Frankreich und dem Ausland überwache. Im französischen Gesetz findet sich dafür keine Grundlage. Üblicherweise versteht sich das Europäische Parlament als letzte Bastion der Verteidigung der Grundwerte, wenn alle anderen Institutionen längst aus Gründen der Realpolitik auf Hasenfuß-Modus umgeschaltet haben. Doch eine Abstimmung über einen Entschließungsantrag, in dem die Mitgliedsstaaten aufgefordert wurden, Edward Snowden „im Geiste der EU-Leitlinien betreffend den Schutz von Menschenrechtsverteidigern Asyl zu gewähren“, endete mit einer deutlichen Ablehnung. Der österreichische Sozialdemokrat Jörg Leichtfried, der zuvor noch Asyl für Snowden gefordert hatte, enthielt sich beim Votum der Stimme. Lediglich eine Resolution, in der die USA aufgefordert werden, Klarheit über ihre Spähprogramme zu schaffen, fand eine Mehrheit. Jedes Jahr, wenn das EU-Parlament den SacharowPreis für geistige Freiheit verleiht, werden Werte beschworen und Frauen und Männer geehrt, die „beschlossen haben, das Schicksal ihres Landes ihrem eigenen überzuordnen“. Ein US-Amerikaner, der seine Regierung der Lüge überführt und der Weltöffentlichkeit das Ausmaß der Überwachung vor Augen führt, wird keinen Preis bekommen, dafür wird die Friedensnobelpreisträger-Bande sorgen. n
p „Alle wussten Bescheid“
58 profil 28 • 8. Juli 2013
Persönliches Exemplar von k.brandstetter@aon.at, alle Rechte vorbehalten. Nutzungsbedingungen unter www.kiosk.at
rofil: Wie weit war das USÜberwachungssystem Prism den Regierungen in Österreich und anderen EU-Staaten bekannt? Polli: Alle für die Kooperation verantwortlichen politischen Stellen wussten darüber Bescheid, aber nicht über die jetzt durch Snowden aufgedeckte Intensität der Überwachung. Der eigentliche Skandal besteht darin, dass die Amerikaner ihre Verbündeten in diesem gewaltigen Ausmaß ausspioniert haben. profil: Aber auch die Briten, Franzosen und Deutschen verfügen über solche Überwachungssysteme. Polli: Alle Länder, die es sich leisten können, haben ähnliche Kontrollsysteme aufgebaut: die Briten mit ihrem Tempora-Programm, die Franzosen oder der Bundesnachrichtendienst in Deutschland. Der BND ist einer der primären Ansprechpartner der NSA. profil: Die deutsche Regierung will bis zu Snowdens Enthüllungen von den Lauschangriffen nichts gewusst haben. Polli: Das Überwachungssystem, das die Amerikaner der ganzen Welt übergestülpt haben, spioniert nicht nur Bürger oder Terroristen aus. In erster Linie geht es längst um Wirtschaftsspionage, vor allem in Deutschland. Nirgendwo sonst gibt es so viele Patente
und Know-how, auch bei kleinen und mittleren Betrieben. Ein primäres Angriffsziel sind Informationen über die weltweiten Geldströme, und auch da bietet sich Frankfurt als Finanzmetropole an. Swift und andere Abkommen mit den USA über Datenaustausch runden das Bild nur ab. profil: Informationen darüber werden übers Internet ausgespäht? Polli: Das Internet ist nur ein Vehikel zum Absaugen von Informationen. Ein anderer Teil läuft über andere Telekommunikationskanäle, und es gibt zusätzlich die klassische Spionage. Aber die moderne Spionage läuft nicht mehr über Agenten, sondern über Anwälte, Unternehmen, Joint Ventures und Insider, wie der Fall Snowden zeigt. Den Amerikanern geht es darum, den Informationsvorsprung auszubauen. Die Bekämpfung des Terrorismus war nur das Feigenblatt, auf dem all diese Überwachungsprogramme aufgesetzt worden sind. Die NSA hat den Heuhaufen erst geschaffen, in dem sich die Nadel perfekt verstecken lässt. Das ist die eigentliche Ironie der Affäre Snowden. profil: Auch österreichische Dienste sollen regelmäßige Kontakte zur NSA pflegen. Polli: Es gibt in Österreich keinen klassischen Geheimdienst. Der Auslandsnachrichtendienst hat in Österreich einen einzigartigen Status, da er beim Militär angesiedelt ist. Das Heeresnachrichtenamt (HNA) darf nach dem Militärbefugnisgesetz im Ausland tätig sein. Das Abwehramt ist im militärischen Rahmen für das Bundesheer zuständig. Aber das Problem liegt darin, dass die Grenze zwischen Auslandsund Inlandsnachrichtendienst immer mehr verschwimmt. Und dann gibt es noch das BVT im Innenmi-
nisterium, den zivilen Dienst, der eigentlich Polizei ist. Das führt zu Kompetenzüberschneidungen mit den zivilen Einrichtungen. Deren Informationsaustausch mit ausländischen Diensten weist eine bis dato andere Qualität und Quantität auf, geht es doch überwiegend um personenbezogene Daten. Und dann stellt sich die Frage, warum wir uns gleich zwei militärische Nachrichtendienste leisten. profil: Sie sollen sich früher hauptsächlich gegenseitig überwacht haben. Das HNA wurde politisch von der ÖVP kontrolliert, das Abwehramt von der SPÖ. Polli: Diese Teilung ist heute objektiv überhaupt nicht mehr aufrechtzuhalten. profil: Zusätzlich ermittelt noch das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung. Polli: Aber dieses ist Teil der Polizei, unterliegt unter anderem dem Sicherheitspolizeigesetz und ist daher per Definition kein „Geheimdienst“. Das erschwert leider die Terrorismusbekämpfung, denn das BVT kann nur dann ermitteln, wenn es einen konkreten Verdacht gibt, also nicht ausreichend im Vorfeld einer Straftat, wie es nötig wäre. In Österreich fehlt ein Dienst, der über Befugnisse verfügt, wie sie die Staaten rund um uns längst haben. profil: Aber ein solcher Dienst wäre kaum kontrollierbar. Polli: Die sogenannte demokratische Kontrolle von Geheimdiensten ist ohnehin nur Illusion. Sie ist ja nur dann möglich, wenn etwa die Mitglieder eines Parlamentsausschusses Experten oder zumindest fachkundig sind. Das ist nach meinen Erfahrungen in Österreich nur äußerst eingeschränkt der Fall. Das bedaure ich zutiefst. profil: Gibt es einen Kooperationsvertrag des HNA mit der NSA?
Polli: Die NSA schließt Verträge auf einer rechtsstaatlichen Basis mit unterschiedlichen Organisationen. Da die NSA solche bilateralen Verträge mit Bündnispartnern und Drittstaaten abschließt, kann man ruhig davon ausgehen, dass es auch mit Österreich einen entsprechenden Vertrag gibt. profil: Obwohl wir nicht NATO-Mitglied, sondern neutral sind? Polli: Österreich teilt mit den USA viele gemeinsame Werte und auch Ziele, daher gibt es auch eine Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich. Mehr darf ich dazu nicht sagen, weil ich noch immer dem Amtsgeheimnis unterliege. profil: Ist Wien nach dem Ende des Kalten Kriegs noch ein Zentrum für Spionage? Polli: Wien ist noch immer eine Hochburg der Spionage, auch deshalb, weil wir hier viele internationale Organisationen haben. Es ist immer noch eine Belohnung für jeden Agenten, wenn er nach Wien versetzt wird. Aus diesem Grund sind auch die Missionschefs solcher Einheiten hier hochrangig besetzt. Unsere Gesetzgebung war jahrzehntelang Steigbügelhalter dieser Entwicklung. Sie können in Österreich nur dann wegen Spionage belangt werden, wenn diese gegen die Interessen der Republik gerichtet ist. Wenn irgendein ausländischer Agent einen Kollegen nach Wien einlädt, um hier über Spionage gegen ein anderes EULand zu reden, dann ist das absolut legal. Etwas Schöneres gibt es ja gar nicht. profil: Spione werden auch höchst selten ausgewiesen. Polli: Es gibt die sogenannten Residenturen, die an den Botschaften die Verbindung zu den offiziellen Stellen in Österreich halten. Wenn es Probleme gibt, kann man jemanden vorladen, von der
CIA oder von den russischen Geheimdiensten FSB oder SVR. So können viele Probleme rasch und unauffällig gelöst werden. Davon getrennt arbeiten die klassischen Spione. Sie kommen mit einem Team und einer bestimmten Aufgabe, um eine operative Angelegenheit zu Ende zu bringen. Aber das gibt es überall auf der Welt. profil: Welche Ziele sind bei uns für solche Operationen interessant? Polli: Da sind wir wieder bei der Wirtschaftsspionage. Aber dabei geht es nicht um die großen ATX-Unternehmen, sondern immer mehr um die kleinen und mittleren Betriebe, die im Bereich der Datensicherheit sehr oft nachlässig sind. In Österreich werden Cyberabwehr-Mechanismen von der Politik erst jetzt gebündelt. Auch hier hinken wir der Entwicklung hinterher. Und der Argwohn, der zwischen einzelnen Ministerien herrscht, erschwert den Schutz der österreichischen Wirtschaft. profil: Die NSA belauscht diverse EU-Institutionen. Sind in Wien davon auch die UNBüros betroffen? Polli: Dazu hört man vom Innen- und Außenministerium sehr wenig. Aber warum soll man schlafende Löwen wecken, wenn es nicht notwendig ist? Bei uns läuft auch da alles gemütlicher. profil: Österreich ist eines der letzten Länder, in denen anonyme Wertkarten für Handys verkauft werden. Sie wurden auch von ausländischen Agenten und Terroristen verwendet. Polli: Es ist mir in meiner Amtszeit nicht gelungen, das abzustellen. Und es ist offenbar auch ein gewaltiges Geschäft. Nach der Zahl der verkauften Wertkarten müsste jeder Österreicher zwei Wertkartenhandys besitzen. Interview: Otmar Lahodynsky
Persönliches Exemplar von k.brandstetter@aon.at, alle Rechte vorbehalten. Nutzungsbedingungen unter www.kiosk.at
8. Juli 2013 • profil 28 59
Persรถnliches Exemplar von k.brandstetter@aon.at, alle Rechte vorbehalten. Nutzungsbedingungen unter www.kiosk.at
Persรถnliches Exemplar von k.brandstetter@aon.at, alle Rechte vorbehalten. Nutzungsbedingungen unter www.kiosk.at
AUSLAND
Von Johannes Dieterich, Südafrika
K
önnte Nelson Mandela aus dem Fenster schauen, er würde sehen, dass sein Traum in Erfüllung gegangen ist. Unten, auf der Straße vor dem Krankenhaus im Zentrum von Pretoria, ist Südafrika zumindest vorübergehend tatsächlich zu jener Regenbogennation geworden, die er im Sinn hatte: Schulkinder unterschiedlicher Hautfarbe heften selbstgemalte Grußbotschaften an den Zaun, eine aus 500 Kilometern Entfernung angereiste Großmutter weint hemmungslos, ein bleichgesichtiger Geschäftsmann lässt 100 weiße Tauben fliegen. Die Blaskapelle der Heilsarmee intoniert Choräle, während Veteranen der von Nelson Mandela gegründeten Befreiungsarmee „Umkhonto we Sizwe“ im Stechschritt auf dem Trottoir paradieren. Geschäftstüchtige Kleinunternehmer bieten heiße Suppe oder Polaroidbilder an. Mandela sieht es aber nicht. Ob er überhaupt noch etwas sieht, weiß außer den Ärzten, Familienangehörigen und einigen hochrangigen Regierungsmitgliedern keiner: Denn der Gesundheits zustand des südafrikanischen Nationalhelden wird seit Wochen wie ein Staats geheimnis gehütet. Zwar gibt das Präsidialamt einmal am Tag ein kurzes Bulletin heraus. Doch das besteht in der Regel aus dürren Floskeln, die sich zwischen „kritisch, aber stabil“ und „ernst, mit Verbesserung“ bewegen. Abgesehen davon schweigen sich die Hüter des Heroen aus – auch über die bedrückende Frage, ob der fast 95jährige Patient künstlich beatmet wird. „Ich bin doch kein Arzt“, winkt Präsident Jacob Zuma ab, als ob man zum Erkennen eines Beatmungsgeräts eine ärztliche Zulassung bräuchte. Inzwischen hat ein ClanÄltester bestätigt, dass Madiba – wie der Gründer des neuen Südafrikas MANDELA-CLAN AN DER nach seinem StammesNamen genannt FAMILIENGRUFT (1990) wird – an lebenserhaltende Maschinen Geöffnete Gräber, angeschlossen ist. Ein Dementi blieb geraubte Gebeine aus. Viele haben das Vertrauen in die Regierung längst verloren. Zu viel wurde bereits vertuscht und verschwiegen. Zum Beispiel die Sache mit der Ambulanz, die auf der Autobahn liegen blieb, als Mandela ins Krankenhaus gebracht wurde. Eine halbe Stunde lang musste der an Lungenentzündung leidende 94Jährige im kalten südafrikanischen Winter aus62 profil 28 • 8. Juli 2013 Persönliches Exemplar von k.brandstetter@aon.at, alle Rechte vorbehalten. Nutzungsbedingungen unter www.kiosk.at
LOUISE GUBB/CORBIS SABA
Am Totenbett in Geiselhaft
Rund um den todkranken Nelson Mandela ist ein unwürdiges Spektakel im Gang: Familienangehörige und politische Weggefährten versuchen, noch schnell Kapital aus dem Erbe des Sterbenden zu schlagen.
harren, bis ein Ersatzkrankenwagen kam. Die Regierung gestand das allerdings erst ein, nachdem der US-Sender CBS darüber berichtet hatte. Jetzt machen wieder Gerüchte die Runde. Nelson Mandela werde aus niedrigen Motiven künstlich am Leben erhalten, lautet eines davon. Und zutrauen würden das den Verantwortlichen hier viele. „Mandela hat genug für uns getan“, sagt die 92-jährige Nozolile Mtirara, die in ihren Jugendjahren eine Hütte mit dem Häuptlingssohn teilte: „Was wir jetzt unsererseits für ihn tun können, ist, ihn gehen zu lassen.“ Aber Tata, der Großvater, darf nicht sterben. Der Grund dafür ist fast 900 Kilometer von Pretoria entfernt am Fuß eines mächtigen grünen Hügels in der südafrikanischen Ostkap-Provinz zu finden – in einem über die Hügel verstreut liegenden Dörfchen namens Mvezo, dem Geburtsort Mandelas. Dort hat Mandla Mandela, 39 Jahre, Enkel des Nationalhelden, Dorfältester und ANC-Parlamentarier, aus Steuergeldern den sogenannten „Großen Ort“ errichten lassen: ein Konferenzzentrum mit zahlreichen Funktionshäusern und strohgedeckten Hütten. Um Mvezo zum Wallfahrtsort zu machen, ließ Mandla bereits vor zwei Jahren die Gebeine von fünf nahen Verwandten des weltberühmten Großvaters – darunter drei seiner Kinder – aus dem Familienfriedhof im knapp 40 Kilometer entfernten Qunu ausgraben und zum „Großen Ort“ transportieren: Mit der Nacht- und Nebelaktion sollten vollendete Tatsachen geschaffen werden. Das blieb nur so lange unwidersprochen, bis sich auch die anderen Mitglieder der Familie, die über keine „Großen Orte“ in Mvezo verfügen, auf Mandelas Tod vorzubereiten begannen. Unter Berufung auf einen offenbar schriftlich festgehaltenen Wunsch des Kranken begannen sie, eine neue Grabstätte in Qunu zu errichten. Dort hatte der Expräsident nicht nur in seiner Jugend, sondern auch nach seiner Pensionierung die meiste Zeit verbracht. Als Clanangehörige die Gebeine der Mandelas aus dem alten Friedhof umbetten wollten, stellten sie jedoch fest, dass die Gräber bereits leer waren. Was folgte, war ein handfester Streit mit Enkel Mandla, der sich gerne zum Sprecher der Familie aufschwingt. 8. Juli 2013 • profil 28 63
Persönliches Exemplar von k.brandstetter@aon.at, alle Rechte vorbehalten. Nutzungsbedingungen unter www.kiosk.at
A usland
„Mandela hat genug für uns getan. Was wir jetzt unsererseits für ihn tun können, ist, ihn gehen zu lassen.“
TRINGERSTRINGER/AFP/Getty Images
CARL DE SOUZA/AFP/Getty Images
Nozolile Mtirara, 92, Verwandte
Mandela-Tochter Makaziwe, enkel Mandla Wilde Streitereien beim Familientreffen
Mandlas Gegner werden von Makazi we, der ältesten Tochter Mandelas, an geführt. Sie forderte ultimativ die entwen deten Gebeine wieder zurück – ohne Erfolg. Bei einem Familientreffen soll es jüngst dermaßen hoch hergegangen sein, dass der bereits mehrfach in Skandale ver wickelte Mandla schließlich wutschnau bend den Versammlungsort verließ. Inzwi schen hat das Landgericht in der nahe ge legenen Provinzstadt Mthatha entschieden, dass die sterblichen Überreste erneut ex humiert und nach Qunu zurückgebracht werden müssen. Währenddessen geht das Warten wei ter, die Nerven liegen blank. „Lasst uns in Ruhe!“, ruft Familienspre cherin Makaziwe in einem Fernsehinterview in Rich tung aller, „die in unsere Angelegenheiten dreinre den wollen: Er ist unser Vater. Wir hatten ihn kaum einmal in unserem Leben für uns. Dies ist jetzt eine geheiligte Zeit für uns.“ Ein Großteil der gehei ligten Zeit wird nun aller dings mit dem Streit darüber verbracht, wer über den Todkranken verfügen darf: Die Ärzte hätten den Angehörigen die Option zur Abschaltung der Ma schine eingeräumt, sagt gegenüber der Wochenzei tung „Mail & Guardian“ ein Mitglied des MandelaClans in Qunu: „Doch die Familie ist zu groß. Und sie ist sich nicht einig.“ Zumindest in einem sind aber alle einer Mei nung: Die Journalisten, die scharenweise vor dem Krankenhaus kampieren, seien „wie die Geier, die darauf warten, dass der Löwe den Büffel verschlingt“, schimpft Makaziwe. Dass sich die ganze Welt auf den siechen Mandela stürze, kön ne nur mit Rassismus erklärt werden, denn schließlich habe man Margret That cher in ihren letzten Tagen auch in Ruhe gelassen. Dass die Anwesenheit der Presse vor dem Hospital nicht etwa Schadenfreude, sondern weltweiter Anteilnahme geschul det ist, scheint der Tochter genauso zu ent gehen wie die Tatsache, dass es sich bei ihrem Vater nicht um die umstrittene Ei
64 profil 28 • 8. Juli 2013
Persönliches Exemplar von k.brandstetter@aon.at, alle Rechte vorbehalten. Nutzungsbedingungen unter www.kiosk.at
serne Lady, sondern um die wohl am meis ten respektierte moralische Instanz der Welt handelt. „Warum kann sich die Familienspreche rin nicht über die kleine Republik der Ver ehrer freuen, die sich Tag für Tag vor dem Krankenhaus konstituiert?“, fragt ein Re porter aus den USA. Die Antwort lautet möglicherweise: Weil sie und ihre Schwes tern, Neffen und Cousinen eifersüchtig auf Mandela, ihren endlich errungenen Besitz, beharren. Es sei der Streit innerhalb der Familie, der seinen Geist und seine Ahnen nicht in Frieden lasse, sagt ein Clanältes ter: „Deswegen darf seine Seele noch nicht gehen.“ Wer weniger afrikanisch konditioniert ist, fragt sich, was wohl geschehen muss, bis der „Lange Weg zur Freiheit“ – so der Titel von Mandelas Autobiografie – zum endgültigen Ende kommen kann. Zu nächst wurde spekuliert, Barack Obamas historischer Besuch müsse abgewartet werden, jetzt heißt es, dass erst noch der Familienstreit entschieden werden müs se. Noch dazu ist in zwei Wochen Man delas 95. Geburtstag: Die Vorbereitungen dafür laufen bereits auf vollen Touren. Und auch der Afrikanische Nationalkon gress (ANC) hat ein Interesse daran, dass Mandela möglichst lange nicht stirbt. Kommendes Jahr finden Wahlen statt – einmal noch kann man das legendäre Par teimitglied zum Stimmenfang nutzen. Wohl nicht zuletzt deshalb ruft der ANC nunmehr überall im Land zu Gebetsver anstaltungen für den Kranken auf. Mandela sei auf dem Sterbebett zur „Geisel“ geworden, klagt der Kolumnist Wil liam Gumede. Dabei verfüge Nelson Man dela eigentlich über eine geniale Begabung zum Abschiednehmen, die er im Unter grund und im Gefängnis noch perfektio niert habe, ist Kommentator Nic Dawes überzeugt. Der erste dunkelhäutige Präsi dent Südafrikas legte bereits nach einer einzigen Legislaturperiode ein Amt zurück, an dem viele seiner Kollegen wie Kletten hängen bleiben. Genauso konsequent zog er sich vor knapp zehn Jahren ganz aus der Öffentlichkeit zurück, obwohl viele Südafrikaner nicht ohne ihn auszukom men glaubten. Sein letzter Abschied droht jetzt aller dings ganz anders und sehr viel würdelo ser auszufallen: Hätte der Patient, der sich von weißen Rassisten und Kerkermeistern nicht unterkriegen ließ, noch etwas zu bestimmen – er würde anders entschei den. n
Persรถnliches Exemplar von k.brandstetter@aon.at, alle Rechte vorbehalten. Nutzungsbedingungen unter www.kiosk.at
gesellschaft Drei (aktuelle) Gründe, tephen King zu lieben, S den als Literaten mög licherweise und als Zeit diagnostiker ganz sicher meist unterschätzten Schriftsteller der Welt:
1.
laif
Neues Buch. Frisch vom Jahrmarkt: Kings Edel schundroman „Joyland“ (Heyne Verlag) erzählt von Schießbudenfiguren, Som merliebeskranken und Serienmördern und zaubert ein Schaudern auf die heißeste Strandliege. Neue Platte. Die Albumversion von Kings (zusammen mit T-Bone Burnett und John Mellencamp verfasstem) Süd staatenhorror-Musical „Ghost Brothers of Darkland County“ (Universal) ent hält die Originalstücke in Versionen von Elvis Costello, Kris Kristofferson oder Sheryl Crow. Horribles Genre, große Oper. Raimund Theater, bitte melden. Neues „Shining“. Im Original hatte Dan Torrance Angst vor einem unheimlichen Hotel und seinem durch geknallten Dad. In der ewig erwarteten Fortsetzung „Doctor Sleep“ arbeitet der inzwischen erwachsene Dan als über natürlich begabter Hospizarzt und be kommt es schon wieder mit der Angst zu tun. Das Schrecklichste daran bleibt aber der Erscheinungstermin: „Doctor Sleep“ kommt erst am 24. September in den US-Buchhandel.
2.
Sebastiao Salgado / Amazonas Images / Agentur Focus
3.
Mediamarkt
SVEN GÄCHTER • sven.gaechter@profil.at • http://blog.profil.at/svengaechter/
D
er alte Herr war so zornig, dass selbst seine engsten Vertrau- ses Jahres: Eine Konferenz mit „Sun“-Redakteuren wurde heimten fürchteten, sie müssten in Deckung gehen. Die größte lich aufgezeichnet; die investigative Website exaronews.com Aufregung aller Zeiten, tobte er – „über so gut wie nichts“. Seit stellte den Mitschnitt vergangene Woche online. Kurze Zeit spä„100 Jahren“ funktioniere das doch schon so, „absolut“. Man wer- ter machte die wenig diplomatische Aussage eines ranghohen de sich dieses Ausmaß an Inkompetenz und Verlogenheit nicht NSA-Beamten die Runde, die europäischen Politiker sollten sich gefallen lassen und mit aller Kraft „zurückschlagen“. Der alte nicht künstlich über die flächendeckende Bespitzelung durch Herr ist 82, heißt Rupert Murdoch und regiert eines der größ- den US-Militärnachrichtendienst echauffieren; schließlich hätten und aggressivsten Medienimperien der Erde. Vor zwei Jah- ten sie alle davon gewusst (und profitiert). Der Gleichklang der ren war aufgeflogen, dass seine Revolverblätter „News of the Botschaften erscheint ebenso verblüffend wie symptomatisch: World“ und „The Sun“ massenhaft Privatgesprädie größte Aufregung aller Zeiten – über so gut Die größte Aufreche abgehört hatten, wofür zumindest „News gung aller Zeiten wie nichts. Seit Jahrzehnten geht das doch schon of the World“ mit der Einstellung bezahlte. so, absolut. Noch absoluter ist nur eine Gewiss– über so gut Murdochs Wutausbruch datiert vom März dieheit: Das Imperium wird zurückschlagen. wie nichts?
66 profil 28 • 8. Juli 2013
Persönliches Exemplar von k.brandstetter@aon.at, alle Rechte vorbehalten. Nutzungsbedingungen unter www.kiosk.at
Klar, natürlich
E
inst zählte der brasilianische Fotograf Sebastiao
Salgado zu den Stars der Fotoagentur Magnum. Seit zwei Jahrzehnten betreibt er seine eigene
Agentur Amazonas images und verwirklicht vor-
wiegend Herzensprojekte wie dieses: Über einen Zeitraum von acht Jahren reiste Salgado immer wieder zu den zivilisationsfernsten Ecken dieser Erde, und nein, er war nicht am Donauinselfest, sondern in der Antarktis, im brasilianischen Urwald, auf der Halbinsel Kamtschatka oder in den zentralafrikanischen Ebenen von Süd-Omo. Auf insgesamt
32 Reisen entstanden die Bilder, die der Prachtband „Genesis“ nun vorstellt. Es sind Dokumente einer menschlichen Leidenschaft, die vom Menschlichen möglichst wenig wissen will: In gleißendem Schwarz-Weiß meditiert Salgado über Felsformationen, Schildkröten und das verschollene Sozialleben von Regenwald-Indianern und entwickelt eine Art Metaphysik der Natur, des Vormodernen und Übermenschlichen. Das Bild links entstand im Frühjahr 2009 und zeigt die Frauen des völlig autarken Zo‘É-Stammes im nordbrasilianischen Bundesstaat Pará.
Sebastiao Salgado: Genesis. Taschen Verlag, 520 S., 49,99 EUR (Trade-Edition) bzw. 720 S., 2 Bde., 3000 EUR (Collector’s Edition).
Hauptsache gesund
K
schwierigkeiten auftaten, litten alle bisherigen Patienten (es handelte sich durchwegs um Tiere) halsabwärts an hartnäckigen Lähmungserscheinungen. Der Turiner Neurochirurg
Sergio Canavero hat nun in einem Aufsatz in der Fachzeitschrift „Surgical Neurology International“ ein Verfahren beschrieben, das nebenwirkungsfreie Kopftransplantationen
auch für Menschen möglich machen soll. Welche neuen Perspektiven das eröffnet, zeigen die untenstehenden, natürlich völlig aus der Luft gegriffenen Transplantationsbeispiele.
REUTERS; APA (2)
opftransplantationen waren bislang eher heikle Prozeduren. Weil sich bei der Verbindung von Spendergehirn und Gastwirbelsäule immer wieder gröbere Anschluss-
8. Juli 2013 • profi l 28 67 Persönliches Exemplar von k.brandstetter@aon.at, alle Rechte vorbehalten. Nutzungsbedingungen unter www.kiosk.at
„Nach dem Angriff war ich zu geschockt, um an eine Anzeige zu denken“ Bernd E., 30
E
s war an einem Wochenende im März, als Bernd E. gemeinsam mit seinem Freund um vier Uhr Früh händchenhaltend die Disko „Club U“ am Wiener Karlsplatz verließ. Am U-Bahnsteig tauchten plötzlich drei junge Männer und ein Mädchen auf, die das Paar als „Scheißschwuchteln“ beschimpften. Als Bernd E. den Stänkerern nahelegte, sich „etwas zusammen-
68 profil 28 • 8. Juli 2013
Persönliches Exemplar von k.brandstetter@aon.at, alle Rechte vorbehalten. Nutzungsbedingungen unter www.kiosk.at
zureißen“, ging einer der Männer auf ihn los. Der Angreifer ließ erst von ihm ab, als die U-Bahn einfuhr. „Ich war so geschockt. Mein Freund nahm mich in den Arm, wir haben beide geweint und wollten nur noch nach Hause“, erzählt Bernd E., der von dem Vorfall einige Schrammen und Rückenschmerzen davontrug. Anzeige erstattete er nicht. Daran habe er in diesem
david payr für profil
gesellschaft
Im rosa Winkel
Die Gleichstellung von Homosexuellen ist noch nicht in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Besonders auf dem Land leiden Schwule und Lesben an Homophobie und Ausgrenzung. Von Tina Goebel
E
Moment gar nicht gedacht: „Am nächsten Tag habe ich überlegt, kam aber zu dem Schluss, dass eine Anzeige gegen unbekannt ohnehin nichts bringt.“ Seit einem Jahr lebt der gebürtige Obersteirer in Wien. Ein öffentliches Outing in der kleinen Gemeinde, in der er aufwuchs, kam für ihn nie in Frage. „Die engsten Freunde merken irgendwann ohnehin, was los ist.“
s war ein unglücklicher Zufall, dass der Vater von Florian R.* ausgerechnet auf dem Dorffest erfuhr, dass sein Sohn schwul ist. Der damals 17-jährige Südsteirer war in einem Café mit einem bekennenden Homosexuellen gesichtet worden. Die Nachricht machte flugs die Runde. Der Vater betrank sich und riss seinen Sohn spätnachts aus dem Schlaf. „Er schlug auf mich ein und schrie, dass ich nicht mehr sein Sohn sei“, erinnert sich der heute 23-jährige Florian R. an sein unfreiwilliges Outing. Am nächsten Tag entschuldigte sich sein Vater heulend bei ihm. Besonders in ländlichen Gebieten erleben Schwule und Lesben noch immer Ablehnung, wenn sie sich gegenüber ihren Familien, Freunden oder am Arbeitsplatz outen. Zwar gilt Österreich, wo nach konservativer Schätzung zumindest eine Viertelmillion Schwule und Lesben leben, offiziell als aufgeschlossenes EU-Land. Die Recherchen zu dieser Geschichte zeichnen aber ein anderes Bild. Im europäischen Vergleich war Österreich lange alles andere als ein Musterland für Gleichstellung: Erst 1971 wurden gleichgeschlechtliche Beziehungen zwischen Erwachsenen legalisiert. Im Jahr 2003 wurde – nach jahrelangen Debatten – das Schutzalter für männliche Homosexuelle von 18 auf 14 Jahre gesenkt, 2009 die eingetragene Partnerschaft ermöglicht. Während im großstädtischen Bereich und den entsprechenden soziokulturellen Milieus die gesellschaft* Namen von der Redaktion geändert
Persönliches Exemplar von k.brandstetter@aon.at, alle Rechte vorbehalten. Nutzungsbedingungen unter www.kiosk.at
8. Juli 2013 • profil 28 69
david payr für profil
gesellschaft
„Wurde wie ein Hund verjagt“ Josef E., 34
I
m Sommer des Vorjahres besuchte Josef E. mit Freunden ein großes Clubbing im Veranstaltungszentrum St. Pölten. Gegen sechs Uhr Früh – E. und ein Mann, den er im Lauf des Abends kennengelernt hatte, tauschten gerade harmlose Zärtlichkeiten aus – wurden zwei Securitys aggressiv. „Sie haben mich homophob beschimpft und dann mit Faustschlägen und Fußtritten wie einen Hund vom Gelände gejagt“, erzählt E., der etliche Verletzungen davontrug und sofort die Polizei rief. Diese verhielt sich freilich nicht sehr hilfsbereit und schloss sich der Version der Securitys an, die behaupteten, jemand habe sich über E. wegen sexueller
Belästigung beschwert. „Sie versuchten, mich vom Opfer zum Täter zu machen“, echauffiert sich der Softwareberater. Später stellte sich heraus, dass die beiden Männer aufgrund mehrerer Vorstrafen gar nicht im Sicherheitsdienst hätten arbeiten dürfen. Trotzdem wurde das Verfahren gegen sie eingestellt. Josef E. will jedoch nicht hinnehmen, dass die Justiz über solche homophoben Gewalttaten scheinbar hinwegsieht. Auch die Grünen brachten nun eine parlamentarische Anfrage ein. „Ich bin noch heute psychisch angeschlagen. Am Anfang hatte ich solche Angst, dass ich zu Hause sämtliche Golfschläger griffbereit positioniert habe.“
70 profil 28 • 8. Juli 2013
Persönliches Exemplar von k.brandstetter@aon.at, alle Rechte vorbehalten. Nutzungsbedingungen unter www.kiosk.at
hermann wakolbinger für profil
„Leide bis heute unter dem Mobbing in der Schule“ Christian Fick, 41
D
er Weg von der Schule nach Hause war für den gebürtigen Gmundner stets ein Alptraum. Immer wieder lauerten ihm Mitschüler auf, um ihn zu verprügeln oder seinen Kopf zwischen Zaunlatten zu pressen. „Vor lauter Angst habe ich manchmal meine Beine nicht mehr gespürt und war buchstäblich wie gelähmt“, erzählt Christian Fick, der sich schon früh von den gleichaltrigen Burschen unterschied und vor allem mit Mädchen zu tun hatte. Zwölf Jahre lang befand sich der heutige Mitarbeiter einer kleinen Greißlerei in Psychotherapie: „Ich leide bis heute an den Folgen dieses Mobbings. Ich war lange nicht
einmal arbeitsfähig.“ Seinen Eltern gegenüber outete er sich erst mit 26 Jahren, was bei seiner Mutter zunächst Bestürzung hervorrief. „Bitte sag, dass es nicht wahr ist“, rief sie immer wieder. Heute haben sich Mutter und Sohn mit seiner Sexualität arrangiert. Trotzdem ist Fick der einzige geoutete Schwule in der ganzen Gegend – aber bestimmt nicht der einzige Schwule: „Es gibt einige scheinbar brave Familienväter, die ein kleines Doppelleben führen. Und auch wenn es hier keine einschlägigen Lokale gibt, so sind bestimmte Autobahnraststätten für nächtliche Treffen der speziellen Art bekannt.“
liche Akzeptanz für ein gleichgeschlechtlich orientiertes Leben im Mainstream angekommen zu sein scheint, erweist sich das ländliche Gebiet noch immer als Tretminenfeld für Homosexuelle. Der rosa Winkel, das Äquivalent zum gelben Judenstern als Kennzeichen von Homosexuellen während der NS-Zeit, ist dort offenbar nach wie vor eine alltägliche Realität. Die Angst vor der Ablehnung oder die Schuldgefühle, der Familie „Schande“ zu bereiten, lässt viele Homosexuelle in urbanere Umgebungen flüchten, wo ihnen die Anonymität der Menge etwas Sicherheit bietet. Doch auch für jene Schwulen und Lesben, die in die Stadt flüchten, nimmt das Doppelleben häufig kein Ende. Der 23-jährige steirische Student Manuel F.* lebt seit einigen Jahren in Graz, verbirgt seine sexuelle Orientierung aber noch immer vor seinem konservativen Vater: „Ich studiere und habe Angst, dass er mir deswegen die finanzielle Unterstützung verweigern würde. Er glaubt, dass ich in einer Wohngemeinschaft lebe. In Wahrheit bin ich schon längst mit meinem Freund zusammengezogen.“ Auch F.s Kollegen wissen wenig über sein Privatleben. Diese Art der „Risikovermeidung“ fordert laut Untersuchungen ihren Tribut: Das permanente Versteckspiel und die Erfindung plausibler Lebenslügen kosten mindestens 20 Prozent der Arbeitsenergie und können zu psychischen Störungen führen. Der Psychologe und Suizid-Experte Martin Plöderl ist überzeugt, dass Homophobie trotz der liberaleren Gesetzgebung unverändert tief in unserer Gesellschaft verankert ist: „Noch bevor Kinder ein klares Konzept von Homosexualität haben, wissen sie, dass sie in unserer Gesellschaft abgewertet ist.“ (Siehe auch Interview Seite 72.) Bei einer von der Wiener Antidiskriminierungsstelle durchgeführten Untersuchung an österreichischen Schulen zeigte sich, wie stark homophobe Stereotypen Sprache und Geisteshaltung von Kindern und Jugendlichen prägen. 47 Prozent der befragten Schüler kennen homophobe Schimpfwörter. 46 Pro- Peter Schmid, zent mussten schon mitansehen, wie ein schwuler „Gay Cops“-Vorstand Schüler bedroht und belästigt wurde; bei lesbischen Schülerinnen waren es „nur“ 26 Prozent. Die Untersuchung ergab auch, dass drei Prozent der homophoben Gewalt von Lehrern ausgeht. In der Lehrerausbildung sollen deshalb in Zukunft verpflichtende Antidiskriminierungsschulungen stattfinden. Die österreichische Homosexuellen-Initiative (HOSI) bietet Schulen Gespräche mit jungen Homosexuellen an, um Vorurteile abzubauen. Diese Form der subtilen Diskriminierung wird im Fachjargon „internalisierte Homophobie“ genannt und hat für die Betroffenen ähnlich verheerende Folgen wie direkte Gewalt. Das Verdrängen und Verbergen reduziert das Selbstwertgefühl; die Angst, bloßgestellt zu werden, wird zum ständigen Begleiter. Depressionen, Panikattacken und Angststörungen sind die pathologischen Konsequenzen dieses Lebensgrundgefühls. Plöderl schätzt, basierend auf den Daten internationaler Studien, dass 30 bis 50 Prozent der Personen, die in Österreich den Freitod wählen, Schwule, Lesben oder Transsexuelle sind. Das wären gut 350 bis 600 Suizide
„Ich dachte, dass Homophobie bald Geschichte sein wird. Doch dann höre ich immer wieder von Vorfällen, die mich wirklich erschüttern.“
Persönliches Exemplar von k.brandstetter@aon.at, alle Rechte vorbehalten. Nutzungsbedingungen unter www.kiosk.at
8. Juli 2013 • profil 28 71
gesellschaft
david payr für profil
jährlich. Zum Vergleich: Im vergangenen Jahr starben insgesamt 522 Menschen bei Verkehrsunfällen. Publikumswirksame Events wie die Regenbogenparade oder der Life Ball erwecken den Eindruck, dass Homosexualität längst gesellschaftlich akzeptiert, ja geradezu hip sei. Doch jenseits schicker Medien-, Kunstund Werbemilieus sitzt die gesellschaftlich eingeimpfte Homophobie weit tiefer, als man glaubt. Immer wieder bricht sie mit unerwarteter Vehemenz hervor – so etwa bei den Massenprotesten gegen die Homo-Ehe in Frankreich im Mai: 150.000 marschierten auf, ein rechtsextremer Essayist erschoss sich als Zeichen des Protestes in der Kathedrale Notre-Dame und erntete dafür „Respekt“ von Marine Le Pen, der Chefin der Front National. Einen Monat später unterzeichnete der russische Präsident Vladimir Putin ein Gesetz, das positive Äußerungen über Homosexuelle unter Strafe stellt; gleichzeitig riefen Ungarns Rechtsradikale unverhohlen „zur Jagd“ auf Teilnehmer der Budapester Regenbogenparade auf. Doch auch wenn rechtliche Gleichstellung – wie gerade in Frankreich und bald auch in den USA – durchgesetzt wird, scheint sie längst noch nicht in den Köpfen der breiten Bevölkerung angekommen zu sein. Eine aktuelle Studie der Europäischen Agentur für Grundrechte, für die 93.000 Menschen in allen Mitgliedsstaaten interviewt wurden, führte das jüngst ungeschönt vor Augen: Dabei gaben 48 Prozent der österreichischen Lesben, Schwulen und Transsexuellen an, dass sie innerhalb des vergangenen Jahres persönliche Diskriminierung oder Belästigung wegen ihrer sexuellen Ori-
„Angst und Scham“
Psychologe Martin Plöderl erklärt, warum die psychische Gesundheit von Homo sexuellen weitaus mehr in Mitleidenschaft gezogen wird als bei jeder anderen Minderheit.
p
entierung erfahren hätten. 21 Prozent fühlten sich am Arbeitsplatz trotz EU-weiten Diskriminierungsschutzes als Opfer von homophobem Mobbing. 74 Prozent der homosexuellen Männer wagen es nicht, in der Öffentlichkeit die Hand ihres Partners zu halten. 26 Prozent berichteten von körperlichen oder verbalen Angriffen. Aber: Nur 17 Prozent der schweren Fälle wurden zur Anzeige gebracht. Dass so viele Opfer schweigen und von einer Anzeige absehen, kann Peter Schmid schwer nachvollziehen. Er ist Polizist und im Vorstand des Vereins „Gay Cops“, der schwulen und lesbischen Exekutivbeamten eine Anlaufstelle bietet und darüber hinaus die Hemmschwelle senken will, bei Übergriffen und Diskriminierungsfällen Anzeige zu erstatten. „Eigentlich dachte ich, dass Homophobie bald Geschichte sein wird. Doch dann höre ich immer wieder von Vorfällen, die mich wirklich erschüttern“, berichtet Schmid. Vor Kurzem erzählte ihm eine Lesbe, die in Wien ein Lokal führte, von organisierten Übergriffen auf ihre Gäste. Eine Gruppe von „gay cops“ Männern mit augenscheinlichem MigrationshinterDer Verein der schwulen grund postierte sich immer wieder vor dem Gebäude Polizisten kämpft für und bewarf die Frauen mitunter sogar mit faulem Obst. mehr Toleranz und bietet Die Betreiberin gab ihr Lokal auf. nicht nur Kollegen, Meldungen über gewalttätige Attacken gehören zum sondern auch Opfern Hilfe und Beratung an. Alltag der „Gay Cops“. Schmid betont, dass alle Exekutivbeamten eine verpflichtende Antidiskriminierungsschulung absolvieren müssen. „Die meisten Opfer, die wir zu einer Anzeige bewegen konnten, sind positiv überrascht. Und sollten sie schlecht behandelt werden, dann können sie sich an uns wenden“, so Schmid.
rofil: Sie schätzen, dass 30 bis 50 Prozent aller Suizide in Österreich von Homosexuellen gemacht werden. Das wären 350 bis 600 Personen im Jahr. Können das wirklich so viele sein? Martin Plöderl: Dies ergibt sich durch Hochrechnungen anhand der Ergebnisse mehrerer internationalen Studien, die sich außerdem mit unseren eigenen Untersuchungen decken. Nur leider werden sie von der Forschung noch immer ignoriert und zu wenig von der Suizidprävention aufgegriffen. profil: Warum? Plöderl: Einerseits, weil noch
immer die Angst herrscht, dass damit suggeriert wird, dass Homosexuelle eben psychisch krank seien. Natürlich ist dem nicht so. Andererseits wird immer wieder die Methodik dieser Studien angezweifelt. Das ist jedoch absurd, denn hundertprozentig einwandfreie Daten wird es in der gesamten Suizidforschung nie geben. profil: Wie lang ignoriert die Wissenschaft bereits diese Befunde? Plöderl: Bereits der deutsche Sexualforscher Magnus Hirschfeld schätzte 1913, dass sich von 100 Homosexuellen durchschnittlich drei selbst töten, während ein Viertel einen
72 profil 28 • 8. Juli 2013
Persönliches Exemplar von k.brandstetter@aon.at, alle Rechte vorbehalten. Nutzungsbedingungen unter www.kiosk.at
Selbstmordversuch unternimmt und sich drei Viertel immerhin mit Selbstmordgedanken quälen. profil: Das waren aber noch Zeiten, in denen Homosexuelle verfolgt wurden. Warum gibt es heute noch so viele Suizidfälle? Plöderl: Homophobie ist noch immer ein sehr großes Thema, auch wenn sie heute viel subtiler passiert. Aber wer bereits in einem Gespräch verstummt und nicht weiß, was er sagen soll, weil ihm im Smalltalk klar wird, dass er mit einem Homosexuellen redet, reagiert bereits homophob. Er vermittelt seinem Gegenüber klar,
dass er sich nicht wohl fühlt. profil: Kann sich das bereits schon so dramatisch auf die Psyche niederschlagen? Plöderl: Es gibt Untersuchungen, die zeigen, dass jemand schon bei einem Test schlechter abschneidet, wenn ihm zuvor gesagt wird, dass seine Schwächen getestet werden. Sobald die Homosexualität irgendwie Thema wird und in den Mittelpunkt rückt, muss sich der Betroffene damit auseinandersetzen, und das verursacht Stress und ein Unbehagen. profil: Bei vielen anderen Minderheiten, wie religiösen oder ethnischen Gruppen, gibt es
privat
als harmlose Schwestern oder beste Freundinnen.“ Wolfgang Wilhelm von der Wiener Antidiskriminierungsstelle kennt zahlreiche skurril anmutende Geschichten, wie Menschen ihre Sexualität verbergen. Ein Schwuler erzählte ihm etwa, dass er seine Cousine auf Weihnachtsfeiern als Freundin vorführt. Ein älteres lesbischen Pärchen aus Wien hat sogar eine zweite, kleine Wohnung angemietet, um nur ja nicht durch eine gemeinsame Adresse in Verdacht zu geraten. Laut Wilhelm müssten dringend noch mehr gesetzliche Sicherheiten geschaffen werden: Homosexuelle sind außerhalb der Arbeitswelt noch immer Österreich liegt knapp über dem EU-Durchnicht vollständig geschützt und schnitt und rangiert sogar vor Rumänien etwas verbreitet beispielsweise der Diskriminiestark verbreitet sehr verbreitet kaum verbreitet rung auf dem privaten Woh- Italien nungsmarkt ausgeliefert. Außer- Zypern dem würde es in anderen Städten Österreich mehr Engagement geben. In Ber- EU-Ø Großbritann. lin können etwa einschlägige Vor- Rumänien fälle per Internet anonym gemel- Tschechien det werden. Allein das reiche oft Slowenien Slowakei aus, damit die Polizei tätig wird. Luxemburg Wilhelm erlebt auch immer Niederlande wieder, dass homosexuelle Ju- Dänemark gendliche bei ihm um eine Not- Finnland 20 40 60 80 100% unterkunft anfragen, da sie von ihren Eltern nach ihrem Outing hinausgeworfen wurden. „In solchen Fällen versuchen wir zu vermitteln und bieten Familientherapieplätze an“, erklärt der Antidiskriminierungs-Experte. Denn vor allem das familiäre Auffangnetz ist extrem wichtig. Manuel F. beschreibt die Belastung, mit der er leben muss: „Ich würde meinem Vater gern eines Tages die Wahrheit sagen. Aber bis ich den Mut finde, werde ich dieses Versteckspiel fortführen müssen.“ n
Martin Plöderl, 41, ist klinischer Psychologe und Psychotherapeut am Sonderauftrag Suizidprävention an der Christian Doppler Klinik in Salzburg und im Forschungsprogramm Suizidprävention der Paracelsus Privatmedizinischen Universität Salzburg.
Landkarte der Homophobie
keine so hohen Suizidraten. Warum? Plöderl: Ein Einzelereignis wirkt sich natürlich nicht so fatal aus. Schwule und Lesben sind aber schon von Kindesbeinen an mit Homophobie in der Gesellschaft konfrontiert. Noch bevor Kinder ein klares Konzept von Homosexualität haben, wissen sie, dass sie in unserer Gesellschaft abgewertet wird. Schwule und Lesben haben selbstverständlich diese homophoben Werthaltungen übernommen, noch bevor sie sich ihrer eigenen Homosexualität bewusst werden. Dies hat natürlich entsprechende Folgen für den Selbstwert und
kann sie anfälliger für psychische Erkrankungen machen. profil: Was müsste sich in Österreich ändern, damit diese vielen Suizidfälle weniger werden? Plöderl: Gerade die Schule bietet viele Möglichkeiten, gegen Homophobie und für mehr Toleranz aufzutreten. Auch wenn nur Flyer verteilt werden, ist das schon ein wichtiges Zeichen. Wichtig wären auch entsprechende Fortbildungen für jene, die im Gesundheitswesen oder auch im kirchlichen Bereich arbeiten. Vor allem aber wäre es gut, wenn die Eltern ihre Kinder unterstützen würden.
Persönliches Exemplar von k.brandstetter@aon.at, alle Rechte vorbehalten. Nutzungsbedingungen unter www.kiosk.at
Quelle: Agentur der Europäischen Union für Grundrechte
Dass in ländlichen Regionen die Toleranz gegenüber Homosexualität noch weitaus geringer ist als in den Städten, davon ist „Gay Cop“ Alois Krabb überzeugt. Er arbeitet in Salzburg und ist dort der einzige geoutete Polizist: „Ich weiß jedoch über die Homosexualität von Kollegen, die es aber nicht wagen, sich öffentlich zu outen.“ Wie die meisten seiner Vereinskollegen hat auch Krabb zunächst einen klassischen Lebensentwurf verfolgt, Hochzeit und Kinder inklusive. Häufig sprengen heimliche Schwule auf dem Land erst dann ihre heterosexuellen Lebensentwürfe, wenn der Leidensdruck nicht mehr zu verkraften ist. Der 26-jährige Sebastian F. aus Krems erzählt, wie er die Scheidung seiner Eltern im Alter von fünf Jahren erlebte: „Mein Vater bekannte sich plötzlich zur Homosexualität. Meine Eltern haben sich seither viel besser verstanden, weil viele Unklarheiten plötzlich bereinigt waren. Sie sind heute noch befreundet, während die konservativen Eltern meiner Mutter meinem Vater bis heute vorwerfen, die Familie zerstört zu haben.“ Eine Existenz im Verborgenen wäre für den Gmundner Christian Fick, der als geouteter am Land lebender Schwuler eine Seltenheit darstellt, nicht möglich. In seiner Heimatgemeinde ist er weit und breit der einzig offen lebende Homosexuelle. Er weiß jedoch von „anständigen Familienvätern, die nebenbei ein kleines Doppelleben führen“. Mangels verfügbarer Szenelokale werden Autobahnraststätten frequentiert. Das Internet hat die Suche nach Gleichgesinnten freilich extrem erleichtert. Die 67-jährige Birgit Meinhard, Seniorensprecherin der Grünen, erlebte ihr Coming-out in einer Zeit, in der Homosexualität noch unter Strafe stand: „Junge Frauen finden heute eine größere, offene Community, aber dennoch ist das alles ein Biotop und keine wirkliche Normalität. Viele leben heute noch im Verborgenen,
8. Juli 2013 • profil 28 73
GESELLSCHAFT
eatdrink REDAKTION KLAUS KAMOLZ • klaus.kamolz@profil.at
La salade c’est moi Sommerküche (III): Über Niçoise XIV.
izza-Salat ist für mich schon lange der König der Salate. Dass er jetzt erst drankommt, ist eigentlich unverzeihlich. Nach nunmehr fast sieben Jahren Küchendienst im Nachrichtenmagazin war ich nicht sicher, ob ich ihm nicht eh schon gehuldigt habe und bat, im Archiv nachzusehen. Zu meiner Überraschung war da nix Nizza. Und deshalb krönt er jetzt den Dreiteiler über im Sommer verträgliche Speisen. Ganz sicher allerdings weiß ich, dass die Quelle für mein Rezept hier schon das eine oder andere Mal erwähnt worden ist, wenn es um französische Küchenbelange ging. Ich muss es wieder tun. Es ist das Kochbuch „Frankreich à la carte“ (Heyne Verlag) von keinen Geringeren als Gault-Millau-Co-Gründer Christian Millau und dem Jahrhundertkoch Joël Robuchon, das die authentische französische Küche so unprätentiös und zugleich in all ihrer Raffinesse feiert wie kein anderes Werk zu diesem Thema. 1996 erstmals erschienen, ist es seit geraumer Zeit nur noch über Antiquariate zu entsprechend antiquarischen Preisen ab 70 Euro erhältlich; es ist jeden Cent wert. Salade Niçoise also, ein Gericht voller Missverständnisse, verhunzt und verhöhnt von abertausenden Touristenfallen als Blattsalat mit Oliven, Ei und billigem Dosentunfisch. „Viele Köche“, beklagen deshalb auch Millau und Robuchon, „pflegen heute leider die Unsitte, Kartoffeln unter den Salat zu mischen, um an den etwas teureren Gemüsen zu sparen.“ Nach der Küchengeschichtswissenschaft feiert die Bezeichnung Salade Niçoise heuer ihren 120. Geburtstag. Es gibt viele Varianten, auch eine des großen Auguste Escoffier; essenziell scheint nur die sogenannte Niçoise-Garnitur zu sein, die südfranzösische Ingredienzikonen wie Oliven, Sardellen und sonnengereifte Tomaten beinhaltet. Hier ist also der Robuchon‘sche Niçoise, der – zugegeben – wenig damit zu tun hat, sich abends schnell einen Salat herzurichten, weil man in der Hitze keine Lust hat, groß aufzukochen. Dazu würde ich einen südfranzösischen Rosé mit Rückgrat trinken, gerne von Mas Sainte Berthe. Und wenn ich einen Rosé empfehle, dann heißt das was ... ■
KLAUS KAMOLZ
N
Salade Niçoise nach Joël Robuchon Für 4 Personen: 3 Kopfsalatherzen in 3 cm breite Querstreifen schneiden und in eine große Schüssel geben. 1 rote Paprikaschote entkernen, in feine Streifen schneiden. 10 französische schwarze Oliven entkernen, mit einer halben Knoblauchzehe, 4 Sardellenfilets, etwas Weinessig und Olivenöl in einen Mixbecher geben und zu einer Paste pürieren. Die Paprikastreifen darin einlegen. 1 Feldgurke in dünne Scheiben schneiden, in ein Sieb legen und salzen. Nach einiger Zeit die Gurke sanft ausdrücken. 4 Artischocken zu Herzen putzen und in Wasser mit einer Zitronenscheibe bissfest kochen. Ausdampfen lassen, vierteln und in etwas Olivenöl und Zitronensaft legen. 4 Eier hart kochen, schälen und vierteln. 3 Jungzwiebeln in feine Scheiben schneiden. 3 reife Tomaten vierteln oder sechsteln und leicht einsalzen. 200 g grüne Sojabohnen (darf TK-Ware sein) nach Anleitung garen. 200 g guten Tunfisch in Öl (aus nachhaltiger Fischerei bitte) abtropfen lassen und zerzupfen. Aus 6 EL Olivenöl, 3 EL Weinessig, Salz und Pfeffer eine Vinaigrette rühren. Alle Zutaten bis auf die Eier zum grünen Salat geben, ca. 20 kleine schwarze Oliven und 2 EL in feine Streifen geschnittenes Basilikum (oder kleine Blättchen) dazu geben, die Vinaigrette darübergießen, vermischen und noch einmal mit Salz und Pfeffer abschmecken. Auf tiefen Tellern anrichten und einige Sardellenfilets und die Eierspalten über dem Salat verteilen.
schönertrinken ADI SCHMID • adi.schmid@profil.at
Zierfandler Spiegel 2011, Johanneshof Reinisch
S
piegel, ein besonderer Weingarten in Gumpoldskirchen, Zierfandler (auch Spätrot genannt), eine autochthone weiße Rebsorte der Thermenregion, und die Familie Reinisch – dieses Trio ergibt einen außergewöhnlich intensiven
Wein, kräuterwürzig, von feuriger Textur und unverwechselbarer Stilistik. Der Spiegel ist Gumpoldskirchen pur und knüpft an die große Tradition dieser Weinbaugemeinde an. Aus dem Burgunderglas trinken (Naturkork).
Weinbaugebiet: Thermenregion Weinjahr: ganz groß Bewertung: Gumpoldskirchen at its best Trinkreife: jetzt bis 2035 Preis ab Hof: 18,60 Euro Speisenbegleitung: gekochtes Schulterscherzel mit Krensauce Johanneshof Reinisch Im Weingarten 1, 2523 Tattendorf Tel.: 02253/81 423 office@j-r.at, www.j-r.at
74 profi l 28 • 8. Juli 2013 Persönliches Exemplar von k.brandstetter@aon.at, alle Rechte vorbehalten. Nutzungsbedingungen unter www.kiosk.at
Persรถnliches Exemplar von k.brandstetter@aon.at, alle Rechte vorbehalten. Nutzungsbedingungen unter www.kiosk.at
Persรถnliches Exemplar von k.brandstetter@aon.at, alle Rechte vorbehalten. Nutzungsbedingungen unter www.kiosk.at
wissenschaft „Die Medizin hat große Fortschritte gemacht. Einige davon sind sogar den Patienten zugutegekommen.“ Gerhard Kocher, geb. 1939, Schweizer Gesundheitsökonom
LEBEREGEL
BANDWURM
ZECKE
SAUGWURM
O
b Zecke, Milbe, Bandwurm, Leberegel oder bestimmte Krebse – die Lebenswelt von Parasiten ist nicht unbedingt dazu angetan, den durchschnittlichen Konsumenten von Tier-Dokus zu erquicken. Doch für Biologen und Ökologen ist das Reich tieriEiner Studie der amerikanischen Princeton University zufolge muss im Schnitt jede Säugetierart als Wirt für zwei Bandwurm-, zwei Saugwurm- und vier Fadenwurmspezies herhalten.
In Summe können die Organismen von Wirbeltieren, je nach Art, Schätzungen zufolge von 75.000 bis zu 300.000 Wurmarten besiedelt sein – andere Gruppen von Parasiten noch nicht berücksichtigt.
Corbis (3); Dr. Richard Kessel & Dr. Gene Shih/Visuals Unlimited, Inc.
ParasitenParade
Vögel sind esonders arm b dran: An ihnen als Wirtsorganismus laben sich im Schnitt drei Band-, zwei Saug-, drei Fadenwürmer sowie ein sogenannter Kratzwurm.
scher Schmarotzer ein faszinierender und vielfach noch unerforschter Kosmos. Das Fachmagazin „Spektrum der Wissenschaft“ hat sich jüngst einen Überblick verschafft und harte Fakten und aktuelle Forschungsresultate über Parasiten zusammengetragen.
Erhebungen von Ökologen in kalifornischen und mexikanischen Flussmündungen zeigten, dass dort rund 40 Prozent aller erfassten Tierarten parasitär leben.
In Lebend gewicht gerechnet ergibt sich ein eindrucksvoller Vergleich: Die Biomasse der Parasiten ist in diesen Regionen tendenziell ebenso groß wie jene der heimischen Vögel oder Fische.
Nicht alle T iere halten Schmarotzer nur für lästig, manche wissen sie auch als nahrhafte Speise zu schätzen: Bandwürmer etwa bestehen zur Hälfte aus Glykogen (tierischer Stärke) und zu 30 Prozent aus Lipiden, also Fett.
Persönliches Exemplar von k.brandstetter@aon.at, alle Rechte vorbehalten. Nutzungsbedingungen unter www.kiosk.at
All die tierischen Nahrungsketten sind zwar komplex und weit verzweigt, doch Schätzungen gehen davon aus, dass Para siten in der Nahrungsbeschaffung von Tieren zu gut einem Drittel von Bedeutung sind.
8. Juli 2013 • profil 28 77
Persรถnliches Exemplar von k.brandstetter@aon.at, alle Rechte vorbehalten. Nutzungsbedingungen unter www.kiosk.at
Persรถnliches Exemplar von k.brandstetter@aon.at, alle Rechte vorbehalten. Nutzungsbedingungen unter www.kiosk.at
wisschenschaft
walter wobrazek
ßig laboriert. Im Grunde ist diese „Gastro symptomen. Für chronischen Husten sei Zucker, Fett und Alkohol. Empfohlen wird Reflux immerhin die dritthäufigste Ursa- zudem vor allem die Konsumation mehEsophageal Reflux Disease“ (GERD) ein mechanisches Problem: Üblicherweise che, so Schneider-Stickler. In Fachkreisen rerer, jedoch deutlich kleinerer Portionen. verhindert ein ringförmiger Schließmus- wird zusätzlich auch ein indirekter Wirk- Sollte weder dies noch eine medikamenkel – ein sogenannter Sphinkter – zwi- mechanismus diskutiert – die sogenann- töse Therapie – gebräuchlich sind Protoschen Speiseröhre und Mageneingang, te „Reflex-Theorie“: Diese besagt, dass es nenpumpenhemmer – Linderung bringen, dass saure Verdauungssäfte in die Speise- über den Umweg einer Beeinträchtigung kann Schlüssellochchirurgie zur Anwenröhre strömen. Doch unter bestimmten des Vagus-Reflexes – jener Nervenfunkti- dung gelangen: Im Rahmen eines minimalinvasiven Eingriffs wird dabei eine Umständen versagt dieser Muskel seinen on, die unter anderem die Kehlkopf- und Dienst, wodurch saures Milieu zurück in Speiseröhrenmotorik regelt – zu einer winzige Kette aus magnetischen Titanperdie Speiseröhre fließt und dort Entzün- Schwellung der Schleimhäute kommt. len am unteren Ende der Speiseröhre fidungen auslösen kann. „Es kommt zu eiUm festzustellen, ob ein Patient tatsäch- xiert, welche die Funktion des erlahmten ner Erschlaffung des Muskels“, Muskels übernimmt. Beim Schlucken weitet sich der erläutert Riegler. „Das Ventil künstliche Ring, danach wird undicht.“ verschließt er sich magneSowohl die Konsumgetisch und verhindert Rückwohnheiten als auch die Zusammensetzung der Mahlzeifluss. Die Methode, erstmals ten tangieren die Funktionsan einer Universitätsklinik in Mailand erprobt, wird tüchtigkeit des Sphinkters: So kann der verbreitete Usus, mittlerweile auch von östertagsüber wenig zu essen, reichischen Chirurgen wie abends dafür stattliche PortiMartin Riegler am AKH onen zu verschlingen, im praktiziert. Sollte auch dieser meWege einer Überdehnung des chanische Ersatz nicht den Magens gleichsam das erhofften Nutzen bringen, Schutzventil allmählich auskönnen Ärzte schließlich leiern. Substanzen wie Zucker, noch auf die sogenannte Fett, übermäßig KohlenhydFundoplicatio umschwenrate und Alkohol wiederum regen die Säureproduktion an. ken, eine operative WiederZudem bewirkt beispielsweiherstellung des geschädigten Schließmuskels, wofür se zu viel Zucker eine „Dysbawiener chirurg martin riegler lance des Stoffwechsels“, so Operativer Ersatz des erschlafften Antireflux-Ventils mittels Schlüssellochchirurgie ein kleiner Teil des Magens Riegler. Die Magenüberdehverwendet wird. Und auch nung halte dadurch länger an. Patienten, bei denen bereits Negative Effekte haben weiters Nervengif- lich von Reflux betroffen ist, stehen Ex- jene Veränderung der Speiseröhrente wie Alkohol und Nikotin, aber auch Me- perten im Wesentlichen zwei Instrumen- schleimhaut diagnostiziert wurde, die te zur Verfügung: zunächst eine Gastros- Krebs begünstigen kann, steht eine Thedikamente wie bestimmte Schmerzstiller rapie zur Verfügung: Vereinfacht ausgeund Entzündungshemmer: Die Intensität kopie, eine endoskopische Spiegelung der der Verdauungsperistaltik wird gebremst, Speiseröhre, um potenzielle Entzündungs- drückt, schabt der Chirurg die beeinträchder Druck auf den Schließmuskel im Hals herde zu detektieren. Als weiteres und be- tigte Schleimhaut im Rahmen eines mahält länger an. sonders zuverlässiges Werkzeug kommt ximal 20-minütigen Eingriffs sanft ab und Schädigungen durch diese Prozesse die sogenannte ph-Metrie zum Einsatz. verödet sie. Radiofrequenz-Ablation heißt können auf zweierlei Art entstehen: zum Dabei wird über einen definierten Zeit- dieses Verfahren, mit dem angeblich Ereinen durch die direkte Säureätzwirkung raum – zumeist zwölf, 24 oder 48 Stunden folgsraten von mehr als 90 Prozent erzielin der Speiseröhre sowie – teils über die – ein dünner Plastikschlauch über die Nase bar sind. Verbindung von Speise- und Luftröhre – eingebracht und am unteren Ende der Wenn Mediziner solche Eingriffe für in den Atemwegen. Dies kann nicht nur Speiseröhre appliziert. Verbunden mit ei- angebracht halten, muss der Erkrankungsin Sodbrennen münden, sondern auch in nem tragbaren Aufzeichnungsgerät, wird prozess freilich schon ziemlich weit fortStimmproblemen, Heiserkeit und Husten- auf diese Weise der ph-Wert gemessen, geschritten sein. Wer indes in Maßen auf was konkrete Indizien auf Säurevorkom- seinen Lebensstil achte, kalmieren Expermen in der Speiseröhre liefert. ten, müsse kaum ernsthaft befürchten, Für den Fall, dass nach diesem Prinzip dass ihm Chirurgen eines Tages unter Nartatsächlich eine Refluxerkrankung diag- kose die Kehle auskratzen. Neben allzu exnostiziert wird, raten Mediziner ihren Pa- tensiven Ernährungssünden sei beispielstienten in einem ersten Schritt zu einer weise auch permanenter Stress Gift für Umstellung der Ernährungsgewohnheiten den Ernährungstrakt. Schneider-Stickler: – basierend auf der simplen, aber nichts- „Wir reden also auch von einem typischen Martin Riegler, destoweniger stimmigen Formel: weniger Zivilisationsproblem.“ n Facharzt für Chirurgie
„Es gibt eine ziemlich hohe Dunkelziffer von Krebsfällen. Die Statistik hinkt der Realität hinterher.“
80 profil 28 • 8. Juli 2013
Persönliches Exemplar von k.brandstetter@aon.at, alle Rechte vorbehalten. Nutzungsbedingungen unter www.kiosk.at
WISSENSCHAFT
cyberama ENVY 120 NUTZEN: All-in-One-Drucker fürs Wohnzimmer SPASS: Drucken und Scannen mit 1200 dpi, WLAN, USB 2.0, motorisierte Papierschublade, etwas langsam STYLE: Glasdeckel zum Zuschauen PREIS: 250 Euro
TOMTOM RIDER 2013 NUTZEN: Navi fürs Motorrad SPASS: Touchscreen, 4 GB Speicher, Bluetooth, Karten-Updates, Fahrspurassistent, Option für „kurvenreiche Strecken“ STYLE: großes Display PREIS: 399 Euro
ION AIR PRO WIFI NUTZEN: ActionCam SPASS: über Funk fernsteuerbar, kein Display, HDMI, Halterung für Lenker und Helm, Ministativ STYLE: robust PREIS: 349 Euro
GeekSpeak
TECH-CHECK
REDAKTION THOMAS VAŠEK • thomas.vasek@profil.at
Datenwahnsinn Warum wir im Alltag so sorglos persönliche Informationen preisgeben.
E
in kleiner Selbsttest, bevor Sie weiterlesen: Geben Sie bei Google mal einen unanständigen Suchbegriff ein. Irgendeine Wortkombination, die Ihnen normalerweise nicht über die Lippen kommt. Klicken Sie auf „Google Suche“. Nun achten Sie auf Ihre Reaktion. Fühlen Sie sich überwacht? Haben Sie wenigstens ein flaues Gefühl im Bauch? Oder denken Sie gar nicht darüber nach, was Sie da eigentlich tun? Die allermeisten Menschen überlegen keine zwei Sekunden, wenn sie eine Google-Suchabfrage starten. Und sie grübeln auch nicht hinterher darüber nach, was mit ihren Daten auf den Google-Servern passiert – und ob da eventuell ein paar Geheimdienste mitlesen. Hauptsache, die Suchmaschine spuckt ein brauchbares Ergebnis aus. Das rechtfertigt natürlich nicht Prism & Co. Die Spähprogramme der Geheimdienste sind ein Skandal. Aber ein paar Fragen sollten die Nutzer auch sich selbst stellen. Wir alle füttern Internetkonzerne wie Google täglich mit unseren Daten. Niemand zwingt uns dazu. Wir tun es aus Bequemlichkeit – und oft genug aus Gedankenlosigkeit. Die meisten Menschen schreiben unverschlüsselte E-Mails, obwohl jeder halbwegs informierte Nutzer weiß, dass Mails ganz leicht mitgelesen werden können. Dabei könnte sich jeder kostenfrei das Open-Source-Verschlüsselungsprogramm PGP (Pretty Good Privacy) herunterladen, um seine Mails vor dem Zugriff anderer zu schützen. Aber das tut kaum jemand, weil es eben etwas mühsam ist. Lieber benutzen die Leute Gmail. Und niemand regt sich darüber auf, dass die Google-Rechner jedes Mail nach Stichworten scannen, um entsprechende Werbung zu platzieren. Aus all dem kann man nur schließen, dass es den meisten Leuten relativ egal ist, was mit ihren Daten passiert. Der alltägliche Datenwahnsinn zeigt sich nicht zuletzt in sozialen Netzwerken. Um Geheimnisse über Durchschnittsbürger zu erfahren, müssen die Dienste wirklich keine Glasfaserkabel anzapfen. Ein Blick auf Facebook genügt.
INTELLIGENTER LEBEN Mit dem Kurzvideodienst „Vine“ hat es angefangen. Nun gibt es auch InstagramApps für Android und iPhone, um Videoschnipsel von drei bis 15 Sekunden Länge aufzunehmen. Eine ähnliche App namens „Blink“ bietet auch Microsoft für Windows 8 und Windows Phone 8.
Wir füttern das Netz mit Daten.
TRASH DER WOCHE Daten-Panne bei Facebook: Nach einem Bericht des Security-Unternehmens Symantec schickt die FacebookApp für Android die Telefonnummer des Smartphones an die FB-Server, sobald man die App startet – und zwar noch bevor man sich überhaupt registriert hat.
Mainboard: Zentrale
Assembler: Visionäre Maschine, die aus Atomen alles herstellen kann Malware: Fachjargon für bösartige Software, wie etwa Viren und Trojaner
>>> WAS KOMMT
- - - WAS BLEIBT - - -
WAS GEHT >>>
GOOGLE-WATCH Der Suchmaschinenkonzern arbeitet, wie Konkurrent Apple, an einer „Smartwatch“, also einer Uhr mit Netzanbindung. Außerdem entwickelt man eine neue Spielkonsole.
WINDOWS 8 Sechs Monate nach Marktstart meldet Microsoft 100 Millionen verkaufte Windows-8-Lizenzen. Das entspricht ungefähr den Zahlen zum Start von Windows 7.
ALTAVISTA Ende der 1990er-Jahre gehörte AltaVista zu den ersten Suchmaschinen, mit denen man Volltext-Suchen durchführen konnte. Nun nimmt Yahoo den Dienst aus dem Netz.
WEB RADAR
Platine eines Computers
8. Juli 2013 • profi l 28 81 Persönliches Exemplar von k.brandstetter@aon.at, alle Rechte vorbehalten. Nutzungsbedingungen unter www.kiosk.at
82 profi l 28 • 8. Juli 2013
Persönliches Exemplar von k.brandstetter@aon.at, alle Rechte vorbehalten. Nutzungsbedingungen unter www.kiosk.at
9.7., Museumsquartier, 21.15 Uhr
Wenn der New Yorker Shootingstar Trajal Harrell eine Party ausrichtet, so ist das auch eine Zeitreise zurück in die 1980erJahre, als Vogueing gerade angesagt war und Gays, African Americans und Latinos auf den Disco-Laufstegen lustvoll mit Identitäten und weißen Repräsentationssymbolen spielten. Zur Festivaleröffnung sorgt Harrell, der heuer mit mehreren Arbeiten vertreten sein wird, für eine garantiert schillernde Party im Haupthof des MuseumsQuartiers. Eintritt frei. Come not as you are, sondern wie es sich fürs Vogueing gehört: dressed to kill.
Trajal Harrell: „Licence to Party“
11.8., Schauspielhaus, 23.30 Uhr
In Italien ist die hierzulande beliebte Volkstradition des Schuhplattelns mindestens so exotisch wie der Tango in der Karibik. Gerade diese Fremdheit interessiert den Choreografen Alessandro Sciarroni, der gemeinsam mit fünf Tänzerinnen und Tänzern für seine Performance in Lederhosen schlüpft. Getanzt wird bis zur Erschöpfung zu Songs der Eighties-Synthie-Band Yazoo bis hin zu aktuellen HipHop-Gassenhauern von Lil Wayne. Wer die Selbsterfahrung sucht: Sciarroni bietet auch einen Schuhplattel-Workshop an.
Alessandro Sciarroni: „FOLKS-S will you still love me tomorrow?“
Das Wiener Sommerfestival ImPulsTanz (11.7.–11.8.) präsentiert jedes Jahr – heuer zum 30. Mal – Tanzstars und Performance-Talente aus aller Welt. Karin Cerny stellt die Highlights und Entdeckungen dieser Saison vor.
Schuhplatteln mit Lil Wayne kultur1
8. Juli 2013 • profi l 28 83
Persönliches Exemplar von k.brandstetter@aon.at, alle Rechte vorbehalten. Nutzungsbedingungen unter www.kiosk.at
5.8, 21 Uhr und 7.8., 23 Uhr, Halle G
In fast allen Arbeiten der Wiener Choreografin und Performerin Doris Uhlich geht es um den lustvoll-ironischen Widerstand gegen gängige, allzu glatte Körperbilder. Im Rahmen von ImPulsTanz bot sie bereits Kurse in Nackttanzen an. Nun ist daraus eine eigenständige Performance entstanden. In „more than naked“ steht Uhlich mit 20 weiteren Tänzerinnen und Tänzern nackt auf der Bühne – und entwickelt eine „Fetttanztechnik“.
Doris Uhlich: „more than naked“
30.7. und 1.8., Halle G, 23 Uhr
Cecilia Bengolea & François Chaignaud sind das wahrscheinlich exzentrischste Performance-Duo der internationalen Tanzszene. Für jede Inszenierung finden sie eine andere Form, nur in einem bleiben sie sich stets treu: Es darf glamourös sein. Für ihre jüngste Gemeinschaftsarbeit ließen sie sich von popkulturellen Trends wie dem „Twerk“, der Kunst des sexuell provokanten Arschwackeln, inspirieren.
Cecilia Bengolea & François Chaignaud: „„altered altered natives‘ Say Yes to Another Excess – TWERK“
29.7., Volkstheater, 21 Uhr
Im Schatten der Wirtschaftskrise zu Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelte sich eine seltsame Unterhaltungsform: der Tanzmarathon, ein Wettbewerb, bei dem konkurrierende Paare versuchen mussten, sich so lange wie möglich auf den Beinen zu halten. Oft schliefen sie im Stehen ein, mussten sich gegenseitig stützen. Die französische Starchoreografin Mathilde Monnier ließ sich von diesen Wettbewerben für „Twin Paradox“ inspirieren. Ergebnis: eine erstaunlich energetische Arbeit.
Mathilde Monnier: „Twin Paradox“
28.–31.7., Akademietheater, 21 Uhr
Der französische Choreograf Jérôme Bel gehört zu den führenden Konzeptkünstlern des zeitgenössischen Tanzes. Mit seiner jüngsten Arbeit sorgte er für heftige Diskussionen: Auf Einladung des Theater HORA in Zürich, einer Einrichtung, die auf die Arbeit mit Behinderten spezialisiert ist, entwickelte Bel seine Produktion „Disabled Theater“. Ein Teil des Publikums war begeistert, andere warfen dem Choreografen vor, seine behinderten Schauspieler unvorteilhaft darzustellen. Man mache sich selbst ein Bild.
Jérôme Bel: „Disabled Theater“
PROFIL EMPFIEHLT
MATTEO MAFFESANTI
Die Rabtaldirndln erforschen gerne die dunklen Untertöne in ländlichen Traditionen. In den originellen Performances der fünfköpfigen Grazer Theatergruppe gehen das Unheimliche und das Unterhaltsame stets Hand in Hand. Für das Salzburger Tanzfestival „Sommerszene“ laden sie die Besucher nun auf eine Wallfahrt ein – samt Verköstigung, dem gemeinsamen Singen von Liedern und anderen eigenwilligen Exerzitien.
PERFORMANCE Rabtaldirndln: Picknick mit Erscheinung 213.7., Kapuzinerkloster Salzburg, // szene-salzburg.net
Im Studierzimmer des HipHop übernimmt der Rapper KRS-One gern das Amt des Klassenvorstands. „The Teacher“, wie der Altmeister aus der Bronx sich selbst nennt, prägte Mitte der 1980er-Jahre mit dem Album „Edutainment“ und seiner Band Boogie Down Productions die alte Schule des Raps. Seitdem ist der 47-Jährige ihr soziales Gewissen, zugleich Botschafter des HipHop-Kulturerbes auf Lebenszeit. Immer noch predigt KRS-One mit markanter Stimme und hochtrabendem Gestus von Graffiti und Breakdance, von zwei Plattenspielern und einem Mikrofon, von „Politricks“ und „Godsville“. Sein packendes Live-MCing gilt als legendär und dürfte nicht nur Denkmalschützer begeistern.
KONZERT KRS-One 11.7., WUK, 21 Uhr
Bestseller Belletristik
Sachbuch
1
kultur2
Inferno Dan Brown Bastei Lübbe, EUR 26,–
(1)
Die Narzissmusfalle (1) Reinhard Haller Ecowin, EUR 21,90
2
3
4
5
Tierische Profite (2) Donna Leon Diogenes, EUR 23,60
Allmen und (8) die Dahlien Martin Suter Diogenes, EUR 19,50
Wann wird es (4) endlich wieder so … Joachim Meyerhoff KiWi, EUR 20,60
Femme fatale Martin Walker Diogenes, EUR 23,60
(3)
Die Parenzana Janko Ferk Zsolnay, EUR 19,99
Zuhause ist überall (2) Barbara CoudenhoveKalergi Zsolnay, EUR 23,60
5 Dinge, die Sterbende ... Bronnie Ware Arkana, EUR 20,60
(4) Selbst denken Harald Welzer Fischer, EUR 20,60
(–)
(–)
Platzierung in der Vorwoche
Tanzende Flugbegleiter In-Flight-Entertainment mit Carlos Areces, Raúl Arévalo, Javier Cámara
Tristan Vostry; tobis film
feingliedrige beats Alin Coen Band aus Deutschland
Heiter bis wolkig
Anschnallen unnötig
W
A
Die deutsche Singer-Songwriter-Formation Alin Coen Band legt ihr zweites Album vor.
Alin Coen Band: We’re Not The Ones We Thought We Were (Universal)
enn die Alin Coen Band ihre Arbeit aufnimmt, beginnen die Klänge zu fließen: Die Stimme der Sängerin verbindet sich mit der Musik ihrer Kollegen, feingliedrige Beats umschmeicheln den sanften Singer-Songwriter-Pop. Vor fünf Jahren traf sich die Band erstmals in einem Proberaum im deutschen Weimar – drei junge Männer (in klassischer Besetzung: Gitarre, Bass, Schlagzeug) und ein Mädchen. Für Coen war das Trio neben ihr stets mehr als nur die Begleittruppe: „Wenn man die Kraft einer Band nicht nützt, lohnt es sich gar nicht, mit anderen Musikern zu spielen“, betont sie im Gespräch
mit profil. Nach dem ungeahnten Erfolg ihres Debüts („Wer bist du?“, 2010) ging man monatelang auf Tour, spielte mit Popgrößen wie Sting und versuchte sich in der Vorausscheidung des Eurovision Song Contests. Auf ihrem nun vorliegenden zweiten Album – „We’re Not The Ones We Thought We Were“ – schwelgt die Band erneut in Melodien, die sich heiter bis wolkig gestalten. Alin Coen singt inzwischen nahezu alle Songs auf Englisch, erzählt dabei von Beziehungsgewalt („A No is a No“) und dem widersprüchlichen Verhältnis von Menschen zu Maschinen („Disconnected“). ph.d.
Boulevard über den Wolken: Pedro Almodóvars Libido-Lustspiel „Fliegende Liebende“. lles kann passieren in den Kinogrotesken des Spaniers Pedro Almodóvar, an zwischenmenschlichen Grenzüberschreitungen ist in seinen Filmen nichts undenkbar. Die Freiheit, die sich daraus ergibt, ist aber nur die Kehrseite der Beliebigkeit: Keine noch so absurde Idee nimmt man als besonders überraschend wahr, und die Heiterkeit kann sich in einer Welt der unlimitierten Fantasie schnell erschöpfen. Insofern ist das nutzlose Kreisen jenes beschädigten Passagierflugzeugs, das in „Fliegende Liebende“ ohne Landeerlaubnis im Luftraum über Toledo schwebt, ein gutes Bild, um die Warteschleife darzustellen, in der Almodóvars Kunst sich verfangen hat. Da-
84 profil 28 • 8. Juli 2013
Persönliches Exemplar von k.brandstetter@aon.at, alle Rechte vorbehalten. Nutzungsbedingungen unter www.kiosk.at
bei ist diese neue, so offensiv anspruchsarme Produktion sympathischer als die allzu ambitiösen Vorgängerprojekte des Regisseurs („Die Haut, in der ich wohne“, 2011; „Zerrissene Umarmungen“, 2009). Die schwulen Manierismen der Flugbegleiter, die sexuellen Nöte von Passagieren und Piloten lassen schmunzeln, die Farben sind grell, die Ideen drollig; man unterhält die Businessclass mit liebenswertem Gay-Ballett, den Economybereich hat man zuvor schon mit Schlafmitteln ausgeschaltet, um in den vorderen Reihen ungestört trinken, tanzen und koitieren zu können. Die Stagnation aber ist, bei aller Turbulenz, die Grundbedingung dieser Reise. st. gr.
7
8
9
(5)
Ein Jahr voller (–) Wunder Karen Thompson Walker Btb, EUR 20,60
Die Tage (10) des Zweifels Andrea Camilleri Bastei Lübbe, EUR 19,99
Er ist wieder da Timur Vermes Eichborn, EUR 19,90
Die Tante Jolesch (–) und ihre Zeit Robert Sedlaczek Haymon, EUR 19,90
Weber‘s (7) Grillbibel Jamie Purviance Gräfe & Unzer, EUR 25,70
Worüber ich lache (8) Elfriede Ott Amalthea, EUR 24,95
Die Schuhbeck- (6) Diät Alfons Schuhbeck Sandmann, EUR 20,60
glosse
Joyland Stephen King Heyne, EUR 20,60
Absagen und Legenden
10 (7)
Stoß im Himmel Dirk Stermann Ullstein, EUR 19,60
(9)
wöchentlich erhoben von den Buchhandlungen Thalia, Leporello, Morawa Buch und Medien-Gruppe, Frick, Wagnersche Buchhandlung
Anna, die Schule (3) und der liebe Gott Richard D. Precht Goldmann, EUR 20,60
kontextkunst von cerith wyn evans „One Evening Late In The War ...“ (Foto li.) und „Astrophotography-Stages of photographic development” Watanabe Osamu / Mori Art Museum; Jens Ziehe / TBA21, 2013
6
W
enn nicht alles täuscht, wird ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz dieser Tage den Klagenfurter Bachmannpreis „retten“, also von seiner Drohung zurücktreten, die dafür jährlich anfallenden Kosten von rund 350.000 Euro einzusparen, die mit einem Schlag fast 0,4 Prozent jenes Sparbedarfs gedeckt hätten, den das so unliebsame wie angekündigte Versiegen der Gebührenrefundierung durch die Bundesregierung hervorrufen wird. Nun ist es ist zwar gut und richtig, das traditionsreiche Kärntner Wettlesen nicht einfach abzuwürgen, denn ein öffentlich-rechtliches Medienunternehmen muss sich auch Kulturprestige- und Nischenprogramme leisten, nicht nur sichere Quotenbringer. Dennoch wird Wrabetz für die Absage seiner Absage, wenn sie denn kommt, kein Lob verdienen: Sich dem Sturm der Entrüstung zu beugen, den man selbst, ohne groß nachzudenken, durch sein Polit-Erpressungsszenario heraufbeschworen hat, mag ein später Akt der Vernunft, ein Vorschlag zur Güte sein – eine kulturelle Leistung ist es nicht. Man kann sich, unter dem Druck einer irritierten Medienöffentlichkeit, nicht feiern lassen für den Vorsatz, sich offen zur eigenen Perspektivlosigkeit zu bekennen. st. gr.
Hirnarbeitsermüdung
Cerith Wyn Evans’ Leuchtkunst im TBA21-Augarten: spektakulär – und langweilig.
D
as Hintergründige den Kuratoren, das Sinnliche den Sammlern: Der walisische Künstler Cerith Wyn Evans versteht es, mit seinen Installationen beide Gatekeeper-Gruppen des Kunstbetriebs zu bedienen. Auch Francesca Habsburg kaufte einige seiner großformatigen Lichtarbeiten und gab eine in Auftrag; in dem von ihr bespielten TBA21-Augarten präsentiert sie diesen Fundus nun. Der riesige, einst als Atelier genutzte Raum gibt zweifellos einen großartigen Rahmen für Evans’ leuchtende Arbeiten ab. Vier Neonröhrensäulen strahlen Wärme ab; ein Murano-Luster sendet via Morsezeichen einen Text über Astralfotografie aus; eine hängende Leuchtskulptur stellt die Vorgänge des CERN-Teilchenbeschleunigers sowie die chemische Formel für LSD dar; und ein nur aus abstrakten Schatten in Schwarz-Weiß bestehender Film wird begleitet von einer eindringlichen Komposition des Experimentalmu-
sikers Florian Hecker. Es steckt eine Menge Hirnarbeit hinter Evans’ Werk, mal geht es um Naturwissenschaft, mal um Poesie – und wie so häufig werden schwere theoretische Geschütze aufgefahren, um all das zu untermauern: Von „Kontingenzfeldern“ und „Sinnprojektionen“ ist in den Begleittexten die Rede; sogar das „vertraute Universum, das eine gesicherte Realität gewährleistet“ gerate ins Schwanken, heißt es an einer Stelle. Derlei erscheint dann doch gar hoch gehängt. Denn so intellektuell, so gefinkelt die Inhalte von Evans’ Strahlkunst sind, so spektakulär und attraktiv sie erscheinen: Nach einer ermüdenden Auseinandersetzung mit deren zahlreichen, höchst unterschiedlichen theoretischen Hintergründen streicht man ermattet die Segel. Und auch wenn die eine oder andere Arbeit durchaus bezwingend ist: Bisweilen beschleicht einen vor allem ein Gefühl – jenes der Langeweile. ni. s.
Persönliches Exemplar von k.brandstetter@aon.at, alle Rechte vorbehalten. Nutzungsbedingungen unter www.kiosk.at
„The What If? … Scenario (after LG)“; TBA21Augarten; zu sehen bis 3. November
8. Juli 2013 • profil 28 85
kultur
Von Angelika Hager Fotos: Manfred Klimek
V
or lauter Mozartkugeln war ihm hundeelend. Irgendwie hatten ihn die Damen in der Maske derart damit abgefüttert, dass er sich in der Garderobe der Mutter übergeben musste. Mehr als diese Erinnerung an seine Kindertage bei den Salzburger Festspielen hat Cornelius Obonya nicht im Repertoire. Und nein, es sei keine Last, dass drei Generationen der Familie ihre Spuren bereits auf dem Salzburger Domplatz zogen: Großvater Attila Hörbiger starb insgesamt acht Saisonen lang als Jedermann, Oma Paula Wessely machte den Glauben zum Elementarereignis, Tante Christiane Hörbiger war die Buhlschaft, und Mutter Elisabeth Orth spielte die Guten Werke. „Wenn du diesen Job machen willst und aus dieser Familie kommst, hat es sich bewährt, keine Angst zu haben und ein fulminantes Desinteresse für seine Herkunft zu entwickeln“, sagt Obonya in seiner mollig dunklen, streng geschulten Staatstheaterstimme, die selbst eine Bestellung in einem Kaffeehaus so klingen lässt, als müsste jetzt gleich ein Vorhang hochgehen. Der Jedermann sei vor allem ein „vor Lebenslust und Gedankenlosigkeit überbordender Turbokapitalist“, meint er – was aber keineswegs bedeute, dass man deswegen „wie ein Irrsinniger auf der Bühne herumhüpfen muss“. Die „Jedermann“-Regisseure Julian Crouch und Brian Mertes sind begeistert von ihrem Sterbekünstler. „Cornelius bietet tausend Varianten an Selbstdarsteller und wird nicht müde, sie auch alle auszuprobieCornelius Obonya im ren“, schwärmt Crouch, bekannt für seinen Sinn Schlosspark Schönbrunn für Exzentrisches. Richtig zärtlich wird Mertes, der
Wundertüte Er stammt aus der berühmtesten Theaterdynastie des Landes. Trotzdem wollte Cornelius Obonya, Enkel von Paula Wessely und Attila Hörbiger und Sohn von Elisabeth Orth, nie etwas anderes werden als Schauspieler. Ein Porträt des neuen Jedermann in Salzburg.
86 profil 28 • 8. Juli 2013
Persönliches Exemplar von k.brandstetter@aon.at, alle Rechte vorbehalten. Nutzungsbedingungen unter www.kiosk.at
„Es hat sich bewährt, keine Angst zu haben und ein fulminantes Desinteresse für seine Herkunft zu entwickeln.“ Cornelius Obonya, Schauspieler
8. Juli 2013 • profil 28 87 Persönliches Exemplar von k.brandstetter@aon.at, alle Rechte vorbehalten. Nutzungsbedingungen unter www.kiosk.at
kultur
„Er besitzt einen unvorstellbaren Spieltrieb, würde dir am liebsten auch noch den Papierkorb, den Sessel und den Staub in der Luft darstellen.“
Als Obonya 2008 mit dem Musical „The Producers“ im Ronacher endlich im Hauptrollenfach angekommen war, karenzierte das Burgtheater ihn nicht wie erhofft, sondern ließ ihn ziehen: „Das war schon kränkend, dass man mir nach neun Jahren meinen Vertrag einfach so hinlegte.“ In der Rolle des windigen Broadway-ProduzenRupert Henning, Regisseur ten in „The Producers“ klappte Obonya sein gesamtes Register auf, die Kritiker knieten, doch das Publikum blieb aus. neben Theater und Oper auch US-SpitalEine zentrale Rolle bei der endgültigen und Krimiserien inszeniert, unter ande- Etablierung des Bühnenwunders Obonya rem auch schon „Law & Order“: „Ich habe spielten Rupert Henning und Florian Scheuba 2010 – als Autoren der deutschnoch nie einen Schauspieler erlebt, der so hart arbeitet und so unglaublich diszipli- österreichischen Feindschaftskomödie niert ist. Cornelius ist ein echtes Wun- „Cordoba“. Nachdem die österreichische Filmförderung dem Drehbuch die Unterder.“ Ein Wunder, das allerdings Zeit brauch- stützung verweigert hatte, „ärgerten wir te. Denn die Karriere des heute 43-Jähri- uns so, dass wir beschlossen, daraus ein Theaterstück zu machen“, erzählt Scheugen war alles andere als „eine g’mahte ba. Alle 24 Rollen auf der Bühne sollten Wies’n“, wie er selbst sagt, wie übrigens gar nichts in diesem Beruf: „Das ist nun von einem einzigen Schauspieler gespielt einmal kein Wohlfühljob.“ Die Mutter hat- werden. Scheuba dachte „ziemlich schnell te Obonya stets prophezeit: „Bei dir wird’s an den Conny, denn was kaum jemand weiß: Er war bei uns nach dem Abgang erst ab 40 so richtig losgehen.“ Eine harte von Mini Bydlinski kurzfristig als fünfter Ansage für jemanden, der mit 17 bereits am Reinhardt Seminar landete und der ‚Hektiker‘ vorgesehen gewesen, aber dann Kaderschmiede nach einem Jahr wieder kam leider sein Engagement in Berlin daden Rücken kehrte: „Mir wurde damals zwischen.“ nicht das vermittelt, was ich mir erwartet Obonya machte unter Hennings Regie hatte.“ Inzwischen interessierte sich der „Cordoba“ zu einer Tour de force, in der er Kabarett-Doyen und Talente-Spürhund seine Charaktere in Sekundenschnelle und atompräzise modellierte. Das Stück Gerhard Bronner für ihn: „Der Bronner hat wurde zum Hit. „Der Conny ist für einen für seine Truppe jemanden gesucht, der Regisseur wie ein gigantischer Feinkostso in Richtung Qualtinger ging, eine Typ’n halt …“ laden“, sagt Henning, dessen Kammerspiel Unter den Fittichen des „manischen Ar- „Crash“ im Herbst mit Obonya im Theater beiters“ Gerhard Bronner erarbeitete sich in der Walfischgasse uraufgeführt wird: Obonya auf den Brettern des Cabarets „Er besitzt einen unvorstellbaren Spieltrieb „Fledermaus“ „eine unschätzbare Basis“ für und würde dir am liebsten auch noch den das Handwerk. Dennoch wirkte er in sei- Papierkorb, den Sessel und den Staub in nen späteren Jahren im Ensemble des der Luft darstellen.“ Volkstheaters, der Berliner Schaubühne Auf der „Cordoba“-DVD wirkt Obonya und zuletzt an der „Burg“ immer öfter un- bei genauerem Hinsehen sehr mitgenomterfordert statt überfördert. Mit Glanzrol- men, der Schweiß rinnt ihm in Strömen len hatte man ihn nicht gerade verwöhnt. über den Körper. „Am Tag der AufzeichDie postdramatischen Stücke-Zertrümme- nung hatte ich Fieber und dazu noch eine rer der Jahrtausendwende konnten mit Doppelvorstellung“, erzählt er: „Aber ich seinem unbeirrbar klassischen Spielstil habe verdammt noch einmal meinen Job wenig anfangen. Aus der Jelinek-Urauf- zu machen. Wenn’st da oben stehst, führung „Das Werk“ unter Nicolas Ste- gilt’s.“ Dass das Spielen Arbeit ist, lernte er mann war Obonya vorzeitig ausgestiegen: früh und aus allernächster Nähe. Seine „Ich kam mit dem Text nicht zu Rande. In der Kantine hat mir der Dramaturg nach Mutter, die Burgschauspielerin Elisabeth dem Erfolg des Stücks triumphierend zu- Orth, hat sich nie etwas geschenkt. Irgendgerufen: ,Voll daneben gegriffen, oder?‘ Ich wann hörte sie auf, ihren Sohn von diesem Beruf abbringen zu wollen. Ein ohhabe ihm nur geantwortet: ,Ich glaube, es nehin sinnloses Unterfangen: Obonya wurde ein Erfolg, weil ich nicht mitgespielt wollte von klein auf nichts lieber auf der habe.‘“
88 profil 28 • 8. Juli 2013
Persönliches Exemplar von k.brandstetter@aon.at, alle Rechte vorbehalten. Nutzungsbedingungen unter www.kiosk.at
Welt, als Schauspieler werden. Eine Verkleidungskiste, voll mit alten Bademänteln und Vorhängen, war das wichtigste Inventarstück seines Kinderzimmers: „Ich spielte den Eltern quer durch alle Epochen Figuren vor.“ Als er neun war, starb sein Vater, der Schauspieler Hanns Obonya – ein traumatisierender Einschnitt. Über Emanzipation wurde nicht diskutiert, sie wurde praktiziert: „Dass meine Mutter arbeitete, war der Normalzustand. Das war einfach so.“ Großmutter Paula Wessely hatte ihren Töchtern vorgelebt, dass „man sich seine Nylonstrümpfe immer selber kaufen können muss“, wie Christiane Hörbiger erzählte. Sie war nicht „so eine klassische Zuckerl-Oma“, erinnert sich Obonya, man hatte zu ihr „eine natürliche Distance“. Er spricht das Wort französisch aus. Großvater Attila war „eindeutig der herzlichere“. Obonyas achtjähriger Sohn heißt Attila, mit der Mutter, der deutschen Regisseurin Carolin Pienkos, ist er seit über einem Jahrzehnt verheiratet, das Stück „Crash“ wird sie inszenieren: „Ich würde mit ihr auch arbeiten wollen, wenn wir kein Paar wären.“ Sein Disziplinkodex stammt eindeutig von der Großmutter. Von den tausenden Theateranekdoten, die über Wessely kursieren, bleibt diese wie eine Quintessenz: Jeden Abend nach der Vorstellung blickte sie beim Abschminken kopfschüttelnd in den Spiegel und seufzte: „Immer zu wenig …“ Die Bereitschaft zur politischen Psychohygiene hat Cornelius Obonya von seiner Mutter, die gegen Waldheim, Antisemitismus und Fremdenhass stets an vorderster Front ihre Stimme erhob, vorgelebt bekommen. Und ja, natürlich hat er seiner Großmutter auch die Frage über ihr Spiel im Nazipropagandafilm „Heimkehr“ gestellt: „Ich habe sie gefragt: ‚Hast du eigentlich gewusst, was du damals in dem Film gesagt hast?‘ Sie hat nur mit einem knappen Ja geantwortet. Mehr war aus ihr nicht herauszubringen. Dabei hätte ich so gerne gewusst, wie das war, mit Max Reinhardt wie eine Rakete durchzustarten. Und dann war der plötzlich nicht mehr da. Wie kann man da nur so einfach weitermachen?“ Womit sich der Kreis am Domplatz wieder schließt. Zumindest indirekt. Denn auch das Regie-Duo Crouch und Mertes wird sich mit seinem „Jedermann“ stark an der Reinhardt’schen Urfassung orientieren. Aber wie gesagt: „Alles ka g’mahte Wies’n.“ n
kultur
Glamour-Dilemma
Franz Neumayr; Mike Vogl/Pressefoto Neumayr; News/Vukovits Martin
Kunst-, Kuratoriums- und Politspiele: Die Festspiele in Salzburg gehen in eine ungewisse Zukunft.
Salzburger Player Schauspielchef Bechtolf, Festspielpräsidentin Rabl-Stadler, Wunschkandidat Hinterhäuser
Manuel Brug
J
etzt muss alles schnell gehen: Wer auch immer die Intendanz der Salzburger Festspiele im Herbst 2016 antreten will, um die fünf Saisonen 2017 bis 2021 zu bestreiten, sollte sich sehr bald bewerben. Denn schon am 2. September 2013 soll die Ausschreibungsfrist enden. Auch das Präsidentenamt muss neu ausgeschrieben werden, es wird ebenfalls – wie geplant – in zwei Jahren vakant. So kämpft man im kleinen Festspieldorf weiterhin wacker gegen den Rest der Kunstwelt. Wir sind die Größten, die Besten, die Berühmtesten! Das war man in Salzburg immer schon. Doch inzwischen scheint es so, als glaube man wirklich fest daran, sich auch seinen Intendanten selbst basteln zu können. Was noch gar nicht so fest ausgemacht ist, wie es den Einheimischen in ihrem Alpen-, Fluss- und Kleinstadtpanorama vielleicht anmutet. Da ist der Wunschkandidat der Salzburger, Markus Hinterhäuser, 54, Pianist, Kurator und Spezialist für zeitgenössische Musik, der Erfinder der „Zeitfluss“-Schiene, die das saturierte Edelfestival einst avantgardistisch tönte, bevor er selbst zum One-Season-Intendantentraum für den schönen Festspielsommer 2011 avancierte. Hinterhäuser schweigt zu all dem Lorbeervorschuss, zur fixen Idee, er – und nur er – müsse, könne und werde 2016 das Salzburger Festival übernehmen. Bürgermeister Heinz Schaden (SPÖ), der jetzt besonders süßlich das Loblied auf Hinterhäuser singt und bereits das Ergebnis der ohne Findungskommission anstehenden Intendantenkür siegesgewiss verkünden zu können glaubt, schickte denselben Hinterhäuser nach dessen Einspringerjahr für den vorzeitig nach Deutschland zurückgeschickten Jürgen Flimm erst einmal zwecks Weiterbildung in die Ferne. Was dieser gerne tat, die Wiener Festwochen engagierten ihn postwendend. Dort freilich muss er, seine Programmpläne sind noch nicht verkündet, erst einmal beweisen, was er kann. In Wien hat Luc Bondy gerade erst seinen Intendantensessel geräumt. Eine seiner wichtigsten Festwochenpremieren wird Hinterhäuser in Koproduktion mit der Brüsseler Oper im Gluck-Jahr 2014 bestreiten: eine Aufführung von dessen populärstem Reformwerk „Orfeo ed Euridice“. Inszenieren wird der gegenwärtig sehr angesagte Multimediakünstler Romeo Castellucci, der sich mit einem „Parsifal“
Persönliches Exemplar von k.brandstetter@aon.at, alle Rechte vorbehalten. Nutzungsbedingungen unter www.kiosk.at
8. Juli 2013 • profil 28 89
kultur
Festspiele 2013: Die Höhepunkte in Brüssel auch als operntauglich erwiesen hat. In Wien spielt man freilich die Wiener Fassung für Kastraten mit dem Countertenorstar Bejun Mehta, die Belgier bekommen die französische Weiterbearbeitung für Tenor in der Berlioz-Version zu hören. Hinterhäuser muss sich also, wenn er nicht davon ausgeht, dass er auch ohne Einreichung gebeten wird, weitgehend blank für die Festspiele bewerben. Er wird für Salzburg, sollte er gewählt werden und wenn er seinen Festwochenjob nicht selbst vor der Zeit hinwerfen will, bereits tätig sein müssen, während er in Wien noch arbeitet. Man kann sich das Gerangel international weit erfahrenerer Kandidaten vor der Festspielhaustür vorstellen. Die sollten alle schon vorab keine Chance haben? Und das sehr heterogen besetzte Kuratorium müsste schnell zu einer Entscheidung kommen. Denn am 29. September finden bekanntlich Nationalratswahlen statt, und danach könnten die Dinge in Salzburg schon wieder völlig anders aussehen. Kein Wunder, dass selbst Kulturministerin Claudia Schmidt, die sich bisher
G
anz konsequent wirkt Sven-Eric Bechtolf in seiner Programmplanung nicht: Eigentlich hatte es sich der Schauspielchef zur fixen Aufgabe gemacht, jedes Jahr die Uraufführung eines zeitgenössischen Stücks zu präsentieren. Diese sucht man in seiner zweiten Saison allerdings vergeblich. Dafür finden sich zwei klassische Koproduktionen: Einmal mehr inszeniert Burg-Chef Matthias Hartmann in Salzburg, zeigt eine Art Preview seiner Wiener Herbstpremiere von Nestroys Zauberposse „Lumpazivagabundus“. Und Regisseur Michael Thalheimer hat sich Schillers Glaubenskampfdrama „Die Jungfrau von Orleans“ vorgenommen. Shakespeares „Sommernachtstraum“ wird in einer musikalischen Version von
Regisseur Henry Mason zu sehen sein. Dem Figurentheater ist Bechtolf erneut treu geblieben: Aurélien Bory liefert mit „Sans Objet“ eine Produktion, in der Roboter mit Menschen spielen. Musikalisch bleibt Intendant Alexander Pereira bei seinen aus Zürich bekannten StarModulen: Er lässt im VerdiJahr einen neuen „Don Carlos“ vom Stapel, diesmal mit Matti Salminen, Thomas Hampson, Anja Harteros und Jonas Kaufmann. Daneben wird viel Salzburg-Routine geboten: ein von Zubin Mehta dirigierter „Falstaff“ etwa und „Così fan tutte“ als Start eines neuerlichen DaPonte-Zyklus. Statt der nicht fertig gewordenen Oper von György Kurtág gibt es als einzige Neue-Musik-Großproduktion Harrison Birtwistles King-Arthur-Oper
„Können wir nicht einfach profil: Sie gehören zum engeKreis um Alexander Penur arbeiten?“ reira,renhaben viel und gern mit
selbst wieder studiert. Neue Diät, neues Yoga-Workout, vorsichtige Planung. Ich habe Star-Bariton Thomas ihm schon in Zürich gearbeitet. mit einer Astrologin an meiHampson, der in Salzburg Welche Zukunft sehen Sie nach nem Biorhythmus gearbeitet 2013 zweimal auftreten wird, seinem vorzeitigen Abgang für und erschließe mir gerade ein anderes Repertoire. Eine neue über seine Stimme, die tradi- die Festspiele? Etappe beginnt, die ich genietionellen Festspielerregungen Thomas Hampson: Eine gute, ße, auch weil meine Stimme und ein übermächtiges Idol. schließlich ist das Festival als so willig ist. Marke etabliert. Man ist freiprofil: Sie mussten sich stets lich mit Pereira in Salzburg aus dem Schatten von Dietrich nicht sehr freundlich umgeFischer-Dieskau kämpfen, der gangen. Es ist alles so angeIhre Generation von Liedsänspannt und daueraufgeregt hier. Können wir nicht einfach gern sehr dominiert hat. Wie nur arbeiten? Man mag Perei- ist das heute? Hampson: Er ist immer noch ra vieles nachsagen, aber er war immer ein exzellenter Ge- ein Vorbild, ich bin ein rückhaltloser Fan, war auch bei schäftsmann. Und das ist, wie wir inzwischen sehen, auch in seiner Beerdigung eingeladen. Salzburg nicht unwichtig. Hof- Früher hat Fischer-Dieskau den Markt unglaublich domifentlich wird man ihn nicht niert. Überall, wo man repergerade dieses Aspekts wegen toiremäßig ankam, war er schnell wieder vermissen. profil: Sie sind eben 58 gewor- schon vor einem gewesen. Wie hat er das nur geschafft? den, singen in Wien, Zürich, profil: Fischer-Dieskau hat New York. Wie lange noch? Hampson: Im Augenblick fühle 1961 das „War Requiem“ von Benjamin Britten uraufgeich mich top. Ich habe mich
90 profil 28 • 8. Juli 2013
Persönliches Exemplar von k.brandstetter@aon.at, alle Rechte vorbehalten. Nutzungsbedingungen unter www.kiosk.at
„Gawain“, inszeniert von Alvis Hermanis. Spannend wird auch Stefan Herheims Auseinandersetzung mit Wagners „Meistersingern von Nürnberg“. Als Übernahmen von der Mozartwoche und den Pfingstfestspielen gibt man „Lucio Silla“ in einer manierierten Historismus-Inszenierung und Bellinis „Norma“, beide starbesetzt mit Rolando Villazón bzw. Cecilia Bartoli. Wie immer hat Pereira eine Schiene mit konzertanten Opern eingezogen, wo Walter Braunfels’ „Jeanne d’Arc“ und Verdis „Giovanna d’Arco“ (mit Netrebko) zu hören sein werden. Für den 200-jährigen Richard Wagner dirigiert Philippe Jordan die Jugendsünde „Rienzi“, dem ebenso alten Verdi huldigt der alterslose Plácido Domingo als Bariton in „Nabucco“. k.c./bru
führt, das auch Sie viel gesungen und eben eingespielt haben. Kann man sich von diesem Vorbild überhaupt lösen? Hampson: Das war damals eine geniale Besetzung, mit einer Russin, einem Engländer und einem Deutschen. Aber ich glaube nicht, dass es Brittens Absicht war, das so hochsymbolisch aufzustellen. Dieses Werk muss unabhängig von der Nationalität seiner Solisten bestehen. Das „War Requiem“ gehört für mich zu den drei wichtigsten Werken des 20. Jahrhunderts. Es hat enorme Ausstrahlung, es wirkt – wie Bachs Vokalwerke, die Requiems von Mozart, Brahms und Verdi oder die „Missa Solemnis“ – ganz für sich allein. profil: Auch Verdis „Don Carlo“, den Sie nun noch einmal in Salzburg singen werden, hat einen politisch-idealistischen Hintergrund. Hampson: Aber in erster Linie ist es ein italienisches Melo-
in der Causa Pereira öffentlich auffällig zurückgehalten hat, auf ein schnelles Verfahren drängt. Denn nach der Wahl wird sie möglicherweise nicht mehr im Amt sein – und damit auch nicht die von ihr ins Kuratorium entsandte Andrea Ecker. Der Vertreter des Finanzministeriums, Peter Radel, wird im Spätherbst wohl ebenfalls ausgetauscht. Die abgewählte Salzburger Landeshauptfrau Gabi Burgstaller (SPÖ) wurde gerade erst durch ihren bisherigen Stellvertreter Wilfried Haslauer ersetzt, der bisher für die Tourismusförderung im Kuratorium saß und nun nur den Platz wechselt. Ob er freilich im neuen Amt auch an seinen alten Überzeugungen festhalten wird? Unter Insidern gilt freilich als gesichert, dass der Vertreter der Bundestheater, Georg Springer, von Markus Hinterhäusers Qualifikationen keineswegs überzeugt ist.
aber natürlich ist auch sie voll und ganz für Hinterhäuser. Denn dann hätte sie wieder ganz allein den Glamourhut auf, dürfte weiterhin präsidieren und repräsentieren. Und darum geht es doch in Salzburg letztlich immer. Die Kunst war hier stets nur ein feiner, aber bisweilen doch sehr durchsichtiger Mantel für die Geschäfte der Gastronomen, Getreidegässler und Galeristen. Deshalb hätte hier einer wie Alexander Pereira eigentlich hochwillkommen sein müssen. Er trieb die Einnahmen wie die Ausgaben hoch, machte Wirbel, gern auch als Kulturkasperl. Aber dann wollte er nicht nur mitspielen, sondern vor allem allein glänzen. Und das ist bei dem sachlichen, der Schickeria eher fernen, auf die Sache konzentrierten Markus Hinterhäuser nicht zu befürchten. Oder eben: zu vermissen. Mögen die Bewerber kommen. n
nen, das ihnen die Basis gibt. Von dort aus kann und soll man sich dann auch auf Abenteuer einlassen. Aber sie sind immer in erster Linie Sänger, besitzt eine der berühmtesten lyrischen Baritonstimmen der Klassikwelt. sie können musikalisch hörDie vergangenen Jahre waren für Hampson dennoch eine Belastung: Die bar machen, was ein Mensch Querelen um seine rechtskräftig wegen Betrugs verurteilte Frau Andrea, denkt. Das ist etwas Wunderdie sich heute als „Hampson“ vorstellt und nicht mehr als „Gräfin Herberstein“, haben Spuren hinterlassen. Der Sänger wurde in die Affäre mit hin- volles. profil: Was werden Sie nach eingezogen, reagierte temperamentvoll und mit Unruhe. Heute sieht er dem Singen machen? die Dinge gelassener, das Paar scheint durch die widrigen Umstände zuHampson: Langweilig wird mir sammengeschweißt worden zu sein. Mit seinem Stiefschwiegersohn Luca nie. Ich werde wohl irgendeine Pisaroni, ebenfalls Bariton mit Mozart-Schwerpunkt, geht er generös auf Art von Akademie ins Leben Duo-Tour. Im Salzburger Sommer 2013 wird Hampson als Marquis Posa rufen. Man muss mit mir noch im „Don Carlo“ und an der Seite von Anna Netrebko und Ian Bostridge in etwa zehn Jahre rechnen, ob Brittens „War Requiem“ zu den zentralen Festspielkünstlern zählen. man will oder nicht. Ich werde bald den Wozzeck singen und in Offenbachs „Hoffmanns Erform, unter theatralischen Be- Hampson: Ich bemühe mich. Deshalb lege ich so viel Wert zählungen“, möchte sehr gern dingungen. Das ist für mich auf Technik, erst dann kann den „Faust“ von Busoni noch kein Widerspruch. Aber es der Ausdruck kommen. Und einmal machen. Dann wäre da darf nicht alles dem Primat ich will, wenn sie mit Regisder „Lear“ von Reimann, den der Regie untergeordnet werfreilich Fischer-Dieskau für den. Jeder Takt, den ich singe, seuren konfrontiert werden, ist mir von Verdi und Mozart die eben bisweilen nicht so be- das Schwerste gehalten hat, vorgegeben, darauf sollte man sonders viel Ahnung vom Mu- was er je unternommen hat. Und es gibt einen unerschöpfRücksicht nehmen. sikalischen haben, dass sie profil: Geben Sie das auch so sich auf das Schutzschild ihres lichen Vorrat von Liedern. Interview: Manuel Brug an Ihre Studenten weiter? Handwerks zurückziehen könDario Acosta
dram. Schauspieler werden ja selten mit derselben Rolle noch einmal konfrontiert, wir Sänger durch unsere Fächereinteilung schon. Ich bin ein lyrischer Bariton, der inzwischen seine dramatischeren Grenzen ausreizt, aber ich singe immer wieder gern mein Kernrepertoire, eben auch den Posa. Das ist so ein Saftschinken – und zum Glück ein relativ altersloser. Kein unkomplizierter Charakter, eigentlich auch kein sympathischer, aber eine herrlich dankbare Rolle, mit der ich immer noch wachse. Natürlich konnte ich nicht nein sagen, als mir Alexander Pereira diesen Part in Kombination mit dem Dirigenten Tony Pappano, dem Regisseur Peter Stein und dem Tenor Jonas Kaufmann angeboten hat. profil: Erachten Sie Regie und Musik in der Oper als gleichwertig? Hampson: Oper ist in erster Linie eine musikalische Kunst-
Somit präsentiert sich das Kuratorium als sehr disparat – wenn es sich nicht von der erfahrenen Noch- und wohl schon bald Wieder-Festspielpräsidentin Helga RablStadler auf eine Linie einschwören lassen wird. Rabl-Stadler ist zwar verstimmt, dass man allen Ernstes von ihr verlangt hat, sich formal wiederzubewerben – für eine Rabl quasi ein Gang nach Opern-Canossa –,
Thomas Hampson, 58,
Persönliches Exemplar von k.brandstetter@aon.at, alle Rechte vorbehalten. Nutzungsbedingungen unter www.kiosk.at
8. Juli 2013 • profil 28 91
kultur
„Wir schauen nicht gern zurück“
Neil Tennant, Mastermind der Pet Shop Boys, über Tanzmusik, Retro-Klänge, Homophobie und die Vorzüge der EU.
Neil Tennant, 58,
p
rough trade
geboren in Northumberland, studierte Geschichte und arbeitete unter anderem als Lektor im Marvel-Comicverlag sowie als Popjournalist beim TeenieBlatt „Smash Hits“, ehe er 1981 in einem Londoner Elektronikgeschäft seinen kongenialen musikalischen Partner Chris Lowe kennenlernte. Als Pet Shop Boys wurden die beiden zum erfolgreichsten britischen Duo der Unterhaltungsmusik geschichte. Sie revolutionierten die Form des Popkonzerts und muteten sich erfolgreich Aus flüge in die Welten von Kino, Ballett und Musical zu.
rofil: Ihr neues Album „Electric“ feiert lustvoll die Dance-Culture, nimmt unter anderem die bourgeoise Liebesmoral auf die Schaufel. Sie fabrizieren Pop mit doppeltem Boden. Geht es darum? Tennant: Wir haben stets versucht, Tanzmusik mit Texten zu verknüpfen, die inhaltlichen Anspruch haben. „It’s a Sin“ beispielweise ist ein Song über Katholizismus, aber eben auch eine Tanzplatte. „Vocal“, der letzte Track auf „Electric“, ist insofern ein interessanter Fall, als er die Dance-Culture selbst thematisiert. profil: Das Video zu „Vocal“ besteht aus Archivaufnahmen der Dance-Szene in den 1980erJahren. Junge Leute feiern da Partys, die Bilder wirken jedoch überraschend melancholisch. Das erinnert an Bruce Webers berühmtes SchwarzWeiß-Video zu Ihrem Hit „Being Boring“: eine Reminiszenz an die jugendliche Euphorie? Tennant: Ja, beide Videos sind Schwärmereien. Der Clip zu „Vocal“ fängt die Stimmung jener Rave-Periode ein, aber Sie haben Recht, es wirkt alles wie ein Traum. profil: Zeichnet sich da nicht auch Ihre Entfremdung von der gegenwärtigen Popkultur ab? In den Texten von Rihanna oder Kanye West herrscht ein harscher Ton, weit entfernt von der
92 profil 28 • 8. Juli 2013
Persönliches Exemplar von k.brandstetter@aon.at, alle Rechte vorbehalten. Nutzungsbedingungen unter www.kiosk.at
Idee der Pet Shop Boys, Popmusik als Plattform für die Gedanken jener Schattengewächse zu verwenden, die sonst nirgendwo Gehör finden. Tennant: Ich suche immer auch nach einer poetischen Qualität. Heutzutage sind Poptexte, obwohl sie gesungen werden, stark vom Rap beeinflusst. Seit den frühen 1990er-Jahren geht es im HipHop immer nur um eines: Ich-Ich-Ich! Die meisten zeitgenössischen Pop-Alben bedienen sich dieser vom Rap geliehenen Aggression, dieses egozentrischen Zugangs. Manchmal ergeben sich dennoch gute Sachen – Rihannas „Diamonds“ etwa halte ich für ein poetisches Konzept. Aber unsere Ära ist nicht mehr das Zeitalter der PopPoesie. Der Popsong wird inzwischen als ein Medium gesehen, in dem jeder nur über sich selber spricht. Ich hoffe, dass sich das wieder ändert. profil: Vor zwölf Jahren ließen Sie sich von dem österreichischen Produzenten und DJ Peter Rauhofer überreden, dem House-Track „Break 4 Love“ Ihre Stimme zu leihen. Tennant: Stimmt. Es war sehr traurig, von Rauhofers Tod zu hören. Wir hatten erst im Frühling erfahren, dass er krank war. (Rauhofer verstarb im Mai 2013 an den Folgen eines Gehirntumors, Anm.) Er war ein supertalentierter Typ mit seinem ganz eigenen Stil.
ELEKTRO-POSEURE Neil Tennant (links) und Chris Lowe vulgo Pet Shop Boys
profil: Die Nachrufe auf Rauhofer haben einem erneut bewusst gemacht, wie viele Pop-Jahrzehnte schon von der Dance-Culture geprägt wurden. Fühlen Sie sich selbst eigentlich als Teil dieser Geschichte? Tennant: Das Prädikat „Teil der Geschichte“ heißt doch nur, dass man schon lange dabei ist. Unser neues Album hat etwas von der Ästhetik der frühen 1980er-Jahre. Das war gar nicht beabsichtigt. Aber es geht zurück auf die Zeit, als Chris Lowe und ich mit der Dance-Culture Verbindung aufnahmen. 1983 arbeiteten wir in New York mit Bobby O (alias Bobby Orlando, ein Pionier des Hi-NRG-Dance Music-Booms, Anm.). Seitdem stellen wir Tanzplatten her, machten alle Phasen mit, von House über Tribal und Trance bis zu allem, was danach kam. Aber ehrlich: Wir schauen nicht gern zurück. profil: Ihr neues Album scheint dies aber heftig zu dementieren: Die synthetischen Sounds, die Sie verwenden, klingen sogar äußerst nostalgisch, tragen das Vintage-Gütesiegel. Tennant: Klar, für uns sind das auch VintageSounds. Wir haben die meisten unserer alten Keyboards leider vor 15 Jahren in einer Überschwemmung verloren. Aber unser Produzent Stuart Price brachte seine Vintage-Synthesizer
Persönliches Exemplar von k.brandstetter@aon.at, alle Rechte vorbehalten. Nutzungsbedingungen unter www.kiosk.at
kultur
Kurskorrektur
Das zwölfte Album der Pet Shop Boys: „Electric“. ein. Auf unseren letzten beiden Alben haben wir versucht, freien Raum in unserer Musik zuzulassen, das weckt automatisch Erinnerungen an die frühen 1980er-Jahre. Die Percussion klingt wie aus einer DrumMachine, dazu gesellt sich eine klare BassLine, und beide haben viel Platz zum Atmen. Das ist für uns ganz neu, weil wir üblicherweise eher einen Wall-of-Sound produzieren. Der viele Freiraum erinnert mich an Madonnas erstes Album und die New Yorker Tanzmusik, die Chris Lowe und ich vor 30 Jahren selbst so liebten. profil: Sie stellen Ihren Status als Popstars gern in den Dienst sozialer Anliegen, setzen sich etwa für die Rechte der Homosexuellen ein. Seit dem Ende der Sowjetunion waren Sie viel in Russland unterwegs: Wie stehen Sie zu dem zunehmend homophoben Klima dort? Immerhin gibt es dort ein Gesetz gegen „homosexuelle Propaganda“. Tennant: Das ist noch nicht beschlossene Sache, oder? Ich denke, wenn man ein Land wie Russland besucht, hilft man, das Klima dort zu verändern. Sehen Sie sich
N
ur zehn Monate nach dem im satten Studio-Idyll von Los Angeles entstandenen vorigen Pet-ShopBoys-Album „Elysium“ wirkt „Electric“ wie eine radikale Kurskorrektur: eine Flucht vor der eigenen Respektabilität, eine schwindelerregende Autodromfahrt. Mit hörbarem Genuss fahren Chris Lowe und Produzent Stuart Price
klassische, mit der lan- mit einem gänzlich unzynischen Brucegen Geschichte der Springsteen-Cover elektronischen Musik („The Last to Die“). Die beladene SynthesizerSounds an die Wand. In alphabetische Reihenfolge der Songs von der resultierenden Havarie findet Sänger und „Axis“ bis „Vocal“ ist EinTexter Neil Tennant ein geständnis der Zufälligideales Bühnenbild für keit des Albumformats seine charakteristische und smartes Konzept Vermengung von briti- zugleich. Das ist „Electric“: souverän schem Sarkasmus garstige Popkunst und tiefster Mevon zwei alten lancholie. Das verMeistern. trägt sich sogar
an, wie schnell sich das Blatt in Großbritannien und überraschenderweise auch in den USA gewendet hat. Die Mehrheit befürwortet dort nun die Schwulen- und Lesben-Ehe, was mich übrigens ziemlich erstaunt. Ich glaube ja, dass in Russland das Gleiche passieren wird. Das gehört zu den positiven Seiten der Globalisierung: Die Menschen sehen, wie es anderswo zugeht und beschließen, sich nicht länger für blöd verkaufen zu lassen. Die russisch-orthodoxe Kirche spielt leider eine wesentliche Rolle in der Förderung der Schwulenfeindlichkeit. profil: Ein Pop-Act von der Größe der Pet Shop Boys wird oft auch unfreiwillig zum Politikum. Neulich mussten Sie Ihr Gastspiel in der Türkei absagen. Tennant: Wir haben es nicht abgesagt, der Veranstalter hat das getan, wegen der turbulenten Umstände dort. Das ist schade, denn wir lieben es, dort zu spielen. Aber wir spielen im Rahmen der laufenden Tour schon auch in Gegenden, wo es heißer hergeht. Wir fahren bald in den Libanon, waren bereits in Israel und eben auch in Russ-
Persönliches Exemplar von k.brandstetter@aon.at, alle Rechte vorbehalten. Nutzungsbedingungen unter www.kiosk.at
land. Wir leben in extrem bewegten Zeiten, das ist interessant. profil: Sie sind studierter Historiker. Wird der 100. Jahrestag des Beginns des Ersten Weltkriegs alte Wunden aufreißen? Tennant: Dieses Jubiläum wird als nützliche Erinnerung dienen – nicht nur an die Gefahren der Idee des Nationalstaats, sondern auch an die Sinnhaftigkeit einer multinationalen Organisation wie der Europäischen Union. Die EU kann natürlich nerven mit ihrer Kleinlichkeit und ihren undemokratischen Gepflogenheiten. Aber die europäische Einheit garantiert auch, dass, sagen wir, die deutsche Armee nicht in Polen einmarschieren wird. Wer wagte es vorherzusagen, ob sich nicht erneut nationalistische Kriege in Europa ereignen könnten, sollte die EU sich auflösen? Als ich in den mittleren 1970er-Jahren Geschichte studierte, verteidigte ich in einem Aufsatz den österreichisch-ungarischen Vielvölkerstaat. Mein Standpunkt wurde damals als völlig verrückt angesehen. Es stimmt schon, Österreich-Ungarn war keineswegs vollkommen, schon gar nicht nach demokratischen Maßstäben. Aber wenn man sich ansieht, wie viele Nationalitäten sich von Österreich bis zum Balkan tummeln, merkt man schnell, was für eine dumme Idee es 1919 war, jeder Nation ihren eigenen Staat zu geben. Und natürlich ging es auch nach dem Zweiten Weltkrieg mit dem Chauvinismus weiter. Deshalb ist die EU so wichtig und wertvoll: Sie macht lokale Nationalitäten irrelevant. Nord- oder Südirland? Egal, alles Teil der EU! Der verführerische Gedanke, dass Großbritannien die EU verlassen und wieder so richtig „britisch“ werden könnte, basiert auf purer Denkfaulheit. Es ist unmöglich, die Vergangenheit zurückzuholen, aber wir können die Europäische Union behalten. Interview: Robert Rotifer
Persรถnliches Exemplar von k.brandstetter@aon.at, alle Rechte vorbehalten. Nutzungsbedingungen unter www.kiosk.at
Peter Michael Lingens peter.lingens@profil.at
(K)ein MariaTheresien-Orden für Snowden
Eine gemeinsame Aktion mehrerer EU-Staaten zu Gunsten eines Verfolgten wäre unerlässlich und zumutbar – aber sie wird nicht stattfinden.
Ö
sterreich hat auf österreichische Weise zu Edward Snowden Stellung genommen: Man würde ihn nicht ausliefern, demonstrierte ein Sprecher Michael Spindeleggers Solidarität mit dem medialen Helden selbst der „Krone“Leser. Freilich nur, nachdem Innenministerin Johanna MiklLeitner klargestellt hatte, dass sein Asylantrag sowieso nicht behandelt werden könnte, weil er zu diesem Zweck in Österreich einreisen müsste. Gefahren, die nicht eintreten können, begegnet die Regierung furchtlos. Wahrscheinlich kann man angesichts der Brutalität, mit denen die USA in dieser Causa agieren, auch schwer etwas anderes fordern. Es gibt unter den gegebenen Umständen eigentlich nur eine sowohl durchführbare wie zumutbare politische Aktion: Österreich könnte zu einer gemeinsamen Erklärung möglichst vieler EU-Staaten – darunter jedenfalls Deutschland und Frankreich – anregen, mit der jeder dieser Staaten Snowden Asyl anböte. Aber das spielt’s nicht: Faymann & Spindelegger halten sich an Mikl-Leitner. Und kein anderes EULand machte mit. Eine gemeinsame Linie gegenüber den USA ist schon durch England, Italien oder Polen undenkbar. Und mehr als Empörung vor laufenden Kameras ist auch bei den anderen nicht drin. Die Überflugverweigerung für eine Maschine, die theoretisch in der Lage gewesen wäre, Snowden in Sicherheit zu bringen, zeigt, wie sehr man sich US-Wünschen beugt. Auch wenn ganz offen etwas Ungeheuerliches geschieht: Ein Mensch, der Vorgänge aufgedeckt hat, die durch kein Gesetz legitimiert sind, der US-Verfassung und dem Völkerrecht widersprechen, wird dafür nicht ausgezeichnet, sondern verfolgt, gehetzt, zu womöglich lebenslangem Ver stecken gezwungen. Das müsste, wenn es die Zivilgesellschaft gäbe, jedem „Bürger“ den Schlaf rauben. Das müsste jeder Journalist wütend anprangern. Das müsste jedem, der sich der Gerechtigkeit nur einigermaßen verpflichtet fühlt, völlig unerträglich sein. Mir ist es unerträglich, obwohl ich es nicht einmal
Gefahren, die nicht eintreten können, begegnet die Regierung furchtlos.
rasend unerträglich finde, vom US-Geheimdienst überwacht zu werden. Orwells Vision vom total überwachten und manipulierten Bürger innerhalb eines autoritären Superstaates erfüllt mich nicht mit ausreichendem Schrecken, solange ich nicht mit konkreten aus dieser Überwachung resultierenden Aktivitäten konfrontiert bin. (Zumal ich die USA auch weiterhin nicht für einen „autoritären Staat“ halte.) Ich glaube vor allem nicht an den Sieg der Überwachung: Letztlich steht der gewaltigen elektronischen Maschinerie der Geheimdienste die noch viel gewaltigere Zahl elektronischer Kommunikationsmedien gegenüber: Die Bürger können sich rascher zu Demonstrationen (die Attentäter rascher zu Aktionen) verabreden, als die Geheimdienste im Wege der Auswertung von Milliarden Informationen darauf reagieren können. (Bekanntlich hat der US-Geheimdienst ja nicht einmal die fertige Boston-Information seiner russischen Schwesterorganisation erfolgreich genutzt.) Die US-Überwachung als solche regt mich nicht über die Maßen auf – mich empört nur maßlos, dass der verfolgt wird, der sie aufgezeigt hat.
D
abei anerkenne ich sogar, dass man ein paar Argumente zu ihrer Rechtfertigung vorbringen kann: Vielleicht kann man tatsächlich die eine oder andere terroristische Zelle früher entdecken. Und natürlich ist es unter dieser Annahme sinnvoll, auch befreundete Staaten wie Frankreich oder Deutschland zu überwachen – schließlich sind solche Zellen seinerzeit gerade in Deutschland zu Hause gewesen. Aber es geht mir darum, dass dergleichen in zivilisierten Staaten demokratisch legitimiert und unter zivilisierten Staaten einvernehmlich vereinbart sein muss: Der US-Präsident hat sein Parlament klar verständlich zu fragen, ob es dieser universellen elektronischen Überwachung zum Zweck der Abwehr terroristischer Aktivitäten zustimmt – und die gleiche Frage hat er an Österreich, Deutschland oder Frankreich zu richten. Vielleicht sagen alle Beteiligten Ja. Nicht zu fragen ist undemokratisch und widerspricht der US-Verfassung wie dem Völkerrecht. Den USA zu drohen, dass die EU das geplante Freihandelsabkommen nicht verhandeln wird, ist leeres Gerede für die Galerie: Beide Volkswirtschaften brauchen dieses Abkommen und werden es – hoffentlich – schließen. Auch jede andere Drohung gegen die einzige verbliebene Supermacht ist sinnlos: Sie wird weiterhin tun, was sie will. Das einzige, was die EU demonstrieren könnte und theoretisch müsste, wenn sie sich als Wertgemeinschaft begreift, wäre ihr Bekenntnis zur humanistischen Tradition Europas (und normalerweise auch der USA): nicht zu akzeptieren, dass ein Mensch, der Unrecht aufzeigt, dafür verfolgt wird, sondern klarzustellen, dass ihm Dank gebührt. In Wirklichkeit wäre Snowden der derzeit würdigste Kandidat hoher staatlicher Auszeichnungen: Ein aufgeklärter Monarch verliehe ihm den Maria-Theresien-Orden. Aber Europa fühlt sich der Aufklärung (in jeder Bedeutung dieses Wortes) offenbar nicht verpflichtet. n
96 profil 28 • 8. Juli 2013
Persönliches Exemplar von k.brandstetter@aon.at, alle Rechte vorbehalten. Nutzungsbedingungen unter www.kiosk.at
privat
Gesellschaft
salon raftl Bild der Frau
S
Ein Herr wird
100
eit er lesen kann, hat Heinrich Treichl jeden Tag ein Gedicht oder ein Gsatzl aus dem Brockhaus auswendig gelernt. Kann vieles zitieren, auch lateinisch und altgriechisch. Am 31. Juli wird der Generaldirektor i. R. der einst so renommierten Creditanstalt 100 Jahre alt. Ja, und er geht in die Oper, am liebsten in Richard Strauss’ „Rosenkavalier“, ins Theater, zu „Fabios“ essen. Wünscht zwei Eier zum Frühstück, abends Rotwein, bevorzugt Bordeaux. Radelt am Hometrainer, steht sehr gerade, gut frisiert, manikürt, pedikürt. Seine Söhne, Michael, Investor in London, und Andreas, Vorstandschef der Erste Bank, nennt er: „Begabte und fesche Burschen!“ Wobei Andreas, der jüngere, „musischer und viel leichter zu behandeln ist“. Leicht oder schwierig, der Patriarch, der Österreich als k. u. k. Monarchie, Erste Republik, in der NS-Zeit und als Zweite Republik erlebt hat, dessen Bonmots so treffsicher waren, dass 52 davon auf Google zitiert werden, schaut weiter heiter schönen Frauen nach: „Wenn sie weniger schön sind, merkt man es auch“, lacht Schwiegertochter Desi Treichl-Stürgkh. Seine Opernfreundin ist heiße 64. Überhasten soll man Glückwünsche dennoch nicht: „Wenn der liebe Gott es will, werde ich meinen runden Geburtstag feiern“, sagt Heinrich Treichl, und die Enkel Alfi, Jakob und Pauli am 2. August in die Sommerfrische Leogang einladen. Jäger, Bergführer, Skilehrer, Samariterbund, alle Bürgermeister, die noch leben, Nachbarbauern und „Nachbarn“ wie Gerd Bacher oder Salzburgs Neo-Landeshauptmann Wilfried Haslauer festeln mit Blasmusik beim Kirchenwirt. „Am 10. September“, ergänzt Schwiegertochter Desi, „wird offiziell jubiliert.“ Die Familie, der Bankenverband und das Rote Kreuz, dessen Präsident HT bis 1999 war, bitten ins Oktogon „seiner“ CA, nunmehr UniCredit, am Wiener Schottenring.
unbekannte Positionen Wipplinger und Fotokünstlerin Semotan bei der Werkauswahl IVO KOCHERSCHEIDT
Gute Gene, Strenge Disziplin, humor Patriarch Heinrich Treichl in Leogang
Selbstbewusstseinsschub für Frauen in der Kunsthalle Krems. Vier Künstlerin nen, die weibliche Widersprüche erfolg reich verknüpft haben: das Eingebunden sein in avancierte Männerwelten mit Eigenständigkeit und kritischer Distanz zu Rollenbildern. Yoko Ono, die Fluxus- Deputierte, erscheint erst im Oktober. Doch Personalen der Fotokünstlerin Elfie Semotan, 72, und der 1997 verstorbenen Space-Artistin Kiki Kogelnik, bilden ab 13. Juli das Doppel des Kremser Kunsthallen sommers. Parallelen im Œuvre der beiden? Wien, Paris, New York als Arbeitsplätze. Und ins pirierende Vernetzungen: Entwickelte Ko gelnik im Umfeld von Andy Warhol, Roy Lichtenstein, Claes Oldenburg ihre spezifi sche Variante der Pop-Art, hält Semotan den kreativen Austausch mit Kurt Kocher scheidt, Martin Kippenberger, Walter Pichler, Modemacher Helmut Lang bis heute hoch. Beide stemmen sich gegen gesellschaftlich sanktionierte Sichtwei sen; haben wichtige Werke der Kunstge schichte paraphrasiert, um das Bild der Frau an kulturell geprägten Motiven und deren Bedeutungsebenen zu untersuchen – bis zu Medien und Werbung . „Intensive Werkaufarbeitung mit vie len Neuentdeckungen“, verspricht Kunst hallen-Boss Peter Wipplinger, der vorher in der „Factory“ mit ironischen Videos der jungen Rumänin Olivia Mihaltianu auch das osteuropäisch-sozialistische Idealbild gelebter Weiblichkeit hinterfragen lässt. Danach gibt er mit Hilfe des landesherrli chen Austellungseröffners Erwin Pröll ein Sommerfest in der Museumsmeile. Elfie Semotan, Kiki Kogelniks Ehemann Geor ges Schwarz und Sohn Mono, die aus New York anreisen, Kuratoren, Künstler wie Daniel Spoerri, Kunstfreunde wie Mu mok-Chefin Karola Kraus dürfen mit Donaublick entspannen.
Zweistimmig
Hommage An Paul Celan Klarinettist Giora Feidman, Schauspieler Ben Becker
Den Tod am Salzburger Domplatz soll diesen Sommer Peter Lohmeyer spielen. Ben Becker bringt sich an derweitig ins Gespräch. Nein, weder mit Stinkefinger gegen die Kameras, noch mit Pöbeleien gegen Festspiel intendant Alexander Pereira, der geht jetzt von selber. Becker singt auch nicht Selbstgeschriebenes über den Goldegger See, an dem er ver gangenes Jahr geheiratet hat. Selbst die Fotos in der Krachledernen blei ben im Schrank: Es gibt Schwarz weißbilder und seriöse Nachrichten. Becker wird Gedichte von Paul Celan lesen. „Zweistimmig“. Mit Giora Feid man & Ensemble. Ein Coup: Der 1936 in Buenos Aires geborene Kla rinettist entstammt einer Familie von Klezmer-Musikern, und obwohl er bis in die 1970er-Jahre zur Solo karriere brauchte, füllt Feidman seit her die Konzertsäle mit Klezmer, Tangos, modernen und klassischen Kompositionen für Klarinette. Eine Hauptrolle in Peter Zadeks Inszenie rung von Joshua Sobols Theater stück „Ghetto“ empfahl ihn Filme machern von Steven Spielberg für „Schindlers Liste“ bis Joseph Vils maier für „Comedian Harmonists“. Beim Dreh lernte er Becker kennen. Nun gehen sie miteinander auf Tournee: Premiere ist am 22. August in der Berliner Synagoge Rykestraße, am 15. November gastiert „Zweistim mig – Hommage an Paul Celan“ in der St.Pöltner „Bühne am Hof“. Graz steht am Plan. Doch: Am 12. August erscheint eine Hörbuch-CD bei Ran dom House. Becker hat schließlich Hardcore-Fans.
Persönliches Exemplar von k.brandstetter@aon.at, alle Rechte vorbehalten. Nutzungsbedingungen unter www.kiosk.at
f. Broede und Arne Meister
Redaktion Ro Raftl • ro.raftl@profil.at
8. Juli 2013 • profil 28 97
Rainer Nikowitz rainer.nikowitz@profil.at
Stop Over
Nach der überraschenden Landung des boli vianischen Präsidenten Evo Morales in Wien hatten unsere Staats spitzen einige hochnotpeinliche Stunden zu überstehen.
Fischer: So guat gschlafen hätt i heut. Und des is net selbstverständlich in mein Alter! Spindelegger: Wie lang si des jetzt scho ziagt, heast … I weiß scho nimmer, was i mit eam reden soll. Dolmetscherin: Soll ich das auch übersetzen? Spindelegger: San S’ arg? Dann spielt’s Granada! Dolmetscher: Präsident Morales sagt, nicht Granada. Er wollte auf Gran Canaria tanken. Spindelegger: Jaja. Aber Dschibuti wär uns noch lieber gwesen. I hab mir des nämlich genau angschaut im Österreichischen Schulatlas von 1968: Wenn ma mit dem Lineal an Strich zwischen
„Wenn ma mit dem Lineal an Strich von Moskau nach La Paz macht – der geht ja gar net über uns drüber!“ Moskau und La Paz macht – der geht überhaupt net über uns drüber! Also warum landet der net woanders? Fischer: 1968! Gutes Stichwort! Damals haben wir uns schon einmal heldenhaft gegen den amerikanischen Imperialismus aufgelehnt! Und des sollten wir jetzt wieder tun. Weil wir san doch kane Bütteln einer offensichtlich vollkommen durchgedrehten Supermacht, die die Grundrechte und die diplomatischen Gepflogenheiten mit Füßen tritt! Spindelegger: Sowieso! Weißt, was i zu
dem amerikanischen Botschafter gsagt hab am Telefon? „Und wie, bitte, stellen Sie sich das vor“, hab i gsagt. „Ich marschier aufs Rollfeld, steig in die Maschin von dem Morales und ruf: ‚Na, Burschen, alles senkrecht bei euch?‘ Und wenn ich schon einmal da bin: ‚Is vielleicht zufällig Mr. Snowden in the house?‘“ Fischer: Sehr gut gebrüllt! Und was hat er dann gsagt? Spindelegger: Ja. Fischer: Aha. Naja. Fragen wird man ja no dürfen, oder? Dolmetscherin: Ich nehme an, ich soll wieder nicht übersetzen. Spindelegger: Sie san a Blitzgneißerin, was? Dolmetscherin: Es ist ja nur, weil Präsident Morales mich dauernd fragt, worüber Sie reden. Fischer: Wir müssen eam a bissl beschäftigen, dem is ja scho fad … Also, lieber Evo, mir kannst es ja sagen, i bin schließlich der Heinzi von der Sozialistischen Internationale, weißt eh: Is dieser Snowden jetzt in deinem Flieger oder net? Dolmetscherin: Präsident Morales sagt: Das geht den Heinzi von der Sozialistischen Internationale genau gar nichts an. Fischer: Na dann is ja alles in Butter! Spindelegger: Des wird dem Obama aber eher net reichen. Morales: Hijo de puta madre! Dolmetscherin: Präsident Morales sagt … Fischer: Danke. Des hamma verstanden. Spindelegger: I wollt ja eigentlich scho den Berlakovich da herschicken. Fischer: Wieso? Wegen seinen Erfahrungen mit einem gesperrten französischen Luftraum? Spindelegger: Weil der Morales doch auch ein Bauer is. Da wär der Niki für den diplomatischen Smalltalk fast besser gwesen. Hätt eam fragen können, was sie in Bolivien gegen den Cocawurzelbohrer spritzen und so. Fischer: Ja. Des diplomatische Geschick vom Berlakovich is ja legendär … Du, aber: Was sagt eigentlich der Werner zu dem Ganzen? Spindelegger: Na, was scho. Nix.
98 profil 28 • 8. Juli 2013
Persönliches Exemplar von k.brandstetter@aon.at, alle Rechte vorbehalten. Nutzungsbedingungen unter www.kiosk.at
Fischer: Ah eh. Dolmetscherin: Präsident Morales hätte gern noch einen Kaffee. Spindelegger: Der spanische Botschafter auch! Aber der will ihn nur in der Maschine trinken. Morales: Hijo de puta madre! Spindelegger: Früher hab i mir de Diplomatie immer irgendwie anders vor gstellt. Fischer: Was mach ma nur? Wir können eam do net ewig da sitzen lassen. Da Snowden am Moskauer Flughafen, der Morales auf unsern … Was is des für a neue Mode? Des Meldeamt wird schee schauen. Spindelegger: Aber jetzt stell dir einmal vor, der Snowden sitzt gar nimmer in Moskau, sondern wirklich da draußen am Rollfeld. Was tamma denn dann? Fischer: Aufs Klo gehen und durt des Ende der Amtsperiode abwarten? Spindelegger: Ob er uns net vielleicht einfach so kurz in des depperte Flugzeug eineschauen lasst? Freiwillig? Fischer: Des lasst er si nie gfallen. Spindelegger: Wer weiß … Fragen Sie ihn doch einmal Folgendes: Was wär, wenn ein Flughafenpolizist zu dem Flieger geht, draußen laut bis 30 zählt und dann schreit: „Ich komme!“ Und dann macht er einen kurzen Blick eine und verzupft si wieder? Dolmetscherin: Präsident Morales ist dagegen. Fischer: Hab i dir ja glei gsagt. Dolmetscherin: Der Mann soll bis 50 zählen. Spindelegger: Super! Wir schicken auch den Ältesten. Und nehmen ihm vorher die Brille weg! Fischer: I ruf den Werner an und sag eam, dass der Fall geklärt is. Und vor allem: Wie! Spindelegger: Des tät i net machen. Fischer: Wieso net? Der wird si freuen, dass der Kelch an eam vorübergangen is. Spindelegger: Und was wird die NSA dazu sagen, wenn sie hört, dass wir gar net richtig nachgschaut ham? Fischer: Du meinst, die hören mich auch ab? Hijos de puta madre! Morales: Ah! Bienvenido al club, compadre! n
Persรถnliches Exemplar von k.brandstetter@aon.at, alle Rechte vorbehalten. Nutzungsbedingungen unter www.kiosk.at
Persรถnliches Exemplar von k.brandstetter@aon.at, alle Rechte vorbehalten. Nutzungsbedingungen unter www.kiosk.at