Buch kartonismus online

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Bjรถrn von Schlippe


Inhalt Jede Art der Kunst ist erlaubt — nur die langweilige nicht Vorwort von Christian Pfaff Seite 7

Kartonismus — was ist das? Seite 9

Der salonfähige Karton — oder wie die Pappe in die Galerie kam ... Seite 11

1994-2006 Vom Papier zur Pappe

Kartonismus — entwickelt sich

Seite 13

2007-2014

eine neue Phase

Die Zeit des Bilderreigens Seite 29

Atelierimpressionen Einblicke in den Arbeitsprozess Seite 65

Biografie Björn von Schlippe Seite 69

Pressespiegel Seite 71

Der Kartonismus der Zukunft Spielend geht es weiter Seite 72

Impressum/Anhang Seite 75


Jede Art der Kunst ist erlaubt — nur die langweilige nicht Christian Pfaff über Björn von Schlippe.

Hamburg ist tiefste Provinz, wenn es um Kunst geht. So war es zumindest in den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts, als Björn von Schlippe und ich uns die ersten Male über den Weg liefen. Beide waren wir entzündet an der neuen wilden Malerei, den mitreißenden Experimenten der Aktionskünstler und dem Spieltrieb der jungen Szene, die überall stattzufinden schien, nur nicht in der Hansestadt. Obgleich er sich anfänglich ein bisschen zu sehr für meine Freundin interessierte, mochte ich ihn auf Anhieb. Nicht nur die sympathische und begeisterungsfähige Person, sondern auch den Zeichner, der mit scharfem Auge und Schalk im Nacken wunderschöne Bilder zauberte. Hier gab es viel Symbolik, kräftige Farben und selbstbewusste Linien zu entdecken. Immer fand man ein besonderes Detail; oft etwas zum Lachen. Die pure Lust am Leben sprang einen förmlich an. Neben seiner späteren Arbeit für die Kommunikationsszene, blieb Björn seinen eigenen Projekten treu und plötzlich tauchten Werke auf, in denen er seinen Bildern eine neue Dimension gab. Der Karton war da. Konsequenter Weise blieb er auch, denn Björn ergründete das Material, verfeinerte die Bearbeitung und sprengte die Formate. War das Zeichnung? War das Skulptur? War das Installation? Es war und ist alles. In der steten Weiterentwicklung wurde es sogar noch mehr: Einrichtungsgegenstand, Kommunikationsmittel, dichterisches Objekt. Björn suchte nicht nach Erklärungen, er machte weiter und feilte aus, schnitt und klebte. Erst wesentlich später schaute er mich nahezu erleuchtet an und sagte: „Ich nenne es Kartonismus!“ Kartonismus gefiel mir. Vom Klang her, vom Bezug zum Material und — für Björn passend — so absolut. Schaue ich mir die gesammelten Werke von Björn retrospektiv an, ist trotz all der Wandlungen über die letzten 15 Jahre eines geblieben: die Lust am Leben und die Liebe für das Detail. Kein Stück Langeweile. Denn die ist ja verboten.

Christian Pfaff ist freier Journalist, Texter, Autor und machte schon in den 80er Jahren mit Kunstausstellungen von sich reden. Dabei nutzte er diverse Male ebenfalls Pappkarton. Als passionierter Kunstsammler propagiert Pfaff eine freie, möglichst undogmatische Sicht auf die Kunst und den Kunstbetrieb. Sein Credo: Die Idee zählt, nicht der Haken unten rechts.

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Was ist das? Impressionismus, Expressionismus, Kubismus, Surrealismus, Dadaismus und nun ein neuer „Ismus“, der Kartonismus. Als Hommage an meine Vorbilder gemeint, bezieht sich der Begriff hier nicht auf die Stilrichtung. Er ist vielmehr eine Wortkreation, die auf das Material verweist, mit dem ich arbeite — Karton beziehungsweise Pappkarton. Die Werke entstehen aus unterschiedlichen Resten, zum größten Teil aus dem Altpapiercontainer. Nach einer Vorauswahl übertrage ich meine Ideenskizzen mit Hilfe eines Projektors auf die Pappe. Diese wird dann mit einem Skalpell zerschnitten, mit Klebstoffen zu großflächigen Kollagen oder Objekten arrangiert und anschließend mit Acrylfarben bemalt. Diese eigenwillige Technik, deren Ursprünge bis in das Jahr 1994 zurückreichen und die ich seitdem verfeinere, erlaubt mir eine enorme Freiheit in der Gestaltung. Begrenzungen, wie sie DIN-Formate oder eine Leinwand vorgeben, sind passé. Die Form folgt dem Inhalt, nicht umgekehrt. Rechte Winkel oder mit dem Lineal gezogene Linien kommen hier nicht vor. Vielmehr wachsen die Werke in den sie umgebenden Raum hinein. Die Raumdecke wird dabei ebenso in die Gestaltung mit einbezogen wie Zimmerecken und Winkel. Die Werke sind sehr leicht und dabei erstaunlich stabil. Alle Bilder oder Objekte sind Prototypen, Einzelstücke. Es gibt mitunter zwar kleinere Serien, doch innerhalb kürzester Zeit kann die Anmutung und/oder das Thema komplett wechseln. Mir macht es große Freude, mich mit jedem Werk weiter zu entwickeln und zu experimentieren. So hat beispielsweise jedes Stück eine ganz eigene Aufhängevorrichtung. Das Erfinden und das Tüfteln mit dem Material ist ein ganz zentraler Bestandteil des am Ende dieses Prozesses stehenden Werkes. Im Allgemeinen wird angenommen, Pappe sei ein sehr vergängliches Material, ein Wegwerfprodukt. Dass dies eindeutig nicht so ist, will ich beweisen. Gut verarbeitet und versiegelt überdauern die Werke Generationen. Auf den folgenden Seiten möchte ich Sie einladen, am Pappkarton, an meinen Bildern, den plastischen Werken und an meiner Lebensfreude teilzuhaben.

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Exkurs über den Karton in der Kunstgeschichte.

Der salonfähige Karton oder: Wie die Pappe in die Galerie kam ... Prinzipiell kann man nur darüber spekulieren, wann der Pappkarton als Material seinen Platz in der Kunstgeschichte eingenommen hat. Ende des vorletzten Jahrhunderts wurde die „Verbesserung von Papier für Verpackungszwecke“ erstmals patentiert. Mit der Einführung als Alltagsmaterial gehörte die Wellpappe auf jeden Fall zu den demokratischsten Medien. Für jeden verfügbar, kostengünstig oder gar umsonst und natürlich absolut frei für jede Art der Gestaltung. Um 1912 baute Picasso seine erste stark rekonstruierte Gitarre aus Wellpappe. Wenig später schloss sich George Braque der „Papier collé“-Bewegung an, die als Frühform der Collage gilt. Ebenfalls früh stürzten sich die Aktivisten der Dada- und Fluxus-Szene auf die geriffelten Papierbahnen. Ob Kurt Schwitters oder Marcel Duchamp — in ihrer Revolte gegen die „konventionelle“ Kunst und bürgerliche Ideale spielte der Umgang mit gerade Gefundenem oder augenscheinlich Wertlosem eine große Rolle. Die Liste der Künstler, die sich am Altpapiercontainer bedienten, ist lang. Die informelle Künstlergruppe „New York Correspondance School“ versendete als das erste Netzwerk der so genannten Mail Art bereits in den 1960ern Pappkarten per Post. Auch in der Pop Art als Combine Paintings, dem Nouveau Réalisme als Assemblage oder der Konzeption der Sozialen Plastik nach Joseph Beuys ging es mit den Zellstoffwellen fröhlich weiter. Mittlerweile gibt es Cardboarder, Street Art-Künstler und natürlich eine ganze Reihe von Installations- und Objektkünstlern, die hin und wieder zum Messer greifen, um es als Pinsel einzusetzen. Auch Gestalter aus anderen Branchen nutzen den multiplen Werkstoff. So baut beispielsweise ein Israeli straßentaugliche Fahrräder aus dem Material, in Christchurch (Neuseeland) wird gerade eine Kirche von einem japanischen Architekten errichtet. Brücken aus Pappe gibt es schon, Möbel noch viel länger. Der legendäre Pappsessel „Otto“ aus dem Jahre 1968 zum Beispiel, entworfen von Peter Raacke, gehörte damals zum weltweit ersten industriell gefertigten Möbelprogramm aus Wellpappe.


entwickelt sich

1994 - 2006 Vom Papier zur Pappe Wer selbst schon einmal gemalt oder gezeichnet hat, wer in irgendeiner Form selbst kreativ tätig war, weiß, wie sperrig ein weißes Blatt Papier oder eine Leinwand sein können. Man denkt nach, hat ein bestimmtes Bild vor Augen, beginnt voller Vorfreude und Schaffensdrang — und dann will es einfach nicht richtig gelingen. Man übermalt, verbessert, verwirft. Erfahrungen, die jeder Künstler gemacht hat und macht. Viele meiner Bilder gingen auf diese Art und Weise verloren, wurden als nicht gut genug befunden und

„Drei Erbsen mit Zitrone“, 90 x 60cm, Papier und Mischtechnik auf Leinwand, 1994

verworfen. Leinwände und Farben sind ein kostbares und teures Material. Doch Kunst ist ein Prozess. Bilder werden, wachsen und verändern sich. Die von mir malträtierten und ständig übermalten Leinwände wurden wundersamer Weise zu neuen, eigenständigen Malgründen für mich. Die unbehandelte, weiße Leinwand hatte ihre Schrecken verloren, indem sie nun eine eigene „Geschichte“ bekommen hatte. Eine Geschichte, auf die ich unbefangen aufbauen konnte; ich konnte bemalen, bekleben, abschaben, Strukturen schaffen. Ich war ein gutes Stück vorangekommen, wusste aber, dass mir der entscheidende Schritt, mich so ausdrücken zu können, wie es mir vorschwebte, noch fehlte. Bezeichnender Weise bekam ich beim Spiel mit meiner kleinen Tochter, wir bastelten Figuren aus Pappe, die Inspiration für einen neuen Werkstoff. Ideen aus Pappe und Karton waren geboren. Ein Material, das grenzenlos zur Verfügung stand. Ein Material, das nichts kostete und jederzeit verfügbar war. Ein Material, das zum lustvollen Verschwenden einlud. Ein Material, mit dem ich meinen Bildern auch endlich eine räumliche Tiefe geben und die Zweidimensionalität der Leinwand verlassen konnte. Ungeahnte Möglichkeiten erschlossen sich mir.

„Familie“, 190 x 120cm, Papier und Mischtechnik auf Leinwand, 1994 Blick auf/in die Ursrpungsfamilie.

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Nutten, Hafenarbeiter und der rauhe Kiez inspirierten mich schon früh zu den Werken aus Pappe. Auch der Blick in die Fenster eines Hochhauses (rechts) bot sich in dieser Technik gut an. Die Collage vermischt puren Voyeurismus mit meinen ganz eigenen Geschichten aus dieser Zeit.

Bei diesen Frühwerken montierte ich die Elemente aus Wellpappe noch mit Gummikleber und einem Tacker. Den Hintergrund bildete hier und auf den folgenden Arbeiten viele weitere Jahre ein mit Pigmenten und Acrylbinder geknülltes Packpapier.

Erste Kartoncollagen von 1996. Im Uhrzeigersinn: „Bar Tinto“, „Nutten“, „Saturneinfluss“, „Kampf“, ca.63 x 85 cm Rechte Seite: „Hochhaus“, 1997, 86 x 148 cm

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Oben: „Tafelfreuden II“, 2008, 156 x 92 cm. Rechts: „Tafelfreuden I“, 2002, 156 x 107 cm

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„Anner Reeperbahn“, 2009, 127 x 106 cm

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Oben: „Im Silbersack“, 2004, Acryl auf Pappe 155 x 110 cm Unten: „Menschen vom Kiez“, 2004, 95 x 72 cm Um das Hamburger Straßenmagazin Hintz & Kunzt zu unterstützen, wurde „Menschen vom Kiez“ online versteigert und der Erlös gespendet.

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„Tattoo Studio“, 2004, ca. 135 x 110 cm

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„Ecke Reeperbahn“, 2006, 80 x 120 cm. (Der überbordende Rahmen war inspiriert von Epitaphen oder auch Andachtsbildern aus der Kirche)

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Während eines dreiwöchigen Aufenthalts im Altonaer Krankenhaus mit Blick aus dem 17.Stock zeichnete ich den Hafen und entwickelte anschließend dieses Bild im Atelier. Der Schatten links im Bild zeigt einen meiner Zimmergenossen.

„Station 17a“, 2007, 156 x 112 cm


Einige Jahre wohnte ich in der Bleicherstraße (Hamburg St. Pauli) und versuchte das lebendige Treiben vor der Haustür in dieser Kartoncollage zum Ausdruck zu bringen.

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„Runde durch St. Pauli“, 2008, Ø 157 cm

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Das zweite Familienportrait („Familie 1“, siehe S.12) zeigt uns wieder gemeinsam am Tisch, als einem Ort, der mir besondere Bedeutung für das Familienleben überhaupt hatte und hat. Sinnbildlich steht der Tisch hier für Rituale, Gespräche, Streiterein, Freude und ganz allgemein als Begegnungsstätte. Jeder in der Familie ist von Symbolen umgeben, die auf Charaktereigenschaften oder die jeweiligen Lebensumstände hinweisen sollen. Einige der Symbole erzählen aber über die Familie als Ganzes, bleiben jedoch ohne Code im Kern geheim. Eine aktuelle Familienstudie steht noch aus und würde wieder ganz anders aussehen. „Familie“, 2006, 200 x 120 cm, Blick auf/in die Ursrpungsfamilie

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2007-2014 eine neue Phase Die Zeit des Bilderreigens Neue technische Möglichkeiten eröffneten sich mir durch die Verwendung von Heißkleber und dickeren Wellpappen. Die Arbeiten konnten jetzt noch plastischer, objekthafter und abstrakter werden. Die Wellpappe wuchs durch ihre Schichtungen nun noch weiter in den Raum hinein. Das Material folgte gänzlich der Idee. Doch auch umgekehrt entstanden die Ideen oft erst durch die Arbeit mit dem Werkstoff. Sujetbilder wurden durch Raumbilder abgelöst, die nicht länger gesellschaftliche Reflexionen thematisieren, sondern spontane, scheinbar absurde Fantastereien. Wie absichtslos entstanden Werke, die dem Unterbewußten entsprangen. Diese angezapfte Quelle führte zu spontanen, kreativen Spielereien, die in den Pappkartonwerken ihren Ausdruck finden. Dieser Bilderreigen ist voll von Symbolen. Wie in Träumen haben diese ihre Bedeutung und lassen sich mannigfaltig interpretieren. Der Beobachter wird zwangsläufig zum Deuter. Er soll jedoch nicht außen vor bleiben, sondern in die lebensfrohen Bühnenbilder hineingesogen werden. Die Deutung und daraus folgende Be-deutung macht für mich den eigentlichen Wert der Werke aus. Er misst sich daran, welche Bedeutung gefunden wird oder auch, wie sehr es den Betrachter berührt. Auf den folgenden Seiten gebe ich einen Einblick in diese Phase. Es tauchen hin und wieder Verse auf, die ich unlängst zu den Bildern schrieb. Sie sind mehr Gedankenblitze denn Gedichte und möchten zum Fantasieren einladen.

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Es träumt mir, mich Es wächst was im Geheimen, Ideensaat beginnt zu keimen. Und aus dem Augenwinkel fließt, Ein lilablaues Vogelbiest.

„Es träumt mir, mich“, 2007, 103 x 134 cm

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Linke Seite, oben und unten Details „Es träumt mir, mich“

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„Mutter Erde“, Vorskizze

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„Mutter Erde“, 2013, 46 x 74 cm

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„Mutter Erde“, Details

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„Werden und Vergehen“, 2009, Ø 113 cm

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Madame war die Eine Süße Kokette In bläulichem Scheine Zuckerschnecke.

Oben: Skizze zu „Madame“, Unten: Rückenansicht der Kollage, Rechts: „Madame“, 2012-13, 63 x 85 cm

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„Traum eines Seemanns“, 2010, Ø 42cm

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Der „Ideenkopfbaum“ wächst. Eine seltene Art und Weise im Arbeitsprozess, entsteht dieses Werk ohne jede Vorskizze.

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„Ideenkopfbaum“, 2013, 80 x 123 cm

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„Ideenkopfbaum“, Details

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Oben: „Häuser in der Nacht“, making of, Rechte Seite: „Häuser in der Nacht“, Detail Ein „making of“ zu diesem Bild ist bei Youtube zu sehen (siehe Anhang)

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„Häuser in der Nacht“, 2009, Ø 136cm

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Ein Ein Sie Für

Boot, ein Kopf, Gedanken dran zweites noch, ein Kutter alle auf der schrägen Bahn, uns, den Träumer Futter

Linke Seite: „Dream and fly“, 2013, 49 x 37 cm

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`nen toten Fisch, das rat ich Dir, Nimm eher nicht zum Reiten. Küsse ihn lieber jetzt und hier, Zu seinen Lebenszeiten.

Der Fisch schwebt über Stadt und Haus, Bei lilarötlich Tageslicht Und spuckt dabei `nen Menschen aus, Er schmeckt ihm einfach nicht.

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Oben: „Totenkopffisch mit Frau“, 33 x 25 cm. Unten: „Lila Fisch“ 52 x 38 cm. Rechte Seite: Detail „Broken Fish“. Alle von 2013


„Schiff auf Lila Welle“, 2013, 62 x 48cm, rechts: Detail

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Oben: „Schiff mit totem Wal 2“, rohe Pappe. Unten: koloriert, 2014, 70 x 42 cm. Unten Rechts: „Schiff mit totem Wal 1“, 2013, 61 x 48 cm

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„Strange Things“ 1-3, 2013, ca. 30 x 60 cm

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„Absurdes Haus“, 2008, 86 x 113 cm

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Atelierimpressionen Pappkarton in allen Größen und Stärken prägen das Bild. Scheinbar wirr liegen zahllose Karton- und Pappabschnitte am Boden und in mehreren Kisten. Stifte, Skalpelle, Pinsel, Acrylfarben, Leim, eine Heißklebepistole, unbemalte „rohe“ und fertige Werke umkränzen das Chaos. Verteilt auf dem Boden und den Arbeitstischen liegen Skizzen. Zarte Zeichnungen, kleine Fantasiegebilde, scheinbar achtlos hingeworfen und doch werden einige davon zu Pappwerken aufdimensioniert. Aus dem Durcheinander wird Ordnung. Aus dem „Materialmüll“ werden Werke. Mit einer Auswahl an Fotos, aufgenommen im Atelier, gebe ich hier und auf den folgenden Seiten einen kurzen Einblick in meinen Arbeitssprozess.


Umgeben von Pappkarton — in meinem Element. Oben: Ăœbertragen einer Skizze auf Wellpappe. Mitte: Ausschneiden. Unten: Montieren der Elemente. Rechts: beim Bemalen mit Acryl.

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Biografie Björn von Schlippe Geboren wurde ich 1966 in Münster als fünftes und jüngstes Kind einer Pastorenfamilie und wuchs, nach einem Umzug der Familie 1968, im Schatten der Petri Kirche in der Hamburger Innenstadt auf. Sobald ich einen Stift halten konnte, bemalte ich jeden leeren Zettel, den ich fand, und zeichnete später in der Schule unablässig im Unterricht. Mit 12 Jahren steckten mich meine Eltern in einen Malkurs der Gemeinde, in eine Gruppe von Rentnern und psychisch Kranken. Ich fand das stimmig und fühlte mich wohl. Zu meinem großen Glück erkannte die 70-jährige, ehemalige Kunsterzieherin Waltraut Hassenstein, die den Kurs leitete, mein Talent und finanzierte mir mein Künstlermaterial, viele Jahre bis zu ihrem Tod. Mit 21 Jahren heiratete ich zum ersten Mal und wurde mit 22 Vater. Ich bewarb mich an Kunsthochschulen in Hamburg, Wien, Köln und Düsseldorf und erhielt, zu meinem Frust, nur Absagen. Weil ich nichts anderes konnte und weil ich mich für einen Künstler hielt, eröffnete ich eine Galerie (Atelier Unikat) im Hamburger Schanzenviertel und versuchte mich als Auftragskünstler. Der große Erfolg blieb allerdings aus. Als Familienvater musste jedoch Geld her, denn die Sozialhilfe reichte nicht aus. So wurde ich Taxifahrer, gab Malkurse, renovierte Wohnungen und landete schließlich ohne Ausbildung 1990 als Grafikassistent in einer Werbeagentur, deren Chef ich zuvor eine Zeitlang portraitiert hatte. Es war ein großes Glück und ich zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Zwei Jahre später bekam ich den renommierten Preis als „Junior des Jahres“ vom ADC (Art Directors Club Deutschland) und machte mich daraufhin, ganz mutig und mit starkem Rückhalt meiner damaligen Ehefrau, als Art Director und Illustrator selbstständig. Ich schwitzte Blut und Wasser, verkaufte mich teuer und zu meiner großen Freude liefen die Geschäfte hervorragend. Etliche Jahre später wurde ich als Dozent für Storyboard an die Bildkunst Akademie Hamburg berufen, leitete Aktzeichenkurse in der Bilhauerwerkstatt Hamburg Altona, zeichnete regelmäßig Cartoons u.a. für die Financial Times Deutschland und diverse Fachzeitschriften. Hauptbroterwerb blieb über Jahrzehnte jedoch die Arbeit für Werbeagenturen, Filmproduktionen und Verlage. Seit 1994 entwickele ich den Kartonismus, meine plastischen Werke aus Pappkarton, und zeige diese in wechselnden Ausstellungen. Ich bin zum dritten Mal verheiratet, habe vier Kinder und lebe in Hamburg, Deutschland.

Selbstportrait 2013

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Pressespiegel

(Print und TV)

Die Papp-Art des Kartonisten Aus Verpackungsmaterial erschafft der Hamburger plastische Werke, die den Betrachter zum visuellen Rundgang einladen. Papier und Technik, FebRUAR 2014

Der Kartonist Björn von Schlippe hat einen außergewöhnlichen Kunststil kreiert(...) Welt am Sonntag vom 15.12.2013

Zwischen Kartons und Cartoons Eine in ihrer Weise einzigartige Kunstform (...) erschaffen — den Kartonismus (...). Seit 1996 entwickelt er dreidimensionale Kartoncollagen, die sowohl durch ihre räumliche Tiefe als auch Wirklichkeitsnähe überzeugen.(...) Markt, 16. November 2013

Sankt Pauli als poppige Papp-Welt Björn von Schlippe klebt bunte 3D-Kunstwerke aus Karton(...) Hamburger Morgenpost, 12. März 2013

Perspektivwechsel Eine strenge Linie in den Werken des Kartonisten sucht man vergeblich.(...) inkultur, März 2013

Wo das Leben pulsiert Typensammlung mit Charme(...) Hamburger Abendblatt, September 2002

Von Menschen aus Pappe Aus einem Spiel ist eine neue Kunstform entstanden(...) Hamburger Abendblatt, April 2003

Menschen vom Kiez Für seine Bilder skizziert er Menschen auf der Strasse, in der U-Bahn oder auf der Reeperbahn Hinz und Kunzt, April 2003

NDR 3

berichtet im Januar 2013 in einem 5-minütigen Beitrag über die Arbeiten des

Kartonisten.

Sat 1

bringt einen ausführlichen Bericht über den Kartonismus im März 2012

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Der

der Zukunft

So wie es begonnen hat geht es weiter — spielend.

Eine Galeristin forderte mich einmal dazu auf, Hafenbilder zu produzieren. Die werden gekauft. Wenn ich mich als Hamburg-, Kiez- oder Erotik-Künstler vermarktet hätte, wäre es wohl eine Zeit lang gut gegangen. Aber um das reine Geldverdienen mit den Kartonismuswerken geht es mir nicht. Nur ohne ein Etikett kann ich meine kreative Kraft voll entfalten. Ständig kommt mir neuer Pappkarton zwischen die Finger, der in laufende Projekte integriert wird. Das Material fasziniert mich schon so viele Jahre und die Lust daran bleibt. Ich finde mehr und mehr Gefallen daran, neue Projekte zu beginnen (und oft auch tatsächlich abzuschließen). Und die Projektideen sind zahlreich. Von beweglichen Bildern mit diversen Mechaniken, an denen ich gerade tüftle, zu einem Kartonismus-Channel (You-Tube), auf dem verschiedene, fantastische Clips zu sehen sein werden, über Deckenfriese als eine Art Stuckersatz bis hin zu begehbaren KartonismusWerken, Räumen aus Pappkarton und Plastiken sowie dem Basteln mit Kindern, ist noch sehr viel Ideenspielraum. Ein Familienportrait, sei es so klassisch wie das Bild auf Seite 26/27, oder als Familienstamm-, Wappen- oder Totempfahl (siehe links, noch in Rohfassung) kann ich mir auch sehr gut als Auftragswerk vorstellen. Wo der Kartonismus in einigen Jahren sein wird, kann ich naturgemäß nicht sagen, er wird aber sicher ein ganz Anderer sein als Heute. Die fast durchweg positive Resonanz auf diese Werke ist mir dabei ein starker Antrieb weiter mit Pappkarton zu arbeiten — oder besser gesagt „zu spielen“.

Oben und unten rechts :„Ich dreh' durch“, drehbares Objekt in Entwicklung 2014. Unten links: Masken für einen Kindergeburtstag.

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Anhang Auf der Website

www.kartonismus.com sind Filme,

Interviews, aktuelle Ausstellungen/Veranstaltungen und weitere Hintergrundinformation abrufbar. Für das Apple iPad steht ein Gratis App im iTunes Store zum Download bereit:

Danksagung Mein herzlicher Dank geht an: Christian Pfaff für das Konzept, das freundschaftliche Vorwort in Pfaffinger Manier und die Hilfe mit den Texten. Oliver Mauch für seine wichtige Hilfe bei der Gestaltung. Ulrike Fertig für ihre Texte, Offenheit, Wertschätzung und die hilfreichen Kritiken. Christian Reimer für seine top Gestaltungstipps. Tom Foth für seine tollen Fotos und Thomas Kleffner für das Lektorat. Meiner geliebten Ehefrau für ihre Anregungen, Kritiken, Zuhören, immer da sein. Danke auch meinem wunderbaren Vater für seine Kreativität und die liebevoll vorgetragenen Kritiken. Meiner großen Tochter, mit der der Kartonismus in die Welt kam, und meinen anderen Kindern, die mich zu immer neuen Spielereien anregen. Und der Künstlerin Waltraut Hassenstein. Ohne sie würde ich heute wohl immer noch Taxifahren. Und an die vielen Freunde und Bekannte, die mir bei diesem Buch beratend und unterstützend zur Seite standen. © 2014 Alle Rechte sind vorbehalten. Dieser Katalog darf weder im Ganzen noch in Teilen ohne ausdrückliche Erlaubnis der Urheber in irgendeiner Form verändert, reproduziert, kopiert oder übertragen werden, weder manuell noch mithilfe elektronischer oder mechanischer Systeme aller Art eingespeichert oder verändert werden. Druck: online-druck biz Gestaltung: Björn von Schlippe Fotos: auf den Seiten 44/45, 66/67, 68/69 und 72, Tom Foth alle anderen Fotos Björn von Schlippe Satz: Oliver Mauch Texte: Björn von Schlippe, Christian Pfaff und Ulrike Fertig


„Kreativität ist die Kunst, aus Bekanntem etwas Neues zu erschaffen. Mit diesem Buch beweist Björn von Schlippe eindrucksvoll, dass die Kunstszene ohne den Kartonismus um viele Facetten ärmer wäre.“ Gunnar von der Geest, Journalist

„Ganz normale Wellpappe — was andere im Altpapier-Container entsorgen, verarbeitet Björn von Schlippe zu faszinierenden 3D-Kunstwerken. Die poppigen Arbeiten des Künstlers zeigen das pralle Leben auf St. Pauli, aber auch Fantastisches und Verrücktes. Kunst, die gute Laune macht!“ Silvia Becker, Kulturredaktion Hamburger Morgenpost


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