Kognition

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VORWORT

Dieses Booklet soll uns einen wissenschaftlichen Überblick über die wohl wichtigste und schönste Sinneseigenschaft des Menschen geben. Das Wahrnehmen - Kognition. Der Inhalt dieses Buchs gibt dem Leser ein klares Schriftbild und als Kontrast und dennoch passend zum Inhalt, Fotografien mit dem Thama Unschärfe. „Das Leben selbst führt uns nach und nach, von Fall zu Fall, zu der Wahrnehmung, dass alles das, was uns für unser Herz oder für unseren Geist das Allerwichtigste ist, uns nicht durch vernünftige Überlegung zuteil wird, sondern durch andere Mächte.“ Marcel Proust



Inhaltsverzeichnis S TH E AE T IK Seite 1 - 14

O A NF RM T I I O N Seite 56 - 85

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P R A CH E S

H N H E A R MU W NG

Seite15 - 39

E SC H M G A CK Seite 86 - 99

Seite 40 - 55

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AESTHETIK KITEHTSEA AESTHETIK KITEHTSEA AESTHETIK KITEHTSEA


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Ä

sthetik/ästhetisch (gr. äisthesis: Wahrnehmung), die Theorie der sinnlichen Wahrnehmung und ihrer Reflexion, in einem engeren Sumne die Philosophie der Kunst. Das Adjektiv ästhetisch bezeichnet die Art der Wahrnehmung eines Gegenstandes der Kunst oder Natur, dient aber auch zur Charakrerisierung von Gegenstanden selbst. Während eine reine Philosophie der Kunst Gefahr läuft, das jeweilige Besondere des Phänomens unter einer ihm auf echte Begrifflichkeit zu subsumieren, kann der weitere, von der Wahrnehmung ausgehende Begriff der Ästhetik die Eigenbedeutsamkeit des ästhetischbetrachteten Objektes besser ZLIF Geltung kommen lassen.

So vermag es eine wahrnehmungsrundierte Ästheik auch Natur oder die individuelle Existenz zu berücksichtigen und der formalen wie inhaltlichen Entgrenzung des modernen und autonomen Kunstsystems adequat zu begegnen. Kunstwerke stellen aber nach wie vor die bevorzugten Objekte der Ästhetik dar; denn gegenüber der Natur und bloßen Altagsgegenständen sind sie durch ein intemionales hergestellt und institutionalisiertes Ausgestellt-Sein bereits als eine besondere Weise der Wahrnehmung von Welt z.B. auch in einem Gedichtband interagiert und als Artefakte unterschieden. Weil Kunstwerke, ob als Orginal oder Gedicht, perse nicht als Anweisungen einer pragmatischen, kausal eingebetteten und funktionalen Handlung zu lesen sind, motivieren sie selbst zum ästhetischen Vollzug der Weise, in der sich die sieben Zeichen des Werkes darstellen.

Die Semantik eines literarischen Werkes ist daher nicht abtrennbar von der formalen Selbstrepräsentation des Werkes, seine Bedeutsamkeit entfaltet sich erst im Zusammenspiel mit der ästhetischen Wahrnehmung der sinnlichen Formkonstruktionen des Werkes, der Reflexion auf die Wahrnehmung der dichterischen Wahrnehmung von Welt.

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Weil in einem vorrangig selbstreflektierendes Werk die Zeichen unabdingbar eine mehrdeutige und sinnlichePräsenz einwickeln, geht das davon angeregte reine Ineinanderspielen von Einbildungskraft und Verstand niemals in der Bestimmtheit eines Begriffes auf. Andererseits kann sich dieses Spiel durch die Intervention des Verstandes aber auch nie in einer bloßen Empfindung verlieren. Erst das Komplement an einer distanzierenden Reflexion der sinnlichen Zeichen. Das um die Mitte des 18.Jahrhunderts aufkommende Interesse an den subjektiven Erkenntnisvermögen wie an einer sythematischen Theorie der Kunst dürfte durch den Empirismus ausgelöst worden sein, durch die Skepsis gegenüber der der Geltung vermeintlich objektiver, d.h. kosmologischer oder numerischer Kategorien des Schönen ebenso wie durch das Bedürfnis nach einer sythematischen Fundierung des sich aus differenzierenden Kunstsystems und angestrebten Kulturbewusstseins.

I. Kants Kritik an der Urteilskraft (1790) und G.W.F Hegels Vorlesung über die Ästhetik (1935) sind bis heute wegweisend geblieben. Während sich Kants Bemühungen vor allem auf die Begründung eines nicht regelgeleiteten, aber doch auch Allgemeingültigkeit beanspruchenden Geschmackurteils richten, geht es Hegel um die Kunst als historisches Medium menschlicher Selbsterkenntnis. In ihr erscheine dem Menschen sinnlich, was er ist und was im allgegenwärtig ist, wobei sie das Absolute aber nie erreichen kann. Einen nachhaltigen Einfluss auf die Literatur der Moderne übtenA. Schopenhauer und Nietzche aus.

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Die große Zeit der literarischen Ästhetik bginnt in den 1920er Jahren mit dem Formalismus, dem Prager Strukturalismus und dem New Criticism. Was diese Gruppe trotz unterschiedlicher Auffassung über den soziokulturellen Status von Literatur vereint, ist die Konzentration auf die Literanzitar, Mehrdeutigkeit und Selbstreferenz des Werkes. Der seit den 90er Jahren anhaltende Boom der Ästhetik dürfte auf die postmoderne Kritik an unverständlichen und bestimmenden Urteilen, aber auch auf die Ästhetisierung der Lebenswelt selbst zurückführen zu sein.

Hg von Ansgar Nünning und J.B. Metzler 2004

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EHCARPS SPRACHE EHCARPS SPRACHE EHCARPS


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S

prache ist die Kleidung der Gedanken, so der englische Schriftsteller Samuel Johnson. „Sprache ist die Quelle aller Missverständnisse“ so der französische Schriftsteller Antoine de Saint - Exupery. Und für den deutschen Schriftsteller Kurt Tucholsky ist „ Sprache eine Waffe“.

Ein unbekannter Sprachteilhaber ist anderer Meinung: „Sprache ist nächst dem Küsen das erregendste Kommunikationsmittel, das die Menscheit entwickelt hat“. Zu Sprache kann man also ganz unterschiedliche Auffassungen haben. In jedem Fall hat die Beschäftigung mit Sprache und anderer Organisationen werden ausgiebig und gerne in Anspruch genommen. Dort kann man nachfragen, oder in der Zeitschrift „Der Sprachdienst“ nachlesen, wenn einem gar langer Hafer angedroht wird oder auf eine Frage nicht wirklich geantwortet wird. Wen gruselt nicht bei einer Hamburger kneipe namens „Oma´s Apotheke“, bei „Sabines Friseurstudio“ oder der Behauptung, jemand habe Scharm? In sprachlichen Fragen sind wir hochsensibel, und manche manche Zeitgenossen gründen gar einen Verein, um gegen das „Denglisch“ zu kämpfen. Hinter all diesen Aktivitäten steckt natürlich das weit verbreitete Bestreben, Deutsch korrekt bzw. gut zu sprechen. Professionelle Schützenhilfe können die ratsuchenden Menschen hier von zwei Seiten erwarten: Der Sprachkritik und der Sprachwissenschaft, die unterschiedliche Ziele verfolgen: Die SPRACHKRITIK hat die Auseinandersetzung und Beurteilung herrschender Sprachnormen im Blick und sensibilisiert gegegen unangemessene Sprachverwendung.

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Die SPRACHWISSENSCHAFT (Linguistik) dagegen versucht, Sprache zu beschreiben und zu erklären, wie auch das „Metzler Lexikon Sprache“ hervorhebt:

Definition: Linguistik (Sprachwissenschaft): Wissenschaftliche Disziplin, die sich mit der Erklärung und Beschreibung von Sprache, Sprachen und sprachlicher Kommunikation befasst. Das Gesamtgebiet der Sprachwissenschaft ist eine Reihe einzelner Teildisziplinen gegliedert, die sich in Gegenstandsbereichen, Methoden und Erkenntnisinteressen vielfach scharf von einander unterscheiden.

Kern der Sprachwissenschaft ist die Erforschung von sprachlichen Zeichen auf unterschiedlichen Hierarchieebenen, in die Sprache zum Zwecke ihrer Beschreibung eingeteilt wird, nämlich Phonetik und Phonologie, Graphematik, Morphologie, Wortbildung, Syntax, Semantik. Textlinguistik und Stilistik befassen sich mit sprachlichen Einheiten jenseits der Satzebene. In der linguistischen Pragmatik werden die Bedingungen und Regularitäten sprachlichen Handelns untersucht.

Eine etwas wuchtige Definition, deren Inahltsbereiche auch die Gliederung dieser Einführung spiegeln. Die drei wichtigsten Aspekte der Definition sind: SPRACHE, BESCHREIBUNG und ERKLÄRUNG. Dies wirft ein erstes inhaltliches Schlaglicht auf das, was Sie im BA-Studium Germanistische Linguistik oder Deutsche Sprachwissenschaft erwartet. Sie werden sich intensiv damit beschäftigen, die deutsche Sprache zu analysieren, zu beschreiben und zu erfahren. Wie macht man das?

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Man benötigt dazu Techniken und eine eigene Fachsprache, deren Grundlagen wir Ihnen mit dieser Einführungen näher bringen möchten. Was ist Sprache? Wenn Sie sich von Ihrem Radio wecken lassen, beim Frühstück die Zeitung oder aber noch ein wenig verschlafen die Inhaltsstoffe Ihrer Margarine studieren, wegen Ihres kaputten Fahrradschlauches halblaut vor sich hin fluchen, später eine Vorlesung hören im Seminar an der Diskussion teilnehmen oder gar ein Referat halten, sich in der Mensa mit Ihren Kommilitonen austauschen, flüchtig einen Bekannten grüßen, einen Flyer überfliegen, mit Hilfe des Internets oder in einer Sprechstunde mit Ihren Stundenplan optimieren, einen Blick in die Prüfungsordung werfen, für eine Hausarbeit einschlägige Fachliteratur konsultieren, zwischendurch per Telefon, Internet - Chat, Weblog, E-Mail oder SMS es dabei mit Sprache zu tun, wenn auch in unterschiedlicher Form und Funktion. Ein Fachwortbuch liefert folgende Darstellung: Definition: Sprache; Wichtigstes und artspezifisches Kommunikationsmittel der Menschen, das dem Austausch von Informationen dient sowie epistempologische, kognitive und affektive Funktionen erfüllt. Der Ausdruck „Sprache“ hat zwei elementarische Bedeutungskomponenten: a) Sprache an sich, die Bezeichnung der menschlichen Sprachbegabung als solcher b) Sprache als Einzelsprache, d.h. die Konkretisierung von a) in einer bestimmten Sprachgemeinschaft, zu einer bestimmten Zeit und in einem bestimmten geografischen Raum und deren Ausdruck in konkreten Kommunikationsereignissen.

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„Sprache an sich“ und „Sprache als Einzelsprache“ sind die Kernbotschaften dieser Definition. Die germanistische Linguistik als Einzelphilologie untersucht in erster Linie die deutsche Sprache als Einzelsprache. Allerdings sind die Vorstellungen von Sprache sehr unterschiedlich, denn zu dem, was Sprache sei, haben ja nicht nur Sprachwissenschaftler eine eigene Meinung, sondern auch die meisten Sprecherinnen und Sprecher. Fragt man etwa einmal Menschen in einer Fußgängerzone: „Was ist Sprache?“ bekommt man Antworten wie folgende: „Was man so spricht“ „Kommunikationsmittel“ „Mittel des Denkens“ „Dialekt und Hochsprache“ „Geschrieben, gesprochen“ „Wortschatz und Grammatik“ „ Machtinstrument“ Mehrere Facetten von Sprache sind hier schon thematisiert. All diese Aspekte sind auch in der Linguistik im Rahmen von Sprachtheorien aus vielen Jahrhunderten untersucht worden. Auf einige der prominenten Positionen wollen wir im Folgenenden kurz eingehen.

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So hat bereits der Grammatiker Dionysios Thrax aus Alexandria im zweiten Jahrhundert vor Christus GRAMMATIK dargestellt als“ die auf Erfahrung beruhende Kenntnis dessen, was meistens von den Dichtern und Prosaschriftstellern gesagt wird“. Thrax verfasste die erste griechische Grammatik, in der er Erkenntnisse zusammenfasste, die in den Jahrhunderten zuvor zu Sprache und Grammatik erzielt worden waren,


Seine „Techne Grammatike“ war auch für das Latein und die frühen europäischen Nationalsprachen wegweisend. Cherubins Hinweise zu den Wortklassen beim Charakter zeigen, wie weitgehend seine Erkenntnisse auch heute noch verwendbar sind.

Als Wortarten unterscheidet er: 1. Das Nomen ist ein Redeteil mit Kasusflexion, das einen körperlichen Gegenstand oder eine unkörperliche Sache bezeichnet, einen Gegenstand wie z.B. Stein, eine Sache wie z.B. Erziehung. 2. Das Verb ist ein wort ohne Kasusflexion, das Temporal-, Personal- und Numerusbildung zulässt und eine Tätigkeit oder ein Widerfahrnis anzeigt. 3. Partizip 4. Artikel 5. Das Pronomen ist ein Wort, das anstelle eines Namens gebraucht wird und das bestimmte Personen anzeigt. 6. Die Proposition ist ein Wort, das vor alle Redeteile gesetzt wird und zwar in Komposition und Kombination. 7. Adverb 8. Konjunktion

Plato (ca. 427-347 v. Chr.) hat in seinem „Kratylos“- Dialog diskutiert, ob Sprache auf Übereinkunft beruht oder ob ein innerer Zusammenhang zwischen Worten und Dingen bestehe. Auch bei den Römern verfassten bereits gegen Ende des ersten vorchristlichen Jahrhunderts „mehrere Autoren bedeutende Werke auf den Gebieten Grammatik und Rethorik insbesondere über Stil und Quintilian lieber Sprachgebrauch und Rhethorik“.

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Sogar Julius Cäsar fand, angeblich während er auf einem Feldzug die Alpen überquerte, Zeit über grammatische Regeln zu schreiben. Wie man sieht, zählte das Nachdenken über Sprache bereits in der Antike zu einer der vornehmsten Tätigkeiten der Gebildeten. Diese Tradition setzte sich im Mittelalter fort. In Bezug auf das Deutsche befassten sich die Gelehrten jener Tage vor allem mit folgenden drei Themenkreisen: 1. Das Deutsche in seinem grammatischen, lexikalischen und stilistischen Eigenschaften, insbesondere im Gegensatz zum Lateinischen; 2. Das Deutsche als Zielsprache von Übersetzungen, auch hier im Kontrast zum Lateinischen; 3. Das Deutsche in seiner dialektgeographischen Binnengliederung;

Aus der jüngeren Vergangenheit stammen einige besonders wichtige Theorien: SPRACHE ALS ORGANISMUS: Für dies Vorstellung im Umfeld der Romantik steht Wilhelm von Humboldt Pate. Seine Auffassung von Sprache als einer organisch gewachsenen Ganzheit kommt in seinen Schriften deutlich zum Ausdruck, wenn er betont, Sprache sei: Unmittelbarer Austausch eines organischen Wesens in dessen sinnlicher und geistiger Geltung, teilt sie darin die Natur alles Organischen, dass Jedes in ihr nur durch das Andere und Alles nur durch die eine, das Ganze durchgringende Kraft besteht.Sprache ist für Humboldt demnach etwas Dynamisches, das intern so verfasst ist, dass die Elemente systematisch wechselseitig voneinander abhangen. Diese Auffassung steht bei Humboldt vor dem Hintergrund von Sprache als Tätigkeit:

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Die Sprache, in ihrem wirklichen Wesen aufgefasst, ist etwas beständig und in jedem Augenblick Vorübergehendes. Selbt ihrer Erhaltung durch die Schrift ist immer nur eine unvollständige, mumienartige Aufbewahrungm die es doch erst wieder bedarf, dass man dabei den lebendigen Vortrag zu versinnlichen sucht. Sie selbst ist kein Werk, sondern eine Tätigkeit. Ihre wahre Definition kann daher nur eine genetische sein. Sie ist nämlich die sich ewig wiederholende Arbeit des Geistes, den artikulierten Laut zum Ausdruck der Gedanken fähig zu machen. Dieser Gedanke vom sich entwickelnden Organismus Sprache findet auch weiterhin Anklang; so veröffentlichte 1841 Karl Ferdinand Becker eine viel beachtete Grammatik unter dem Titel „ Organism der Sprache“ und 1863 verbindet August Schleicher die Metapher vom Sprachorganismus mit der Evolutionstheorie Darwins:

Die Sprachen sind Naturorganismen, die, ohne vom Willen des Menschen bestimmbar zu sein, entstanden, nach bestimmten Gesetzen wuchsen und sich entwickelten und wiederum altern und abstreben; auch ihnen ist jene Reihe von Erscheinungen eignen, die man unter dem Namen, Leben zu verstehen pflegt. Die Glottik, die Wissenschaft der Sprache, ist demnach eine Naturwissenschaft; ihre Methode ist im Ganzen und Allgemeinen dieselbe wie die der übrigen Naturwissenschaften.

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Sprache wird auch hier aufgefasst als ein organisches Wesen mit eigener Entwicklung und mit Aufwuchs-, Blüte- und Vergehensphasen. Davon ausgehend entwickelt Schleicher in seiner STAMMBAUMTHEORIE


die Vorstellung von der Entstehung der indoeuropäischen Einzelsprachen aus einer hypothetischen indogermanischen Ursprache. Aus deren Wurzelwerk und Stamm, so die Vorstellung, haben sich die verschiedenen europäischen Sprachen entwickelt. Für die sogenannten JUNGGRAMMATIKER war Sprache kein Organismus, sondern, wie es Bartschat zusammenfasst, eine PSYCHOPHYSISCHE TÄTIGKEIT. Sie lehnen die Vorstellung von der Ursprache als Fiktion ab und auch Schleichers Einschätzung, die anderen Sprachzustände stellten sie ihr Konzept dar:

Man erforschte zwar eifrigst die Sprachen, aber viel zu wenig den sprechenden Menschen. Der menschliche Sprechmechanismus hat eine doppelte Seite, eine psychische und eine leibliche. ÜBer die Art seiner Tätigkeit ins Klare zu kommen muss ein Hauptziel des vergleichenden Sprachforschers sein. Denn nur aufgrund einer genaueren Kenntnis der Einrichtung und der Wirkungsweise dieses seelisch-leiblichen Mechanismus kann er sich eine Vorstellung davon machen, was sprachlich überhaupt möglich ist. Zwei Jahre später verfasste Hermann Paul mit seinem „Prinzipien“ der Sprachgeschichte“ die „Bibel der Junggrammatiker“ in der er die Positionen dieser Leipziger Schule zusammenfasste und der Richtung eine prominente Stellung im System der Wissenschaften einräumte. Für Hermann Paul, dessen „Deutsches Wörterbuch“ von 1897 bis heute weitergeführt wird, war, wie er betont, die Sprachwissenschaft eine KULTURWISSENSCHAFT. Und Grundlage einer Kulturwissenschaft,

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so Paul, sei der Einbezug der Psychologie in die Forschung: Die Junggrammatiker konzentrierten ihrer Erforschung der Sprache auf die beobachtbare, psychophysische Sprechtätigkeit des Individuums, nämlich den LAUTWANDEL, und betonten, bei den formulierten LAUTGESETZEN handele es sich um ausnahmslose Gesetze: Aller Lautwandel vollzieht sich nach ausnahmslosen Gesetzen, d.h. die Richtung der Lautbewegung ist bei allen Angehörigen einer Sprachgenossenschaft stets dieselbe und alle Wörter werden ohne Ausnahme von der Änderung ergriffen. SPRACHE ALS ZEICHENSYSTEMS: Ein weiterer Meilenstein ist die Konzeption von Sprache als einem Zeichensystem, die der Begründer des europäischen Strukturalismus, Ferdinand de Saussure, entwickelt hat. Er geht davon aus, dass Sprache ein geschlossenes Zeichensystem ist und dass es Aufgabe der Linguistik sei, dieses System zu erfassen. Dazu stellte er eine Reihe von Ordungsprinzipien auf, die in der folgenden Einheit Semiotik naher behandelt werden. Sein Hauptwerk, der „Cours de linguistique generale“, der nicht von ihm selbst geschrieben, sondern im Jahr 1916, drei Jahre nach seinem Tod, von seinen Schultern Charles Bally und Albert Sechehaye herausgegeben wurde, ist eines der einflussreichsten Bücher der europäischen Sprachwissenschaft.

SPRACHE ALS STRUKTUR: Der amerikanische Strukturalismus entwickelte sich weitgehend eigenständig und ohne expliziten Bezug zur europäischen Sprachbetrachtung und zu de Saussure. Ein wichtiger Gegenstand des US amerikanischen Strukturalismus waren die Indianersprachen Nordamerikas. Franz Boas geht in seinem Handbuch der amerikanischen Indiandersprachen übertragen werden dürfen und humanistische These,

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dass es keine rückständigen Sprachen gibt“. Er kommt zu drei allgemeingültigen Schlussfolgerungen: 1. In jeder Sprache gibt es eine begrenzte Anzahl von Einheiten, aus denen sich die Sprache aufbaut. 2. In jeder Sprache gibt es eine begrenzte Anzahl von grammatischen Kategorien. Diese Auswahl aus einem Kategorieninventar braucht in verschiedenen Sprachen nicht übereinzustimmen. Der Komplex von Kategorien einer Sprache bildet ihre Grammatik. 3. Die Ähnlichkeit zwischen Sprachen kann auch anders als durch Verwandtschaft begründet sein, insbesondere kann sie durch lange wahrende territoriale Nachbarschaft erworben werden. In Boas Nachfolge erarbeiteten vor allem Edward Sapir und Leonard Bloomfield die Grundlagen einer empirischen Linguistik, die ein Set von Beschreibungsmaximen beinhaltet, die bis heute Verwendung finden, so etwa: Die sogenannte „JC - Analyse“, die Ihnen in Einheit 5 Morphologische Analyse begegnen wird; „Die Überprüfung der Distributation“ von Elementen in bestimmten Kontexten, die Sie in der Einheit 3 Phonetik und Phonologie wiederfinden werden; „Die Annahme von Varianten eines Phänomens, die mit der Vorsilbe „Allo“ markiert werden, was Sie durch einige Einheiten dieser Einführung begleiten wird, z.B. in „Allophon“, „Allograph“ und Allopharm. SPRACHE ALS ORGANON: Der Sprachpsychologe Karl Buhler unterstreicht in seinem Grundlagenwerk „ Sprachtheorie.

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Die Darstellungsfunktion der Sprache, dass Sprache in erster Linie ein Werkzeug sei, ein Organon zur Verwirklichung sprachlicher Aufgaben. Er fasst Sprache als umfassendes Kulturorganon auf, das zentrale Aufgaben in der Kommunikation übernimmt. Sein Organon - Modell wird in der Einheit zwei Semiotik nachher erläutert. Buhler macht besonders deutlich, dass Sprache eine Form des Handelns ist, und dem gemäß ist es für ihn die zentrale Aufgabe der Sprachwissenschaft, zu erklären, wie die Systematik das Zeichensystem aus dieser Handlungsorientierung heraus erwächst.

Wie Buhler, so stellen auch die Sprachphilosophen John Langshaw Austin und John Rogers Searle den Handlungscharakter von Sprache in den Vordergrund ihres Ansatzes. In einer Vorlesungsreihe mit dem programmatischen Titel „How to do things with words“ konturierte Austin 1955 die Grundlinien dieser Theorie, die sein Schüler John Searle weiterentwickelte. Im Kern fassen die beiden Linguisten SPRACHE als SPRECHAKT - ENSEMBLE auf; im Zentrum ihrer Untersuchungen steht beispielsweise also nicht die formale Beschaffenheit von Wörtern oder die Struktur von Sätzen, sondern der Handlungscharakter von Sprache. Die Sprachakttheorie ist eine der wichtigsten Grundlagen der linguistischen Pragmatik, weswegen wir sie in Einheit 13 ausführlicher behandeln. Eine besonders einflussreiche Schule befasst sich mit SPRACHE ALS KOGNITION. Es geht hier also um die Frage: „Wie kommt Sprache in unsere Köpfe?“ „Wie kommt es, dass wir alle in kurzer Zeit in der Phase des natürlichen Spracherwerbs unsere jeweilige Muttersprache lernen, egal wie komplex sie ist?“

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Als Erwachsene tun wir uns im Zweit- oder Drittspracherwerb deutlich schwerer. Auf derartige Fragen gibt der meistzitierte Geisteswissenschaftler unserer Zeit, Noam Chomsky, Antwort. Nach seiner Theorie folgen alle natürlichen Sprachen gemeinsame, grammatische Prinzipien, die den Menschen in Form einer Universalgrammatik angeboren sind. Die Unterschiede in den Nationalsprachen lassen sich als unterschiedliche Besetzung der angeborenen Parameter auffassen. Hierfür ein einfaches Beispiel: Ein allgemein gültiges Prinzip lautet, dass Aussagesätze ein Subjekt haben. Im Deutschen ist diese Subjekt in der Regel im Satz obligatorisch ausgerückt, in anderen Sprachen - wie etwa dem Italienischen - jedoch nicht; vgl. sie spricht Englisch vs. paria inglese. Das Italienische gilt in dieser Theorie als Null - Subjekt - Sprache, das Deutsche nicht.

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Der betreffende Parameter oder „Schalter“ der im Gehirn in Richtung Null - Subjekt oder in Richtung Subjekt umgelegt wird, wird als Null - Subjekt - Parameter bezeichnet. Die sprachlichen Ausdrücke lassen sich nach einem von Chomsky entwickelten System mit Hilfe einer Metasprache auf der Grundlage von rekursiven Regeln deformieren, d.h. auf der Basis von Regeln, die mehr als einmal bei der Bildung eines Satzes anwendbar sind. So lässt sich mit Hilfe eines begrenzten Inventars sprachlicher Regeln eine nahezu unendliche Menge von Sätzen generieren.


Wichtige Ans辰tze Chomskys, die bis heute f端r die Linguistik 端beraus fruchtbar geworden sind, sind die Generative Transformationsgrammatik, die Government and Binding - Theorie, die Minimalgrammatik und weitere Fortentwicklungen mit seinen Theorien.

Germanistische Linguistik - Eine Einf端hrung Albert Busche und Oliver Stenschke 2008

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WAHRNEHMUNG GNUMHENRHAW WAHRNEHMUNG GNUMHENRHAW WAHRNEHMUNG GNUMHENRHAW WAHRNEHMUNG GNUMHENRHAW WAHRNEHMUNG GNUMHENRHAW WAHRNEHMUNG GNUMHENRHAW

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er Begriff Wahrnehmung bezeichnet die Art und Weise, wie mit Bewusstsein asugestatttete Lebensweisen ihre Umgebung aufnehmen, verstehen und interpretieren. Anders formuliert, ist Wahrnehmung der Prozess, mit dem wir die Welt um uns herum organisieren und ihr Bedeutung zuschreiben. Design nimmt die Welt, wie sie erfahren wird auf und formt sie gleichzeitig. Die Welt wird also von Wahrnehmungen geformt und formt selbst Wahrnehmungen. Wahrnehmung impliziert immer Subjektivität. Dies zeigt sich selbst in rein psychologischen Kontexten, die Wahrnehmung als Gesamtheit der sensorischen und neurologischen Funktionen beschreiben, durch die externe Reize beispielsweise von einer Vielzahl unterschiedlicher Faktoren ab, neben den physischen Merkmalen des Objekts auch von unseren biologischen sensorischen Fähigkeiten, unseren Motivationen oder von unserem emotionalen Zustand.

Hinzu kommt ein weiteres wichtiges Element der Wahrnehmung: der Einfluss vergangener Erfahrungen. Wenn wir unsere Umwelt sehen, riechen, schmecken, hören und berühren, dann organisieren und übersetzen wir diese sensorischen Informationen automatisch in eine Form, auf die wir beim Interpretieren und Verstehen neuer sensorischen Informationen zurückgreifen können. Sinnesreize allein sind deshalb nicht in der Lage, uns ein Verständnis unserer Umwelt zu vermitteln, wir benötigen dazu die Wahrnehmung, die den Rahmen bildet, innerhalb dessen wir Informationen über unsere Umgebung kodieren, speichern und wieder abrufen. beeinflusst unser Speicher vergangene

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Deshalb beeinflusst unser Speicher vergangener Erfahrungen zwangsläufig die Art und Weise, in der wir alles Neue wahrnehmen. Die meisten psychologischen Ansätze zur Definition der Wahrnehmung gehen davon aus, dass es eine Außenwelt um unseren Körper gibt, auf die wir reagieren. Dies bedeutet mit anderen Worten, dass es eine Trennung zwischen uns und den von uns wahrgenommenen Objekten gibt - unabhängig davon, ob wir diese Grenze nun wahrnehmen können oder nicht.

Über diese Grundannahme haben unzählige Denker, Philosophen und kognitive Psychologen über Jahrhunderte ausgiebig und heftig diskutiert. Die Debatte wurde allgemein als Gegensatz zwischen empirischen Wissen und rationalen Wissen aufgefasst Codex, zwischen direktem Realismus und indirektem Realismus. Sehr vereinfacht ausgedrückt lautet die Doktrin des Empirismus, dass kein Wissen ohne Bezug auf sensorische Erfahrung möglich ist, während der Rationalismus davon ausgeht, dass Wissen unabhängig von den Sinnen erworben werden kann. Der psychologische Ansatz der Wahrnehmung betont also die Art und Weise, in der die Außenwelt unsere Erfahrungen formt, während der philosophische oder phänomenologische Ansatz eher auf die Art und Weise abhebt, in der unsere Erfahrungen unsere Wahrnehmung der Außenwelt formen.

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Das Alltagsleben zeigt jedoch, dass beide Prozesse gleichzeitig ablaufen: Menschliche Wesen sind eben keine passiven Beobachter der Außenwelt, sondern aktive, subjektive Teilnehmer an der Sachaffung von Form. Andererseits können wir nicht leugnen, dass unsere gesammelten Erfahrungen einen Rahmen bilden, der nicht nur von unserer physischen Umgebung, sondern auch vom sozialen und kulturellen Kontext bestimmt wird, in dem wir leben. Der Ausgleich zwischen diesen beiden Ansätzen wird nachvollziehbar, wennman sich die Welt als Design vorstellt. Die Wahrnehmung vermittelt zwischen den Sinnen und dem Intellekt mit Hilfe der Erfahrung und einer Reihe subjektiver und kultureller Prägung. Ein Buch würde anders wahrgenommen, wenn es sich in einer Lederhülle mit einem in gothischen Lettern geprägten Buchtitel befände, da dies ein anderes Spektrum sensorischer Eindrücke und kultureller Bezüge wachrufen würde.

Versteht man Design als Akt der Organisation sensorischer Informationen in einer bedeutungsvollen Weise, kann folglich als Artikulation der Wahrnehmung denniert werden. Design ist immer ein Eingreifen in eine Welt und die Summe der von uns gestalteten Aktionen hat die physische Realität unserer materiellen Umgebung und folglich auch unsere Wahrnehmungen von ihr entscheidend verändert. Ein Beispiel: Der Garten verändert durch Design unsere Wahrnehmung der Natur. Design entsteht aus dem größten Kontext, in dem es geschaffen wird und reagiert darauf. Kurz: Design artikuliert und verändert die Wahrnehmung der Welt. Wörterbuch Design, Michael Erlhoff und Tim Marshall, 2008

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INFORMATION NOITAMROFNI INFORMATION NOITAMROFNI INFORMATION NOITAMROFNI INFORMATION NOITAMROFNI INFORMATION

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nformation ist einer der Begriffe, denen sowohl im wissenschaftlichen Diskurs der Natur als auch der Geisteswissenschaften eine zentrale Position eingeräumt wird. Vor allem durch die oft als Informationstheorie missverstandene, mathematische Theorie der Signalübertragung von Claude E. Shannon geriet der Begriff in der zweiten Häflte des 20. Jahrhunderts in aller Munde. Fortan zieht der von Shannon versporrene Bandwagon Information durch die Denkschulen und Fachbereicht und läd ein, Abläufe und Zusammenhänge ganz unterschiedlicher Art, mit Hilfe der Übertragung von Information zu erklären. Ob Physiker oder Psychologen, Biologen oder Ökonome - in fast jedem Bereich der Wissenschaft, finden sich kluge Köpfe, die fortan die Information zum Erklärungüberbau ihrere jeweiligen, fachlichen Probleme erheben. In der Euphorik vor allem der 60er und 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts wird jedoch oftmals die eigentlich allgemein akzeptierte Einsicht verdrängt, dass der signal - theoretische Informationsbegriff keineswegs ohne weiteres auf semantische und pragmatische Zusammenhänge übertragbar ist. Als Folge ergibt sich ein bunter interdisziplinarer Eintopf der Informationsverhältnisse, in dem dei eigentliche alltagssprachliche Verwendung von Information fast zu versinken droht.

Denn was erwänen wir im alltäglichen Leben von einer Information? Wahr, neu und nützlich soll sie sein - egal in welcher Form kodiert sie uns zugetragen, ob als verbale Aufforderung eine Gesprächspartners oder als digitaler Lesestoff aus dem Internet.

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Dieser Auffassung weitgehend entgegen steht die Verwendung des Informationsbegriffes in weiten Teilen der Wissenschaft, wo auch etwa die Abfolge bestimmter Aminosäuren als biologische Information bezeichnet wird. Es verwundert nicht, dass der Informationsbegriff der Informatik, auch wenn er kaum einmal explizit ausformuliert wurde, eine besondere prägende Rolle für das gegenwärtige Verständnis von Information spielt, denn die Computerwissenschaften und ihre technischen Anwendungen prägen seit Jahrzehnten zunehmend das wissenschaftliche, berufliche und alltägliche Leben. Durch diesen Einfluss ist dem Informationsbegriffen ein bedeutender Teil seiner sinnstiftenden und handlungsrelevanten Aspekte verloren gegangen. Information in der zwischenzeitlich sogar als Informationsgesellschaft beschriebene Moderne wird zunehmend als bedrohliche amorphe Flut, süchtig machende lahmende Droge oder gar zerstörerische heimtückische Waffe verstanden.

Vor allem die massenhafte Produktion digitaler Rechner führte dazu, dass Information inzwischen eher synonym zum Begriff Daten als wie zuvor Jahrhunderte lang auf einer Ebene mit den Begriffen Wissen und Bildung gesehen wird.

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Was ist Informatio bei der Lektüre dieser Zeile sollte sich dem Leser im optimalen Falle Information darbieten. Doch an welcher Stelle des Rezeptionsprozesses entsteht diese mysteriöse Information? Steckt sie bereits in der Druckerschwärze auf dem Papier, wird sie durch die Formen der lateinischen Buchstaben repräsentiert oder erst durch die Verständlichkeit in deutscher Sprache deutlich? Liegt die Information in den vom Buch in charakteristischer Weise reflektierten Lichtsignalen oder entsteht Information erst im Gehirn des Leseres, womöglich nur vor dem Hintergrund seines umfangreichen Erfahrungsschatzes? Diese Fragen würden von Vertretern unterschiedlicher Fachrichtungen ganz unterschiedlich beantwortet werden. Dennoch lässt sich wohl ein relativ großer Konsens darüber erzielen, dass Information im Allgemeinen durch Signale von einem Sender zu einem Empfänger übertragen wird, die dieser dann auf der Basis einer Übereinkunft als Zeichen zu interpretieren weiß.

Jedoch bereits die Frage, ob diese Übertragung absichtsvoll geschieht oder ob auch schon das Blinken eines Milliarden Lichtjahres entfernten eines Quasars als Information bezeichnet werden kann, macht diesen Konsens zunichte. Tatsächlich ist es unmöglich eine klare Definition der Information zu formulieren, die jeder Betrachtungsweise gerecht wurde, ein absoluter Begriff der Information hat keinen Sinn. Information gibt es nur unter einem Begriff, genauer, relativ auf zwei semantischen Ebenen.

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Es hat sich bewährt, die unterschiedlichen Aspekte der Information nach dem Vorbild der von Charles M. Morris entwickelten Unterscheidung der semiotischen Ebenen zu charakterisieren. Bezogen auf den Informationsbegriff betrifft dabei die syntaktische Dimension die Häufigkeit, Anzahl und Auftretenswahrscheinlichkeit von Zeichen sowie deren Beziehungen untereinander, die semantische Dimension die Beziehungen der Zeichen zu ihren Bedeutungen auf der Grundlage einer gemeinsamen Vereinbarung zwischen Sender und Empfänger der Information, sowie die pragmatische Dimension die Wirkung im Empfänger auf der Grundlage eines semantischen Verständnisses. Wenn ein Autofahrer also beispielsweise das Zeichen STOP wahrnimmt, dann erhält er zunächst die syntaktische Information, dass es sich um eine bestimmte Reihe von Buchstaben handelt, er interpretiert diese Buchstaben auf der Grundlage der deutschen Sprache und der Straßenverkehrsordnung im Sinne einer semantischen Information als Zeichen zum Anhalten, sodass sich schließlich auch der pragmatische Informationsgehalt durch einen beherzten Tritt auf das Bremspedal entfalten kann.

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Klaus erweiterte diese drei Ebenen um eine vierte, die besonders im Zuge des zunehmenden Auftreten virtueller Informationsphänomene an Bedeutung gewinnt; die Sigmatik. Die sigmatische Information beschreibt demnach die Beziehung der Zeichen zu den Ausprägungen der real wahrnehmbaren Objekte.


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Diese Betrachtung vor dem Hintergrund der semiotischen Ebenen ist nur bedingt geeignet, um das Phänomen Information in seiner ganzen Vielsichtigkeit zu beschreiben, und in der Vergangenheit durchaus kontrovers diskutiert worden: Insgesamt erweist sie sich jedoch als ausgesprochen hilfreich, um den Bedeutungswandel des Informationsbegriffs nachzuvollziehen.

Eine der wichtigsten Eigenschaften der Information, die bereits in der Unterscheidung der semiotischen Ebenen angelegt ist, lautet: Information ist relativ. Diese Relativität, ob sie nun systemrelativ oder subjektrelativ genannt wird, ist grundlegend auf allen semiotischen Ebenen. Pragmatische Information ist relativ auf der Basis der Erwartungen und Ziele des Empfängers, semantische Information ist relativ durch die zwischen Sender und Empfänger getroffenen Vereinbarungen über die Bedeutung der Zeichen.

Und auch die syntaktische Information kann als relativ angesehen werden, beispielsweise vor dem Hintergrund der später naoch ausführlicher erläuterten Shannonschen Signaltheorie bei der die syntaktische Information einzelner Zeichen entscheidend vom Vorwissen des Empfängers über die Wahrscheinlichkeit dieser Zeichen abhängt.

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Ebenfalls im Zusammenhang mit der mathematischen Signaltheorie gewinnt eine weitere Eigenschaft der Information an Bedeutung: Information ist das Ergebnis eines Auswahlprozesses.


Nur wenn verschiedene Möglichkeiten als informationstragende Elemente zur Wahl vorgegeben sind, kann wirklich Information entstehen oder gebildet werden, erläutert Klix in diesem Zusammenhang und führt als Beispiel eine Zensurenskala mit nur einem einzigen Wert an, bei der die Zuordnung einer Person zu dieser Zensur keine Information erzeuge.

Auch die Nachricht über den Gewinner einer politischen Wahl bedeutet nur dann wirklich eine Information, wenn verschiedene Parteien zur Wahl standen. Von Weizsacker weist zur Recht darauf hin, dass pragmatische Information aus einem Zusammenwirken aus Erstmaligkeit und Bestätigung besteht. Nur wo eine neue Nachricht auf einen Hintergrund des Vorwissens trifft, kann Information richtig verstanden und geeignet in die Reaktion umgesetzt werden. In der alltagssprachlichen Verwendung des Informationsbegriffs stehen traditionell pragmatische, auf einen Handlungszusammenhang gerichtete Aspekte im Vordergrund. Während in den wissenschaftlichen Informationtheorien zum Teil auch Naturphänomene, maschinelle Wechselwirkungen oder biochemische Moleküle als Teile des Informationsprozesses betrachtet werden, basiert die alltagssprachliche Verwendung fast ausschließlich zwischenmenschlicher Kommunikation in all ihren Ausprägungen.

Dabei liegt das Hauptaugenmerk auf dem Gehalt an pragmatischer Information, der im Wesentlichen von der Wahrheitm, Neuigkeit und Relevanz der Information abhängt.

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In der jüngeren Vergangenheit ist allerdings zu beobachten, wie diese Orientierung an der Pragmatik von Information zum Teil verloren geht. Als Beispiel seien das oft auch als Infotaiment beschriebene Informationsverständins der elektronischen Massenmedien genannt oder der Begriff der Erbinformation.

Historische Ursprünge des Informationsbegriffs: Der Begriff Information ist keineswegs ein Kunstprodukt des technischen Zeitankers, sondern lässt sich in seinen etymologischen Ursprüngen bis in die Schriften des Platon und Arsitoteles zurückverfolgen. Es finden sich im Bezug von forma zum griechischen morphe, das die äußere sinnliche erfassbare Gestalt eines Gegenstandes beschreibt, zum aristotelischen Begriff des eidos der von außen wahrnehmbaren Wirklichkeit, und zum idea Begriff aus der Gedankenwelt Platons, der die Urbilder aller Dinge bezeichnet. In diesem Zusammenhang verweist Capurro in seiner sorgfältigen Ausarbeitung der Begriffsherkunft insbesondere auf den pädagogischen Ursprung des Informationsbegriffs:

Die Erziehung des Menschen ist eine Bildung bzw. eine Information nicht nur seiner Erkenntnis, sondern zugleich seiner Sittlichkeit, da die höchste Stufe der Erkenntnis die Idee des Guten ist. Die Erkenntnis der Ideen dient letzten Endes der Orientierung im sittlichen Handeln, das dem Menschen eigentümlich ist.

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Diese pädagogische Bedeutung findet sich auch im lateinischen formado wieder, wie es in den Schriften des Cicero verwendet wird. In natura deorum wird in diesem Sinne zwischen informario rei, unserer Vorstellung von den Dingen, und informatio ipsorum deorum, unserer Vorstellung von den Göttern, unterschieden.

Informatio enthält hier aber auch bereits im übertragenen Sinne die Bedeutung eines Berichts oder der übermittelten Nachricht, die vor allem im juristischen und militärischen Sprachgebrauch geprägt wurde. Die pädagogische Bedeutung steht noch einmal im Vordergrund, als formieren etwa im19. Jahrhundert aus dem Lateinischen in Deutsche übernommen wird. Besonders deutlich wird dies am Begriff des Informators, der lange Zeit für den Hauslehrer durchaus gebräuchlich ist. Erst als im Laufe des 16. Jahrhunderts verstärkt lateinische Begriffe durch Worte aus der Nationalsprache ersetzt werden, beginnt der Begriffsbildung die pädagogische Bedeutung des Informationsbegriffs zu verdrängen. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wird Informauon dann fast ausschließlich in der bereits im Lateinischen angelegten Bedeutung einer übermittelten Botschaft verwendet, um sich in den folgenden Jahrzehnten mit dem Gebrauch im Rahmen der Nachrichtentheorie immer weiter von den instruktiv - pädagogischen Ursprüngen zu entfernen.

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Das Infomuttiensmap nach Shannon: Die Grundlage für den Aufstieg des Informationsbegriffs zur wissenschaftlichen Allzweckwaffe ist strenge ökonomische Gewinnkalkulation. Um die Übermittlung ihrer Telegramme so kosten günstig wie möglich bei gleichzeitg größtmöglicher Zuverlässigkeit zu gestalten, beauftragt die American Telephone und Telegraph Company in den 1930er Jahren ihre technische Entwicklungsabteilung mit der Erforschung der theoretischen Grundlagen der Signalübermittlung. Das wichtigste Ergebnis der Arbeit einer Gruppe nach Claude E. Shannon ist demzufolge ein Codierungstheorem, das die maximal durch einen Kanal übertragbare Information defniert. Berühmtheit und erstaunliche Bedeutung als Inspirationsquelle für die Verwendung des Informationsbegriffs in Natur - und Geisteswissenschaft erlangt jedoch eine Formel, die von Shannon lediglich am Rande mit dem Hinweis eingestreut wird, diese sei in keiner Weise für die eigentliche Theorie von Bedeutung:

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Das Maxi für den durchschnittlichen Informationsgehalt eines Zeichens; das von einer Zeichenquelle erzeugt wird. Die Berechnung dieser Information geschieht auf der Grundlage der Wahrscheinlichkeitsverteilung der einzelenen möglichen Zeichen. Als Einheit für den Informationsgehalt übernimmt Shannon die Tukey vorgeschlagene Bezeichnung BIT, die Kurzform von BINARY DIGIT.


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Im Rahmen einer Mathematical Theory of Communication wird diese Information 1940 erstmals und dann, nach dem Ende der Geheimhaltungspflichten während des Zweiten Weltkrieges, im Jahre 1948 ausführlich veröffenlicht.

Da es sich bei der Theorie Shannons ursprünglich um ein Instrument zur Kalkulation des Übertragungsaufwands in der Nachrichtentechnik handelt, abstrahiert die Berechnung des Informationsgehalts von allen inhaltlichen Aspekten und beschränkt sich allein auf den syntaktischen Informationsgehalt.

Jedoch bereits die missverständlichen Interpretationen des Informationsmales durch Warren Weaver im Rahmen der ersten Buchveröffentlichung der Theorie als Quantifizierung zwischenmenschlichen Informationsaustauchs betreten den Boden für eine Übertragung des mathematischen Informationskonzepts auf Aspekte der Semantik und Pragmatik. In den folgenden Jahrzehnten ist die Verwendung des Informationsbegriffs in unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen von einer Sinnsuche geprägt, den oft gewagten, aber selten nutzbringenden Versuchen, den Fluss der Information auch jenseits des streng deformierten nachrichtentheoretischen Rahmens quantitativ zu fassen.

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Der wissenschaftliche INFORMATIONSBEGRIFF: Die Veröffentlichung der mathematischen Theorie Shannons wird in der Mitte des 20. Jahrhunderts zur Initialzündung für eine intensive Auseindandersetzung mit dem Informationsbegriff in zahlreichen Wissenschaftszweigen. Das von Shannon entwickelte Informationsmaxi findet dabei auf ganz unterschiedliche Weise Eingang in die jeweilige fachliche Diskussion:

Zum Teil gibt es Bemühungen, das staristische Informationsmal unverändert in andere Disziplinen zu übertragen, es für die individuellen wissenschaftlichen Bedürfnisse zu modifizieren, nur die Grundgedanken Shannons zu übernehmen oder aber sich explizit vom nachrichtenrechnerischen Informationsbegriff abzugrenzen. Abhängig von der fachlichen Perspektive zerfasert dabei das Verständnis von Information in zahllose Bedeutungen und Definitionen. Der Begriff bezeichnet im Folgendnen alles vom pulsierenden Strahlen ferner Sterne über die Schaltzustände elektronischer Bauteile bin hin zum verbalen Austausch zwischen Menschen.

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Besonders prägend für die wissenschaftliche Disskusion der Information und in der Folge auch für die alltagssprachliche Verwendung des Begriffs war die rasante Entwicklung der Computertechnologie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und ihrer wissenschaftlichen Zweige, der Kybernetik un der Informatik.


Mit seiner These „ Information is information, not a matter or energy“ provoziert Wiener in seinem Grundlagenwerk Cybernetics eine philosophische Diskussion über das Wesen der Information al möglichen dritten Seinsbereich neben der Materie bzw. Stoff und Energie. Das Informationsverständnis der Kybernetik ist geprägt von einem reduktionischen Blickwinkel auf zunächst technisch, später vermehrt auch biologische und soziologische Prozesse, durch den auch komplexe Phänomene wie der zwischenmenschliche Informationsaustausch auf die, die Wechselwirkung zurückgeführt werden. Diese Reduktion ermöglicht es zwar, die Rückkopplung in einem Heizungsthermostat und eine polnische Debatte nach der gleichen Erklärungsmuster hinsichtlich ihere Informationsprozesse zu beschreiben. Damit ist man jedoch dem Verständnis semantischer und pragmatischer Informationsaspekte keinen Schritt näher gerückt, da die kybernedische Sichtweise nur Einblick in einen vom Sinn abstrahierenden Rest der Information eröffnet. Ernüchtert vom beschränkten Nutzen der interdisziplinaren Ansätze der Kybernetik kehren daher nach einer anfänglichen Phase der Euphorik die meisten Forscher wieder in ihre angestammten Disziplinen zurück und die Kybernetik wird als Fachrichtung zunehmend von der aufstrebenden Computerwissenschaft Informatik verdrängt.

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Auf den ersten Blick erscheint es verwunderlich, dass die Informatik, obwohl sie die Information zum zentralen Gegenstand ihrer wissenschaftlichen Betrachtungen machen, nie zu einer befriedigenden Definition des Informationsbegriffs kommt. Information wird nur als undefinierter Grundbegriff benutzt. Seit einigen Jahren beginnt nun das molekulare Informationsverständnis der Genetik den datenartigen Informationsbegriff der Computertechnik als tragendes Leitbild abzulösen. In Anlehnung an die metaphorische Beschreibung der DNA - Nukleotidfolgen als genetische Sprache deren vier Buchstaben A, C, G, T die Worte und Sätze des Gens bilden, werden die einzelnen Schritte der Synthese als Ebenen der biologischen Information interpretiert.

Dieser Metapher folgend, gelangen die Biologie mit der Entschlüsselung des genetischen Codes zu einer ersten Ebene semantischer Information und forscht nun im Rahmen der Problematik an den pragmatischen Aspekten der biologischen Information. Ähnlich wie in der Informatik handelt es sich jedoch auch hier nur um eine scheinbare Tendenz hin zu pragmatischeren Informationsphänomenen, da dieser Entwicklung eine Transformation der semiotischen Ebenen unter Auslassung einiger für ein Sinnvesverstehen unerlässlicher Aspekte, wie Wahrheit, Zielgerichtetheit und Subjektivität zu Grunde liegt.

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Die biologische Information beruht im Grunde stets auf objektiven, biochemischen Wechselwirkungen. Die am Übergang ins 21.Jahrhundert dominierenden wissenschaftlichen Disziplinen, die Informatik und die Molekularbiologie bemühen sich also letzlich erfolglos um einen pragmatischen, am Handlungsbezug der Menschen ausgerichteten Informationsbegriff und prägen stattdessen in der Wissenschaft, wie auch in der Alltagssprache der Gegenwart ein Verständnis von Information, das siech an einer molekularen Vorstllung orientiert.

Gegenwärtige Verwendung des Begriffs: Der Begriff. Informationsgesellschaft ist bei weitem nicht das einzige, aber über viele Jahre das am häufigsten und vielfaltigste gebrauchte Schlagwort zur Beschreibung der gesellschaftlichen Entwicklung in den westlichen Industrien während der letzten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts. Im Zentrum des Wandels zur Informationsgesellschaft, der bereits seit den 1960er Jahren in Ökonomie und Soziologie beschrieben wird, stehen die technischen Fortschritte ber der Speicherung, Übertragung und Verarbeitung von Information bzw. von Daten und ihre Auswirkung zunächst auf die Arbeitswelt und später immer auch auf das alltägliche Leben. Bereits Mitte der 1990er Jahre wirde jedoch das Postinformationszeitalter ausgerufen und Information als prägender Begriff für die gesellschaftliche Entwicklung zunehmend durch andere Begriffe, vor allem den der Wissensgesellschaft ersetzt.

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Insbesondere die politischen Mandatsträger geben sich dieser Zeit bei der Formulierung ihrer Ziele in der Bildungs- und Technologieförderung dem Wissen gegenüber der Information den Vorzug. Grundlage dieses Paradigmenwechsels ist vor allem das verbreitete Gefühl, mit der Information bzw. Informationsgesellschaft einem Phänomen zu huldigen, das nur unzureichend die Anforderungen an ein Leben in einer global vernetzten Welt beschreibt. Während das Wissen die Schämme der Fakten und Sachverhalte sinnvoll differenziert und zu einer adäquaten Handlungsanweisung verknüpft, wird bei der Information - so der verbreitet Eindruck - vor allem der symakrische Aspekt der undifferenzierten Datenmasse betont.

Wissen gilt als kostbar, Information hingegen als sinnlos, ja zunehmend sogar als bedrohlich. Information ist nicht mehr Teil der sittsamen Bildung wie im 19.Jahrhundert und auch kaum noch die relevanten und hilfreiche Nachricht wie in der Mitte des 20.Jahrhundert, sondern eine Flut synraktischer Daten und aus dem Zusammenhang gerissener Botschaften, die lieber den modernen Menschen tagtäglich hinüber prasseln.

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Information ist das Feuerwerk der Instant Messages, die den Blutdruck in bedenkliche Höhen treibt, der stetig wachsende Müllberg unerwünschter Spam - Mails und ei Droge, die den Internet Junkie nächtelang durch das Netz vagabundiern lässt.


Nicht von ungefähr hat sich in Militärkreisen für die neue Form der Kriegsführung, bei der über globale Datennetze auf die sensiblen Infrastrukturen des Gegners Einfluss genommen wird, der Begriff Information warfare eingeürgert. Durch die Dominanz des computertechnischen Informationsbegriffs in der Wissenschafts- und Alltagswelt ist Information zu einem negativ besetzten Schmähwort geworden.

Handbuch Wissenssoziologie und Wissenforschung Rainer Schützeichel 2007

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GESCHMACK KCAMHCSEG GESCHMACK KCAMHCSEG GESCHMACK KCAMHCSEG GESCHMACK KCAMHCSEG

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eschmack. In der Ästhetik und Kunstthorie seit dem 17. Jahrhundert gebräuchlicher Begriff zur Kennzeichnung der subjektiven Grundlagen ästhetischer Werturtleile. Die Bedeutung von Geschmack als ein besonderes Urteilsvermögen geht auf B. Gracian zurück, dessen Weltname seinen guten Geschmack gerade darin beweist, dass er die Dinge frei von subjektiver Täuschung beurteilen kann.

Im englischen Sensualismus wird der Geschmack (v.a. bei Schartesbury) zu dem Vermögen, das Wahre subjektiv in Form der Schönheit wahrzunehmen, während bei E.Burke (1757) der Geschmack ein sinnliches Vermögen darstellt, das zwar allen Menschen gleichermaßen zukommt, aber erst durch Schulung und durch den Verstand zu einem ästhetischen Urteilsvermögen, dem guten Geschmack, geschärft werden muss.In Kants Kritik der Urteilskraft (1790) erfährt dann der Geschmack seine zentrale, ästhetische Bestimmung:

Geschmack ist das Beurteilungsvermögen, eines Gegenstandes oder einer Vorstellungsart durch ein Wohlgefallen, oder Mißfallen, ohne eigene Interesse. Der Gegenstand eines sochen Wohlgefallens, heisst schön. Damit wird der subjektive Geschmack zur Quelle der Bestimmung des Schönen. Allerdings gehört es zu paradoxen Struktur des Geschmacksurteils. Dass es, obwohl subjektiv, allgemeine Geltung beansprucht. Das Geschmacksurteil fordert zwar nicht jedermanns Einstimmung, aber es spricht jedermann diese Einstimmung an. Darf diese Urteil, das einerseits in der subjektiven Erfahrung gründet, andererseits aber einen Anspruch auf Verbindlichkeit erheben kann, lässt sich nach Kant nur durch ein Prinzip

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erklären, das zwar durch Gefühl, aber doch allgemeingültig bestimmen kann, was gefalle oder missgefalle. Dieses den Geschmack universalisierende Prinzip nennt Kant den „Gemeinsinns der es erlaubt, das eigene Schönheitsempfinden mit anderen teilen zu wollen und zu können.“ Im 19. Jahrhundert verliert der Geschmack seine zentrale ästhetische Bedeutung, um im 20. Jahrhundert eher als soziologische Kategorie wieder aufzutauchen.

Bei P. Bourdieu etwa ist der Geschmack Ausdruck eines jenes durch soziale Herkunft und Bildung bedingten ästhetischen Distinktionsverfahrens, durch das in einer vordergrundig egalitären Gesellschaft die feinen Unterschiede zwischen den Menschen und sozialen Gruppen als Unterschiede der geschmacksbedingten ästhetischen Vorlieben und Präferenzen kommuniziert und dargestellt werden.

Hg von Ansgar Nünning, J.B. Metzler 2004

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SCHEMATA ATAMEHCS SCHEMATA ATAMEHCS SCHEMATA ATAMEHCS SCHEMATA 100


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prache ist ein System typisierender Erfahrungsschemata, das auf Idealisierungen der subjektiven Erfahrung beruht. (Alfred Schniz)

Die Koharenz, also die inhaltliche Kontinuität eines Textes die als Plausibilität des Textzusammenhangs erkennbar ist, hängt, wie wir gesehen haben, wesentlich von unserer geistigen Aktivität und unserem im Gedächtnis gespeicherten Weltwissen ab.

Was plausibel ist, richtet sich somit nach dem Weltmodell im Kopf des Rezipienten. Unser im LZG permanent gespeichertes Wissen ist repräsentativ in Form von Konzepten und Konzept - Relationen. Konzepte gelten generell als Bausteine der Kognition. Es sind operative Einheiten des Geistes, die Erfahrungs- und Erkenntniswerte aufeinander beziehen und repräsentieren.

Ein Konzept wird determiniert durch ein Shema. Wir haben also in unserem LZG gespeichert, um was für einen ontologische Typ es sich bei einer konzeptuellen Einheit handelt und welche Eigenschaften die Kategorie hat. MENSCH kann man entsprechend als Lebewesen beschreiben. Konzepte basieren auf dem Prozess der Konzeptualisierung, d.h. der Bildung von geistigen, intern gespeicherten Repräsentation. Handelt es sich dabei um Klassenkonzepte, ist zudem Kategorisierung involviert. Kategorisierung bildet Klassenbildung durch Abstraktion, d,h. Einordung von Gegenständen in Kategorien, die der menschliche Geist bildet.

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Kategorisierung ist eine elementare Fähigkeit des menschlichen Geistes: Sie dient sowohl der Orientierung in der Welt als auch der effizienten Weltwissensspeicherung.

Ohne die Fähigkeit zur Bildung und Speicherung geistiger Kategorien- und Individuenkonzepte waren wir nicht in der Lage, Dinge wieder zu erkennen und sie bestimmten Gruppen zu zuordnen. Die Welt waren für uns ein Chaos mit ständig neuen Wahrnehmungen und Erfahrungen.

Wir speichern unser Wissen über die Welt in zwei Typen von Konzepten: Type - Konzepte stellen kategoriale Einheiten dar, die sich auf Klassen von Referenten beziehen und Token - Konzepte repräsentieren einzelne Einheiten. Konzepte sind geistige Informationseinheiten, die Wissen über Dinge, Personen, Sachverhalte etc. speichern. Betrachten wir z.B. das Konzept, das wir zu dem Ausdruck Universität gespeichert haben: Als Kerninformation können wir öffentliche, weiterführende Bildungsinstitutionen für Menschen mit Abitur, Lehr- und Lernstette annehmen.

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Zusätzlich haben wir aber auch in unserem Langzeitgedächtnis zu Universität gespeichert, dass Dozenten Lehrveranstaltungen abhalten, in Seminarräumen unterrichten, dass sie Sprechstunden halten und Prüfungen abnehmen.


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Zu unserem Universitäts - Konzeptwissen gehört auch, dass es Personal, einen Rektor etc., dass es bestimmte Öffnungszeiten und eine Mensa gibt. Diese enzyklopadisches Wissen ermöglicht uns das Verständnis von Texten. Konzepte sind im Langzeitgedächtnis nicht isoliert, sonder durch verschiedene Relationen vernüpft abgespeichert. Komplexe konzeptuelle Wissensstrukturen werden Schemata genannt. Schemata sind netzartig strukturierte Modelle im LZG, die stereotype Gegenstandsbereiche, Situationen und Handlungen mental repräsentieren. Es werde im Folgenden den Terminus Schema als Bezeichnung für eine komplexe konzeptuelle Wissensstruktur im LZG verwenden, die typische Informationen eines bestimmten Realitätsausschnittes repräsentiert.

Die Basiseinheiten dieser komplexen Repräsentationen sind Konzepte. Ein Schema repräsentiert somit miteinander verbundene konzeptuelle Informationsknoten über Gegenstände und Sachverhalte. Die konzeptuellen Einheiten der Schemata sind als Variablen konzipieren. Diese Variablen werden im Verstehensprozess mit konkreten Werten bestzt.

Entspricht ein Sachverhalt oder eine sprachliche Schverhaltsdarstellung nicht den Defaults eines Schemas, werden duch kognitive Strategien entsprechende Modifikationen vorgenommen.

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So ist im Restaurant Skript gespeichert, dass Kellner nach den Wünschen der Gäste fragen und sie bedienen, Köche in der Küchen kochen, Gäste an Tischen sitzen, Speisen bestellen, dann essen und später bezahlen. Auch Kenntnisse über Emotionen und ihre typischen Manifestationsformen, Begleiterscheinungen, Auslöser etc. sind im Gedächtni gespeichert.

So entählt das mentale Schema LIEBE das Subschema EROTISCHE LIEBE mit der prototypischen Konstellation SEXUELLE ANZIEHUNG zwischen MANN und FRAU: physische Erregung, charakteristische körperliche Reaktionen wie Pulsbeschleunigung/Herzklopfen, Liebeskummer bei Verlust/Eifersucht bei Konkurrenz, Kränkung und Wut bei Seitensprung. Die Verfügbarkeit des Schemawissens über Situationen, Personen und Handlungsabäufe sowie Emotionsmanifestationen wird vom Textproduzenten vorausgesetzt. Lose- und Verstehensprozesse werden im Rahmen der Schematheorie als Prozesse der Schemaaktivierung und Konstruktion erklärt. Viele Texte fordern die Leser, seine kognitive Konstruktivität und seine interprätative Kreativität jedoch wesentlich stärker heraus. In Sprachverwendungsprozessen rezeptiver wie produktiver Art greifen wir zudem auf nicht sprachliches Weltwissen zurück das in komplexen konzeptuellen Schemata in unserem LZG gespeichert ist und unsere Erfahrungen, die wir im Umgang mit der Welt gamacht haben, repräsentiert.

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Emotionale Faktoren beeinflussen zum Teil erheblich die kommunikativen Vorgänge, indem sie die reine Inhaltsebene der Informationsübermittlung überlagern können. In sprachlichen Äußerungen spiegeln sich über die spezifische Gestaltung, grammatischer Struktur, textuelle Anordnung emotionale Einstellungen direkt oder indirekt wider.

Es besteht eine enge Interaktion von sprachlichen, konzeptuellen und emotionalen Strukturen und die sprachlichen Äußerungen von Sprachnutzern werden als Spuren kognitiver und emotionaler Prozesse betrachtet. Sachverhalte werden mittels sprachlicher Textstrukturen als symbolische Textwelten spezifisch repräsentiert.

Es reicht nicht die Darstellungsfunktion der Sprache und ihre zugrundeliegenden Konzeptualisierungen zu analysieren, wenn man das gesamte Informationspotenzial von Textstrukturen erfassen will über die eigentlichen Refernzialisierungen als Verbalmanifestationen hinaus vermitteln Texte implizit enthaltene Informationen, die in der Textstruktur als Inferenzpotenzial für den Rezipienten angelegt sind, deren Rekonstruierbarkeit antipiziert wird. Diese impliziten Informationen bestehen zu einem großen Teil aus emotional basierten Bewertungen, die die emotionalen Einstellungen der Textproduzenten widerspiegeln. Jeder Text hat somit neben seinem Refernzpotenzial nicht nur noch ein kognitives Inferenzpotential sondern auch ein Emounspotenzial.

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Komplexe Emotionskonzepte fungieren als mentale Schemata, die eine Klassifikation von individuellen Erlebnissen etc. ermöglichen und die Emotionswörter etc. kodieren diese Erlebnisse. Der kognitionslinguistische Ansatz, dessen Grundannahme ist, dass ein Rückschluss vom sprachlichen Material auf zugrunde liegende kognitive und emotionale Zustände und Prozesse möglich ist, will entsprechend emotionale Gehalte aus sprachlichen Auslegungen rekonstruieren.

Monika Schwarz - Friesel Sprache und Emotion 2007

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IMPRESSUM GESTALTUNGSKURS TYPOGRAFIE PETER WAHL KOGNITION

Katrin Haas Merz Akademie Hochschule f端r Gestaltung, Kunst und Medien, Stuttgart

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