Leseprobe: Nur einen Flügelschlag entfernt

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Der Brief ihrer verstorbenen Mutter Catalina, den Emilia an ihrem 18. Geburtstag öffnet, stellt ihr gesamtes Leben auf den Kopf: Er führt zu einer Kiste, dessen Inhalt sie mit auf eine Reise nimmt. Eine Reise in die Vergangenheit, zu einer Liebesgeschichte, die nicht schöner hätte sein können – und die nicht schlimmer hätte enden können. Zur selben Zeit versucht ein junger Mann den merkwürdigen Träumen, von denen er seit einiger Zeit heimgesucht wird, auf den Grund zu gehen. Diese Träume führen ihn immer wieder an die verschiedensten Orte und scheinen ihm eine Botschaft übermitteln zu wollen. Für die Lösung des Geheimnisses fehlt noch ein letzter Traum, doch seit Wochen lässt dieser auf sich warten.

Tom Kersto wurde 1975 in Bregenz am Bodensee geboren und lebt als freier Schriftsteller in Kärnten. Er sieht sich als ein Botschafter, der den Menschen die Weisheiten einer anderen Welt auf verständliche, jedoch nicht alltägliche Weise näherbringt und so zur allgemeinen Bewusstseinssteigerung auf der Erde beiträgt.



Tom Kersto

Nur einen Fl端gelschlag entfernt Roman


Ausführliche Informationen zu diesem Roman und zum Schriftsteller findest du auf tomkersto.at

Dieses eBook ist auch als gedrucktes Buch direkt auf tomkersto.at erhältlich. Die ISBN der Printversion lautet: 978-3-9503004-0-6 Deutsche Erstausgabe, Oktober 2010 Copyright © 2010 by Tom Kersto Umschlaggestaltung: Artuswerbung, artuswerbung.com Lektorat: Mag. Elisabeth Pirker Herausgeber, eBook-Produktion: Thomas Stocker Format: PDF ISBN 978-3-9503004-2-0 Alle Rechte vorbehalten


»Zwei ungleiche Frauen mit Weisheit gesegnet. Außergewöhnliche Botschaften, der Liebe geweiht. Symbole in Reih und Glied verbunden für die Ewigkeit. Die Lösung des Rätsels führt zur Vollkommenheit.«


PROLOG Catalina legte den Stift und das Papier zur Seite. Sie rieb ihre feuchten Augen, die bereits müde waren. Sie hatte den ganzen Abend lang damit zugebracht, diesen Brief zu schreiben, musste jedoch die wirklich allerletzten Worte auf den nächsten Tag verschieben. Sie war einfach zu erschöpft. »Genug Erinnerungen für heute«, dachte Catalina bei sich. Es war einfach keine Kraft mehr vorhanden. Der Schmerz, den sie in ihrer Brust verspürte, ließ erst nach, als die Schlaftablette ihre Wirkung zeigte. Emilia sah schweigend auf den See hinaus. Es war kurz vor acht Uhr abends, als sie (auf einer Parkbank sitzend) beobachtete, wie das letzte Schiff am Hafen anlegte. Der Tag bereitete sich auf den Übergang zur Nacht vor und der Himmel über den Bergen leuchtete kräftig in den verschiedenen Tönen des Abendrots. Die vorübergehenden Spaziergänger wurden seltener, und nur mehr wenige Möwen drehten auf der Suche nach Futter am Ufer ihre Runden. Emilias Tränen glitzerten im Sonnenlicht und es schien so, als ob ihr Gesicht mit jeder Träne heller erstrahlte. Nie zuvor hatte sie solch ein bezauberndes Lächeln auf ihren Lippen getragen wie in jenem Moment. Die Zeit rund um sie stand still. Plötzlich nahm sie aus ihrem Augenwinkel die Silhouette eines Mannes wahr, der neben der Parkbank stand und sie anstarrte. Als sich dieser Mann dann auch noch ohne zu fragen neben sie setzte, ärgerte sich Emilia. Sie war versucht, ihrem Unmut Luft zu machen, zögerte jedoch und ließ schlussendlich von diesem Vorhaben ab. Ihr gegenüber, auf einem Stein am Pier, saßen zwei leuchtend gelbe Schmetterlinge und erfreuten sich flügelschlagend an diesem wunderschönen Tag. Emilia war glücklich und zufrieden. Sie hatte begriffen.


Wie immer fuhr ich mit meinem Fahrrad am See entlang in Richtung Zuhause. Normalerweise belebten Spaziergänger und Wasservögel das Seeufer, jedoch nicht an diesem Tag. Der Park und auch das Ufer selbst waren wie ausgestorben. Ich blieb kurz nach dem Hafen, aber noch deutlich vor dem Kaffeehaus am See stehen, um die ungewohnte Stille zu genießen. Da entdeckte ich plötzlich ein kleines Mädchen, das einsam und verlassen auf einer Parkbank saß. Ich hatte sie vorher nicht bemerkt, da sie so winzig war, dass ihr Kopf die Rückenlehne der Parkbank nicht überragte. Ich blickte mich um und suchte nach der Mutter oder wenigstens einer Begleitperson. Plötzlich sprang das Mädchen auf und rannte davon. Ich war irritiert und zögerte. Als ich ihr nachlaufen wollte, war die Kleine nicht mehr da. Ungläubig rieb ich meine Augen.



TAG 1 – Dienstag, 1. September 2009


SELBSTLOS Der salzige Geschmack des Meeres breitete sich in Catalinas Mundhöhle aus. Was war geschehen? Es war wieder einer der vielen Träume der letzten Tage, die von der Liebe handelten und in denen sie und Oliver die Hauptrollen spielten. Meist träumte sie Szenen aus der einstigen Verbindung, die zwar nur kurz, aber überaus glücklich gewesen war. Nie hatte sie es sich verziehen, damals die falsche Entscheidung als die richtige angesehen zu haben. Als siebzehnjähriges Mädchen hatte sie sich einfach noch nicht für eine lebenslange Beziehung entscheiden können. In diesem letzten Traum jedoch geschah etwas Seltsames. Sie führte ein Gespräch mit ihrem Liebsten, der sie nach ihren Lebenszielen fragte. Außerdem wollte er wissen, wie sie sich das Paradies vorstelle. Catalina erinnerte sich an dieses Gespräch. Es fand in der Realität während ihres ersten Zusammenseins mit Oliver statt, damals am Strand des Hotels Seeblick im schweizerischen Vitznau am Vierwaldstättersee. Auch damals empfand sie diese Fragen als ungewöhnlich, ja sogar ein wenig unangenehm, doch in diesem Traum nahmen sie bizarrere Formen an. All die anderen Träume hatte sie nämlich geräuschlos erlebt. Nie war ein Wort gesprochen worden. Trauer, Glück, Liebe – alles wurde nur empfunden, jedoch ohne den Gefühlen verbal Ausdruck zu verleihen. Selbst wenn sie und Oliver sich tief in die Augen gesehen und die Lippen sich bewegt hatten – es war kein Laut zu hören gewesen. In diesem letzten Traum allerdings war alles anders. Laut und deutlich hörte sie Olivers Fragen, und auch die Antworten hallten in ihrem Kopf wieder. Sie erinnerte sich plötzlich an alles, obwohl sie mehr als zehn Jahre nicht geträumt hatte. Auf einmal war es so, als würde ihr Leben nur aus Träumen bestehen und nichts anderes mehr einen Sinn haben.


Catalina machte sich bereit, aufzuwachen. Sie hatte noch vieles zu erledigen, bevor sie für immer ins Reich der Träume reisen könnte. Ihre Zeit wurde knapper. Also verabschiedete sie sich wieder von Oliver und machte sich daran, ihrem Unterbewusstsein zu sagen, dass sie nun soweit sei, um in ihren schmerzenden, von Medikamenten vollgepumpten Körper zurückzukehren. Catalina spürte, wie ihr Geist die Rollen tauschte. Als sie dann die Augen öffnen wollte, ließen sie sich nicht bewegen. Sie waren wie zugeklebt. Stattdessen war da wieder dieser Salzgeschmack in ihrem Mund. Catalina hatte große Mühe damit, zu verstehen. Es konnte doch nicht sein, dass auf einen Traum sogleich der zweite folgte. »Irgendetwas stimmt an diesem Bild nicht«, dachte Catalina bei sich und versuchte erneut, ihre Augen zu öffnen. Plötzlich klappte es ganz ohne Anstrengung. Sie blinzelte und sah die Umgebung verschwommen. Langsam, nach und nach, zeichneten sich deutlichere Konturen ab. Sie musste sich tatsächlich in einem zweiten Traum befinden, anders konnte sie sich nicht erklären, warum sie nicht in ihrem Krankenbett aufwachte, sondern inmitten einer prächtigen, sich unwirklich präsentierenden Landschaft. Die Vögel zwitscherten, so als stünde der Frühling – mitten im November – vor der Tür. Handelte es sich nur um eine Illusion? Doch woher kam dann dieser Geschmack von Salzwasser in ihrem Mund? Catalina sah sich um. Zu ihrer Linken plätscherte zwar ein Bach gemächlich dahin, doch ein Meer war weit und breit nicht zu sehen. Die Wiese, auf der sie gelegen hatte, war über und über mit Blumen bedeckt, deren Farbenvielfalt und Duft sofort ein Lächeln in Catalinas zerknittertes, ungläubig blickendes Gesicht zauberte. Das weiche Licht, das vom Himmel herab strahlte, prickelte auf ihrer Haut und verwandelte die Szenerie in eine Hamiltonsche Komposition sondergleichen, die selbst vom Meister der Weichzeichnung nicht wirkungsvoller hätte inszeniert werden können. Rund um die Wiese herum formierten sich riesenhafte Bäume zu einem Wald, der jedoch nichts Gewöhnliches an sich hatte, sondern


vielmehr ein Konglomerat unterschiedlichster Baum- und Pflanzenarten war. Es schien, als hätte irgendjemand hier eine »Arche Flora« entstehen lassen, um sämtliche rund um den Erdball vorkommende Pflanzen vor dem Aussterben zu bewahren. Catalina kam aus dem Staunen nicht heraus und rieb sich mehrmals die Augen. Sie erinnerte sich nicht, in einem ihrer Träume je so viel Schönes auf einmal gesehen zu haben. Die Strahlkraft der Farben, die vom Licht gebrochen wurden, flutete ihren Körper und stattete ihn mit einer noch nie gespürten Kraft und Energie aus. Catalina atmete die Luft, die in ihrer Lunge wie hundertprozentiger Sauerstoff prickelte, tief ein. Plötzlich, als wäre es der Stille genug gewesen, schwirrten die ersten Insekten melodiös an ihr vorbei. Auch im Wald regte sich Leben. Die Neugierde über das unbekannte Lebewesen, das wie aus dem Nichts aufgetaucht war, brachte sogar einen Fuchs dazu, seinen schützenden Bau zu verlassen, um Nachschau zu halten. Eichhörnchen rannten flink die Bäume hoch. Ein Löwe steckte seine prächtige Mähne durchs Gebüsch und schnurrte. Die Bienen summten und bunte, farbenprächtige Schmetterlinge tanzten vor Catalinas Nase herum. Je mehr Tiere Catalina zu Gesicht bekam, desto weniger Sinn machte eine »Arche Flora«; vielmehr schien es, als vereine dieser Ort den Ursprung allen Lebens. Jener Sammelpunkt, an dem alles beginnt, und von welchem aus sämtliches Leben die Reise zur Erde startet. Noch während sie gedankenversunken eine Erklärung für diesen außergewöhnlichen Traum suchte, bewegte sich Catalina vorsichtig auf den Wald zu. Zwei leuchtend gelbe Schmetterlinge, die aussahen wie Zitronenfalter, folgten ihr. Sie wollte gerade ihre Arme zu Hilfe nehmen, um das Gestrüpp, das phasenweise sehr dicht wuchs, zur Seite zu schieben, als dieses wie von Geisterhand überall dort, wo sie einen Fuß hinsetzte, eine Art Gasse bildete, durch welche sie hindurch schreiten konnte. Catalina wunderte sich anfangs sehr über diese Geste, bemerkte jedoch auch, dass anscheinend jedes Lebewesen hier hilfsbereit und zuvorkommend zu sein schien. Wäre man hinter ihr hergegangen, so hätte man beobach-


ten können, wie sich dieser Durchgang wieder schloss, nachdem Catalina daran vorbeigezogen war. Die Tiere, denen sie während ihrer Erkundungstour begegnete, blieben allesamt kurz stehen, so als würden sie Catalina grüßen. Auch diese Geste verwunderte sie anfangs, doch je mehr Tiere ihr diesen Gruß entgegenbrachten, desto geschmeichelter war sie. Sie beteiligte sich an diesem lustigen Spiel und vollführte jedes Mal, wenn ein Tier ihr seine Aufwartung entgegenbrachte, einen Knicks, so wie es Könige und Königinnen zu tun pflegen. Der Wald schien riesengroß zu sein. Mehrere Stunden irrte sie umher, wobei es Catalina nicht so lange vorkam. Sie hatte ihr Zeitgefühl verloren, außerdem war sie viel zu sehr mit dem Erkunden dieser Welt beschäftigt. Als sich dann der Wald lichtete (Catalina dachte Möwen zu hören), gab dieser den Blick auf einen See mit einem kaskadenförmigen Wasserfall frei. Das Wasser, das auf den See fiel, glitzerte. In der Mulde, die sich unterhalb des Falls befand, bildete sich ein feiner Sprühnebel, auf den die beiden Schmetterlinge, die Catalina immer noch begleiteten, furchtlos zuflogen. Es schien, als würden sie die Erfrischung dieses Nebels genießen. Catalina lachte, entledigte sich ihrer Kleider und sprang in den See. Seltsamerweise konnte sie das Wasser aber nicht spüren. Sie tauchte mit ihrem Kopf unter und fühlte auch das nicht. Fische schwammen an ihr vorbei, verharrten kurz und begrüßten Catalina, bevor sie ihre Flossen wieder in Bewegung setzten. Catalina verstand hingegen gar nichts mehr. Sie entschloss sich, weiter zu gehen, stieg aus dem See und streifte wieder ihre Kleider über. Sie war nicht einmal nass geworden. Ihre langen, pechschwarzen Haare waren bereits trocken, so als wären sie mit dem Wasser niemals in Berührung gekommen. Catalina erschien das alles sehr merkwürdig, auch wenn bereits vorher viele seltsame Dinge geschehen waren. Sie rannte durch den Wald ohne Erschöpfung zu verspüren. Als sich dieser erneut lichtete, verlangsamte sie ihre Schritte und begann bis über beide Ohren zu strahlen.


Manchmal kam es mir vor, mein Kopf wäre ein Daumenkino und jemand würde den Knopf für das nächste Bild unentwegt drücken, ohne sich richtig Zeit für die Eindrücke zu lassen, die er durch die kleine Linse wahrnehmen könne. Orte und Schauplätze flogen an mir vorbei, so als wäre ich überall gleichzeitig. Gesichter von mir bekannten Menschen, aber auch von völlig Unbekannten, steuerten auf mich zu und durch mich hindurch – hinfort in andere Szenen, die ich noch nicht erlebt hatte oder vielleicht auch nicht bestimmt war, zu erleben. Ab und an konnte ich sogar Gerüche wahrnehmen, was mich doch sehr verwunderte. Einmal stieg mir der Duft von Salzwasser und Fisch dermaßen penetrant in die Nase, dass ich zunächst gar nicht meine Augen öffnen wollte. Viel zu ekelerregend war das Bild, das ich bereits in meiner Fantasie erzeugt hatte. Doch ich kam nicht umhin, mir anzusehen, wo ich gelandet war. Rund um mich herum fuhren Stapelwägen vorbei. Lastenkräne hoben riesige Container in die Höhe und beförderten diese auf noch riesigere Schiffe. Ich befand mich mitten auf dem Umschlagplatz eines gigantisch großen Hafens. Ich kombinierte meine Eindrücke und fand alsbald auch die Bestätigung für meine Vermutung – ich war in Genua. Was machte ich in Genua? Inmitten der Kräne und Stapler, die mit einem mir nicht nachvollziehbaren System auf dem Containerumschlagplatz herumkurvten, fühlte ich mich nicht besonders wohl. Also lief ich bis an die Mole vor, um die beeindruckenden Handelsschiffe aus der Nähe zu betrachten. Gerade als ich an einer der Anlegestellen ankam, dockte ein mächtiges Containerschiff, das mit vielen hunderten, wahrscheinlich tausenden farbenprächtigen Containern aus aller Herren Länder beladen war, an. Ich ging näher hin, doch alles, was ich zu sehen bekam, waren ein paar Graffitis. Noch in Gedanken versunken, dass heutzutage wohl nichts und niemand vor solchen angeblichen Kunstwerken sicher war, entdeckte ich etwas Seltsames. Es musste sich um ein deutsches Schiff gehandelt haben oder zumindest um eines, das aus Hamburg gekommen war. Das Graffiti stellte nämlich einen Satz in deutscher Sprache dar. Ich ging noch näher an den Rumpf des Schiffes heran, damit ich den Satz entziffern konnte. »Das kann doch nicht sein«, dachte ich bei mir. Alle Buchstaben waren in demselben Rotton aufgesprüht worden. Nur einer stach in weißer Farbe hervor.


»bedingungslose liebe bedeutet, Selbstlos zu lieben« Es war das S von selbstlos, das aus der Reihe tanzte. Es musste sich um einen etwas seltsamen, poetisch veranlagten Künstler der Alten Schule gehandelt haben. Zumindest schien er nicht der Garde der modernen Graffiti-Künstler anzugehören. Bereits aus der Ferne sah sie das Meer und den von Palmen gesäumten Sandstrand. Als Catalina das Ende des Waldes erreicht hatte, drehte sie sich noch einmal um und bedankte sich bei den Pflanzen und den beiden Schmetterlingen für deren Geleit. Vor ihr erstreckte sich ein unberührter Sandstrand von einer Pracht, die sie noch niemals gesehen hatte. Auf der linken Seite erregte eine Felsformation aus weißem Kalkstein, die plateauförmig in Stufen angeordnet war, ihre Aufmerksamkeit. Das Steingebilde ragte bis ins Meer hinein und schien ein grandioser Aussichtspunkt zu sein. Dies dachte sich auch Catalina und rannte los, überquerte mühelos die ersten Stufen des Felsen, hüpfte mal links, mal rechts und freute sich wie ein kleines Kind, als sie die Klippe erreicht hatte. Die Wellen schlugen wuchtig an den Felsen und erzeugten ein ohrenbetäubendes Geräusch, das sich, je länger man es hörte, zu einer Melodie verwandelte, die einem die unglaubliche Schönheit und Unnahbarkeit dieser Welt näherbrachte. In Catalinas Körper breitete sich wohlige Wärme aus, die jede Zelle mit einer unbeschreiblichen Liebe erfüllte. Das Licht, das vom kitschig wirkenden, tiefblauen Himmel herab schien, war heller und stärker als jenes der Sonne und trotzdem schwitzte Catalina nicht. Es war dasselbe weiche Licht wie vorhin, das nicht blendete, sondern einen sanft und liebevoll streichelte; das einen umhüllte wie eine Mutter, die ihr Kind mit einem kuscheligen Frottiertuch abtrocknet. Da auf einmal (Catalina war in Gedanken versunken), tippte ihr jemand von hinten auf die Schulter. Catalina erschrak und drehte sich um. »Mutter! Was machst du denn hier?« Catalina freute sich und umarmte ihre Mutter Juanita. Sie sah schön aus, viel schöner als Catalina sie in Erinnerung hatte. Da-


mals, als sie ihre Mutter zum letzten Mal gesehen hatte, war sie bereits vom Alkohol gezeichnet gewesen. Sie hatte mit ihren vierunddreißig Jahren wie eine alte Frau ausgesehen, bereits in den Morgenstunden Schnaps getrunken und etliche Flaschen Bier und Wein auf den Tag verteilt, sodass sie spätestens am frühen Abend vor dem Fernsehgerät im Wohnzimmer eingeschlafen war. Sie hatte täglich zwei Schachteln Zigaretten geraucht und damit die ganze Wohnung verpestet. All das vergegenwärtigte sich Catalina von einer Sekunde auf die andere und konnte gar nicht glauben, dass jene Frau, die vor ihr stand, tatsächlich ihre Mutter war. »Warum siehst du so anders aus?«, fragte Catalina und ihre Mutter antwortete im selben Atemzug: »Weil ich hier so aussehen kann, wie ich möchte; vor allem aber weil ich nie mehr so sein will wie früher. Es tut mir aufrichtig leid, was ich euch damals angetan habe. Doch jetzt geht es mir wieder richtig gut!« Juanita umarmte ihre Tochter und wollte sie gar nicht mehr loslassen. Erst als von der untersten Stufe der Felsformation eine männliche Stimme ertönte, ließ sie von Catalina ab. Catalina blickte nach unten und sah dort ihren Vater stehen. Sie hatte doch gewusst, dass sie diese Stimme kannte. Neben ihm standen seine zweite Frau Francesca, Catalinas kleine Halbschwester Anna, und Raul, ihr Bruder. Die Freude stand Catalina ins Gesicht geschrieben. »Solch einen schönen Traum hatte ich ja noch nie«, dachte sie bei sich, nahm ihre Mutter bei der Hand und ging mit ihr zurück zu den anderen an den Strand. Dort angekommen umarmte sie der Reihe nach ihren Vater, Francesca und natürlich ihre Geschwister. »Was macht ihr denn hier in meinem Traum?« Catalinas Vater sah seine Tochter verwirrt und fragend zugleich an. »Wie meinst du das? Was für einen Traum?« »Na diesen. Du bist da, Mutter ist auch da. Ihr alle seid doch hier, nicht wahr? Ich verstehe nur nicht, warum ihr alle auf einmal da seid, wo ich doch nicht einmal an euch gedacht habe! Außerdem seht ihr so verändert aus. Glücklich irgendwie. Ich verstehe das nicht.«


Catalina verzweifelte. Irgendetwas schien an diesem Ort tatsächlich anders zu funktionieren; doch so schön es auch war, langsam wünschte sie sich, aus diesem Traum endlich wieder aufzuwachen, um die noch verbleibende Zeit mit ihrer eigenen Tochter verbringen zu können. Die Brise, die vom Meer aus an den Strand wehte, brachte Catalina etwas aus ihrem Konzept. Sie dachte darüber nach, was gerade eben passiert war. Sie blickte zu Boden, konnte jedoch keine Fußabdrücke entdecken. Die Umarmungen oder das Schulterklopfen ihrer Mutter wiederum spürte sie. Das Wasser, in welches sie zuvor eingetaucht war, hatte sie hingegen nicht gefühlt und auch den Felsen nicht, den sie leichtfüßig bestiegen hatte. Den Wind aber konnte sie spüren. Er hätte sie mit einer einzigen Böe, die überraschend stark war, beinahe umgeworfen, wäre nicht plötzlich von hinten jemand angeschlichen gekommen und hätte sie aufgefangen. Catalina fiel rücklings in die Arme eines Mannes und spürte noch bevor sie sich umdrehen konnte, die Liebe, die sie umgarnte. Nur ein Mann hatte ihr bisher solch ein Gefühl gegeben und nur bei diesem einen hatte sie sich wirklich sicher und geborgen gefühlt. Sie strich über die kräftigen Unterarme und seufzte: »Was für ein schöner Traum! Ich wünschte, er würde nie enden!« Oliver half Catalina, sich aufzurichten und ihr Gleichgewicht wieder zu finden. Als sich die beiden gegenüberstanden und ansahen, lächelten sie und küssten sich als wäre kein Tag seit ihrer Trennung vergangen. Ich befand mich in einem langen, nur schwach beleuchteten Gang, den ich entlang schwebte, bis ich an einer weißen, wenig einladenden Türe zum Stillstand kam. Als sich diese dann ohne mein Zutun öffnete, stand ich plötzlich in einem Krankenzimmer. Auf dem Bett lag eine Frau, deren Hülle nur mehr schwache Lebenszeichen ausstrahlte. Rechts neben ihr hielt ein Mädchen ihre Hand, vermutlich ihre Tochter. Wie von einer fremden Kraft geleitet bewegte ich mich auf das Mädchen zu und legte meine Hand auf ihre Schulter. Sogleich war der Raum von einem gleißend hellen, liebevollen Licht erfüllt, das mich tief in meinem Innersten berührte.



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