Kommunikaze 4: Kickern! Faszination Tischfußball

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n o i t a n Faszi l l a b ß u f Tisch

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! N R E KICK

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AU S GA B E 4

MAI 2003

A B GA B E KOST EN LOS

facts & fiction


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das Café mit dem Spitz en Ambiente der Tag im Balthasar... Frühstück ab 3,50 Euro Mo-Sa, 9h-15h So und Feiertage 10h-17h

Studentenrabatt Studenten erhalten bei uns eine Ermäßigung von

20%

auf alle Speisen!

täglich wechselnde Mittagsgerichte und jede Woche neu unsere Wochenkarte. Alle Gerichte inklusive einem Softdrink. Kuchen, dazu den fantastischen Milchkaffee im Glas genießen!

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abends im Balthasar... Mittwoch... Happy Hour von Cocktails Longdrinks Bier 0,3l

19-23h 3,30 Euro 1,90 Euro 1,50 Euro

Donnerstag... Wein und Olive 3,50 Euro Glas Wein 0,2l, dazu Oliven und Baguette

Freitag... Margarita Strawberry Peach Classic Samstag... Caipirinha Caipirowska

2,99 Euro

2,99 Euro 2,99 Euro


Im Zeichen des Sports...

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S EDITORIAL

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teht die aktuelle Ausgabe der Kommunikaze: Den Anfang macht unser Titelartikel über eine der populärsten Sportarten an der Uni die Rede ist natürlich vom Kickern vulgo Tischfußballspiel: Ein Beitrag nicht nur für Helden des Kickertisches! Weiter geht es mit dem Update zum Berlin-Marathon, bei dem Team Kommunikaze allen Unkenrufen zum Trotze definitiv an den Start gehen wird. Wir nehmen hiermit die Berichterstattung wieder auf und bleiben knallhart und investigativ dran! Aber auch abseits von der Welt des Leistungssports gibt es wieder zahlreiche Beitrage über alltägliche Triumphe und Tragödien zu verdanken haben wir diese Materialflut dem Umstand, dass sich nach jeder Ausgabe in ungebrochenem Ausmaß neue Interessenten bei uns melden und uns mit frischem Material quasi überschütten. Stellvertretend für die vielen neuen Mitarbeiter möchten wir ganz besonders ein neues Gesicht im Team willkommen heißen: Jörg Maschine Arensmann, aufmerksamen Kommunikaze-Lesern wohl noch als eiskalter Bingozocker aus der letzten Ausgabe bekannt, wird von nun an von Zeit zu Zeit seinen Pflichten als offizieller Redaktionspraktikant der Kommunikaze nachkommen: Auf gute Zusammenarbeit! Zum Schluss noch ein Hinweis in eigener Sache: Wenn Ihr dies lest, stehen die Chancen nicht allzu schlecht, dass unter der Adresse www.kommunikaze.org unser offizieller Onlineauftritt schon zu Eurer Verfügung steht: Kommunikaze Online lädt zum hemmungslosen Herumstöbern in bisher publizierten Texten ein, stellt Euch unsere Redaktion näher vor und bietet Euch falls Ihr unsere bisher erschienenen und natürlich schon längst vergriffenen Ausgaben verpasst habt die Möglichkeit, Euer Versäumnis durch Download der entsprechenden PDFs blitzschnell ungeschehen zu machen. Also:Vorbeisurfen lohnt sich! Ansonsten wünschen wir - wie immer - spannende Lektüre und verbleiben bis nächsten Monat, Euer Kommunikaze-Team


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TITEL

KICKERN! Faszination Tischfußball Seite 5 Kickern ist sexy, weil... Seite 8

F ACTS

Le Malpensant III Seite 9 Berlin 2003 Seite 11 American s Beauty Seite 12 Bahnhof der Konjunktive Seite 14

Zeitschrift für Facts & Fiction

Wider das Vergessen!

Autoren:

Auflage: Realisation:

Seite 16 Seite 17 Seite 18 Seite 20

Marcel Kawentel Andreas Herzog Anna Groß Maschine 400 Exemplare Ruck-Zuck-Druck

Die mit Namen gekennzeichneten Beiträge geben nicht zwingend die Meinung der gesamten Redaktion wieder. Für den Fall, dass in diesem Heft verantwortlich fürunzutreffende Informationen publiFinanzen: Jan Paulin ziert werden, kommt Haftung nur Layout/Satz: Stefan Berendes bei grober Fahrlässigkeit in BeFotos: Darren Grundorf Online-Auftritt: Knud gentschen Felde tracht.

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FICTION Nachricht Schreibmaschine Von Tropfen und Menschen Liebe Freunde

Redaktion:

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Jan Paulin JP (ViSdP) Stefan Berendes SB Darren Grundorf DG Ines Bethge IB Sven Kosack SK Katharina Kunze KK Sonja Möller SOM Michael Weiner MW Nicolai von Ondarza NVO

EvENTS


fußb Faszination Tisch

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KICKERN!

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Wohl kaum ein anderer Sport erhitzt das studentische Gemüt so sehr wie das Tischfußballspiel: Kickern, das heißt laue Sommerabende und schweißtreibender Hochleistungssport. Äußerste Disziplin und die große Freiheit zugleich. Wer von uns verspürt nicht, wann immer er in der Mensa die ekstatischen Rufe der Kickerspieler durch das Foyer driften hört, tief in sich den Ruf der Wildnis? Ein Grund für die Kommunikaze, dem Phänomen Tischfußball einmal den angemessenen Platz zu widmen. Viel Spaß!

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denden Elfmeter in die Wolken: Die CSSR wird Europameuster, Fassungslosigkeit bei den deutschen Fans.

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inmal, es war in der Mensa, da standen wir am Tischfußballtisch, und es war gar nicht so wie sonst. Also, man muss sagen, dass irgend einer, bevor wir Tischfußball spielen, immer schreit: Zu Null ist ne Kiste! . Meistens ist das Michael, der so etwas schreit. Zu Null ist also eine Kiste. Soll heißen: Wir stehen immer zu viert am Tischfussballtisch und spielen zwei gegen zwei. Zwei auf jeder Seite, einer hinten, einer vorne, und es gibt elf Bälle. Gelingt es also einer Mannschaft, alle elf Bälle in das generische Tor zu schießen, hat diese nicht nur das Spiel, sondern auch noch eine Kiste gewonnen. Keine Kiste Wasser oder Fanta, sondern eine Kiste Bier. Immer wenn Michael und ich dort spielen, geht es nur darum, 11:0 zu gewinnen. Nicht nur wegen der Kiste, sondern auch, weil es so schwierig ist. Das Grün der Tischfußballtische in der Mensa ist so schnell, die Stangen lassen sich so leicht bewegen, und der kleine rote Ball erreicht Geschwindigkeiten...Junge, Junge. Da möchte man nicht an einer dieser Stangen befestigt sein.Wenn ich an einer dieser Stangen befestigt Traumatischer Moment: Uli Hoeneß jagt 1976 im wäre, dann wäre ich am liebsten der Spiel Deutschland gegen die CSSR den entschei- rechte Verteidiger in der blauen


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Mannschaft des Tisches, wo dem roten Spieler im rechten Mittelfeld der Kopf fehlt. Zum einen weil ich es lustig fände, dass in der gegnerischen Mannschaft einer ohne Kopf spielt, zum anderen weil ich als der rechte Verteidiger die schönsten Tore erziele. Ich lass mir vom linken Verteidiger die Kugel zuspielen, lege sie ein wenig nach links und haue dann dermaßen einen dahinter, dass sie im gegnerischen Gehäuse einschlägt, noch bevor einer der 21 Spieler dazwischen sich irgendwie bewegen oder so etwas wie: Nicht schießen rufen könnte. Wer hat eigentlich dem Mann im rechten Mittelfeld den Kopf abgeschossen? Oder ist der Kopf einfach so abgefallen? Und wo ist der Kopf hin. Hat Auch doof: Auf diesem Bild sieht ihn der Mann aus dem halbrechten Mittelfeld zum man, wie ein anderer Spieler als Uli 12:0 in den Winkel gedonnert? Man weiß es nicht. Hoeneß den Ball am Tor vorbeiAber, wie gesagt, an diesem Tag war alles gar nicht schießt. so wie sonst. Michael und ich spielten schon seit fünf Monaten zusammen, ich hinten und er vorne.Wir hatten schon herbe Niederlagen eingesteckt, ohne jedoch zu Null zu verlieren. Aber wir hatten auch große Siege gefeiert. Einmal haben wir aus einem 0:5 noch ein 6:5 gemacht, doch zu Null hatte wir noch nie gewonnen. Wie auch? Einen Fehler macht man immer, oder der Ball klatscht an die Bande, wird abgefälscht, und ich kriege den Torwart nicht mehr schnell genug in die Ecke, und das Gegentor ist da. Wir hatten schon einmal 9:0 geführt, und genau dann war das eben beschrieben Szenario eingetreten, und das gegen zwei Studenten, die spielten wie nichts Gutes und auch so aussahen. Aber nicht an diesem Tag, am 9. Januar 2003. Wir waren durch mich 1:0 in Führung gegangen und Michael hatte den zweiten Treffer hinterhergelegt. Normalerweise folgt dem 1:0 immer der Ausgleich, und dann hat keiner mehr Lust, weil die Kiste ja weg und sowieso alles Scheiße ist. Unsere Gegner an diesem Donnerstag, Jan und Kolja, hatten nun mittlerweile schon den dritten und vierten Gegentreffer durch Michael hinnehmen müssen, es ver- Triumph: 1996 bügelt Oliver Bierhoff im Wembley sprach ein schneller Sieg zu werden, Stadium die historische Schlappe aus: Das erlösen-

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de Golden Goal erbringt den Entstand von 2:1 gegen Tschechien. Der Europapokal ist zurückerobert!


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und ich konnte nebenbei sogar einen Schluck Kaffee trinken. Ich machte dann die Treffer zum 5:0 und 6:0, wir hatten gewonnen und Michael scherzte, welches Bier wir nehmen sollten. Kolja spielte vorne, und ihm war derweil der Schweiß auf die Stirn getreten, und Jan döste so vor sich hin, weil Jan immer erst kurz vor Schluss merkt, dass seine Mannschaft noch kein Tor erzielt hat und dann so was sagt wie: Haben wir noch kein Tor erzielt? , und wir dann so etwas sagen wie: Nein , und Jan dann doch noch der Schweiß auf die Stirn tritt. Das 7:0, Michael, das 8:0, ich, und auf einmal wussten wir, da geht doch was. Drei Tore noch, und plötzlich trafen Kolja und Jan nicht schlecht, doch der Torwart holte alles aus den Ecken. Michael erhöhte auf 9:0, nachdem er den Ball mit dem linken Stürmer auf den Mittelstürmer gelegt und die rote Flitzekugel in das Tor gehämmert hatte und dann machte Michael das 10:0. Da war sie. Da war zum ersten Mal die Chance, den Mythos zu brechen und das Unmögliche möglich zu machen und so. Ein Tor noch. Und der Nervenkitzel pur: Wenn in der Mensa Tischfußball Ball rollt über das Grün, und alle schießen, und es dauert ewig, und Kolja trifft gespielt wird, dann geht es bisweilen hoch her! den Innenpfosten, kein Witz, der Ball springt an den Innenpfosten, ich fange ihn mit dem Torwart ein und schlage ihn wieder nach vorne, und Michael macht ihn nicht rein, und die Kugel schlägt an die Banden und an die Spieler und dann ist sie wieder da und rollt zum rechten Verteidiger, zu meinem rechten Verteidiger hinüber, und ich erwische ihn nicht richtig und schieße voll scheiße, so dass ich Michaels rechten Stürmer treffe und der Ball über die rechte Ecke, aus spitzem Winkel, wie in Zeitlupe auf das gegnerische Tor zurollt, und keiner eingreifen kann, weil keiner an den Ball kommt, und es ist totenstill am Tisch, und alle halten die Luft an, ich habe einen Puls von 250, Michael ist wie erstarrt, Kolja tropft eine Schweißperle von der Nasenspitze, und Jan fragt so etwas wie: Haben wir noch kein Tor erzielt? , und ich sage noch schnell: Nein , und dann ist die Kugel fast schon am Tor vorbeigerollt, als sie doch noch hineinfällt. Es ist aus, Michael und ich schreien vor Freude los und fallen uns in die Arme. Es ist vollbracht, welch ein Triumph, welch ein Sieg, welch ein Tag! Ja, so war das. Wir sprechen noch heute Kolja und Jan ständig darauf an. Hauptsächlich, weil wir die Kiste noch nicht bekommen haben. Doch die Tage des Ruhm sind vergangen, der Glanz des Sieges ist

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längst verblasst. Vor zwei Wochen haben wir gegen Mike und Bodo gespielt und 0:11 verloren. Was ganz gut war, war, dass Michael nicht Zu Null ist ne Kiste! geschrieen hatte, und das Mike und Bodo diese Regel wohl auch nicht kannten und es ja eh nur ein Tischfußballspiel war und nicht mehr. DG

So, nun habt Ihr also die nervenaufreibende Spannung eines Tischfußballmatches aus erster Hand erfahren sowie einigen nervenzerfetzenden Szenen aus der Vergangenheit im Bild beiwohnen dürfen, aber da endet unsere journalistische Verantwortung natürlich noch längst nicht: Kommunikaze bleibt dran und fragt einige verdiente Kickerveteranen:

KICKERN

ist sex y, weil...

n Ich finde Kicker da an m l se xy, wei r 11mal Spaß für nu t. m m ko be 50 Cent

n Henning Mommse

n Ich finde Kicker er sexy, weil ich imm gewinne!

sexy, weil Ich finde Kickern ICH so geil bin

Tja, ob Ihr nun schon seit langem die Tischfußballplätze in der Mensa oder in Osnabrücks Kneipen oder wo auch immer unsicher macht oder erst jetzt auf den Geschmack gekommen seid: Warum findet Ihr Kickern sexy? Die besten Gründe (am besten mit Namen und Bild) veröffentlichen wir auf unserer Homepage!

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Timon Oberheide

Rainer Düsing s die Anre( dem wir übrigen Ti te lth em a gu ng zu di es em verdanken zu st überhaupt er !) lot a ks haben - Than


FACTS

Le Malpensant geht auf die EW-Party

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ittwochs, halb zehn in Deutschland. Einfach mal abschalten. Da trifft man gute Freunde und neue Menschen. Zeit für ein Bierstückchen. Zeit für ein Ploppers. So oder so ähnlich echot mir der salbadernde Werbetext eines viel zu krümeligen Schokoriegels durch den Hinterkopf, als sich die Sonne mit Grausen vor so viel fröhlichen Menschen in Osnabrück (Wow, 87% zufriedener Bürger! Das Land des Lächelns liegt in Osna!) hinter den Horizont verkriecht. Ich bin einer der unzufriedenen Bürger. So unzufrieden, dass ich für 13% ausreiche. Denn ich bin der Malpensant, und ich hasse das Leben. Ich beschließe also, mich ins Gewühl zu stürzen. Ich mache mich kurz zurecht, entscheide mich schweren Herzens gegen das todschicke Uni-Osnabrück-Joggingoutfit, das ich günstig im Semesterschlussverkauf erstanden habe, und für Jeans und T-Shirt, trinke ein Bierchen zum Vorglühen und mache mich auf den Weg. 21:30: Das EW-Gebäude! Welch ein Palast! Majestätisch erhebt es sich wie ein Kackekringel mit breiter Basis und spitzem Zulauf auf der Schloßgartenwiese. Selbst mit der farblichen Gestaltung hat der frustrierte Architekt nicht gegeizt und sich für ein dezentes Zuviel-Kaffee-im-StuhlBraun entschieden. Entzückend. Ob heute Abend wohl auch zugehöriger Geruch das Haus erfüllen wird? Ich atme also lieber noch mal tief durch, schließe die Augen und trete durch die Hightech-Schiebetür, die durch ewiges Aufgehen im Winter für spontane Erfrierungen im Eingangsbereich sorgt. Musik wabert mir entgegen. Doch irgend etwas fehlt. Die Menschenmassen! Also, die fehlen mir jetzt nicht wirklich, aber irgendwie macht sich eine Party so ganz ohne Menschen dann doch ein wenig doof. Ich tigere also zur Biertheke und erfahre dort, dass es eigentlich immer erst nach elf so richtig los geht und es erst Mitternacht voll wird. So nicke ich denn dem einsamen Luftgitarrespieler auf der Tanzfläche zu und gehe. Missmutig setze ich mich auf die nächste Straßenkreuzung und erkläre den Polizisten, daß ich ein Ründchen gegen den Irakkrieg und den Walfang demonstriere. 23:45: Das EW-Gebäude! Welch... Ach so, das hatte ich ja schon. Ich dränge mich also vorbei an Ernas Pizzarollcontainer und einigen Studenten, die überall grundlos herumstehen und sitzen. Vermutlich Demos gegen das Waldsterben. Mitten durch und hinein. In Innenraum empfangen mich


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laute Musik, verqualmte Luft und eine Menschenmasse von Allerweltsstudentengesocks. Ich kämpfe mich zur Biertheke durch und will mir erst einmal das Elend schönsaufen. Dumm nur, dass heute wieder irgendeine ideologisch fanatisierte Gruppierung dir Party schmeißt, und es deswegen nur ökologisch einwandfreies Ökobier gibt. Schmeckt wie vergorene Birkenstocklatschen. Naja, der Zweck heiligt die Mittel, und ich leere trotzdem tapfer die Flasche. Um mich herum drängeln Horden von biersüchtigen Proleten zur Theke und verlangen schreiend nach mehr Stoff. Wie sie mir zuwider sind! Einer blubbert mich an: Ey, sag mal, kannst Du mir ein Bier mitbringen? Ich schaue ihn an. Du mieses Stück Scheiße, laber mich noch einmal an, und Du findest Dich in der Mülltonne wieder. Aber in vier verschiedenen! Eingeschüchtert blubbert er den nächsten an. Ich trotte zur Tanzfläche hin, wo sich einige in der olympischen Disziplin des Hoch-und-Weit-Pogens versuchen. Ich lächele den Irren mitleidig zu und grinse sogar, als ich sehe, wie ein schmächtiges Mädchen von einem Kleiderschranktypen angepogt wird und taumelnd gegen einen Gaffer am Rande fällt. Bei dem Gaffer handelt es sich um einen dieser widerlichen Erstsemester, die einem immer die Schlange an der Mensa verlängern und die einfach mal krass jede Party mitnehmen, weil, so jung kommt man nicht mehr zusammen, und man muss ja auch irgendwie studentische Kontakte knüpfen und so. Also Networking, weißt Du? . Ich gratuliere dann immer diesen Nasen, dass sie erfolgreich Englisch sprechen können. Der Erstsemesteraner grinst ein wenig unsicher, dass ihm schon auf der ersten EW-Party eine Frau in die Hände fällt- einige warten da Jahre drauf. Wie etwa dieser Dreißigjährige, der schon seit drei Backpfeifen Mädels angräbt mit dem immergleichen Mörderspruch Ich habe meine Telephonnummer vergessen. Kannst du mir mal deine geben? . 01:45Zwei Stunden später habe ich es geschafft. Ich bin natterbreit und ungefähr drei Zentimeter größer, was der Mischung aus Fluppenleichen und pappigen Bierpfützen unter meinen Sohlen geschuldet sein dürfte. Ich weiche dem pfandflaschensammelnden Obdachlosen aus, stolpere durch die Schiebetür ( Huiii , machen die Leute im Eingangsbereich), steige über einige herumsitzende Studenten (Diesmal bestimmt Weltfrieden), wanke durch den Schlosspark (wo hinter einem Busch gerade neue Mistblagen produziert werden) und nach Hause. Mir geht es superübel. Das Ökobier will raus. Obenrum. Ich beschließe, es noch ein wenig zu archivieren und es am nächsten Tag woanders rauszulassen. Wo? In der Unibibliothek. SK

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Projekt Berlin 2003 Marathon in zwanzig Wochen in Berlin - nicht ohne uns! Paulin und Grundorf laufen mit. Vielleicht.

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as schöne am Laufen, so sagen es die Leute, die regelmäßig laufen gehen, ist, dass es das Wohlbefinden steigert, dass man durch das Laufen Stress abbaut und sich entspannt und der ganze Kram. Ganz wichtig ist auch, dass man sich biologisch jung hält und ewig lebt und so. Die Rechnung ist ganz einfach und geht so: Das Herz schlägt ungefähr 75-mal pro Minute, also 40-millionenmal im Jahr. Wenn man aber regelmäßig läuft, geht der Ruhepuls auf ungefähr 55 Schläge pro Minute zurück. Also spart das Herz im Jahr rund 10 Millionen Schläge, und dann ist der Verschleiß nicht so groß, und man lebt länger. Das versuche ich mir immer einzureden, wenn ich mich auf den Marathon zu Berlin vorbereite. Noch 20 Wochen sind es bis dahin, und obwohl wir diesen Marathon eigentlich nur laufen wollten, damit wir für das Heft etwas haben, worüber wir berichten können, sind wir immer noch bemüht, am 28. September die 42,195 Kilometer durchzulaufen. Um nicht schon auf den ersten Metern auf den Berliner Straßen liegen zu bleiben, habe ich mir dieses Buch von Hubert Steffny und Ulrich Pramann gekauft, wo diese durchtrainierte Frau in dem roten Badeanzug drauf ist, die lachend an irgendeinem Strand entlang läuft und sich womöglich freut, weil sie gerade ihr Wohlbefinden steigert, und weil ihr Herz im Jahr 10 millionenmal weniger schlägt als das eines nichtlaufenden Menschen. Ich laufe fast nie im Badeanzug und auch nicht am Strand, sondern im Trainingsanzug und auf der Laufbahn in der Dodesheide. Vierzig Mal, so der Trainingsplan von Pramann und Steffny, muss ich zehn Wochen lang trainieren, um mich auf einen Marathon vorzubereiten. Trainingstage sind Dienstag, Donnerstag, Samstag und Sonntag, und ehrlich gesagt wüsste ich auch nicht, was ich sonst an einem Sonntag Nachmittag anderes tun sollte, als Strecken von 22, 25 oder 30 Kilometern zu Fuß zu laufen. Das große Problem hierbei sind die nichtvorhandenen Verpflegungsstationen. Freunde und Familie haben es abgelehnt mit dem Wagen hinterherzufahren und mir Getränke, Obst oder auch mal einen Kinderriegel zu reichen. Bleiben also die Laufbahnen. Zehn Kilometer auf der Laufbahn sind 25 Runden, und ungefähr ab der zweiten Runde wird es langweilig, und für den Tag, an dem ich 30 Kilometer laufen soll, muss ich mir wohl noch etwas anderes einfallen lassen. Aber das wird schon, und außerdem steigert sich ja dadurch auch mein Wohlbefinden, und ich bleibe ewig jung und werde bestimmt 104 und so, weil mein Herz nicht so oft schlägt wie sonst. DG


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ie Tür geht auf: Ka-pow! Für die Dauer eines Wimpernschlages frieren die Uhrzeiger ein. Nicht weil es so kalt wäre, sondern weil eine unglaublich schöne Frau den Raum betritt. Eine, die um ihre Wirkung weiß, der klar ist, warum alle sie anstarren, schließlich steckt sie seit schätzungsweise zwanzig Jahren schon in diesem Körper. Ich verstehe nicht, was dieses Geschwätz um reine, unschuldige Schönheit soll. Wer schön ist, lernt das doch von Kindesbeinen an. Selbst wenn man geistig gesunde Eltern hat, die einen nicht auf Miss Milupa -Wettbewerbe schleppen, wird man als ansehnlicher Spross gern auf Familienfeiern herumgereicht und begafft. Bescheidenheit zwecklos, Ihr Traumboys und Topmodels da draußen: es ist wissenschaftlich erwiesen, dass schönen Menschen grundsätzlich positiver begegnet wird. Warum auch nicht? Schließlich ist es doch eine ebenso gute menschliche Eigenschaft wie ein toller Charakter . Ich bewundere schöne Menschen. Sicher, man gewöhnt sich an die Blicke, irgendwann nerven sie einen vielleicht. Aber gut- und bestaussehende Weltstars, die beklagen, ihnen mache ihre Schönheit zu schaffen, finde ich bestenfalls kokett. Falls Sie jetzt denken, ich schreibe das alles aus der sicheren Distanz des physiognomischen Olymps weit gefehlt, ich stecke genauso knietief im täglichen Buhlen um die Aufmerksamkeit des anderen Geschlechts wie die meisten von Ihnen. Ich halte mich für keinen schönen Menschen. Schöngeistig vielleicht. Sie schreiben, werden Sie jetzt entgegnen, das finden auch viele Frauen attraktiv. Ja, aber. Selbstverständlich sieht man mir das nicht an (Ich könnte immer so ein Notizbuch bei mir führen, in dem ich dann ganz wichtig herumkritzle, aber dann würde ich wahrscheinlich eher wie ein freier Mitarbeiter einer Lokalzeitung aussehen, der notiert, wo es nichts zu notieren gibt.). Ergo müssen Frauen auch erst mal mit mir reden, um das herauszufinden. Und da haben es schöne Menschen nun einmal leichter. Ich will nicht jammern. Viele gäben was drum, etwas mehr Grips zu haben. Trotzdem wäre ich gern mal schön und dumm. Skrupellos die Triebgesteuertheit meiner Gegenüberin ausnutzen! Vielleicht gibt es ja irgendein indianisches Geistwanderungsritual, mit dem das möglich ist... Apropos Indianer: meine These ist ja, dass unser Schönheitsideal ein amerikanisches ist. Wenn man mal in die Geschichte zurückblickt, - was ich persönlich nur tue, wenn s unbedingt sein muss, wie zum Beispiel für eine wich-

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American s Beauty


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Studierende können sie online bestellen oder bei uns vor Ort aussuchen. Sie kosten nicht viel. Und das Beste: Sie können sie mit nach Hause nehmen.

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tige Textrecherche wie diese hier - so wird man feststellen, dass immer das als schön galt, was sich nur wenige leisten konnten. Jahrhunderte lang war Leibesfülle eine finanzielle Frage und darum chic. Folgerichtig ist in einer von Fast Food gebeutelten Gesellschaft derjenige schön, der sich Vollwertkost leisten kann und daher schlank ist (eine Logik, bei der sich einem Bewohner Eritreas die Haare sträuben müssen, so er noch welche hat...). Und jetzt die Neun Live-Frage: Wo kommt Fast food her? A-m-e-r-i-k-a, richtig. Und weiter, ist dann nicht in Zeiten der transatlantischen Verwerfungen (oder so ähnlich) Dicksein ein politisches Statement gegen dieses Schönheitsideal und damit gegen sein Herkunftsland? Futtern gegen den Krieg. Eisbombe statt E-Bombe. Maoam statt Moab. Glauben sie mir, das wird der Trend der nächsten Wochen sein: Fettsucht wird p.c. Und wenn dann die ganzen Topmodels keiner mehr haben will, weil nicht salonfähig, dann gibt es ja immer noch mich, den Retter der Ausgestoßenen, der ihnen gerne zuhören wird. Marcel Kawentel

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Bahnhof der Konjunktive Folge 3:

Saturday Night/Discothèque

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amstagabend kaum ein anderer Zeitpunkt in der Woche steckt so voller unausgesprochenem Zauber, so voller Magie und Verheißung ob diese nun schlussendlich eingelöst wird oder auch nicht. Wir sind hier, betreten mit schon angriffslustig wiegendem Schritt den Ort des Geschehens. Wir sehen gut aus dressed to kill, eben. Vielleicht haben wir schon etwas getrunken, um unserer Schwellenangst ledig zu sein, vielleicht halten wir uns auch für jene, die über solche Angstverdrängungsrituale nur herablassend lächeln können, aber jetzt sind wir hier und wollen Unterhaltung, wollen Musik, wollen Spaß. Nach dem Passieren der Garderobe folgt der unausweichliche Eingangscheck: Mein Gott, was hier wieder los ist/Mein Gott, was hier wieder nicht los ist/Das Publikum hier wird auch immer jünger/Das Publikum hier wird auch immer älter/Hier lassen sie ja auch wirklich jeden rein/Gut, dass sie mich heute reingelassen haben. Vielleicht steigt uns die Musik gleich in die Beine und zieht uns gleich einem Magneten direkt onto the dancefloor, vielleicht halten wir auch erst mal kurz inne und besorgen uns einen Drink weil sich nun am Ende doch Schwellenangst bemerkbar macht, oder weil sich nur Anfänger sofort ins Getümmel stürzen, wer weiß das schon wie auch immer: Kurz innehalten, einen Zug nehmen, zuschauen, nachdenken genießen. Und natürlich das Publikum in Augenschein nehmen: Wer ist da? Wer nicht? Wer mit wem? Oder auch nicht? Im Takt der Musik wippend erfassen wir das bunte und sich ewig bewegende Chaos als Ganzes, lassen es als Schlachtengemälde auf uns einwirken, trinken aus und drängeln uns dann mehr oder minder munter dazwischen. Bewegen uns (hoffentlich immer noch im Tanz) in mehr oder minder nach dem Zufallsprinzip aneinandergereihten Bewegungsfolgen, ich kannte da doch noch diesen Tanzschritt/ als nächstes vielleicht diese Geste/das könnte jetzt gut aussehen/Mist, die Drehung war dann doch zuviel des Guten. Es gibt viele Variable, aber auch einige Konstanten: Das Discofox-Pärchen, das mit scheinbar anstrengungsloser Leichtigkeit und wohl doch mühsam


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antrainiertem Tanzschulenschneid durch die Menge pflügt, bald nach hier, bald nach da ausschlagend, gleich einer Rinderstampede schmerzhafte Tritte und Kollisionstreffer verteilend. Die kreisförmig tanzende Damenriege, die jeden Versuch, in ihre Phalanx einzudringen (und sei es auch nur, um den rettenden Rückzug auf die Herrentoilette anzutreten), mit herablassendem Minenspiel und höhnischem Gelächter kommentiert. Das holzfellerhemdgewandete Herrenteam, stupide und immer einen halben Schlag hinter dem Takt. Sie alle tanzen denselben Tanz auf dem Vulkan, versuchen, gleichzeitig unglaublich gut unterhalten und völlig gleichgültig auszusehen: Sie alle amüsieren sich so unübertrefflich gut, hier und jetzt, und könnten sich doch überall anders mindestens ebenso gut amüsieren, und ihre Anwesenheit hier ist wirklich reiner Zufall, und das mühsam zurechtgedengelte Styling gibt es so auch an den 364 anderen Tagen im Jahr zu sehen, großes Indianerehrenwort! So tanzen sie vor sich hin, die Beine unendlich weit gespreizt in diesem unmöglichen Spagat zwischen Euphorie und Indifferenz, und unternehmen im Bass der Musik, der zum Puls der Menge wird, den unweigerlich zum Scheitern verurteilten Versuch, Selbstdarstellung und Selbstauslöschung auf einen kleinsten gemeinsamen Nenner zu bringen. Sie werden scheitern. Aber glücklicherweise verbleiben ja noch 364 andere Tage im Jahr, es wieder zu versuchen. Davon 51 Samstage. SB

Literatur Live:

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Donnerstag, 12.06.03, 20.00 Uhr: Helmut Krausser „UC“

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Donnerstag, 22.5.03, 20.00 Uhr: Yadé Kara „Selam Berlin“


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Nachricht

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ie waren schon viel umhergereist. Häufig zusammen und umso häufiger alleine. Sie kannten sich besser als sich selbst, und doch kannte der eine den anderen so gut wie gar nicht. Man hatte gemeinsam gelacht, zusammen gesungen, getrunken, geeifert und gestritten, und dennoch merkte jeder von ihnen, dass noch mehr zwischen ihnen war, als es dem anderen bewusst zu sein schien. Sensible Töne wurden getauscht, Fakten, und waren sie auch noch so hart, an die Köpfe geschmissen, Schultern gehalten und Tränen getrocknet. Von ihm? Oder von ihm? Es gab Abende, und die Stimmung war stärker gespannt als je ein Reißpapier hätte halten können, und dennoch wagten sich beide immer wieder auf diese Stimmung und tanzten, balzten, stritten und vergnügten sich. Der eine wollte Abschied nehmen, und der andere bleiben. Und wieder stiegen sie auf das Dach der Emotionen und schwiegen. Was war dem einen gesagt worden, was dem anderen noch nicht zu Ohr gekommen war. Was hatte sie beide so voneinander entfernt, und dennoch so eng aneinander geschweißt? Ihr Vater war seit langer Zeit umgezogen, der eine selbstständig, und der andere immer selbst, und das ständig. Stehen konnten sie beide. Gefallen war trotzdem der eine, der der wieder aufstand, oder war es der andere? Ihre Familie war sicherlich keine große, aber wahrscheinlich die größte, die man sich nicht vorstellen kann. Vater kümmerte sich um alle, um einen jeden, und er half aufzustehen, er half ständig; merkten es beide, die sich ab und an im Stich gelassen fühlten, oder war es nur der eine, der das fühlte, und trotzdem wusste das es nicht so war, oder der andere, der selbstständig ständig stand, aber auch merkte, dass er nun an seinem Weg angekommen war? Ihr Vater war immer im Gedanken bei ihnen, dass wussten sie. Beide. Doch die beiden Brüder, waren zu unterschiedlich, als das sie mit sich, zu Recht, zu recht kamen. Zurechtgewiesen fühlte sich der eine, missverstanden der andere, oder doch umgekehrt? Oder bei beiden beides? Wie dem auch sei, konnte man denken hören, und dennoch veränderte sich nichts, aber doch so vieles, oder waren sie es, die änderten, oder änderte sich alles andere aber sie nicht, oder änderte das alles an allem gar nichts? Es ändert nichts, meinte man. Oder meint? Gemeint? Oder vereint? Einig zumindest darin, dass Vereinigung ein Schluss der Dinge ist, oder sein kann; und wieder war man uneinig, oder einigte man sich zumindest in der Uneinigkeit? Der Einzige und der Artige kamen wieder nicht auf einen Nenner. Wieso denn auch nur einen, fragte sich der eine, wieso denn nicht zwei, der andere,


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wieso denn Nenner, und der andere, wieso denn benennen. Nennen wir es einfach so, mochte man annehmen, doch ohne Kommentar ging hier gar nichts. Das kam von Wolle. Wolle, sich der andere mal bemühen, dachte der eine, der andere wollte, was wollen ist, wollte der eine, also der andere, mit Wohlwollen. Dann wollen wir wohl, aber was will der eine und was der andere, eigentlich stand das so gut wie gar nicht zur Debatte, dennoch rissen alle Stricke, und man hing sich daran auf. Das sagte mal ein kluger Mann, sagte man. Oder Mann? Man müsste das wohl durchdenken, meinten beide, und beide saßen noch einige Zeit da, redeten, rauchten, rochen und dachten. Achten sollten sie sich, vor sich und ihrem Vater, denn der achtete auf sie. Andreas Herzog

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ch ine s a m b e r i h Sc

Ab 18 Uhr

Unser neuer Redaktionspraktikant Jörg Maschine Arensmann verdient sich seine ersten literarischen Sporen bei der Kommunikaze! Lest selbst

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eulich, wir saßen wieder einmal auf der Treppe im Schlossgarten, kam die Frage auf: Warum sehen all die Studenten immer diese Vorabendserien? Also diese Serien mit den schlechten Schauspielern, der miserablen Aufnahmetechnik, und alles im Studio gedreht. Dann fuhr ein Mann im blauen Arbeitskittel durch den Schlosspark, und die Frage wurde spontan beantwortet. Es war ein Klempner, ein vermeintlicher, aus Marienhof! Vielleicht reizt die Studenten dieses unbekannte arbeitende Wesen. Sie wollen es kennen lernen, sie wollen mehr über es erfahren. Wenn dies im täglichen Leben doch ziemlich unmöglich erscheint, so ergreifen sie gierig die Gelegenheit, welche die Vorabendserien ihnen bieten. Nun ja, in diesen Serien gibt es auch andere Themen. Man kann wünschen, sie sind nicht ähnlich unbekannt. Aber diese Serie aus Berlin mit den eingespielten Trickfilmsequenzen sehen wir doch alle gerne: Die ist auch besser gemacht als die anderen. Maschine


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ie Sonne zieht sie an. Vom Meer, aus Flüssen, von Wiesen und Wäldern sind sie aufgestiegen um sich dem Wind anzuvertrauen. Zuerst sind sie kaum sichtbar, doch dann werden sie immer mehr. Hoch und schwarz türmen sie sich auf, bedecken den ganzen Himmel. Manchmal fallen sie sanft, spülen den Staub von den Dächern, klopfen auf Autodächer und tränken die Frühlingserde. Manchmal halten sie die Stadt in ihrem kalten Griff gefangen. Langsam ziehen dann die Schwaden durch die Straßen, und man sieht kaum die andere Straßenseite, wenn man aus dem Fenster blickt. Es gibt aber auch Tage, da peitscht sie der Sturm durch die Bäume, über die Plätze und lässt sie gegen Fensterscheiben trommeln. An einem solchen Abend war ich unterwegs. Noch strahlte die Abendsonne von einem wolkenarmen Himmel und tauchte die Häuser in ein ruhiges Licht. Die Wände waren noch warm, wenn ich sie mit der Hand berührte. Wie immer ging ich an dem kleinen Bach entlang, der, von einigen hohen Bäumen beschattet, an der Straße entlang floss. An einer Bank blieb ich stehen um mir eine Zigarette anzuzünden und dem Bach beim Fließen zuzusehen. Als ich saß, hörte ich es hinter mir rascheln, und aus dem Gebüsch kam ein junger aber schon ziemlich großer Hund auf mich zu. Sein Fell war dicht und lang. Braun war es, mit weißen und schwarzen Flecken. Ich blickte den Weg entlang und entdeckte die Person, zu der er gehören musste. Sie war nicht weit entfernt und hatte eine Leine in der Hand, was ich beruhigend fand, denn bei Hunden weiß man ja schließlich nie, ob sie nur spielen wollen oder ob sie nicht vielleicht etwas ganz anderes im Schilde führen. Dieser hier wollte nicht spielen. Es genügte ihm für den Moment, sich vor mir hinzusetzen und sich gegen meine Beine zu lehnen. Er war recht schwer, und ich muss einen etwas verkrampften Eindruck gemacht haben, als seine Besitzerin herankam. Sie war einen Kopf kleiner als ich, trug ihre Haare weder kurz noch lang. Auf ihren Wangen waren leichte Andeutungen von Sommersprossen zu sehen, und ihre Augen funkelten mich lustig an. Sie bat mich um eine Zigarette, und als sie sich zu mir gesetzt hatte, stellte sie mir ihren Begleiter vor. Er hieß Ben, war erst wenige Monate alt, und nach ihrer Aussage schätzte er mich sehr. Er lag jetzt ausgestreckt vor ihr, mit dem Kopf allerdings auf meinen Füßen.


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FICTION

Wir unterhielten uns nicht und schauten beide etwas verlegen in den Himmel, wo die Sonne rasch hinter dunklen Wolken zu verschwinden begann. Die vereinzelten Autos, die vorüberfuhren, hatten das Licht eingeschaltet, und in den Zimmern wurden die Lampen angeknipst. Ein Wind hatte sich erhoben, der garantiert immer von hinten das T-Shirt hochfährt und einen kalten Schauer hinterlässt. Beim ersten Donnergrollen hob Ben den Kopf, ließ ihn aber samt der Schlappohren auf meine Füße sinken und begann, auf dem Saum meines linken Hosenbeins zu kauen. Dann fielen erst wenige, binnen Sekunden immer mehr Tropfen. Der Wind war zum Sturm geworden und Peitschte den Regen in unsere Gesichter. Es blitzte und lange rollte der Donner durch die Straßen. Ben hatte sich aufgesetzt um sich hinterm Ohr zu kratzen. Wasser troff von seiner Schnauze auf meine Oberschenkel. Ich kraulte ich ihn hinter den Ohren, denn ich hatte Angst vor Gewitter und wusste nicht, wohin mit meinen Händen. So schnell, wie der Spuk gekommen war, war er auch wieder abgezogen. Die Tropfen, die jetzt noch fielen, kamen von den Bäumen, die Abenddämmerung zeigte einen aufgeräumten Himmel, und im Osten hörte man noch leises Grummeln und sah Wetterleuchten. Wir sind wie die Regentropfen. , sagte sie in die Stille der Hintergrundgeräusche hinein. Wir steigen in die Höhe, werden hierhin oder dorthin getragen und fallen wieder herunter. Mal sanft, mal mit Wucht, mal ziehen wir durch die Straßen und bleiben irgendwo hängen. Wir wissen nicht, wann und wohin wir gelangen, denn es liegt nicht an uns. Wir Menschen sind wie Regentropfen. Dann sah sie mich an, wischte mir einen Tropfen von der Nase, stand auf und ging. Ben trottete neben ihr her; ich habe die beiden nie wiedergesehen. Aber als ich zu Hause war (nicht ohne auf dem Heimweg ein oder zwei Mal über ein zerkautes Hosenbein gestolpert zu sein) wusste ich, dass ich mir mal einen Hund anschaffen würde... MW

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FICTION

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Liebe Freunde

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iebe Freunde, Ihr müsst wissen, dass ich scheiße bin Nicht mal das Einfachste krieg ich hin! Ich wünschte so sehr, Ich wäre keine Struwwelpetra mehr Wäre so wie liebe, gute Menschen sind: Ordentlich Sauber Zufrieden und Glücklich Doch ich bin scheiße Liebe Freunde, wisst Ihr Ich wäre so gern in dem Stadium Wie Struwwelpetra nach ihren Martyrium Aufgeräumte Schubladen Ein maßvolles Essverhalten Nicht mehr klauen Keine Schwächeren hauen

Dann trink ich zuviel Bier Und rede nur von mir Als genüge das nicht schon Weiß ich alles besser und vergreife mich im Ton Ach, Ihr tut mir leid ! Immer Platze ich fast vor Neid Gönne euch nichts GutesLiebe Freunde, Ihr sollt wissen: Dass ich scheiße bin Ist für mich selbst besonders schlimm.

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Durch freundliche Konversation Verträte ich meine Position Lieb und Hübsch, wenn ich wäre! Voller Inspiration und Engagement Doch statt charismatisch Bin ich nur phlegmatisch Quäle meine Mitmenschen durch emotionale Erpressung Bin in schrecklicher Verfassung

Anna Groß


Lebendiger Erfahrungsaustausch: Jörg Ehrnsberger mit Teilnehmerinnen des Seminars

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EvENT

ie NS-Zeit existiert irgendwo in den Schulbüchern, zwischen den Buchdeckeln wissenschaftlicher Arbeiten in der Bibliothek, und läuft nicht auch im Fernsehen hin und wieder irgendetwas mit Adolf Hitler? Das kennen wir doch alles schon. Der Führer, das Dritte Reich, die Juden, der Krieg, die Bomben. Ist das nicht alles schon uralt, verstaubt und vergessen? Jörg Ehrnsberger und Johannes Heger, Seminarleiter der AStA-Schreibwerkstatt Wider das Vergessen , haben noch nicht vergessen. Doch sie haben die Bücher in der Bibliothek gelassen und sich auf eine andere Art und Weise den Themen Nationalsozialismus, Rassismus und Intoleranz genähert: Vom 11. bis zum 13.April führten Ehrnsberger und Heger mit Ramona Schröder, Dorothee Räber und Sonja Kolb Studentinnen der Universität Osnabrück und mit Maria Semnet, Uwe Großecossmann, Anne Rößler Zeitzeugen der NS-Zeit zusammen. Für die Zeitzeugen bot sich so die Möglichkeit, das Erlebte, den Schrecken und die Angst ihrer Kindheit und Jugend, endlich einmal aufzuschreiben und durch den Austausch mit den Studentinnen die Gelegenheit, Rassismus-Erfahrungen einer anderen Generation wahrzunehmen. Für die jüngeren Seminarteilnehmerinnen wurde durch die Erzählungen der Zeitzeugen der Geschichte lebendig gemacht. Nicht verstaubt und nicht vergessen, denn noch gibt es Menschen, die den Nationalsozialismus miterlebt haben, und in deren Köpfen die Bilder des Dritten Reichs noch lebendig sind. Eine Lebendigkeit, die auch in den entstandenen Geschichten, die von den Zeitzeugen und den Studentinnen am 7. Mai in der Schlossaula vorgestellt wurden, spürbar ist und die zeigt, dass wir noch nicht vergessen haben und dass wir noch immer wach und aufmerksam sind, um einem Erstarken von Neonazismus, Rassismus und Intoleranz keinen Spielraum zu bieten. Alle entstandenen Geschichten der Schreibwerkstatt Wider das Vergessen werden demnächst auf der Homepage des AStA (www.asta.uos.de) und auf der Homepage der Kommunikaze (www.kommunikaze.org) zu lesen sein. Wer an der nächsten Schreibwerkstatt Wider das Vergessen teilnehmen möchte, wendet sich bitte an Herrn Bösling von der VHS OS. Schreiberfahrungen sind nicht notwendig, Grundkenntnisse werden im Seminar vermittelt. DG

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Wider das Vergessen!

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K O M M U N I K A Z Etzt Seite e die le

Bilderserie:

Folge IV: Business as usual...

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I n t e r n a 0 I n t e r n a

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Dinge, die die Erde noch retten können (Folge 1V)

Weil wir diesen Monat sonst nichts Entscheidendes zu sagen ha-

ben, plaudern wir einfach noch ein bisschen aus dem Nähkästchen: Wo aber anfangen? Bei den ergebnislosen Diskussionen zum Thema Was kommt aufs Titelbild? , die Rainer mit dem Zwischenruf Macht doch mal irgendwas mit Kickern, Kickern ist immer gut! zu einem ausgesprochen konstruktiven Ende brachte (ein herzlicher Dank geht in diesem Zusammenhang übrigens auch an seinen Komilitonen Markus!)? Oder bei unserem Online-Crack Knud, der in mühevoller Kleinstarbeit die vom Kollegen Berendes zusammengeschwarterte Website vorschriftsmäßig zum Laufen brachte (Surft vorbei!)? Wir schließen einfach mal mit einem interessanten Foto von unserem Chefredakteur und sagen: bis nächsten Monat!


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