Kommunikaze 6: Nachtschattengewaechse

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JULI 2003

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ABGABE KOSTENLOS

WWW.KOMMUNIKAZE.ORG

facts & fiction

KOMMUNIKAZE

AUSGABE 6

KOMMUNIKAZE 1

Nachtschattengewaechse


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das Café mit dem Spitz en Ambiente der Tag im Balthasar... Frühstück ab 3,50 Euro Mo-Sa, 9h-15h So und Feiertage 10h-17h

Studentenrabatt Studenten erhalten bei uns eine Ermäßigung von

20%

auf alle Speisen!

täglich wechselnde Mittagsgerichte und jede Woche neu unsere Wochenkarte. Alle Gerichte inklusive einem Softdrink. Kuchen, dazu den fantastischen Milchkaffee im Glas genießen!

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abends im Balthasar... Mittwoch... Happy Hour von Cocktails Longdrinks Bier 0,3l

19-23h 3,30 Euro 1,90 Euro 1,50 Euro

Donnerstag... Wein und Olive 3,50 Euro Glas Wein 0,2l, dazu Oliven und Baguette

Freitag... Margarita Strawberry Peach Classic Samstag... Caipirinha Caipirowska

2,99 Euro

2,99 Euro 2,99 Euro


Mit Hängen und Würgen...

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S EDITORIAL

o lässt sich wohl der Entstehungsprozess der Juliausgabe am ehesten auf den Punkt bringen. Noch keine andere Ausgabe ist so haarscharf an der Nicht-Existenz vorbeigeschlittert wie diese! Die Gründe dafür sind wohl am ehesten in den widrigen Umständen zu suchen, die ja allenthalben zum Ende der Vorlesungszeit herrschen: Im Trommelfeuer der Mehrfachbelastungen zwischen Klausuren, AStA-Protestaktionen und ganz allgemeinem Feld-, Wald- und Wiesenstress hin- und hergerissen, schafften einige Redaktionsmitglieder es nur in letzter Minute, das wie immer reichlich vorhandene Material zu einer druckbaren Ausgabe zusammenzudengeln. Aber wir wollen uns nicht beschweren - so kurz vo Semesterende haben natürlich alle viel zu tun - vielmehr wünschen wir Euch viel Spaß bei der gerade mal so eben entstandenen Juliausgabe und verabschieden uns über die Ferien -Kommunikaze geht in die Sommerpause! Als Trost für alle, die ohne uns nicht mehr leben können, mögen der Hinweis auf unser Online-Angebot (wo Ihr sicherlich auch während der Ferien die eine oder andere Neuigkeit aufspüren könnt) und die Aussicht auf die Oktoberkommunikaze dienen: Dort wird es nicht nur um das (zweifelsohne brillante) Abschneiden von Team Kommunikaze beim Berlin Marathon gehen, auch die Titelstory wird voraussichtlich ein echter Hammer, für dessen Herstellung die Redaktion weder Kosten noch Mühen scheuen wird -- Ihr dürft gespannt sein! Eine spannende Lektüre, viel Glück bei allen noch anstehenden Klausuren und nicht zuletzt schöne Ferien wünscht Euch

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Euer Kommunikaze-Team


IN H ALT 4

TITEL

Nachtschattengewächse Seite 5

F ACTS

Le Malpensant IV Seite 8 Dialog Seite 10 Berlin 2003 Seite 11 Bahnhof der Konjunktive Seite 12

Zeitschrift für Facts & Fiction

Last, but not least

Autoren:

Auflage: Realisation:

Seite 14 Seite 16

Dan Krammer Kathrin Noack Stephanie Schulze Isa von Nolcken 400 Exemplare Ruck-Zuck-Druck

Die mit Namen gekennzeichneten Beiträge geben nicht zwingend die Meinung der gesamten Redaktion wieder. Für den Fall, dass in diesem Heft verantwortlich fürunzutreffende Informationen publiFinanzen: Jan Paulin ziert werden, kommt Haftung nur Layout/Satz: Stefan Berendes bei grober Fahrlässigkeit in BeFotos: Darren Grundorf Online-Auftritt: Knud gentschen Felde tracht.

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KOMMUNIKAZE

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Seite17

FICTION Correspondence Sommerrieseln

Redaktion:

KOMMUNIKAZE

Jan Paulin JP (ViSdP) Stefan Berendes SB Darren Grundorf DG Ines Bethge IB Sven Kosack SK Katharina Kunze KK Sonja Möller SOM Michael Weiner MW Nicolai von Ondarza NVO

EvENTS


TITEL

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Nachtschattengewaechse

A

ls die Entscheidung zur Titelrubik Nachtschattengewäch se fiel, da verstanden wir dieses Thema mit einer ganz eindeutigen inhaltlichen Konnotation: Nachtschattengewächse, will heißen Nachtleben, also dauertanzende Partypeople im Sperrfeuer der Endorphine und die große Liebe nachts um halb vier oder eben auch gerade nicht -- in diese Richtung sollte es gehen, irgendwie... - PAUSE Was dann jedoch nach und nach bei unseren unter Kennern schon fast legendären, schwer improvisierten Redaktionssitzungen zusammenkam, hatte mit Samstagabendgeschichten und Tschingderassabumm-Discoreportagen im Grunde gar nichts zu tun, was uns selbst irgendwie faszinierte. Um Euch die Überraschung nicht zu verderben, sei vielleicht nur gesagt: Um Nachtschattengewächse geht es in der Tat immer noch... Viel Spaß!

Nacht

Dunkelheit hüllte ihn ein wie eine Decke. Erst jetzt fing sein Geist an zu leben, seine Seele zu atmen. Die Fesseln des Tages fielen von ihm ab. Endlich Nacht.

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A perfect beauty, or so it seems. Joyful warmth and starry sky. Yet concealing there a lie?

KOMMUNIKAZE

Far from sleep in happy dreams.


TITEL

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Ich bin noch neu in der Stadt. Es war Leichtsinn, nachts einen Spazier-

gang zu wagen. Fremd sind mir all die Gassen und Pfade, die dunkel ins Verderben zu führen scheinen. Der verlassene Marktplatz ist mein einziger Schutz. Ich kauere in der Mitte dieser Wüste aus Pflastersteinen und starre auf mein Feuerzeug, dessen dünnes Flämmchen die Schatten der Nacht zurückhält. Vom Kirchturm schlägt es zwölf Mal. Geisterstunde. Ich stammele ein Stoßgebet zum Himmel. Näher, mein Gott, zu Dir. Ein Windstoß geht über den Platz, erfasst mein Haar und löscht die Flamme des Feuerzeuges. Als mich die Marktweiber am nächsten Morgen finden, hat mein Herz schon längst aufgehört zu schlagen.

Dunkelheit.

Verborgen in der Nacht. Sie ist

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KOMMUNIKAZE

eine Schutzhülle. Tiefschwarz und undurchdringlich. Gibt Geborgenheit.Gehüllt in tiefe Sicherheit. Plötzlich! Mondschein fällt. Zuviel wird preisgegeben. Von mir. Nachtschattengewächs


TITEL

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Nacht II

Wenn sie sich umdreht, ist es das Ende.

Vorne ist Dunkelheit, hinten das Nichts. Klassisch. Angst. Gestern zerflossen die Sterne noch vor Romantik. Heute hat es sie nie gegeben. Rote Dunkelheit verschlingt die Schwüle. Tod. Sie dreht sich um.

Europa (bei Nacht)

Beitrag: SK, Kathrin Noack, Isa von Nolcken

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aeras. Disguised faces portant troppo make-up,Parfüm konkurrierend con l odeur della magnolia, winning easily. Cerveza, Calvados, Spomante. Fumer des cigarettes. Beaming en direction delle ragazze. Frustrato. Verloren. Exasperé. Vain ceasing defeat. Fumer mas cigaras. Finalemente, scentum magnolium lost gegen the scent della noche.

KOMMUNIKAZE

Nights caldissime con gente partyfreudig. Scent of Magnolien volant in


TITEL

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Le Malpensant geht in die Kneipe

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KOMMUNIKAZE

S

chon wieder zu spät! Kaum, dass ich aus der Bibliothek ge stürmt bin, um shoppen zu gehen, muss ich feststellen, dass es bereits nachtet. Einzig in der Fußgängerzone kann man noch einkaufen, namentlich beim Moonlight-Shopping . Was für ein Spaß nach dem ganzen langweiligen Sunshine-Shopping oder dem Rather-cloudy-day-shopping ! Während es zu dunkel ist, die Hundehaufen und die hässlichen Mülleimer zu sehen, und man ergo ständig in selbige hineinläuft, stolpern Konsumidioten grinsend durch die Geschäftsstraße. Gerne auch zu zweit. Wenn man ein Pärchen ist, dessen Chancen beim Namenpinkeln im Schnee aufgrund verschiedener anatomischer Prädisposition unterschiedlich gut sind, dann wird man zur Strafe auch noch alle Nase lang photographiert für irgendein überflüssiges Lokalkäseblatt. Die Beklopptesten der Bekloppten entblöden sich ja auch nicht, an einem Wettbewerb teilzunehmen, bei dem man selbstgemachte Herzen in die Kamera hält und zu zweit möglichst dümmlich guckt. Ich halte bei soviel Kitsch lieber meinen Effenberg in die Kamera und gehe mir einen in die Rübe sallern. Dazu begebe ich mich einfach den Alkoholikern nach durch dunkle Gassen (hallo, Hundehaufen!) bis zur Altstadt, zum ersten der zwei Bermudadreiecke (Dreamer-Peitsche-Stiefel). Ich lasse mich bis zum Dreamer drängen, und hinein! Im Inneren sieht es aus, als ob ein Quentin-Tarantino-Fan zum Innenarchitekten befördert wurde. Alles sieht aus wie im Titty Twister , jener denkwürdigen Lokalität aus From Dusk Till Dawn : Tanzkäfige, schmuddelige Beleuchtung, siffige, schmierige Typen. Nur an Salma Hayek wurde gespart, stattdessen Mädels, die 90 Kilo Lebendgewicht gerne mit Minirock und bauchfreiem Top kombinieren, was den Effekt erweckt, rosarote Plockwürste herumlaufen zu sehen. Mich gruselt. Ich fliehe in den Stiefel. Hier ist es glatt noch schauriger: Ein Rudel berufsjugendlicher Dauerbaggerer bevölkert den Tresen, klammert sich an seinen Modegetränken und Zigaretten fest, schaukelt im Takt der ModernTalking-Mucke oder ähnlicher lala-Musik und guckt ständig interessiert herum,ob es nicht doch eventuell ein hübsches weibliches Wesen unter all den solariumgetoasteten Dauerwellenköppen gibt.


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KOMMUNIKAZE

FACTS

Gibt es nicht. Aber anstatt diesen Umstand zu akzeptieren und einfach mal die Kneipe zu wechseln, schädeln sie sich so lange Erdbeertequila, Altbier mit Mango oder Schnaps mit Korn in den Kopp, bis dass sie sich selbst Hella von Sinnen schön gesoffen haben. Und danach geht s dann dabei: Dass das Produkt der Kreuzung zwischen Manni Maschinenbauer und Frida Friseuse keinerlei evolutionäre Potenziale hat und ergo in zwanzig Jahren selbst im Stiefel landet, wo die Kacke dann von vorne losgeht, ist offensichtlich. Aber wozu rege ich mich auf? Dafür habe ich doch Andere! Ich spiele also geh auf Toilette , wobei ich beim Durchqueren des Raumes viel Spaß an meinen Ellenbogen, meinen schweren Schuhen und meiner glühenden Zigarette habe. 5 x Aua! , 2 x hey! ! Nicht schlecht. Kurz vor der erfreulicherweise steil erbauten Treppe (auf der ich etwas Schmierseife verteile) mache ich mich durch den Seitenausgang auf und davon. Ich stolpere die Straßezum zweiten Bermudadreieck hinunter. Auf halbem Weg weiche ich der laternenschwingenden Gruppe Nachtwächterführungen aus, bei der ich mich immer frage, wer sich wohl blöder fühlt: die Touristen, weil sie die doofen Laternen halten müssen, oder der Sozialpädagogikstudent, weil er beahupten muss, er wäre ein Nachtwächter, anstatt, wie sonst im Dezember, der Weihnachtsmann. Ein Tourist verbirgt schamhaft ein Pappherz unter seinem Mantel. Zu spät! Nächsten Sonntag weiß jeder Leser der ON, dass er ein Trottel ist. Dieser Gedanke stimmt mich so heiter, dass ich beschließe, auch noch in die Osnabrücker Discos zu gehen. SK

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XFACTS

KOMMUNIKAZE

ach der Vorlesung drängt sich ein Student, der mit einem auffälligen schwarzen T-Shirt mit dem unmissverständlichen Logo der RAF darauf bekleidet ist, an seinem Professor vorbei, um seiner heißersehnten Passion, dem Rauchen, nachgehen zu können. Daraufhin wendet wendet sich der Professor (ab jetzt nur noch Prof genannt) bestürzt an den jungen Mann (den wir von nun an den jungen Mann mit frechem T-Shirt , also jMmfTS , nennen wollen): Prof: Junger Mann, sind sie noch zu retten? Wie können sie sich nur mit so was (äußerst verächtlich!!!) solidarisieren? jMmfT-S:Wieso, die haben doch unsere Demokratie erst zu dem gemacht, was sie heute ist! Klingt paradox, aber manchmal muss es für ein bisschen mehr Frieden eben Krieg geben. Prof: Na ja, also, das sit aber ein wörklich krasses Statement. Nee, also dieser Terror... jMmfT-S: Hätten sie Lust auf ein kleines Gedankenspiel? Ich nehm jetzt einfach mal an, die Antwort lautet ja. Was ist z.B. mit christlichen Insignien!? Wenn die Leute von Gott als Erlöser sprechen, wie kommt es dann, dass dieser Erlöser uns so Dinger reinklotzt wie die RAF? Oder die USA? Prof: Ja, aber... jMmfT-S: Nichts: ja aber! Das hat alles seinen Sinn, auch wenn das nicht immer schön ist. Die Leute nehmen deshalb ja auch nicht gleich die Kruzifixe von der Wand. Prof: Ja, aber Gott...und der TerrorisjMmfT-S: Das ist doch gleich! Worauf es ankommt, ist die Wirkung und die hat uns eine humanere Demokratie beschert. Zugegeben, diese Wirkung lag nicht unbedingt im Ermessen der RAF. Das ging eher von der Reaktion der BRD auf die Umtriebe, die Erschütterung der rechsstaatlichen Prinzipien aus. Prof: Meinen Sie. Klingt plausibel...hat was mit Physik zu tun.Wahrscheinlichkeiten... Verkettungen (und leise zu sich) Ich mag Physik (nun wieder lauter) Mag ich! jMmfT-S: Ich auch! Prof: Na, dann ist ja alles gut! jMmfT-S: Alles bestens! Prof: Dufte T-Shirt! jMmfT-S: Danke! Prof: Mögen sie Hawkins, Baudelaire? jMmfT-S: Ja, warum... Umarmen sich beide und gehen ab (wahrscheinlich zum Rauchen) Dan Krammer

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N

Dialog


XFACTS

Projekt Berlin 2003

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Noch gute 10 Wochen, dann werden Jan Paulin, Daniela Eikelmann und Darren Grundorf beim Berlin-Marathon für Kommunikaze an den Start gehen. Keiner von ihnen ist je einen Marathon gelaufen. Unsere Hoffnungsträger stecken mitten in den Vorbereitungen. Hier der letzte Check-up vor dem 42 km-Lauf:

Daniela Eikelmann Trainingsmethode: Augen zu und durch, viermal die Woche laufen, ab und zu schwimmen, Höhentraining im Teutoburger Wald. Trainingsstand: Anderhalb Monate vor dem Berlin-Marathon schafft Daniela 20 bis 25 km am Stück zu laufen ohne Pause/Um- und Hinfallen und wenn, dann nur ganz kurz. Kommendes Trainingsprogramm: Laufen unter extremen Bedingungen. Daniela bereitet sich zwei Monate lang in Australien auf den Marathon vor. größte Erfolge bislang: 20/25 km am Stück laufen (ohne Pause/Um- und Hinfallen, wenn, dann nur ganz kurz), Kinderturn-Abzeichen 1985, Mrs. Bad Salzufflen 1997. Eigene Erwartungen: vor Paulin und Grundorf ankommen (zur Not EPO, Abkürzungen, Blutgrätsche) Kommunikaze-Tipp: Eine Platzierung unter den ersten Zweien sollte möglich sein

Darren Grundorf

Trainingsmethode: Einmal im Januar gelaufen, neulich mal mit Mitbewohner gejoggt, das Schoko-Müsli aus dem ALDI ist ganz gut. Trainingsstand: auch grandios Kommendes Trainingsprogramm: Trainingscamps in Dänemark, Bologna und Österreich (Laufen und Karussellfahren) größte Erfolge bislang: Seepferdchen 1985, 2. Platz beim Schultriathlon 1992, Führerschein Klasse 3 1998, 1. Platz Rodelrennen Innerkrems. Eigene Erwartungen: vor Grundorf und Eikelmann ankommen (zur Not U-Bahn, Speed, Koks oder LSD) Kommunikaze-Tip: Auf den ersten 50 Metern ist Paulin durchaus eine Überraschung zuzutrauen.

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Jan Paulin

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Trainingsmethode: Darren vertraut auf dieses Buch von Steffny und Prahmann, wo alles drin steht zum Marathonlaufen. Trainingsstand: Seit April viermal wöchentlich Training, dann irgendwas mit dem Knie, dann Schuhe in Herford vergessen, aber 25 km sind derzeit möglich. Kommendes Trainingsprogramm: 10-Wochen-Programm nach Steffny/Prahmann, Trainingslager in Island. größte Erfolge bislang: Zwei mal Siegerurkunde bei Bundesjugendspielen, 25 km in 2:55 Stunden mit zwei mal pinkeln im Wald und auf Firmengelände. Eigene Erwartungen: vor Eikelmann und Paulin ankommen (zur Not Arm auskugeln oder schneller laufen) Kommunikaze-Tipp: Bei guter Witterung ist eine Platzierung unter den ersten 10000 durchaus drin.


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Bahnhof der Konjunktive Folge 4:

Nachtbus (Pendler Part II)

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E

s ist sehr spät. Oder sehr früh. Reine Ansichtssache. Wir befinden uns im ungezähmten Niemandsland zwischen zwei Kalendertagen, in jenen schlecht ausgeleuchteten Stunden, die allenfalls Angestellte der Müllabfuhr bewusst auf den Straßen verbringen. Aber derlei Feinheiten überfordern uns zur Zeit. Wir haben entschieden, dass Morgen erst stattfinden wird, wenn wir dann wieder aus dem Bett gekrochen sind. Was noch eine ganze Zeit dauern dürfte, zumal wir uns erst mal hinlegen müssen. Um uns hinlegen zu können, müssen wir das Bett erreichen. Und da wir weder über eine Stretchlimousine mit Fahrer noch über ein Portemonnaie mit Geld für ein Taxi verfügen, nehmen wir den Nachtbus. Die Verkehrsbetriebe haben es nicht leicht: Wir jammern über sie, beklagen uns und sind erbost: Schlechter Service, hohe Preise, immer unpünktlich Dienstleistungswüste Deutschland! Aber wenn es hart auf hart kommt, dann müssen sie wieder ran, wie heute Nacht-Schrägstrich-Morgen: müssen die abgekämpften Kohorten zurück in die Heimat befördern. Jene Nachtschwärmer wie uns: Zu betrunken zum gefahrlosen Radfahren und leider zu alt, um Papa samt Familienkombi zum Abholdienst herbeizutelefonieren. Der Kopf fühlt sich an, wie in Watte gepackt, nur wenig dringt zu den dauergeschundenen Ohren durch. Der Gang ist (je nach Härtegrad) linkisch und unbeholfen oder übermäßig exaltiert. Im Stammhirn dröhnt immer noch der stampfende Bass, der Stoffwechsel bewegt sich kolibrigleich im hohen Drehzahlbereich. Der schneidend kalte Nachtwind verschafft kurzzeitige Klarheit. An der Haltestelle ein Bild wie im Auffanglager für völlig zerschossene Partypeople: Die einen (eher Mädchen) schnattern aufgeregt und tauschen Lageberichte über den exakten Verlauf des Abends aus. Die anderen (eher Jungs) glotzen einfach nur triefäugig in den Rinnstein, weil die gequälte graue Masse, im Bilder- und Eindrucksoverkill am Rande der Belastbarkeit arbeitend, permanent mit dem finalen Systemabsturz droht, und an allen Enden Ressourcen gespart werden müssen. Die sorgsam aufgetragene Kriegsbemalung ist dahin, an die kunstvoll zurechtgezwirbelte Föhnwelle erinnern allenfalls noch ein paar wirre Sträh-


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X F ACTS

nen. Das Deo hat (trotz extra-super-XXL-24h-plus-Wirkstoff mit Megaperls und rückfettendem Proteinkalkentfernerkomplex) bei den Wenigsten durchgehalten. Hier und da wird hektisch ein Handy hervorgekramt: Hat er schon eine SMS geschickt? Habe ich ihre Nummer auch wirklich abgespeichert. Einige werfen gar den letzten Anschein von Würde über Bord und klingeln nun doch Papa aus dem Bett. Dann kommt der Bus. Schweigend steigen die Heimkehrer ein. Der Busfahrer reagiert routiniert und gekonnt, guckt weder angewidert noch mitleidig, wünscht tatsächlich noch einen guten Abend und ist dankenswerterweise auch nicht beleidigt, wenn er keine Antwort erhält. Träge kramen wir das hervor, was durch halbgeschlossene Augen am ehesten wie der Studentenausweis aussieht. Vielleicht ist er s, vielleicht haben wir auch unsere Organspenderausweise gezeigt Der Busfahrer reagiert gelassen, hier muss keiner nachlösen. Dafür ist er zu sehr Profi. Dafür ist er zu sehr Mensch. Dieser Mann kutschiert Nacht für Nacht abstoßend betrunkene junge Menschen durch die Stadt und wird nie einen Dank dafür erhalten. Kein Gehalt der Welt kann das bezahlen. Das Gesicht ruht in den Händen, die schlafende Stadt zieht vorbei. Das diffuse Kunstlicht und das sonore Brummen des Busses verleihen der Atmosphäre etwas seltsam Surreales. Man fühlt sich wie unter Wasser. Das laute Piepen in den Ohren wird einen hoffentlich nur für ein paar Stunden begleiten. Gespräche sind selten und beschränken sich auf das Notwendigste, aber in jedes Gesicht steht eine Geschichte geschrieben: Die drei Damen vorne links wissen jetzt, dass Rotwein und Altbierbowle nicht zusammenpassen. Der junge Mann hinten rechts sollte in den nächsten 48 Stunden nicht in die Nähe von Schusswaffen gelassen werden. Sein Geschlechtsgenosse in der Wagenmitte glaubt noch (oder wieder?) an die große Liebe, genauer gesagt daran, dass sie ihm nachts um drei in der Technodisco begegnet ist. Im sanften Neonschein ziehen vor dem inneren Auge einige tausend Gehirnzellen vorbei, zum Abschied leise winkend. Jetzt den Kopf zu heben, ist garantiert keine gute Idee Das findet in diesem Moment auch die Rotwein/Altbierbowle-Fraktion heraus. In der letzten Reihe (wo auch sonst) probiert allen Ernstes ein furchtbarer Mensch sämtliche Klingeltöne seines Handys aus aber es muss wohl auch solche Leute geben... Der Bus ist am Ziel, die Türen zischen auf, wir wanken schlaftrunken zur Tür. Die Bestandsaufnahme, das De-Briefing, die Kosten/Nutzen-Rechnung: Das alles wird bis morgen warten müssen. Der Busfahrer, dieser Held des Alltags, wünscht uns zu allem Überfluss auch noch eine gute Nacht. Werden wir haben. Dem Nachtbus sei Dank! SB

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FICTIO

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Letter to a prisoner of life The sweetness of your cell lures me to forgive your crime

The nice guard at your cell, so simple he states temporarily lost in love Lost in whatever I cried and called for you, but you didn t listen and I will visit no more

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KOMMUNIKAZE

So corrupted and free, you are released into a different world as I walk from your cell back to mine Leaving all plans to grant you probation in this one. Will you hear me whisper a small word? Goodbye


FICTIO

Answer from a prisoner of life

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The sweetness of this life lures us to reach out to all its beauties

Inner sensation, outside world so cruel it states You will lose everyone in life lost wherever there is time to find again to sit, enjoy and listen to visit our lives for ages

We have done our deeds and have forgiven to celebrate a small word. friendship

Nicolai von Ondarza

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Fulfilling plans to grant us probation for all committed deeds

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So corrupted and free we are released into one world to enjoy together evens as we walk apart


EvENT

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L

Sommerrieseln

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indenblüten rieselten auf ihr Haar. Wie gelber Staub. Stunde um Stunde. Oder wie leichter Regen. Setzten sich im Haar fest. Die Son ne stach durch die Blätter und flickerte wie Sommer. Jemand rief. Sie tastete seine Hand, seine große weiche Hand. Er schlief. Lindenblüten im Haar. Es rieselte so, die Lindenblüten, die Zeit, das Denken. Vielleicht. Das meiste war vielleicht. Das meiste klebte zäh in der Trägheit, im dösenden Rausch der Nachmittage. Die Hunde überschlugen sich im Gras, Schattenspiele im Fell. Die Hitze klebte am Körper, watteweich. Sie musste an irgendetwas denken, aber wollte nicht. Weigerte sich schon seit Tagen (oder Wochen?), die stagnierende Denkmasse in Bewegung zu bringen. Sie wollte nie mehr aufstehen. Wollte im Herbst die Blätter, im Winter die Flocken rieseln hören, im Rieseln versinken. Wollte das Rieseln des Wassers hören, wenn im Frühling der Schnee schmolz und fühlen, wie die Tropfen ihr über die Augen und Arme flossen. Sie fühlte seine warme, weiche Hand, legte ihre Wange hinein. Kraulte durch seine Haare, fuhr seine Lippen nach. Es war alles vielleicht. Sie wollte im Rausch des Sommers ertrinken, leer dahintreiben, über salzige Haut lecken, dreckige Füße haben. Es sollte kein Danach geben, nicht diese Veränderung, die hämisch aus den Ecken winkte und an sich erinnerte. Kein Weitergehen. Sie wollte hier liegen und in die Stunden zerrieseln, bis sie unter Lindenblüten verschwand, vom trägen Sommerschlund verschlungen. Drohendes Morgen, sie HASSTE diese Gedanken...zuviel...Sie zuckte. Er wachte auf, lächelte ihr zu, umfasste ihre Hand. Sie weinte. Er barg schläfrig ihren Kopf an seiner Schulter. Sie weinte und Rotz klebte an seinem T-Shirt. Und Lindenblüten. Es war alles vielleicht. IB


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Last, but not least

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P

hase 1: Vorbereitung. Zu meiner Schande muss ich gestehen, noch nie einem Auftritt der Band Sofajuice beigewohnt zu haben, aber besser spät als nie. Mal sehen, was www.sofajuice.de so an Infos hergibt... Die Musik von Sofajuice vermischt melodischen, eingängigen PopRock mit vielen verschiedenen Stilrichtungen , aha, wobei die ganz spezielle musikalische Eigenart des Quintetts den Rahmen für die experimentierfreudigen Kompositionen bildet. Dann steht da noch was von einer Mischung aus eigenen und gecoverten Stücken bei Live-sessions. So ist das. Ich darf also immer noch gespannt sein und bin es auch. Jetzt muss ich nur noch zwei Freunde einpacken und dann kann s von mir aus auch schon losgehen. Phase 2: Anreise. Das Westwerk ist nicht gerade die zentralste Location der Stadt. Zum Glück weiß Nicolai, an welcher Haltestelle wir aussteigen müssen. Nach ein bisschen planlosem Umherlaufen stoßen wir auf denVeranstaltungsort. 20:30. Noch keine bedeutende Menschenanhäufung. Sänger Felix klärt uns erst mal über den Ablauf des Abends auf: bis 21:30 trudeln die Leute ein, trinken und quatschen, dann spielen Sofajuice und danach wird noch mehr getrunken.Trinken ist ziemlich wichtig heute, schließlich spielen die fünf Jungs ja heute zum letzten Mal auf, da muss man feiern. Irgendwie wehmütig klingt es schon, wenn Felix das sagt, das mit dem letzten Mal. Phase 3: Konzert. Kurz vor 22:00 treffen wir Felix noch mal auf dem Flur wieder. Jetzt geht s gleich los, Schätzchen. Das Trinken ist wirklich sehr wichtig. Später wird Felix behaupten, man werde auf der Bühne nicht besoffen, weil man alles ausschwitzt. Ich habe zwar Bio so bald als möglich abgewählt, möchte dennoch Zweifel anmelden, ob das so funktioniert. Zurück zum Thema. Circa 100 Freunde, Verwandte und Bekannte stehen an die hintere Wand des Konzertsaals gepresst in Erwartung der ersten Töne. Das erwies sich im Nachhinein als weise Entscheidung, weil Felix sich nicht scheute, seine Fans mit Mikroständern und Schuhen zu bewerfen. Die beiden ersten Songs stammen von Sofajuice selbst. Unwillkürlich fängt mein Kopf an zu nicken. Die Musik ist extrem tanzbar und es braucht auch nicht lange, die Aussagen ihrer Homepage zu verifizieren. Ich will gar nicht erst versuchen, die unglaublich variable und dennoch stilsichere Musik der Band präziser zu umreißen. Meine Einschätzung der Tanzbarkeit wird leider allgemein nicht geteilt. Das Gros der Gäste steht immer noch mit dem Rücken an der Wand im Bemühen, so cool wie möglich auszusehen.


EvENT

Andere sitzen wie erstarrt auf Bierbänken mitten im Raum. Nicolai wird sogar beim wilden Tanzen zu I m a believer von einem filmenden Vermutlich-Bandmitglied-Papi dezent aus dem Bild gerückt. Erste Aktion des Kommunikazetrios in der Pause nach dem ersten Viertel ist folglich die Beseitigung der Bänke. Highlight im zweiten Set ist eine Coverversion vom Time Warp Dance mit stimmgewaltiger Unterstützung von Felix 15(!)jähriger Schwester. Der Dienst, den sich die Band damit erwiesen hat, ist jedoch fragwürdig. Fortan müssen sich Liedanfänge gegen wiederholte Wir wolln die Frauke sehn -Chöre von Linksaußen durchsetzen, was sich besonders im dritten Teil schwierig gestaltet, da lassen es Sofajuice nämlich etwas ruhiger angehen. Im vierten Set wird dann wieder das Haus gerockt, und der besoffene Rest (es ist 1:00 durch und der Saal hat sich um einige coole Anderwandsteher geleert) bemerkt endlich, dass jetzt wirklich die allerletzte Chance ist, mit Sofajuice abzufeiern, und tanzt, tanzt, tanzt. Dazu fliegen leuchtende Flummis durch den Raum, die Band stellt ´ne Kiste Bier zur Verfügung, und Felix beteuert immer wieder, dass wir die Besten sind. Obendrauf gibt es noch mal den Time Warp Dance (und einen Schluck Becks für Frauke), sozusagen als Abschiedsgeschenk. Felix ist zufrieden. Die Band ist nach einer Phase harten Probens zu Höchstform aufgelaufen. Er selbst konnte seine Texte auswendig, was eine Leistung ist unter Antibiotikaeinfluss (aufgrund zurückliegender sowie schwelender Krankheiten, die schlicht hinter der letzten Bandreunion zurückstecken müssen), dessen Wechselwirkungen mit Alkohol unberechenbar sind. Aber man lebt ja nur einmal und wenn man es richtig anstellt, ist einmal auch genug. Phase 4: Heimweg. Hmm. Das war s jetzt also. Schade, dass ich erst so spät auf den Trichter gekommen bin. Für alle, die es nie zu einem Sofajuice-Gig geschafft haben, bleiben als Trostpflaster noch zwei CDs der Band, die die Live-erfahrung natürlich nicht ersetzen können. Wir beschließen, das sich nun anschließende sentimentale Besäufnis denen zu überlassen, die in 3 Jahren Sofajuice das Zeug dazu angesammelt haben. 1:40. Verschwitzt, müde und hungrig trotten wir zum Nachtbus. Mein Sprachzentrum ist im Begriff, sich runterzufahren. Letzte Meldung: Ich will im Bett. Stephanie Schulze

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K O M M U N I K A Z EtztA SAitA diA lA

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Bilderserie: Dinge, die die Erde noch retten können (Folge VI)

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tierungslose, überforderte und angstgeschüttelte...ERSTIS! Das macht natürlich nichts! Das hatten wir alle mal! Aber nach den Ferien kommen die Neuen, und dann ist guter Rat mal wieder teuer. Kommunikaze bietet zum Semesterauftakt eine ErstiSonderausgabe mit den wichtigsten Infos und Kniffen, und bei dieser brauchen wir Eure Hilfe: Für unsere Rubrik Friedhof der Hausarbeiten suchen wir all die Arbeiten, die zu schreiben Ihr in den letzten Semestern vor Euch hergeschoben habt! Also, mailt uns Euren Namen, den (vorauss.) Titel der Arbeit, das Fach und das Semester, in dem die Hausarbeit eigentlich hätte enstehen sollen sowie die Wahrscheinlichkeit, dass es damit noch was wird -- damit all die Erstis gleich von vornherein wissen, wo im punkto Hausarbeiten der Hammer hängt! Seid dabei!

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Folge VI: Ihr wollt es heute wahrscheinlich alle nicht mehr wahr haben, Don t panic! aber eines Tages in der fernen Vergangenheit ward auch Ihr orien-


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!!! Sommerbowle - Eis - Cocktails - Sangria !!! Tees - von Espresso bis Latte Macchiato ....... Weine - Biere - W채sser - S채fte .......


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