Äthiopien - Katholiken im Kampf gegen Hunger und Not - Blick ins Buch

Page 1

Ă„thiopien Katholiken im Kampf gegen Hunger und Not Eva-Maria Kolmann


Ă„thiopien Katholiken im Kampf gegen Hunger und Not Eva-Maria Kolmann


Inhaltsverzeichnis Zum Geleit Zwischenstopp in Khartum

4 7

Die Kinder Don Boscos

10

Begegnungen mit einer altorientalischen Schwesterkirche

18

Die Katholische Kirche: Allen alles geworden

27

Die Kinder vom Friedhof

36

„Ich werde Priester!“

44

„Wo bist du, Heilige Jungfrau?“

48

Die Bundeslade im Zeltlager und ein zorniger Hexer

49

„Da kommen die Stinker“

54

Arme Würdenträger

58

Wo andere Urlaub machen

64

Auf Blut gebaut

67

Leidensgenossen der heiligen Bakhita

72

Geschundene Töchter Evas

78

Die Ordensschwester mit der Taschenlampe

84

Bethlehem lacht

87

Moderne Sklaverei

92

Eine unruhige Region

95

Abba Angelo – ein Leben für Äthiopien

97

Ein Dorf am Ende der Welt

101

Wo Rahel um ihre Kinder weint

110

Auf der Flucht vor dem Hungertod und vor Al-Shaabab

113

Äthiopien – ein muslimisches Land?

115

320 Kilometer für eine E-Mail

119

Kirchen – ein überflüssiger Luxus?

121

Nachwort: „Ich war hungrig ...“

123

Artikel für ein aktives Glaubensleben

126

Informationen zur Situation von Christen weltweit

127

Bezugsadressen

128

3


Zum Geleit

Liebe Leserin, lieber Leser, dies ist kein Buch über Äthiopien. Über die reiche Kultur und Geschichte dieses Landes gibt es viele Bücher. Wir – zwei Kollegen von KIRCHE IN NOT und ich – haben auf unserer Reise in mehrere Regionen des Landes weder die weltberühmten Felsenkirchen von Lalibela gesehen noch das Skelett von „Lucy“, einer Frau, die vor über drei Millionen Jahren lebte und deren Knochen als Sensationsfund im Nationalmuseum von Addis Abeba aufbewahrt werden. Wir waren vor allem dort, wo die Katholische Kirche dem lebendigen Christus dient: in den Grashütten der Stämme, die noch vor kurzem Nomaden waren, bei den Flüchtlingen aus dem Südsudan, die nach einem mörderischen Fußmarsch erschöpft an der Straße sitzen, bei den Kindern in den abgelegenen Dörfern und bei den Straßenkindern in Addis Abeba. Denn sie sind mehr als alle Kulturdenkmäler die Schätze Äthiopiens. Wir haben eine Armut gesehen, die unsere ganze westliche Lebensweise in Frage stellt. Sie ist ein Appell an unser Gewissen. Aber wir haben auch eine Freude gesehen, die ebenfalls vieles von dem ins Wanken bringt, was wir hier in Europa als selbstverständ4


Die Autorin Eva-Maria Kolmann mit einem kleinen Mädchen aus Addis Abeba.

lich ansehen. In jedem Gesicht haben wir eine Würde und eine Schönheit gefunden, die nur von Gott stammen kann. Dieses Buch ist ein Liebesbrief an diese Menschen – aber es ist auch ein Schrei. Denn unsere afrikanischen Schwestern und Brüder spielen viel zu oft in der Welt keine Rolle. Im Kampf der Mächtigen um Profit und Ressourcen zählen diese armen Menschen so wenig wie Ameisen. Dies ist eine bittere Erkenntnis. Wir haben nicht gewagt, den Kindern ins Gesicht zu sagen, dass sie der Menschheit egal sind. Wir haben ihnen gesagt, dass wir sie lieben und dass auch Sie, die Sie dieses Buch lesen werden, sie lieben. Wir sind sicher, dass es stimmt. Ein ganzer Chor kleiner Jungen und Mädchen antwortete: „Wir lieben euch auch!“ Sie meinten damit auch Sie.

Eva-Maria Kolmann 5


Diese Kinder haben vor ihrer Pfarrkirche Kreuze und andere christliche Symbole in den Sand gemalt.

6


Zwischenstopp in Khartum Das Flugzeug setzt zum Landeanflug an. Vom Fenster aus sehen wir Minarette, so weit das Auge reicht. Der Flug nach Addis Abeba wird in Khartum, der Hauptstadt des Sudan, unterbrochen. Einige Fluggäste steigen hier aus. Auf diesem Boden, auf dem das Flugzeug jetzt aufsetzt, tobte 25 Jahre lang ein Bürgerkrieg, der weit mehr als zwei Millionen Menschenleben forderte und viele Millionen Menschen heimatlos machte. Auch jetzt, nach der Teilung des Sudan, gehen von hier wieder Befehle aus, die Menschen den Tod bringen. Wenige Tage vor unserer Reise hatte ich noch einen Dokumentarfilm über die Militärschläge in den Nuba-Bergen im Grenzgebiet zwischen Nord- und Südsudan gesehen. Kinder flohen in Panik vor den Flugzeugen. Mucksmäuschenstill und starr vor Angst saßen die Kleinen stundenlang in Erdlöchern und Höhlen, bis die Bombardements vorbei waren. Eine Hungersnot bahnt sich an. Präsident Omar Hassan al-Baschir erlaubt Hilfswerken nicht, in der Region tätig zu werden. Er will den Krieg. Immerhin gibt es im Grenzgebiet zwischen Nord- und Südsudan Ölquellen. Menschenleben spielen keine Rolle, wenn es um Öl geht. Hier in Khartum wird darüber entschieden, ob wieder unzählige Menschen sterben werden. Wir sitzen eingesperrt in unserem Flugzeug und haben Zeit, darüber nachzudenken. Als das Flugzeug wieder abhebt, ist es dunkel. Knapp zwei Stunden später landen wir in Addis Abeba, wo uns Abba Hagos Hayish, der Generalsekretär der katholischen Bischofskonferenz, abholt. „Hagos, nicht ‚Hagios‘“, sagt er lachend. „Hagios“ bedeutet auf Griechisch nämlich „heilig“. Sein Name „Hagos“ meint in Tigray, einer der in Äthiopien gesprochenen Sprachen, „Freude“. In der Tat freuen wir uns bei seinem Anblick. Endlich sind wir in Äthiopien! Der Zwischenstopp in Khartum sollte aber nicht das letzte Mal gewesen sein, dass wir auf unserer Reise mit dem Schicksal des sudanesischen Volkes in Berührung kommen.

7


Ein allgegenwärtiger Anblick: Die größeren Kinder kümmern sich liebevoll um die kleineren Geschwister. 8


Jesus sagt: „Wer ein solches Kind in meinem Namen aufnimmt, der nimmt mich auf“ (Mt 18,5). 9


Die Kinder Don Boscos Glaubt man den offiziellen Angaben, hat die äthiopische Hauptstadt 2,5 Millionen Einwohner. In Wirklichkeit ist die Zahl wohl doppelt so hoch. Wenn es regnet, zeigt die Stadt sich von ihrer ungemütlichen Seite. Von „neuer Blume“, was der Name Addis Abeba übersetzt bedeutet, spürt man nichts mehr. Der Himmel hängt tief, alles wird in deprimierendes Graubraun getaucht. Bunt sind nur die Regenschirme. Das Schlimmste ist die Kälte, die durch die Ritzen der Fensterrahmen und durch die Kleidung kriecht. Da die Stadt auf einer Höhe von 2800 Metern liegt, spürt man die Kälte doppelt. Im Wetterbericht stand etwas von 20 bis 25 Grad. Das klang eigentlich warm. Auf diese kriechende, feuchte Kälte war ich nicht vorbereitet. Meine Kleidung ist viel zu leicht, und selbst durch den Trenchcoat dringt die Kälte bis auf die Haut. Nachts ist es noch schlimmer. Man hat das Gefühl, als zöge es durch alle Ritzen. Dabei ist das Gebäude, in dem wir untergebracht sind, solide gebaut. Die zweite Wolldecke ist mehr als willkommen.

Unzählige Menschen in Addis Abeba sind obdachlos. 10


Straßenkinder in Addis Abeba suchen unter einem LKW Schutz vor dem Regen.

Wie mag es bei diesem Wetter den zahlreichen Obdachlosen ergehen, die man überall in der Hauptstadt sieht? Bereits am ersten Abend, als wir vom Flughafen kamen, sahen wir auf den Straßen Menschen liegen, die nur mit Pappe und Plastiktüten zugedeckt waren. Andere hausen in Betonrohren von Baustellen. Unzählige leben auf einem winzigen Raum unter einer Plastikplane, die sie zwischen einer Mauer und dem Boden aufgespannt haben. Der „Wohnraum“ kann höchstens 1,5 Quadratmeter betragen. Dort leben sogar Frauen mit kleinen Kindern. Wir haben es selbst gesehen, wie aus so einem elenden Miniaturzelt zwei Kleinkinder hervorkrochen. Während eines heftigen Regenschauers sitzen unter einem parkenden Lastwagen mehrere Straßenkinder, die dort Schutz suchen. Mindestens 60 000 Kinder und Jugendliche leben auf den Straßen von Addis Abeba, in ganz Äthiopien sind es nach Angaben von UNICEF mehr als 300 000 Kinder. Sie hausen im Elend, betteln, stehlen, rutschen ab in kriminelle Banden, werden misshandelt und missbraucht. Viele verkaufen ihren Körper für eine Mahlzeit. Durch zerbrochene Familien und die Ausbreitung von Aids werden es immer mehr. Manche laufen auch von zuhause weg, weil sie sich mit ihren Eltern gestritten haben. 11


In Addis Abeba kümmern sich die Salesianer Don Boscos um Jungen, die auf der Straße leben. Die Missionare und ihre ehrenamtlichen Mitarbeiter gehen zweimal in der Woche hinaus in die Stadt, um mit Straßenkindern Kontakt aufzunehmen und ihr Vertrauen zu gewinnen. Sind sie dazu bereit, dürfen sie in das Zentrum der Patres kommen, wo sie eine sichere Unterkunft, Zuwendung, Beratung, ärztliche Behandlung und eine Schulausbildung erhalten. Sie dürfen lernen und spielen und erwerben außerdem auch eine praktische handwerkliche Ausbildung. So stellen die größeren Jugendlichen beispielsweise Flechtmöbel her. In Deutschland würden solche Möbel viel Geld kosten, denke ich, als Pater Dino Viviani sie uns zeigt. Es ist erstaunlich, wie begabt und geschickt diese Jugendlichen sind, die in der Gesellschaft bislang keinen Platz hatten. Es ist ein trauriger Gedanke, welch ein Potenzial an Begabungen und Kreativität der Welt verloren geht, weil Kinder verwahrlosen und niemals eine Chance bekommen, sich zu entfalten. 120 Jungen leben zurzeit in dem Zentrum der Salesianer. Auch Straßenkinder, die nicht dort wohnen, dürfen den Sportplatz und die Angebote der Salesianer nutzen. Pater Dino ist für sie quasi ihr Vater. Er mag das Wort „Straßenkinder“ nicht. In seinem Zentrum heißen sie „Bosco Children“. „Wenn wir unseren Jungen später eine Arbeit vermitteln wollen, werden sie schief angesehen, wenn sie ‚Straßenkinder‘ heißen. Für uns sind sie die Kinder des heiligen Don Bosco“, erklärt er uns. Besonders beeindruckend ist es, wenn die Jungen Theater spielen, erzählt der italienische Salesianerpater. „Sie spielen dann nicht nur, sondern sie bringen das Drama ihres ganzen Lebens auf die Bühne.“ Das Zentrum vermietet seine Aula auch für Veranstaltungen wie Hochzeiten. Dann dürfen die Jungen den Saal festlich schmücken und als Kellner die Gäste bedienen. „Noch nie wurde dabei etwas geklaut. Einmal verlor ein Gast sein Handy. Einer der Jungen fand es und lieferte es bei mir ab“, berichtet Pater Dino stolz. Viele der Jugendlichen finden zu Gott. Die Salesianer bieten ihnen den Glauben durch ihr Vorbild und durch ihre Lebensweise an. Gezwungen zu religiösen Übungen wird keiner. „Zwei der Jungen kamen an Weihnachten zu mir. Sie hatten ein großes Geheimnis: Sie wollten sich taufen lassen. Irgendwann waren sie auf einem Streifzug durch die Stadt zur Marienkirche der Consolata-Missionare gekommen. Der Weihrauch zog sie an. ‚Etwas roch so gut, und wir gingen hinein‘, berichteten sie mir. Schließlich gingen sie immer häufiger zur heiligen Messe, und nun wollten sie getauft werden.“ Bislang kannten die Jungen nur das „Gesetz des Stärkeren“, das in den Straßenbanden herrscht. Hier bei den Patres lernen sie, anderen zu vergeben. Mit sichtlicher Bewegung sagt Pater Dino: „Ein Junge kam zu mir, als ihn ein anderer geschlagen hatte. Er sagte: ‚Ich möchte meinem Kameraden vergeben. Das habe ich noch nie getan, aber Gott will, 12


Ein ehemaliges Straßenkind betet in der Kirche des Jugendzentrums der Salesianer in Addis Abeba zur Muttergottes.

dass wir vergeben.‘“ Nach einer Pause fügt der Priester hinzu: „Manche von ihnen sind frömmer als ich!“ Viele der Jungen entdecken auch eine neue Welt, weil sie nun lesen und schreiben lernen. „Einer der Jungen schlich neulich schon um fünf Uhr früh durchs Haus. Ich wunderte mich, was er wollte. Er war auf dem Weg in die Bibliothek, um in Ruhe die Zeitschriften zu lesen, die wir dort ausgelegt haben.“ 13


Abends, wenn die Dämmerung kommt, werden viele der Jungen unruhig. Sie waren es gewohnt, um diese Zeit zusammen mit ihren Kameraden am Feuer zu sitzen. Manche bekommen auch Heimweh nach ihren Familien. Im Zentrum der Salesianer kommen die „Bosco Children“ zusammen und schauen sich einen Film an oder reden miteinander und mit den Patres. Besonders schwer ist es für sie an Weihnachten. Die Salesianer versuchen, die Feiertage besonders schön und stimmungsvoll zu gestalten. Aber nichts ist so gut wie eine eigene Familie. „Wir versuchen, zwischen ihnen und ihren Familien

Ein Junge, der im Jugendzentrum der Salesianer in Addis Abeba betreut wird, zeigt ein zerknittertes Heiligenbild. 14


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.