Der Irak - Christen im Land der Propheten - Blick ins Buch

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Der Irak Christen im Land der Propheten


Liebevoll gepflegte Marienstatue in einer renovierungsbed端rftigen irakischen Kapelle.


Der Irak Christen im Land der Propheten

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Inhaltsverzeichnis Vorwort von P. Dr. Andrzej Halemba

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Einführung: „Christen im Nordirak – Zuflucht ohne Zukunft?“

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Interview mit Weihbischof Sleiman Warduni von Bagdad: „Ich habe viele Fragen an den Westen“

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„Wenn sie uns kennen, hassen sie uns nicht“

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Priester-Sein im Irak: „Wie Schafe unter die Wölfe gesandt“

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Hoffnung für Levo

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Im Land der Geisterfahrer-Demokraten

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Mossul: Christen im Brennpunkt des Terrors

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Abba statt Allah – christliche Spurensuche im Irak

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Impressionen

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Gebet für die Kirche im Irak

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Informationen zur Situation von Christen weltweit

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Beten und Helfen

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Artikel für ein aktives Glaubensleben

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KIRCHE IN NOT in Radio, Fernsehen, Internet

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Wie Sie helfen können

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Bestellmöglichkeiten und Adressen

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Vorwort

Es ist nicht übertrieben, das Gebiet zwischen den Flüssen Euphrat und Tigris als Wiege der Zivilisation zu bezeichnen. Hier im antiken Mesopotamien erfanden die Sumerer das Rad. Namen wie Ninive, Babylon und Ur sind uns aus dem Alten Testament bekannt. Die Kirche ist dort so alt wie das Christentum selbst. Dennoch haben wenige Menschen aus der westlichen Welt die Gelegenheit, dieses faszinierende Land zu bereisen, aus dem in der jüngeren Vergangenheit vor allem Schreckensmeldungen ins Bewusstsein der Weltöffentlichkeit dringen. Daher freut es mich umso mehr, dass ich dieses Büchlein einem breiteren Publikum ans Herz legen darf. Es lässt uns gemeinsam mit dem Verfasser André Stiefenhofer durch Kurdistan reisen und Christen begegnen, für die ihr Glaube etwas Kostbares ist. Für den westlichen Leser mag es erstaunlich, vielleicht sogar befremdlich, sein, dass sie bereit sind, für ihren Glauben an Jesus Christus große Opfer zu bringen, ja, sogar ihr Leben hinzugeben. Der Autor gibt uns die Gelegenheit, hautnah bei seiner ersten Reise in den Irak dabei zu sein. Dieser erste Blick, mit dem er die Kirche dort betrachtet, ist frisch und dadurch in hohem Maße wahrhaftig. Die zahlreichen Abbildungen in diesem Büchlein runden die authentische Darstellung seiner Eindrücke ab. Das Bild, das sich uns bietet, ist das eines erstaunlichen Glaubenszeugnisses. Es übermittelt aber auch eine Atmosphäre, die von Anspannung und Angst geprägt ist. Nur zwei Tage nach unserem Aufenthalt in Kirkuk erfuhren wir von der bestialischen Ermordung eines entführten chaldäischen Christen. An vielen Orten haben die Menschen Angst, ihre Kinder auf der Straße spielen zu lassen oder auf dem Weg zur Kirche Gewalttaten zum Opfer zu fallen. 4


Oftmals wird die Lage im Irak mit einem Sandsturm verglichen. Es wird noch lange dauern, bis sich die aufgewirbelten Sandwolken setzen und einen klareren Blick auf das Land und seine Kirche erlauben. Zurzeit ist es unmöglich, vorauszusehen, wie die Zukunft des Irak aussehen kann. Die Beiträge von André Stiefenhofer wollen keine Lösungen für die Herausforderungen des Irak finden. Sie helfen uns vielmehr dabei, den Menschen dieses an Glaubenszeugen so reichen Landes nahezukommen. Mögen viele Leserinnen und Leser sich unseren christlichen Schwestern und Brüdern, die wegen ihres Glaubens leiden müssen, durch die hier vorgestellten Zeugnisse verbunden fühlen.

P. Dr. Andrzej Halemba KIRCHE IN NOT-Länderreferent für den Nahen Osten

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Einführung: „Christen im Nordirak – Zuflucht ohne Zukunft?“ Liebe Freunde und Wohltäter von KIRCHE IN NOT,

Es gibt ein Flugzeug, das ohne Zwischenstopp direkt von Frankfurt nach Erbil fliegt. Es ist fast leer, obwohl die Hauptstadt der autonomen Region Irakisch-Kurdistans zu Recht als einer der sichersten Orte im ganzen Mittleren Osten gilt. Eigentlich gehört Erbil natürlich zum Irak, doch für die Sicherheit sorgen hier nicht Armee oder Polizei, sondern die „Peschmerga“. Dieses kurdische Wort heißt übersetzt „Männer, die dem Tod ins Auge sehen“ und bezeichnete ursprünglich die Stammesrebellen, die sich von den zerklüfteten Bergen Kurdistans aus gegen die Zentralregierung Saddam Husseins auflehnten. Heute sind die „Peschmerga“ eine gut ausgerüstete Streitmacht, die an ihren zahlreichen Kontrollpunkten stolz die kurdische Flagge hisst. Effektiv schützen sie Kurdistan, eine Region, die sich als weltoffener und verlässlicher Wirtschaftspartner international profilieren will. 6


Ein Wachposten der kurdischen Miliz (Peschmerga). 7


Nicht zuletzt darum sind die irakischen Christen in Kurdistan willkommen. Die Autonomieregierung in Erbil möchte zeigen, dass sie im Gegensatz zu Bagdad Minderheiten achtet und auch beschützen kann. Die Christen des Landes sind gut ausgebildet, friedliebend und relativ wohlhabend. Sie tragen entscheidend zum deutlich sichtbaren Aufschwung rund um Erbil bei. Büros für Ölkonzerne und andere ausländische Investoren, Hotels, Einkaufszentren und Restaurants schießen wie Pilze aus dem Boden. Auf den Straßen fahren fabrikneue japanische und chinesische Geländewagen sowie amerikanische Limousinen. In den Bergdörfern Kurdistans, in die viele der weniger wohlhabenden Christen aus den Krisenherden Bagdad und Mossul geflohen sind, haben die Menschen dagegen keine Arbeit. Umgerechnet 40 Euro erhält eine fünfköpfige Familie dort von der kurdischen Autonomieregierung, falls das Familienoberhaupt arbeitslos ist. Immerhin, denn im restlichen Irak sorgen Korruption und fehlende Sozialgesetze dafür, dass arbeitslose Familien ganz auf Almosen angewiesen sind.

Moderne Autos mit traditioneller Fracht: Schaftransport nahe Erbil. 8


Die Kirche hilft in dieser Situation, wo sie kann. Die Pfarreien in den Dörfern und Städten Kurdistans sind Treffpunkte der Hoffnung für die Menschen. Aufopferungsvoll versuchen die Priester, ihren Gläubigen Mut zuzusprechen und bei der Suche nach Arbeit zu helfen. Die Diözesen betreiben Schulen und Waisenhäuser. KIRCHE IN NOT hilft in dieser Region unter anderem dabei, Ausbildungszentren für Katecheten zu bauen und Busse zu finanzieren, um den Menschen den Weg zur Katechese zu erleichtern. Der Hunger nach geistlicher Nahrung ist groß. In vielen Dörfern platzen die Pfarrhäuser aus allen Nähten, so viele Menschen strömen jeden Freitag zur Katechese. Manchmal muss der Unterricht draußen stattfinden, da einfach kein Platz mehr im Haus ist. Oft stehen die Gläubigen dann im Regen, denn die Berge Kurdistans sind berühmt für dicke Wolken und wilde Stürme.

In den Bergen Kurdistans platzen die Kirchen aus allen Nähten.

Obwohl der Irak heutzutage ein überwiegend von Muslimen bewohntes Land ist, hat er eine reiche christliche Geschichte, von der überall lebendige Spuren zu finden sind. Nahe des Bergdorfs Mangesh versammeln sich die 9


Gläubigen zum Beispiel täglich zum Rosenkranzgebet vor einer Höhle, in der der heilige Apostel Thomas gelebt haben soll. Der Ortsbischof möchte den Ort gerne zu einer Wallfahrtsstätte ausbauen. Weiter südlich, in der Bischofsstadt Alqosh, befinden sich auf dem Gelände eines 1949 verlassenen jüdischen Gemeindezentrums die Gräber des Propheten Nahum und seiner Frau Sara, die von der Diözese notdürftig instand gehalten werden. Zwischen Mohnblumen und Ruinen können Gläubige hier zum Gebet verweilen.

Friedliche Gebetsstätte: Das Grab des Propheten Nahum.

In den Bergen nahe Alqosh steht eine dem heiligen Hormizd geweihte Klosteranlage aus dem siebten Jahrhundert samt Klosterkirche. Hierher kommen auch Muslime, die der Jungfrau Maria ihre Ehrerbietung erweisen. Früher lebten in den Berghöhlen rund um die Kirche über hundert Mönche, heute spielt sich das geistliche Leben vor allem im Kloster „Unserer Lieben Frau der Ebene“ am Fuße des Berges ab. Auch ein Waisenhaus gehört zu der Anlage. 10


Uralte Klosteranlage nahe Alqosh.

Ob all das erhalten bleibt, hängt vor allem davon ab, ob die Christen im Irak bleiben können. Was die Sicherheitslage angeht, ist das in Kurdistan zurzeit zumindest denkbar. Doch wenn nicht bald auch in den weiter von der Hauptstadt Erbil entfernten Regionen Arbeitsplätze geschaffen werden, wird die Regierung nicht verhindern können, dass die gut ausgebildeten jungen Christen ihr Glück im Ausland suchen. Und so gut die kurdische Selbstständigkeit für die dort lebenden Christen derzeit ist, so schlecht ist sie für die Zukunft des Irak. Niemand spricht hier offen darüber, aber unter vorgehaltener Hand hört man es in den Straßen: „Der Irak wird auseinanderbrechen.“ 11


Stets auf der Hut: Christlicher Wachposten nahe Mossul.

Das Land ist gespalten. Nicht nur wegen ethnischen und religiösen Konflikten zwischen Kurden, Arabern, Sunniten, Schiiten, Jesiden und Christen, sondern auch im Kampf ums Geld. Der Irak ist reich an Bodenschätzen, vor allem an Erdöl. Und das wollen die unzähligen Parteien und Splittergruppen nicht teilen. Das Teilen ist eine christliche Tugend, doch um die Christen ist es still geworden im Irak. Sie sind die Ureinwohner ihres Landes und ihre Sanftheit und Demut wäre der Schlüssel zu seiner Zukunft. Aber sie werden ermordet und vertrieben. Was bleibt dem Irak also übrig? Die Teilung statt des Teilens? Ein neuer Bürgerkrieg?

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Mit diesem Buch möchte ich Ihnen durch Reiseberichte und Exklusiv-Interviews einen Einblick in die aktuelle Situation und die Zukunftsperspektive für die Christen im Irak geben und bitte Sie um Ihr Gebet für unsere Glaubensgeschwister.

In diesem Anliegen verbunden grüßt Sie Ihr André Stiefenhofer KIRCHE IN NOT

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Interview mit Weihbischof Sleiman Warduni von Bagdad: „Ich habe viele Fragen an den Westen“ Auf unserer Reise mussten wir uns leider darauf beschränken, den relativ sicheren Norden des Irak zu besuchen. Für die lange und gefährliche Fahrt nach Bagdad hatten wir kein Visum bekommen. Umso mehr freuten wir uns, dass uns gleich nach unserer Ankunft in der nordirakischen Stadt Erbil Weihbischof Sleiman Warduni begrüßte. Er war extra aus Bagdad angereist, um uns über die Lage der Kirche in der irakischen Hauptstadt zu informieren.

Weihbischof Sleiman Warduni von Bagdad. 14


Herr Weihbischof, wie ist zurzeit die aktuelle Situation der Christen in Bagdad? Bagdad leidet sehr unter dem anhaltenden Terror. Immer noch explodieren beinahe wöchentlich Autobomben. In dieser Situation können und wollen wir Christen uns nicht von den übrigen Irakern abheben, indem wir sagen, dass es uns besonders schlecht geht. Die Situation ist allgemein nicht gut, es gibt keine Sicherheit. Darunter leiden alle Menschen in Bagdad, so auch wir Christen. Es gab aber doch des Öfteren gezielt Angriffe nicht nur auf Repräsentanten des Staates, sondern auch auf Christen? Natürlich – wenn die Angriffe sich häufen und gezielt auf Kirchen oder Wohnungen von Christen gerichtet sind, können wir von einem organisierten Vorgehen sprechen. Dann können wir sagen: die Terroristen wollen uns vertreiben. Ich wollte nur betonen, dass die Sicherheitslage für alle Iraker sehr schwierig ist. Und wenn Christen wegen dieser fehlenden Sicherheit Opfer von Raubüberfällen werden, kann man nicht von „gezielten Angriffen“ reden. Können Sie in den Fällen, in denen Christen zielgerichtet angegriffen werden, Gründe für diese Angriffe erkennen? Wenn irgendwo auf der Welt etwas geschieht, das den Fundamentalisten nicht gefällt, müssen wir Christen im Nahen und Mittleren Osten dafür büßen. Das war so nach der Regensburger Rede des Heiligen Vaters und ebenso nachdem der evangelikale US-Priester Terry Jones angedroht hatte, den Koran öffentlich verbrennen zu wollen. Nach solchen Vorfällen haben die Islamisten Gewalt gegen uns ausgeübt. Und das, obwohl wir Christen in der ganzen Welt nur friedlich unseren Glauben leben wollen. Gibt es auch politisch motivierte Angriffe auf Christen? Es gibt politische Kräfte, die den Irak spalten wollen. Diese Separatisten wollen je nach Richtung getrennte Gebiete für Sunniten, Schiiten, Kurden, Araber und so weiter einführen. In diesem Konzept ist kein Platz für ein „Miteinander“. Separation ist schlecht, denn sie entspringt aus der Gier der Menschen. Wir müssen endlich anfangen, an den Irak zu denken und 15


ihn nicht mehr länger in seine Bevölkerungsgruppen aufzuteilen. Wir sind alle zuerst Iraker und dann Christen oder Muslime. Die Gier nach Geld spaltet die Menschen und schwächt den Irak. Nur gemeinsame Arbeit und Idealismus garantiert eine gute Zukunft für unser Land.

Verbrannt und seiner Mutter aus dem Arm geschlagen: Die beschädigte Statue eines Jesuskinds wird in einer irakischen Kirche liebevoll aufbewahrt. 16


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