Pakistan - Christen im Land der Taliban - Blick ins Buch

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Pakistan Christen im Land der Taliban

Eva-Maria Kolmann


Pakistan Christen im Land der Taliban Eva-Maria Kolmann


Inhaltsverzeichnis Zum Geleit

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Auf nach Pakistan

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Erste Eindrücke und ein großer Irrtum

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„Wir sind in großer Gefahr“

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„I love my Bible“

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Alle Religionen – Hand in Hand

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Wie Lämmer unter den Wölfen

24

Traumberuf Priester

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Ein lebensgefährlicher Trip nach Belutschistan

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„Am meisten leiden die Frauen“

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Victor und Victor

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„Wenn du die Messe feierst, jagen wir dich in die Luft“

52

Das Christuskind in Sindh

55

Todesurteil: Mädchen oder: „Sie glauben an Affen“

62

„Die Christusstatue hat uns gerettet“

66

Ein Bischof mit Bodyguards

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Wenn Weihnachten die Taliban an die Tür klopfen

76

„Ohne Jesus sind wir nichts“

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Fünf Stunden Hölle

83

Unschuldig angeklagt

84

Ein furchtloser Anwalt

85

Ermordet wegen Konfetti

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„Hängt Schwester Miriam“

91

Schulfach: Hass

93

Weihnachten im Gefängnis

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Wo das Lamm sich an den Löwen schmiegt

101

„Schuld ist hier immer die Frau“

108

Samirs wundersame Rückkehr

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Bomben in Lahore

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Ein moderner Märtyrer

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Nachwort: Christus in Pakistan

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Zum Geleit

Liebe Leserin, lieber Leser, begeistert ist niemand, wenn man ankündigt, nach Pakistan zu reisen. „Pakistan? Schlimmer geht es wohl nicht!“, sagen die einen. Betretende Mienen sieht man bei den anderen. Niemand wagt es direkt zu sagen, aber jeder fragt sich unwillkürlich, ob man von dort überhaupt jemals wiederkommen wird. Entführt, geköpft, in die Luft gejagt – das sind die Schreckensfantasien. Aber in einem Land mit fast 180 Millionen Einwohnern wird nicht nur gestorben, sondern vor allem gelebt. Menschen freuen sich. Kinder lassen Drachen steigen. Händler verkaufen auf dem Basar Plüschtiere, gefärbte Zuckerwatte, Luftballons, Berge von Blütenblättern. Grellbunt bemalt sind die Busse und Lastwagen, ein Urwald aus Blumenranken, Vögeln und Ornamenten macht jeden von ihnen zu einem Kunstwerk. Es gibt ein Pakistan, das lächelt. Ein Pakistan, das betet. Ein Pakistan, das tanzt und singt. Und doch gibt es auch ein Pakistan in permanenter Angst und Anspannung. Ein Pakistan, in dem ein Menschenleben nichts zählt. Ein Pakistan, in dem jeder jederzeit getötet werden kann. Jeder Schutz ist nur scheinbar, jede Sicherheit vermeintlich. Wer hier an nichts glaubt, ist schon verloren. Was kaum einer weiß: Auch 1,2 Millionen Katholiken leben in der „Islamischen Republik“. Eine gar nicht so geringe Zahl. In der fast ausschließlich muslimischen pakistanischen Bevölkerung bilden sie jedoch nur eine kleine Minderheit. Sie leiden noch mehr als die Mehrheit ihrer Landsleute, denn sie werden ausgegrenzt, diskriminiert und verfolgt. Viele von ihnen haben ihre Treue zu Christus bereits mit dem Leben bezahlt. Wie es leider scheint, werden sie nicht die letzten gewesen sein.

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Um ihre Erfahrungen zu teilen, ihre Geschichten anzuhören und zu erfahren, wie wir ihnen noch besser helfen können, haben Kollegen von KIRCHE IN NOT und ich diese Reise unternommen. Drei Wochen lang waren wir unterwegs, um alle pakistanischen Diözesen zu besuchen. Auch nach unserer Rückkehr nach Deutschland ist ein Teil unserer Herzen in Pakistan geblieben. Das Glaubens- und Lebenszeugnis dieser Menschen hat uns mehr gegeben, als wir es ihnen durch unsere Hilfe jemals werden vergelten können. Wir haben unseren pakistanischen Schwestern und Brüdern versprochen, zuhause ihre Geschichten zu erzählen. Wir haben ihnen versprochen, dass die Menschen, die von ihrem Schicksal erfahren werden, für sie beten werden. Und wir haben uns vorgenommen, davon zu berichten, dass Pakistan mehr ist als Terror und Bomben. Drei Wochen lang haben wir jeden Tag erfahren dürfen, dass Christus auch im Land der Taliban lebendig ist. „Ein Volk, das im Dunkel lebt, sieht ein helles Licht“ (Jes 9,1), sagt der Prophet Jesaja. Dieses Licht haben wir in den Augen, Herzen und in den Gebeten der pakistanischen Katholiken gesehen. Dieses Licht inmitten all der Angst, der Finsternis und der Verzweiflung, das niemand auszulöschen vermag. Ein paar Strahlen von diesem Licht möchten wir mit diesem Büchlein an Sie weitergeben.

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Auf nach Pakistan! „Wenn Sie diese Ansage in Urdu hören möchten, drücken Sie die Zwei“. Das fängt ja schon gut an. Das Tonband des pakistanischen Konsulats hilft mir nicht wirklich weiter, und nach geduldigem Abhören meldet sich noch immer niemand. Egal, dann versuche ich es eben alleine. Etwas unangenehm ist es mir schon, ein Einschreiben an das „Generalkonsulat der Islamischen Republik Pakistan“ bei der Post aufzugeben. Die Gebühr für das Visum habe ich von meinem Konto überwiesen. Geldtransfer an die „Bank of Pakistan“ – das klingt verdächtig ... Stehe ich jetzt im Fadenkreuz der Antiterrorfahndung? Nach knapp zwei Wochen ist es endlich da, das ersehnte Visum für die Reise in eines der gefährlichsten Länder der Welt. Es sieht viel harmloser aus, als ich es mir vorgestellt hatte. Gar nicht richtig nach „Islamischer Republik“. Es kommt mir auch nicht so vor, als hielte ich möglicherweise mein Todesurteil in Händen. Alles ganz normal, nur ein Aufkleber im Pass. Jetzt steht der Reise nichts mehr im Weg. Vier Wochen später am Frankfurter Flughafen: Ist das etwa unsere Schlange? Die Leute am Eincheckschalter mit Reiseziel Abu Dhabi machen auf mich einen etwas unheimlichen Eindruck. Scharen von bärtigen Männern in weißen Kaftanen tummeln sich um Gepäckwagen, auf denen sich die Gepäckstücke stapeln. Dazwischen ein paar verschleierte Frauen. Fast sechseinhalb Stunden dauert der Flug nach Abu Dhabi. Beim Start wird über Lautsprecher ein Koranvers rezitiert, auf den kleinen Bildschirmen an den Vordersitzen erscheint immer wieder neben der Entfernung zum Zielflughafen der gegenwärtige Abstand nach Mekka. Was würde passieren, wenn die Lufthansa Bibelverse und die jeweilige Entfernung nach Rom übertragen würde? Für Heiterkeit sorgen dagegen die rot-durchsichtigen Trinkbecher. Für uns sehen sie aus wie Friedhofslichter, aber vielleicht ist die Farbe in den Vereinigten Arabischen Emiraten der letzte Schrei. In Abu Dhabi müssen wir umsteigen. Wir sind ohne jeden Zweifel im Orient. Am ADACSchalter steht ein Angestellter, der wie ein Scheich aussieht. Verschleierte Sicherheitsbeamtinnen in bodenlangen taubenblauen Mänteln tasten uns Frauen ab. An der Wand – wie eine Fata Morgana – plötzlich ein überdimensionales Plakat „The Magic of Prague“. Man glaubt, neben der Prager Burg zu stehen. Das neue Reiseziel der Emirate. Mir kommt das bezaubernde Glockenspiel der Prager Loreto-Basilika in den Sinn. Hier in Abu Dhabi begrüßt uns der Ruf des Muezzins, der durch den Flughafen hallt, und es sticht uns das allgegenwärtige „Moschee“-Schild in die Augen. An jeder Ecke gibt es einen Gebetsraum. Daneben in den westlichen Konsum-Tempeln Kosmetika von Lancôme, Dior und Givenchy, Designermode, goldene Uhren, die neueste Unterhaltungselektronik, Schweizer Pralinen und als netter Gruß aus der Wüste Spielzeugkamele.

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Um 23 Uhr sollen wir weiterfliegen, aber der Flug verspätet sich um eine Stunde. Auf einem Bildschirm läuft ein amerikanischer Horrorfilm. Darunter tragen bis zu den Augen verschleierte Frauen ihre Kinder auf dem Arm. Sie gehen zu anderen Ausgängen. Auf unseren Flug nach Karatschi warten zu 99 Prozent Männer, und wir sind die einzigen westlichen Ausländer. Als durch den Lautsprecher die Durchsage schallt, dass zunächst Fluggäste mit Kindern einsteigen sollen, springen alle auf und stellen sich in die Schlange. Keiner von ihnen hat ein Kind dabei. Als wir endlich ins Flugzeug einsteigen, blicke ich in Dutzende Männergesichter. Außer uns sind nur zwei weitere Frauen an Bord, davon eine, die bis zu den Augen schwarz verschleiert ist. Ein erster Eindruck einer Gesellschaft, in der Frauen in der Öffentlichkeit kaum sichtbar sind. Ich traue mich nicht, während des Fluges noch einmal vom Sitz aufzustehen, um mich nicht den Blicken auszusetzen.

Verschleierte Frau. 7


Erste Eindrücke und ein großer Irrtum Um halb vier Uhr morgens Ortszeit landen wir in der südpakistanischen Hafenstadt Karatschi, die 18 Millionen Einwohner hat. Der Generalvikar der Erzdiözese, Father Artur Charles, holt uns mit mehreren jungen Leuten aus der katholischen Gemeinde ab, die sich die Nacht um die Ohren geschlagen haben, um uns willkommen zu heißen. Rührend. Wir machen die ersten Erfahrungen mit den obligatorischen Blütengirlanden, die jedem Gast zur Begrüßung umgehängt werden. Beim Verlassen des Flughafens fällt der erste Blick auf ein McDonald’s-Lokal. Mitsamt unseren großen Koffern werden wir hinten in einen sehr kleinen Minivan gepfercht. Heiß und unbequem ist es, und viel sieht man nicht von der Stadt, aber irgendwie kommt mir Karatschi bei Nacht „normal“ vor. Jedenfalls ist das mein erster Eindruck. Dass dieser erste Eindruck mehr als falsch war, erfahren wir am nächsten Tag. Wir wurden von unseren neuen Freunden extra hinten im Fahrzeug versteckt, da wir ein gefährliches Viertel passieren mussten. Die Leute, die uns abholten, zitterten um unsere Sicherheit, während wir von all dem nichts ahnten. In der zweiten Nacht hören wir das Maschinengewehrfeuer selbst. Mehrere Menschen sollen dabei ums Leben gekommen sein. Kämpfe, Schießereien, gezielte Tötungen sind an der Tagesordnung. Besonders gefährdet sind Menschenrechtsaktivisten und Personen, die sich politisch engagieren. Auch kirchliche Mitarbeiter sind in Lebensgefahr. So stürmten im

Obsthändler an einer Straße in Karatschi. 8


Busfahren in Karatschi – ein Abenteuer ...

September 2002 mehrere schwer bewaffnete Männer die Büros der 1974 gegründeten Idara-e-Aman-o-Insaf-Kommission (Kommission für Gerechtigkeit und Frieden) der Erzdiözese Karatschi. Sie erschossen sieben Männer und Frauen, die sich dort für den Schutz von Frauen, Minderheiten, Benachteiligten und Bedrängten sowie für Frieden und Verständnis zwischen den Religionen engagierten. Bereits wenige Monate zuvor war ein Vorstandsmitglied der Kommission in seinem Büro erschossen worden. Allein im Jahr 2010 sind in Karatschi nach Angaben der pakistanischen Menschenrechtskommission 237 Menschenrechtsaktivisten und Personen, die sich politisch engagierten, sowie 301 weitere Zivilisten gezielt getötet worden. Insgesamt sind 1969 Menschen gewaltsam ums Leben gekommen. Seit 2005 hat sich diese Zahl fast verdoppelt. Die Leichenhallen der Stadt sind zeitweise überfüllt, und viele der Toten sind verstümmelt. In der Stadt herrscht eigentlich schon Bürgerkrieg, wird uns immer wieder gesagt. Dafür sind die Kinder, die wir am nächsten Tag bei den Ordensschwestern der „Töchter vom Kreuz“ treffen, umso goldiger. Niedliche Winzlinge in adretten Kleidchen geben artig die Hand und sagen „good afternoon“. Etwas größere Kinder, vielleicht Erstklässler, haben sich für das Lichterfest der Hindus fein gemacht. Stolz zeigen sie uns ihre hennabemalten Hände. Wir bewundern die Verzierungen ausgiebig und loben jedes einzelne Kind – auch das kleine Mädchen, das die Händchen nicht bemalt hat, sie aber dennoch erwartungsvoll ausstreckt. Die Kinder stammen aus einem Hindu-Slum, erklärt uns Schwester Judy. Ihre Eltern schicken sie zum Betteln, aber bei den Schwestern können sie in die Schule gehen. In der Erzdiözese Karatschi unterhält die katholische Kirche 18 Kindergärten, 28 Grundschulen und 32 weiterführende Schulen. Mehr als 9


Der chaotische Straßenverkehr in Karatschi.

38 000 Schülerinnen und Schüler und über 4000 Kindergartenkinder besuchen katholische Institute, die den Angehörigen aller Religionsgemeinschaften offen stehen. Dann geht es auf in die Stadt. Jeder Blick aus dem Fenster übertrifft den vorhergehenden. An einer Straßenecke sitzen Tagelöhner, die darauf warten, dass jemand sie anheuert. Ein Mann hockt mit angezogenen Beinen auf dem Kofferraum seines parkenden Autos und tippt eine SMS in sein Handy. Fünf Personen sitzen auf einem Moped, dazwischen ein Baby. Jemand transportiert Ziegen in einer Rikscha. Mitten auf einer mörderisch befahrenen Kreuzung springen Fahrgäste aus einem Bus, ohne sich umzusehen. Ihr Gottvertrauen muss grenzenlos sein. Oben auf dem Dach des Busses sitzen zwanzig weitere Passagiere. Wie sie absteigen, wage ich mir nicht vorzustellen. Auf Müllhaufen weiden Rinder. An einem Marktstand liegen die bereits geschlachteten und gerupften Hühner auf den Käfigen ihrer noch lebenden Artgenossen. Ein kleiner Junge führt einen Eselskarren, der mit einem Berg aus Kleidern beladen ist, auf dem sein Vater seelenruhig schläft. Eines fällt besonders auf: Das Straßenbild wird fast ausschließlich von Männern geprägt. 52 Prozent der pakistanischen Bevölkerung sind Frauen, aber draußen sieht man sie kaum. 10


„Wir sind in großer Gefahr“ Mitten in dem Getümmel sind wir plötzlich am Ziel. In einer der extrem belebten engen Geschäftsstraßen von Karatschi liegt wie eine Oase die Buchhandlung der Paulusschwestern. Sie braucht sich vor katholischen Buchhandlungen in Europa oder in den USA nicht zu verstecken. Die Schwestern – eine Italienerin und vier pakistanische Ordensfrauen – bieten religiöse Literatur in reicher Auswahl an, Bibeln, Heiligenbilder, Messgewänder, Rosenkränze, Postkarten, Kinderbücher, die auf die Erstkommunion vorbereiten, christliche CDs und DVDs. Im Sekundentakt knattern bunt bemalte Busse ohne Türen vorbei, Motor-Rikschas schlängeln sich hindurch, Mopeds, Autos, Eselkarren – es herrscht unvorstellbarer Lärm. Abgase erschweren das Atmen. Auf dem Bürgersteig sitzen bärtige Männer vor ihren Läden, wieder andere laufen am Schaufenster vorbei. Ein etwas mulmiges Gefühl beschleicht mich. Diese Befürchtung ist gar nicht abwegig. Am 13. Juni 2005 wurde die Buchhandlung gestürmt, als eine Zeitung behauptete, auf christlichen Videos über das Leben der Propheten werde Mohammed verunglimpft. Die Polizei konfiszierte damals Filme und CDs und verhaftete einen Verkäufer. Der Mann wurde 24 Stunden lang festgehalten, die Schwestern eingeschüchtert und in Angst und Schrecken versetzt. Vor kurzem musste die Buchhandlung, die bereits seit 1948 besteht, geschlossen werden, weil davor Schüsse fielen, erzählt uns Schwester Daniela Baronchelli. Inzwischen gibt es offenbar einen Wachmann. Bemerkt habe ich ihn nicht unter den Männern, die auf dem Bürgersteig herumlungern. Schwer bewaffnet war er sicherlich nicht. Und wenn schon: Sollte jemand vom Motorrad aus in die Schaufensterscheibe schießen, was sollte der Wach-

Blick durch das Schaufenster der Buchhandlung der Paulusschwestern in Karatschi hinaus auf die belebte Straße. 11


Schwester Daniela Baronchelli und ein Verkäufer in der Buchhandlung der Paulusschwestern in Karatschi.

mann so schnell dagegen tun können? Schwester Daniela aus dem italienischen Brescia findet es eigentlich gut, dass der Laden sich an einem öffentlichen Platz befindet. „Hier steht er allen offen, und jeder kann kommen“, sagt sie uns. Aber sie gibt zu: „Wir sind in großer Gefahr.“ Die meisten Kunden der Buchhandlung sind Christen. Sie kaufen vor allem Bibeln und Katechismen. Allerdings bemerken die Schwestern, dass die Armut immer mehr zunimmt und dadurch auch weniger Bücher gekauft werden. Die Lage verschlechtert sich zunehmend. Arm waren die Christen schon immer, aber jetzt geht es um wirkliches Elend, weiß Schwester Daniela zu berichten. Und sie sagt bedauernd: „Unsere Christen hier sind sehr stark in ihrem Glauben, aber viele Menschen sind müde. Die Mutter hat keine Arbeit, der Vater wird aus der Fabrik entlassen. Und es gibt so viel Gewalt, so viele Menschen werden sinnlos getötet. Gott allein weiß, was aus diesem Pakistan werden soll.“ Hoffnung bereitet es ihr, dass die pakistanischen Christen trotz allem uner12


schütterlich an das Wort und die Verkündigungen Gottes glauben. Dazu nehmen sie auch Opfer in Kauf. „Als in diesem Jahr ein muslimischer religiöser Führer dazu aufrief, die Bibel in Pakistan zu verbieten, haben Gläubige Bibelexemplare aufgekauft, um sie an ärmere Mitchristen zu verteilen, damit sie im Falle des Verbotes eine eigene Ausgabe hätten“, erzählt sie. Die Paulusschwestern betreiben nicht nur die Buchhandlung, sondern sie gehen auch in Pfarreien in den Dörfern und in katholische Schulen, um dort Bibeln und religiöse Bücher zu verteilen. Dieses Medienapostolat ist sehr wichtig, es stößt aber bei vielen Muslimen auf große Ablehnung, weil sie die verkauften Artikel als „gegen den Islam gerichtet“ empfinden, vor allem Bilder und Filme. Schwester Daniela weiß aber auch von positiven Beispielen zu berichten: „Kürzlich kam ein alter muslimischer Mann zu mir, der mich um einen Job für seine Tochter bat, die Lehrerin ist. Ich erwiderte, dass ich ihr keinen Job beschaffen kann, aber darum beten werde, dass sie Arbeit findet. Daraufhin sagte der Mann zu mir: ‚Sie werden für mich beten, und ich werde für Sie beten!‘“ Dass Schwester Daniela bereits 80 Jahre alt ist, will man nicht glauben. Sie hat die ewige Jugend der schönen Seelen. Bereits seit 60 Jahren ist sie im Kloster. Als sie zwanzig war, war sie verlobt. Aber bald schon spürte sie, dass dies nicht der richtige Weg für sie war, sondern sie erkannte: „Ich muss zu Christus und mit Christus gehen.“ Sie lebt dafür, die Frohe Botschaft zu den Menschen zu bringen. KIRCHE IN NOT dankt sie nicht in erster Linie für die finanzielle Unterstützung, sondern vor allem für die „Gemeinschaft der Liebe“, die uns verbindet. „Ich liebe KIRCHE IN NOT“, sagt sie. „Ihr helft Christen dabei, im Glauben zu wachsen. Ihr seid in unserem Herzen.“ Leise spricht sie, eindringlich, mit Sanftmut, aber auch mit Kraft und mit einer klaren Lebendigkeit. Man wird in den Bann gezogen von der Liebe, mit der sie über die Menschen in Pakistan spricht, von ihrem Schmerz über das Leid, dem sie begegnet, und von der Kraft der Mission, mit der sie sich betraut weiß. Fast eine Stunde lang hören wir ihrem feinen, singenden, italienisch gefärbten Englisch zu. Sie ist glücklich in Pakistan und darüber, dass sie dafür leben darf, das Wort Gottes zu verbreiten. Ja, dass sie glücklich ist, sehen wir. Ihre Freude ist ansteckend. Und doch: Immer wieder fällt mein Blick durch die Schaufensterscheibe. Das Gefühl, schutzlos zu sein an diesem Ort, an dem die einzige Waffe Rosenkränze und Heiligenbilder sind, gibt dem Gespräch eine besondere Tiefe und Brisanz. „Lieber Gott, mach, dass wir hier lebend rauskommen und von all dem berichten können“, denke ich heimlich, während ich jeden Moment damit rechne, dass Schüsse fallen. Die Wahrscheinlichkeit ist gering, dass es gerade jetzt geschieht, aber eine Stunde lang nehmen wir teil an dem, was die Ordensfrauen und ihre Mitarbeiter jeden Tag durchleben müssen, ja, was so viele Menschen in Pakistan täglich erleben: Die Angst, dass jederzeit etwas passieren kann, und die Gewissheit, dass das Leben an einem seidenen Faden hängt. Und doch machen sie weiter. Tag für Tag. 13


Eine junge Frau am Stickrahmen.

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Ein alter katholischer Mann in Fatimaville bei Islamabad betet versunken. Das 端berwiegend christliche Dorf wurde benannt nach dem weltber端hmten Marienwallfahrtsort Fatima in Portugal. 15


„I love my Bible“ Auch das katechetische Zentrum von Karatschi wird immer wieder bedroht. Zwar befindet es sich im oberen Stockwerk eines Hauses, ist also von der Straße aus nicht so leicht zu attackieren wie die Buchhandlung mit ihrem Schaufenster. Dennoch wird es durch Wachmänner geschützt. Die Mitarbeiter lassen sich durch alles das nicht abschrecken: Lächelnde junge Frauen und Männer zeigen uns bereitwillig ihre Arbeitsplätze. Die junge Farzana tippt das Evangelium in der Sprache Urdu in ihren Computer. Sie arbeitet an einem monatlich erscheinenden Büchlein mit den jeweiligen Tageslesungen und Stundengebeten. Ihre Kollegin Shazia zeigt uns katholische Zeitschriften und Malbücher für Kinder. Eine Gruppe von Männern und Frauen lernt gerade im Unterrichtsraum die Grundlagen der christlichen Lehre von Ehe und Familie. Im Nebenzimmer schläft selig und süß der zweijährige Sohn einer Kursteilnehmerin. Das Zentrum wurde 1972 ins Leben gerufen. Damals waren gerade alle kirchlichen Schulen in Pakistan verstaatlicht worden. Zu dieser Zeit war Joseph Kardinal Cordeiro Erzbischof von Karatschi. Er war der erste einheimische Bischof in Pakistan und der einzige Kardinal, den das Land bis heute hervorgebracht hat. Seine größte Sorge galt dem Religionsunterricht der christlichen Kinder. Auf seine Initiative ging die Gründung des katechetischen Zentrums in Karatschi ebenso zurück wie die der mittlerweile in ganz Pakistan verbreiteten Sonntagsschulen. In ihnen sind mehr als 1000 Lehrer ehrenamtlich tätig, die unzähligen Kindern Sonntag für Sonntag die Heilige Schrift in Lie-

Sonntagsschulkinder aus Karatschi führen Szenen aus dem Evangelium auf. 16


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