Stadtgespräche Oktober 2013

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Nr. 66 Oktober 2013

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Münchner

Stadtgespräche Ausgabe Münchner Klimaherbst

Verkehrswende

Die Zukunft der Mobilität FuSSweg vs Auto

Abenteuer Schulweg EU-Verkehrspolitik

Mobilität Das Themenheft zum Münchner Klimaherbst

Mogelpackung fürs Klima


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die seite zwei

aus dem referat für gesundheit und umwelt

Wie praxistauglich sind Elektroautos? In München läuft derzeit ein dreijähriger Feldversuch

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lektromobilität ist umweltfreundlich, leise und CO2-neutral – sofern Strom aus regenerativen Energiequellen genutzt wird. Dennoch sind Elektroautos auf deutschen Straßen bislang eher selten zu sehen. In München soll sich das in naher Zukunft ändern. Mit einem Praxistest sorgt die Landeshauptstadt München gemeinsam mit der Industrie dafür, dass Elektroautos im Alltag stärker von der Bevölkerung genutzt werden können. Insgesamt 36 Fahrzeuge von Audi, BMW und der IsarFunk Taxizentrale sind beim Projekt E-Plan München seit Juni 2013 im Einsatz. „In einem Feldversuch wird mit der Universität der Bundeswehr München erforscht, wie beispielsweise Infrastruktur und Logistik in einem urbanen Ballungsraum entwickelt werden müssen“, sagt Joachim Lorenz, Referent für Gesundheit und Umwelt. Bis 2016 läuft E-Plan München, das in seinem Referat betreut wird und aus insgesamt drei praktischen Tests besteht.

Auf München zugeschnittene Lösungen Carsharing in Großstädten ist schon heute eine umweltfreundliche und kostengünstige Alternative zum eigenen Auto. Seit diesem Sommer flitzen jetzt auch 20 BMW Active E-Fahrzeuge als Teil der Carsharing-Flotte von BMW Drive Now durch die Stadt: „Ein attraktives Angebot, das seinen besonderen Charme durch das unverbindliche Testen der E-Mobilität in einer Großstadt hat“, sagt Lorenz. Durch die Fahrten der Münchnerinnen und Münchner soll herausgefunden werden, wie attraktiv stunden- und tageweise geliehene E-Autos bei Kurzstreckenfahrten sind. Mit dem Hersteller Audi testet die Landeshauptstadt im zweiten Projekt die E-Mobilität mit ausgewählten Haushalten, die keine Garage besitzen. Sie haben wie die Mehrzahl der Münchnerinnen und Münchner einen Anwohnerparkausweis und müssen sich nach jeder Fahrt einen Parkplatz suchen. Das sogenannte Laternenparken und die damit verbundene Frage, wie am Straßenrand parkende Autos an dort errichteten Ladesäulen aufgeladen werden, ist laut Lorenz eine besonders wichtige Facette der E-Mobilität. Derzeit sind fünf Ladestationen in Westschwabing und Mil-

bertshofen in Planung, die mit Ökostrom der Stadtwerke München betrieben werden sollen. Das E-Taxi der Taxizentrale IsarFunk ist ein weiterer Bestandteil des Projektes. Patientinnen und Patienten, die zu Untersuchungen unterschiedliche Standorte der Städtischen Kliniken München aufsuchen müssen, werden vom E-Taxi gefahren, das auch im freien Taxiverkehr genutzt wird. Der Strom wird umweltfreundlich auf Klinikdächern gewonnen. 5,5 Millionen Euro werden bei E-Plan München investiert. „Mit den Erkenntnissen aus dem Praxistest soll ein auf München zugeschnittener Masterplan zum Ausbau der E-Ladeinfrastruktur entwickelt werden“, erklärt Joachim Lorenz.

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Katrin Zettler Referat für Gesundheit und Umwelt (RGU) RGU

Das Projekt E-Plan Das Projekt E-Plan München ist eines von 50 Projekten im Schaufenster Elektromobilität Bayern-Sachsen und wird mit knapp 3,05 Millionen Euro vom Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung im Rahmen der Schaufensterinitiative der Bundesregierung gefördert. Die Bundesregierung hat im April 2012 vier Regionen in Deutschland als „Schaufenster Elektromobilität“ ausgewählt und fördert hier auf Beschluss des Deutschen Bundestages die Forschung und Entwicklung von alternativen Antrieben. Insgesamt stellt der Bund für das Schaufensterprogramm Fördermittel in Höhe von 180 Millionen Euro bereit. In den groß angelegten regionalen Demonstrations- und Pilotvorhaben wird Elektromobilität an der Schnittstelle von Energiesystem, Fahrzeug und Verkehrssystem erprobt.


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Editorial Liebe Leserinnen und Leser, jetzt mal Hand aufs Herz: Können Sie sich eine Stadt ohne motorisierten Verkehr, eine Welt ohne Autos vorstellen? Zugegeben, eine sehr utopische Vorstellung. Schließlich ist „der Deutschen liebstes Spielzeug“ und die dazugehörige Infrastruktur aus unserem Leben kaum mehr wegzudenken. Und doch werden wir in den kommenden Jahrzehnten über alternative Verkehrssysteme nachdenken müssen, um steigende CO2-Emissionen, Abgase und Lärm in den Griff zu bekommen und dennoch mobil zu bleiben. Doch viele von Politik und Wirtschaft als Lösung präsentierte „grüne Technologien“ entpuppen sich bei genauem Hinsehen als Mogelpackung: Während „Bio“-Kraftstoffe nicht nur der Nahrungsmittelproduktion Konkurrenz machen, sondern auch den globalen Ausstoß von Treibhausgasen weiter erhöhen und damit letztendlich noch klimaschädlicher als fossile Brennstoffe sind, taugt auch die Elektromobilität nur bedingt zum Klimaretter (siehe Artikel auf Seite 15). Schließlich sind Elektroautos nur so sauber wie der Strom, der sie antreibt – und dieser kommt hierzulande noch immer zu einem Großteil aus Kohlekraftwerken.

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In diesem Heft zum Münchner Klimaherbst findet sich jedoch nicht nur Kritik am aktuellen Verkehrssystem, sondern es werden auch Lösungsansätze aufgezeigt, wie wir die Mobilität neu erfinden können – und damit unsere Umgebung wieder ein Stück lebenswerter machen. 15 Eine aufschlussreiche Lektüre wünscht Joy Mann

Inhalt

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E-Mobilität in München Wie praxistauglich sind Elektroautos?

Die Zukunft der Mobilität Über die Notwendigkeit einer Verkehrswende

Radfahren in Car-City Warum wir neue Verkehrslösungen brauchen

Radlhauptstadt München Interview mit Hep Monatzeder

Abenteuer Schulweg Kinder zeichnen ihre täglichen Erfahrungen

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Mogelpackung fürs Klima Grüne Technologien halten den Klimawandel nicht auf

Ökotourismus Kann man Genuss und Naturschutz kombinieren?

Flucht vor dem Klima Immer mehr Menschen werden zu „Kimamigranten“

Münchner Klimaherbst Die wichtigsten Veranstaltungstermine auf einen Blick

Impressum, Kontakte, Termine

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Umweltinstitut München e.V.

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Die Zukunft der Mobilität Über die Notwendigkeit einer Verkehrswende


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on der Zukunft kann man nur sagen, dass sie ungewiss ist, von der Mobilität weiß man heute zum Glück – oder Unglück – mehr. Das, was man heute landläufig unter Mobilität versteht, ist gestaltbar. Man kann sie so gestalten, dass man absehbaren Problemen vorbeugt. Oder, so wie in der Vergangenheit geschehen, dass man mit der Mobilitätsgestaltung Probleme erzeugt und ständig vergrößert, im Glauben, sie würden verschwinden, wenn sie nur groß genug geworden sind: Die Methode des systemunkundigen Verkehrswesens des letzten Jahrhunderts. Wäre das Verkehrswesen eine Wissenschaft, dann hätte die Verkehrswende spätestens in den 1960-er Jahren stattfinden müssen, als man feststellte, dass der Fahrbahnbau nicht zum erhofften Abbau von Stau führt, sondern im Gegenteil noch mehr Stau erzeugt. Anstatt über das eigene Tun und Treiben nachzudenken, arbeitet man bis heute an der weiteren Maximierung von Autostau, CO2-Emissionserhöhungen, unkontrollierter Siedlungs- und Stadtentwicklung und bemüht sich so, auch den Beitrag zur Klimaerwärmung ständig zu vergrößern. Das ist das Ergebnis traditioneller Verkehrs-, Raum- und Städteplanung und der Verkehrswirtschaft, auch wenn man genau gegensätzliche Ziele proklamiert. In den Köpfen der so genannten Experten und Entscheidungsträger ist leider von einer Verkehrswende nichts zu bemerken, sieht man einmal von dem ab, was vollmundig behauptet wird. Falsche Propheten sind es, die man an ihren Taten, nicht an ihren Worten erkennt. Die Grundlagen des herkömmlichen Verkehrswesens basieren auf den Erfahrungen und Beobachtungen einer Zunft von Planern, die mit dem plötzlichen Aufkommen von enorm schnellen Fortbewegungsmitteln gnadenlos überfordert war.

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2. Geschwindigkeitserhöhung: Schnelle Verkehrssysteme verkürzen die Fahrzeiten und können den Kostenaufwand für Errichtung, Erhaltung und Betrieb aus den Zeiteinsparungen, die sie der Gesellschaft bringen, rechnerisch rechtfertigen. 3. Freiheit der Verkehrsmittelwahl: Die freie Wahl der Verkehrsmittel nimmt mit deren Zahl und Vielfalt uneingeschränkt zu. Entsprechen diese Kernhypothesen dem Systemverhalten, müsste die Verkehrssituation ständig besser werden und nicht schlechter. Der Stau müsste längst Geschichte sein, die Gewinne aus der Zeiteinsparung müssten die Staatsfinanzen sanieren – besonders in Spanien, das über das längste Hochgeschwindigkeitsnetz der EU verfügt. Es dürften nicht jährlich 1,2 Millionen Menschen auf den Straßen bei Verkehrsunfällen getötet werden und über vier Millionen an den Autoabgasen sterben – die Städte müssten durch die Autos sogar noch lebenswerter werden.

Auf Irrtümern errichtet Mobilität ist kein Begriff, der ursprünglich mit dem Verkehrswesen zu tun hatte. Er wurde in der Soziologie zur Beschreibung sozialer Mobilität eingeführt, umfasste auch die geistige Mobilität und den Wohnortwechsel. Durch die Industrie wurde der Begriff als Definition dessen missbraucht, worüber heute landläufig gesprochen und gedacht wird: das Herumfahren von Autos, Zügen oder der Flugverkehr, fernab jeden Verständnisses für die Ursachen dieses eigenartigen Verhaltens. Die Ursache jeder physischen Mobilität liegt im Mangel am Ausgangspunkt, den man am Ziel zu beseitigen oder zu befriedigen sucht. Jeder Weg ist daher mit einem Zweck verbunden. Diese Zwecke sind aber nicht vom Verkehrsmittel abhängig – dieses ist ja nur das Mittel. Deshalb führt jede Zunahme an Autofahrten zwingend zu einer Abnahme der Fußwege, des Rad- und des öffentlichen Verkehrs. Die durchschnittliche Zahl der Wege bleibt gleich, bzw. steigt oder fällt mit der Bevölkerungszahl.

„Die Freiheit der Verkehrsmittelwahl erweist sich als Illusion“

Dass eine Verkehrswende notwendig ist, vermuten viele. Wie sie aber zu bewerkstelligen ist, weiß man nicht. Bemühungen in diese Richtung erweisen sich bei näherer Betrachtung fast immer als nicht erfüllbare Versprechen und enttäuschte Hoffnungen. Man behandelt bestenfalls Symptome und erschöpft sich in Beschwörungsformeln von Shared Space über Intelligente Verkehrssysteme bis zu E-Mobility, ohne jemals die dem System innewohnende Dynamik, an der viele so gut verdienen, zu brechen.

Grundlagen des technischen Verkehrswesens Damit man nicht die gleichen Fehler wiederholt, muss man bei den Grundlagen zum Verständnis des technischen Verkehrswesens ansetzen. Dieses ist auf drei Kernhypothesen aufgebaut: 1. Mobilitätswachstum: Mit zunehmendem Wohlstand nimmt der Autobesitz zu und damit unaufhaltsam auch die „Mobilität“, was anhand von Zählungen an Fahrbahnquerschnitten nachgewiesen werden kann.

Im Verkehrssystem gibt es kein Mobilitätswachstum. Diese Kernhypothese ist das Ergebnis eines Beobachtungsfehlers, weil man nur die Autos zählt. Was nicht verwundert, ist doch das Einheitsmaß herkömmlichen Verkehrswesens und Städtebaues die Pkw-Einheit und nicht der Mensch. Geschwindigkeitserhöhung führt – im Gegensatz zur individuellen Erfahrung – im System zu keiner Zeiteinsparung. Die Mobilitätszeit im System ist eine Konstante. Geschwindigkeiten verändern die Strukturen. Steigen sie, werden die Wege länger, die räumlichen Disparitäten nehmen damit zu und nicht, wie es in der Raumplanung angenommen wird, ab. Zersiedlung durch Wohngebiete, Zentralisierung der Wirtschaft, Vernichtung der lokalen beschäftigungsintensiven Betriebe, Machtzuwachs der Konzerne und schleichende strukturelle Arbeitslosigkeit bei überproportional steigendem Aufwand an Kilometern für Mobilität sind die zwingenden Folgen.


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An die Auto-Monokulturen vor unserer Haustüre haben wir uns längst gewöhnt. Doch wie sähe eine Gesellschaft ohne Asphaltwüsten und Blechlawinen aus? Traditionelles Verkehrswesen ruiniert daher nicht nur die finanziellen Grundlagen der Kommunen, sondern auch die der lokalen Wirtschaft und unterminiert die Sozialsysteme, die auf Bindungen beruhen. Die „Freiheit der Verkehrsmittelwahl“ erweist sich schon durch die Finanzen als Illusion und geht gänzlich verloren, wenn man den und die Menschen in ihrer realen evolutionären Verfasstheit beachtet. Sie sind auf diese technischen Entwicklungen evolutionär nicht vorbereitet und gehen daher mit großer Freude und Lust in die Autofalle. Und daher kann es keine Wende geben, wenn man sie aus dieser Falle nicht befreit.

Wo die Verkehrswende ansetzen muss Das Auto „spart“ dem Lenker pro Zeiteinheit mehr als die Hälfte der Bewegungsenergie eines langsamen Fußgängers, obwohl er sich mit einer für menschliche Bewegungen unvorstellbaren Geschwindigkeit mühelos fortbewegt. Den riesigen Energieaufwand dieser Maschine empfindet er ja nicht. Man wird zum Übermenschen in seinen Geschwindigkeitserwartungen, Raumdimensionen, Ansprüchen. Die Gesellschaft baute daher eine Welt für das Wohl und die Ansprüche der Autos und nicht mehr für die Menschen, die Kinder, die Alten, die Stadt. Diese Kenntnis des System- und Menschenverhaltens versetzt uns in die Lage, eine Verkehrswende zu gestalten, bevor die Not uns zur Einsicht verhilft, dass es schon zu spät ist. Einfach ist es nicht. Es kommt der Aufgabe gleich, aus einem Narrenhaus, in dem auch die Leitung von Narren besetzt ist, eine Gesellschaft verantwortungsbewusster Menschen zu machen. Am hartnäckigsten werden sich dabei jene erweisen, die beruflich vorbelastet sind und jene

mächtigen Konzerne, die an diesem Irrsinn prächtig verdienen. Denn die Behandlung findet heute dort statt, wo sie kaum mehr nützt und damit erfolgreich scheitern muss, dem Fließverkehr. Dort kann man keine Wende herbeiführen, weil dieser nur das Symptom tiefer liegender Ursachen ist. Heute wendet sich die Gesellschaft dem Auto zu und damit von allem anderen ab, von den Menschen, der Nähe, der Umwelt und von der sterbenden lokalen Wirtschaft. Beim Menschen und seinem Auto, dem Parkplatz muss daher die Verkehrswende ansetzen. Es war ein teuflischer Geniestreich des „Führers“, der sich 1939 in der Reichsgaragenordnung niedergeschlagen hat und bis heute von den Verwaltungen mit aller Brutalität gegen menschliche Werte umgesetzt wird: die Vorschrift, dass zu jeder Wohnung, zu jedem Arbeitsplatz und jeglichen sonstigen Aktivitäten zwingend Abstellplätze in unmittelbarer Nähe gebaut werden müssen. Damit wird der Zwang zum Autofahren erzeugt und zwar einerseits durch unsere evolutionäre Ausstattung, die Einsparung von Körperenergie, physische wie geistige, als angenehm, ja als Lust empfindet, besonders wenn sie noch mit übermenschlicher Macht und Fähigkeiten verbunden ist, und andererseits durch die gebaute Umwelt, die Fahrbahnen und damit Todeszonen bis zum letzten Objekt herstellen muss. So entsteht eine vielfältig selbstverstärkende Bindung, ein Zwang zur Autobenutzung, und alle anderen Formen von Mobilität und Freiheit werden unterdrückt. Diese Bindung ist eine energetische, also physische und kann daher nur durch eine physische Trennung wirksam aufgehoben werden.


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Den Zwang zum Autofahren abschaffen Nur wenn die Wege zu den Abstellplätzen länger sind als zu den Haltestellen des öffentlichen Verkehrs, hat der reale Mensch die Mindestfreiheit der Wahl zwischen diesen Verkehrsmitteln. Praktisch läuft das darauf hinaus, dass Fahrzeuge nur in den dafür vorgesehenen Sammelgaragen oder außerhalb der Siedlungen abzustellen sind, was aber von den Raum- und Städteplanern jenes Gehirnschmalz erfordert, das unsere Vorfahren in den historischen Orten aufgewendet haben, die heute Anziehungspunkte nicht nur des Städtetourismus sind, sondern wieder zu den attraktivsten Wohn- und Wirtschaftsgebieten werden, wenn man sie vom Virus Auto befreit. Die Verkehrswende muss daher über die Garagen- und Bauordnungen erfolgen – die Symptome, die so genannten Verkehrsprobleme wie Stau, Umweltbelastungen, Arbeitslosigkeit und Mobilitätszwang, verschwinden dann von selbst. Sie bedeutet, dass man sich zuerst der Umwelt, der Familie, den Nachbarn, den lokalen Geschäften und den Arbeitsplätzen in der Nähe zuwendet und nicht mehr dem Auto. Man hat die Freiheit des Menschseins wiedergewonnen.

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Zur Person Professor Hermann Knoflacher ist ein österreichischer Zivilingenieur. Er ist Professor emeritus am Institut für Verkehrsplanung und Verkehrstechnik der Technischen Universität Wien. Bekannt wurde Hermann Knoflacher durch seine Kritik am Automobil und dessen Folgen für die Umwelt des Menschen. Sein aktuelles Buch „Zurück zur Mobilität!: Anstöße zum Umdenken“ ist im März 2013 im Verlag Ueberreuter erschienen.

Prof. em. Dr. Hermann Knoflacher Fotolia, Pixelio, LHM/Sebastian Gabriel

Dieser Fußgänger ist kaum zu übersehen: Die Skulptur „Walking Man“ im Münchner Stadtteil Schwabing ist über 17 Meter hoch und mit 16 Tonnen ein echtes Schwergewicht.


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Radfahren in Car-City In München gibt es keine Bezirksausschuss-Sitzung oder Bürgerversammlung, in der nicht mindestens ein Verkehrsthema auf der Tagesordnung stünde. Kein Wunder, denn der Straßenverkehr dominiert unsere Lebensumwelt. Für welche Verkehrslösungen wir uns entscheiden und welche Verkehrsarten wir fördern, bestimmt deshalb auch, wie unsere Städte aussehen.

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on Jahr zu Jahr steigt die Verkehrsleistung in unseren Städten. Es ist absehbar, dass der motorisierte Individualverkehr diesen Zuwachs nicht mehr auffangen kann. Im Hinblick auf die Lebensqualität und den Klimaschutz wäre dies auch gar nicht wünschenswert. Doch auch der öffentliche Nahverkehr stößt bereits an seine Grenzen. Das Fahrrad hingegen besitzt als Fortbewegungsmittel großes Potenzial, denn gerade im Nahbereich bei Entfernungen unter fünf Kilometern kann der Radverkehr viele Kfz-Fahrten ersetzen. Wie das Auto ist auch das Fahrrad Individualverkehrsmittel. Es fährt – unabhängig von Fahrplänen – wann und wohin ich möchte. Mit dem Fahrrad mobil sein können auch diejenigen, die noch nicht oder nicht mehr Auto fahren können. Mehr Radverkehr reduziert die Geschwindigkeiten und erhöht die Verkehrssicherheit für alle, insbesondere auch für Fußgänger.

braucht Straßen, ein Netz von Tankstellen und ausreichend Parkplätze. Parkende Kraftfahrzeuge prägen das Straßenbild so sehr, dass wir sie kaum noch bewusst wahrnehmen. Ihr Platzbedarf schränkt massiv den Raum ein, der Fußgängern und Radfahrern zur Verfügung steht. Die Regeln in diesem System sind auf Kfz abgestimmt und sollen ein schnelles Vorankommen ermöglichen. Es genügt für Autofahrer, die Grundregeln zu kennen. Die Verkehrsplanung sorgt dann dafür, dass sie weitgehend intuitiv erfassen, was von ihnen erwartet wird. In einem System, das auf hohe Fahrgeschwindigkeiten ausgelegt ist, müssen sich Autofahrer darauf verlassen können, dass sich auch die anderen Verkehrsteilnehmer an die Regeln halten, denn eine Unfallvermeidung durch eigenes Ausweichen oder Bremsen ist bei hohen Geschwindigkeiten nicht mehr möglich.

Automobile Welten

Die Optimierung des Verkehrsraums für diese hohen Geschwindigkeiten erfordert eine Separation der langsameren Verkehrsteilnehmer. Fußgänger müssen Gehwege benutzen und dürfen die Fahrbahn nur unter strenger Reglementierung betreten; Radfahrer werden auf gesonderte Radwege gezwungen. Begründet wird das mit deren Schutz, aber die-

Der Kraftfahrzeugverkehr dominiert die Umwelt, in der wir leben. Die Planung unserer Städte ist für ihn optimiert. Es handelt sich um ein System, in dem zahlreiche Komponenten zusammenwirken. Ein Auto


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ser ließe sich auch durch eine geringere Geschwindigkeit des Kfz-Verkehrs erreichen. Eine wirkliche Entflechtung der Verkehrsarten gibt es ohnehin nicht, denn an jeder Kreuzung treffen alle Verkehrsströme doch wieder aufeinander und bremsen sich gegenseitig aus.

Radeln im falschen System Der Radverkehr bewegt sich also in einem System, das eigentlich für den Kfz-Verkehr optimiert ist. Er ist dabei Regeln unterworfen, die für ihn keinen Sinn ergeben und funktional gesehen unnötig sind, wie das Beispiel Einbahnstraße zeigt. Die Regeln sind auch nicht intuitiv zu erfassen. So ist ein Radfahrer in manchen Fällen verpflichtet, einen Gehweg zu benutzen, weil dieser als gemeinsamer Geh- und Radweg beschildert ist. Fehlt jedoch ein entsprechendes Schild, ist der Gehweg für Radfahrer tabu – und zwar auch, wenn er sich funktional in keiner Weise von erstgenannter Variante unterscheidet. Um effizient zu funktionieren, benötigt der Radverkehr viel weniger formale Regeln als der Kfz-Verkehr. Radfahrer können sich untereinander und mit Fußgängern viel einfacher verständigen. Auch sind die Geschwindigkeiten im Radverkehr so unterschiedlich wie die Radfahrerinnen und Radfahrer. Die 13-jährige Schülerin auf dem Schulweg, ein 21-jähriger Student auf dem Rennrad, die 35-jährige Mutter mit Kinderanhänger, der 40-jährige Geschäftsmann auf dem Weg zur Arbeit und die 75-jährige Rentnerin auf dem Holland-Rad beim Einkauf haben ganz unterschiedliche Bedürfnisse und Anforderungen an die Gestaltung des Verkehrsraumes. Sie alle auf einen viel zu schmalen und für Autofahrer schwer einzusehenden Radweg zu zwängen, auf dem sie an der nächsten Einmündung von rechtsabbiegenden Kfz gefährdet werden oder ihnen von einbiegenden Fahrzeugen die Vorfahrt genommen wird (das sind die häufigsten Unfallursachen bei Radverkehrsunfällen in München), wird ihren Bedürfnissen sicher nicht gerecht. Um die Gefährdung für Radfahrer nicht zu erhöhen, müssen Radverkehrsanlagen strengen Entwurfsrichtlinien genügen, an die sich jedoch kaum eine Stadt hält. Daher sind die meisten Radwege auch für Radfahrer nicht attraktiv. Radverkehrsförderung ist nämlich nicht gleichbedeutend mit Radwegebau.

Den Radverkehr neu erfinden Eine sinnvolle Förderung des Radverkehrs betrachtet diesen als System und ermöglicht ein reibungsloses Ineinandergreifen aller Bereiche des fließenden und ruhenden Radverkehrs. Es braucht komfortable Radrouten, frei von Scherben, Dreck, Schnee und Eis und eine zuverlässige Wegweisung. Auch eine hohe Durchlässigkeit des Straßennetzes für den Radverkehr – unabhängig von Lenkungsmaßnahmen für den Kfz-Verkehr – sowie gut zu erreichende, diebstahlsichere Abstellmöglichkeiten an der Wohnung und an Geschäften, Büros, Schulen und Haltestellen sind notwendig. Dafür sollte auch dem Kfz-Verkehr durchaus (Park-)Platz im öffentlichen Raum genommen werden. Eine im Jahr 2013 in Kraft getretene Fahrradabstellplatzsatzung verpflichtet Bauherren, bei Neubauten auch

Dienen Radwege wirklich der Sicherheit von Radfahrern – oder doch nur der Beschleunigung des Kfz-Verkehrs?

Abstellmöglichkeiten für Fahrräder zu schaffen – bei Kraftfahrzeugen seit Jahrzehnten eine Selbstverständlichkeit. Reduziert man die Geschwindigkeit im Straßenverkehr, so erübrigen sich separate Radwege. Tempo 30 ermöglicht sicheren Radverkehr auf der Fahrbahn. Dort, wo eine Radverkehrsanlage notwendig erscheint, ist ein Radfahrstreifen auf der Fahrbahn im Sichtfeld der Autofahrer zu bevorzugen. Das ist nachweislich sicherer als ein baulich getrennter Radweg, auf dem sich allerdings die meisten Radfahrer subjektiv sicherer fühlen. Fahrradstraßen gewähren dem Radverkehr Vorrang und ermöglichen sichere und bequeme Radrouten. Die Öffnung von Einbahnstraßen für den Radverkehr gegen die Fahrtrichtung schafft Durchlässigkeit. Entscheidend ist es, nicht nur punktuelle Lösungen zu finden, sondern den Radverkehr genau wie auch den Kfz-Verkehr als zusammenhängendes System zu sehen. Was beim Kfz-Verkehr für die Planung selbstverständlich ist, muss es genauso für den Radverkehr sein. Radfahren sollte mindestens so bequem sein wie die Fahrt mit dem Auto. Denn wir wollen in einer lebenswerten Stadt Rad fahren, nicht in einer autodominierten „Car City“.

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Bertram Klein, ADFC München Fotos European Cyclists Federation (ECF)/Flickr, Heiner Pyhel


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Armeleutedrahtesel zum Lifestylefahrzeug

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Das Image des Radfahrens hat sich in den letzten Jahren deutlich gewandelt. Im Interview verrät Hep Monatzeder, wie er künftig noch mehr Münchner aufs Radl bringen will. Herr Monatzeder, vor mehr als drei Jahren hat sich die Stadt München das ehrgeizige Ziel gesetzt, Radlhauptstadt zu werden. Was hat sich seitdem getan? Den Titel „Radlhauptstadt“ haben wir uns im Jahr 2010 zum eigenen Ansporn gegeben. Wir wollen damit augenzwinkernd unsere eigenen Ambitionen untermauert sehen, die „Landeshauptstadt“ so schnell und gut wie möglich fahrradfreundlich zu gestalten. Die Radlhauptstadt-Kampagne ist aber nur ein Teilaspekt im 2009 vom Stadtrat gefassten „Grundsatzbeschluss Radverkehr“. Durch diesen hat sich unser jährliches Radverkehrsbudget auf viereinhalb Millionen Euro verdreifacht, und es gibt jetzt in allen zuständigen Referaten Stellen, die sich mit der Radverkehrsförderung beschäftigen und sich in gemeinsamen Arbeitskreisen austauschen. Mittlerweile wurden in der Stadt viele Fahrradstraßen eröffnet und eine Vielzahl von Einbahnstraßen für den gegenläufigen Radverkehr geöffnet. Außerdem werden die Radwege zunehmend vom Gehsteig auf die Fahrbahn verlegt, was den Radfahrern ein zügigeres und sichereres Fahren erlaubt und die leider häufig auftretenden Konflikte mit Fußgängern und Rechtsabbiegern entschärft. Jeder Neubau und jede Sanierung von Straßen berücksichtigt nun grundsätzlich auch die Bedürfnisse des Radverkehrs. Das Radwegenetz umfasst mittlerweile 1200 Kilometer. Im Grundsatzbeschluss Radverkehr haben wir uns den Ausbau auf 1400 Kilometer bis zum Jahr 2015 zum Ziel gesetzt und sind zuversichtlich, das auch zu schaffen.

Der „Fahrradklima-Test“ des Allgemeinen Deutschen Fahrradclubs (ADFC) im Frühjahr 2013 hat die Stadt Münster zur beliebtesten Fahrradstadt Deutschlands erklärt. Was kann sich München vom Testsieger abschauen? Wir haben im letzten ADFC-Fahrradklimatest zwar „nur“ Platz 11 von 38 erreicht, der ADFC selbst lobt in der Auswertung jedoch ausdrücklich die Städte Karlsruhe, München und Frankfurt am Main für ihr Engagement, mehr Menschen aufs Rad zu bringen und erklärt, dass Münchens „Radlhauptstadt“-Kampagne Standards in der Radverkehrsförderung gesetzt hat. Ich finde außerdem, dass Platz 11 gar kein so schlechter Platz ist, denn wir und auch der ADFC stellen fest, dass die Ansprüche und Erwartungen der Radfahrerinnen und Radfahrer in den letzten Jahren erheblich gestiegen sind. Folglich benennen sie Probleme auch deutlicher und sind kritischer in ihrer Bewer-

tung. Wir hätten uns aber nicht das Ziel gesetzt, „Radlhauptstadt“ zu werden, wenn wir nicht von Städten wie Münster oder Kopenhagen lernen wollten – auch wenn diese kleiner und deshalb nicht direkt vergleichbar sind. Für viele der bei uns nun angewandten Infrastruktur-Anpassungen haben wir uns Anregungen aus diesen besonders fahrradfreundlichen Städten geholt, z.B. die breit abmarkierten Fahrradstreifen, für die teilweise auch Autospuren weggenommen wurden. Sogenannte Aufstellstreifen an Ampeln oder Radschnellwege sind ebenfalls gute Beispiele aus Münster und Kopenhagen. Gerne würden wir auch guten Beispielen wie Freiburg folgen und baldmöglichst die Abstell- und Servicemöglichkeiten an den Bahnhöfen verbessern. In Pasing ist dies mit der großen Bike&Ride-Anlage bereits ganz gut gelungen. Am Hauptbahnhof sind wir aber von der Kooperation der Deutschen Bahn als Grundeigentümer abhängig.

Zur Person Josef (Hep) Monatzeder ist Dritter Bürgermeister von München. Er ist Schirmherr der Fahrradkampagne „Radlhauptstadt München“ und setzt sich für eine nachhaltige Mobilitätskultur ein. Für sein Engagement wurde er 2013 auf der internationalen Radler-Konferenz Velo-city in Wien mit dem Leadership Award for Cycling Promotion ausgezeichnet.


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München will bis zum Jahr 2015 den Anteil der Radfahrer am Gesamtverkehr auf mindestens 20 Prozent erhöhen. Wie stehen die Chancen, dass dieses Ziel erreicht wird? Ich bin ganz zuversichtlich, denn die im Grundsatzbeschluss Radverkehr eigentlich erst für 2015 angepeilten 17 Prozent Radverkehrsanteil hatten wir bereits 2011 erreicht. Deshalb streben wir nun 20 Prozent bis 2015 an. Der Anteil des Radverkehrs am Gesamtverkehr in München steigt schon deshalb stark, weil wir nach wie vor einen hohen Zuzug haben und deshalb im öffentlichen Nahverkehr und im Autoverkehr immer öfter Kapazitätsengpässe feststellen müssen. Ein Ausbau der Kraftfahrzeuginfrastruktur kann schon allein wegen der klimapolitischen Ziele und europäischen Vorgaben wie der Feinstaubverordnung keine Lösung sein. Folglich weichen immer mehr Menschen aufs Fahrrad aus und stellen dabei fest, dass dieses im Nahbereich das bequemste und schnellste Verkehrsmittel und nebenbei umweltfreundlich und gesundheitsfördernd ist. Hinzu kommt, dass sich das Image des Radfahrens weg vom „Armeleutedrahtesel“ hin zum „Lifestylefahrzeug“ entwickelt. Ist es überhaupt realistisch, dass die notwendige Infrastruktur bis zu diesem Termin bereitgestellt werden kann? Noch gibt es ja einige Lücken im Radnetz sowie gefährliche Engstellen. Sie haben Recht, dass die Zunahme des Radverkehrsanteils eine Herausforderung für die

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Infrastruktur darstellt. Eine zusätzliche Schwierigkeit sind die unterschiedlichen Geschwindigkeiten, die durch die Zunahme von Elektround Lastenrädern im Straßenverkehr bedingt sind. Größte Hürde beim Umbau ist aber der Platzmangel, denn der Straßenraum ist bereits fast vollständig überplant, so dass uns nichts anderes übrig bleiben wird, als den nötigen Platz dem fahrenden wie ruhenden Autoverkehr „wegzunehmen“. Und hier gibt es nach wie vor regelmäßig lange Debatten. Zu einer echten „Fahrradstadt“ gehört, dass sich auch jüngere Verkehrsteilnehmer gefahrlos im Straßenverkehr bewegen können. Welche konkreten Pläne gibt es, um die Verkehrssicherheit in München speziell für Kinder und Jugendliche zu erhöhen? Zum Glück ist die Verunglücktenrate von Kindern und Jugendlichen in München vergleichsweise gering und weiter abnehmend. Dennoch werden Kinder aus Angst vor Unfällen häufig von ihren Eltern im Auto zur Schule, zum Sportverein oder zur Musikstunde gebracht. Ärgerlicherweise oft in Autos, die durch ihre Größe selbst eine besondere Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer darstellen. Außerdem verhindert das Chauffieren im elterlichen Auto, dass die Kinder lernen, sich selbstständig und sicher im Straßenverkehr zu bewegen. Deshalb freue ich mich ganz besonders, dass es Projekte wie den „Bus mit Füßen“ von Green City e.V. gibt, bei dem Eltern sich reihum abwechseln, Kinder aus der Nachbarschaft zu Fuß zur Schule zu begleiten. Die

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Radlhauptstadt-Kampagne vermittelt außerdem im Rahmen der Schultournee „Check dein Radl“ spielerisch die Themen Verkehrssicherheit, Freude am Radfahren und Umweltfreundlichkeit an weiterführenden Schulen. In der „Radlwerkstatt“ legen Jugendliche schließlich selbst Hand an und reparieren in Kleingruppen mit erfahrenen Fahrradmechanikerinnen und -mechanikern ihre eigenen Fahrräder und machen sie verkehrssicher. Nicht vergessen bei der Schulwegsicherheit möchte ich die unzähligen ehrenamtlichen Schülerlotsen, die Morgen für Morgen kritische Punkte auf dem Schulweg sichern sowie die Angebote der Bayerischen Polizei wie Jugendverkehrsschule und Fahrsimulator. Wichtigste Maßnahme wäre in meinen Augen aber die Einführung von Tempo 30 (siehe Infokasten), denn mit verringerter Geschwindigkeit können Autofahrer Gefahrensituationen am Straßenrand besser wahrnehmen und aufgrund des kürzeren Anhalteweges schneller reagieren. Tempo 30 verhindert Unfälle, und falls es dennoch dazu kommt, sind die Folgen deutlich weniger gravierend. Mittlerweile sind bereits etwa 80 bis 85 Prozent des rund 2300 Kilometer umfassenden Münchner Straßennetzes mit Tempo 30-Zonen abgedeckt.

Interview:

Joy Mann Nagy, www.30kmh.eu

Fotos: Michael

Initiative Tempo 30 Die europäische Bürgerinitiative 30kmh - macht die Straßen lebenswert ist seit November 2012 zur Unterschriftensammlung zugelassen. Ziel der Initiative ist ein EUweites reguläres Tempolimit von 30 km/h (20mph) für städtische Gebiete und Wohngebiete.

Zentrale Anliegen der Bürgerinitiative sind die Verbesserung von Verkehrssicherheit und Lebensqualität sowie eine Reduzierung des Verkehrslärms. Bis zum 13. November 2013 müssen eine Million Unterschriften in mindestens sieben europäischen Ländern gesammelt werden, damit sich die EU-Kommission mit dem Thema Tempo 30 auseinandersetzen muss. Weitere Informationen zur Initiative: www.30kmh.eu

Ausnahmen sollen auf kommunaler Ebene nur dann beschlossen werden, wenn nachgewiesen werden kann, wie die Umwelt- und Sicherheitserfordernisse für die schwächsten Straßenverkehrs-TeilnehmerInnen erfüllt werden.

Auch in München hat sich ein Bündnis aus lokalen Umweltund Verkehrsverbänden zur Einführung von Tempo 30 gegründet. Weitere Informationen zum Bündnis: www.greencity.de/tag/tempo-30


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Abenteuer Schulweg Für Kinder sieht die Welt ganz anders aus – das gilt auch für den täglichen Weg zur Schule. Wer ihn nicht gemeinsam mit Schulfreunden, sondern via „Eltern-Taxi“ zurücklegt, muss auf viele Erlebnisse verzichten.

William, 7 Jahre


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Samuel, 7 Jahre

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ür viele Kinder ist es mittlerweile selbstverständlich, den Weg zur Schule oder in den Kindergarten auf dem Auto-Rücksitz zurückzulegen – zu groß ist die Angst der Eltern vor den Gefahren des Straßenverkehrs. Doch wie sollen Kinder lernen, sich angstfrei und sicher im öffentlichen Raum zu bewegen, wenn sie ihn nicht eigenständig betreten dürfen?

Welche Bedeutung der Schulweg für den körperlichen und geistigen Entwicklungsstand hat, zeigt das Projekt „Schulweg selbstständig und sicher erleben!“ des Verkehrsclub Liechtenstein (VCL), für das insgesamt 375 Kinder aus der Gemeinde Balzers ihren Schulweg gezeichnet haben. Während die zu Fuß gehenden Kinder in ihren Zeichnungen einen überraschend detaillierten Blick auf ihre Umgebung erkennen lassen, zeigt sich, dass den „Autokindern“ die Besonderheiten der zurückgelegten Strecke kaum in Erinnerung bleiben. Auf ihrem Schulweg empfinden die Kinder den Straßenverkehr jedoch durchaus als Bedro-

hung und die Begegnung mit dem motorisierten Verkehr als angsteinflößend (siehe Bilder S. 14). Deshalb sind auch die Fußgängerüberwege, die es wie ein Hindernis zu überwinden gilt, ein zentrales Element der Zeichnungen. „Der Weg zum Kindergarten und in die Schule ist für die Kinder ein wichtiger Schritt zu einem erfüllten Sein, zur Integration in seine materielle und soziale Umwelt, hin zur eigenständigen Persönlichkeit“, fasst Dr. Marco Hüttenmoser von der Forschungs- und Dokumentationsstelle „Kind und Umwelt“ die Erkenntnisse aus dem Projekt zusammen. Doch nur wenn die entsprechenden Rahmenbedingungen geschaffen werden, dass Kinder gefahrlos und ohne Angst am Straßenverkehr teilnehmen können, haben sie auch die Möglichkeit, diesen im positiven Sinne als „Abenteuer“ zu erleben.

Joy Mann Fotos: VCL Verkehrs-Club Liechtenstein Text:

Info Linkes Bild: Der siebenjährige William legt seinen Schulweg zu Fuß zurück. William zeichnet ein erstaunlich detailliertes Bild seiner Umgebung, die er in seiner Zeichnung in bunten Farben festhält. Auch er selbst und seine Begleitung sind auf dem Bild zu erkennen, beide machen einen fröhlichen Eindruck. Rechtes Bild: Der achtjährige Samuel wird mit dem Auto zur Schule gebracht. Samuel scheint auf dem Weg zur Schule nur wenig von seiner Umgebung wahrzunehmen, lediglich die Straße und einige Häuser sind zu sehen. Die verwendeten Farben erzeugen einen tristen Eindruck.

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Elias, 5 Jahre

Sabrina, 10 Jahre

Kinder, die zu Fuß zur Schule gehen, nehmen den Straßenverkehr und seine Gefahren sehr sensibel wahr. Besonders die Fußgängerüberwege spielen in den Schulwegzeichnungen eine zentrale Rolle.

Valentina, 8 Jahre


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Mogelpackung fürs Klima Warum Agrokraftstoffe und Elektromobilität den Klimawandel nicht aufhalten

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lle Welt spricht momentan vom Klimawandel und von den Technologien, die ihn doch noch im Rahmen halten sollen. Der Verkehr ist immerhin für gut ein Fünftel unseres Ausstoßes von klimaschädlichen Gasen verantwortlich. Darüber hinaus verbraucht er auch in erheblichem Maße begrenzte Ressourcen – ganz besonders Öl. Außerdem werden die Belastungen für Menschen und Umwelt immer mehr zum Thema, sei es in den Diskussionen um weitere Neubauten von Autobahnen, Autoverkehr in Städten, die dritte Startbahn in München oder die Landebahn Nordwest in Frankfurt. Wie so oft sollen „grüne Technologien“ all diese Probleme lösen: „Bio“kraftstoffe und Elektroautos. Diese Technologien werden in sämtlichen Veröffentlichungen von Industrie und Bundesregierung zum Thema Mobilität angeführt und mit entsprechenden Gesetzen wie dem „Biokraftstoffquotengesetz“ sowie durch milliardenschwere öffentliche Investitionen in Forschung und Entwicklung gefördert. Aber halten sie wirklich, was sie versprechen?

Konkurrenz um Anbauflächen Agrokraftstoffe – die übrigens in den seltensten Fällen „Bio“ sind, weil sie in der Regel in konventioneller Landwirtschaft angebaut werden – sind in den letzten Jahren besonders durch ihre Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion zum Gegenstand öffentlicher Diskussion geworden. Dies betrifft in erster Linie die sogenannte erste Generation dieser Kraftstoffe, bei denen Nahrungsmittelpflanzen (z.B. Mais, Raps oder Getreide) zur Produktion verwendet werden. Die zukünftige zweite und dritte Generation soll dieses Problem umgehen, indem etwa schnellwachsende Gräser und Bäume oder in fernerer Zukunft gar Algen zur Kraftstoffproduktion eingesetzt werden. Doch auch hier bleibt die Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion ein Problem, denn die landwirtschaftlichen Flächen sind begrenzt, und wo Energiepflanzen angebaut werden, kann keine Nahrung wachsen. Von den Befürwortern wird zwar immer wieder auf die Möglichkeit verwiesen, diese Pflanzen auf bislang

nicht genutzten, minderwertigen landwirtschaftlichen Flächen anzubauen, doch erstens gibt es solche Flächen nur in sehr begrenztem Maße und zweitens wird ein rentabler Anbau nur auf guten Flächen mit hohen Erträgen möglich sein. Schon jetzt deutet das „Land Grabbing“ darauf hin, dass den großen Konzernen die zukünftige Bedeutung von Agrarflächen durchaus bewusst ist. Eine Gesamtrechnung der benötigten Flächen zeigt darüber hinaus, wie absurd die Idee einer Energieversorgung mit Agrokraftstoffen ist: Wollte man den deutschen Verkehr tatsächlich mit Energie aus Pflanzen versorgen, würden die vorhandenen Agrarflächen bei weitem nicht ausreichen. So wäre mehr als das Vierfache der deutschen Agrarflächen notwendig, um den Kraftstoffbedarf zu decken – von den Problemen riesiger Monokulturen einmal ganz abgesehen. Es würde also alles auf einen neuen „Energiekolonialismus“ mit dem Anbau unserer Kraftstoffe in anderen Ländern hinauslaufen, der sich schon heute abzeichnet.

„Um den deutschen Verkehr mit Energie aus Pflanzen zu versorgen, wäre mehr als das Vierfache der deutschen Agrarfläche notwendig“


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Und nicht nur die Fläche ist ein Problem: Die Energie- und Klimabilanzen der Agrokraftstoffe sind alles andere als rosig; viele der Technologien sind unter Einberechnung aller Effekte nur unwesentlich besser als fossile Kraftstoffe, und einige sind letztendlich sogar noch klimaschädlicher als diese. Zusätzlich verschärft der Anbau der Energiepflanzen auch das Problem der Wasserknappheit. Die zweite und dritte Generation der Kraftstoffe erzeugt zudem noch weitere unkalkulierbare Risiken, da sie vielfach mit gentechnisch veränderten Pflanzen und über Synthetische Biologie gewonnene Mikroorganismen hergestellt werden.

Kein Klimaschutz durch Elektroautos Die zweite Technologie, die momentan als Ausweg aus der Klima- und Ressourcenkrise gefeiert wird, ist die sogenannte Elektromobilität – womit meist nur Elektroautos gemeint sind und gerne verschwiegen wird, dass es mit elektrisch betriebenen Bahnen eine gut funktionierende Elektromobilität bereits gibt. Doch auch Elektroautos schneiden im heutigen Strommix nicht besser ab als mit Benzin oder

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Elektroautos sind nur so sauber wie der Strommix, der sie antreibt: Solange der Strom aus Kohlekraftwerken kommt, werden die Emissionen lediglich verlagert. Diesel angetriebene Autos, und Elektrizität aus erneuerbaren Energien wird auf absehbare Zeit nicht im Überfluss zur Verfügung stehen.

Damit erzeugen Elektroautos die Verschmutzung letztendlich nur an anderer Stelle. Für ihre Herstellung werden außerdem begrenzte Rohstoffe wie Lithium und seltene Erden benötigt, die wiederum importiert werden müssen, und deren Knappheit schon jetzt absehbar ist. Die Autos sind aufgrund der Akkus, die

nach einigen Jahren ersetzt werden müssen, sehr schwer und damit energieaufwändig. Das Problem der Energiezuführung ist bei Bahnen und Bussen mit Oberleitungen, die auch insgesamt sehr viel weniger Energie benötigen, offensichtlich sehr viel eleganter gelöst.

Viele ungelöste Probleme Auch mit Agrokraftstoffen und Elektroautos bleiben viele Probleme des motorisierten Individualverkehrs grundsätzlich erhalten: über-

Lesetipp Wien erschienen und stellt die im Artikel kurz angerissene Problematik ausführlich dar. Basierend auf wissenschaftlichen Studien – aber auch für Laien verständlich erklärt – werden sowohl die unterschiedlichen Technologien für Agrokraftstoffe als auch die Elektroautos unter die Lupe genommen.

Das Buch „Essen im Tank“ von Dr. Bernhard Knierim (240 Seiten; 17,90 Euro; Paperback; ISBN 978-385371-354-9) ist im Promedia-Verlag

Ein Kapitel des Buches befasst sich auch mit den Lobbynetzwerken der Verkehrs- und Bauindustrie. Diese tragen entscheidend dazu bei, dass die Verkehrspolitik noch immer vorwiegend darauf ausgerichtet ist, den Status Quo durch Fördermittel und Milliardensubventionen zu erhalten. Zudem werden Alternativen vorgestellt, mit denen wir auch mit weniger und schonenderem Verkehr mobil bleiben und dabei

unsere Lebensqualität deutlich steigern können. Zahlreiche Beispiele machen deutlich, wie dies tatsächlich funktionieren könnte – wenn der politische Wille dafür vorhanden wäre. Zum Autor: Dr. Bernhard Knierim, geboren 1978 in Bad Hersfeld/Hessen, ist Biophysiker und arbeitete nach der Promotion als Wissenschaftler an der Entwicklung von Agrokraftstoffen der zweiten und dritten Generation. Derzeit ist er als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Deutschen Bundestag tätig und engagiert sich u. a. bei „Attac Deutschland“, dem Bündnis „Bahn für Alle“ und dem Netzwerk „Solidarische Mobilität“.


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füllte Straßen, Lärm, Unfälle mit Toten und Verletzten. Hinzu kommt die bei der Verbrennung von Agrokraftstoffen hohe lokale Luftverschmutzung. Auch die enorme Flächenversiegelung durch Straßen geht weiter und das Problem der Mobilitätsarmut wird nicht gelöst: Nach wie vor schließen wir mit einer autobasierten Mobilität ganze Bevölkerungsgruppen wie Minderjährige, alte Menschen und Behinderte von einer selbstbestimmten Mobilität aus. Damit gibt es neben den Ressourcen- und Klimaproblemen noch mehr Argumente für eine grundsätzliche Veränderung unserer Mobilitätsstrukturen.

Die Macht der Industrie Warum werden Elektroautos und Agrokraftstoffe trotz der desolaten Bilanz als angeblich „nachhaltige“ Konzepte für unsere zukünftige Mobilität angepriesen? Die Lobbynetzwerke der Automobil-, Energie- und Bauindustrie setzen alles daran, dass sich an den etablierten Strukturen möglichst wenig ändert und sie ihr Geschäftsmodell beibehalten können – und dafür funktionieren Agrokraftstoffe und Elektroautos hervorragend. Einflussreiche Lobbyverbände sorgen dafür, dass wir nicht nur diese Technologien fördern, sondern auch noch immer jedes Jahr viele Milliarden an Subventionen in Strukturen investieren, die alles andere als nachhaltig sind, und dass wir noch immer neue Straßen, Autobahnen und Flughäfen bauen, obwohl wir wissen, dass dadurch immer noch mehr Autound Flugverkehr erzeugt wird.

Eine autozentrierte Gesellschaft Doch was wäre die Alternative? Statt auf angeblich nachhaltige Technologien und ein „grünes Wachstum“ zu setzen, müssen wir die Strukturen unserer Mobilität grundsätzlich verändern und vor allem das noch immer weitergehende Verkehrswachstum stoppen. Verkehr darf nicht weiter als Selbstzweck betrachtet werden. Eine solche solidarische Mobilität mit einer konsequenten Förderung von nahräumlichen Strukturen zur Verkehrsvermeidung und einer Verlagerung von Verkehr auf schonende Fortbewegungsarten wie Fußverkehr, Fahrrä-

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der und den öffentlichen Verkehr könnte unsere Mobilität mit sehr viel weniger Autoverkehr sicherstellen und gleichzeitig unsere Lebensqualität steigern. Sie würde nicht nur Umwelt und Klima deutlich weniger belasten, sondern auch eine Mobilität für alle Menschen gewährleisten – inklusive Senioren, Minderjährigen und Behinderten, die in unserer jetzigen, autozentrierten Gesellschaft oft nicht selbstständig mobil sein können.

Für eine neue Verkehrspolitik Es gibt schon jetzt Beispiele, die zeigen, dass ein solches Modell funktionieren kann: In einigen Städten macht der Fußverkehr bereits mehr als die Hälfte des Gesamtverkehrs aus, in anderen der Fahrradverkehr mehr als ein Drittel oder der öffentliche Verkehr fast zwei Drittel – durch entsprechende Strukturen lässt sich die Dominanz des allgegenwärtigen Autos schon heute vermindern. Auch die Reaktivierung oder Erhaltung von Bahnstrecken hat in einigen dünn besiedelten Gegenden zu einer beeindruckenden Verkehrsverlagerung weg vom Auto geführt. Was bislang jedoch meist fehlt, ist der politische Wille. Daher muss von den Umwelt- und Sozialverbänden gemeinsam Druck auf die Verkehrspolitik aufgebaut werden, um diese vom Kopf auf die Füße zu stellen.

Text Fotos

Dr. Bernhard Knierim Fotolia, Dr. Bernhard Knierim, Umweltinstitut München e.V.

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Infos Rund ein Fünftel der europäischen CO2-Emissionen stammt aus dem Verkehrssektor. Um diese zu senken, setzen Politik und Automobilindustrie auf Agrartreibstoffe. Kein Wunder, denn so müssen weder im Mobilitätsverhalten noch bei der Fahrzeugtechnik gravierende Änderungen vorgenommen werden. Doch die Sache hat einen Haken: Der Treibhauseffekt wird durch Agrosprit keineswegs gestoppt. Entwaldung, Brandrodung, Grünlandumbruch und energieintensive Monokulturen sorgen dafür, dass die Emissionen sogar noch steigen. Der Anbau von Agrartreibstoffen tritt zudem in Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion, wertvolle Anbauflächen werden dadurch immer knapper. Das Umweltinstitut München e.V. fordert ein Ende der Förderung von Agrartreibstoffen und die Entwicklung wirklich nachhaltiger Konzepte für Landwirtschaft und Verkehr. Beteiligen Sie sich jetzt an der Aktion „NEIN! zur „Biosprit“-Lüge“ und bestellen Sie Infomaterial unter www.umweltinstitut.org


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Ökotourismus Kann man Genuss und Schutz der Natur kombinieren?

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mmer lauter wird die Debatte über den ökologischen Fußabdruck im Tourismus geführt, besonders, wenn es um Flugreisen geht. Dennoch gehört für viele Menschen die Möglichkeit, Urlaubsreisen in ferne Länder zu unternehmen, zu den wichtigsten Anforderungen an Mobilitätskonzepte der Zukunft. Immer größerer Beliebtheit erfreut sich deshalb in den letzten Jahren der „sanfte“ Ökotourismus, bei dem umweltbewusstes und naturnahes Reisen im Mittelpunkt steht. Doch kann Ökotourismus tatsächlich zum Umwelt- und Naturschutz beitragen, oder handelt es sich um grüne Augenwischerei, mit der lediglich das umweltbewusste Kundensegment der Reiseunternehmen zufriedengestellt wird?

Alles Etikettenschwindel? Der Begriff „Ökotourismus“ wird selten scharf definiert und ist meist positiv konnotiert. „Öko“ gilt als modern, ressourcenschonend, umweltsensibel und sozial korrekt. Die Bezeichnung wird häufig verwendet, um Taten oder Erscheinungsformen zu adeln. The Ecotourism Society, die in den USA führende Nichtregierungsorganisation in punkto nachhaltiges Reisen, definiert „Ecotourism“ als Tourismus, der auf Natur und naturnahe Landschaften ausgerichtet ist und dessen Einnahmen dem Schutz der Natur und dem Management von Schutzgebieten zugutekommen. In meiner Definition kommt ein weiteres Kriterium hinzu: Für die an den Reisezielen lebenden Menschen entstehen durch

diese Form des Tourismus wirtschaftliche Alternativen und damit eine Situation, die den Naturschutz auch wirtschaftlich attraktiv werden lässt. Ökotourismus ist für mich ein Leitbild, das bisher allenfalls punktuell erreicht wird. Meist ist der sogenannte Ökotourismus ein Etikettenschwindel. In der Regel profitiert die lokale Bevölkerung kaum davon, und nur wenig des eingenommenen Geldes wird auch tatsächlich für Naturschutzzwecke verwendet. Ökotourismus erhebt meist den Anspruch, drei völlig unterschiedliche Aspekte zu kombinieren, nämlich Tourismus in naturnahen Räumen, die Unterstützung von Vorhaben des Naturschutzes und die Eröffnung von neuen ökonomischen Perspektiven für die lokale Bevölkerung. Der erste Aspekt zielt auf die Destinationen der Reisenden: Schutzgebiete in Gebirgen, Waldregionen, Sumpflandschaften, an Küsten, im Inneren von Inseln, entlang wilder Flüsse. Es können wenig berührte Peripherien der Länder sein, Bergketten, infrastrukturschwache Regionen mit nur ansatzweiser landwirtschaftlicher und fehlender industrieller Durchdringung. Oft ziehen sie Reisende durch ihre Ursprünglichkeit, die Vielfalt von Fauna und Flora und manchmal auch durch die traditionelle Lebensgestaltung und Landnutzung indigener Gruppen an. Der zweite Bereich zielt auf die Stärkung des Naturschutzes: Öffentlichkeitsarbeit für die Bewahrung solcher Räume, Landkauf für

Schutzzwecke, Aufwertung staatlicher und privater Naturschutzinstitutionen. Auch die Schaffung von Informationszentren, die Dokumentation der biologischen und geographischen Attraktionen, Umweltbildung in Schulen oder die Professionalisierung von Rangern und Nationalpark-Administratoren gehören zu Maßnahmen, die langfristig dem Naturschutz dienen. Der dritte Aspekt zielt schließlich auf wirtschaftliche Alternativen für die in den Zielgebieten ansässige Bevölkerung als Ergänzung zu traditionellen Ökonomien, also beispielsweise Beschäftigung als Localguide, Mitarbeit beim Aufbau einer regionalen Infrastruktur für Reisende, Produktion und Vermarktung von Lebensmitteln und Souvenirs für Touristen oder Kommerzialisierung „exotischer“ sozialer Ereignisse.

Gütesiegel existieren nicht Doch können Naturschutz und Tourismus zusammenwirken? Zunächst scheint hier ein krasser Widerspruch zu bestehen. Schließlich wirken gänzlich unterschiedliche Mechanismen bei der Verwirklichung von Naturschutz und Tourismus. „Naturschutz“ assoziiere ich zunächst mit Engagement, Gemeinwohl, Selbstbeschränkung, leisem Auftreten und Ethik. „Tourismus“ heißt in erster Linie Vermarktung von Attraktionen, Konsum, Schnäppchenjagd, Rücksichtslosigkeit, Getümmel und Lärm. Naturschutz benö-


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tigt Wissen, Organisation und Geld. Tourismus braucht attraktive Ziele und eine leistungsstarke Infrastruktur und bringt viel Geld. Wenn beide zusammenwirken, einander respektieren, sich kontrollieren und bändigen lassen, voneinander profitieren, dann entsteht eine Win-Win-Situation. Eine schöne Vision: Genuss und Schutz der Natur sind zu kombinieren! International akzeptierte und weltweit vergleichbare Qualitätssiegel gibt es für Ökotourismus bisher nicht. Wenn jedoch das gegenwärtige Bemühen – nicht nur im umweltsensiblen Deutschland – um Tourismus mit stark reduzierter Umweltbelastung verglichen wird mit unbesonnener Raffgier früherer Stadien der touristischen Entwicklung auf der Erde, dann ist Optimismus berechtigt. Es gibt einzelne wunderbare Beispiele für Ökotourismus, wo der schmale Pfad zum Naturschutz durch Naturgenuss gelingt: Wandern im Schwarzwald, Paddeln auf der Weser, eine Radreise entlang der Oder, die Durchquerung des Regenwaldes im Oriente von Ecuador, Trekking in den Hochtälern von Nepal oder Gorilla-Beobachtungen in zentralafrikanischen Nationalparks - tausende gelungener ökotouristischer Beispiele mit naturnahen Destinationen, die auch die Unterstützung von Natur-

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schutzvorhaben und die Beteiligung der lokal ansässigen „Bereisten“ einschließen. Dass schlechte Beispiele häufiger zu finden sind, bei denen die lokale Bevölkerung von der Planung ausgeschlossen bleibt und touristische Aktionen hinzunehmen hat – das steht auf einem anderen Blatt.

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Ein bedrückender Aspekt muss am Schluss leider genannt werden, der zuvor ausgespart blieb: Wer weit reist und dies nicht zu Fuß, mit Fahrrad oder Segelboot tut, sondern sich einige Stunden lang und viele tausend Kilometer weit vom Land des täglichen Lebens in die Region der schönen touristischen Träume fliegen lässt, hat seinen ökologischen Fußabdruck protzig und unvergesslich dem Globus aufgedrückt.

„Wer weit reist, hinterlässt zwangsläufig seinen Fußabdruck“ Zwei weite Aufgabenfelder sehe ich für die Verbesserung von touristischer Nachhaltigkeit in naher und mittlerer Zukunft. Zum einen geht es darum, die guten Beispiele zu festigen und als Vorbilder anderswo zu propagieren, wobei der „Süd-Süd-Transfer“ in tropischen Ländern besonders beachtet und gefördert werden sollte. Zum anderen hat der Massentourismus stärker darauf zu achten, dass Naturschutz unterstützt werden muss und der Tourismus in attraktive Landschaften langfristig nur dann ökonomisch erfolgreich und umweltverträglich fortgesetzt werden kann, wenn die „Bereisten“ einbezogen werden und davon profitieren.

Streng genommen ist Nachhaltigkeit bei Fernreisen eine Illusion. Da Reisewünsche jedoch lebenslang in uns wuchern und Menschen „vor Ort“ an einzigartigen Stellen dadurch Chancen erhalten, in ihren vertrauten und angestammten Peripherien zu bleiben, wollen wir Tourismus, der in große Ferne zielt, nicht gänzlich verdammen, sondern pragmatisch als eine Option akzeptieren, die attraktives Reisen und Bewahren naturnaher Räume vereinen kann.

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Prof. em. Dr. Ludwig Ellenberg Geographisches Institut, HU Berlin Fotos Pixelio, Fotolia

„Mariposario“ auf Costa Rica Ein gutes Beispiel für ein erfolgreiches Ökotourismus-Projekt findet sich in Costa Rica: Unweit des Wasserfalls La Paz in der Cordillera Central zwischen den Vulkanen Poás und Barva befindet sich die weltgrößte Schmetterlingshalle „Mariposario“. Dort wurden verschiedene Schmetterlingsarten zusammengetragen und mit einem Netz überwölbt, um sie vor Vögeln zu schützen und beobachtbar beieinander zu behalten. Die Besucher sehen mindestens 43 Schmetterlingsarten, die sie in verschiedenen Entwicklungsstadien – im Kokon, als Puppe oder beim Ausschlüpfen – betrachten können. Die Schmetterlinge werden durch Zuckerwasser und aufgeschnittenes Obst angelockt, so können sie gut fotografiert werden. Die Touristen gehen auf Holzstegen in den Wald, über Treppen und Leitern bis in die Kronendächer,

balancieren über kleine Hängebrücken, bestaunen die stürzenden Wasser von La Paz, essen typische dörfliche Kost und übernachten in netten Cabinas. Auch die lokale Bevölkerung – von 120 Angestellten wohnen 100 in weniger als 15 km Distanz – ist als Guide, als Koch, Zimmermädchen oder Kunsthandwerker am Projekt beteiligt. Und so ist in einem Gebiet, in dem zuvor fast nichts war außer Landwirtschaft, Waldzerstörung und Abwanderung, durch den privat betriebenen Mariposario eine Wertschöpfung entstanden, die touristisch souverän ausgenutzt wird, mit anderen Schmetterlingsgärten in Lateinamerika gut konkurrieren kann und der Regionalentwicklung einen positiven Impuls gibt.


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Flucht vor dem Klima Jährlich werden Millionen Menschen durch die Folgen von Naturkatastrophen aus ihrer Heimat vertrieben, viele verlieren auf der Flucht ihr Leben. Die Zahl der „Klimaflüchtlinge“ wird in den kommenden Jahren weiter steigen. Jenseits von populistischen Stammtischparolen muss die Klimamigration als komplexes Phänomen verstanden werden, das die internationale Staatenwelt vor enorme Herausforderungen stellt.

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42,3 Millionen entwurzelten Menschen wurde 2010 erreicht. Laut der International Disaster Database (EM-DAT) hat sich die Zahl der registrierten Naturkatastrophen in den letzten Jahrzehnten verdoppelt, von etwa 200 im Jahr 1980 auf etwa 400 im Jahr 2010.

Das International Displacement Monitoring Centre schätzt, dass zwischen 2008 und 2011 durchschnittlich 27,5 Millionen Menschen pro Jahr durch Naturkatastrophen vertrieben wurden. Der Spitzenwert von

Diese alljährlichen Naturkatastrophen wurden in 90 Prozent der Fälle durch meteorologische und klimabedingte Ereignisse verursacht wie beispielsweise ungewöhnlich hohe und anhaltende Hitzeperioden und Dürren, heftige und lange Niederschläge, orkanartige Stürme und durch diese Phänomene bedingte Waldbrände, Erdrutsche und Überschwemmungen. Nur heftige Erdbeben (diese sind nicht klimabedingt) haben ähnliches Vertreibungspotenzial und verschieben die Statistik.

iele werden sich noch erinnern: An das überschwemmte New Orleans nach Hurrikan „Katrina“, an die großflächigen Brände, die aufgrund extremer Hitze und Trockenheit 2010 in Russland ausbrachen, an die massiven Überschwemmungen, durch die im selben Jahr tausende von Pakistanis ihr Zuhause verloren, an die extreme Dürre – die fünfte in Folge –, die 2011 am Horn von Afrika wütete und nicht zuletzt an das bereits zweite „Jahrhunderthochwasser“ in Deutschland in diesem Jahr.


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Die Extremwetterereignisse und die Bilder von Menschen, die verzweifelt auf ihr verlorenes Zuhause blicken, sich mit ihren wenigen verbliebenen Habseligkeiten auf den Weg machen und in Flüchtlingscamps oder bei Verwandten Unterschlupf suchen, prägen unser Bild von klimabedingter Migration.

Komplexe Auswirkungen Doch die Wirklichkeit von „Klimamigration“ ist weitaus komplexer. Erstens hat die globale Erwärmung nicht nur kurzfristig über uns hereinbrechende Naturkatastrophen zur Folge, sondern verändert auch durch schleichende Prozesse unsere Umwelt. Der Anstieg des Meeresspiegels, das Schmelzen der Polarkappen und das Tauen der Permafrostböden führen beispielsweise dazu, dass bewohnte Gebiete dem Meer anheimfallen oder allmählich im Morast versinken und unbewohnbar werden. Zweitens müssen wir unterscheiden zwischen jenen Menschen, deren Wohn- und Lebensraum kurzfristig unbewohnbar und zerstört wird, die aber nach einer Phase des Wiederaufbaus wieder heimkehren und denjenigen, die dauerhaft ihre Heimat verlassen oder gar verlassen müssen. Tatsächlich kehrt ein Großteil jener, die durch plötzliche Katastrophen getroffen werden, wieder an ihren Wohnort zurück. Wenn sich solche Desaster allerdings in zu kurzen Abständen wiederholen, kann sich dies ändern, weil die Kapazitäten, die für den Wiederaufbau investiert werden müssen, irgendwann erschöpft sind.

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maßnahmen angeboten werden, ob ein Migrationsprozess überhaupt finanziert werden kann und auf welche bürokratischen Hürden er stößt (insbesondere bei grenzüberschreitender Migration). Relevant ist auch, ob bereits etablierte Migrationssysteme – d.h. Routen, Netzwerke und eine gewisse Kultur der Migration – existieren, auf die zurückgegriffen werden kann. Außerdem neigen Leute, deren Hab und Gut nicht mobil ist, wie beispielsweise Landbesitzer, in der Regel weniger zu Migration als andere. Zusammengefasst hängt die Entscheidung, ob eine Person aufgrund klimabedingter Widrigkeiten lieber am Wohnort investiert oder ihre Heimat verlässt und wie genau diese Migration dann aussieht, von vielen gesellschaftlichen Faktoren ab. Obwohl der Klimawandel vielen Menschen auf der Welt das Leben erschwert oder gar unmöglich macht, heißt das daher nicht automatisch, dass diese migrieren. Viele werden einfach vor Ort verarmen – und sterben.

Das persönliche Risiko ist hoch Der Prozess der Migration ist für denjenigen, der ihn beschreitet, mit Potenzialen, aber auch mit vielen Unwägbarkeiten und Risiken behaftet. Wenn eine Person den Wohnort wechselt, um anderswo zur Unterstützung der Familie Geld zu verdienen, sind diese Bemühungen nicht zwangsläufig erfolgreich – etwa dann, wenn die Person keine Arbeit findet oder die Einkünfte so marginal sind, dass nichts bleibt, was man zurückschicken könnte. Auch kommt es vor, dass die Person am aktuellen Wohnort eine neue Familie gründet. Für die Zurückgebliebenen bedeutet dies, dass sie ohne die erhofften Rücküberweisungen zurechtkommen und womöglich eine Arbeitskraft entbehren müssen, die sie auch vor Ort – zum Beispiel für die Feldarbeit – hätten gebrauchen können. Wenn der zurückgelassene Haushalt von einer Frau geführt wird, hat das in vielen Gesellschaften zudem eine deutliche Diskriminierung zur Folge. Frauen, denen der Arbeitsmarkt verschlossen bleibt, werden mitunter Opfer von sexueller Erpressung im Gegenzug zu sozialen Zuwendungen wie Essensmarken oder sie werden gar direkt in die Prostitution gedrängt. Auch die Migranten selbst, insbesondere wenn das Ausland ihr Ziel ist, können Opfer von Menschenhändlern werden und ihre Reise endet ungewollt in Zwangsarbeit oder Zwangsprostitution. Vielleicht stranden sie aber auch „nur“ in einem Slum, der ihnen keine ausreichenden Verdienstmöglichkeiten bietet.

„Durch die globale Erwärmung werden viele Gebiete unbewohnbar“

Drittens bedeutet klimabedingte Migration nicht zwangsläufig, dass alle Mitglieder eines Haushalts den Wohnort verlassen. Häufig ziehen nur einzelne Familienmitglieder fort, um Geld zu verdienen, mit dem sie dann ihre Familie zu Hause finanziell unterstützen – unter anderem beim Wiederaufbau und bei Investitionen in verbesserte Schutzmaßnahmen. Die klimainduzierte Migration mündet sozusagen in Arbeitsmigration. Diese kann dann vorübergehend, zirkulär oder permanent sein und gegebenenfalls auch das Nachholen der Familie beinhalten. Viertens ist die überwiegende Mehrheit dieser Migrationsbewegungen nicht grenzüberschreitend. Diese Befürchtung hegen vor allem jene, die eine „Überflutung“ der sogenannten Westlichen Welt mit Migranten aus der sogenannten Dritten Welt fürchten. Abgesehen davon, dass sich bei weitem nicht jede/r wünscht, nach Europa oder in die USA zu gehen, ist diese Option für die meisten außerdem mit hohen Kosten und hohen Risiken behaftet, die nicht jede/r eingehen will oder kann. Zudem verfügt auch nicht jede Person über die sozialen Netzwerke, die für einen solchen Schritt nötig sind. Und fünftens hängen der Druck, die Möglichkeiten und der Wunsch zu migrieren, von vielen anderen politischen, ökonomischen, sozialen und kulturellen Faktoren ab. Entscheidend ist auch, ob Unterstützungsleistungen für den Wiederaufbau und für längerfristige Anpassungs-

Die bevorzugten Zielorte, meist die großen Städte eines Landes, stellt ein solcher Zustrom ebenfalls vor große Herausforderungen sozialer Art und hinsichtlich der Bereitstellung nötiger Grundversorgungsmittel wie Wasser, Zugang zu Gesundheitszentren und Schulen. Überdies ist es nicht ausgemacht, dass die Zielorte gegenüber dem Klimawandel besser gewappnet sind. Im Gegenteil: Viele Großstädte, insbesondere auch in der Dritten Welt, liegen beispielsweise an Flussdeltas oder Küsten und sind von Überschwemmung und Küstenerosion bedroht.


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Eine Herausforderung für die Politik Was macht die Politik? Auf der Weltklimakonferenz fand das Thema erstmals 2010 Eingang in das offizielle Abschlussdokument. Die Debatte um klimabedingte Migration begann bereits vorher, damals noch unter dem Stichwort „Klimaflüchtlinge“. Sie wurde zunächst unter der Annahme geführt, dass klimabedingte Migration zu mehr Konflikten und zu vermehrten Fluchtbewegungen in die Industrieländer führt. Mit dem Thema befassten sich zwischen 2005 und 2008 sicherheitspolitische Institutionen der USA, Großbritanniens, der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen und der Europäische Rat. Parallel hierzu entbrannte – unter denselben Annahmen – die Diskussion, ob die Genfer Flüchtlingskonvention erweitert werden oder gar eine neue Flüchtlingskonvention geschaffen werden müsse.

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Viele Fragen bleiben allerdings noch unbeantwortet, wie die nach dem Schutz von Migranten und ihren Familien vor Ausbeutung und Diskriminierung, Lösungen für Menschen, deren Staaten zu einem Großteil dauerhaft unbewohnbar werden könnten, oder die Herausforderungen zunehmender Urbanisierung bei gleichzeitigem Klimawandel. Vor allem werden immer noch viel zu selten die lokalen, nationalen und globalen gesellschaftlichen Ursachen thematisiert, die einen Großteil der Weltbevölkerung dem Klimawandel gegenüber so verwundbar machen.

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Dr. Jeanette Schade Fakultät für Soziologie, Universität Bielefeld FotoS Fotolia

Inzwischen ist die Diskussion umgeschwenkt. Zum einen werden Migration und die Rücküberweisungen, die sie generiert, von der Internationalen Organisation für Migration als Anpassungsstrategie an den Klimawandel propagiert. Zum anderen versucht man, die Schutzlücken in der humanitären Katastrophenhilfe zu schließen. Hier hat sich im Jahr 2011 die Nansen Initiative gebildet, bei der es vor allem darum geht, auch Schutzmechanismen für jene zu schaffen, die im Zuge einer Naturkatastrophe in ein anderes Land flüchten.

90 Prozent der Naturkatastrophen werden durch meteorologische und klimabedingte Ereignisse verursacht. Viele der Betroffenen haben keine Möglichkeit, sich vor den Auswirkungen zu schützen.


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Münchner Klimaherbst – Termine Donnerstag, 10. Oktober  Zurück zur Mobilität: Anstöße zum Umdenken in Zeiten des Klimawandels, 1921:30 Uhr, Alter Rathaussaal, Marienplatz 15 Freitag, 11. Oktober  Produkte auf Weltreise: Menschenrechte in einem globalisierten Weltmarkt, 1619:30 Uhr, Rathaus, Raum 109, Marienplatz 8  Mobilitätskosten in der Zukunft, 18:30-21 Uhr, Green City Energy, ZirkusKrone-Straße 10 Samstag, 12. Oktober  Wem gehört der Gehweg? 14-18 Uhr, Utzschneiderstraße / Ecke Blumenstraße Sonntag, 13. Oktober  Zukunftschance Elektromobilität? 11-16:30 Uhr, Deutsches Museum Verkehrszentrum, Am Bavariapark 5  Der Fußgänger im Wandel der Zeit, 15:30-16:30 Uhr, Deutsches Museum Verkehrszentrum, Am Bavariapark 5 Montag, 14. Oktober  Öldämmerung: Peak Oil, Fracking und die Zukunft der Mobilität, 18-21 Uhr, Amerika Haus, Karolinenplatz 3 Dienstag, 15. Oktober  Neue Nähe – Krautgärten: Zu Fuß zum Krautgarten statt mit dem Auto in den Supermarkt, 16-18:30 Uhr, Städtisches Gut Riem, Isarlandstraße 1  Wohn- und Mobilitätskostenrechner des MVV: Ein praktisches Online-Beratungswerkzeug für Umzugswillige, 18-20 Uhr, MVV, Thierschstraße 2 Mittwoch, 16. Oktober  Sonne bewegt sauber: Solare Mobilität als Teil einer ganzheitlichen Klimaschutzstrategie, 9-11 Uhr, Bauzentrum München, WillyBrandt-Allee 10  UNTERWEGS! Nachhaltig Reisen in Zeiten des Klimawandels, 19-21:30 Uhr, Gasteig, Black Box, Rosenheimer Straße 5 Donnerstag, 17. Oktober  Hauptsache Mobil – Mit welchem Ziel? Wissenschaft und Schule im Gespräch: Mobilität für junge Menschen in der Großstadt, 11-14.30 Uhr, MVHS, Severinstraße 6  Unterwegs in München: Mitmach-Rallye durch die Stadt, 14:30-18 Uhr, Deutsches

Museum Verkehrszentrum, Am Bavariapark 5  Alles ist möglich, aber nichts geht mehr: Über die Grenzen von Beschleunigung und Mobilität, 19-21 Uhr, Evangelische Stadtakademie München, Herzog-WilhelmStraße 24 Freitag, 18. Oktober  Nachhaltig leben – Morgen fange ich an! Möglichkeiten und Grenzen bei der Umsetzung guter Vorsätze im Alltag, 15-17 Uhr, Gregor Louisoder-Stiftung, Brienner Straße 46  Essen im Tank: Warum Biosprit und Elektroantrieb den Klimawandel nicht aufhalten, 19-21 Uhr, Green City Energy, ZirkusKrone-Straße 10 Samstag, 19. Oktober  Fahrradwerkstatt: So wird mein Fahrrad winterfest, 14-18 Uhr, ÖBZ, Englschalkinger Straße 166  Film: „Töchter des Aufbruchs“, Lebenswege von Migrantinnen, 18-20 Uhr, münchner zukunftssalon, Waltherstraße 29 Rgb. Sonntag, 20. Oktober  Den Engeln gleich: Himmlische mediale Mobilität – eine Ausschweifung, 11-13 Uhr, münchner zukunftssalon, Waltherstraße 29 Rgb.  Reiselust: ÖBZ-Aktionstag zum nachhaltigen Reisen, 14-18 Uhr, ÖBZ, Englschalkinger Straße 166  Mobil in die Zukunft – aber wie? Zukunftswerkstatt für Kinder, 15-18 Uhr, ÖBZ, Englschalkinger Straße 166 Montag, 21. Oktober  Die Mobilitätswende ist alternativlos: Reurbanisierung mit der Siedlungsstrategie „kompakt urban grün“, 19-21:30 Uhr, Green City Energy, Zirkus-Krone-Straße 10 Dienstag, 22. Oktober  Mobilität im post-fossilen Zeitalter ein Spagat zwischen Vision und städtebaulicher Praxis, 18:30-21 Uhr, PresseClub München, Marienplatz 22, 4. Stock  Wenn Arbeit viele Orte hat: Nachhaltige Mobilität und betriebliches Mobilitätsmanagement, 19-21 Uhr, Gewerkschaftshaus, Schwanthalerstraße 64  Hungern für die Spritfresser? Agrartreibstoffe und das Menschenrecht auf Nahrung,

19-21 Uhr, münchner zukunftssalon, Waltherstraße 29 Rgb. Mittwoch, 23. Oktober  Fluchtursache Klimawandel - Dimensionen einer globalen Katastrophe, 19-21:30 Uhr, Gasteig, Vortragssaal der Bibliothek, Rosenheimer Straße 5  Ein Jahr Münchner Bürgerentscheid: Die Internationalisierung des Widerstands, 19-21:30 Uhr, münchner zukunftssalon, Waltherstraße 29 Rgb. Donnerstag, 24. Oktober  Mobilität aus einer Hand: Das Schwabinger Mobilitätskonzept, 19-20:30 Uhr, MVHS Seidlvilla, Nikolaiplatz 1b  Bessere Stadtplanung – Weniger Verkehr? Podiumsdiskussion, Vorhoelzer Forum, TU München, 5. Stock, Arcisstraße 21  Die Zukunft der Radlhauptstadt: Wie geht es mit dem Radverkehr in München weiter? 19-21 Uhr, Pedalhelden, Müllerstraße 6  Wie kommen unsere Waren zukünftig in die Stadt? 19-21 Uhr, Green City Energy, Zirkus-Krone-Straße 10 Samstag, 26. Oktober  Mobilität – Geht doch! Abschluss des Münchner Klimaherbstes 2013, 14-20 Uhr, Gaszählerwerkstatt, Agnes-Pockels-Bogen 6

Infos Alle Termine auf www.klimaherbst.de und im offiziellen Programmheft zum Münchner Klimaherbst 2013


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Kontakte Referat für Gesundheit und Umwelt

Ökologisches Bildungszentrum

Bürgerstiftung Zukunftsfähiges München

Öffentlichkeitsarbeit Bayerstraße 28a 80335 München Tel.: 089-233-47 524 Fax: 089-233-47 508 oeffentlichkeitsarbeit.rgu@muenchen.de www.muenchen.de/rgu

Dr. Christian Suchomel Englschalkinger Str. 166 81927 München Tel.: 089-93 94 89 60 Fax: 089-93 94 89 81 mail@oebz.de www.oebz.de

Klenzestraße 37/Rgb. 80469 München Tel.: 089-202 38-111 Fax: 089-202 38-113 mail@bszm.de www.bszm.de www.lifeguide-muenchen.de www.sinn-muenchen.de

Newsletter der Agenda 21 Regelmäßige Informationen über die Agenda-Termine in München erhalten Sie im kostenfreien Newsletter unter www.muenchner-stadtgespraeche.de

Termine Seminarreihe: Genopoly - Gentechnik um jeden Preis? Kaum einer will sie, ihr Nutzen ist nicht erkennbar, immer offensichtlicher treten die Risiken zutage – und dennoch scheint sie unaufhaltsam: Die Anwendung der Gentechnik bei Pflanzen, Tieren und Lebensmitteln. Die Agro-Gentechnik erweist sich immer deutlicher als erhebliches Risiko für die Gesundheit von Mensch und Tier, für die Umwelt und die Welternährung. Gemeinsam mit dem oekom e.V. will das Umweltinstitut München den VeranstaltungsteilnehmerInnen die Basisinformationen für eine kritische Auseinandersetzung mit der Agro-Gentechnik liefern. Anmeldung: Bitte melden Sie sich zu den Veranstaltungen unter Tel. 089/30 77 49-0 oder unter info@umweltinstitut.org an. Ort: münchner zukunftssalon des oekom e. V., Waltherstr. 29 Rgb., München Weitere Informationen: www.umweltinstitut.org/genopoly.htm Do., 14. November 2013, 19 - 21 Uhr

Do., 28. November 2013, 19 - 21 Uhr

Blinde Kuh - Risiken und Nebenwirkungen der Gentechnik

Schöne neue Welt? Die Zukunft der Gentechnik

Referentin: Dr. Martha Mertens BUND Naturschutz in Bayern e.V.

Referent: Dr. Christoph Then Testbiotech e.V.

Impressum Redaktion Joy Mann, Fabian Holzheid, Christi-

Herausgegeben vom Umweltinstitut München e.V. Anschrift für Verlag, verantwortlichen Redakteur und Anzeigenverantwortlichen:

na Hacker (verantwortlich für Redaktion und Anzeigen) Layout Joy Mann, Fabian Holzheid Druck Ulenspiegel Druck GmbH & Co. KG Birkenstraße 3 82346 Andechs Anzeigen Es gilt die Anzeigenliste 2005 Versand axmax GmbH, Riedering Auflage 12.000

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100% Recyclingpapier Umweltinstitut München e.V. Verein zur Erforschung und Verminderung der Umweltbelastung Landwehrstr. 64a 80336 München Tel.: (089) 30 77 49-0 Fax: (089) 30 77 49-20 E-Mail: a21@umweltinstitut.org Internet: www.umweltinstitut.org

Namentlich gekennzeichnete Artikel geben die Meinung der Verfasserin/des Verfassers und nicht in jedem Fall die der Redaktion wieder. Zitieren erwünscht, bitte mit Quellenangabe! Titelbild: Fotolia Bild auf dieser Seite: Fotolia Redaktionsschluss für die nächste Ausgabe: 04.11.2013

Die Münchner Stadtgespräche entstehen in Zusammenarbeit und mit Förderung des Referates für G ­ esundheit und Umwelt der Landeshauptstadt ­­München. Dieses Heft kann im Internet unter der Adresse www.muenchner-stadtgespraeche.de als pdf-Datei h­ eruntergeladen werden.


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