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DER WEG ZUR VERSÖHNUNG EIN INTERVIEW MIT MITHU M. SANYAL

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Dein Roman IDENTITTI ist auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises gelandet, er ist mittlerweile in der 13. Auflage erschienen, er wurde ins Englische übersetzt – und am Theater Freiburg entsteht gerade die bereits dritte Inszenierung. Was glaubst du, war Deutschland reif für einen Roman über being mixed race?

Ich glaube, der Roman ist genau zum richtigen Zeitpunkt erschienen, denn wir haben in Deutschland erst vor etwa fünf Jahren damit angefangen, überhaupt gesamtgesellschaftlich über race zu sprechen. Wir haben davor immer die Augen verschlossen und uns gesagt: Es gibt keine Menschenrassen (was ja auch stimmt), also kann es auch keinen Rassismus geben. Rassismus war eine Sache der Nazis, das ist vorbei. Da hat sich in den letzten Jahren wirklich viel verändert. Ich glaube, es hat auch mit der Änderung des Staatsbürgerschaftsrechts zu tun: Wir sind vom Blutrecht zum Bodenrecht übergegangen. All jene, die in Deutschland geboren sind und hier ihren Lebensmittelpunkt haben, können Deutsche werden. Das hat zu einer neuen Definition von Deutschsein beigetragen. Gleichzeitig haben viele Menschen wie ich ganz selbstverständlich gesagt, unsere Stimmen müssen in den Medien, dem Buchmarkt usw. repräsentiert werden. Zudem waren in der Corona-Krise alle zu Hause, haben ins Internet gestarrt, wo junge Menschen plötzlich Debatten über Identitätspolitik führten. Als ich mit dem Roman begonnen habe, hatte ich mich für den Titel IDENTITTI entschieden, weil für mich Identität oder Identitätspolitik so schöne angestaubte Wörter waren. Das drehte sich, während ich den Roman schrieb, total... Ich glaube, all diese Entwicklungen haben zum Erfolg des Romans beigetragen.

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Mixed-race-Hauptfiguren wie Nivedita findet man in der deutschen Literatur und Dramatik selten. Woraus entstand für dich die künstlerische Notwendigkeit, eine solche Romanfigur zu schreiben und hattest du literarische Vorbilder?

Eine mixed-race Ich-Erzählerin, eine nicht weiße Ich-Erzählerin, gab es in der Form in der deutschsprachigen Literatur nicht. Also natürlich gab es das, aber es ist nicht breit wahrgenommen worden. Thomas Mann z. B. war mixed-race, seine Mutter war Brasilianerin. Grade die Nazis haben ihn als den N-WortSchrift steller bezeichnet. Heute sehen wir Thomas Mann aber als den deutschesten aller deutschen Schriftsteller. Die Selbstwahrnehmung der deutschen Literatur ist also weiß , abseits davon gibt es noch ein paar Ausnahmen, wie z. B. die Literatur des Ankommens. Aber für die Geschichten der zweiten Generation gab es kein Bewusstsein, weil das politisch lange gar nicht denkbar war. Man dachte, die Menschen gehen wieder dahin zurück, woher sie gekommen waren, sie sind nicht richtig deutsch und deshalb sind es nicht unsere

Geschichten. Aber genau diese Geschichten haben gefehlt und werden jetzt in der Literatur repräsentiert. Ich wollte also die Art von Roman schreiben, nach der ich mich gesehnt habe, als ich Anfang 20 war. Nivedita ist natürlich überhaupt nicht autobiografisch, aber ich wollte explizit über „Menschen wie wir“, über diese spezifischen Erfahrungen schreiben und deshalb ist ganz viel emotionale Wahrheit in der Figur. Gleichzeitig denke ich, dass die Frage „Wo gehöre ich hin?“ eine universelle ist. Dafür muss man nicht braun sein. Oder die Frage, was man über die Geschichte seiner Eltern weiß ... Das sind also einerseits Fragen, mit denen wir uns alle beschäftigen, und gleichzeitig geht es aber auch um die spezifische postmigrantische Erfahrung, für die wir bisher in Deutschland wenig literarische Sprache hatten. Deshalb habe ich meine literarischen Vorbilder vor allem in der britischen, postkolonialen, postmigrantischen Literatur gefunden, z. B. bei Hanif Kureishi oder Meera Syal.

Wenn wir schon bei Vorbildern sind: Rolemodels sind in deinem Roman ein zentrales Thema. Saraswati ist das wichtigste Vorbild, ja eine Art Übermutter für die Protagonistin Nivedita, denn sie gab ihr eine Sprache für ihre Lebensrealität. Nun stellt sich gleich zu Beginn des Romans heraus: Saraswati hat nur vorgegeben, eine Person of Colour zu sein. Ist damit alles, was sie Nivedita gelehrt hat, hinfällig? Und – wie umgehen mit einer so ambivalenten Figur, mit einer so tiefgreifenden Verletzung?

In dem Verhältnis von Nivedita und Saraswati wirken viele Ebenen. Es passiert häufig, dass ein Mensch dem Bild, das wir uns von ihm/ ihr gemacht haben, nicht gerecht wird. Wir sehen immer auch unsere Projektion dieses

Menschen, gerade wenn es ein Vorbild ist. Deshalb gibt es in jedem Mentor_innen-MenteeVerhältnis irgendwann den Moment der Entzauberung. Saraswati geht aber natürlich weit über ein solches Verhältnis hinaus. Für mich hatte ihr Fall auch viel mit meiner eigenen Auseinandersetzung mit Autor_innen zu tun, die für mich Vorbilder sind. Wie zum Beispiel Hannah Arendt. Ich habe ganz lange ihre rassistischen Stellen beim Lesen übersprungen und mich nicht gefragt, was das bei mir bewirkt. Und natürlich machen diese Stellen etwas mit mir, aber es entwertet ihre Arbeit nicht. Aber im Gegensatz zu Saraswati ist Hanna Arendt tot. Es gibt eine historische Distanz. Deshalb ist die Auseinandersetzung zwischen Nivedita und Saraswati viel intensiver. Für mich war es aber weniger interessant Saraswatis Verhalten mit richtig oder falsch zu bewerten. Mir war wichtig zu zeigen, dass alles, was wir tun, Auswirkungen auf andere Menschen hat, mit denen wir umgehen müssen, vor denen wir uns nicht drücken können. Aber ich brauchte Saraswati auch als Katalysator, als Gegenüber, um Niveditas Geschichte erzählen zu können. Und ich brauchte auch gerade dieses Gegenüber, das diesen Betrug begangen hat, weil Nivedita selbst immer das Gefühl hat, sie sei eine Mogelpackung, sie habe gar kein Anrecht auf Identität: Sie sei weder deutsch, noch indisch und erst recht nicht polnisch genug. Während Saraswati das Gefühl hat, sie könne sich jede Identität aneignen, was sie de facto ja auch tut. Beide Figuren bewegen sich von unterschiedlichen Richtungen auf dasselbe Thema zu und das führt zu diesem Zusammenstoß. Ich glaube tatsächlich, dass nahezu alle Verletzungen geheilt werden können, egal wie groß sie sind. Deshalb war es mir so wichtig, dass Saraswati immer anwesend bleibt, dass sie nicht den Kontakt abbricht, denn das

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