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Hartmut Koschyk Mitglied des Deutschen Bundestages Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen

Fragen und Antworten zur Staatsschuldenkrise Fiskalvertrag und Europäischer Stabilitätsmechanismus Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion (Fiskalvertrag)

Was sind die wichtigsten Inhalte des Fiskalvertrags?

Schuldenbremse: Im Fiskalvertrag verpflichten sich die Vertragsparteien, spätestens ein Jahr nach dessen Inkrafttreten eine Schuldenbremse in ihrem nationalen Recht – vorzugsweise auf Verfassungsebene – zu verankern. Deren uneingeschränkte Einhaltung wird jeweils im nationalen Haushaltsverfahren gewährleistet. Nach dieser Schuldenbremse darf das strukturelle (das heißt um konjunkturelle und einmalige Einflüsse

bereinigte)

Staatsdefizit

im

Regelfall

0,5

%

des

nationalen

Bruttoinlandsprodukts (BIP) nicht übersteigen. Für jeden Staat wird dabei ein länderspezifischer mittelfristiger Zielwert festgelegt. Beträgt der staatliche Schuldenstand weniger als 60 % des BIP, so gilt als Obergrenze für das strukturelle Defizit 1 % des BIP. Bei wesentlichen Abweichungen davon wird – sofern es sich nicht um Ausnahmefälle wie ein außergewöhnliches Ereignis oder einen schwerwiegenden

Wirtschaftsabschwung

handelt

automatisch

ein

Korrekturmechanismus ausgelöst. Dieser gibt auch die Maßnahmen vor, die innerhalb eines festen Zeitraums zur Korrektur der Abweichungen ergriffen werden müssen.


Klagerecht: Setzt eine Vertragspartei die Vorgaben der Schuldenbremse nur unzureichend in nationales Recht um, so können eine oder mehrere Vertragsparteien auf der Grundlage eines Berichts der EU-Kommission oder auf eigene Initiative Klage vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) erheben. Kommt die Vertragspartei dem Urteil des EuGH nicht nach, so kann dieser eine Geldstrafe in Höhe von bis zu 0,1 % ihres BIP verhängen. Die Einzelheiten des Klagerechts werden vor der Unterzeichnung des Fiskalvertrags festgelegt.

Quasi-automatische

Sanktionen:

Empfehlungen

der

EU-Kommission

zur

Sanktionierung von Verstößen gegen den Stabilitäts- und Wachstumspakt können künftig nur dann verhindert werden, wenn eine qualifizierte Mehrheit der Eurostaaten diese ablehnt ( sog. „umgekehrte qualifizierte Mehrheit“). Dies gilt bereits für die Einleitung des Defizitverfahrens.

Staatsverschuldung: Liegt die Staatsverschuldung einer Vertragspartei über 60 % ihres BIP, so ist sie verpflichtet, diese um jährlich ein Zwanzigstel zu verringern. Für die Feststellung übermäßiger Staatsverschuldung gelten die Vorgaben von Art. 126 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV).

Welche Vorgaben enthält der Fiskalvertrag zur haushalts- und wirtschafts-politischen Überwachung und Koordinierung?

Vertragsparteien,

die

sich

in

einem

Defizitverfahren

befinden,

müssen

ein

Reformpartnerschaftsprogramm auflegen, dessen Umsetzung von EU-Kommission und Rat überwacht wird. In dem Programm sind detailliert die haushalts- und wirtschaftspolitischen Reformen aufzuführen, mit denen die Einhaltung der Defizitkriterien dauerhaft erreicht werden soll.

Die

Vertragsparteien

verpflichten

sich,

alle

wichtigen

wirtschaftspolitischen

Reformvorhaben vorab im Kreis der Vertragsparteien zu erörtern. Darüber hinaus berichten sie dem Rat und der EU-Kommission über die geplante Begebung von Staatsanleihen.


Enthält der Fiskalvertrag zentrale Anliegen der Bundesregierung?

Ja. Der Fiskalvertrag ist ein wichtiger Schritt zur Schaffung einer Stabilitäts-union und entspricht in wesentlichen Teilen der Verhandlungsposition der Bundes-regierung. Diese hat sich in den Verhandlungen mit Nachdruck für eine verbindliche Schuldenbremse, ein Klagerechts vor dem EuGH sowie quasi-automatische Sanktionen eingesetzt. Mit der Ausgestaltung der parlamentarischen Mitwirkung im Fiskalvertrag sind die Rechte des Deutschen Bundestags in vollem Umfang gewahrt.

Weshalb

brauchen

wir

einen

Fiskalvertrag

neben

dem

Stabilitäts-

und

Wachstumspakt?

Die Vergangenheit hat gezeigt, dass Eurostaaten wiederholt gegen die Vorgaben des Stabilitäts- und Wachstumspakts verstoßen haben, ohne dafür sanktioniert worden zu sein. Bestes Beispiel hierfür ist die rot-grüne Bundesregierung, die maßgeblich an der Aufweichung der Stabilitätskriterien im Jahr 2005 beteiligt war und damit einen Grundstein für die heutige Krise gelegt hat. Mit dem Fiskalvertrag ist das Defizitkriterium nicht nur sekundärrechtlich in EU-Verordnungen verankert, sondern wird Teil des nationalen Rechts der Vertragsparteien und entfaltet damit unmittelbar bindende Wirkung.

Der Fiskalvertrag stärkt und verschärft den Stabilitäts- und Wachstumspakt an wesent-lichen Stellen: So gelten quasi-automatische Sanktionen künftig bereits bei der Einleitung eines Defizitverfahrens und damit früher als bisher. Die nationale Verankerung der Schuldenbremse wird der Rechtsprechung des EuGH unterliegen. Die Europäischen Verträge schließen ein Klagerecht vor dem EuGH im Rahmen des Stabilitäts- und Wachstumspakts bislang noch explizit aus.

Die in der Schuldenbremse verankerte Obergrenze von 0,5 % des BIP für das strukturelle Staatsdefizit ergänzt das 3 % -Kriterium des Stabilitäts- und Wachstumspakts, in dessen Berechnung auch konjunkturelle Einflüsse einfließen.


Wann tritt der Fiskalvertrag in Kraft?

Der Fiskalvertrag tritt zum 1. Januar 2013 in Kraft, sofern dann mindestens zwölf Vertragsparteien der Eurozone ihre Ratifikationsurkunden hinterlegt haben. Andernfalls tritt der Vertrag am ersten Tag des Monats in Kraft, der der Hinterlegung der zwölften Ratifikationsurkunde folgt.

Welche Staaten treten dem Fiskalvertrag bei?

Mit Ausnahme von Großbritannien und der Tschechischen Republik haben alle EUMitgliedstaaten zugesagt, dem Fiskalvertrag beizutreten. Der Beitritt zum Fiskalvertrag ist jederzeit möglich.

In welchem Verhältnis steht der Fiskalvertrag zum EU-Recht?

Der Fiskalvertrag ist ein völkerrechtlicher Vertrag, der die in den Europäischen Verträgen (Primärrecht) und Verordnungen (Sekundärrecht) enthaltenen Vorgaben bekräftigt und in Teilen verschärft. Die Vertragsparteien erklären sich bereit, unbeschadet der Gültigkeit des Unionsrechts die Vorschriften des Fiskalvertrags untereinander anzuwenden. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes sind auch völkerrechtliche Verträge, die in einem Ergänzungs- oder sonstigen Näheverhältnis zum Recht der Europäischen Union stehen, als EU-Recht im Sinne des Artikels 23 des Grundgesetzes anzusehen. An der Umsetzung des Fiskalvertrags sind die EU-Kommission sowie der EuGH als europäische Institutionen unmittelbar beteiligt. Ihre Einbeziehung erfolgt auf der Grundlage von Art. 126 AEUV (EU-Kommission) sowie Art. 260 und 273 AEUV (EuGH).

Eine Änderung der Europäischen Verträge war wegen des Vetos Großbritanniens nicht möglich. Es wird angestrebt, den Fiskalvertrag innerhalb von fünf Jahren in das Unionsrecht zu überführen.


In welchem Verhältnis steht der Fiskalvertrag zum ESM?

Die Gewährung von Finanzhilfen aus dem ESM setzt ab dem 1. März 2013 die Ratifizierung und Einhaltung des Fiskalvertrags sowie – nach Ablauf der Umsetzungsfrist – der Schuldenbremse durch den betreffenden Staat voraus.

Musste der Deutsche Bundestag dem Fiskalvertrag zustimmen?

Ja, der Fiskalvertrag bedarf als völkerrechtlicher Vertrag der Zustimmung des Deutschen Bundestags.

Wie ist die parlamentarische Mitwirkung im Fiskalvertrag geregelt? Die Mitwirkung des Deutschen Bundestags bei Beratungsgegenständen, Vorschlägen und Initiativen im Rahmen des Fiskalvertrages richtet sich nach den Vorgaben des „Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union” (EUZBBG) . Dies wird durch eine Änderung des EUZBBG ausdrücklich klargestellt.

Artikel 13 des Fiskalvertrags sieht die Gründung einer Konferenz von Vertretern der einschlägigen Ausschüsse der nationalen Parlamente und des Europäischen Parlaments vor, die unter anderem haushaltspolitische Maßnahmen beraten soll. Die Ausgestaltung dieser Konferenz ist Sache der nationalen Parlamente und des Europäischen Parlaments.


Vertrag zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM)

Was ist Zweck des ESM?

Zweck des ESM ist die Mobilisierung von Finanzmitteln und die Vergaben von Finanz-hilfen an Euro-Mitgliedstaaten wenn mindestens drei Kriterien erfüllt sind:

Ein ESM-Mitglied hat schwerwiegende Finanzierungsprobleme oder ihm drohen solche Probleme,

Die Finanzhilfe wird unter strikten, dem jeweiligen Instrument angemessenen Auflagen vergeben,

Ein Tätigwerden des ESM ist für die Wahrung der Finanzstabilität des EuroWährungsgebiets insgesamt unabdingbar.

Der ESM kann durch die Begebung von Finanzinstrumenten Mittel aufnehmen und finanzielle Vereinbarungen abschließen.

Welche Instrumente setzt der ESM ein?

Der ESM bedient sich im Wesentlichen vier verschiedener Instrumente: Kreditvergabe an das betroffene Land, Vorsorgliche Finanzhilfe, Finanzhilfe zur Rekapitalisierung von Finanzinstituten eines ESM-Mitglieds, Ankauf von Anleihen eines ESM-Mitglieds auf dem Primärmarkt und auf dem Sekundärmarkt.

Die Anwendung dieser Instrumente unterliegt detaillierten Leitlinien. Die Liste der genannten Instrumente kann im gegenseitigen Einvernehmen durch den Gouverneursrat geändert werden.


Über welches Stammkapital verfügt der ESM? Kann das Stammkapital verändert werden?

Das genehmigte Stammkapital des ESM beträgt 700 Milliarden Euro. Es setzt sich zusammen aus abrufbaren Garantien und einem eingezahlten Kapitalstock. Letzterer beläuft sich auf 80 Milliarden Euro. Ursprünglich sollte das eingezahlte Kapital von 80 Mrd. Euro von den ESM-Mitgliedern über einen Zeitraum von fünf Jahren entrichtet werden, die Staats- und Regierungschefs der Eurozone haben jedoch die Möglichkeit einer beschleunigten Einzahlung genutzt und sich für 2012 darauf verständigt, unter uneingeschränkter Achtung der

einzelstaatlichen parlamentarischen Verfahren, zwei

Tranchen einzuzahlen (Ein-zahlung Deutschlands: 8,7 Mrd. € - Nachtragshaushalt 2012)

Der Gouverneursrat überprüft nach Inkrafttreten des ESM das maximale Darlehensvolumen und die Angemessenheit des genehmigten Stammkapitals des ESM regelmäßig, mindestens jedoch alle fünf Jahre.

Wie hoch ist der deutsche Haftungsanteil?

Der Anteil Deutschlands am genehmigten Stammkapital beläuft sich nach seinem im ESMVertrag festgeschriebenen Schlüssel von rund 27 % auf insgesamt 190 Milliarden Euro, davon rund 22 Milliarden Euro am Kapitalstock. Die Haftung Deutschlands bleibt – ohne eine Änderung der vertraglichen bzw. gesetzlichen Grundlagen – nach Art. 8 Abs. 5 des ESM-Vertrags unter allen Umständen auf diesen Anteil beschränkt.

Welche Folgen hat das Vorziehen des ESM auf den 1. Juli 2012? Die konsolidierte Darlehensvergabe von ESM und EFSF beträgt – auch bei einem Vorziehen des ESM – höchstens 500 Milliarden Euro (Art. 39). Der Europäische Rat hat beschlossen, die Obergrenze für die konsolidierte Darlehensvergabe von ESM und EFSF im März zu überprüfen.


Erlaubt der ESM-Vertrag Kapitalabrufe in unbegrenzter Höhe?

Nein. Kapitalabrufe dienen dem Ausgleich möglicher Verluste. Sie unterliegen den im ESMVertrag festgeschriebenen Haftungsobergrenzen (für Deutschland: 90 Milliarden Euro).

Wer trifft Entscheidungen im Rahmen des ESM?

Maßgebliches Entscheidungsgremium im Rahmen des ESM ist der Gouverneursrat, der sich aus den Finanzministern der ESM-Staaten sowie jeweils einem stellvertretenden Mitglied zusammensetzt.

Welche Abstimmungsregeln gelten für den ESM? Verfügt Deutschland über ein Vetorecht bei wichtigen Fragen?

Der Gouverneursrat entscheidet über alle grundlegenden Fragen im gegenseitigen Einvernehmen (d.h. einstimmig, Enthaltungen verhindern einen Beschluss nicht). Dazu gehören Veränderungen des Stammkapitals und der Instrumente, die Gewährung von Finanzhilfe sowie Änderungen des Haftungsanteils.

In besonders eilbedürftigen Fällen kann der Gouverneursrat über die Vergabe von Finanzhilfen mit qualifizierter Mehrheit von 85 % der abgegebenen Stimmen beschließen (sog. „Dringlichkeitsabstimmungsverfahren“ auf Empfehlung der EZB und der EUKommission). Deutschland verfügt in beiden Fällen über ein Vetorecht.

Daneben entscheidet der Gouverneursrat über technische bzw. operationelle Fragen mit qualifizierter Mehrheit.

Wie ist die Beteiligung privater Gläubiger im ESM-Vertrag geregelt?

Ab 1. Januar 2013 enthalten alle neuen Staatsschuldtitel des Euro-Währungsgebiets mit einer Laufzeit von mehr als einem Jahr Umschuldungsklauseln, die in allen Eurostaaten rechtlich wirksam sind. Eine Beteiligung privater Gläubiger erfolgt nach den gängigen Verfahren und Praktiken des IWF.


Wann soll der ESM seine Tätigkeit aufnehmen?

Der ESM soll im Juli 2012 seine Arbeit aufnehmen. Voraussetzung dafür ist, dass bis dahin die ESM-Staaten ihre Ratifikationsurkunden hinterlegt haben, deren Anteil am genehmigten Stammkapital mindestens 90 % beträgt.

Musste der Deutsche Bundestag dem ESM-Vertrag zustimmen?

Der Deutsche Bundestag musste dem ESM-Vertrag zustimmen, bevor er in Kraft treten kann.

Wie ist die parlamentarische Mitwirkung und Kontrolle im Rahmen des ESM geregelt?

Die parlamentarischen Beteiligungsrechte werden national

im Gesetz zur finanziellen

Beteiligung am Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM-Finanzierungsgesetz) verankert. In allen Angelegenheiten des ESM, die die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages betreffen, entscheidet das Plenum des Deutschen Bundestages (Beispiel: Hilfegewährung an ein ESM-Mitglied, Annahme der Konditionen für die Hilfegewährung).

Welcher Kontrolle unterliegt der ESM? Welche Immunitätsregeln gelten für seine Bediensteten?

Die interne und externe Prüfung des ESM folgt weitgehend internationalen Standards. Der Abschluss des ESM wird von unabhängigen externen Abschlussprüfern geprüft, die mit Zustimmung des Gouverneursrats bestellt werden und für die Bestätigung des Jahresabschlusses verantwortlich sind. Die externen Abschlussprüfer sind berechtigt, sämtliche Bücher und Konten des ESM zu prüfen und alle Aus-künfte über dessen Geschäfte zu verlangen. Der ESM unterliegt der Prüfung durch einen Prüfungsausschuss, in dem Mitglieder der obersten Rechnungskontrollbehörden der ESM-Staaten sowie des Europäischen Rechnungshofs vertreten sind. Der jährliche Bericht des Prüfungsausschusses ist den nationalen Parlamenten zugänglich.


Die

Immunitätsregelungen

für

den

ESM

entsprechen

den

für

internationale

Finanzinstitutionen üblichen Regelungen. Der Gouverneursrat des ESM, in dem die Finanzminister der Mitgliedstaaten vertreten sind, bzw. der Geschäftsführende Direktor kann die Immunität der Amtsträger und Bediensteten bei Bedarf aufheben. Vergleichbare Regelungen gelten für den IWF, die Weltbank sowie regionale Entwicklungsbanken. Sie dienen dem Schutz des ESM und seines Vermögens vor dem unberechtigten Zugriff Dritter. Damit liegen sie sowohl im Interesse der ESM-Mitgliedstaaten als auch des deutschen Steuerzahlers. Auch die berufliche Schweigepflicht für ESM-Bedienstete sowie die Unverletzlichkeit der Räume und Archive entspricht den üblichen Regelungen internationaler Institutionen.


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