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KunsT / InTeRVIeW ellen seIfeRmann

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IdylleReI22

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InTeRVIeWmITellen seIfeRmann anlässlIch IhRes abschIeds VOn deR KunsThalle nüRnbeRg. von marian wild.

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die Kuratorin Ellen Seifermann hat die Geschicke der Kunsthalle Nürnberg in den letzten 23 Jahren geleitet und in dieser Zeit 86 Ausstellungen verantwortet, 65 davon selbst kuratiert*, 75 Ausstellungskataloge sind begleitend entstanden. Anlass für curt, zum Abschied etwas tiefer von dieser wissensquelle eines akademischen Lebens abzuzapfen. wir wünschen Ellen Seifermann alles Gute auf ihrem weiteren weg und jede Menge Muße und Energie für die ab jetzt geplanten Projekte!

MARiAN wiLd: Liebe Ellen, zu hast in den Jahren als direktorin eine bemerkenswerte Zahl an Projekten in der Kunsthalle verantwortet. woher nimmt man die Energie für diese Leistung? was treibt dich im inneren an? ELLEN SEIFERMANN: Am Anfang der 2000er Jahre lag die Motivation in der Herausforderung, ein renommiertes Haus wie die Kunsthalle Nürnberg neu zu profilieren, nachdem die Sammlung internationaler Kunst als Dauerleihgabe an den Freistaat Bayern zur Eröffnung des Neuen Museums übergeben und sogar die Existenzberechtigung in Frage gestellt worden war. Da entwickelt man natürlich Konzepte und Strategien, findet Verbündete und versucht, im Rahmen der vorgegebenen Strukturen (und manchmal auch gegen diese) die Planungen umzusetzen – und dadurch die Institution lokal zu stabilisieren und international in der Liga der großen Ausstellungshäuser zu etablieren. Mit dem begrenzten Budget war allerdings schnell klar, dass wir ein- bis zweimal jährlich überregionale Kooperationen mit anderen Institutionen brauchten, um vier bis fünf Ausstellungen realisieren zu können. Mit solchen mittel- oder langfristigen Absprachen sind ja immer Verpflichtungen gegenüber Künstler*innen und Kolleg*innen, aber auch gegenüber der Stadt und der Öffentlichkeit verbunden und die Verantwortung dafür, alle Ansprüche und Interessen in Einklang zu bringen, war allein schon eine hohe Motivation. Hinzu kommt die Freiheit zur Konzeption des Ausstellungsprogramms für die schönen Räume der Kunsthalle, die ja eine ganz besondere Dramaturgie haben, und die Freude an der kuratorischen Arbeit. Mit jeder Ausstellung durfte ich viel Neues entdecken und hatte jedes Mal mit ganz unterschiedlichen Herausforderungen – Kunstwerken, Menschen und Netzwerken – zu tun. Dass es gelungen ist, innerhalb kurzer Zeit die Kunsthalle in das internationale Ausstellungsgeschehen einzuklinken und das positive Feedback, das wir bei fast allen unseren Ausstellungen bekommen haben, hat mich natürlich ebenfalls motiviert und bestärkt. An der Kunst fasziniert mich, dass sie gewohnte Sichtweisen auf die Welt in Frage stellt und das übliche, rationale Denken aufbrechen oder unterlaufen kann. Die zeitgenössische Kunst reflektiert ja modellhaft komplexen Frage und Veränderungen unserer kulturellen, sozialen oder politischen Wirklichkeit und liefert damit Angebote zu einer anderen Wahrnehmung der Welt. Diese Erfahrungen im ständigen Umgang mit der Kunst fließen in die Lebenswirklichkeit ein, machen Entscheidungen manchmal komplizierter, aber erweitern eben auch das Blickfeld, und das finde ich gut und wichtig. Vor dem Studium der Kunstgeschichte hast du Rechtswissenschaft studiert. war dieser juristische Blick prägend für dein Kunst- und Kulturverständnis? Im Vergleich mit der an Gesetzen orientierten Rechtswissenschaft bildet die Kunst auf den ersten Blick eine schillernde Gegenwelt, die ihre eigenen, vielfältigen und individuellen Regeln entwickelt, mit denen die gesellschaftliche und politische Wirklichkeit dargestellt und reflektiert wird. Aber ich glaube, diese beiden Welten liegen gar nicht so weit auseinander, wie man gewöhnlich annimmt. Naiv und feministisch hatte ich mit neunzehn Jahren die Vorstellung, als Anwältin oder auch Kriminalkommissarin systemische Ungerechtigkeiten verändern zu können. Vielleicht habe ich diesen eher psychologischen Aspekt ja auf die Kunsthalle oder meine Ausstellungen übertragen, die ich als Direktorin und Kuratorin zu vertreten und manchmal auch zu verteidigen hatte. Wahrscheinlich hat das Studium mein Verständnis für die Rolle einer öffentlichen Institution im Kontext des Kunst- und Kulturangebots einer Stadt beeinflusst. Zum Beispiel vermittelt hier in Nürnberg die publikumswirksame NN-Kunstpreis-Ausstellung jedes Jahr ein Leitbild zeitgenössischer Kunst, in dem das Figürliche in Malerei und Plastik einen Schwerpunkt bildet. Daraus ist möglicherweise sogar die Rede von einer eigenen Stilrichtung ‚Fränkischer Kunst‘ entstanden, während kulturell und sozial wesentlich einflussreichere neue Medien und Genres der Kunst schlicht unterrepräsen-

tiert waren. Hier zumindest einen Ausgleich an Information – oder besser ein Gegengewicht – zu schaffen, empfand ich sofort als kulturpolitisch logische und wichtige Funktion für die mit öffentlichen Mitteln finanzierte Kunsthalle, wie mein Programm gleich im ersten Jahr 2000 zeigte: „Reality Bytes. Der medial vermittelte Blick“ fragte, wie die aktuellen digitalen Medien die klassischen Kunstgattungen beeinflussen und verändern; danach folgte Candida Höfers Retrospektive ihrer beeindruckenden Fotografien von Räumen ohne Menschen; bei der Gruppenausstellung „Kennen wir uns?“ ging es um den künstlerischen Blick auf und den Umgang mit der noch neuen Parallelwelt des Internet, und am Jahresende folgten dann noch die raumgreifenden poetischen Videofilme und Installationen von Marijke van Warmerdam. die Kunsthalle wurde in ihrer über hundertjährigen Geschichte mehrmals beschädigt, umgebaut, umbenannt. Sie war bis zur Eröffnung des Neuen Museums im Jahr 2000 ein, wenn nicht das Zentrum der zeitgenössischen Kunst in Nürnberg. welche Bedeutung haben zeitgenössische Ausstellungsorte für die Gesellschaft, und kann man Effekte zusammenfassen, was die Kunsthalle in Nürnberg bewirkt hat? Ja, Institutionen wie die Kunsthalle Nürnberg spiegeln natürlich auch ein Stück der Kulturgeschichte einer Stadt und ihres Selbstverständnisses. Mit der Gründung der Kunsthalle Nürnberg im Jahr 1967 waren ein kulturpolitischer Auftrag und klare programmatische Zielsetzungen verbunden, die der gesamtgesellschaftlichen Aufbruchsstimmung Ende der 1960er-Jahre entsprachen und Nürnberg zu einem Zentrum für die Präsentation zeitgenössischer Kunst auf internationalem Niveau machen sollten. Dies ist dem Gründungsdirektor Dietrich Mahlow auch gelungen, etwa mit den Biennalen Nürnberg 1969 und 1971 oder indem er 1968 die große Ausstellung des Deutschen Künstlerbundes nach Nürnberg holte; auch die aktive Beteiligung der Kunsthalle an dem internationalen Skulpturenprojekt „Symposion Urbanum Nürnberg 71“ gehörte dazu. Mit internationalen Kooperationen und neuen museumspädagogischen Ansätzen wie dem Aktionsraum im Künstlerhaus (Biennale Nürnberg, 1969) setzte Mahlow gleich zu Beginn Maßstäbe, die von jeder künstlerischen Leitung wieder ein wenig anders definiert, aber insgesamt betrachtet doch konsequent fortgeführt wurden. Wie Kinos und Theater sind auch Kunsthallen und Museen Zeitmaschinen, die in vergangene Jahrzehnte oder in die Zukunft entführen, unserer Wahrnehmung neue Facetten hinzufügen oder andere, ungewohnte Perspektiven auf unsere eigene Zeit erzeugen. Institutionen wie die Kunsthalle sind Orte, an denen sich Künstler*innen und Publikum begegnen und Themen unserer Zeit auf vielfältige Weise diskutieren und reflektieren können. Das gehört ebenso zur Identität dieser Orte wie die ständige Hinterfragung ihres Status Quo, von innen wie auch von außen. Dabei geht es neben den aktuellen Themen wie Digitalisierung, Inklusion, Nachhaltigkeit und Partizipation auch um Freiräume, in denen nicht konforme, sperrige Haltungen oder komplexe gesellschaftliche Prozesse reflektiert und

CAO FEi: RMB CiTY, 2007, MULTIMEDIAINSTALLATION © THE ARTIST UND LOMBARD FREID

diskutiert werden können. Solche Freiräume zu erhalten und zu schützen, gehört ebenso zu unserem Bildungsauftrag wie die vielfältigen Ausprägungen der Kunst seit den späten 1960er-Jahren sichtbar und erfahrbar zu machen. Zeitgenössische Kunstausstellungen sind mitunter ihrer Zeit voraus und werden während ihrer Laufzeit nicht als so entscheidend wahrgenommen wie dann vielleicht zehn Jahre später. hattest du solche Ausstellungen? Ja, einige. Spontan fällt mir da sofort die Ausstellung „Das Gelände“ im Jahr 2008 ein, zu der ich Künstler*innen eingeladen hatte, die einen biografischen Bezug zu Nürnberg haben oder hier leben wie etwa Winfried Baumann, Claus Föttinger, Susanne Kriemann, Bernhard Prinz, Patrick Ruckdeschel oder Juergen Teller. Es ging um den Umgang mit dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände und wäre wahrscheinlich heute noch ein interessanter Beitrag zur Nutzung des Areals für Kunst und Kultur, gerade auch in Bezug auf die aktuelle Debatte um die Ansiedlung des Staatstheaters. Im selben Jahr präsentierte ich die erste Einzelausstellung der chinesischen Künstlerin Cao Fei in Europa, die heute ein Weltstar ist. Sie fand in Kooperation mit dem Pariser Institut „Le Plateau“ statt, einige Jahre bevor die Künstlerin vom Kunstmarkt entdeckt und dann auch einem breiteren Publikum bekannt wurde. Vielleicht kennen ja einige Leser*innen auch ihren Avatar China Tracy aus der digitalen Welt von „RMB-City“ auf Second Life. „Kunst ist Leben“, haben die Kunstschaffenden besonders der 1970er Jahre immer wieder postuliert. Viele haben sich als Rebell*innen und Kritiker*innen gegen „das System“ inszeniert, und viele werke dieser Menschen werden heute in städtischen und staatlichen Sammlungen ausgestellt und erhalten. wie nimmst du dieses Verhältnis zwischen freier Kunst und Kultur und den institutionen wahr? Ich denke, wenn sich die Institution als Partnerin für die freie Kunst versteht, dann ergibt das im Verhältnis zueinander eine gute Ergänzung. Beide Seiten haben schließlich eine Menge gemeinsamer Interessen. Zu klären ist auf jeden Fall die Frage von Honoraren für ausstellende Künstler*innen, denn sie gehen ja grundsätzlich mit ihrer Produktion in Vorleistung. Aber immerhin finanzieren die professionellen Institutionen in der Regel die Kosten für Ausstellungen, Kataloge, Transporte und oft sogar noch die Produktion einer neuen Arbeit komplett aus ihren Budgets, also mit öffentlichen Mitteln. wenn du heute mit allem wissen um die vollzogenen Ausstellungen einen Schritt zurücktreten würdest und eine Ausstellung mit allen Freiheiten konzipieren könntest, wie sähe diese Ausstellung aus? In den letzten 23 Jahren habe ich ja 65 Ausstellungen gemacht, die eigens auf die schönen Räume der Kunsthalle zugeschnitten waren, und ich hatte ja die ganzen Jahre die Freiheit für die Auswahl der Ausstellungen. Gerne hätte ich noch Performance-Projekte wie Tino Segals Stücke mit Performer*innen oder Anne Imhofs Präsentation „Faust“ 2017 im Deutschen Pavillon in Venedig im Programm gehabt, aber die wären mit dem Budget der Kunsthalle sowieso nicht zu stemmen gewesen. Vielleicht fehlt mir derzeit einfach noch die Distanz, um eine Art ideale Ausstellung, unabhängig von jeglichem Kontext zu entwickeln, aber frag‘ mich gern in einem Jahr nochmal.

*Für die Gesamtzahl der Ausstellungen siehe die Auflistung im Katalog „ON WITH THE SHOW“ ab dem 1. Mai 1999; 17 Ausstellungen seit 2009 wurden von Harriet Zilch und zwei im Jahr 1999 von Michaela Unterdörfer kuratiert; zwei Ausstellungen wurden durch Gastkuratoren realisiert

ellen seIfeRmann (*1956 in Lauf) ist eine Nürnberger Ausstellungsmacherin. Sie studierte Kunstgeschichte, Philosophie, Politikwissenschaft und Jura in Freiburg, war danach von 1992 bis 1999 Leiterin des Kunstvereins Heilbronn und vom 1. Mai 1999 bis zum 30. April 2022 die Direktorin der Kunsthalle Nürnberg.

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