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Ich bin auch noch da
Die fünfjährige Sophie sitzt bedrückt in ihrem Baumhaus. Als ihre Oma sie dort findet, bricht sie in Tränen aus. Sie ist traurig, weil ihre Mutter mit Georg, ihrem Bruder, der querschnittgelähmt ist, zur Reittherapie gefahren ist. „Immer kümmern sich alle um Georg“, schluchzt sie. „Ich möchte auch mit Mami reiten gehen und so gelobt werden wie er immer.“
Solche Situationen sind Geschwistern von Kindern mit Beinträchtigung meist geläufig. Sie müssen sich oft zurücknehmen, da sich das Familienleben häufig an den Bedürfnissen des Kindes mit Beeinträchtigung orientiert. Die besondere Rolle der Geschwister bleibt manchmal unbeachtet und prägt diese nachhaltig. Das ist verständlich: Das Kind mit Beeinträchtigung bindet einen Großteil der elterlichen Aufmerksamkeit und Energie. Regelmäßige Therapiebesuche, häufige Arztbesuche und viel Pflege – damit sind Eltern oft so beschäftigt, dass sie sich den Geschwistern viel seltener mit ungeteilter Aufmerksamkeit zuwenden können, als sie eigentlich möchten. Jedes Kind einer Familie braucht regelmäßig die ungeteilte Aufmerksamkeit seiner Eltern. „Ich war früh sehr selbstständig, meine Mama brauchte sich nie um meine Hausaufgaben zu kümmern. Sie hatte schon genug Arbeit mit Anna. Wenn ich aber traurig war oder mir Sorgen um Anna machte, konnte ich immer zu meiner Mama kommen. Wenn sie mich dann in ihre Arme schloss und für kurze Zeit nur sie und ich existierten, war alles wieder gut.“, erzählt Mario, der Bruder von Anna, einem Mädchen mit schwerer Mehrfachbehinderung. Manche Geschwisterkinder sind besonders angepasst und vernünftig, weil sie die Überlastung der Eltern spüren und diese nicht noch zusätzlich herausfordern wollen. Manche haben auch das Gefühl, besonders viel leisten zu müssen, weil ihr Geschwisterkind vieles nicht kann. Manche Eltern schützen das Geschwisterkind besonders stark und schränken es damit ein. Doch es ist wichtig, dass die gesunden Kinder all jene Freiheiten bekommen, die gleichaltrige Kinder auch haben. Und dass sie ihre Gefühle, vor allem auch die unangenehmen, äußern dürfen. Die besonderen Bedingungen, unter denen die Geschwister von Kindern mit einer Behinderung oder chronischen Krankheit aufwachsen, können auch dazu führen, dass sie besondere Fähigkeiten entwickeln, wie wissenschaftliche Untersuchungen ergeben haben: So zeigen sie häufig eine hohe soziale Kompetenz, ein großes Einfühlungsvermögen, Reife, Geduld, Ehrlichkeit, Akzeptanz von Unterschieden sowie größere Hilfsbereitschaft und Dankbarkeit gegenüber der eigenen Gesundheit. (Weitere Informationen zu Unterstützung und Begleitung finden Sie im Adressenverzeichnis).
Häufige Fragen und Gedanken von Kindern zur Beeinträchtigung ihres Bruders/ihrer Schwester:
å Warum kann mein Bruder nicht gehen? å Kann das bei mir auch so kommen? å Warum habe gerade ich eine Schwester mit einer Behinderung? å Ist mein Bruder behindert, weil ich ihm im Zorn etwas Schlechtes gewünscht habe? å Haben Mami und P api mich genauso lieb wie meine kranke Schwester? å Darf ich auf meinen Bruder stinksauer sein oder bin ich dann schlecht? å Warum lobt Papi meine Schwester, wenn sie ihre Schuhe alleine anzieht? Mich lobt er dafür nie. Es ist wichtig, über alle Fragen und Gedanken sprechen zu können. Achten Sie darauf, seien Sie offen dafür. Es gibt nicht auf alle Fragen eine Antwort, aber das können Kinder gut verstehen.