Psychologie heute compact ep 47, 2016

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PSYCHOLOGIE HEUTE

compact

2016

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Melancholie Das Glück, nicht immer glücklich sein zu müssen


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Ein Atemholen der Seele Diese Ausgabe von Psychologie Heute compact widmet sich einem Gefühl, das meist keine gute Presse bekommt: Melancholie. Über die Jahrhunderte hinweg wird sie mit negativer Stimmung in Verbindung gebracht oder gar als Krankheit angesehen. Vielen galt und gilt sie noch heute als Synonym für Depression, weil sie wie jene als Verweigerung von Leistung und Geselligkeit erscheint, von all dem also, was uns so wichtig ist. Aber die Melancholie hatte auch immer schon mächtige Fürsprecher, die geradezu ein Loblied auf diese Gemütslage anstimmten. So sprach Jean-Jacques Rousseau von der „süßen Melancholie“, und zu Beginn der Neuzeit hat der große Albrecht Dürer der Melancholie eines seiner bekanntesten und rätselhaftesten Bilder gewidmet: Melencolia I. Er verlieh einer geflügelten Figur eine Haltung, die wir heute schlichtweg als archetypisch für die Melancholie ansehen: tiefes Sinnieren, den Kopf in die Hand gestützt, und mit einem Gesichtsausdruck in die Ferne – ins Nichts oder ins Innere – starrend, der weder traurig noch froh, weder nur nachdenklich noch nur leidvoll wirkt. Dürer umgab diese Figur mit zahlreichen Symbolen, die auf die Wissenschaften, auf Mathematik, Architektur und Geometrie verweisen. Kugel und Quader sind oft verwendete Urbilder für Endlosigkeit und Begrenzung. Die geflügelte menschliche Gestalt hat sich zurückgezogen und ist ganz bei sich. Rolf Haubl, Psychologe am SigmundFreud-Institut in Frankfurt, sieht die Figur in einer Entscheidungssituation. „Sie besinnt sich, denkt nach. Ohne Depression, aber in einer melancholischen Haltung, aus der heraus sie ihren Ehrgeiz besänftigt: mit ihrem Turm nicht immer höher hinauszuwollen, sondern sich mit einem nicht perfekten Werk und damit auch mit den Grenzen der eigenen Leistungsfähigkeit zu bescheiden.“ Das Innehalten, die Skepsis, das Atemholen der Seele, das in Dürers Bild zum Ausdruck kommt, zeigt: Melancholie ist Ganz bei sich: Dürers Melencolia I das Gefühl für die moderne Zeit. Diese Gemütslage ist gerade heute eine wichtige und hilfreiche Abwehrreaktion auf die Beschleunigung, auf den „rasenden Stillstand“, die geschäftige Alternativlosigkeit, in die wir immer wieder hineingezogen werden. Der Melancholiker mag äußerlich als jemand erscheinen, der aussteigt, sich abgrenzt, privatisiert – aber in ihm „arbeitet es“. Er erkennt und anerkennt die Widrigkeiten, gerät deshalb ins Stocken, Grübeln und Überdenken – um sich nach dieser Pause aufzuraffen zu neuen, zu seinen Aufbrüchen. Melancholie ist das Gefühl, das der Kreativität vorausgeht. Dürers Gestalt wirkt auf den ersten Blick resigniert und ins Grübeln versunken – aber sie hat Flügel.

URS UL A NUBE R (u.nuber@beltz.de)

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Inhalt

HEFT 47

INNEHALTEN

SPÜREN

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Ermutigung zum Coming-out HANNELORE HI PPE

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„Nicht gefährdet sind Tatmenschen“ ROBERT BURTO N

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Was macht einen Menschen zum Melancholiker?

ANNETTE SCHÄFER

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Ein Keim von Widerstand

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Die schöne Kunst der Kopfhängerei EIN GE SP RÄCH M I T UL RI CH HO RS TM ANN

30

Befreundet mit der Melancholie WILHELM SCHM I D

„Virtuelle Standleitung nach Hause“ E I N G E S P R Ä C H MI T W I L F R I E D S C H U MA N N

50

PE TE R D. KRAM ER

26

Sehnsucht – dieses bittersüße Gefühl KLAUS WILHELM

DÖRTHE BINK ERT

24

Nostalgie: Warum ein bisschen Wehmut guttut

„Unsere Stimmungen sind an Jahreszeiten gebunden“ E I N G E S P R Ä C H MI T H U B E RT U S H I MME R I C H

54

Wer liebt, trauert URSULA NUBER

56

„Trauer ist ein Versprechen“ E I N G E S P R Ä C H MI T B U R K H A R D L I E B S C H

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Botschaften aus dem Schattenreich K E T O V O N WA B E R E R

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I M P R E S S U M

REDAK TION

Werderstraße 10, 69469 Weinheim Postfach 100154, 69441 Weinheim Telefon: 06201/6007-0 Telefax: 06201/6007-382 (Redaktion), 6007-310 (Verlag) W W W.PSYCHOLOGIE-HEUTE.DE HERAUSGEBER UND VERLAG

Julius Beltz GmbH & Co. KG, Weinheim Geschäftsführerin der Beltz GmbH: Marianne Rübelmann CHEFREDAKTEURIN

Ursula Nuber REDAKTION

Thomas Saum-Aldehoff, Katrin Brenner-Becker, Anke Bruder, Eva-Maria Träger Redaktionsassistenz: Nicole Coombe, Doris Müller LAYOUT, HERSTELLUNG Johannes Kranz, Gisela Jetter ANZEIGEN

Claudia Klinger c/o Psychologie Heute Postfach 100154, 69441 Weinheim Telefon: 06201/6007-386 Telefax: 06201/6007-9331 DRUCK Druckhaus Kaufmann, 77933 Lahr VERTRIEB ZEITSCHRIF TENHANDEL

ASV Vertriebs GmbH, Süderstraße 77 20097 Hamburg, Telefon 040/34729287

ZULASSEN 68

Melancholie als Lebensform PHILIPP TH O M AS

74 „Das Glück, nicht immer glücklich sein zu müssen“ E IN GESPRÄCH M I T W I L HEL M S CHM I D

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Geschärfte Sinne VOLKE R FR I EDRI CH

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„Es lohnt sich, ein bisschen traurig zu sein“ E IN GESPRÄCH M I T J O S EPH F O RGAS

84

Tränen trösten T HERESIA M ARI A DE J O NG

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Editorial

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PSYCHOLOGIE HEUTE

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Medien

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Markt

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Cartoon

Melancholie S FR 12 ,9 0

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Impressum Magazin

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2016

Fotos: Manuel Ferrigato

Titel, Silke Weinsheimer, S. 3 oben: Gaby Gerster Photography/ Feinkorn. S. 3 links, 6, 7, 8, 9, 10 rechts, 19, 48, 79, 80, 84, 86, 89: Getty Images. S. 4, 5, 12, 13, 34, 35, 66, 67: Manuel Ferrigato. S. 10 links, 14, 15, 16, 17, 20, 21, 22, 24, 26, 28, 30, 31, 32, 36, 37, 38, 39, 50, 52, 53, 54, 56, 58, 68, 69, 70, 71, 73, 74, 76, 82: Photocase. S. 11: Rose-Lynn Fisher. S. 42, 45, 88, 89, 91: plainpicture. S. 60, 61, 63, 64: Keto von Waberer. S. 86: privat. S. 92: Gräfe und Unzer Verlag/Julia Hoersch. S. 93: Universum Film. S. 92: Katharina Greve

Das Glück, nicht immer glücklich sein zu müssen

Best.-Nr.: 47234 ISBN 978-3-407-47234-2 5


MAGAZIN R E D A K T I O N : E VA - M A R I A T R Ä G E R

Zu übermäßigen Glücksgefühlen führen Stress, Sorgen oder Ängste sicherlich nicht. Dafür können diese Empfindungen dazu beitragen, das eigene Dasein als sinnhaft zu empfinden. Ein Leben, das für uns bedeutsam ist, bedarf laut US-Psychologen um Roy Baumeister einer gewissen Komplexität (und Komplikation). Glück allein bedeute, ein „relativ oberflächliches, ichbezogenes, selbstsüchtiges Leben“ zu führen, in dem alles gut läuft, Bedürfnisse leicht erfüllt und Unannehmlichkeiten vermieden werden. Das mag uns reizen, so wie andere Lebewesen auch. Das, was den Menschen ausmache, sei aber das Streben nach Sinnhaftigkeit – trotz oder gerade wegen all der Verwicklungen, die das mit sich bringt. DOI: 10.1080/17439760.2013.830764

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Ist es möglich, den vielbesungenen „Fluss aus Tränen“ tatsächlich zu weinen? Studenten der University of Leicester wollten es genau wissen. Sie errechneten, dass es 709 190 040 Liter Tränen bedürfte, um selbst den kleinsten Fluss der Welt, den 61 Meter kurzen Roe River in Montana, einen Tag lang strömen zu lassen. Das schafft nicht mal die Weltbevölkerung. Immerhin: Ein olympiataugliches Schwimmbecken aber wäre möglich – wenn jeder Erdenbewohner 55 Tränen spenden würde.

Akzeptieren hilft Wohl niemand ist gerne traurig oder wütend. Und gerade deshalb ist es wichtig, diesen Emotionen einen Wert beizumessen und sie zu akzeptieren, sagen Psychologen um Gloria Luong vom Berliner Max-Planck-Institut für Bildungsforschung. Frühere Befunde hatten ein häufiges Auftreten negativer Emotionen mit einem höheren Risiko für physische und psychische Probleme in Verbindung gebracht. Doch Luong und ihre Kollegen haben nun vorgeführt, dass dieser Zusammenhang nicht grundsätzlich gilt. Die Wissenschaftler untersuchten 365 Versuchspersonen im Alter von 14 bis 88 Jahren aus Deutschland. Drei Wochen lang füllten die Probanden sechsmal täglich einen Fragebogen auf ihrem Smartphone aus. Die Freiwilligen berichteten, welche Emotionen sie zuletzt erlebt hatten und wie sie ihr körperliches Wohlbefinden gerade wahrnahmen. Zudem wurde der Händedruck getestet – ein leicht zu messendes Zeichen für Gesundheit. Nicht zuletzt fragten die Wissenschaftler, ob jemand in unangenehmen Emotionen einen Sinn sah. Beispielsweise kann Ekel davor schützen, verdorbene Speisen zu essen. Die Auswertungen zeigten: Wer einen Wert in unangenehmen Emotionen sah, litt weniger unter körperlichen oder psychischen Auswirkungen. Luong und ihre Mitstreiter vermuten, dass ein Akzeptieren dieser negativen Gefühle dazu führt, dass sie weniger intensiv auftreten und deshalb weniger JOHANNES KÜNZEL belastend sind.

https://physics.le.ac.uk/jist/index.php/JIST/article/view/186

Komik Depression

leicht

bittersüß Ironie

sanft

Humor

Melancholie

Trauer

leise

zart

Einsamkeit

gewiss

heiter

Was assoziieren Menschen mit Melancholie? Die computergenerierten „typischen Verbindungen“ des Duden zeigen: durchaus Lustiges. Zwar wird der Begriff definiert als „von großer Niedergeschlagenheit, Traurigkeit oder Depressivität gekennzeichneter Gemütszustand“. Wie in den Wortwolken ersichtlich, ist der Kontext, in dem das Wort verwendet wird, aber offenbar nicht immer so dunkel, wie die Beschreibung nahelegt. Die DudenAnalyse basiert laut Verlag auf einer Textsammlung von mehr als vier Milliarden Wortformen aus aktuellen Texten.

Gloria Luong u. a.: When bad moods may not be so bad: Valuing negative affect is associated with weakened affect-health links. Emotion, 16/3, 2016, 387–401. DOI: 10.1037/emo0000132

www.duden.de/rechtschreibung/Melancholie

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Musikalischer Trost

Nichts ist schlimmer als schlechte Stimmung? Weit gefehlt! Tatsächlich scheint Langeweile für uns noch quälender zu sein. Teilnehmer einer Untersuchung von Forschern um Chantal Nederkoorn von der Universität Maastricht verabreichten sich selbst häufiger stärkere Elektroschocks, wenn sie zuvor einen langweiligen statt einen neutralen Film gesehen hatten. Bei Zuschauern eines traurigen Filmes gab es diese Zunahme nicht. DOI: 10.1016/j.psychres.2016.01.063

Weinen fördert die emotionale Erholung und bringt Erleichterung – aber das braucht etwas Zeit. In einer Studie von Wissenschaftlern aus den Niederlanden und Kroatien berichteten Teilnehmer, die während eines Filmes geweint hatten, direkt im Anschluss von einer größeren Zunahme negativer Gefühle als jene, die nicht in Tränen ausgebrochen waren. 20 und

Ruhiger, langsamer, dunkler in der Klangfarbe, kleine Intervalle und weniger bewegt in der Melodieführung: Die Merkmale trauriger Musik ahmen unsere Sprechweise nach, wenn wir Trauriges zu berichten haben. Außerdem haben wir über die Jahre gelernt, Musik in Moll bei Beerdigungen oder traurigen Filmen mit Schwermut zu assoziieren. Komponisten, die Traurigkeit ausdrücken wollen, wechseln in diesen Modus. Manche Menschen hören sich bewusst traurige Musik an, wenn sie in trauriger Stimmung sind – und das ist keineswegs masochistisch. Traurige Musik, so der Neurowissenschaftler David Huron von der Ohio State University, setzt Prolaktin frei. Das Hormon wirkt emotionalen Belastungen entgegen und puffert das Stimmungstief ab. Aber auch dann, wenn wir nur die schwermütige Musik hören, ohne dass wir einen realen Anlass zur Traurigkeit haben, steigt der Prolaktinspiegel und verändert unsere Stimmung. Wir fühlen uns getröstet – ganz so, als hätten wir tatsächlich etwas Belastendes erlebt. Musik erschließt also einen inneren Erfahrungsraum und entfacht Gefühle, die sich nicht unbedingt auf ein reales Ereignis beziehen. Das macht einen Teil des Zaubers aus, der von Musik GERLINDE UNVERZAGT ausgehen kann.

90 Minuten später aber hatte sich die Stimmung der Weinenden deutlich

David Huron: Sweet anticipation. Music and the psychology of expectation. MIT Press, Cambridge 2008

gebessert und lag sogar über dem anfänglichen Niveau. DOI: 10.1007/s11031-015-9507-9

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Verzweiflung 8,4 %

Ein Grund zum Weinen Was hat Sie in den vergangenen zwölf Monaten

Verlust einer nahestehenden Person 19,5 %

zum Weinen gebracht? Bei einer repräsentativen Umfrage unter fast 2000 Deutschen im Jahr 2014 nannten die Teilnehmer folgende Gründe*

Ich war beim Miterleben von Siegen oder Niederlagen im Sport so bewegt 2%

Umfrage der Gesellschaft für Konsumforschung im Auftrag der Apotheken-Umschau zum Thema „Emotionen“ (2014)

Streit mit dem Partner 9,3 %

Geburt von Sohn oder Tochter 1,9 %

Erleichterung 4,9 %

Schmerzen oder Tod des Haustieres 4,2 %

Glück 7,5 %

Liebeskummer 6,6 %

Wut und Enttäuschung 15,1 %

Jemand in Not hat unerwartet große Hilfe erfahren 2,4 %

Selbstmitleid 3,8 %

Rührung beim Anschauen von Filmen 18,5 % Stress und Erschöpfung 9,4 %

Angst 4,9 %

Aus Mitgefühl – weil ich andere habe leiden sehen 13 % Rührung durch das Hören und Erleben von Musik 5,0 %

Körperliche Schmerzen 10,9 %

Nichts davon – ich habe in den vergangenen 12 Monaten nicht geweint 37 %

Anderes 6% * Mehrfachnennungen möglich

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Wenn wir viel Zeit mit Menschen verbringen, die Ereignisse und Stimmungen schnell negativ für sich auslegen, macht das auch uns anfälliger für trübe Gedanken – selbst wenn wir eigentlich nicht dazu neigen. Dahingehend beeinflussbar sind wir laut Forschern der University of Notre Dame vor allem zu Zeiten entscheidender Lebensveränderungen Foto: benicce / photocase.de

wie dem Umzug in eine fremde Stadt.

Schlechte Laune, schärfere Gedanken

Die Wissenschaftler erfassten über sechs Monate Daten von 206 College-Anfängern, die jeweils zu zweit ein Zimmer bewohnten. Dabei stellten sie fest, dass Mitbewohner von Studenten mit einer hohen kognitiven Vulnerabilität sich ebenfalls in diese Richtung entwickelten und stärker zu negativen Interpretationen neigten. Zimmergenossen mit einer entsprechenden geringen Ausprägung bewirkten beim anderen dagegen eine

Schlechte Laune hat keinen guten Ruf. Und das, obwohl missgestimmte Menschen konzentrierter nachdenken als positiv aufgelegte. Miesepeter zeichnen sich durch eine erhöhte Merkfähigkeit sowie Aufmerksamkeit aus – und einen guten Blick fürs Detail. Eine experimentelle Studie an der University of New South Wales in Sydney belegt zudem: Eine mäßig schlechte Stimmung verbessert auch das Kommunikations- und Sprachverständnis. Das Team um Joseph Forgas zeigte 87 Studenten einen lustigen, neutralen oder traurigen Kurzfilm. Danach lasen die Probanden zwölf Sätze über Alltagssituationen. Sie sollten angeben, wie klar und eindeutig sie die Aussagen verstanden. Dabei erreichte die Gruppe der schlecht Gestimmten das beste Ergebnis, gefolgt von den neutral Gestimmten. Die positiv Gestimmten differenzierten deutlich weniger zwischen eindeutigen und mehrdeutigen Inhalten – sechs der zwölf Sätze waren unklar formuliert und ohne weiteren Kontext nicht vollständig zu verstehen. Auch die Analyse der benötigten Antwortzeiten unterstrich, dass schlechte Laune uns aufmerksamer und sorgfältiger denken, lernen und erinnern lässt. Durchschnittlich 7,09 Sekunden Bedenkzeit brauchten die Missgestimmten pro Satz. Die Fröhlichen kamen auf nur 5,51 Sekunden. GERLINDE UNVERZAGT

positive Veränderung. DOI: 10.1177/2167702613485075

Wut wirkt stark und Traurigkeit schwach? Nicht unbedingt. Von Schauspielern dargestellte Führungskräfte, die sich in einer schwierigen Firmenlage verärgert zeigten, wurden in einer Untersuchung zwar als stärker legitimiert und sanktionsfähiger wahrgenommen. Jene, die betroffen wirkten, stuften die Teilnehmer aber als einfühlsamer und persönlich kompetenter ein – was die Gefahr

Diana Matovic, Alex Koch, Joseph Forgas: Can negative mood improve language understanding?

von illoyalem Verhalten mindert.

Affective influences on the ability to detect ambiguous communication. Journal of Experimental Social Psychology, 52, 2014, 44–49. DOI: 10.1016/j.jesp.2013.12.003

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DOI: 10.1007/s10869-016-9467-4

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Tears of Change, Rose-Lynn Fisher

Weinen mit Perspektive Was anmutet wie ein Luftbild, ist eine Träne, betrachtet durchs Mikroskop. Seit 2008 sieht die in Los Angeles lebende Fotografin Rose-Lynn Fisher Weinen aus dieser Perspektive. Damals hat sie begonnen, Tränen im Detail aufzunehmen – für ihre Serie The Topography of Tears, aus der auch dieses Foto stammt

Frau Fisher, was für Tränen sehen wir auf diesem Bild? Das sind Tränen der Veränderung, eines der ersten Bilder der Serie. Das war damals der schlimmste Teil eines furchtbaren Moments in einer schwierigen Zeit. Ich hatte keine Ahnung, was ich tun sollte. Ich wusste nur, dass ich mich nicht länger so verloren fühlen konnte. Irgendwas in mir schien „Genug!“ zu rufen. Inmitten vieler Tränen war es in diesem Augenblick so, als wäre ich am Ende eines Kapitels angekommen, und ein klitzekleines anderes würde beginnen. Später, als ich die Tränen durchs Mikroskop betrachtete, bestärkte das Bild etwas tief in mir – so als würde es zu mir sprechen, wo ich in jenem Augenblick war und was jetzt möglich schien. Von da an machte ich kleine Fortschritte. Langsam, nach und nach, unmerklich schien ein anderer Zustand möglich. Warum haben Sie das Projekt 2008 begonnen? Ich habe in einer Zeit damit angefangen, die von Trauer, Verlust und der Notwendigkeit geprägt war, wichtige Veränderungen in meinem Leben anzustoßen. Ich weinte viel. Eines Tages war ich plötzlich neugierig darauf, wie eine einzelne Träne aussieht. Was ist eine Träne, fragte ich mich, und sehen Freudentränen anders aus als Tränen der Trauer? Wie entstehen die Fotos technisch? Ich schaue mir die Tränen auf Glasplatten unter dem Mikroskop an, das mit einer Digitalkamera ausgestattet ist. Diese ist mit meinem Computer verbunden, sodass ich die Aufnahmen betrachten und dann entscheiden kann, welche ich fotografieren möchte. Wie viele Bilder haben Sie bislang aufgenommen? Die meisten Tränen aus der Serie stammen von mir, aus einem breiten Gefühlsspektrum. Bis jetzt habe ich mehr als 200 Glas-

platten angefertigt, von denen ich häufig mehr als ein Foto mache. Wahrscheinlich habe ich seit 2008 mehr als tausend Tränenbilder betrachtet. Was mögen Sie an Tränen? Was fasziniert Sie daran? Ich freue mich über die Möglichkeit, so die Nuancen meiner eigenen Gefühle erforschen zu können. Das Projekt hat mich dazu gebracht, über die Reise von Tränen nachzudenken und über die Kraft der Kunst und der Besinnung, die eine andere Art von Wissen anregen. Eines, das weder logisch ist noch rational, nicht buchstäblich oder quantifizierbar, aber das man durch Intuition oder wahres Gefühl erfassen kann. Mich faszinieren auch die geografische Anmutung der Bilder, die häufig wie Luftaufnahmen eines emotionalen Geländes wirken, und die Wiederholung der Formen in der Natur, die in jedem Maßstab zu finden sind – vom Kleinsten bis ins Größte. Was unterscheidet Tränen, die aus Melancholie entstehen, von anderen? Das ist eine Frage, die die wissenschaftliche Forschung beantworten soll. Meine Aufnahmen entstammen keiner kontrollierten Studie, es gibt viele Einflussvariablen. Der Umfang der Tränenflüssigkeit, ob die Tränen verdunsten oder fließen, biologische Variationen, Mikroskop- und Kameraeinstellungen, die Art, wie ich das Foto bearbeite und ausdrucke. Aus Tränen, die ich in ein und demselben Moment eingefangen habe, können ganz unterschiedliche Bilder entstehen. Sogar in einer einzelnen Träne gibt es Unterschiede von einer winzigen ReI N T E R V I E W: E VA - M A R I A T R Ä G E R gion zur anderen. Rose-Lynn Fishers Buch zu der Serie The Topography of Tears erscheint im Mai 2017 bei Bellevue Literary Press, New York. www.rose-lynnfisher.com/tears.html

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INNEHALTEN

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Wir sehnen uns nach mehr Ruhe, nach Pausen vom Leistungszwang und Konkurrenzdruck. Die Melancholie kann hier eine Burnoutbremse sein. Sie schafft den nรถtigen Abstand

Foto: Manuel Ferrigato

zur Hektik des Alltags


ERMUTIGUNG ZUM

COMINGOUT

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Melancholiker passen nicht in diese Zeit. Sie können mit der Oberflächlichkeit und Pseudofröhlichkeit der Konsumgesellschaft wenig anfangen. Viele ziehen daraus den falschen Schluss: Sie glauben, mit ihnen sei etwas nicht in Ordnung. Dabei wären gerade sie für Nichtmelancholiker ein Vorbild VON HANNELORE HIPPE

Fotos: Jeannine Jirak / photocase.de

D

er Philosoph Demokrit wunderte sich stets über das Betragen seiner Mitmenschen, nahmen sie doch alles und besonders sich selbst sehr ernst. Das fand er lächerlich. Doch war es nicht Spott, der ihn über die anderen lachen ließ, sondern das Befremden darüber, dass sie Nebensächlichkeiten des Lebens einen so großen Stellenwert einräumten und das eigentlich Menschliche darüber vergaßen. Demokrit war Melancholiker und nach Aussagen des Hippokrates „der einzig heile Mensch“ unter seinen Mitmenschen, die er nicht verstehen konnte und wollte. Die Melancholie hatte in der Antike noch einen guten Ruf, war sie doch die hervorragende Charaktereigenschaft der Philosophen, weisen Herrscher, Wissenschaftler, Dichter und Künstler. Ohne die Kontemplation, die Muße, das Grübeln, den Zweifel, das war dem Menschen der Antike völlig einsichtig, war kein bedeutendes Werk, kein tieferer Gedanke, kein weitreichendes Planen und Handeln des Menschen möglich. Die Melancholie war neben dem heißblütigen, lebensfreudigen Sanguinus, dem aufbrausenden und aggressiven Cholerikus und dem lahmen Phlegmatus eine der vier Humores, der 15


vier Charaktere oder Temperamente. Als Ursache der Melancholie galt den Griechen die melas chole, die „schwarze Galle“. Deren Sitz wurde ab dem 12. Jahrhundert in der Milz vermutet, die im Englischen spleen heißt. Da Melancholie als Ursache für allerlei Spleens gilt, erklärt das die Veränderung, die das Wort im Deutschen erfahren hat. Ein Mensch mit merkwürdig bizarrem Verhalten oder skurrilen Macken wird bei uns als „spleenig“ bezeichnet, während jemand im Englischen, der an einem spleen leidet, ein Melancholiker ist. Doch das nur nebenbei. Die Melancholie ist bis in unsere Zeit ein bevorzugtes Sujet der Kunst. Die Melencolia I, die Albrecht Dürer im Jahr 1514 malte, sitzt grübelnd, die Hand ins Kinn geschmiegt, umringt von den klassischen Insignien der Melancholie und regiert vom Saturn. Geometrische Geräte verweisen auf ihre Nähe zu den Wissenschaften, der prall gefüllte Geldbeutel lässt weltlichen Erfolg erahnen, das Stundenglas als Hinweis auf die Zeit und die Vergänglichkeit stellt jedoch das eigentliche Wesen der Melancholie dar. Trotz Reichtum und Erkenntnissen sucht die Melancholie nach dem Wesentlichen des Lebens und des Menschen, ist sich der Unzulänglichkeit, der Begrenztheit und der Vergänglichkeit aller unserer Anstrengungen bewusst. Lucas Cranach der Jüngere hinterließ ebenfalls eine weithin bekannte Darstellung der Melancholie – sie wird immer weiblich und immer mit Flügeln dargestellt, daher doch den Menschen eher beflügelnd denn niederdrückend. Der Melancholiker war Vorbild, dem man gerne nacheifern wollte. Man schaue sich nur einmal die großen Kaufmannsund Adelsporträts der Spätrenaissance an. Da steht oder sitzt niemand mit einem Don’t worry, be happy auf den Lippen für die Nachwelt dem Maler Modell. Neben den bekannten kontemplativen Zügen zieren diese Herren und auch ein paar Damen die üblichen Accessoires der dürerschen Melancholie. Melancholie war nicht krank und betrüblich. Sie war schick, und jeder hätte sie gern besessen. Zumindest eine Prise davon. Edvard Munchs Melancholie dagegen, vor über hundert Jahren entstanden, ist das bedrückende Gegenteil der hübschen, fast koketten jungen Melancholie bei Cranach. Was war in den Jahrhunderten dazwischen geschehen? Warum ist die Verehrung, die den Melancholikern von der Antike bis in die frühe Neuzeit zuteil wurde, umgeschlagen in das Schreckgespenst der seelischen Krankheit in Gestalt der Depression? Schon in der Antike wurde der Melancholie eine Doppelseitigkeit nachgesagt, die auf der einen Seite zu größten intellektuellen wie künstlerischen Leistungen befähige, doch auf der anderen Seite die Nähe zum Wahnsinn in sich berge. Der Melancholiker war zwar kein kranker Mensch und – wie wir schon bei Hippokrates erfuhren – vielleicht der gesündeste von allen. Dennoch war ihm als Grübler, der sich mit der seichten Oberfläche menschlicher Existenz nicht begnügen konnte, die 16

Nähe seiner Genialität zum Wahn bewusst. Schaffen, kreatives Erschaffen ist ein permanentes Anrennen gegen innere Widerstände, und nur wer diese Kämpfe meidet und sich mit weniger begnügt, holt sich keine seelischen Blessuren. Nicht jeder Melancholiker ist genial, doch umgekehrt kann kein außergewöhnliches Werk Ergebnis hastigen, seichten Denkens und Handelns sein. Ohne Zweifel und Suche, verbunden mit der Sehnsucht nach Antworten und der Möglichkeit zur Transzendenz der eigenen Existenz, entstehen keine Kunst, keine Gedanken, die verändern können, keine neuen Erkenntnisse der Wissenschaft. Melancholie kann Triebkraft sein. Also eher das Gegenteil von dem, was man ihr heutzutage unterstellt. Seit wann wurde die kreative Disposition als hemmende Krankheit angesehen, die man besser verbirgt, statt sie, wie noch zu Zeiten Dürers, als göttliches Geschenk zu betrachten?

Zu Zeiten Dürers wurde die Melancholie als göttliches Geschenk betrachtet. Doch dann geriet sie in Misskredit. Was war geschehen?

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Die Aufklärung, mit Schriften wie jenen des Immanuel Kant, hat der Melancholie den fruchtbaren Boden entzogen. Plötzlich war alles oder vieles möglich geworden, und die Dinge in der westlichen Welt entwickelten sich rasant. Wissenschaft wurde zu Wettbewerb. Bauern, die in der melancholischsten aller Jahreszeiten, dem Winter, einer gewissen Kontemplation nachgehen konnten, wurden zu Lohnarbeitern, die im täglichen Kampf ums Überleben alles nach dem KostenNutzen-Prinzip ausrichten mussten. Von nun an war Schluss mit Spinnen und Weben. Zweifel bedeutete plötzlich Zögern, und Zögern kann bekanntlich Geld kosten. Der Fortschritt tauchte die Melancholie langsam in eine andere Farbe, in ein düsteres Licht. Ein permanentes Vorwärtsgehen ist mit Melancholikern mühsam. Jemand, der inne- und auch Rückschau halten will, hält den Fluss der sich als befreit empfindenden

gesellschaftlichen Kräfte auf. Ein Melancholiker ist von Natur aus eher bewahrend. Melancholiker passten weder in die aggressive Vorherrschaftspolitik der letzten 250 Jahre noch in technokratische Strategien zur Überwindung überfälliger Gesellschaftsstrukturen. Die Melancholie kam allmählich in Misskredit. Ein Melancholiker war ein Rückwärtsgewandter. Nach jahrhundertelang, ja über Tausende von Jahren andauernder Reverenz gegenüber dem melancholisch Disponierten wurde dieser nicht nur unmodern, sondern man erklärte ihn sogar für krank. Für depressiv. Einen letzten Stoß in Richtung gesellschaftliche Ächtung erhielt er im 20. Jahrhundert durch Sigmund Freud. Ihm kann man keine bösen Absichten unterstellen, ihm unterlief lediglich eine Verwirrung der Begriffe. So schreibt er in seinem Aufsatz Trauer und Melancholie:

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„Die Melancholie ist seelisch ausgezeichnet durch eine tief schmerzliche Verstimmung, eine Aufhebung des Interesses für die Außenwelt, durch den Verlust der Liebesfähigkeit, durch die Hemmung jeder Leistung und die Herabsetzung des Selbstwertgefühls, die sich in Selbstvorwürfen und Selbstbeschimpfungen äußert und sich bis zur wahnhaften Erwartung von Strafe steigert. Der Melancholiker zeigt uns noch eines, was bei der Trauer entfällt, eine außerordentliche Herabsetzung seines Ich-Gefühls, eine großartige Ich-Verarmung. Bei der Trauer ist die Welt arm und leer geworden, bei der Melancholie ist es das Ich selbst.“ Offenbar wurden hier die Begriffe „Depression“ und „Melancholie“ miteinander vermischt. Der melancholische Mensch mutiert zum Kranken, der therapiert werden muss, statt den schwarzgalligen Teil in sich zu akzeptieren und gar zu hegen.

Kontemplation ist schon im Kindergarten verdächtig Das hat dazu geführt, dass uns alles Melancholische heute suspekt ist. Das fängt schon im Kindergarten an. Meist beginnt der Tag dort mit einem Singkreis. Manchmal will der Jannick oder die Lisa nicht mitsingen. Sie wollen lieber ruhig in der Ecke sitzen oder den Vögeln draußen vor dem Fenster zuschauen. Damit aber fallen sie auf. Sie müssen singen und mitklatschen, sonst haben die Kindergärtnerinnen das Gefühl, da stimmt was nicht. Sondern sie sich mehrmals ab, nimmt die Erzieherin den Vater oder die Mutter beim Abholen beiseite und fragt, ob denn zu Hause alles in Ordnung sei, weil der Sprössling lieber in der Ecke im Sandkasten sitzt und in die Luft starrt, als Bobbycar zu fahren oder andere Kinder fröhlich mit Sand zu bewerfen. Kontemplation ist schon im Kindergarten verdächtig und muss unterbunden werden. Aktion und Aktivität sind normal. Und wenn man nicht selbst aktiv ist, lässt man andere machen – und schaltet zum Beispiel den Fernseher an. Da ist immer etwas los, da herrscht keine unangenehme Stille, da kommt man gar nicht erst auf dumme Gedanken, weil man eigentlich auf gar keine Gedanken mehr zu kommen braucht. Wer antwortet schon auf die Frage eines Freundes, was man den ganzen Abend neulich gemacht habe, mit: „Ich habe nachgedacht.“ „Du hast über ein Problem nachgedacht, das du lösen willst?“ „Nein, eigentlich habe ich nur ein bisschen gedacht.“ Wer einfach „nur“ nachdenkt, anscheinend nichts macht, ist verdächtig. Einzig gefeit gegen die Melancholie sei der Tatmensch, meinte schon Robert Burton (siehe Nicht gefährdet sind Tatmenschen auf Seite 19). 18

Der melancholische Mensch ist ein lausiger Konsument, der höchstwahrscheinlich noch nicht mal mitkriegt, was musikoder modemäßig „in“ ist. Es interessiert ihn nicht. Was macht der Melancholiker in den Ferien? Kein melancholischer Mensch will ernsthaft animiert werden, und er braucht das auch nicht. Er findet jegliche Animation, der er bedarf, in sich oder in der Landschaft, in der er sich befindet. Und das ist immer noch umsonst zu haben und lässt sich schlecht vermarkten. Der Melancholiker ist nicht vermarktbar. In unserer Nonstop-Fun-und-Spaß-Gesellschaft ist er ein Fremdkörper, der sich allerdings nur sehr selten zeigt. Die meisten Melancholiker leben undercover mitten unter uns. Sanguinus, eigentlich und ursprünglich kein unangenehmer Zeitgenosse, hat das Zepter übernommen und hetzt uns von Event zu Event ohne Ende. Wo glücklicherweise heute in unserer Gesellschaft niemand mehr wegen seiner sexuellen Orientierung diskriminiert wird oder werden sollte und daher Mut zum Coming-out haben kann, muss der Melancholiker noch im Verborgenen leben. Dabei brauchen wir den Melancholiker gerade heute. Umweltschutz fällt eher dem Melancholiker als Notwendigkeit ein als Mitmenschen, die es als Spaßverderben ansehen, wenn man sich einer Ausweitung des Skizirkus in den Alpen widersetzt. Gelassenheit, nach der wir uns alle in unserer stressgeplagten Berufs- und Privatwelt sehnen, prägt den Melancholiker. Von ihm können wir lernen, wie man durch einen Schuss Selbstironie und den Blick auf die Vergänglichkeit und Flüchtigkeit aller Dinge wieder mehr Luft zum Atmen gewinnt. Alles um uns herum scheint sich immer schneller zu drehen, und wir rennen keuchend der Zeit hinterher. Bleiben wir doch einfach – wie der Melancholiker – stehen und schauen uns um: Da war doch noch was? PHc

Hannelore Hippe studierte Germanistik und Schauspiel und lebte danach lange in Großbritannien und Irland. Seit 1985 arbeitet sie als freie Autorin und Journalistin für alle Hörfunksender der ARD und produzierte zahlreiche Radio-Features. Außerdem schrieb sie mehrere Romane und Kurzgeschichten sowie Hörspiele, Hördokumentationen und Hörbücher, bei deren Produktion sie teils auch die Regie übernahm. Ihr bislang unveröffentlichter Roman Eiszeiten bildete die Vorlage für den deutschnorwegischen Kinofilm mit dem Titel Zwei Leben, der im September 2013 in Deutschland in die Kinos kam und im gleichen Monat von der deutschen Auswahljury als deutscher Kandidat in der Oscar-Kategorie „Bester fremdsprachiger Film“ nominiert wurde. Hannelore Hippe schreibt unter dem Pseudonym Hannah O´Brien, unter dem sie bei dtv zwei Kriminalromane veröffentlichte.

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„NICHT GEFÄHRDET SIND TATMENSCHEN“ Robert Burtons Erkenntnisse über die Melancholie

„Über Melancholie zu schreiben ist meine Art von Beschäftigung, um Melancholie zu vermeiden“, meinte Robert Burton, der mit seinem Buch Die Anatomie der Melancholie 1621 ein Standardwerk zum Thema veröffentlichte. Darin bekommt der Leser, die Leserin unter anderem zu den Punkten „Diagnose“ und „Erkrankungsformen“ ebenso wie zu den „Risikopersonen“ einen Eindruck vom Melancholieverständnis der damaligen Zeit.

DIE DIAGNOSE „Die üblichen Indikatoren der Melancholie sind entweder eine kalte trockene oder eine heiße trockene Disposition. Aus diesen primären Qualitäten leiten sich sekundäre ab, wie etwa die dunkle und schwärzliche oder die blasse und rötliche Hautfarbe, die bis ins Puterrote gehen kann. Laut Hippokrates sind die Betroffenen mager, welk, hohläugig und runzelig, leiden unter Blähungen, rülpsen oft, tragen Hängebärte, leiden an Ohrensausen, haben ständig saures, stinkendes Aufstoßen, leiden an fantastischen Visionen und Wahrnehmungsstörungen, Schwindelanfällen, Zittrigkeit und haben einen Drang zur Fleischeslust.“

DIE ERKRANKUNGSFORMEN „Die erste Erkrankungsform wird demnach allein vom Hirn ausgelöst und heißt die Kopfmelancholie. Die zweite betrifft den ganzen Körper, in dem die schwarze Galle aus dem Gleichgewicht geraten ist. Die dritte rührt von den Eingeweiden, der Leber, der Milz und dem Gekröse her und wird auch hypochondrische oder blähende Melancholie genannt, wobei die Liebesmelancholie im Allgemeinen der Kopfmelancholie zugerechnet wird.“

Robert Burton, geboren 1577 in Lindley, Leicestershire, gestorben 1640 in Oxford, war ein englischer Schriftsteller und anglikanischer Geistlicher und Gelehrter. Burton verbrachte fast sein ganzes Leben als Erwachsener als Geistlicher und Gelehrter am Christ Church College in Oxford. Er schrieb zunächst wenig erfolgreiche Dramen und unbedeutende Lyrik. Erst sein

DIE RISIKOPERSONEN „Nach den gefährdeten Organen möchte ich die gefährdetsten Personengruppen erwähnen. Menschen, die in einem übermäßig kalten oder heißen Klima leben. Menschen, die melancholische Eltern haben. Menschen, die von sanguinischem Temperament sind, die kleine Köpfe, heiße Herzen, feuchte Hirne, eine heiße Leber und einen kalten Magen besitzen. Sowie geborene Einzelgänger, große Gelehrte und alle, die kontemplativ veranlagt sind. Was das Geschlecht betrifft, so sind Männer anfälliger, wogegen Frauen viel schwerer erkranken. Es gibt keinen Unterschied zwischen Jung und Alt. Nicht nur Missmutige, Elende und Dunkelhäutige sind betroffen, sondern auch besonders fröhliche Menschen. Am wenigsten gegen die Melancholie gefeit sind unsere edelsten und kultiviertesten Geister. Ich kann also kein Temperament, keinen Stand, kein Geschlecht und kein Alter ausnehmen. Nur eines kann ich sagen. Nicht gefährdet sind Tatmenschen.“ PHc

unter dem Pseudonym Democritus Junior veröffentlichtes Buch Anatomie der Melancholie (Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung), das fünf ständig erweiterte Auflagen zu Lebzeiten und eine postume Auflage erlebte, wurde ein großer Erfolg. Es handelt sich dabei um eine Abhandlung über den körperlich-geistigen Krankheitszustand der Melancholie, ihre Geschichte,

Ursachen und Heilmöglichkeiten. Darin finden sich so prägnante Zitate wie „Alle Dichter sind verrückt“ oder: „Nichts ist so gut, dass es sich nicht missbrauchen ließe: nichts besser für die Erhaltung der Gesundheit als Beschäftigung und Bewegung (freilich im rechten Maß), nichts schädlicher als ihr unzeitiger und unzeitmäßiger Gebrauch.“

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WAS MACHT EINEN MENSCHEN ZUM

MELANCHOLIKER? Wird die Veranlagung zur Melancholie vererbt? Oder kann sie aufgrund bestimmter Lebensumstände erworben werden? VON DÖRTHE BINKERT

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I

Fotos: .. Andrea .. / photocase.de

mmer wenn ich im Engadin in Sils Maria bin, muss ich wenigstens einmal nach Maloja laufen. Das ist für mich: ans Ende der Welt. Denn von Sils her scheint das Engadiner Hochtal wie eine Schanze direkt in den Himmel zu führen, und das ehemalige Kurhotel Maloja, ein majestätischer alter Kasten im Stil eines italienischen Palazzo, liegt für mich am Ende aller Wege. Ein Zauberschloss, in dem etwas verwahrt ist, das so existenziell ist, dass der Held oder die Heldin des Märchens bis ans Ende der Welt laufen muss, um es zu bekommen. Ich mache den Weg im Sinne einer melancholischen Wiederholung. Im Frühjahr, im Herbst, im Winter. Denn der Spazierweg, auf halber Höhe entlang dem Silser See, vorbei an den verlassen scheinenden wenigen Häusern von Isola bis nach Maloja, ist einer der Plätze, wo ich die melancholischste aller Grunderfahrungen noch einmal und immer wieder machen möchte. Endlich angekommen, ist das Erreichte nicht, was es schien. Hinter der Welt zeigt sich eine andere Welt. Am „Ende der Welt“ eröffnet sich ein neuer Horizont. Von der Passhöhe des Maloja sieht man die Berge des Bergell, und unten liegt Italien. Warum ich mich nicht gleich in Majola einmiete? Ganz einfach: Ich brauche die Fantasie, die geradewegs ins Nichts führt, um dann, müde und am vermeintlichen Ziel, mit eigenen Augen zu sehen, dass das, was ich mir vorgestellt habe, das, was ich denke, nur ein kleines Stückchen Welt, ein winziger Teil der möglichen Gedanken ist. In Maloja selbst ist das ganz offenbar. Der Blick ringsum, die Landschaft ist ohne Geheimnis. Ich aber will den Augenblick der Illusion, den Gedanken an das Ende und die Rückkehr in die Welt durch die Entdeckung einer neuen, anderen Wirklichkeit. Die Einsicht, dass jede Vorstellung, jeder Zustand, jedes Gefühl vorläufig und endlich ist und dass hinter allem immer noch etwas anderes verborgen ist, ist für mich der melancholischste und zugleich tröstlichste Gedanke überhaupt. Für mich gehört er zu den Grunderfahrungen der Kindheit, zu den Fragen: „Warum gibt es das Meer? Warum gibt es Tag und Nacht? Warum gibt es

mich?“ Viele der kindlichen Warum-Fragen lassen sich beantworten. Aber meistens gehen die Fragen weiter, bis die Eltern nur noch „darum“ sagen – weil sie keine Lust mehr haben nachzudenken oder weil sie die Antwort selbst nicht wissen. Irgendwann stoßen die Kinder nämlich zu den Fragen vor, hinter denen nur wieder Fragen stehen, und dahinter gibt es neue Fragen und immer so weiter. Warum ist die Welt so, wie sie ist? Diese Frage lässt sich eigentlich nur mit Melancholie beantworten, weil sie sich überhaupt nicht beantworten lässt. An dieser Stelle – wenn das Kind nicht von den Erwachsenen am Denken und Fragen gehindert wird – könnte das melancholische Weltverständnis entstehen. An einem Schnittpunkt, wo die kindlichen Omnipotenzgefühle – die Überzeugung, Dinge, Menschen, Vorgänge auf magisch machtvolle Weise beeinflussen und lenken zu können – auf die unbeantwortbare Frage „Was ist die Welt?“ stoßen. Plötzlich scheinen die Grenzen auf, an denen das Kind später auch als Erwachsener stehen wird: die Grenzen der Erklärbarkeit, die Grenzen des eigenen Könnens und des menschlichen Geistes, der menschlichen Vorstellungskraft überhaupt.

Die Melancholie erlernt man ohne Worte Ich selbst kann diesen Schnittpunkt an einem Ort lokalisieren. Das war der Garten hinter dem Haus, in dem mein Vater sein Grafikatelier hatte. Ich verbrachte dort viel Zeit, während mein Vater oben hinter dem großen Atelierfenster arbeitete. In diesem stillen, vor fremden Blicken geschützten, an den Wald angrenzenden Garten, in dem ich mir die Welt ausdachte, hatte ich zum ersten Mal in meinem Leben etwas Totes gesehen. Ein kleiner Vogel war es gewesen. Ich erinnere mich noch: Ich hob ihn auf, strich mit den Fingern über die Federn. Ich wollte ihn begraben, aber die Vorstellung, den noch warmen Körper in die Erde zu legen, ihn unter der Erde verschwinden zu sehen – dieser Schritt schien mir zu schrecklich. Es wurde mir klar, dass ich vor etwas Endgültigem stand. Ich sehe noch heute die Erdkrümel auf das Gefieder rieseln, denn ich begrub den Vogel dann doch. Danach saß ich am Teich. Goldfische schwammen darin. Warum waren die Goldfische lebendig und der Vogel tot? Die Vergänglichkeit, der Tod war in meinen schönen Garten gekommen. Und ließ sich nicht mehr wegdenken. Nie mehr. Was macht ein Kind, was macht Menschen zu Melancholikern? Eine spezifische Veranlagung, das „Vorbild“ anderer, die Lebensumstände? Ich selbst habe die Melancholie von meinem Vater gelernt. Es ist neben Zärtlichkeit die schönste Hinterlassenschaft, die ich von ihm habe. Die Melancholie erlernt man ganz ohne Worte. Erst im Alter hat mein Vater über seine Lebenseinstellung gesprochen. Er gehörte zu denen, deren Blick sich manchmal in der Ferne verliert, ohne an einem Gegenstand wirklich haften zu bleiben. 21


Warum ist die Welt so, wie sie ist? Diese Frage lässt sich eigentlich nur mit Melancholie beantworten

Und deren Stimme manchmal verklingt, ohne dass ein Schlusspunkt gehört oder gedacht werden kann: Wenn auch kein Wort mehr fällt, so breitet sich doch das Gesagte – und Nichtgesagte – aus wie Nebel, der am Morgen aus einer Wiese steigt: leicht und duftig. Nicht selten allerdings, je nach Stärke der Melancholie, hängen die Worte und Gedanken novemberschwer im Raum. Das Nichtgesagte war im Leben meines Vaters wichtig. Genauso wichtig wie das Nichtgelebte (die Melancholiker leben vieles nicht, weil es in der Fantasie viel schöner ist, als es in Wirklichkeit je sein könnte). Wenn ich mich frage, ob es einen Ort gab, an dem seine Melancholie zu Hause war, so muss ich sagen: nein. Er trug seine Melancholie mit sich und hinein in jede seiner Handlungen. Trotzdem gibt es Schauplätze der Melancholie. Das waren für mich, was ihn anging, seine Wohnung und sein Atelier – in Schweigen und in sich selbstversunkene Räume. Dass sie auf mich so wirkten, als beträte man eine Kapelle, in die sich lange niemand verirrt hat, in die aber das Tageslicht ungehindert einfließen kann, ja wo es gebündelt sogar kräftiger wird (nichts von Grabeskälte und dunkler Trauer), hängt sicher auch mit den Gerüchen zusammen, die unaufdringlich, aber unverkennbar darin hingen. In der Wohnung war es im Winter das Tannengrün, das auf der Handschuhablage im Flur stand. Wenn ich mich im Spiegel besah, sah ich die Zweige mit wie die Zugabe auf einem Porträt: „Kleines Mädchen mit Tannenzweigen“. Dazu der Geruch des Kohleofens und, schwach, der Duft von „Irisch Moos“, das mein Vater als Gesichtswasser benutzte. Im Sommer standen an der gleichen Stelle ein paar Blumen, die er samstags auf dem Markt kaufte. Auch sie verbreiteten einen schwachen Duft, der sich 22

mit dem Geruch des Schwarztees vermengte, der sich im Winter gegen die kräftigeren Gerüche nicht durchsetzen konnte. Im Atelier gab es keinen Winter- oder Sommerduft: Es roch immer nach Farben. Nicht wie in einem Malerbetrieb. Es hing nur ein Hauch von Künstlichkeit in der Luft, denn die Farben wurden nur in kleiner Menge mit dem Pinsel verarbeitet. Alles in diesen Räumen forderte zum Betrachten auf, nichts zum Sprechen oder zu einer Auseinandersetzung. Mein Vater setzte sich nur innerlich mit der Welt auseinander, in stummen Monologen. Immerhin schien er in diesen nach außen hin unsichtbaren Auseinandersetzungen auch zu den Schlüssen zu kommen, denn sein Leben verlief gradlinig und kongruent.

Erinnerungen an Momente der reglosen Aufmerksamkeit Ich benutzte die leere Wohnung, den Garten, der zum Atelier gehörte, zur Einübung in Melancholie und Kontemplation. Ich habe viele Erinnerungen an Momente, die ich als reglose Aufmerksamkeit bezeichnen könnte. Ich saß zum Beispiel still auf dem grauen Sofa im Wohnzimmer der Dachwohnung, das Frühstück noch vor mir, so wie mein Vater es jeden Morgen hinstellte. Er war dann schon ins Atelier gefahren. Ich saß und ließ das Zimmer auf mich wirken: das Ticken der Wanduhr, die Buchrücken in der damals ganz modernen Schrankwand, die Dosen, Vasen und Aschenbecher aus Emaille, bemalter Keramik und Porzellan, das leise Bullern des Ofens im Winter, die Bilder: ein Feininger (die auf Holz aufgezogene Kopie einer kubistisch verzogenen Kathedrale), eine japanische Tuschzeichnung mit einem Vogel auf einem Bambuszweig und vor allem sie, die Tonplastik einer Frau im Dreiviertelrelief, die PS YCH OLO G IE H EUTE com p a c t


sich schmerzlich von der Wand wegkrümmt, mit einem schwanengleichen Hals und bloßer Brust, einen Arm wie gefesselt auf dem Rücken. In ihrem Innern, ihrem Bauch war ein kleines Tonbaby versteckt, dem der Bildhauer den Namen meines Vaters gegeben hatte; er war auf der Rückseite der Plastik in den Ton eingeritzt. Ich nahm die Welt, die Gefühle meines Vaters in mich auf, ohne ihm je Fragen zu stellen. Ich stellte alle Fragen nur mir selbst und beantwortete sie mir durch Anschauung – durch die Betrachtung der mich umgebenden Dinge und die Wahrnehmung der Atmosphäre, die sie durch eine bestimmte Zuordnung zueinander verbreiteten. Die Dinge antworteten mir durch ihre Stofflichkeit und die Ordnung, in die sie gestellt waren und durch die sie eine ganz bestimmte Bedeutung erhielten. Manchmal vergewisserte ich mich ihrer Aussage, indem ich etwas anfasste; ich nahm etwas aus den Schubladen, schlug ein Buch auf, verrückte den einen oder anderen Gegenstand und stellte ihn wieder an seinen ursprünglichen Platz zurück. Die einmal hergestellte Ordnung, die wie ein Koordinatennetz über allem lag, durfte nicht geändert werden: Ich saß in der Welt eines anderen, in einer von ihm geschaffenen Welt, die ich nicht antasten durfte. Manchmal wechselte ich den Standort der Betrachtung, vertauschte das Sofa mit dem mit einem Schaffell bezogenen Sessel, aus dem sich andere Blickwinkel, neue Sichtweisen ergaben. Eine Hand im Schoß, die andere auf dem Fell, trat ich in stumme Tuchfühlung mit einer Außenwelt, welche die Innenwelt eines anderen, meines Vaters spiegelte. Nach einer Weile räumte ich das Frühstück ab und machte mich auf den Weg ins Atelier – mit dem Gefühl, etwas Wichtiges, etwas für mich Lebensnotwendiges getan zu haben. Diese Art der Welterfassung – melancholisch, weil zunächst nach außen hin passiv und ohne den Anspruch, einzugreifen, mit- oder umzugestalten – ließ sich fortsetzen im Atelier oder im Garten, wo die weißlackierte Bank, die unter einer großen Trauerweide stand, nach einem melancholischen Besucher geradezu rief, der sich unter den herabhängenden Zweigen niederließ und sich dort gefälligst so still zu verhalten hätte, dass er, ein regloses Objekt, nur ein Teil der Natur wäre.

Die süße Traurigkeit macht selbstgenügsam Der Garten war Ausgangspunkt all meiner Kenntnisse und Wahrnehmungen über die Natur der Natur, während das Stillsitzen in der Wohnung Ausgangspunkt für die ersten Erkenntnisse über die mögliche Natur des Menschen war. Die Eindrücke, denen ich mich mit aller Konzentration zu öffnen versuchte, waren aber immer begleitet von dem Gefühl, etwas festhalten, etwas geistig notieren zu müssen, was ich schon bald wieder verlieren würde – denn das Leben im Garten, in Wohnung und Atelier war immer nur vorläufig, immer nur vorü-

bergehend. Ich war ein Scheidungskind. Alles, was meine Sinne fotografisch genau zu speichern versuchten, gab es nur zweimal im Jahr: zu Weihnachten und in den Sommerferien, einmal im Winter, einmal im Sommer. Deshalb spielten die Jahreszeiten und ihr Wechsel schon immer eine wichtige Rolle in meinem Leben. Die Trauer, die beschriebenen Orte (und natürlich den Vater, mit dem sie ja verknüpft waren) immer schon nach kurzer Zeit wieder zu verlieren, fügte ich (beziehungsweise meine Lebensgeschichte) der vom Vater übernommenen, vielleicht vererbten Melancholie hinzu. Sicher waren es in meinem Fall ein Stück weit die Lebensumstände, die mich haben melancholisch werden lassen. Weil mein Leben ständig zwischen zwei Polen – der Welt des Vaters und der Welt der Mutter – hin- und herwechselte, fand ich bald meine ganz eigenen Orte der Melancholie. Sie sind es bis heute geblieben: die Bahnhöfe und das Reisen im Zug. Auch heute noch kann ich schlecht im Zug arbeiten oder lesen – immer muss ich hinaussehen, die Landschaft gleitet vorbei, taucht auf und verschwindet. Die Klopfzeichen des Regens an der Scheibe des Zuges trommeln mich ein in meine Gedanken. So, wie ich gern allein im Zug fuhr, bin ich auch schon als Kind gern allein spazieren gegangen oder ziellos durch sommerlich leere Straßen gelaufen – erst weil niemand da war, der mich begleitet hätte, später weil es mir zur Gewohnheit geworden war. Jeder hat seine eigenen bevorzugten Orte, Tageszeiten, Beschäftigungen, um mit seiner Melancholie allein zu sein oder mit einem anderen Melancholiker zu zweit allein die Wehmut zu genießen. Das frühe Licht des Morgens, die einbrechende Dämmerung bieten sich dazu besonders an. Die inneren Bilder, die in der Melancholie entstehen, haben oft die Intensität eines lange nachhallenden beeindruckenden Traumes. Sie können lebendiger, farbiger sein als die Wirklichkeit, weil störende oder ablenkende Details in der Fantasie einfach weggelassen werden. Darum kann die Melancholie auch zur Sucht, zur Droge werden, dank derer man die Gesellschaft anderer gar nicht mehr vermisst. Die „süße Traurigkeit“ macht selbstgenügsam. Weshalb die vita contemplativa des Melancholikers durch eine vita activa ergänzt werden muss. Als Mittlerin zwischen der vita activa und der vita contemplativa, zwischen Vorwärtsgehen und Innehalten, wird die Melancholie zu einer kreativen Form der Lebensbewältigung. PHc

Dr. Dörthe Binkert studierte Germanistik, Politologie und Kunstgeschichte. Nach ihrer Promotion hat sie dreißig Jahre lang für große deutsche Publikumsverlage gearbeitet. Seit 2007 ist sie freie Autorin. Sie schreibt Erzählungen, Romane und Sachbücher. Ihr aktueller Roman Jessicas Traum ist 2016 bei dtv (München) erschienen. Er beschäftigt sich mit Lebensträumen und der Frage, wodurch sie geprägt werden und wie sie sich verändern können.

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EIN KEIM VON

WIDERSTAND

Viele Menschen sehnen sich nach Gelassenheit, sie sind erschöpft von einer Gesellschaft, in der Wettbewerb und Konsum den Ton angeben. Die Melancholie könnte hier einen Ausweg bieten, meint der renommierte US-Psychiater Peter D. Kramer 24

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ch behandele und unterrichte junge Erwachsene in einer Universitätsstadt und habe den Eindruck, dass sie Melancholie fürchten und meiden. Eine besorgniserregende Intoleranz gegenüber der Melancholie oder gar depressiven Stimmungen macht sich in unserer Gesellschaft breit. Die damit verbundenen Ängste sind nicht grundlos. Untersuchungen haben gezeigt, dass schon einige wenige Symptome von emotionaler Abweichung das Risiko für eine Vielzahl psychischer Probleme erhöhen. Aber die Aversion gegen die Melancholie kann damit nicht wirklich erklärt werden.

Wenn ich in die 1960er Jahre zurückblicke, als ich aufs College ging, gab es unter uns jungen Leuten eine bemerkenswerte Begeisterung für die Melancholie. Natürlich, wir waren naiv. Wir wussten wenig über die psychische Krankheit Depression. Als eine Kommilitonin wegen emotionaler Probleme stationär behandelt werden musste, bewunderte ich sie: Sie hatte Mut, in den Abgrund zu blicken! So sahen wir damals die Angelegenheit. Wer schwermütig war, der war in unseren Augen ein couragierter Mensch, der es wagte, die Welt so zu sehen, wie sie war: Schließlich lag auf ihr der Schatten des Vietnamkrieges und auch noch der von Hitlers Terror. OptiPS YCH OLO G IE H EUTE com p a c t


Foto: voodoo! / photocase.de

mismus, das war für uns ein Synonym für die fade, anspruchslose Eisenhowerzeit. Wir nahmen wie der Dichter Robert Frost an, dass die Welt überwiegend rau und stürmisch sei und dass jeder Anschein von Wärme und Licht ausschließlich der Erinnerung an seltene Schönwettertage zu verdanken sei. Wir waren auf der Suche nach Leidenschaft; Glück erwarteten wir nicht. Die Methode der Wahl bei der Behandlung von Traurigkeit war damals die Psychotherapie. Sie unterstützte Menschen, sich ihren traumatischen Verletzungen zu stellen. Das Ziel war Symptomlinderung, und der Therapieprozess ähnelte einem Training in Melancholie. Unterschwellig zelebrierte die Psychotherapie wenn nicht das Grübeln, so doch die Kontemplation. Heute sind Medikamente die vorherrschende Behandlungsform für Depressionen. Sie transportieren eine völlig andere Botschaft. Weil Medikamente den Stoffwechsel im Gehirn verändern, liegt die Schlussfolgerung auf der Hand, dass Depression nur ein chemisches Ungleichgewicht ist – also ein biologischer Defekt. Einige Menschen reagieren auf diese Medikamente tatsächlich dramatisch. Ihre Veränderungen scheinen einen neuen Endpunkt in der Heilung von Depressionen zu markieren – eine depressive Episode wird nicht nur gelindert, vielmehr verändert sich die gesamte Persönlichkeit. Wo Zweifel waren, herrscht nun der Optimismus. Kein Wunder, dass Melancholie heute als pathologisch angesehen wird. Antidepressiva sind übrigens noch nicht das Ende der Geschichte. Pharmafirmen arbeiten daran, die Verbindung zwischen erlebtem Trauma und dem Gehirn zu unterbrechen. Das bedeutet: Hat zum Beispiel eine Frau ihren Mann verloren, kann sie sich einen Teil ihrer Trauer ersparen, wenn sie das richtige Medikament nimmt. Auch genetische Eingriffe, die ein Neugeborenes weniger anfällig

für Stress machen, sind im Rahmen des Möglichen. Die Frage ist: Wie weit sollen wir gehen? Zahlreiche Studien dokumentieren eine Verbindung zwischen Melancholie und Kreativität – Gedichte, Romane, Malerei verdanken wir vor allem den Melancholikern. Eine Flut von Büchern befasst sich mit diesem Thema. In seinem Buch Saturns Schatten erklärt der Autor Andrew Solomon, dass die Depression nicht nur Leiden gebracht, sondern ihm auch einen unbekannten Teil von sich selbst gezeigt habe: seine Seele. In Nell Caseys Anthologie Unholy Ghost sind Autoren versammelt, die an schweren Depressionen litten. In einem dieser Texte bringt die USamerikanische Schriftstellerin Susanna Kaysen ein Hoch auf die Melancholie aus. Diese habe nicht nur ihre Kunst bereichert, sondern sei auch mit Eigenschaften verbunden, die ihr viel bedeuteten: mit Nachdenklichkeit, der Fähigkeit, vernünftige Entscheidungen treffen zu können, und der Toleranz, Widersprüche auszuhalten. Vieles, was uns wertvoll ist – unser Verständnis von Schönheit, Tiefsinn, ja auch Romantik – verdanken wir den Melancholikern. Vielleicht lagen wir in den 1960er Jahren gar nicht so falsch, als wir annahmen, dass in der Melancholie der Keim von Widerstand steckt – Widerstand gegen eine Kultur, in der nur noch Wettbewerb, Konsum und Berühmtheit zählen. In der heutigen Zeit, in der die Menschen Gelassenheit herbeisehnen, als ob sie die Bedingung fürs Menschsein wäre, erscheint ein Hoch auf die Melancholie wieder sehr angebracht. PHc

Glücksministerin Gina Schöler ist mit ihrem sinnlichen Schmöker voller kleiner Glücksmomente des Alltags auf einer Herzensmission: wir brauchen mehr Glück im Land! Die Mini-Essays und Anstiftungen aus dem »Ministerium für Glück und Wohlbefinden« lassen Sie das Glück der heimlichen Freuden wieder spüren – eine herrliche Entschleunigung des Alltags schon beim Lesen! Unterstützt wird Gina Schöler von Glücksforschern und -experten, ihren treuesten Fans und Freunden – und sogar von einem echten Bundesminister! Mit Beiträgen von Heiko Maas, Eckart von Hirschhausen, Gerald Hüther und vielen anderen. 2016. 233 Seiten. Durchgehend illustriert

Peter D. Kramer ist Psychiater und Buchautor. In Deutschland wurde er vor allem durch seine Auseinandersetzung mit dem Antidepressivum Prozac (dt.: Fluctin) bekannt: Glück auf Rezept, Kösel 1995. Sein aktuelles Buch Ordinarily well. The case for antidepressants ist 2016 im New Yorker Verlag Farroar, Straus and Giroux erschienen.

€ 17,95. ISBN 978-3-593-50589-3 Auch als E-Book erhältlich

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DIE SCHÖNE KUNST DER KOPFHÄNGEREI 26

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Foto: Yvonnes_photos / photocase.de

Man kann sich nicht aussuchen, wie man tickt. Aber man kann sich entscheiden, im Einklang mit seiner Veranlagung zu leben, meint der Philosoph und Literaturwissenschaftler Ulrich Horstmann

Herr Horstmann, Sie beschäftigen sich seit vielen Jahren mit dem Thema Melancholie und schrieben 1987 einen Essay für den Spiegel zum Thema „Rückzugsgefecht für die Melancholie“. Darin ging es unter anderem darum, dass die Melancholie in unserer Gesellschaft keine Chance hat. Hat sich diesbezüglich etwas verändert? Melancholie ist nie mehrheitsfähig gewesen und wird es nie sein. Es gab Zeiten, die ihr gegenüber relativ gastfreundlich waren wie die Romantik oder der Beginn der Neuzeit. Der verdanken wir Ikonen wie Dürers Kupferstich Melencolia I, den Hamlet oder Robert Burtons Anatomie der Melancholie. Die Gegenwart bringt diese Toleranz nicht auf. Wie so viele andere Epochen hat sie eine Mission: Fortschritt und Vernetzung. Sie verehrt Computer und Smartphone als Heiligen Gral, einen plattgestampften viereckigen Kelch, der um Himmels willen an niemandem vorübergehen soll und auf offener Straße endlos befingert und betätschelt wird. Wo sich das Heil so schamlos breitmacht, hat die Schwermut nichts verloren. Wann eigentlich werden wir melancholisch? Sind es überzogene Ansprüche an das Leben, die nur schwer in Erfüllung gehen können? Um hier Klarheit zu gewinnen, begibt man sich am besten an die Rückzugsorte und in die Widerstandsnester der schönen Kunst der Kopfhängerei. Wo also kann man Melancholie sehen, hören, riechen, schmecken? Ich war im vergangenen Jahr in der irischen Hafenstadt Cobh, wo die Titanic 1912 ihre letzten Passagiere an Bord nahm. Die Abfertigungshalle steht noch. Wer sie betritt, reagiert mit allen Sinnen – und weiß augenblicklich Bescheid. Oder man klicke im Internet urbex, urban exploration an, und Bildergalerien sogenannter Ruinenkultur, verwaister Liegenschaften mitten im quirligen Großstadtbetrieb erscheinen. Auch die Literatur ist auskunftsfreudig. Nach Günter Grass’ Tagebuch einer Schnecke riecht man die Melancholie in Rübenmieten und Waschküchen. Die Schwermut lässt keinen unserer Sinne aus. Musik sperrt mit Fado und

Blues die Ohren auf; und was ist der Nachgeschmack einer verzehrten Delikatesse anders als melancholisch, wenn man den Löffel abgeben muss? All diese Eindrücke und Erfahrungen haben eins gemeinsam: das Erlebnis der Ohnmacht, des Nichtfesthalten-Könnens, der Flüchtigkeit, das quersteht zum grassierenden Machbarkeitswahn. Melancholie lediglich als Kater der Überanstrengten zu begreifen grenzt an Karikatur. Die beim Wort genommene abgrundtiefe Ent-Täuschung trifft es schon eher, weil Desillusionierung doch etwas Positives und Begrüßenswertes ist. Wir sind umzingelt von Aufforderungen zum Glücklichsein, trübe Gedanken und Niedergeschlagenheit dürfen nicht sein. Woher kommt die Aversion? Gestatten Sie mir eine drastische Formulierung. Unsere Gattung besteht aus Götzendienern des Mehr. Wir wollen immer mehr von uns – im doppelten Sinn inzwischen explosionsartiger Vermehrung und einer erbarmungslosen Hochleistungsideologie –, wir wollen immer mehr von der Welt für uns. Glück verstehen wir als Erfüllung. Die Evolution hat uns so programmiert, mit dem Erfolg, dass schon die eiszeitlichen Sammler und Jäger die Kontinente jenseits von Afrika eroberten und dort das Großwild ausgerottet haben. Man wollte eben schon damals mehr Schlaraffenland für mehr Stammesgenossen. Und wer dem Häuptling und seinem Schamanen mit einem wehmütigen Kopfschütteln bedeutete, dass diese Strategie auf Dauer nicht aufgehen kann, für den war an den Fleischtöpfen eben kein Platz. Folglich landen die Kritiker der Völlerei und des unbegrenzten wirtschaftlichen Wachstums bis heute am Katzentisch. Worin besteht der Unterschied zwischen Depression und Melancholie? Gibt es einen fließenden Übergang? Seit mehr als zwei Jahrtausenden wird die Melancholie angegriffen und diffamiert: Von der Theologie sieht sie sich unter der Bezeichnung acedia als Todsünde gebrandmarkt, von der aufklärerischen Philosophie der Leugnung jeglicher Vervoll27


Wenn Sie den Blues haben, hören Sie Blues. Dann muffeln Sie nicht mehr vor

kommnungsfähigkeit des Menschen angeklagt und von der Psychologie als therapiebedürftige seelische Erkrankung diagnostiziert. Aber auch der Alltagsverstand lässt sich nicht lumpen und liefert am laufenden Band abkanzelnde Synonyme und irreführende Gleichsetzungen. Zum Beispiel? Lassen Sie mich auf die oben erwähnte existenzielle Ent-Täuschung zurückkommen. Diese melancholische Klarsicht, die ohne die rosarote Brille eines angeblich gesunden Optimismus auszukommen sucht, wird als Trübsinn an den Pranger gestellt. Dort soll das Opfer auch noch das faule Obst weiterer verbaler Anwürfe wie Miesepeter und Spielverderber treffen. Doch wer den Angefeindeten begegnet, wird feststellen, dass es sich hier um das Gegenteil freudloser Existenzen handelt, weil sie mit den wesensverwandten Pessimisten einen schwarzen Humor teilen. Wie Paul Watzlawick, der eine schlitzohrige Anleitung zum Unglücklichsein verfasst hat. Oder der Schriftsteller Kurt Vonnegut, der die Auslöschung Dresdens als amerikanischer Kriegsgefangener überlebte und den Roman nach seinem Lebensretter benannte: Schlachthof 5. Und wer die DVD des Films Nostalghia von Andrei Tarkowski in die Hände bekommt, kann sich mit eigenen Augen davon überzeugen, wie kunstvolle Schwarzmalerei etwas ganz anderes in uns auslöst als Niedergeschlagenheit. Das ist tatsächlich anders bedrückend, fast positiv düster! Allerdings. Also, was die so populäre Gleichsetzung von melancholischen Anwandlungen mit depressiven Schüben angeht, so macht das schon deshalb keinen Sinn, weil noch kein Depressiver jemals in die akute Depression zurückwollte und diesen Gemütszustand als Entronnener meidet wie die Pest. Während der Schwermütige gar nicht genug bekommen kann von der „Gravitation nach dem Unglück“, wie es der österreichische Dichter Nikolaus Lenau nannte. Gewiss, dem Unglückseligen ist der feste Boden des Ur- und Weltvertrauens unter den Füßen weggezogen worden. Er bricht ein, wie auch der 28

Depressive einbricht, aber er stürzt nicht in die Verzweiflung. Der Melancholiker verdumpft nicht. Er bleibt in seiner Verlorenheit bei Sinnen, mehr noch, alle Sinne sind auf Empfang, sein Sensorium gewinnt ungebremst an Feingefühl. Vielleicht hat auch ihm der Sturz aus allen Wolken, aus den Tröstlichkeiten der Routinen, dem Halt der Netzwerke zunächst Angst gemacht, aber dann entdeckt er die Wonnen des freien Falls. Was meinen Sie damit? Die Weitsicht, das Panorama ist ungeheuer, und man kann – der Schwerkraft bedingungslos ausgeliefert – paradoxerweise schwerelose Figuren fliegen, die sich auf dem Boden der Tatsachen von selbst verbieten. Den Fallschirm ziehen? Hat der sich nicht schon längst selbständig gemacht? Wenn es ein Credo der Melancholie gibt, dann ist es in vier Wörtern, in dem schlichten Satz zusammenzufassen: Es ist kein Heil. Der Depressive starrt auf den Scherbenhaufen in sich, vor sich, und die Gewissheit des Aufschlags hat ihn in ihrer Zwangsjacke. Sein Gegenspieler rauscht schwer mutig am Heulen und Zähneklappern vorbei. Aber auch durch die Einsicht in die Heillosigkeit und den Verzicht darauf, sich selbst zu belügen, wird niemand wieder ganz. Melancholie gilt als idealer Nährboden für künstlerisches Schaffen. Warum das? Gesetzt den Fall, Sie haben den Blues, will sagen, Sie bemerken eine Attacke von Wehmut, von Melancholia light. Die eleganteste Reaktion darauf ist: Sie spielen einen Blues oder – wenn Sie so wie ich auf dem Saxophon zwei linke Hände haben – lassen sich von einem Virtuosen den Blues vorspielen. Wenn Sie Arnett Cobb, Eddie „Cleanhead“ Vinson oder Bull Moose Jackson gehört haben, muffeln Sie nicht mehr vor sich hin, Sie perlen wie die Melodie. Diese Musiker waren raffiniert genug, das, was sie hinterrücks überfallen hat, zu veredeln. Nicht viel anders machen es die Philosophen und Künstler mit der Heavy-Duty-Variante der Schwermut. Die Unglückseligen – man muss auch dieser so treffenden Bezeichnung hinterherPS YCH OLO G IE H EUTE com p a c t

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sich hin, Sie perlen wie die Melodie


lauschen – schenken sich nämlich reinen Wein ein über den desolaten Zustand der Welt. Innen wie außen, statt sich Illusionen hinzugeben oder Scheuklappen zu verpassen. Und es ist diese schmerzhafte, weil dünnhäutige Ehrlichkeit, der wir uns kaum entziehen können, wenn wir mit dem italienischen Maler Giorgio de Chirico und seinem amerikanischen Pendant Edward Hopper die Verlorenheit erkunden oder mit Marcel Proust im Medium des Als-ob zurückholen, was verblasst und untergegangen ist, was der erbarmungslose Lauf der Zeit weggewischt hat. Was kann Menschen trotz aller Schwermut gelassen machen? Einspruch! Gelassenheit gibt es für mich nicht trotz aller Schwermut, sondern nur mit ihr. Weil sie im Festhalten und Zurückholen des Unwiederbringlichen das Loslassen lehrt und im Loslassen das Festhalten und Nachsehen, im doppelten Sinn des Wortes. Diese Paradoxien sind, wie zum Beispiel Oscar Wilde mit Aphorismen wie „Die Grundlage des Optimismus ist die nackte Angst“ aufzeigte, keine Denkblockaden, sondern das genaue Gegenteil. Nur bei der Sinnlichkeit der Melancholie schlage ich mich ganz auf Ihre Seite: Niemand ist sensibler, verzauberter, offenporiger gegenüber den uns begegnenden Reizen und diesen schonungsloser ausgeliefert als der „stille Brüter“. Haben Sie einen Lieblingsmelancholiker? Die sind in meinem Melancholie-Lesebuch Die Untröstlichen versammelt und mir alle gleich lieb. Einstimmig bestätigen sie den Befund: Melancholie ist keine Option in dem Sinne, dass sie sich antesten, ausprobieren und nach Gutdünken ein- und ausschalten ließe. Die antike Temperamentenlehre mag medizinisch und psychologisch längst zum alten Eisen gehören, in einem aber hat sie recht: Das melancholische Naturell ist angeboren, ganz wie andere Charakterzüge auch. Man kann sich nicht aussuchen, wie man gestrickt ist, und die einzige Wahlmöglichkeit, die man hat, ist die Entscheidung, ob man im Einklang mit seinen Anlagen leben will oder dagegen ankämpft. Wo man hinsieht, geben sich die Tatendurstigen und Weltverbesserer das Mikrofon in die Hand. Die Melancholie aber braucht keine Lautsprecher und Verstärker. „Ich kann dir was flüstern!“, lautet ihre Devise. PHc Interview: Birgit Weidt

Ulrich Horstmann (Jahrgang 1949) setzte sich Anfang der 1980er Jahre mit der Streitschrift Das Untier in die friedensbewegten Nesseln und hat seither nicht nur literarisch an einer Außenseiterposition Gefallen gefunden, die Nichtmelancholikern als verlorener Posten vorkommt.

Wer seine Gefühle kennt, lebt besser

360 Seiten, gebunden € 22,95 D | ISBN 978-3-407-85846-7 erhältlich Auch als

Heute bleibt kaum noch Raum und Zeit für Gefühle – und doch bestimmen sie alle Facetten unseres Handelns. Deutschlands bekannteste Gefühlsexperten machen Lust und Mut, unser persönliches Innenleben zu erkunden. Schöne Gefühle, gefährliche Gefühle, verdrängte Gefühle – wer sie annimmt, erhält wichtige Auskünfte über die eigene Persönlichkeit, Geschichte und Entwicklung. »Es gibt keine ›richtigen‹ und ›falschen‹ Gefühle. Immer müssen sie ernst genommen und gewürdigt werden. Und genau das ist unser Anliegen mit diesem Buch.« Udo Baer & Gabriele Frick-Baer

Veröffentlichungen u. a.: Die Untröstlichen. Ein Melancholie-Lesebuch. Lambert Schneider, Darmstadt 2011. – Der lange Schatten der Melancholie. Versuch über ein angeschwärztes Gefühl. Shoebox House, Hamburg 2012

Leseprobe auf www.beltz.de


BEFREUNDET MIT DER

MELANCHOLIE Dass es im Leben auf und ab geht, ist eine Binsenweisheit. Dennoch akzeptieren wir nur die Hรถhen, aus Tiefs wollen wir mรถglichst schnell herauskommen. Dabei bewahrt gerade die Melancholie eine Ahnung davon, wie klein die menschliche Existenz ist VON WILHELM SCHMID

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as ist der wahre Weg zum Glück? Die hysterische Beschwörung des Glücks sicher nicht. Menschen machen sich unglücklich, wenn sie glauben, immer glücklich sein zu müssen. Denn Glück bedeutet nicht, nur eine Seite des Lebens, nämlich die des Angenehmen, Lustvollen und Positiven anzuerkennen und allein zu betonen. Wer immer nur auf diese Weise glücklich sein will, versteht nichts vom Glück. Das größere Glück, das Glück der Fülle, umfasst immer auch die andere Seite, das Unangenehme, Schmerzliche und Negative, mit dem zurechtzukommen ist. Niemand sucht dieses andere, aber auszuschließen ist es nicht. Im besten Fall lässt es sich mäßigen, und die beste Voraussetzung dafür ist, das andere des Lebens in seinem Recht auf Existenz grundsätzlich anzuerkennen.

Zu beobachten ist, dass das Leben sich grundsätzlich in Polarität abspielt, zwischen Gegensätzen und Widersprüchen. Das moderne Welt- und Menschenbild ging davon aus, dass immer alles nur positiv sein kann, aber es ist nun mal so, dass es negative Dinge gibt, die nicht verschwinden, unabhängig davon, wie viele Schönheitsoperationen unternommen, Medikamente erfunden, politische Maßnahmen ergriffen werden. Hartnäckig fordert das Leben seine Polarität ein, denn so entsteht die Spannung, die es braucht. Entscheidend ist die Frage: Ist es mir möglich, die Polarität des Lebens grundsätzlich zu akzeptieren? Kann ich einverstanden sein mit dem gesamten Leben? Erscheint mir das Leben in aller Gegensätzlichkeit dennoch von Grund auf schön und bejahenswert? Dann kann ich mich eingebettet wissen in einen größeren Zusammenhang, in dem das eine wie das andere Platz hat. Das erfüllte Leben ist dann gleichsam ein Atmen zwischen den Polen des Positiven und Negativen: Mit dem, was guttut, neuen Atem zu schöpfen, gerade in einer problematischen Zeit, in der das Leben eng wird – und auf einer Höhe des Lebens darauf vorbereitet zu sein, dass es noch andere Zeiten geben wird. Die gesamte Weite der Erfahrungen zwischen Gegensätzen vermittelt erst den Eindruck, wirklich zu leben und das Leben voll und ganz zu spüren. Es ist nicht die Bestimmung des Menschen, immer nur zufrieden zu sein, sonst säßen wir noch immer zufrieden auf den Bäumen. Die Geschichte der Künste und der Wissenschaften zeigt hinreichend, zu welch bemerkenswerten Entwicklungen Menschen in der Lage sind, aber viele von denen, die dazu beitrugen, haben nicht aus Zufriedenheit ihre Werke geschaffen und ihre Entdeckungen gemacht. Was wäre gewesen, wenn Entdecker wie Galilei und Einstein nicht immer wieder tief ins Grübeln verfallen wären, Forscherinnen wie Madame Curie nicht ihr Leben aufs Spiel gesetzt hätten? Hätte Vincent van Gogh den Pinsel so heftig über die Leinwände geschwungen, wenn er sich und seine Kunst entspannt betrachtet hätte? Der Maler farbenfroher Bilder, Emil Nolde, bemerkte einmal, dass „Künstlernaturen“ eben „nie glücklich“ sein könnten. Edith Piaf, die zum Weinen schöne Lieder sang, führte kein glückliches Leben. Astrid Lindgren, der so lebensfrohe Gestalten wie Pippi Langstrumpf zu verdanken sind, kämpfte lebenslang mit Depressionen. Das andere Glück umfasst sogar das Unglücklichsein. Das ist die Paradoxie des Glücks der Fülle: Dass ein Glücklichsein möglich ist, bei dem das Unglücklichsein nicht ausgeschlossen werden muss, sondern einbezogen werden kann. Das ist ja auch der Kontrast, der ein Glücklichsein überhaupt erst fühlbar macht. Daher können diejenigen am glücklichsten sein, die ein Unglücklichsein erfahren haben. Häufig geht das Unglücklichsein damit einher, traurig zu sein, bedrückt und niedergedrückt, depressiv zu sein. Aber das ist keine Krankheit, sondern 31


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endender Besinnung und Selbstbesinnung. Es gibt daran nichts zu heilen, eher ist diese Seite des Menschseins zu pflegen. Die Melancholie kann zu einer Lebensphilosophie werden, die das Traurigsein nicht ausschließt, sondern hervorhebt, und es müsste möglich sein, gerade dies zur Grundlage eines schönen und bejahenswerten Lebens zu machen. Melancholiker denken über alles nach, daher sind seit jeher so viele Philosophen und Künstler unter ihnen zu finden. Die entscheidende Frage ist die nach der Lebbarkeit des Unglücklichseins. Sie hängt ab von einer Befreundung mit der Melancholie, die sowohl den praktischen Bedürfnissen des Menschen als auch seiner unpraktischen Melancholie Rechnung trägt. Zeiten des Selbst und Zeiten der Melancholie wären festzulegen: Zeiten des Selbst, in denen die Pragmatik des Alltags Vorrang hat, schon um dem Grübeln auch mal Pausen zu gewähren. Und Zeiten der Melancholie, die allein diesem Zustand gehören, mit Gewohnheiten, in deren Umfeld das Traurigsein gepflegt werden kann. Wenn es möglich ist, das Leben zeitweilig den Gewohnheiten anzuvertrauen, gewinnt ein Mensch den Rahmen, innerhalb dessen es sich besser traurig sein lässt, da er mit äußerem Halt seinem inneren Zustand zusehen kann. Er mag sich nun ganz dem Traurigsein überlassen, in der Gewissheit, nicht gänzlich zu fallen. Um aber ein Übermaß des Traurigseins wieder zu mäßigen, sollte ein Mensch sich, seinem Körper und seiner Seele im alltäglich gelebten Leben, wo immer es möglich ist, Gutes tun: Bei regelmäßigen Spaziergängen kann er seinen melancholischen Gedanken nachhängen. Beim Hören von Musik können melancholische Gefühle zelebriert werden. Im Tanz können sie Ausdruck finden, und eine Beschäftigung mit Werken der Malerei und Dichtung zeigt, wie häufig die Melancholie in der Geschichte bereits Ausdruck gefunden hat.

Wenn die Traurigkeit am größten ist, wird erotisches Empfinden am stärksten Sinnvoll ist eine Pflege der Kunst der Erotik, die mit sinnlichen Reizen (hormonell gesehen: kleinen Schüben an Dopamin und Betaendorphin) dafür sorgt, dass die Melancholie austariert wird und den Faden des Lebens nicht verliert. Es ist kein Zufall, dass Darstellungen der Melancholie so häufig mit erotischen Attributen ausgestattet sind. Ausgerechnet dann, wenn die Traurigkeit am größten ist, wird der erotische Gedanke, das erotische Empfinden am stärksten. Auch auf diese Weise wird die Polarität des Lebens wiederhergestellt: indem der positive Pol gestärkt wird. Und hilfreich ist die Pflege eines Gartens oder auch nur eines Balkons oder einer Fensterbank, wo etwas wächst, denn das zyklische Werden und Vergehen der Natur repräsentiert eine Form von Zeit, in der ein Melancholiker sich eher beheimatet fühlt als in der linearen Zeit ohne Wiederkehr, wie sie typisch ist für die moderne Kultur. PS YCH OLO G IE H EUTE com p a c t

Foto: Armin Staudt-Berlin / photocase.de

eine Art und Weise des menschlichen Seins, die wesentlich zur Existenz des Menschen gehört. Wohlbegründet ist das Traurigsein, wenn ein Mensch angesichts dessen, was sich jetzt und künftig nicht mehr ändern lässt, traurig wird: Was vergangen ist, lässt sich nicht mehr zurückholen. Dass überhaupt alles vergeht, lässt sich nicht ändern. Diese Vergegenwärtigung der Vergänglichkeit, sei es allgemein oder bezogen auf eine bestimmte Situation, erschüttert das Leben bis in seine Grundfeste: Nichts hat Bestand, alles ist vergänglich, brüchig ist der Boden, auf dem wir leben, auf Schritt und Tritt tun sich Abgründe auf. Und es gibt das scheinbar grundlose Traurigsein, das mit Aussagen verbunden ist wie: „Eigentlich stimmt bei mir alles, ich weiß gar nicht, was mit mir los ist.“ Vielleicht geht dieses Traurigsein gerade daraus hervor, dass alles stimmt: Das Leben, das nur noch die Stimmigkeit kennt, verlangt nach dem Gegenpol der Unstimmigkeit. Auch die unentwegte Lebensfreude kann erschöpfend sein und bedarf einer Erholung, wie das Traurigsein sie ermöglicht. Moderne Menschen suchen das Glück vorzugsweise in der guten Stimmung – bei einer traurigen Verstimmung müssen sie sich von dieser lästigen Störung alsbald wieder befreien. Was aber, wenn das Traurigsein nicht mehr vorübergeht, nicht mehr einfach nur eine Reaktion auf Belastungssituationen ist? Ein treffendes Wort für das Traurigsein und Deprimiertsein ist Melancholie, ein Zustand, in dem das Glücklichsein vielleicht wünschbar, aber nicht wirklich möglich erscheint. Melancholie ist die Seinsweise einer Seele, die immerzu schmerzt und sich ängstigt, ohne dass dies in irgendeiner Weise als „pathologisch“ gelten könnte. Sie wird begleitet, vielleicht auch angeleitet von einem höchst reflektierten Bewusstsein, das um die Ungewissheit von allem weiß, was den Eindruck von Gewissheit macht, und die Fragwürdigkeit aller Dinge kennt, deren mögliche Grundlosigkeit wohl kaum bestritten werden kann. Das Bewusstsein der Abgründigkeit ist für den Melancholiker ein Teil seines Glücks, denn er entkommt damit der Gefahr bloßer Oberflächlichkeit. Die Melancholie bewahrt eine Ahnung davon, wie nichtig die menschliche Existenz ist und dass ihr der Boden jederzeit unter den Füßen weggezogen werden kann. Urtrauer empfindet der melancholische Mensch über die Entfremdung von einem zeitlosen Ursprung, über die unaufhebbare Kluft zwischen Wirklichkeit und Möglichkeit, über das unmögliche, allenfalls zeitweilige Einssein mit anderen. Er ist sich der Zweifelhaftigkeit der Zeit, der möglichen Sinnlosigkeit allen Tuns, der potenziellen Bedeutungslosigkeit der menschlichen Existenz bewusst. Anders als die Krankheit Depression, deren Kennzeichen erstarrte Gefühle und die Unfähigkeit zur Reflexion sind, ist Traurig- und Melancholischsein von bewegten Gefühlen und Gedanken geprägt, von übergroßer Sensibilität und nicht mehr


Die Stärke der Melancholiker ist ihr Gespür für Sinn und dessen Fehlen. Darin besteht ihr Geschenk an die Gesellschaft

Das Unglücklichsein wird somit selbst zu einem Bestandteil des Glücks und bestärkt dessen Nachhaltigkeit. Wenn es unter diesen Vorzeichen sogar um so etwas wie Heiterkeit gehen kann, dann in einem durch Melancholie geläuterten Sinne, um zu einer heiteren Gelassenheit zu kommen. Die Gelassenheit kommt vom Lassen, vom Gewährenlassen auch des Abgründigen und Widersprüchlichen, der Angst im Kontrast zum Freisein von ihr, des Ärgers im Kontrast zur Freude, des Schmerzes im Kontrast zur Lust, des Todes im Kontrast zum Leben. Die Gelassenheit ermöglicht, sich der grundlegenden Tragik von Leben und Welt nicht zu entziehen, darin jedoch auch nicht unterzugehen. Gerade das tragische Bewusstsein entspricht dem Leben viel mehr als jede törichte Leugnung von Tragik. Auf dieser Grundlage wird eine gelassene, heitere Lebenshaltung erst möglich. Heitere Gelassenheit ist das Bewusstsein davon, dass in allem, was ist, auch noch etwas anderes möglich ist; dass Höhen und Tiefen sich abwechseln wie Tag und Nacht, wie Ein- und Ausatmen; dass dies der Takt des Lebens ist, das aus der Polarität in allen Dingen seine Spannung bezieht. Ausdruck des symmetrischen Lebens kann Harmonie sein, jedoch eine, die voller Spannung ist, bis hin zu einem Glück der Fülle, das unvereinbare Gegensätze in sich zusammenspannt. Es schließt auch die Kontrasterfahrung der Verzweiflung nicht aus, durch die das Leben immer wieder hindurchmuss. Aber es verhindert die letzte Verzweiflung, die keinen Halt mehr im Leben findet. Die Bedeutung, die der Melancholie in einer kommenden Zeit zuwächst, kann wie schon in früheren Zeiten darin liegen, eine größere Fähigkeit zur Reflexion zu gewinnen und die gefährlichen Selbstverständlichkeiten zu verlieren, in denen Menschen leben, ohne es recht zu bemerken. Die Stärke der Melancholiker ist ihre Sensibilität, ihr Gespür für Sinn und dessen Fehlen; darin besteht ihr Geschenk an die Gesellschaft. Die Schattenseiten des Glücks sind schon aus diesem Grund nicht sinnlos: Erheblich früher als die Glücklichen bemerken die Unglücklichen eine Gefahr, eine Fehlentwicklung, ein Unrecht und eine Ungerechtigkeit. Eher als bei den Optimisten, von denen nicht wenige den Anblick eines problembeladenen Menschen bereits als Behinderung ihrer positiven Weltsicht empfinden, findet sich Mitgefühl bei den Melancholikern. Schon aus diesem Grund ist es nicht akzeptabel, dass bei all dem Reden über Glück die Unglücklichen immer mehr ins Abseits gestellt werden. Eher gibt es gute Gründe für eine Ermutigung zum Unglücklichsein. PHc Wilhelm Schmid, geb. 1953, lebt in Berlin und lehrt Philosophie als außerplanmäßiger Professor an der Universität Erfurt. Homepage: www.lebenskunstphilosophie. de. Twitter: @lebenskunstphil. 2012 erschien sein Buch Unglücklich sein. Eine Ermutigung (Insel), 2014 sein Bestseller Gelassenheit. Was wir gewinnen, wenn wir älter werden (Insel) und 2016 Das Leben verstehen. Von den Erfahrungen eines philosophischen Seelsorgers (Suhrkamp).

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SPÜREN

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Vieles kann eine melancholische Stimmung auslösen: Eine schöne Erinnerung. Wundervolle Musik. Und natürlich ein schwerer Verlust

Foto: Manuel Ferrigato

Sehnsucht nach Zuhause. Die dunkle Jahreszeit.


NOSTALGIE WARUM EIN BISSCHEN WEHMUT GUTTUT Ein Musikstück, ein Duft, ein Foto, ein wiedergefundener Brief – wehmütig und melancholisch erinnern wir uns an damals, an wichtige Menschen und schöne Erlebnisse. Lange galt solche Rückwärtsgewandtheit als lähmende Fluchtreaktion. Heute aber weiß man: Nostalgie ist ein äußerst wertvolles Gefühl VON ANNETTE SCHÄFER 36

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Es wird ein bisschen gefachsimpelt, man tauscht Erfahrungen über das Leben im Ausland aus und diskutiert über Politik. Für mich, die Journalistin aus Deutschland, ist es ein Privileg, dabei zu sein. Nicht nur an diesem Abend, sondern schon den ganzen Tag begleite ich die Forschergruppe. Wer sich für das Thema Nostalgie interessiert, ist in Southampton am richtigen Ort. Lange, sehr lange Zeit wurde die sentimentale Sehnsucht nach vergangenen Zeiten als lähmende, gar dysfunktionale Emotion angesehen. Seitdem der Schweizer Arzt Johannes Hofer den Begriff im 17. Jahrhundert erstmals verwendete, um die körperlichen und psychischen Leiden von Söldnern zu beschreiben, betrachteten Psychologen Nostalgie als Fluchtreaktion von Menschen, die den Anforderungen des Lebens nicht gewachsen sind und Angst vor der Zukunft haben. Diese Einschätzung gilt heute nicht mehr. Nostalgie wird nunmehr als eine Erfahrung angesehen, die durchaus schmerzliche Anteile hat, aber insgesamt äußerst nützlich ist. Diese Neubewertung ist zu einem nicht unerheblichen Teil Sedikides und seinem Team zu verdanken. Als ich in den Veröffentlichungen der Wissenschaftler blätterte, war ich verblüfft, wie viele positive Wirkungen sie und andere Forscher identifiziert haben: Nostalgie beeinflusst danach die Stimmung, das Selbstbewusstsein, die Sozialbeziehungen, den Blick aufs Leben, selbst das körperliche Wohlbefinden (siehe Kasten auf Seite 40).

Fotos: elmue / photocase.de

Der nostalgische Professor

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onstantine Sedikides und einige seiner Mitarbeiter treffen sich zum Dinner bei „Ceno“, einem beliebten Lokal in der Nähe ihrer Universität. Es ist eine internationale Truppe, die sich am runden Tisch gegrillten Wolfsbarsch, Schmorbraten und andere Leckereien schmecken lässt: Der Professor für Sozialpsychologie ist gebürtiger Grieche, sein langjähriger Mitarbeiter Tim Wildschut kommt aus den Niederlanden, ebenso wie Joost Leunissen, der erst seit ein paar Monaten dabei ist. Neben ihm sitzen Jacob Juhl aus den USA und VerBon Cheung, die aus Hongkong nach England kam.

Gebäude 44 auf dem Highfield Campus ist eine nüchterne Flachdachkonstruktion aus den 1960er Jahren: außen uniforme Fensterreihen, innen lange Gänge mit zahllosen roten Türen. Das Geografie- und das Psychologieinstitut teilen sich den Bau. Die Nostalgiegruppe residiert in Stockwerk vier. Eine Ecktür direkt am Treppenaufgang, an der „Forschungszentrum für Selbst und Identität“ steht, führt zu vier verbundenen Büros: einem kleinen Zimmer für die Sekretärin, zwei etwas vollgestopft wirkenden Räumen mit mehreren wissenschaftlichen Arbeitsplätzen, einem Einzelbüro für den Chef. Den Gang runter befinden sich weitere Mitarbeiterbüros und die Labors. Sedikides, ein schwungvoller Mittfünfziger mit vollem Grauschopf und charmantem griechischem Akzent, hat sich eineinhalb Stunden Zeit für ein Interview genommen. Er lächelt viel und ist auf angenehme Art direkt. Im Prinzip, erzählt er, habe alles bei einem Mittagessen begonnen: „Ich saß mit einem befreundeten Kollegen, einem klinischen Psychologen, beim Lunch und sprach von der tiefen Wehmut, die ich empfand, wenn ich an Chapel Hill dachte.“ Nach sechs Jahren an der Universität North Carolina war der Professor 1999 mit seiner Familie in das englische Southampton gezogen. Er vermisste das nette Unistädtchen im Osten der USA, das sonnige Wetter und leckere Essen, Basketball, die dortigen Freunde. Er 37


war melancholischer als jemals zuvor in seinem Leben. Das sei nicht gesund, warnte der Kollege: „Du bist wahrscheinlich depressiv. Geh mal zu einem Therapeuten.“ Sedikides fühlte sich jedoch nicht krank. Er war zufrieden, schaute erwartungsvoll in die Zukunft, wollte nicht zurück in die USA – und dachte dennoch ein paar Mal die Woche sehnsuchtsvoll zurück. „Das Gefühl war nicht immer angenehm, aber tat mir insgesamt doch gut. Nostalgisch zu sein machte mich stärker, optimistischer, ließ mich die Kontinuität in meinem Leben sehen, verband, was war, mit dem, was kommen würde.“ Er beschloss, das Phänomen zu erkunden, und kümmerte sich um Forschungsgelder. Ein Jahr lang traf er sich jede Woche mit zwei Mitarbeitern, um zu lesen, was es über Nostalgie gab: ein paar wenige psychologisch orientierte Texte, vor allem soziologische Schriften, Studien von Konsumforschern, mythologische und literarische Texte. Dann baten sie Studenten, nostalgische Ereignisse aus ihrem Leben aufzuschreiben. Tatsächlich drückten diese überwiegend positive Gefühle aus; oft ging es um die Beziehung zu geliebten Menschen. Dies führte zu neuen Fragen. Kann man

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Menschen gezielt in nostalgische Stimmung versetzen? Und was wäre die Folge? Weitere Studien wurden aufgelegt. „Wir sammelten Daten, zweifelten, machten mehr Experimente. Und ehe wir uns versahen, war es ein ganzes Forschungsgebiet.“ Sedikides lacht: „Es ist regelrecht explodiert. Jetzt habe ich Mühe, mit dem Lesen der Fachliteratur nachzukommen.“

Nostalgie ist in – auch in den sozialen Medien So glatt, wie es hier klingt, lief es nicht. Von Kollegen hörte der Pionier aufmunternde Worte, aber man habe merken können, sagt er, dass viele es für eine ziemlich schräge Idee hielten, sich mit einem so abseitigen Thema zu befassen. Als die Southamptoner Gruppe 2005 gemeinsam mit amerikanischen Wissenschaftlern das erste empirische Paper bei einem Journal einreichte, wollten die Gutachter die Ergebnisse nicht glauben. „Sie nahmen uns nicht ab, dass Nostalgie wirklich so positive Wirkungen hat. Eine solche Reaktion ist schon überraschend. Aber es ist auch später immer wieder vorgekommen, bis Replikationsstudien von anderen Forschern zu ähnlichen Ergebnissen kamen.“

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Nostalgie fördert das Gefühl, mit anderen verbunden zu sein. Und das wiederum stärkt das Selbstwertgefühl

Tim Wildschut weiß von weiteren Einwänden zu berichten. Unter Forschern sei Nostalgie ein Thema, das man entweder hasst oder liebt, erzählt der Niederländer bei einem Cappuccino in der Cafeteria. Manche Wissenschaftler bezweifelten, dass es sich wirklich um ein eigenständiges Phänomen handele, und hielten Nostalgie einfach für eine Form positiver Erinnerungen. Den Unterschied darzulegen sei ihnen bislang am überzeugendsten mithilfe von Musik gelungen, meint er: „Wenn man Menschen befragt, warum sie bestimmte Lieder als nostalgisch empfinden, dann sagen sie, es sei die Mischung aus Positivem und Negativem, die das Nostalgische ausmacht.“ Diese Unterscheidung ist nicht trivial: Eine nostalgische Stimmung ist paradoxerweise wohltuender als eine schlicht heitere, auch und gerade weil sie schmerzliche Anteile hat. So lassen sich bei Menschen, die nostalgischer Musik lauschen, positivere Wirkungen beobachten als bei solchen, die ein heiteres Lied hören, wie eine 2013 veröffentlichte Studienreihe anschaulich belegt. „Die Negativität ist wichtig“, betont Wildschut, „um Nostalgie von anderen Phänomenen abzugrenzen. Und sie ist wichtig, weil sie Nostalgie so wirkungsvoll macht.“ Inzwischen liegt Nostalgie im Trend. Wenn sich die Welt schnell verändert, klammern sich die Menschen verstärkt an positive Erlebnisse. Die neuen Medien bieten sich für nostalgische Ausflüge geradezu an. Auf YouTube kann man in alten Fernsehshows schwelgen, bei StayFriends Schulkameraden wiederfinden. Am Throwback Thursday posten Leute auf Twitter, Instagram und Facebook Fotos aus vergangenen Zeiten. „Vielleicht ist das sogar einer der Gründe, warum soziale Medien so erfolgreich sind“, meint Wildschut, „weil sie so eng mit Nostalgie verbunden sind.“

Wehmütige Menschen sind optimistischer Wildschuts jüngere Kollegin VerBon Cheung lädt mich zu einem Rundgang ein. Erster Stopp sind die drei Labors des Forschungszentrums, in denen Studien zu Nostalgie und anderen Themen laufen. Das erste ist mit einer psychophysiologischen Messstation ausgerüstet, an der sich Blutdruck, Hautfeuchtigkeit, Atmung und Herz-Kreislauf-Reaktionen aufzeichnen lassen. Im „Labor für Beziehungsprozesse“ können Versuchsleiter durch einen Einwegspiegel unauffällig beobachten, wie zwei Personen oder kleine Gruppen interagieren. Das dritte schließlich beherbergt 14 Computerstationen, die mit Software für Fragebogenstudien und kognitive Experimente ausgestattet sind. In diesem wurden auch Teile der genannten Untersuchungsreihe mit nostalgischen Liedern durchgeführt. Cheung hatte die Federführung bei diesem Projekt, an dem auch Wissenschaftler von den Universitäten Surrey, Missouri und Tilburg beteiligt waren. Rund zwei Jahre habe es gedauert, die Studien zusammenzustellen, sagt die lebhafte Forscherin, die 39


mit viel Begeisterung von ihrer Arbeit erzählt. Das zentrale Ergebnis: Wenn man Menschen in wehmütige Stimmung versetzt, steigt ihr Optimismus. Die Veröffentlichung hat Aufmerksamkeit erregt. Medien von der New York Times über die Huffington Post bis zu Radio New Zealand berichteten. Dass Nostalgie, ein in die Vergangenheit gerichtetes Erleben, die Zuversicht für kommende Zeiten fördert, ist in der Tat verblüffend. Doch Cheung und ihre Kollegen haben den Mechanismus entschlüsselt, der dies möglich macht: „Nostalgie fördert das Gefühl, mit anderen Menschen verbunden zu sein, was wiederum das Selbstwertgefühl erhöht. Und das kurbelt dann den Optimismus an.“

Von wehmütigen Erinnerungen profitieren Nostalgie ist ein bemerkenswert komplexes Phänomen; das macht sie für Forscher so interessant. Sie beinhaltet emotionale, kognitive, motivationale und physische Aspekte. Sie be-

fällt das Individuum, Paare, Gruppen, gar ganze Nationen. Sie kreist um Vergangenes und setzt es in Bezug zum Heutigen und Kommenden. Sie ist ein weltweites Phänomen, aber mit regionalen und kulturellen Besonderheiten. Möglicherweise eignet sie sich sogar als Werkzeug für ein gelingendes Leben, dessen Gebrauch man Menschen beibringen kann wie Achtsamkeit oder eine dankbare Haltung. In einem Projekt klären Sedikides und sein Team gerade, wie man solche Interventionen am wirkungsvollsten durchführen könnte. Sie untersuchen auch, welche Strategien besonders geeignet sind, um von wehmütigen Erinnerungen zu profitieren. Eine Idee ist die sogenannte antizipatorische Nostalgie: Dabei begibt sich ein Mensch gezielt in denkwürdige Situationen und baut so ein Erinnerungspolster auf, das ihm in Zukunft nostalgische Momente liefert. Eine andere ist das vergleichsfreie Erinnern. „Es scheint ratsam zu sein“, erklärt Sedikides, „den Vergleich von Vergangenheit und Gegenwart zu meiden.

„Das Leben ist lebenswert!“ Nostalgische Gefühle haben positive Auswirkungen

Gemütslage

zurückdachten, hatten besseren Zugang

ihm die Endlichkeit des Lebens weniger

Britische Studenten, die ein nostalgisches

zu positiven Selbstattributen und reagier-

sinnlos vor, auch das haben Wissenschaft-

Erlebnis aufschrieben, waren danach po-

ten auf Kritik weniger defensiv als die Zu-

ler gezeigt.

sitiver gestimmt als eine Kontrollgruppe,

kunftszugewandten.

die neutrale Ereignisse zu Papier gebracht hatte. Nostalgie, so das Resümee der For-

Nostalgie wirkt sich auf vielfältige Weise

Wehmütige Gedanken lassen das Leben

positiv auf die Beziehungen zu anderen

bedeutungsvoller erscheinen. In einer Un-

Menschen aus, wie eine Reihe von Studi-

tersuchung mit amerikanischen Studen-

en belegt. Paare, die gemeinsam in nost-

ten konnten von Natur aus nostalgische

algischen Erinnerungen schwelgten, fühl-

Selbstbewusstsein

Teilnehmer ihrem Leben mehr Sinn abge-

ten sich stärker zusammengehörig als

Nostalgie kurbelt das Selbstbewusstsein

winnen als nüchterne Zeitgenossen. Der

Partner, die über neutrale Ereignisse spra-

an. So lag bei der erwähnten britischen

Effekt tritt auch ein, wenn man nostalgi-

chen. Junge Chinesen in wehmütiger

Studie in der Nostalgiegruppe auch die

sche Gefühle künstlich erzeugt. In einer

Stimmung zeigten sich spendenbereiter

Selbstachtung tendenziell höher als in der

Onlinestudie lauschten niederländische

als Altersgenossen in neutraler Gemütsla-

Kontrollgruppe. Warum? Offenbar kann

Probanden ihren Lieblingsliedern; je nost-

ge. Britische Studenten, die an ein nostal-

man in wehmütiger Stimmung sich selbst

algischer sie auf einen Song reagierten,

gisches Erlebnis mit einer depressiven

leichter in einem guten Licht sehen. In ei-

desto mehr gab er ihnen das Gefühl, ihr

oder schizophrenen Person dachten, zeig-

nem Experiment in den USA dachte eine

Leben sei lebenswert. Die sinngebende

ten danach eine insgesamt positivere Ein-

Gruppe an einen nostalgischen Moment

Wirkung hilft insbesondere, mit existen-

stellung gegenüber psychisch kranken

in der Vergangenheit, während die ande-

ziellen Fragen umzugehen. Wer zu Nost-

Menschen. Dass Nostalgie Vorurteile und

re über ein positives zukünftiges Gesche-

algie neigt, denkt weniger an den eigenen

Stigmatisierungen reduziert, bestätigt ei-

hen reflektierte. Jene, die sehnsuchtsvoll

Tod, und wenn er daran denkt, kommt

ne Studie zu übergewichtigen Menschen.

scher, wirkt wie ein Vorrat an Hochgefühlen, von dem man in Zeiten von Einsamkeit oder Langeweile zehren kann.

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Sozialleben Sinnsuche

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Bei Nostalgie geht es darum, in liebevoller Weise an Zurückliegendes zu denken, nicht die Vergangenheit gegen die Jetztzeit auszuspielen. Der Gedanke ,Früher war alles besser‘, ist Realitätsflucht, nicht Nostalgie.“ Die Erkenntnisse der Forschung nutzt der Professor auch persönlich. Ihm ist bewusst, wodurch Nostalgie typischerweise ausgelöst wird – Momente von Einsamkeit und Langeweile, bestimmte Musik, Düfte oder Speisen – und wie mit wehmütigen Gefühlen am besten umzugehen ist. „Früher bin ich darüber oft einfach hinweggegangen, weil ich mit dem Kopf schon beim nächsten Projekt und der nächsten Aufgabe war. Wenn ich heute in einem Restaurant Fleischbällchen serviert bekomme, die mich an die Kochkünste meiner verstorbenen Mutter erinnern, dann bleibe ich bei diesem Moment. Ich erlebe noch mal, wie sie mir an meinem zwanzigsten Geburtstag dieses Gericht kochte, wie sie lächelte und vor Stolz strotzte. Im ersten Moment macht mich das traurig, aber dann verleiht es meinem Leben ein Gefühl von Herkunft und Sinn.“ Dabei gibt es durchaus Grenzen. Zu viel des Guten, räumt Sedikides ein, kann kontraproduktiv sein: „Wer den ganzen Tag mit nostalgischen Gefühlen zu Hause sitzt, sollte in der Tat einen Therapeuten aufsuchen oder sich zumindest mal mit Freunden treffen.“ Drei- oder viermal die Woche ein paar Minuten hält er für eine gesunde Dosis. Zudem ist Nostalgie nicht für jeden geeignet. Zum Beispiel nicht für Menschen, die enge Beziehungen zu anderen meiden. „Nostalgische Erinnerungen sind in der Regel sehr plastisch“, erklärt Wildschut, der hierzu eine Studie geleitet hat. „Es ist fast so, als wäre die Person, an die man denkt, wirklich zugegen. Bindungsscheue Menschen mögen das nicht.“ Folglich sollte man sie auch nicht dazu drängen. Das zumindest legt eine von Jacob Juhl und Kollegen an der Universität von North Dakota durchgeführte Untersuchung nahe. Als die Forscher beziehungsmeidende Probanden in nostalgische Stimmung versetzten, ließ deren Wunsch nach einer Bindung nach beziehungsweise stieg ihre Unzufriedenheit mit einer bestehenden Partnerschaft. Bei neurotischen, also emotional wenig belastbaren Menschen scheint Nostalgie ebenfalls schlecht zu wirken. So hat Juhl in seinen Experimenten Hinweise darauf gefunden, dass Neurotiker psychologisch weniger von Nostalgie profitieren als andere Menschen. Noch ist er allerdings dabei, zu entschlüsseln, wie diese Effekte einzuschätzen sind. Es ist halb neun, die Forscher und ich machen uns auf, das Restaurant zu verlassen. Wir stehen noch ein paar Minuten vor dem Lokal, tauschen gute Wünsche aus und schütteln Hände. Wir sind in gelöster und fröhlicher Stimmung. Es waren rundum vergnügliche Stunden: ein schönes Restaurant, gelöste Stimmung, gute Gespräche – eines jener Ereignisse, an das man sich viele Jahre später mit Wehmut zurückerinnert.

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SEHNSUCHT DIESES BITTERSÜSSE GEFÜHL

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Hat Sehnsucht einen Sinn? Durchaus, sagen Psychologen, die sich für das schmerzhafte Ziehen in der Brust interessierten VON KLAUS WILHELM

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as denn wohl seine größte Sehnsucht sei, fragten die Psychologen vom Berliner Max-Planck-Institut für Bildungsforschung einen ihrer Probanden. Da dachte der 60-jährige Mann sofort an seinen ältesten Sohn, der vor langer Zeit gestorben war. Und berichtete von einer heftigen Sehnsucht, mit ihm vereint zu sein, „damit unsere Familie wieder glücklich sein kann.“ Und er erinnerte sich an die einstigen gemeinsamen Ausflüge, die, wie er sagte, für die guten Zeiten stünden. Jahrelang hatte der Mann einen tiefen Schmerz über den Verlust gespürt, die Sehnsucht hielt ihn lebendig. Ach, die Sehnsucht! Ein mitunter sehr trauriges und dennoch der Deutschen liebstes Gefühl: Im inoffiziellen Wettbewerb von Spiegel Online um das schönste deutsche Wort brachte es die Sehnsucht auf das Siegertreppchen – Bronzemedaille. Keine Frage: Die Sehnsucht treibt uns um. Und sie ist ein urdeutsches Konzept in Literatur, Kunst und Geisteswissenschaften. In der Psychologie hingegen gilt die Sehnsucht als nicht erforscht. Der Tenor: Es ist kaum in Zahlen und Studien zu pressen, dieses komplexe, komplizierte Gefühl. Den 2006 verstorbenen Professor Paul Baltes vom Berliner MPI kümmerte derlei Skepsis wenig. Lange schon vermutete er einen Sinn hinter der Sehnsucht und erkor sie zu seinem letzten wissenschaftlichen Projekt. Seine damaligen Mitarbeiter Susanne Scheibe, Alexandra Freund und Dana Kotter-Grühn setzen Baltes Sehnsuchtsforschungen in eigenen Studien fort, mit ersten Ergebnissen: Manche Menschen nutzen ihre Sehnsucht, um ein blockiertes Ziel mental zu verarbeiten oder um ihrem Leben eine neue Richtung zu geben. Und: Selten nur geht es bei Sehnsüchten um konkret Fassbares wie etwa Geld, sondern um die großen Grundmotive menschlichen Lebens. Im amerikanischen Kulturkreis berichten die Menschen von ähnlichen Sehnsüchten wie Deutsche, obwohl ihnen das Konzept in seiner ganzen Breite unbekannt ist. „Amerikaner entwickeln zwar auch Sehnsüchte“, sagt die Psychologin Susanne Scheibe von der Universität in Groningen, „aber diese sind für sie weniger stark utopisch geprägt.“ Zudem haben Amerikaner eher unklare Vorstellungen von dem Begriff Sehnsucht – tatsächlich gibt es im Englischen keine wirklich passende Übersetzung dafür. Konkrete Sehnsüchte allerdings können Amerikaner genauso wie Deutsche aufzählen. Auch die Inhalte ähneln sich, wenngleich Amerikaner häufig religiöse Sehnsüchte angeben – anders als Probanden in Deutschland. Wer Sehnsucht empfinden will, braucht dafür bestimmte geistige Fähigkeiten. Studien aus Skandinavien haben gezeigt: Kleinkinder können mit Sehnsucht nichts anfangen. Ihnen fehlen noch die nötigen kognitiven Voraussetzungen für Sehnsucht, die mit emotionaler Intelligenz und dem Selbst verknüpft ist – beispielsweise das Sinnieren über die eigene Bio43


Sehnsucht vermittelt ein Gespür für andere, bessere Zustände. Sie verweist auf neue Richtungen im Leben

grafie, ein nötiges Quantum an Erfahrungen und die Fähigkeit zu kontrafaktischem Denken, dem Was-wäre-wenn-Denken. Erst im späten Kindes- und im Jugendalter entwickelt sich das für die Empfindung von Sehnsucht nötige Rüstzeug: 15- bis 16-Jährige können konkrete Sehnsüchte benennen. Zur vollen Entfaltung kommt die Sehnsuchtsfähigkeit dann im jungen bis mittleren Erwachsenenalter. Literaten der Romantik im frühen 19. Jahrhundert vermitteln in ihren Werken die Sehnsucht nach Dingen, die entrückt erscheinen. In dem im Mittelalter spielenden Roman Heinrich von Ofterdingen des Philosophen Novalis etwa sehnt sich ein Poet nach der mysteriösen blauen Blume, dem Symbol der Romantiker für das Perfekte wie Unerreichbare. „Der Jüngling lag unruhig auf seinem Lager“, heißt es, „und gedachte des Fremden und seiner Erzählungen. Nicht die Schätze sind es, die ein so unaussprechliches Verlangen in mir geweckt haben, sagte er zu sich selbst; fern ab liegt mir alle Habsucht: Aber die blaue Blume sehn ich mich zu erblicken.“

Manche scheinen diesen Zustand regelrecht zu suchen Abgesehen davon betonen Literaturwissenschaften und Kulturanthropologie die fundamentale Rolle der Sehnsucht für die rastlose Suche nach gesellschaftlicher und individueller Entwicklung und Vervollkommnung, besonders in der Tradition der deutschen Bildungs-, Erziehungs- oder Entwicklungsromane des 18. und 19. Jahrhunderts, etwa von Johann Wolfgang von Goethe oder Gottfried Keller. In diesen biografischen Romanen beschreiben die Schriftsteller den Werdegang eines Menschen von der Kindheit bis ins hohe Alter. Tenor: Die Ebene perfekten, fehlerlosen Handelns erreicht der Mensch, wenn überhaupt, nur sehr selten und sicher nicht ohne Irrungen, Wirrungen und Verfehlungen. Die Literaten preisen, wie die Sehnsucht die lebenslange Entwicklung befördert, den Menschen befreit oder aber lähmt. 44

Tatsächlich: „Sehnsucht ist in ihrem Wesen bittersüß“, sagt Susanne Scheibe – sie ist ein emotional zwiespältiges Gefühl. Doch obwohl dieses komplexe Gefühl offenkundig das Risiko der Melancholie birgt, scheinen Menschen den sehnsüchtigen Zustand mitunter regelrecht zu suchen, wie Alexandra Freund von der Universität Zürich betont: Sie hören bestimmte, mit ihrer Sehnsucht verbundene Musik, lesen entsprechende Bücher oder Gedichte. Schriftsteller und Künstler weisen immer wieder auf das schöpferische Potenzial der Sehnsucht hin, die sie zu Höchstleistungen animiert habe. Eingedenk all dessen erschien es für Paul Baltes zwingend, das literarische Konzept der Sehnsucht in die Psychologie der Lebensspanne einzubinden. Sie beleuchtet, wie sich der Mensch im Laufe seines Lebens psychologisch entwickelt, wie er mit Gewinnen, Verlusten und Umbrüchen umgeht. An Tausenden Probanden untersuchten die Berliner MPI-Wissenschaftler in den vergangenen Jahrzehnten alle möglichen Aspekte der menschlichen Metamorphose zwischen Geburt und Tod. Und haben beispielsweise mit dem Konzept der Weisheit Kompensationsmechanismen propagiert, mit denen der alternde Mensch auf bestimmte schwindende geistige und körperliche Fähigkeiten reagiert. Doch schon viel eher, spätestens als junge Erwachsene, erfahren die meisten Menschen, dass sie Abstriche machen müssen, dass viele tolle Lebenszustände nicht zu erhalten oder nicht wiederholbar sind – aus Zeitgründen, aus Mangel an Ressourcen oder weil eigene Maximen nicht mit Ansprüchen anderer zu vereinen sind. Und dass sich viele Ziele gar nicht oder nur teilweise erreichen lassen. Susanne Scheibe hat zusammen mit ihren ehemaligen Berliner MPI-Kollegen Paul Baltes und Alexandra Freund einen Fragebogen entworfen, mit dem sich Sehnsuchtsaspekte erforschen lassen. „Das war alles ein blankes Forschungsfeld“, sagt die Psychologin. Hinzu kam, dass Menschen nicht sofort erpicht darauf sind, von ihren geheimen Sehnsüchten zu berichten. „Wir mussten die Leute erst einmal in die rechte Stimmung PS YCH OLO G IE H EUTE com p a c t


bringen“, erinnert sich Scheibe. Mit dem neuen Selbstberichtinstrument werden konkrete Sehnsüchte abgefragt, definiert als „intensive längerfristige und gegenwärtig schwer oder gar nicht erfüllbare Wünsche nach Personen, Dingen, Ereignissen oder Erfahrungen aus Ihrer Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft“. Diese persönlichen Sehnsüchte bewerteten zuerst 299 Probanden im Alter von 19 bis 81 Jahren anhand von fest benannten Einschätzungen. In diesen Studien beurteilten die Probanden den Zustand der Sehnsucht als sensibel, kreativ, traurig, hilflos, willentlich, was die Ambivalenz unterstreicht. „Es handelt sich um einen eher kontemplativen Modus des Daseins“, deutet Alexandra Freund. Wenn Menschen eine andere Person beurteilen sollen, die häufig ihren Sehnsüchten nachhängt, werden am häufigsten Attribute wie „offen“ und „liebenswürdig“ genannt, aber im gleichen Atemzug auch Beschreibungen wie „introvertiert“ und „hat schwache Neigung zur Selbstakzeptanz“.

Wonach sich Menschen sehnen Susanne Scheibe und Dana Kotter-Grühn widmeten sich auch den Inhalten von Sehnsüchten, die über 1300 Frauen und Männer von 18 bis 81 Jahren angaben. „Sehnsüchte ranken sich um die wirklich wichtigen Entwicklungsaufgaben und Grundmotive des Lebens“, sagt Kotter-Grühn, die inzwischen vom Berliner MPI in die USA an die Duke University in Durham gewechselt ist. Ganz oben in der Liste: Partnerschaft, Familie, eigene Persönlichkeitsmerkmale. Weitere bevorzugte Sehnsuchtskategorien: Arbeit, Freundschaft, Gesundheit, Freizeit und Lebensqualität. Ganz unten in der Beliebtheitsskala: finanzielle Angelegenheiten, gesellschaftliche Werte oder Religion – wobei anzumerken ist, dass die meisten Probanden aus dem eher atheistisch geprägten Raum Berlin/ Brandenburg stammten. Erstaunlicherweise sehnen sich Männer nicht öfter als Frauen nach einer besseren Arbeitssituation. Je höher der Bildungsstand, desto mehr dürstet es Probanden nach Vervollkommnung der eigenen Persönlichkeit. Je geringer der Bildungsstand, desto höher die Sehnsucht nach stabiler Familie. Dass soziale Beziehungen so häufig in Sehnsüchten auftauchen, erscheint sinnvoll. Das Bedürfnis, zu jemandem zu gehören, lässt sich durch zwei Strategien erfüllen: häufigen, engen Kontakt mit vielen anderen Menschen oder intensives, empathisches Versorgen, etwa in Partnerschaft und Familie. Obwohl Familie für die meisten Menschen so wichtig ist, werden sie im Alltag zeit ihres Lebens mit den Fallstricken dieser Lebensform und ihres idealhaften Klischees konfrontiert – Konfliktsituationen, die sie belasten und die sie ändern wollen, die sich aber ihrer vollständigen Kontrolle entziehen. „Unter solchen Umständen entsteht Sehnsucht“, sagt Dana Kotter-Grühn, „in diesem Fall die Sehnsucht nach der heilen Familie.“ Ähnlich 45


Sehnsucht kann dabei helfen, mit Verlusten und blockierten Lebenswünschen fertigzuwerden

verhält es sich mit unbefriedigenden Arbeitsverhältnissen, denen man kaum entkommen kann. „Die konkreten Sehnsuchtsinhalte hängen vom Alter ab“, erklärt Scheibe. Beispiel Partnerschaft: Erst ab dem mittleren Alter berichten viele der Befragten von Sehnsucht nach einer erfüllten Beziehung. Mögliche Erklärung: Jüngere empfinden die ideale Partnerschaft noch als Ziel, später wird sie als schwer realisierbar erkannt. So bleibt nur der Mythos der wahren Liebe zwischen Mann und Frau. Entsprechend sehnen sich Ältere oft nach einem konkreten Partner, der verstorben ist oder mit dem die Beziehung scheiterte. Zudem rückt bei Senioren wieder die Familie in den Sehnsuchtsfokus, was verständlich erscheint – mit dem Ende der Erwerbstätigkeit verschiebt sich der Lebensmittelpunkt ins Private. Genauso sehnen sich Senioren nach Gesundheit, während im jungen und mittleren Alter Ausbildung und Arbeit bei den Sehnsüchten weit oben stehen. Die ersten empirischen Ergebnisse stützen eine elementare These von Paul Baltes. „Sehnsucht dient der Bewertung der eigenen Entwicklung“, betont Susanne Scheibe. Sie vermittelt auf der Fantasieebene ein Gespür für andere, bessere Zustände, verweist somit auf neue, mitunter sehr langfristige Richtungen im Leben. „Sie ist eine Art Metaziel“, erklärt Alexandra Freund. Zwar kann sie mitunter zur Tat verführen und so zu einem Ziel reifen. Doch ist dies keineswegs zwingend. Ob sich Sehnsüchte zu Zielen entwickeln, hängt von mehreren Parametern ab: wie unsicher sich die Menschen fühlen, wenn es um die Realisierung geht, wie hoffnungsvoll sie sind, wie positiv sie aufs Leben blicken und ob sie ihre Sehnsucht als kontrollierbar wahrnehmen. „Ziele sind konkreter“, bringt es 46

Alexandra Freund auf den Punkt, „und werden als erreichbar und kontrollierbar empfunden.“ Ziele lenken unser tägliches Verhalten. Sehnsüchte hingegen sind vage, abstrakt. „Niemand würde sagen, ich sehne mich nach einem Doktortitel“, sagt Dana Kotter-Grühn. Die Psychologin hat eine einzelne spezielle Sehnsucht beleuchtet: den Kinderwunsch. Kinder zu haben ist für viele Frauen im gebärfähigen Alter ein elementares Lebensziel. Kann ein Ziel in eine Sehnsucht übergehen, sofern es in weite Ferne rückt oder nicht mehr erreichbar ist? Und bringt diese Sehnsucht dann Vorteile? 168 kinderlose Frauen von 35 bis 55 Jahren gaben anhand von standardisierten Selbstberichten Auskunft: wie wichtig der Kinderwunsch für sie ist oder war, wie lange er schon besteht, wie viel sie mental investiert haben, wie realistisch sie ihre Chancen auf ein Kind beurteilen und so weiter. Anschließend schätzten die Frauen anhand bestimmter Kriterien ein, ob ihr Kinderwunsch ein Ziel oder eine Sehnsucht ist. Erstes Ergebnis: „Viele der Frauen kommen von dem Wunsch nicht los“, sagt Dana Kotter-Grühn, „auch wenn seine Verwirklichung fast gegen null geht.“ Je mehr man investiert hat, umso geringer die Chancen der seelischen Ablösung. Sofern eine Frau ihren Kinderwunsch als Ziel bewertete, schien die Umsetzung für sie realistisch. Doch sehnte sich eine Frau nach einem Kind, spielte der Punkt Erreichbarkeit nur noch eine untergeordnete Rolle. „Bei diesen Frauen dauerte der Wunsch schon lange an“, erklärt die Psychologin, „da wurde das Ziel zur Sehnsucht.“ Je stärker die Sehnsucht, desto geringer die Chance, dass sich der Kinderwunsch noch erfüllen wird. Allerdings können in der langsamen Übergangsphase Ziel und Sehnsucht zeitweise parallel in den Köpfen der Frauen vorkommen. „In diesen Fällen bleibt die Hoffnung, obwohl die Erreichbarkeit schon ein Stück weit weg ist“, wie Dana KotterGrühn sagt. Betrachtet man den Zusammenhang zwischen Sehnsucht nach einem Kind und Wohlbefinden, fällt eines auf: Stark sehnsüchtige Frauen fühlen sich schlecht. Aber: „Sobald Frauen ab einem bestimmten Punkt der Melancholie innerlich stopp sagen, mithin ihre Sehnsucht kognitiv kontrollieren können, kosten sie die süße Komponente der Sehnsucht voll aus und fühlen sich besser als die anderen“, erklärt Kotter-Grühn. Für diese Frauen – ungefähr ein Drittel aller Probandinnen – war es nicht so tragisch, sich nicht vom Kinderwunsch lösen zu können. Insofern bestätigt sich eine zweite These von Paul Baltes: Sehnsucht kann ein Mittel sein, um mit Verlusten und blockierten Lebenswünschen umzugehen. Wann genau das der Fall ist und wie, das sind nun die Fragen der nächsten Sehnsuchtsstudien – und ob sich Strategien lernen lassen, die Sehnsucht im besten Sinne für sich zu nutzen. PHc

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Virtuelle Standleitung nach Hause

Wilfried Schumann ist Psychologe am Psychologischen Beratungsservice der Universität und des Studentenwerks Oldenburg. Mit der Bekämpfung einer ganz besonderen Sehnsucht – dem Heimweh – kennt er sich aus 48

Herr Schumann, ist Heimweh ein Thema an den psychologischen Beratungsstellen deutscher Universitäten? Heimweh ist sicher kein Massenphänomen, aber gerade am Studienanfang sehen wir wöchentlich mehrfach junge Leute, die mit klassischer Heimwehproblematik zu tun haben. Oft tauchen die Studierenden unter Tränen auf – und sind manchmal wirklich überrascht, was da mit ihnen passiert. Andere hatten schon vorher Sorge, ob sie den Start am neuen Ort problemlos hinbekommen.

Ich vermute auch, dass es hier eine gewisse Dunkelziffer gibt. Denn nicht wenige kommen, wenn sie Heimweh haben, erst gar nicht zu uns, sondern lösen das Problem, indem sie jedes Wochenende nach Hause pendeln und ihr Studium eher wie einen Montagejob betrachten. Sie lassen Heimweh auf diese Weise erst gar nicht zustande kommen. Wieder andere bleiben während des Studiums ganz zu Hause wohnen, das ist gar nicht so selten heute. Möglicherweise hat auch hier das Vermeiden von HeimPS YCH OLO G IE H EUTE com p a c t


Die Lust am Unterrichten wieder entdecken!

weh einen Anteil bei der Entscheidung, im gewohnten Umfeld zu bleiben. Diese Studierenden sehen gar nicht die Chance, die ein anderes Umfeld bieten könnte? Richtig. Das ist etwas, das ich sehr bedauere, weil diese jungen Leute eine Chance für die persönliche AutonomieEntwicklung verpassen. Eigenständigkeit und das Entdecken neuer Horizonte kann eine sehr bereichernde Erfahrung sein. Und die Fähigkeit, sich auf neue Situationen einzulassen, wird heute von jungen Menschen auch immer mehr gefordert. Lindert sich Heimweh heute nicht automatisch durch moderne Kommunikationsmittel? Wenn man will, kann man den ganzen Tag nach Hause skypen. Das ist genau das Problem. Natürlich helfen diese Mittel, die Verbindung zur heimischen Welt zu erhalten. Das kann sich für manche Studierende tatsächlich vorteilhaft auswirken. Aber ich behaupte mal, dass es für eine größere Anzahl doch eher eine Falle ist. Denn: Sie sollen ja an ihrem Studienort Fuß fassen, haben aber eine virtuelle Standleitung nach Hause. Das heißt, sie leben irgendwie das Leben mit den Menschen zu Hause weiter über die virtuelle Schiene. Das macht es oft schwieriger, am neuen Ort anzukommen, sich einzulassen und sich intensiv mit der neuen Situation zu konfrontieren. Wenn ich also eine Tendenz zum Heimweh habe, können mich diese Medien festhalten in der heimischen Welt und mich daran hindern, die Probleme am neuen Ort konsequent anzugehen. Ich erzähle den Studierenden dann gerne von meiner Studienzeit. Damals musste ich mich einmal die Woche abends an der Telefonzelle anstellen, um mich dann zehn Minuten mit zu Hause auszutauschen. Den Rest der Zeit war ich damals auf mich gestellt.

Wie helfen Sie Studierenden mit Heimweh? Wir beruhigen die jungen Menschen und versuchen klarzumachen, dass es ganz normal ist, wenn gravierende Veränderungen in unserem Leben häufig mit Krisen einhergehen. Weiter fragen wir sie nach ihren Motiven, an diesen Studienort zu gehen. Ob das ihr Ziel war. Fragen auch nach, ob sie vielleicht ein falsches Studium gewählt haben und unzufrieden damit sind. Wir wollen sie ja nicht in einer Situation festhalten, die für sie nicht akzeptabel ist. Wenn sie aber eigentlich mit ihrer Wahl zufrieden sind, die Umsetzung ihrer Pläne jedoch wegen des Heimwehs gefährdet ist, oder wenn sie sich mit der neuen Situation sozial überfordert sehen, dann sprechen wir mit ihnen sehr pragmatisch darüber, wie sie am Studienort besser mit anderen in Kontakt kommen. Wie die Schritte sind, die man da aktiv mit Kommilitonen unternehmen kann. Was das Uni-Umfeld an Kontaktmöglichkeiten bietet. Sie wollen die Studierenden motivieren, aktiv gegen ihre Einsamkeitsgefühle vorzugehen? Ja, wir wollen Mut machen. Das können wir auch meist schon mit wenigen Beratungsstunden auf den Weg bringen. Deshalb sollten Studierende keine Scheu haben, mit dieser Problematik zu uns zu kommen. Extrem selten sehen wir eine ernsthafte psychische Symptomatik hinter dem Heimweh. In den meisten Fällen reichen pragmatische Hilfestellungen, um das Heimweh loszuwerden. Um Türen vor Ort zu öffnen und dem Neuen eine Chance zu geben. Wenn Studierende merken, dass sie die neue Situation aktiv gestalten können, dann ist das Heimweh für sie bald kein Thema mehr.

Dieses Buch hat eines zum Ziel: IHR Glück. Sie inden probate Anleitungen zur persönlichen und berulichen Erfüllung. Schule und Klassenraum werden wieder als Motivationsraum betrachtet. Auch der Blick auf eine Balance im privaten Lebensbereich kommt nicht zu kurz. Simone Roemer: Unterrichten Sie sich glücklich! Mit Herz und Begeisterung in den Schulalltag 176 Seiten. ISBN 978-3-407-62997-5. € 19,95

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„Unsere Stimmungen sind an Jahreszeiten gebunden“


Foto: matlen / photocase.de

Für manche Menschen beginnt im Winter eine besonders schwierige Zeit – sie leiden unter dem Winterblues. Was sie tun können, um sich auch in der dunklen Jahreszeit wohlzufühlen, erklärt der Mediziner Hubertus Himmerich

Herr Himmerich, in Ihrem Buch Winterblues warnen Sie davor, die Winterdepression und den Winterblues allzu stark zu psychologisieren und raten dazu, eher die biologischen und biochemischen Vorgänge für Diagnose und Therapie in Betracht zu ziehen. Welche sind das? Die biologische Hauptursache für den Winterblues und die Winterdepression ist Lichtmangel. In unseren Breiten bekommen wir im Winter weniger Licht, weil die Tage kürzer sind und die Intensität des Sonnenlichtes geringer ist als im Sommer. Unser Körper empfängt das Sonnenlicht über das Auge und die Haut. Wenn Licht auf die Netzhaut trifft, gelangen von dort Informationen zur Zirbeldrüse, wo das Schlafhormon Melatonin synthetisiert wird. Licht unterdrückt die Melatoninproduktion. Ein Mangel an Licht lässt den Spiegel dieses Schlafhormons steigen. Das führt in der Nacht dazu, dass wir gut schlafen. Im Winter aber kann der Lichtmangel am Tage zu Müdigkeit und Antriebslosigkeit führen. Die Melatoninproduktion geschieht auf Kosten des Glücksbotenstoffs Serotonin. So wird auch unsere Stimmung beeinträchtigt. Ein zweiter durch den Lichtmangel bedingter Risikofaktor für eine Winterdepression ist folgender: Licht wirkt über die Haut. Hier wird unter Einfluss von Sonnenlicht Vitamin D synthetisiert. Einige Studien konnten zeigen, dass die Winterdepression mit einem Vitamin-D-Mangel einhergeht. Ein dritter Faktor besteht möglicherweise in den winterlichen Veränderungen im Immunsystem. Diese Veränderungen werden durch die häufigeren Infektionskrankheiten im Winter und durch die Wirkung des Melatonins auf die Immunzellen bewirkt. Erkältungen haben einen Einfluss auf die Entstehung einer Winterdepression. Wie ist das zu erklären? Das Immunsystem arbeitet – wie auch das Nervensystem – mit Botenstoffen. Die Botenstoffe des Immunsystems heißen Zytokine. Diese wirken nicht nur auf andere Immunzellen, sondern auch auf das Gehirn. Bestimmte Zytokine werden ausgeschüttet, wenn die körpereigene Immunabwehr bei Erkältungen und Entzündungen aktiv werden soll. Sie sind dafür verantwortlich, dass man sich schon im Vorfeld einer Erkältung abgeschlagen und müde fühlt, obwohl die Krankheit noch gar nicht ausgebrochen ist. Die Aktivierung der Zytokine, die eine Entzündungsreaktion anschieben, ist eng mit depressiven Symptomen assoziiert. Dieser Zusammenhang wurde vielfach untersucht, auch in zwei eigenen Studien, die ich während meiner Zeit am Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München und hier an der Universitätsklinik Leipzig durchgeführt habe. Meine Hypothese ist die, dass im Winter die erhöhten Melatoninspiegel und das vermehrte Auftreten von Infektionskrankheiten zu einer übermäßigen Produktion von Zytokinen führen, die dann eine Winterdepression hervorrufen. Durch die Erhöhung des Melatoninspiegels im Winter wird 51


also einerseits unser Immunsystem schärfergestellt, damit wir uns gut gegen Erkältungskrankheiten wehren können; andererseits erkaufen wir uns damit ein erhöhtes Risiko für eine Winterdepression. Zusammenfassend sind also sehr wahrscheinlich die übermäßige Produktion des Schlafhormons Melatonin, VitaminD-Mangel und Veränderungen des Immunsystems die wesentlichen biologischen Gründe für das Auftreten einer Winterdepression. Und diese drei Faktoren sind Folge der geringeren Lichteinstrahlung. Welche Rolle spielt das herrschende Ideal vom immer gleich leistungsfähigen, dynamischen und aktiven Menschen beim Entstehen der Winterdepression? Unsere Stimmungen und das Lebensgefühl sind an Jahreszeiten gebunden. Jeder Mensch fühlt sich im Sommer ein wenig anders als im Winter. Ich bin in Münderbach, einem Dorf im Westerwald aufgewachsen. Dort änderte sich das Leben der Menschen und der Tiere mit den Jahreszeiten, was ich als Sohn eines Försters hautnah miterleben konnte. Doch im Gegensatz zum Leben im Dorf ist die Großstadtgesellschaft über das Jahr hinweg immer gleich und fordert Menschen, die konstant aktiv sind. Ein Landwirt zum Beispiel kann seine Arbeit so einrichten, dass er im Winter etwas weniger zu tun hat und es geruhsamer zugeht. Ein Büroarbeiter kann das nicht. Er muss immer die gleiche Leistung bringen, egal ob Winter oder Sommer ist. Im Winter reicht das Licht der Bürolampe aber nicht aus. Da der Büroangestellte feste Arbeitszeiten hat und er zu der Zeit im Büro sitzen muss, wo es draußen hell ist, geht er weniger raus ins Freie. Möglicherweise hat er darüber hinaus noch weniger soziale Kontakte als im Sommer, denn die Gruppe von Sportfreunden, mit denen er an Sommertagen einmal pro Woche abends im Stadtpark Fußball spielt, trifft sich nicht im Winter. Vielen macht es nichts aus, dass sie immer gleich arbeiten müssen, auch wenn sich die Umwelt um sie herum ändert. Aber einige spüren, dass ihre Natur anders ist und ihr Inneres den Jahreszeiten folgt. Sie können nicht immer eine konstante Leistung erbringen und auch emotional nicht stets gleich sein. Zu den natürlichen und normalen Schwankungen in der Stimmung und der Energie kann Stress auf der Arbeit hinzutreten, weil man nicht so leistungsfähig ist wie im Sommer. So entsteht ein Teufelskreis, der in die Winterdepression führt. Der Lichtmangel im Winter und die damit einhergehenden Stoffwechselveränderungen im Gehirn betreffen alle Menschen. Warum leidet dann nicht jeder gleichermaßen, und warum haben vor allem Frauen Probleme? Zu einer Depression tragen viele Faktoren bei, nicht allein der Lichtmangel, sondern beispielsweise auch die genetische Ausstattung. Wie das genau funktioniert, ist noch nicht geklärt. Jeder hat wahrscheinlich eine bestimmte biologische und psy52

Wir können nicht immer viel leisten und emotional ausgeglichen sein. Schwankungen in Energie und Stimmung sind natürlich

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chische Ausstattung und verfügt dadurch über bestimmte Resistenzen gegen die Depression. Sobald das Ausmaß ungünstiger Faktoren wie Lichtmangel, Arbeitslosigkeit, körperliche Krankheit oder Stress im Beruf oder in der Beziehung überschritten wird, das man aufgrund seiner körperlichen und psychischen Resistenz aushalten kann, besteht das Risiko für das Auftreten einer Depression. Ob Frauen wirklich häufiger betroffen sind, wie es in Studien gefunden wird, das bezweifle ich. Frauen berichten häufiger darüber, Männer gestehen sich psychische Probleme eher nicht ein. Bei Männern ist die Suizidrate höher, und der häufigste Grund für einen Suizid ist eine Depression. Vielleicht sind Frauen nur besser in der Lage, über ihre Depressionen zu reden. Männer kompensieren psychische Schwierigkeiten häufiger mit vermehrtem Alkoholkonsum und aggressivem Verhalten. Wenn wir geschlechtsspezifische Diagnosekriterien hätten, wäre die Depression bei Männern und Frauen wahrscheinlich gleich häufig. Was unterscheidet den Winterblues von der Winterdepression? Die klinische Diagnose einer „Depression“ ist erfüllt, wenn zwei depressive Kernsymptome und weitere zwei depressive Zusatzsymptome länger als zwei Wochen vorhanden sind. Depressive Kernsymptome sind der Verlust von Interesse und Freude, eine gedrückte Stimmung und ein verminderter Antrieb. Von einer „Winterdepression“ oder auch einer „saisonalen affektiven Störung“ spricht man, wenn die Depression zwei Jahre in Folge im Herbst oder Winter auftritt und im Frühjahr wieder verschwindet. Die Depression ist eine echte Krankheit. Nur ein paar depressive Symptome, die im Winter regelmäßig auftreten, stellen noch keine Depression im Sinne einer Krankheit dar. In diesem Fall spricht man vom „Winterblues“. Es kann in manchen Fällen schwierig sein, normales Verhalten von krankem abzugrenzen. Im Winter gibt es Veränderungen, die normal sind, weil wir Menschen Lebewesen und keine Arbeitsmaschinen sind. Etwa 20 Prozent der Bevölke-

rung haben im Winter ein vermehrtes Schlafbedürfnis und verminderte Aktivität. Aber nur bei ein bis zwei Prozent davon sind die Diagnosekriterien der Winterdepression erfüllt. In diesem Falle sollte man einen Spezialisten aufsuchen. Wenn die Tage kürzer werden und die Stimmung trüb – wie kann man früh gegensteuern? Wichtig ist vor allem, genügend Licht zu bekommen. Wesentlich für alle Betroffenen ist deswegen, sich genügend im Freien aufzuhalten. Man kann auch überlegen, den Sommerurlaub in den Winter zu verschieben und dorthin zu fahren, wo häufig die Sonne scheint. Es gibt eine Reihe von pflanzlichen Mitteln, die man bereits zu Herbstbeginn anfangen kann einzunehmen, zum Beispiel Johanniskraut in einer Dosis von 600 bis 900 Milligramm Extrakt pro Tag. Bei ängstlicher Symptomatik hilft Lavendel, was wir in unserer Klinik in Form von Kapseln einsetzen. Auch mit Vitamin-D-Tabletten und gesunder Ernährung kann man viel erreichen. Diätetisch sind ungesättigte Fettsäuren, wie sie im Lachs, Aal oder atlantischen Hering vorkommen, bei Depressionen sinnvoll. Empfehlenswert ist, was Freude macht und für was man sich interessiert. Neben Musik und Sport bietet möglicherweise auch religiöse Betätigung einen Weg aus der Winterdepression. Die Adventszeit wird in der christlichen Religion eigentlich als spirituelle Fastenzeit verstanden. Das wäre eine sinnvolle Gegenmaßnahme zur übermäßigen Nahrungsaufnahme, wie sie für die Winterdepression typisch ist und wie sie auf zahlreichen sogenannten Advents- und Weihnachtsfeiern zelebriert wird. Zusammenfassend ist mein Rat, auszuprobieren, was hilft: täglich ins Freie gehen, regelmäßig Lichttherapie, Sport treiben, gesunde Ernährung, sich mit anderen Menschen treffen, Musik oder Religion. Gerade Musik kann viel helfen, das weiß ich aus eigener Erfahrung. Ich selbst spiele Klavier in einer Bluesband. Wie würden Sie den englischen Begriff Winterblues ins Deutsche übersetzen? Das ist eine schwierige Frage. Winterblues beschreibt die winterliche Verringerung von Energie und Lebensfreude bei vermehrtem Appetit und erhöhtem Schlafbedürfnis. „Wintertrübsinn“ wäre eine schöne, leider aber nicht gebräuchliche deutsche Übersetzung. PHc Interview: Gerlinde Unverzagt

Hubertus Himmerich ist Professor für Neurobiologie und Oberarzt an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Leipzig. Er befasst sich unter anderem mit der Entstehung von Depressionen sowie mit der Wirkung von Lichttherapie. Sein Buch Winterblues. Das Wohlfühlbuch gegen die Herbst- und Winterdepression ist im Kreuz-Verlag, Freiburg erschienen.

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WER LIEBT, TRAUERT Der Tod eines geliebten Menschen, eine schmerzhafte Trennung, der Verlust der Gesundheit – wie weitermachen, wenn sich im Leben etwas grundlegend geändert hat? VON URSULA NUBER

Foto: Maria Vaorin / photocase.de

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enn ein geliebter Mensch gestorben ist, wenn eine Beziehung durch Trennung endete, wenn ein wichtiges Ziel aufgegeben werden musste, kurz: wenn schwere Verluste im Leben zu verkraften sind, spüren die Betroffenen früher oder später die Erwartung: Nun ist genug getrauert, nun muss das Leben wieder normal weitergehen. Stillschweigend wird dabei Bezug genommen auf ungeschriebene Gefühlsregeln, die man zwar nirgendwo explizit lernt, die man aber dennoch nur allzu gut kennt. Ob es sich um einen Todesfall, das Ende einer Beziehung, einen Terroranschlag oder eine Naturkatastrophe handelt: Früher oder später taucht die Forderung auf, die Betroffenen müssten das, was geschehen ist, „abschließen“. Es wird der Eindruck erweckt, man könnte hinter schrecklichen, schockierenden Erfahrungen, hinter Gefühlen der Verzweiflung die Tür schließen und dann befreit von dannen schreiten. Konkreten Ausdruck findet das Konzept „Abschließen“ in Ratschlägen wie: nach dem Ende einer Beziehung die Liebes-

briefe verbrennen; einen Hassbrief an einen untreuen Menschen schreiben und diesen Brief dann rituell beerdigen; einen Baum pflanzen zur Erinnerung an einen Verstorbenen; nach einer Affäre die Eheringe einschmelzen und neue daraus schmieden lassen. Von der Möglichkeit des „Abschließens“ ist aber auch die Rede, wenn nach einem Unglück die Toten geborgen und ihren Angehörigen übergeben werden können. Sobald sie die Opfer begraben und beweinen können, ist ein Abschluss möglich – so jedenfalls die weitverbreitete Annahme, welche die psychologische Wissenschaft durchaus unterstützt. Die Soziologin Nancy Berns hat sich intensiv mit dem Konzept „Abschließen“ (closure) beschäftigt, und das Fazit, das sie zieht, ist ernüchternd: Closure gibt es nicht. „Es werden falsche Hoffnungen geweckt, wenn man Betroffenen in Aussicht stellt, dass sie durch bestimmte Handlungen und Rituale für ihr Leid ein definiertes Ende finden könnten.“ Neben den Trauerphasen oder den Zeitangaben zur angemessenen Dauer von Trauergefühlen ist auch das closure-Konzept eine weitere Regel, die Menschen ein falsches Bild vom Trauerprozess vermittelt. Diese Gefühlsregeln gaukeln den Betroffenen etwas vor, was der Realität nicht entspricht. Denn Trauer lässt sich nicht regeln, Trauer ist nicht genormt, und schon gar nicht lässt sie sich durch allgemeine Gesetze abkürzen oder gar in Schach halten. Trauer muss jeder Betroffene auf seine ganz individuelle Weise durchleiden. Es gibt keine Abkürzungen, kein Ausweichen, und letztlich gibt es auch kein Ende. Muss es auch nicht. Der irische Schriftsteller C. S. Lewis schrieb über den Tod seiner geliebten Frau: „Der Schmerz, den ich jetzt fühle, ist das Glück, das ich davor hatte.“ Wenn man liebt, wenn man sich einlässt auf andere Menschen, dann muss man trauern, wenn man sie verliert. „Trauer ist der Preis, den wir für die Liebe zu zahlen haben“, soll Königin Elisabeth als Reaktion auf die Terroranschläge des 11. September gesagt haben. Diesen Preis will nicht zahlen, wer an der Vorstellung festhält, dass Trauer enden muss. Nur „anhaltende Trauer“, so argumentiert der Philosoph Burkhard Liebsch, ist ein Versprechen, „das Betrauerte, den Betrauerten nicht dem Vergessen preiszugeben“ (siehe Interview Seite 56). Auch Sigmund Freud hielt es offensichtlich für unausweichlich, dass ein Mensch nach einem schweren Verlust auf Dauer „ungetröstet“ bleiben wird, wie er in einem Brief an Ludwig Binswanger schrieb, der seinen Sohn verloren hatte: „Man weiß, dass die akute Trauer nach einem solchen Verlust ablaufen wird, aber man wird ungetröstet bleiben, nie einen Ersatz finden. Alles, was an die Stelle rückt, und wenn es sie auch ganz ausfüllen sollte, bleibt doch etwas anderes. Und eigentlich ist es recht so. Es ist die einzige Art, die Liebe fortzusetzen, die man ja nicht aufgeben will.“ PHc 55


„Trauer ist ein Versprechen“


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Für den Philosophen Burkhard Liebsch muss akute Trauer irgendwann enden, sonst ruiniert sie das Leben. Aber eine anhaltende melancholische Form der Trauer ist für ihn kein Grund zur Sorge

Herr Liebsch, Sie kritisieren die psychologische Standardtheorie, wonach Trauergefühle irgendwann enden müssen. Sind unsere Vorstellungen darüber, wie man richtig trauert, falsch? Nein, sie sind nicht falsch. Zweifellos kann Trauer eine quälende Schärfe annehmen, die dazu zwingt, sie auf die eine oder andere Art zu bewältigen. Darauf bezieht sich der Begriff der Trauerarbeit meist. Mir geht es weniger darum, die Bewältigung der Trauer als solche infrage zu stellen, als vielmehr darum, diese Bewältigung genauer zu verstehen. Ist das, was man Trauerarbeit nennt, wirklich nur darauf angelegt, Verluste möglichst bald zu überwinden und zu verschmerzen? Um es ein wenig zuzuspitzen: Geht es in der Trauerarbeit nur um das eigene Davonkommen, um das Überleben des Trauerfalls, der ja, psychisch zumindest, das eigene Überleben durchaus gefährden kann? Oder geht es auch um den oder die Betrauerten, um den oder die anderen selbst? Was ich gegen die gängige Vorstellung von Trauerarbeit einzuwenden habe, ist, dass sie die Trauer weitgehend so versteht, als müsse es ihr allein darum gehen, möglichst bald aufzuhören. Demgegenüber weise ich auf die anhaltende Trauer hin, die den Verlust nicht neutralisiert im Sinne eines fortan trauerlosen Lebens. Trauer als Erinnerung, als Versprechen, das Betrauerte, den Betrauerten nicht dem Vergessen preiszugeben, kommt gemeinhin zu kurz. Das Festhalten am Verlorenen passt auf den ersten Blick schlecht zur Trauerarbeit, wie Sigmund Freud sie beschrieben hat, nämlich als einen Prozess der Ablösung seelischer Energie, der Libido, vom verlorenen Objekt. Wer meint, es gehe in der Trauer nur darum, kann eine spezi-

elle Treue zum Betrauerten nicht verständlich machen, die sich in der Trauer vielfach auch zeigt. Diese Treue lässt sich als Verantwortung für das Betrauerte und für die Erinnerung verstehen. Sie erweist sich als eine moralisch relevante Dimension der Trauer. Und diese Dimension der Trauer kann auch politisch wirksam werden, denken wir zum Beispiel an die Trauerveranstaltung im New Yorker Yankee-Stadion nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001. Dort wurde politischmedial eine Trauer um überwiegend völlig Unbekannte inszeniert. Die wenigsten, die über die Medien an dieser Veranstaltung teilnahmen, hatten einen persönlichen Verlust erlitten – und doch handelte es sich um einen eminenten Anlass zur Trauer, in diesem Fall zu politischer Trauer. Bedeutet das, wir könnten moralisch trauern? Oder sollten politisch korrekt trauern? Nein, es geht mir nicht um eine Moral der Trauer, sondern um die Anerkennung dieses moralischen Moments in der Trauer, das so häufig als krank machend beschrieben worden ist. Im Modus der Verantwortung für den oder die Betrauerten kann die Erinnerung selbst Verpflichtungscharakter für den Trauernden annehmen, insofern, als dieser glaubt, verantwortlich zu sein für das In-Erinnerung-Halten des Verlorenen. Das kann so weit gehen, dass der Trauernde den Verdacht des Verrats gegen sich selbst hegt, wenn er mit dieser Verantwortung Schluss macht und die Erinnerung preisgibt. Was ich moralische Elemente in der Trauer nenne, bezieht sich zunächst nicht auf moralische Normen, die man der Trauer oft auferlegt, also den kulturell geprägten Trauerstil. Was etwa hierzulande als sittlich angemessenes Trauerverhalten gilt, erscheint andernorts als ganz fragwürdig. Umgekehrt werden in unserer Kultur manche Trauerformen als unbeherrscht abqualifiziert, die wir aus der Distanz kaum angemessen beurteilen können, denken Sie nur an die Klageweiber des mediterranen Raums, aber auch an Begräbnisse in konfliktreichen Gebieten, die häufig eng verflochten sind mit politischem Protest. Sie schreiben ja auch in Ihrem bereits 2006 erschienenen Buch Revisionen der Trauer, die Seele der moralischen Trauer sei der Protest. Zur Trauer käme es überhaupt nicht, würden wir uns mit Verlusten einfach arrangieren können. Und wir sollten es auch nicht. Freud hat ja in seinem Konzept der Trauerarbeit verlangt, den Verlust nicht zu verleugnen. Doch auch im nicht verleugneten Verlust liegt vielfach Protest: Protest dagegen, dass man ihn überhaupt hat erleiden müssen, Protest gegen die spezifischen Gründe des Verlusts oder gegen seine Grundlosigkeit und Willkürlichkeit. Und schließlich kann in der Trauer sogar Protest gegen den Tod als solchen liegen, mit dem sie sich abzufinden weigert. All das sind Momente moralischen Protests in der Trauer, die den Verlust, an dem sie sich entzündet hat, 57


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Interview: Ulla Gosmann

Burkhard Liebsch ist Professor für Philosophie an der Ruhr-Universität Bochum. Sein Buch Revisionen der Trauer – in philosophischen, geschichtlichen, psychoanalytischen und ästhetischen Perspektiven ist im Verlag Velbrück Wissenschaft erschienen.

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nicht gleichgültig hinnimmt und manchmal gerade darum kämpft, den Verlust selbst nicht in einer voreiligen Bewältigung der Trauer verlorenzugeben. In diesem Falle hält die Trauer am Verlust gerade fest und inspiriert das weitere Leben. Sie führt nicht nur zu einem negativen Leiden an einer nicht zu bewältigenden Situation, sondern kann sozial und politisch fruchtbar werden. Man denke nur an die viel zu wenig bekannte Arbeit an einer israelischpalästinensischen Versöhnung, die von der Trauer angesichts dessen getragen zu sein scheint, was man den jeweiligen Feinden angetan hat. Gerade die Erinnerung an das Nichtwiedergutzumachende, das ohne Beschönigung in Erinnerung bleibt, inspiriert hier das politische Handeln. Dann ist der Begriff Trauerarbeit also keineswegs überflüssig? Ein Grund, warum der Begriff Trauerarbeit populär geblieben ist, ist seine Fähigkeit, den Aspekt der Anstrengung, des Durchleidens deutlich zu machen. Doch der Vergleich mit einer zu verrichtenden Arbeit bedeutet nicht Steuerbarkeit. Trauer ist kein mit Absicht zu einem Ziel zu bringender Prozess. Man weiß nicht, wohin einen die Trauer führt. Es gibt ja auch eine nachträgliche, posttraumatische Trauer, die die Betreffenden erst lange nach einem Ereignis heimsucht – mit offenem Ausgang und manchmal auf ganz überraschende Art und Weise. Sie kann zu einem weitgehenden Vergessen des Betrauerten, aber auch zu einer intensivierten Hinwendung zu ihm führen. Es mag Trauernde irritieren, wenn sie hören, dass Trauer nicht unbedingt ein Ende finden muss.

Zweifellos kann man in einer anhaltend akuten Trauer auf Dauer nicht leben. Aber das bedeutet doch nicht, dass sie schlicht aufzuhören hätte. Vielmehr kann sie gewissermaßen in den Hintergrund des Lebens treten und es gerade dadurch umso nachhaltiger prägen. Das kann in schöpferischer ästhetischer, etwa musikalischer Produktivität geschehen, aber auch in einem von Trauer inspirierten alltäglichen Leben, das die Trauer nicht loszuwerden versucht, sondern aus ihr lebt und daraus sogar Kraft und Sensibilität gewinnt. So zeichnet sich ein dritter Weg ab zwischen fragwürdiger Bewältigung der Trauer und einem Überwältigtwerden von ihr. Führt dieser dritte Weg zu einer Art Rehabilitierung der Trauer? Ja, aber nicht zu ihrer Verharmlosung! Auch für diejenigen, die mit ihrer Trauer oder mit der Trauer anderer zu leben versuchen, bleibt sie vielfach eine außerordentliche, schmerzliche Herausforderung. Trauer als Fertigwerden mit dem Verlust zu verstehen halte ich für irreführend. Aber es wäre auch unplausibel, für schiere Überforderung durch anhaltende tiefe Trauer zu plädieren. Mit chronischer Überforderung kommt man auf Dauer nicht zurecht. Wenn uns Trauer etwa eine unbedingte Treue zum Betrauerten abverlangen sollte, so muss man feststellen, dass sie sich in dieser Form nicht leben lässt. Dasselbe gilt für die in geschichtspolitischer Hinsicht oft bemühte Vorstellung, in trauernder Erinnerung sei historische Verantwortung für andere, vor allem für die Opfer nationalsozialistischer Gewaltherrschaft zu tragen. In Wirklichkeit hat wohl niemand eine genaue Vorstellung davon, wie Trauer einer großen Zahl überwiegend anonym bleibender Menschen Rechnung tragen kann. Es gibt diesen Widerstreit zwischen der Funktion der Trauer, die zunächst mit unserem Überlebenkönnen zu tun hat, und dem ethischen Sinn der Trauer, der mit dem mehr oder weniger treuen, verantwortlichen oder auch gerechten Gedenken an den oder die verlorenen anderen zu tun hat, aber er ist nicht schlichtbar. Wir sind in diesen Widerstreit verwickelt, aber eine Synthese ist nicht in Aussicht. Zumal dann nicht, wenn es sich um tiefe, außerordentliche Trauer handelt, die aus dem Leben nie wieder ganz verschwindet. Wenn also etwas an der Trauer echt ist, dann dieses Problem: Sie zwingt dazu, sich dem schwersten Verlust zu stellen, muss aber zugleich darum kämpfen, das in Trauer gestürzte Leben nicht zu ruinieren. Denn mit dem unmöglich gewordenen Weiterleben müsste am Ende auch die Trauer scheitern. PHc


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Vier Monate verbrachte die Schriftstellerin Keto von Waberer in einer psychiatrischen Klinik. Diagnose: Depression. Sie durchlief das ganze Programm – Medikamente, kognitives Training, Beschäftigungstherapie –, beobachtete die anderen Patienten und kam doch erst nach ihrer Entlassung den Gründen ihrer Depression auf die Spur

Illustrationen: Keto von Waberer

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nde Februar werde ich entlassen. Ich bin so gerne zu Hause. „Keine Dämonen“, sage ich meinen Freundinnen, die behutsam nachfragen, wie es mir gehe wieder so allein. Ich fühle mich nicht mehr allein. Ich wünsche mir keinen Ehemann mehr an meiner Seite. Ich kehre nicht zurück zu meinen Kursen. Ich langweile mich nicht mehr. Ich genieße meine vertraute stille Wohnung. Ich schlafe gut und wache ohne Ängste auf. Im Halbschlaf streife ich durch meine Seelenlandschaft. Da sind Bäume, grüne Bäume, ein glitzernder Fluss und Vögel am Himmel. Viele Tiere gibt es hier, ich sehe sie überall herumstreifen, äsen, balzen, jagen und fressen. Löwen, Büffel, Rehe, Füchse, Schildkröten. Auch Hyänen sind unter ihnen, ganze Rudel, aber sie kümmern mich nicht. Sie gehören eben dazu in dieser meiner Welt. An diesem Morgen, zu Hause in meinem Bett, im Halbschlaf, sehe ich H. Ich sehe ihn zwischen den Yanomami umherlaufen, mit nackter Brust, wilden schwarzen Haaren und lachendem Gesicht. Er hatte mir einmal gesagt, der Stamm der Yanomami sei für ihn wie eine gute Mutter. Ich sehe ihn in der Tür meiner Küche stehen, ich sehe ihn so auf mich zukommen, lachend, lebendig, wie so oft. Immer wenn ich ihn auf mich zukommen sehe, bin ich voller Freude und Zärtlichkeit. Erwarte ihn, will ihn umarmen. Es ist Sommer und heiß, und er zieht, sobald er die Wohnung betritt, sein Hemd aus. Er kommt auf mich zu, so aufrecht und eilig, wie er es immer tut, um mich zu umarmen. Die Wärme seiner Wange an meiner. 61


Dann wache ich auf, in großer Unruhe und Angst, und fürchte, dass meine Depression erneut anfangen wird. Die Hyäne lauert. Bei all den Geschichten, die ich in der Klinik hörte und die ich dann aufschrieb, habe ich lange nicht an meine eigene Geschichte gedacht. Doch, ich habe an sie gedacht, aber nur kurz. Es ist eine alte Geschichte und viele Jahre her. Ich habe damals versucht, ein Buch über H. zu schreiben, über uns, über seinen Tod, über unsere Liebe, über meinen Schmerz, über meine Trauer. Er gelang mir nicht. Alles war ohne Leben. Vor Jahren ist ein Mann, den ich liebte, gestorben. Er war anthropologischer Linguist und arbeitete bei einem Stamm, den Yanomami in Venezuela, ein Stamm, der noch nie zuvor von Weißen entdeckt oder besucht worden war. H. wollte dort für das Max-Planck-Institut die Sprache der Yanomami erforschen und aufzeichnen. Zum ersten Mal sah ich ihn auf einem Fest bei Freunden, unter vielen Menschen. Wir tanzten, aber ich verlor ihn bald aus den Augen, und das kümmerte mich nicht. Früh am nächsten Morgen hatte sich das Fest aufgelöst, und in dem großen dämmrigen Raum lagen noch ein paar matte späte Gäste auf den Sofas und flüsterten miteinander. Ich, in einem Sessel, war fast eingeschlafen. H. kam zu mir, blieb vor mir stehen und fragte: „Soll ich dir zeigen, wie ein wütender Ameisenbär sich aufstellt?“, und er hob die Arme, die Finger zu spitzen Klauen geschlossen, und gab ein kehliges Fauchen von sich. Ich lachte. Er setzte sich zu mir in den Sessel und erzählte mir von dem Stamm am Amazonas, von dem er gerade zurückgekommen war. Ich hatte, da ich lange in Mexiko gelebt hatte – und auch durch meine indianische Großmutter –, eine große Aufmerksamkeit für indianische Kultur. H. gefiel mir. Er wollte mit zu mir nach Hause, aber ich lachte nur darüber. Am nächsten Tag sah ich ihn wieder. Als wir uns begegneten, hatte H. schon ein Jahr bei den Yanomami gelebt und sollte nach einem Jahr in Deutschland für ein weiteres Jahr zu ihnen zurückkehren. In diesem Jahr in Deutschland trafen wir uns und lebten zusammen. H. war ein kluger, sensibler, verletzlicher, verrückter und schwieriger Mann, vital, sinnlich und fröhlich, aber er hatte schwarze Momente, in denen er mir fremd war, ja mir Angst machte. Er hatte Anfälle von überwältigender Wut, in der er die ganze Welt hasste, sich und auch mich. Er hatte Augenblicke tiefer Trauer, in denen nichts zu ihm durchdrang, auch ich nicht. Er betäubte sich mit Alkohol und wurde dann zu einem wütenden verantwortungslosen Kind, auf das ich aufpassen musste. Wenn es ihm gutging aber, war er zärtlich und unterhaltsam, hoffnungsvoll und sehr verliebt in mich. Ich nahm seine Schattenseite in Kauf. Ich liebte den H., der neben mir schlief und aß und mit dem ich über Bücher sprechen konnte, meine Arbeit, meine Kinder. 62

Ehe er wieder nach Venezuela abreiste, hatten wir beschlossen zusammenzubleiben. Er fing an, zu AA-Gruppen zu gehen. Wir hatten für die Zeit danach eine Therapeutin für ihn gefunden. Er hatte einen neuen, guten Job bei der Uni angeboten bekommen. Als der Abschied kam, fiel es uns sehr schwer, uns zu trennen. Die Indianerbehörde in Venezuela ließ H. lange nicht an den Amazonas reisen. Ich besuchte ihn für drei Wochen in Venezuela. Wir reisten herum, das war schön und schrecklich, denn H. schwankte zwischen seiner schwarzen und seiner lichten Seite, und ich wurde aufgerieben von diesen Seelenschwankungen. Wenn es schön war aber, und das war es oft, war diese Reise wunderschön. H. hatte mir erzählt, dass seine Mutter, die er sehr liebte, sich umgebracht hatte, als er 21 war. Die schwarze Seite an ihm verabscheute und hasste die Mutter, die helle Seite liebte sie und trauerte um sie. Ich wusste nie genau, wann er von einer in die andere kippte. Ich war unentwegt auf der Hut und müde davon. Einen Tag nach Weihnachten, nach meiner Rückkehr aus Venezuela nach Deutschland, rief mich seine Frau an, von der er getrennt lebte, und sagte mir, H. sei tot. Ich legte auf, setzte mich zurück aufs Sofa und sah weiter Dr. Schiwago an. Ich wurde immer ängstlicher, als der Film dem Ende entgegenging. Erst als die letzte Szene endete, konn-

Die Depression ist eine Freundin. Sie sagt: Hier ist etwas ungelöst. Sieh nach. Schau es an

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te ich erlauben, zu mir durchzulassen, was ich gehört hatte. H. war tot. H. hatte ein Gewehr, das er liebte und wie einen Fetisch behandelte. Er nahm es sogar einmal mit in unser Bett, um es mir genau zu zeigen. Ich hatte Angst vor dieser Waffe. Er sagte, er brauche es, um mit den Yanomami auf Jagd zu gehen, sonst hätte der Stamm ihn durchfüttern müssen. Er hatte dort eine kleine Hütte, die er mit den Männern außerhalb des Shabonos gebaut hatte. Der Shabono ist ein großer offener Kreis aus Holzbarrikaden mit einem runden Dach aus Bananenblättern, der innen einen offenen Platz umschließt. Die Yanomami leben dort mit ihren Hängematten, Kochstellen, zahmen Wildschweinen und Affen. Ich hatte Fotos gesehen. Der Yanomami-Junge, der die Nachricht von H.s Tod zu den weißen Missionarinnen am oberen Amazonas brachte, brauchte drei Tage, um zu ihnen zu gelangen. Die Schwestern fuhren mit dem Boot den Amazonas herunter, nahmen H. mit und beerdigten ihn bei ihrer Kapelle. All das haben mir später die Leute aus dem Max-Planck-Institut gesagt. H. lag in einer Hängematte im Shabono, das Gewehr auf der Brust. Ihm war durch den Kopf geschossen worden. Es gab keine Untersuchung, um die Yanomami zu schonen. Keiner glaubte, dass sie es waren, die ihn erschossen hatten. Ich konnte nicht glauben, dass er sich das Leben genommen hatte. Ja, wollte nicht glauben, dass er mich und unser gemein-

sames Leben hatte verlassen wollen. Es war schwer für mich, ihn nicht tot gesehen zu haben, kein Grab zu kennen, keinen Abschied genommen zu haben. Ich trauerte um ihn. Ich verfluchte ihn. Ich weinte um ihn. Ich glaubte, es sei ein Irrtum, dass ich nicht auch gestorben sei. Ich fühlte, ich hatte kein Recht mehr, auf der Welt zu leben, wenn er tot war. Erst heute, erst durch meine eigene Krankheit habe ich begriffen, dass H. depressiv war und dass er sich das Leben genommen hat. Damals, als wir zusammen waren, hatte ich keine Ahnung davon, was eine Depression ist, und konnte die Zeichen nicht erkennen. Ich brauchte damals fünf Jahre, um langsam wieder Freude am Leben zu haben, zu arbeiten und jemanden zu lieben. Der dunkle Knäuel meiner so widersprüchlichen Gefühle aber blieb in mir zusammengerollt und kalt, ohne dass ich ihn auflösen konnte. Ich versuchte, diese Geschichte zu schreiben, und scheiterte. Ich versuchte es nie wieder. Im Traum sehe ich H. auf mich zukommen, zwischen den Yanomami lachend und eilig – und in meinen Augen wunderschön. Am Abend zuvor habe ich doch noch einmal versucht, über H. zu schreiben, aber nichts fiel mir ein, nur die eine Szene vor dem Fernseher, als ich die Todesnachricht erhielt, keine einzi-

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ge Szene aus unserer Geschichte stieg in mir auf, kein Bild wollte kommen. Ich gab auf, war traurig und auch erstaunt darüber, dass ich so abgetrennt von meinen Erinnerungen zu sein schien. Am Morgen, in meiner großen Unruhe und Angst nach dem Traum, blitzten plötzlich einige Szenen auf. Keine guten Szenen. Wir liegen im Bett, und es ist früher Morgen. Wir sind in einer winzigen Hütte in Venezuela. Wir haben uns am Abend vorher heftig gestritten und sind unversöhnt eingeschlafen. H. war betrunken gewesen, verzweifelt und wütend, auch auf mich. Ich sehe uns da liegen, er neben mir, höre, wie sich draußen jemand an den Abfalltonnen zu schaffen macht und singt. Mich überkommt dort im Bett neben ihm eine schwarze Traurigkeit, ein Schmerz, eine Verzweiflung, von der ich nicht weiß, woher sie kommt. Heute weiß ich, dass es seine Traurigkeit war, gegen die ich mich nicht wehren konnte, die ich fühlen konnte, als sei es meine eigene. Er setzt sich auf, und ich umarme ihn, küsse ihn, sage ihm, wie sehr ich ihn liebe, wie glücklich ich bin mit ihm. Ich fühle das alles nicht in diesem Moment. Ich verabreiche es wie eine Medizin. Ich, die Trösterin und Aufrichterin. Ich, der Sonnenschein. Und es gelingt mir, wie eigentlich immer, ihn ins Licht zu locken, heraus aus seinem schwarzen Loch. Andere Szenen flackern vorbei: Alle mit demselben Bild. Um ihn zu erlösen, ihn zu trösten, ihn für mich erträglich zu machen, bin ich bereit, zu lügen, mir selbst den Mund zuzuhalten, meine eigenen Gefühle zu übergehen. Mich zu „opfern“. 64

Ich sehe mich das wieder und wieder tun. Ich kenne das Muster. Ich sitze am Abendbrottisch. Mein Vater macht seinen schmalen Mund. Seine Augen sind kalt. Mama hat geweint. Oma schweigt und löffelt, meine Schwester schaut mich an. Und ich? Ich nehme Papas Hand und mache Witze, bis er widerwillig lächeln muss. Ich habe immer versucht, alle Mitglieder der Familie zu trösten, aufzumuntern und glücklich zu machen. Das war meine Rolle. Eine Rolle, die mir Macht verlieh, aber mich auch völlig überforderte. Eine Rolle, die ich offenbar bis jetzt nicht ablegen konnte. H., das begreife ich jetzt, hatte eine Depression. Er hat sein Leben beendet. Ich habe ihn eine kurze Strecke seines Weges begleitet. Meine Depression, die ich schon in mir trug, war die schwarze Schwester seines Schattens. Ich habe versucht, ihn zu retten und damit auch mich. Zum ersten Mal verstehe ich, dass die Depression eine Freundin ist, die sagt: hier, hier ist noch was ungelöst. Sieh nach. Schau es an. Meine Unruhe ist eine Botschaft meiner Seele, durch sie konnte ich sehen, was ich sah. Noch einmal habe ich ihn auftauchen sehen, meinen grauen hinkenden Schatten. Die Hyäne ist eine Botschafterin, sie kommt aus dem Schattenreich, und ich tue gut daran, ihre Botschaft anzunehmen. Ich sollte ihr die Pfote schütteln. Die Depression hat mir an all den Tagen in der Klinik erlaubt, schmerzlich zu trauern über das, was ich weggedrängt hatte. Anders war mir das offenbar nicht möglich gewesen. Anders wäre es mir wohl auch nie gelungen, meine Geschichte mit H. noch einmal auszugraben und um ihn und mich zu trauern. Ich sitze am Schreibtisch, den Stift in der Hand, es gibt noch viel zu tun. PHc

Keto von Waberer, geboren in Augsburg. Sie studierte Kunst und Architektur in München und Mexiko-Stadt. Sie verbrachte mehrere Jahre in Mexiko, heiratete dort und bekam zwei Kinder. Nach der Rückkehr nach Deutschland war sie tätig als Architektin, Galeristin und Übersetzerin. Als Journalistin lieferte sie viele Jahre Glossen für Kunstzeitschriften, Interviews mit Künstlern wie Joseph Beuys, Keith Haring und Ed Kienholz. Heute lebt sie als freie Schriftstellerin in München. Veröffentlichungen u. a.: Seltsame Vögel fliegen vorbei. Roman. Berlin 2011. – Schwester. Roman. Berlin 2002. – Zahlreiche Auszeichnungen und Preise, darunter: Literaturpreis der Landeshauptstadt München (2011). Keto von Waberer ist Mitglied des PEN.

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ZULASSEN

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Ein souveräner Melancholiker sein und zu seiner Veranlagung stehen – geht das? Aber natĂźrlich. Vor allem, wenn wir wissen,

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was die Welt den Melancholikern verdankt


MELANCHOLIE ALS LEBENSFORM 68

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Was bedeutet es, Melancholiker zu sein? Was brauchen Betroffene, um die Vorteile dieser Veranlagung zu erkennen? In einem philosophischen Projekt sollen Grundlagen für eine melancholische Lebensform geschaffen werden, die einen akzeptierenden Umgang mit einem oft missverstandenen Gefühl ermöglichen VON PHILIPP THOMAS

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er über Melancholie schreibt, stößt auf viele Schwierigkeiten. Drei wichtige möchte ich zu Beginn nennen und zeigen, wie man mit ihnen umgehen kann. Erstens: Man schreibt immer vor dem Hintergrund ganzer Bibliotheken von Literatur zur Melancholie. Melancholie ist psychopathologisch erklärt worden, aber seit der Antike auch als Nähe zu Transzendenz und auch im Kontext einer Theorie des Kunstschaffens und der Künstlerpersönlichkeit. Für diese erste Schwierigkeit, also zu schreiben über Melancholie, ohne alles zu berücksichtigen,was eigentlich unbedingt berücksichtigt werden müsste (weil es tatsächlich hilfreich wäre), gibt es keine Lösung, aber es gibt einen Weg, es ist der Weg Michel de Montaignes (1533–1592): Es geht darum, seiner Devise zu folgen: Que sais je? Was weiß ich über das Phänomen Melancholie, sei es aus eigener Erfahrung, sei es aus eigener Lektüre? Hier geht es darum, eine eigene Stimme zu finden. Zweitens: Melancholie ist nicht erstrebenswert. Es ist gut, sie in Schach zu halten, sich nicht von ihr überschwemmen zu

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lassen, und dazu sind therapeutische Bemühungen eine sinnvolle Hilfe. Und doch kann es sein, dass wir zu dem Schluss kommen: Wir können der Melancholie in unserem Leben nur partiell entkommen. Wie kann sie sinnvoll zu einem Teil unseres Lebens werden? Auch hier sehe ich keine echte Lösung, aber einen Weg, nämlich: Melancholie zu loben. Es geht hier nicht um die Vorteile der Melancholie. Sondern es geht um die Frage, ob Melancholiker der Welt etwas geben können, das ohne sie nicht in der Welt wäre. Hier ist das Modell der Blinde, der die Sehenden etwas lehren kann, nämlich etwas wahrzunehmen, das sie bisher übersehen haben. In diesem Beispiel kann der Blinde den Sehenden etwa in der Welt des Akustischen oder des Taktilen etwas zeigen. Worauf könnten Melancholiker hinweisen? Drittens: Ein solches Sprechen über Melancholie ist unwissenschaftlich. Und dies nicht im Sinne von falsch oder irgendwie fraglich, was Theorien oder theoretische Einschätzungen angeht. Sondern die Rolle des Sprechenden ist nicht wissenschaftlich objektiv, denn sie schöpft aus eigenen Erfahrungen. Es geht um die eigene Person, um einen Einsatz, der durch sich

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Können Melancholiker der Welt etwas geben, was ohne sie nicht in der Welt

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wäre?

selbst bezeugt wird. Soll das Gesagte auch für andere Menschen gelten oder nur für den Sprechenden? Auch hier gibt es keine Lösung, sondern nur den Versuch, durch die Sprache eigener Erfahrung ein Phänomen, die Melancholie, in Facetten auch für andere so erfahrbar zu machen, dass sie ihre eigenen Erfahrungen darin wiederfinden. Seit fünf Jahren versuche ich dies. Die verschiedenen Aspekte behandle ich als einzelne Stichwörter, als kleine Texte nach Art von Essays. Alles zusammen nenne ich „Wörterbuch der Melancholie“. Bei einem Wörterbuchprojekt erwartet man ein breites Spektrum und viele Facetten zum Thema Melancholie aus Wissenschaft, Kultur- oder Ideengeschichte. Einiges davon gibt es auch. Doch die vielen geistesgeschichtlichen Aspekte der Melancholie zu sehen ist kein Selbstzweck. Das eigentliche Ziel des Projekts ist eine melancholische Lebenspraxis. Es besteht darin, Melancholiker in die Lage zu versetzen, möglichst souverän melancholisch zu sein. Was meine ich mit dieser Formulierung? Souverän Melancholiker zu sein, das heißt: Wenn man schon ein Opfer der Melancholie ist, dann soll man durch das Studium der Melancholie ein aufgeklärtes Opfer werden. Aber ich möchte mehr: Wir können auch Täter der Melancholie sein. Dann nämlich, wenn wir unsere Veranlagung zur Melancholie so gut es geht, so souverän wie eben möglich gestalten. Und das bedeutet: Wenn wir zu unserer Veranlagung stehen, diese in unsere Identität mit hineinnehmen. Dann wird uns das melancholische Leiden nur noch seltener überschwemmen oder in Panik und Verzweiflung versetzen. Wir werden es als Teil oder als Preis einer sehr speziellen Veranlagung verstehen, einer Art und Weise „da zu sein“, zu existieren, wahrzunehmen, zu empfinden, unser Leben zu führen. Aber wie gelangt man zu diesem Ziel? Der Weg zur melancholischen Lebenspraxis, so meine ich, führt über Erfahren und Verstehen und verläuft im Kreis, besser: in einer Kreisbewegung, die sich nach und nach spiralförmig in die Höhe schraubt. Zunächst erfahren (oft: leiden) wir einfach, ohne zu verstehen. Dann hilft uns ein (immer nur bruchstückhaftes) Verstehen, unsere Erfahrungen ein wenig zu durchschauen. Schließlich werden wir auf eine Weise zu leben versuchen, die besser zu uns passt und die uns das Gefühl gibt, die Veranlagung Melancholie überführen oder übersetzen zu können in eine eigene Lebensform. Diese Kreis- und Spiralbewegung durchlaufen wir immer wieder, denn wenn ein erstes Verstehen der Melancholie die Art und Weise verändert, wie wir sinnvoll zu leben versuchen, dann wird dies wieder zu neuen Erfahrungen führen, welche wieder ein neues Verstehen ermöglichen – das Leben mit dem Ziel, souverän melancholisch zu werden, geht weiter mit mehr Bewusstsein und einer sich ändernden Lebenspraxis. 71


Angst – Sehnsucht In dieser Achse geht es um Enge und Weite, und Melancholie findet sich in beiden Extremen. Melancholie kann eine Art Erstickungsgefühl bedeuten: Nichts scheint mehr möglich. Sinnlosigkeit und Trostlosigkeit haben das letzte Wort in jeder Hinsicht. Es gibt keine Freiheit. Die vergehende Zeit herrscht unerbittlich. Das Dasein ist bleischwer. Dies ist die Melancholie der Angst oder Enge. Melancholie kann aber auch eine unstillbare Sehnsucht bedeuten: Alles ist möglich, aber möglich vor allem als Gegenstand der Sehnsucht, nicht so sehr des konkreten Handelns. Hier überflutet uns ein unstillbares Sehnen nach Fülle und Erfüllung, nach dem Ganzen – doch angesichts dieser Unendlichkeit erleben wir gerade die unerfüllbare Sehnsucht, das offen bleibende Versprechen.

Senden – Empfangen Diese Metapher aus der Radiowelt ist leicht vorstellbar, daher habe ich sie gewählt. Ich hätte auch sagen können: „Intendieren – Rezipieren“. Oder: „Wollen einerseits – und eine besondere Offenheit für Erfahrungen gerade durch die Abwesenheit des Wollens andererseits“. Hier geht es auf der Seite „Senden“ um Beabsichtigen, Wollen, Pläne haben und Pläne schmieden. Senden kann man das nennen, weil beim Wollen und Planen etwas entworfen und nach außen getragen wird. Was da entworfen wird, das ist eine Art lokale Bedeutungswelt: Die Dinge werden sinnvoll und erhalten ihre Bedeutung gerade im Kontext einer Absicht oder eines Plans. Wenn man zum Beispiel eine kleine Unternehmung plant, dann spannt man vor sich eine Art Zelt von Bedeutungen und Handlungsmöglichkeiten auf: Dieses und jenes gilt es zu besorgen, den Weg oder Transport zu planen, einen möglichen Wetterumschwung zu berücksichtigen. Hat jemand nun keine Wünsche oder Pläne, dann verlieren die Dinge ihre Bedeutung und ihren Sinn. Und Melancholiker scheinen gerade mit dem Wollen Schwierigkeiten zu haben, sie leben daher oft in einer Welt, in der den Dingen Sinn und Bedeutung fehlen: Entweder Wünsche stellen sich nicht ein, oder vorhandene Absichten werden durch Kritik an sich selbst (bis hin zur Selbstverurteilung) oder auch durch Kritik an der Welt alsbald zunichte gemacht. Melancholie lässt sich so auch verstehen als die Unmöglichkeit zu senden. Doch wieso andererseits „Empfangen“? Wer kein Zelt von Absichten und, darüber gewonnen, Bedeutungen der Dinge vor sich aufspannt, wer nicht laufend sendet, der verfügt gerade in diesem Mangel über eine besondere Begabung, zu empfangen. Er kann die empfindlichen oder schwachen Signale wahrneh72

men, die beim laufenden Senden untergehen. Diese Begabung ist sehr wichtig, wenn es um die Nähe des Melancholikers zur Kunst geht – der Künstler als Medium für kaum Wahrnehmbares. Und ebenso wenn es um die Nähe des Melancholikers zur Transzendenz geht – das Wahrnehmen einer verborgenen Dimension der Dinge und der Welt.

Gewissheit – Ungewissheit Wie mit dem Senden tun sich Melancholiker meist schwer mit der Gewissheit, mit den Überzeugungen, dem Glauben, ja dem Wissen. In Glaubenssystemen oder auch in den Fortschrittsmodellen der Moderne, in wissenschaftlichen oder gesellschaftlichen Utopien ist Hoffnung möglich – nicht für Melancholiker. Sie sehen kritisch den Modellcharakter der großen Erzählungen und der big pictures – sie sehen die Konstrukte. Wem diese Gewissheiten fehlen, der ist in besonderer Weise offen für den Bereich des Nichtbegrifflichen, in welchem Wahrheiten keine Satzwahrheiten sind. Dieser Bereich ist vielfältig, es geht um Wahrnehmen und Erfahren, um ein hellsichtiges Sich-Einfühlen: in Dinge, in Atmosphären, in Entwicklungen und Rhythmen. Können Melancholiker in der Gemeinschaft glücklich sein? Bei ihrer Liebe zur Einsamkeit spielt sicher eine Rolle, dass man in Gegenwart vieler Menschen nicht so leicht zu seiner Melancholie stehen kann. Man ist versucht, etwas vorzuspielen, oder man stößt auf Unverständnis. Doch in der Einsamkeit gibt es dann auch eine Sehnsucht nach den anderen, die vielleicht ein Hinweis in die richtige Richtung ist. Lässt sich eine melancholische Lebensform nicht nur in der Einsamkeit, sondern auch in Gegenwart der anderen entwickeln? Wenn nach der Bewegung des Rückzugs nicht irgendwann (und immer wieder) die gegenteilige Bewegung gelingt, nämlich die Rückkehr zu den anderen, die Nähe zu Menschen, dann lässt die Einsamkeit Melancholiker verbittern und verbiestern, lässt sie an ihrer Lebens- und Menschenangst ersticken. Es geht darum, dass wir beim Rückweg zu den anderen unsere Melancholie sozusagen mitnehmen. Dass wir uns nicht nur im Alleinsein gestatten, Melancholiker zu sein. Wir müssen mit beiden Beinen gehen, mit dem Bein des Alleinseins und dem Bein der Gemeinschaft. Das gelingt erst dann, wenn wir sowohl beim Schritt mit dem einen als auch beim Schritt mit dem anderen Bein Melancholiker sind und bleiben. Aber dürfen wir uns selbst so wichtig nehmen? Dürfen wir so viel Zeit und Kraft darauf verwenden, uns selbst zu erkunden und zu beschreiben? Ja, denn es geht hier um die klassische philosophische Haltung des Selbstdenkens. Und ganz wichtig: Es geht darum, die Verantwortung für die eigene Orientierung zu übernehmen, die Verantwortung für das Leben und das Auskommen mit Melancholie. Das wiederum bedeutet, die Meinung all der vermeintlichen Experten aus Wissenschaft, PS YCH OLO G IE H EUTE com p a c t

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Kann man Melancholie definieren? Einige Themen oder Muster lassen sich in vielen melancholischen Stimmungen wiederfinden, man kann sie am besten als Achsen beschreiben, die zwei Extreme verbinden.


Lieber allein. Denn in Gegenwart anderer Menschen ist es nicht leicht, zu seiner Melancholie zu stehen

Therapie oder Ratgeberliteratur nicht sogleich zu übernehmen. Eine Wahrheit über Melancholie, welche in einer Theorie, einem Modell, einer Konstruktion besteht – sie ist begrenzt wie jede Theorie, jedes Modell, jede Konstruktion. Statt immer ausschließlicher durch die Brille eines einzelnen Erklärungsmodells zu blicken, führt es weiter, sich selbst zu fragen: Was weiß ich? Wo kenne ich mich aus in der Melancholie, welche Begriffe führen mich (wenn auch stets nur partiell) ins Offene eines Mich-Verstehens? Wie kann ich gegenüber der Melancholie selbst, gegenüber ihrem Leiden, aber auch gegenüber den übermächtigen Experten, den Vertretern der Theorietraditionen, mir einen Bereich der Autonomie erobern? Das Ergebnis wird keineswegs ein endgültiges Verstehen der Melancholie sein oder ein Verstehen, welches stets Hinweise auf Lösungen, auf irgendwie befreiende Lebenspraktiken enthielte. Das Meer des Nichtwissens und Nichtverstehens ist immer größer als die Insel des Wissens und des Verstehens, das gilt auch im Falle der Melancholie. Aber ich kann fragen: Que sais je? Wie kann ich mich angesichts des Stückwerks meines Wissens orientieren? Welcher erklärenden Hypothese kann ich folgen, und welche neue oder abgeänderte Lebenspraxis möchte ich ausprobieren? Gehe ich so vor, dann kann ich sicher sein, dass die Insel des Verstehens im Meer des Nichtverstehens die Insel meiner eigenen Erfahrung ist – und ich mich nicht auf der Insel fremder Experten, Theorien und Modelle befinde. Zu einem philosophischen Projekt wird all dies gleichwohl nicht durch das Selbstdenken allein. Sondern die eigenen Erfahrungen müssen sich abarbeiten an philosophischen Begriffen. Um in die Tiefe zu kommen, ist beides nötig. Das Ziel meines „Wörterbuchs der Melancholie“ ist eine geänderte, eine bereicherte melancholische Lebenspraxis. Und immer wieder die Frage danach, was Melancholiker der Welt geben können, wo also ihre Veranlagung sinnvoll wird. Dabei geht es um kontemplative Naturerfahrungen oder einen ganz neuen Leistungsbegriff oder um ein besonderes Verhältnis zur Offenheit des Lebens als eines Geschehens, zu seinen Rhythmen und Transformationen. Die philosophische Begrifflichkeit engt dabei, anders als viele wissenschaftliche Modelle, nicht ein. Vielmehr schafft sie, indem sie konsequent jedes Zuvielverstehen abhält, einen Schutzraum: sowohl für neue Wege des Verstehens von Melancholie als auch für eine neue Tiefe unseres Lebens. PHc

Philipp Thomas studierte Philosophie, evangelische Theologie und Biologie und ist seit 2006 an der Universität Tübingen Privatdozent für Philosophie am dortigen Philosophischen Seminar. Zur Erforschung der Melancholie hat er an der Universitätsbibliothek Tübingen das Portal „Neue Perspektiven auf Melancholie“ geschaffen, dort erscheint auch sein „Wörterbuch der Melancholie“ (https://publikationen. uni-tuebingen.de/xmlui/handle/10900/56577).

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„Das Glück, nicht immer glücklich sein zu müssen“ 74

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Fotos: xenia_gromak / photocase.de

Das Glück ist für jeden machbar, das ist die große Verheißung unserer Zeit. Aber die Jagd nach dem Glück macht müde, und sie verläuft häufig enttäuschend. Wahrhaft glücklich ist, wer gelernt hat, das Leben zu akzeptieren, wie es ist. Ein Gespräch mit dem Philosophen Wilhelm Schmid über Glück, Unglück und Melancholie.

Der Glückshype scheint zu Ende zu gehen. War Glück ein Modethema – oder werden wir auch das nächste Jahrzehnt über das Glück lesen, nachdenken, es jagen? Man kommt an keiner Straßenecke mehr vorbei, ohne dass einen das Glück überfällt. Je mehr dieser Hype überzeichnet wird, umso schneller ist er auch wieder zu Ende. Es wäre ja nicht schlimm, wenn die Diskussion über das Glück dazu führen würde, dass viele Menschen glücklicher würden. Meine Erfahrung ist jedoch immer mehr, dass das genaue Gegenteil geschieht, dass Menschen, die vorher mit ihrer Lebenssituation einigermaßen zufrieden waren, sich mittlerweile Vorwürfe machen: Warum bin ich nicht glücklich? Alle anderen sind es doch! Das ist jedenfalls der subjektive Eindruck vieler, und nur sie persönlich haben es mal wieder nicht geschafft. Sie fühlen sich als Versager, die sie vorher gar nicht waren. Das gehört wohl zu den Paradoxien des Glücks: Schon der Philosoph John Stuart Mill meinte, dass man in dem Moment, in dem man fragt: „Bin ich glücklich?“, es nicht mehr sein kann. Ist Glück nur im Rückblick erkennbar? Ist die Bewusstmachung der Glücksfrage schon kontraproduktiv? Nein, ich erlebe viele Glücksmomente, und ich bin mir ihrer auch sehr bewusst, wenn ich sie erlebe. Die dauern dann eine bestimmte Zeit, darüber kann ich

nicht bestimmen – manchmal ist es eine Sekunde oder ein Abend oder ein Wochenende. Ich freue mich, wenn sie da sind, und ein bisschen weiß ich auch, wo ich sie finden und bekommen kann, aber es wäre völlig absurd, anzunehmen, man könne das Glück auf Dauer haben. Da scheiden sich die Geister. Die vielen Glücksratgeber verstärken doch den Irrtum, das Glück ließe sich festhalten. Das ist aber nicht möglich. Psychologen benutzen eine sehr gedämpfte Glücksdefinition: Glück sei „anhaltendes subjektives Wohlbefinden“ – ich bin also glücklich, wenn mir nichts weh tut und ich mich einigermaßen gut fühle. Die Philosophen kennen noch ein ganz anderes Glück, von dem heute überhaupt nicht mehr die Rede ist – und ich bin überzeugt davon, dass es das eigentliche Glück ist: nämlich das Glück, das daraus entsteht, dass ich einverstanden bin mit meinem gesamten Leben, mit all seinen Widersprüchen, Höhen und Tiefen. Wer erwartet, dass ihm das Leben immer nur Freude macht, der kann nur scheitern. Es ist nun mal nicht so, dass wir jeden Tag Lebensfreude haben können. Wer damit grundsätzlich einverstanden sein kann, der hat das Glück, das ich gerne das „Glück der Fülle“ nenne. Philosophen haben seit Sokrates, Aristoteles, Epikur oder Seneca davon gesprochen, dass dieses Glück mit Heiterkeit und Gelassen75


heit einhergeht. Gelassenheit heißt, ich kann Dinge auch geschehen lassen – wie zum Beispiel Ärger – und muss mich nicht dagegen ständig wehren. Sie sprechen von der „Flucht ins Glück“, die viele Menschen treibt. Wovor fliehen sie? Wofür ist Glück ein Ersatz oder eine Zuflucht? Man könnte überspitzt sagen: Die Welt geht unter, aber ich will zuvor noch richtig glücklich sein. Ich in meinem stillen Winkel möchte mein Leben bis zur letzten Sekunde genießen. Um mich herum die Sintflut, aber in meinem Leben soll alles „supi“ sein (lacht). Es gibt objektive Gründe dafür, dass es „der Welt“ nicht so gut geht, vor allem ökologische Gründe. Was wir der Welt ökologisch antun, wird uns in der Tat noch sehr reuen. Daneben und für viele spürbarer finden sich ökonomische Gründe. Wobei die Probleme, die wir hier haben, keinen Vergleich dulden mit denen, die Hunderte Millionen in China oder in anderen Erdteilen haben. Viele Menschen bewegen sich in einer neutralen Zwischenzone: Sie sind nicht so richtig glücklich, aber auch nicht wirklich unglücklich. Es ist eher so eine Art prekärer Zufriedenheit – es geht mir ja nicht schlecht, aber es könnte auch noch viel besser gehen. Das ist ein sehr gefährlicher Zustand. Die Menschen wollen zufrieden oder wenigstens halbwegs zufrieden sein, und die meisten können das auch, zumindest materiell. Die historische Betrachtung zeigt jedoch, dass Entwicklung niemals aus Zufriedenheit zustande gekommen ist. Entwicklung kommt in Gang, wenn Menschen unzufrieden sind mit ihren Verhältnissen. Und wir haben Grund, mit vielem unzufrieden zu sein – wir müssen uns den Herausforderungen der Globalisierung stellen und noch mehr jenen der Ökologie. Es scheint deutliche Zyklen oder Konjunkturen der Glückssuche zu geben. Glück schien das Leitthema der Postmoderne zu sein, eine Art „Friedensdi76

Melancholie wird oft als „emotionaler Virus“ abgewertet

vidende“, wie der Psychologe Martin Seligman glaubte. Sie erkennen nun Symptome für einen Umschwung. Die Menschen werden des Glücks müde, wir werden es noch erleben. Da ist dann wirklich ein Zyklus zu Ende. Gerade beim Glück – da überschaue ich halbwegs die Entwicklung der letzten zweieinhalb Jahrtausende – verläuft die Geschichte in der Tat in Perioden: In manchen Zeiten wächst das Interesse am Glück, und die Menschen haben den Eindruck, ohne Glück lohne sich das Leben überhaupt nicht. Und dann – vergessen sie es schlicht wieder. Dann folgt eine Periode, die ohne größere Glücksdebatte auskommt, bis zum nächsten Aufschwung. Das sind so Zyklen von etwa 100 bis 200 Jahren, zumindest für die jüngere Zeit stimmt das: Große

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Glücksdiskussion in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, bis Kant sagte: Jetzt reicht’s, Glück ist nicht wesentlich für das Leben des Menschen! Dann verliert sich das Thema im 19. Jahrhundert, andere Dinge sind viel vordringlicher – da geht es um die Schicksale der Arbeiter, der Kinder in den Kohlegruben, es geht um die Frauen, die im Kindbett sterben. Anfang des 20. Jahrhunderts rollt wieder eine Glückswoge an, unterbrochen durch den Ersten Weltkrieg, und danach geht es erst so richtig los. Dann wieder unterbrochen durch die nationalsozialistische Zeit und den Zweiten Weltkrieg, und danach waren wieder andere Sorgen da. In den 1950er und 1960er Jahren, als Elisabeth Noelle-Neumann ihre ersten großen demoskopischen Befragungen durchführte, haben sich Menschen beschämt abgewandt, wenn das Wort „Glück“ fiel. Meine eigenen Eltern kannten das Wort Glück gar nicht, und das waren die glücklichsten Menschen, die ich bisher kennengelernt habe. Und wann hat sich das geändert? Wann begann die gegenwärtige Glückswelle? Als ich Mitte der 1980er Jahre anfing, philosophische Vorträge zu halten, hat das Glück noch nicht sehr viele interessiert. Erst seit Mitte der 1990er Jahre änderte sich das – und seit 2005 wird die Nachfrage grenzenlos … Aber ich werde es erleben, dass ich bald wieder für andere Themen eingeladen werde. Den Themenwechsel haben Sie für sich schon eingeleitet mit Ihrem Buch Unglücklich sein. Eine Ermutigung. Wollen Sie im Ernst, dass Unglücklichsein nun an die Stelle der Glücksjagd tritt? Ich schlage für das neue Lebensgefühl den altehrwürdigen Begriff der Melancholie vor. Das ist ein Zustand, in dem Menschen – im Gegensatz zu wirklich Depressiven – hochreflexiv und stark von Gefühlen geprägt sind. Vielleicht zu viel, aber Melancholie ist prinzipiell ein Zustand, der zum Menschsein gehört. Es gibt ja auch Melancholiker, die ihren Zustand geradezu genießen, als eine Art

bittersüßen Weltschmerz. Künstler und andere Kreative sind geübt darin, ihre Melancholie nicht nur auszukosten, sondern auch produktiv zu machen. Ja, das ist das Glück im Unglücklichsein, ich kenne dieses Gefühl ganz gut. Wenn Kreativität heute tatsächlich so sehr gesucht wird, sollten wir einmal in die Geschichte schauen: Bei fast allen Kreativen in der Wissenschaft, in der Technik, natürlich auch in der Kunst findet sich kaum ein Mensch, der aus dem Glück heraus schafft. Die Bedingung des Schaffens ist Unglücklichsein. Deshalb tun wir gut daran, diesen Zustand nicht länger abzuwerten und die Menschen glauben zu machen, Glück sei das einzig Erstrebenswerte. Aussuchen tut sich die Melancholie ja ohnehin keiner – niemand setzt sich hin und sagt: Ich möchte lieber unglücklich sein. Melancholie ist das Produkt sehr vieler Faktoren, der biologischen und psychologischen Veranlagung, der familiären Erfahrungen, der Kindheit, der Sehnsüchte und von vielem mehr. Die Frage ist nicht, ob wir uns dann mehr oder weniger unglücklich fühlen, sondern wie wir diese Zustände bewerten. Und da wird das Melancholische von manchen als „emotionaler Virus“ abgetan und als krank bewertet – ausgerechnet das, woraus der Fortschritt der Menschheit hervorgeht! Das darf ja wohl nicht wahr sein! Sie sehen in einer heraufziehenden Epoche der Melancholie sogar eine Zeit der neuen Freiheit. Worin liegt diese Freiheit? Sie liegt darin, dass wir uns davon befreien, immer glücklich sein zu müssen. PHc

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GESCHÄRFTE SINNE Detektive kommen Verbrechen auf die Spur, wissen aber, dass sie die Wurzel des Übels nicht beseitigen können. Sie begegnen der Sinnlosigkeit des Todes und suchen nach Erkenntnissen, wohl wissend, dass sie auf Vermutungen angewiesen sind. All das sind Wurzeln der Melancholie, wie der Philosoph Volker Friedrich am Beispiel Sherlock Holmes aufzeigt

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er Detektiv ist die literarische Figur, bei der es in der Hauptsache um Erkenntnis geht. Nicht um Erkenntnis an sich, sondern um konkrete Erkenntnis, um eine Erhellung dunkler Geschichten. Der Detektiv bringt Licht ins Dunkle. Warum soll er aber gerade dann etwas mit Melancholie zu tun haben? Man könnte mit der Lichtmetapher weiterspielen und sagen, der Detektiv „lichtete“ eben die dunklen Bereiche des Lebens, das Schwarze, Düstere, Finstere, und das seien doch schon von der Symbolik her Spielplätze der Melancholie. Der Detektiv wäre gleichsam in sie hineingestellt und leuchtete sie mit seinen das Licht der Erkenntnis ausstrahlenden Scheinwerfern ab. Wenngleich das ein Aspekt sein mag, so möchte ich es bei seiner Nennung nicht belassen. Ein wichtigerer Gedanke scheint mir zu sein, dass ein Teil der Melancholie des Detektivs durch eine ethische Frage entsteht, nämlich durch die Frage nach der Gerechtigkeit. Der Detektiv klärt zwar, wenn er seine Aufgaben erfüllt, ein Verbrechen auf, weiß

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aber, dass er letztlich dessen Wurzeln nicht beseitigt. Er ist melancholisch ob der Unwirksamkeit seines Handelns, er weiß, dass der wirkliche Schuldige – nämlich das Böse – nicht gefasst, bestraft, verändert oder abgeschafft wird. Genau über diesen Konflikt haben sie alle – jeder auf seine Art, in der Weise seines Landes und seiner Zeit – getrauert, ob nun Arthur Conan Doyles Sherlock Holmes, Gilbert Keith Chestertons Father Brown, Agatha Christies Hercule Poirot und Miss Marple, Dorothy L. Sayers’ Lord Peter Wimsey, Dashiell Hammetts Sam Spade, Raymond Chandlers Philip Marlowe, George Simenons Kommissar Maigret, Friedrich Glausers Wachtmeister Studer oder in dessen Nachfolge Friedrich Dürrenmatts Kommissär Bärlach. Der Detektiv ist in der Literatur eine Figur, an der sich exemplarisch die Melancholie in ihrer modernen Form wie bereits im Ansatz auch die Melancholie als Haltung entwickeln lässt. Der Prototyp des Detektivs ist Sherlock Holmes. Auch wenn der Typus des Detektivs, den er repräsentiert, in der neuPS YCH OLO G IE H EUTE com p a c t


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Was ist der Sinn von alldem, Watson? Welchem Zweck dient dieser Kreislauf von Elend, Gewalt und Angst?

eren Kriminalliteratur keine bedeutende Rolle mehr spielt, so ist er in mancherlei Hinsicht prägend für seine modernen Nachfolger. Holmes ist ein Melancholiker. Abgesehen davon, dass schon seine Physiognomie durchaus den traditionellen Vorstellungen von Melancholikern entspricht, hat seine Melancholie Züge von Genialität wie auch von Krankheit, sie deutet auf Zeitstimmungen hin und verweist auf philosophische Aspekte der Schwermut.

„Das Leben ist banal, die Zeitungen sind geistlos“ Von Holmes Melancholie erzählt sein Chronist Watson an sehr vielen Stellen. Häufig fiel der geniale Detektiv in tiefe, düstere Depressionen, oft über Tage hinweg, in denen er nicht ansprechbar war und sich einigelte. „Den Ausbrüchen leidenschaftlicher Energie, wenn er die bemerkenswerten, mit seinem Namen verbundenen Taten vollbrachte, folgten Reaktionen von Lethargie, in deren Verlauf er mit seiner Violine und seinen Büchern herumzuliegen pflegte und sich kaum rührte, es sei denn vom Sofa zum Tisch.“ Diese Passivität und Handlungshemmung hat geradezu pathologische Züge. Doch sie reichen tiefer als eine Erschöpfungsdepression, wie sie nach Zeiten äußerster geistiger und physischer Anstrengung entstehen kann. „Das triumphale Ergebnis seiner Mühen konnte ihn nach einer so schrecklichen Anstrengung nicht vor einer Reaktion bewahren, und zu einer Zeit, als Europa von seinem Namen widerhallte und sich in seinem Zimmer buchstäblich knöcheltief Glückwunschtelegramme häuften, war er das Opfer schwärzester Depressionen. Selbst das Bewusstsein, Erfolg gehabt zu haben, wo die Polizei dreier Länder versagte, und den gewieftesten Schwindler Europas in jeder Hinsicht ausmanövriert zu haben, reichte nicht aus, sein darniederliegendes Nervensystem wieder aufzurichten.“ Zum einen deutet sich in diesen Phasen jene bereits angesprochene grundsätz80

liche Trauer des Detektivs darüber an, trotz der Aufklärung eines Falles letztendlich nicht über das Böse zu siegen; zum anderen fällt Sherlock Holmes immer dann in dieses Loch, wenn seinem Geist die Stimulanzien fehlen. „Mein guter Watson, Sie wissen doch, wie sehr ich mich langweile, seit wir Colonel Carruthers hinter Schloss und Riegel gebracht haben. Mein Geist ist wie eine Maschine, die leerläuft und sich selbst in Stücke reißt, weil sie nicht mit dem Räderwerk gekoppelt ist, für das sie konstruiert wurde. Das Leben ist banal; die Zeitungen sind geistlos; Wagemut und Romantik scheinen auf immer aus der Welt des Verbrechens entschwunden zu sein. Wie können Sie mich da noch fragen, ob ich gewillt bin, ein neues Problem in Augenschein zu nehmen, wie trivial auch immer es am Ende sein mag.“ Der geniale Geist ist nur dann er selbst, ist nur dann bei sich, wenn er reizvolle Probleme zu lösen hat. Fehlt dieses intellektuelle Stimulans, greift Holmes zur Droge und spritzt sich eine siebenprozentige Kokainlösung in die Venen – jedenfalls tat er das, wenn man den Analysen seines Biografen William S. Baring-Gould folgt, bis er etwa vierzig Jahre alt war. In diesem ersten Lebensabschnitt neigte Holmes eher zur bitteren Melancholie. „Was ist der Sinn von alldem, Watson?“, fragt Holmes seinen Gefährten: „Welchem Zweck dient dieser ewige Kreislauf von Elend, Gewalt und Angst? Dies alles muss doch auf ein Ziel zuführen, denn sonst würde unser Universum ja vom Zufall regiert, und das ist schlicht undenkbar. Doch was für ein Ziel? Das ist die große, uralte, wieder und wieder gestellte Frage, von deren Beantwortung der menschliche Geist so weit entfernt ist wie eh und je.“ Holmes scheint einerseits verzweifelt zu sein ob des Elends in der Welt, andererseits schimmert aber doch eine gewisse Hoffnung darauf durch, dass es ein Ziel gäbe, obzwar er offenbar mehr als skeptisch ist, dass es dem Menschen möglich sei, jenes Ziel zu erkennen. Diese Skepsis hat ihn allem Anschein nach nie verlassen, auch wenn es in seiner Biografie einen Wendepunkt gab. PS YCH OLO G IE H EUTE com p a c t


1891 kommt es zu dem entscheidenden Kampf zwischen Holmes und dem Erzschurken Professor Moriarty an den Reichenbachfällen in der Schweiz – Arthur Conan Doyle ließ den Detektiv gemeinsam mit dem Verbrechergenie in die Schlucht stürzen, denn Doyle hatte von Holmes die Nase voll und wollte sich lieber den literarischen Arbeiten zuwenden, die ihm viel näher standen. In London trugen sogar die Börsianer Trauerflor, dem Autor und seinem Verleger schwappte eine Flut von Protestbriefen der Leser ins Haus, die sich mit Holmes’ Tod nicht abfinden wollten. Drei Jahre später gab Doyle dem Druck der Straße und der Verlockung immenser finanzieller Angebote nach und ließ seinen Helden wiederauferstehen. Holmes habe sich seinerzeit beim Showdown an den Reichenbachfällen retten können, sich aber – um der Rache der Unterwelt zu entgehen, in Ruhe diverse Studien zu betreiben und Reisen, unter anderem durch Asien, zu unternehmen – versteckt gehalten. Der Holmes des neuen Zyklus an Geschichten tritt nun weniger bitter auf, frönt nicht mehr dem Kokain, ist humorvoller als früher, ja, er wirkt oft sogar heiter und gelassen. In Watsons Berichten finden sich zwar weiterhin Beschreibungen wie die folgende: „Sherlock Holmes befand sich an diesem Morgen in melancholischer und philosophischer Stimmung. Seine alerte, praktisch veranlagte Natur unterlag zuzeiten solchen Reaktionen. ,Haben Sie ihn gesehen?‘, fragte er. ,Sie meinen den alten Knaben, der eben hinausgegangen ist?‘ ,Genau.‘ ,Ja, ich bin ihm an der Tür begegnet.‘ ,Was halten Sie von ihm?‘ ,Eine jämmerliche, hoffnungslose, gebrochene Kreatur.‘ ,Ganz recht, Watson. Jämmerlich und hoffnungslos. Aber ist nicht das Leben jämmerlich und hoffnungslos? Ist nicht die Geschichte dieses Mannes ein Mikrokosmos des Ganzen? Wir streben nach etwas. Wir greifen zu. Und was bleibt uns zuletzt in den Händen? Ein Schatten. Oder Schlimmeres noch als ein Schatten – Elend.‘“ Aber Holmes nimmt diese Unerreichbarkeit des letzten Grundes offenbar nicht mehr so schwer, er kann seine im Grunde nihilistische Sicht allem Anschein nach besser ertragen als früher. Manche Holmesianer erklären diesen Wandel mit den Erfahrungen, die der Meisterdetektiv auf seinen Reisen durch Asien in der Begegnung mit buddhistischen Lehren gemacht habe. Ganz fern asiatischer Weisheit ist das Credo, das Holmes abgibt, als er gerade die fünfzig überschritten hat, jedenfalls nicht: „Das Beispiel geduldigen Leidens ist die kostbarste aller Lehren für eine ungeduldige Welt.“ Im Umgang mit der den Detektiven eigenen Melancholie, die mit der Frage nach der Gerechtigkeit, der Frage nach Gut und Böse aufbricht, wird Sherlock Holmes zumindest pragmatischer, wenn nicht abgeklärter: „Ich glaube, ich habe in meiner Karriere

schon ein paarmal durch die Ermittlung eines Verbrechers mehr wirklichen Schaden angerichtet als dieser durch sein Verbrechen. Ich habe inzwischen gelernt, vorsichtig zu sein, und ich werde eher den englischen Gesetzen einen Streich spielen als meinem Gewissen.“ Holmes hat demnach zu unterscheiden gelernt zwischen juristischem und moralischem Recht, er gibt sich, um mit Max Weber zu sprechen, als ein Verantwortungsethiker zu erkennen.

Letzte Erkenntnisse bleiben dem Menschen unerreichbar Ethische und anthropologische Probleme spielen generell in Krimis auf vielen Ebenen eine Rolle. Der Tod wird zum wichtigsten Thema. Keine Frage, dass sich somit ein Brückenschlag zur Melancholie anbietet, ist doch der Mord eine der Spielarten des Todes, die uns dessen Absurdität am augenfälligsten vorführen. Und die Sinnlosigkeit des Todes, der der Detektiv in seiner Arbeit begegnet, ist zweifelsohne eine Ursache für Melancholie. Doch noch weitere Nahtstellen lassen sich zwischen Melancholie und Kriminalromanen erspüren. So konfrontieren die Krimis in der Tradition der mystery story den Leser mit dem Obskuren, dem Fremden, Anderen. Auch dabei bieten sich Angriffsflächen für die Melancholie wie auch für philosophische Reflexion. Eingangs dieses Textes wurde der Detektiv als eine Figur gekennzeichnet, bei der es in der Hauptsache um Erkenntnisprobleme geht. Holmes ist, wie wir gesehen haben, ein Melancholiker. Und ihm, dem Detektiv, geht es um Erkenntnisse, wenn auch nicht – wie dem Philosophen – um die Reflexion der Erkenntnisse selbst. Holmes’ Vorgehensweise ist eine Methode, die schon von ihrer Grundstruktur her berücksichtigt und voraussetzt, dass uns letzte Erkenntnisse nicht möglich sind. Es geht um Mutmaßungen, um Vermutungswissen, um Hypothesenbildung, um Annahmen. Holmes pickt sich die Annahmen heraus, die am wahrscheinlichsten sind, die die größte Erklärungskraft haben, er arbeitet also auf Vermutungswissen hin. Genau diese Einsicht, dass letzte Erkenntnisse dem Menschen offenbar unerreichbar bleiben, kann nicht nur einem Sherlock Holmes, der so sehr der Kraft des Geistes und der Vernunft vertraute, sondern überhaupt jeden Intellektuellen traurig und melancholisch stimmen. Wenn er sich auf eine bestimmte Art und Weise zu dieser Trauer ins Verhältnis setzt, wird die Melancholie zur Haltung. PHc

Prof. Dr. Volker Friedrich studierte Philosophie, Germanistik und Politikwissenschaften und arbeitete als Journalist und Publizist für zahlreiche Medien. Er ist Professor für Schreiben und Rhetorik an der Hochschule Konstanz, Gründungsmitglied und Direktor des Instituts für professionelles Schreiben und Herausgeber des wissenschaftlichen E-Journals „Sprache für die Form“. Friedrich ist Autor mehrerer Buchveröffentlichungen, darunter Melancholie als Haltung (Gatza-Verlag), aus dem dieser von der Redaktion gekürzte Text stammt.

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„Es lohnt sich, ein bisschen traurig zu sein“ Der Psychologieprofessor Joseph Forgas ist überzeugt: Sogenannte negative Emotionen schützen uns vor gefährlicher Leichtgläubigkeit

Herr Professor Forgas, manche Leute halten Sie für einen Propheten des Trübsinns! Ach was! Ich bin ganz sicher kein Prophet des Trübsinns, das will ich gleich klarstellen. Was ich allerdings sage: Es ist nett, glücklich zu sein. Aber emotionale Schwankungen gehören nun mal dazu. Das hat evolutionäre Gründe und wirkt sich täglich auf die Entscheidungen aus, die wir treffen. Das sehen viele Ihrer Kollegen aber anders, vor allem die Fans der positiven Psychologie. Ja, die erzählen uns, dass es immer und überall das Beste ist, wenn wir glücklich sind. Am besten rund um die Uhr. Aber Sie können den Menschen doch nicht vorwerfen, dass sie glücklich sein wollen! 82

Das mache ich ja auch nicht. Es ist die natürlichste Sache der Welt, dass wir lieber glücklich als unglücklich sind. Die Suche nach Glück ist eine der grundlegenden Eigenschaften des Menschen. Aber wenn ich die Ergebnisse der modernen Psychologie betrachte, kann ich eines sagen: Die Natur hat uns ganz sicher nicht dazu gemacht, vorwiegend glücklich zu sein. Beispielsweise hat der Neurowissenschaftler António Damásio nachgewiesen, dass es das gesamte emotionale Repertoire braucht, um als Mensch sozial zu funktionieren. Es ist doch auffallend, dass unser emotionales Repertoire trotz der steten Suche nach Glück stark verzerrt ist in Richtung negative Emotionen. Nur zwei der sechs Basisemotionen des Menschen sind positiv: Glück und Über-

raschung. Dem stehen vier negative Emotionen gegenüber: Angst, Wut, Ekel und Trauer. Die gehören einfach zu uns. Die Menschen früherer Epochen haben das intuitiv akzeptiert. Vielleicht sogar kultiviert? O ja, die Leute haben die negativen Emotionen als wertvollen Teil der menschlichen Erfahrungswelt anerkannt. Viele der größten Errungenschaften des menschlichen Geistes wurden geboren aus Trauer, Missstimmung und sogar Depression. Unzählige Werke der klassischen westlichen Literatur handeln davon, wie negative Gefühle heraufbeschworen werden. Seit der griechischen Antike gibt es mehr Tragödien als Komödien. Schauen Sie nur auf Shakespeare. In Kunst und Literatur wird Fröhlichkeit locker von der Ernsthaftigkeit abgehängt. PS YCH OLO G IE H EUTE com p a c t


Fotos: Shuwal | Leuchtspur.at / photocase.de

Man kann ja irgendwie begreifen, dass Angst, Wut und Ekel eine Funktion im Sinne der darwinschen Evolution erfüllen. Dass sie den Menschen also einen Überlebensvorteil sichern. Aber was ist mit Trauer? Stimmt: Angst bereitet den Organismus vor, zu fliehen,Wut, zu kämpfen, und Ekel, gefährliche Krankheitserreger zu vermeiden. Aber lange Zeit wussten wir einfach nicht, was es mit der Traurigkeit auf sich hat, der vielleicht am weitesten verbreiteten unserer negativen Emotionen. Wozu dient Traurigkeit? Erst in den vergangenen Jahren haben wir gelernt, dass milde und vorübergehende Traurigkeit adaptiv im Sinne der Evolutionstheorie sein kann. Inwiefern? Wir gehen davon aus, dass Traurigkeit wie ein automatisches unbewusstes Warnsignal fungiert, dass auf ungewöhnliche, neue oder problematische Herausforderungen hinweist. Der Effekt ist verblüffend: Sie löst in unserem Gehirn einen Verarbeitungsmodus aus, der nach außen gerichtet ist. Das heißt: Wir achten verstärkt und effektiver auf Informationen aus der Außenwelt und nicht so sehr auf interne, bereits im Gehirn vorhandene Informationen wie Erinnerungen und so weiter. Stellen Sie sich vor, Sie gehören einer Gruppe an, haben aber das Gefühl, dass Sie nicht wirklich akzeptiert sind. Das macht Sie traurig. Und das ist dann wie ein Signal: „Pass genau auf!“ Traurigkeit kann also in ganz konkreten Situationen sehr nützlich sein? Ja, denn unsere Studien zeigen: In vielen Situationen lohnt es sich, ein bisschen traurig zu sein und nicht im Glücksgefühl zu baden. Die Stimmung beeinflusst die Art des Denkens. Warum? Wie funktioniert dieser Zusammenhang? Je mehr und je länger und je intensiver Sie über eine Situation nachdenken, desto mehr nutzen Sie Informationen aus Ihrem Gedächtnis, um sie zu bewerten. Das haben wir in unseren Laborstudien festgestellt. Wir bringen unsere Probanden

gezielt in eine gewünschte Stimmung. Sie sehen lustige oder traurige Filme. Sie sollen sich an schlimme oder glückliche Momente in ihrem Leben erinnern, oder sie erhalten ausgezeichnete oder miserable Bewertungen auf Tests, die wir sie machen lassen. In der darauffolgenden Phase testen wir sie bei bestimmten Aufgaben – zu Aspekten, die uns interessieren. Und schauen nach, wie sich die unterschiedlichen Stimmungen auf ihre Leistungen, ihr Verhalten und ihre Entscheidungen auswirken. Zum Beispiel auf ihre sprachliche Überzeugungskraft. Wie sieht es da aus? Können wir das besser, wenn wir weniger gut drauf sind? Ja. Wir haben das sehr klar gezeigt. Die negativer Gestimmten überzeugen andere leichter als Menschen, die in positiver Stimmung sind, und liefern unter diesen Umständen die besseren Argumente. Warum? Weil sie sich mehr auf konkrete Details konzentrieren, die sie aus der Situation heraus wahrnehmen. Bei allen Leistungen, bei denen Umweltinformationen wichtig sind, sind die Negativen im Vorteil. Zum Beispiel? Wir haben zum Beispiel den Effekt der Stimmung auf die Skepsis der Menschen überprüft. Sie sollten angeben, welche gängigen Mythen sie für wahr oder falsch halten. Etwa ob die CIA Kennedy ermordet hat. Probanden in Glücksstimmung zeigten sich deutlich leichtgläubiger als die negativ Gestimmten. Glück kann also unaufmerksam und verführbar machen. Melancholisch Gestimmte erfassen auch bestimmte Situationen besser. In einer Studie haben wir unsere Probanden gebeten, auf einen Monitor zu starren und so schnell wie möglich mit einem Joystick zu schießen, falls sie sich durch das Geschehen auf dem Bildschirm in Gefahr glaubten. Einige der dort präsentierten Personen trugen muslimische Kopfbedeckungen. Die glücklichen Teilnehmer schossen deutlich öfter auf diese Menschen als die traurigen Probanden – auch wenn die Leute mit den „typi-

schen“ Kopfbedeckungen keine Waffe in der Hand hielten, sondern nur eine Coladose. Die Glücklichen gaben eher ihren inneren Vorurteilen nach und konnten die äußere Gefahr schlechter einschätzen. Melancholiker urteilen genauer, lassen sich weniger von irrelevanten Informationen manipulieren. Sie sind auch die zuverlässigeren Augenzeugen mit einem besseren Gedächtnis für unbewusst wahrgenommene Szenen des Alltags. Ich mache auch immer wieder die Erfahrung, dass sich die Glücklicheren egoistischer benehmen. Können Sie das bestätigen? In unseren Laborstudien benehmen sie sich tatsächlich egoistischer. In bestimmten Situationen, in denen Gemeinsinn gefragt ist, verhalten sich die Traurigen fairer. Und sie sind die empathischeren Menschen. Erst negative Gefühle wie Scham und Schuldbewusstsein motivieren uns, uns mehr um die Umwelt und die sozialen Normen zu kümmern, uns sozialer zu benehmen und an unseren schlechten Seiten zu arbeiten. Ihre Kollegen von der positiven Psychologie sind da aber ganz anders unterwegs. Das ist ja auch das, was mich an den Vertretern der positiven Psychologie etwas stört: Die wollen uns Glück verkaufen und definieren sogar, was Glück ist. Für mich ist das fragwürdig. Das schürt nur falsche Erwartungen unter den Menschen. Die sehnen sich dann so sehr nach Glück, dass der Schuss nach hinten losgeht und sie möglicherweise noch unglücklicher werden. Wir müssen den Leuten vielmehr sagen, dass sie lernen sollten, mit ihrem gesamten emotionalen Repertoire umzugehen. PHc Interview: Klaus Wilhelm

Der gebürtige Ungar Joseph Forgas, Psychologieprofessor an der University of New South Wales in Sydney, flüchtete Ende der 1960er Jahre in den Westen. Seitdem ist er auch Deutschland verbunden, war Professor an der Universität Gießen, Gastprofessor an den Universitäten Mannheim und Heidelberg und erhielt den Alexander-von-Humboldt-Forschungspreis.

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TRÄNEN TRÖSTEN Tränen sollten wir nicht unterdrücken. Sie haben eine heilende Funktion für Körper und Geist und sind ein mutiges Bekenntnis zum eigenen Erleben VON THERESIA MARIA DE JONG

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I

n Gegenwart weinender Menschen fühlen wir uns unwohl. Weinen ist uns unangenehm, es macht uns hilflos. Mit Tränen verbinden wir Trauer, Depression, Verlust. Negativ gefärbte Emotionen. Deshalb gilt es, Tränen in der Öffentlichkeit möglichst zu vermeiden, selbst wenn uns „zum Heulen“ ist. Wolfgang Rost, Psychotherapeut und Buchautor, macht unter anderem die unheilvolle Allianz von Tränen und Schwäche für das Heultabu in unserer Gesellschaft verantwortlich. Das gängige Ideal heißt Ausgeglichenheit, Gelassenheit. Extreme Gefühlsausbrüche verunsichern. Ein weinender Mensch verstößt gegen die ungeschriebenen Regeln und macht uns schmerzlich die eigenen unterdrückten Gefühle bewusst. Es kann regelrecht weh tun, andere Menschen weinen zu sehen. „Einer der Gründe, warum wir es so schwierig finden, mit weinenden Menschen umzugehen, ist, dass diese uns an unser eigenes Gefühl der Hilflosigkeit erinnern. Wir möchten, dass andere Stärke zeigen, weil es uns in unserer eigenen inneren Kraft bestätigt“, erklärt Jeffrey Kottler, Professor für Psychologie an der California State University in Fullerton. „Wenn ich mit jemandem zusammen bin, der weint, fühle ich mich oft genauso hoffnungslos. Ich möchte, dass die andere Person aufhört zu weinen, damit es mir wieder besser geht.“ Sogar Eltern fällt es häufig schwer, das Weinen ihres Kindes auszuhalten. Kindliche Tränen wecken unter Umständen Gefühle des Versagens und der Schuld, und sie erinnern an die eigene Verletzbarkeit und an vergangene Verletzungen. Deshalb muss das Kind möglichst schnell mit dem Weinen aufhören. Wolfgang Rost verweist darauf, dass Weinen nicht überall auf der Welt ein Manko darstellt. Beim kalifornischen Indianerstamm der Quechan beispielsweise wird erwartet, dass Trauernde in Tränen ausbrechen. Auch in anderen Kulturen ist Weinen ein Zeichen von Menschlichkeit. In Zeiten großer Trauer nicht zu weinen wird dort als Zeichen schändlicher Hartherzigkeit gewertet. In Südamerika bedeuten Tränen eine natürliche und aufrichtige Reaktion. Dort weinen auch Machos ganz ungeniert. „Machismo“ wird verbunden mit leidenschaftlichen, lebendigen, explosiven Gefühlen. Selbst bei uns war Weinen nicht immer tabu. In den Zeiten der deutschen Empfindsamkeit und Romantik brachen alle,

die als kultiviert gelten wollten, gerne und oft in Tränen aus. Erst mit der preußischen Ausrichtung aufs Militärische, auf Sachlichkeit und Emotionslosigkeit machte sich ein weinen der Mann unmöglich und verdächtig. Frauen durften weiterhin „Heulsusen“ bleiben. Da sie als das „schwache Geschlecht“ galten, war es ihnen erlaubt, den Tränen freien Lauf zu lassen. Die traditionelle Meinung „Frauen weinen gern und viel, Männer nie oder wenn, dann nur selten in schrecklichen Ausnahmefällen“ (weshalb weinende Männer auch so auffallen und ernst genommen werden) hat sich bis heute gehalten. Die Erlaubnis zum Weinen ist – zumindest in unserer Gesellschaft – eng verknüpft mit der Geschlechterfrage. Wenn Männer weinen, dann nur unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Nur zu leicht, so befürchten Männer, laufen sie sonst Gefahr – ebenso wie weinende Frauen – als emotional instabil zu gelten.

Weinen wird bei Männern mehr akzeptiert als bei Frauen Nach einer Studie von Susan Labott ist diese Sorge allerdings überflüssig. Nach ihren Forschungsergebnissen werden Männer, die vor Fremden weinen, als sympathisch, nett und einfühlsam eingeschätzt – und zwar sowohl von Frauen als auch von ihren eigenen Geschlechtskollegen. Darüber hinaus galten weinende Männer nicht als femininer als ihre beherrschten Testpartner. Susan Labott resümiert: „Das soziale Ansehen von Personen, die ihre Emotionen ausdrücken – speziell durch Weinen –, hat sich in den vergangenen Jahren deutlich geändert. Weinen wird keineswegs mehr als vorwiegend weibliches Verhalten gesehen, es wird gegenwärtig sogar bei Männern mehr unterstützt als bei Frauen.“ Denn auch das war ein Ergebnis ihrer Studie: Weinende Frauen schnitten bei den Sympathiewerten deutlich schlechter ab als ihre tränentrockenen Testkolleginnen. Offenbar werden weinende Frauen immer noch in die Kategorie „hilfloses Weibchen“ gesteckt, bei Männern hingegen scheint das Image von Kompetenz und Stärke auch durch fließende Tränen nicht gefährdet. Frauen, die Erfolg in männlich geprägten Berufsfeldern haben wollen, meinen oft, als „Überlebensstrategie“ ihre Emotionen abspalten zu müssen. Selbst in Helferberufen, in denen 85


prinzipiell Gefühle eine Rolle spielen sollten, fühlen sich Frauen häufig unwohl, da sie sich durch empathische Reaktionen nur Schwierigkeiten einhandeln.

Wozu sind Tränen gut? Tränen sind eine sehr direkte Kommunikationsform, die kaum ignoriert werden kann. Meist bewirken Tränen Gesten der Tröstung, der Hilfe. In dieser sozialen Funktion sieht der Berkeley-Psychologe Robert Levenson den Hauptgrund fürs Tränenvergießen. Er bezweifelt die weitverbreitete These, dass Tränen helfen, das psychische Gleichgewicht wiederherzustellen. In einer seiner Studien waren die weinenden Testpersonen – Studentinnen, denen traurige Filmausschnitte gezeigt wurden – auch noch zwei Stunden nach Versuchsende trauriger als ihre nichtweinenden Kommilitoninnen. Auch konnte Levenson in den Tränen seiner Testpersonen keine Stresshormone nachweisen. Daraus schloss er: keine Stresshormone, also auch keine Stressreduktion durch Tränen. Der Biochemiker William Frey vom Medical Center in Minneapolis – einer der wenigen renommierten Tränenforscher weltweit – kam durch ein etwas empathischeres Testdesign und vielleicht rührendere Filme allerdings zu anderen Ergebnissen. Frey unterscheidet drei Tränentypen: • Tränenflüssigkeit, die unsere Augen vor dem Austrocknen bewahrt und uns stets begleitet. • Tränen, die unsere Augen als Antwort auf Irritationen entwickeln (Rauch, Zwiebeldämpfe, Fremdkörper) – auch Reflextränen genannt. • Tränen, die aufgrund emotionaler Zustände vergossen werden. In den emotionalen Tränen seiner Testpersonen (die ebenfalls traurige Filme sahen) fand er eine deutlich andere chemische Zusammensetzung als in Reflextränen. So entdeckte er in ihnen 21 Prozent mehr Proteine sowie Stoffe, die in Reflextränen gar nicht vorkommen: Prolaktin, ein Hormon, das bei Stress und emotionaler Belastung produziert wird, und Endorphine – Hormone, die bekanntlich eine schmerzlindernde Wirkung haben. Ist also die Volksweisheit „Weinen tut gut“ doch richtig? Wird unser Organismus entlastet, indem die in der Tränenflüssigkeit enthaltenen Stresshormone ausgeschwemmt werden und uns so nicht mehr belasten? Weinen wir uns den Kummer von der Seele? „Ja“, meint Jeffrey Kottler: „Tränen existieren nicht nur als dramatisches Sprachsystem, sondern haben auch eine heilende Funktion für Körper und Geist. Mittlerweile sollte ganz klar sein, dass Weinen einen gesunden und notwendigen menschlichen Vorgang darstellt, der integraler Bestandteil unserer Existenz ist. So wie die ursprünglichste Form von Tränen als physische Reinigung wirkt, um die Oberfläche des Auges frei 86

Weinen wir uns den Kummer von der Seele?

von Behinderungen zu halten, so reinigt vielleicht dieser andere Typ emotionaler Tränen den Körper von bestimmten Chemikalien, die sich bei Stress aufbauen.“ Kontrollierte Studien über das Phänomen Weinen sind allerdings schwierig, zeichnet sich die Situation in der Realität ja gerade durch einen Kontrollverlust aus. Die Frage ist zudem, inwieweit provozierte Tränen überhaupt mit „echten“ Tränen verglichen werden können. Dennoch weisen die Forschungsergebnisse verschiedener Wissenschaftler darauf hin, dass Menschen, die häufiger weinen und dazu eine positive Einstellung haben, emotional und physisch gesünder sind als die, die nicht weinen oder Tränen negativ bewerten. In der heutigen Gesellschaft fehlen zunehmend Gelegenheiten, sozial akzeptiert Tränen zu vergießen. Beerdigungen werden heute fast nur noch von den nächsten Verwandten besucht. Früher ging ein ganzes Dorf hinter dem Sarg durch die Gassen zum Friedhof. Es durfte geweint werden. Heute weinen wir vielleicht bei unserem Psychoanalytiker. In der Zukunft, so hofft Jeffrey Kottler, wird eine tolerantere Zeit für Tränen anbrechen: „In vielen Situationen ist Weinen ein Zeichen des Mutes geworden. Es zeigt die Bereitschaft, Verletzlichkeit zu riskieren, indem man den tiefsten Kern empfundener Erfahrung ausdrückt. Natürlich werden Tränen immer noch als Zeichen von Schwäche und Instabilität interpretiert, aber wir werden sie immer mehr als natürlichen Bestandteil unserer menschlichen Erfahrung akzeptieren.“ Und Wolfgang Rost rät: „Let it flow, wenn es sein sollte, Rotz und Wasser gleichermaßen. Schade, dass wir allenfalls noch im stillen Kämmerlein zu weinen vermögen. Aber auch hier hilft: üben, üben, üben!“ PHc PS YCH OLO G IE H EUTE com p a c t


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MEDIEN REDAKTION: ANKE BRUDER

Schweres leichter machen Wie können wir mit Leid und Lebenskrisen besser umgehen? „Es ist nicht unsere Absicht, Schweres ‚leicht zu reden‘, im Sinne von: ‚Es ist doch alles gar nicht so schlimm‘“, schreiben Beate ScherrmannGerstetter und Manfred Scherrmann im Vorwort ihres Buches Die Kunst, mit Schwerem leicht zu leben. Sie erkennen durchaus an, dass es Umstände und Ereignisse gibt, die einen aus der Bahn werfen können. Damit wir uns jedoch von unserem Leid nicht dauerhaft ganz nach unten drücken lassen, geben die beiden Psychotherapeuten Denkanstöße, wie wir allzu Schweres wieder leichter nehmen können, etwa bei Trauer, Schuldgefühlen, belastenden Lebensereignissen und Krankheit. Dabei gehen 88

sie auf Grundlegendes ein wie die Erkundung der familiären Wurzeln und die Kunst, mit der eigenen Geschichte Frieden zu schließen. Sie geben aber auch konkrete Tipps wie den, durch Bewegung zur inneren Ruhe zu finden. Hier kommt das Autorenduo regelrecht ins Schwärmen: Gehen sei „eine ausgezeichnete Methode, innerlich in Balance zu kommen, und kann sogar dabei helfen, schwere Lebenskrisen zu bewältigen.“ Einen Versuch ist es wert.

Beate Scherrmann-Gerstetter, Manfred Scherrmann: Die Kunst, mit Schwerem leicht zu leben. Eine Lebensschule. Herder, Freiburg im Breisgau 2016, 192 S., " 19,99

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Doch lieber leben Matt Haig ging es so schlecht, dass er schon auf der Klippe stand, um sich umzubringen. Er hat es nicht getan. Dafür gibt es verschiedene Gründe, zum Beispiel die Liebe seiner Eltern und seiner Freundin. Der britische Erfolgsautor erkrankte bereits mit 24 an Depressionen und kämpfte sich mühsam zurück ins Leben. Darüber hat er das Buch Ziemlich gute Gründe, am Leben zu bleiben geschrieben. Ein sehr persönliches, aber auch informatives Buch über die Volkskrankheit Depression, das jetzt als Hörbuch vertont wurde. Barnaby Metschurat liest die Geschichte sensibel und lebensnah – und man nimmt ihm und Haig tatsächlich ab, dass frische Luft, Speckbrötchen und die Liebe eines guten Hundes definitiv Gründe sein können, am Leben zu bleiben. Matt Haig: Ziemlich gute Gründe, am Leben zu bleiben. 4 Audio-CDs. Der AudioVerlag 2016. Laufzeit: 4 Stunden und 25 Minuten, " 19,99

Apps zum Glück Sich mit den schönen Seiten unseres Lebens zu befas-

APP

sen kommt im Alltag oft zu kurz. Wer das ändern möchte, findet jetzt auch digitale Helferlein in Form

von Apps. Die deutschsprachige Anwendung Wege zum Glück bringt ihren Nutzerinnen und Nutzern die positive Psychologie näher – mit verschiedenen Tagesaufgaben und Lektionen, einem Sieben-Tage-Training und einer täglichen Erfassung des Wohlbefindens. Auch die englischsprachige App Happify

Über die Trauer Manches im Leben ist so unsagbar traurig, dass wir das Gefühl haben, nie darüber hinwegkommen zu können. Etwa der Verlust eines geliebten Menschen. Die Trauerbegleiterin Monika Müller und der Pfarrer Matthias Schnegg beschreiben in Unwiederbringlich. Von der Krise und dem Sinn der Trauer alle möglichen Facetten der Trauer und ihrer Überwindung. Was ist normale, was erschwerte Trauer? Wie können wir Trost finden? Wie gehen wir mit Gefühlen der Verzweiflung, der Schuld und der Wut um? Wie können wir eine Welt annehmen, in der der Verstorbene uns so sehr fehlt? Das erste Kapitel dreht sich um die ganz alltägliche Trauer, die Teil eines jeden Lebens ist: wenn im Alter unsere Schönheit verblasst, wenn der Partner uns verlassen hat, wenn wir unsere Zukunftspläne oder Träume aufgeben müssen. Alle, die diese Trauer hin und wieder in sich spüren, werden sich von den Worten des Autorenpaares verstanden fühlen – und empfinden vielleicht etwas Trost. Diese allgegenwärtige Trauer hilft uns auch dabei, uns in Menschen einzufühlen, die einen akuten Verlust zu bewältigen haben. Und so ist dieses Buch sowohl für Trauernde als auch für ihre Angehörigen und Freunde ein Gewinn.

möchte unsere Zufriedenheit steigern. Mit kleinen Übungen sollen etwa Dankbarkeitsgefühle und Optimismus gestärkt werden. Beide Apps wurden von Psychotherapeuten mitentwickelt und basieren auf wissenschaftlichen Erkenntnissen.

Monika Müller, Matthias Schnegg: Unwiederbringlich. Von der Krise und dem Sinn der Trauer. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2016, 188 S., " 15,–

Wege zum Glück. Smartphone-App für Android. Über Google Play Store, " 0,99 Happify. App für Android und PC. Über Google Play Store und happify.com, kostenlos

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Teamarbeit mit dem Leben Manchmal ist uns nach gar nichts. Irgendetwas hat uns die Stimmung verhagelt, und wir versinken in Selbstmitleid und Melancholie. Die Psychotherapeutin Eva Wlodarek dröselt in Vertrau dem Leben verschiedene Gründe und Ursachen auf, die oftmals für diese Gefühle verantwortlich sind, und erklärt, wie wir damit gut umgehen können. Sie durchforstet unsere Vorstellungen von „A wie Abenteuer“ bis „Z wie Zeit“. Zum Beispiel „J wie Ja sagen – Realität ist formbar“. Hier sollen wir uns fragen: „Was läuft derzeit nicht gut? Was funktioniert nicht? Was macht mich unglücklich?“ Im nächsten Schritt geht es an die Lösung des Problems: Was genau soll sich ändern? Wollen wir an unserer Einstellung arbeiten oder an einer konkreten Verhaltensweise? Wlodareks Rat lautet: „Wir sollten im Bereich des Möglichen bleiben und prüfen, welche Veränderungen wir eigenständig in die Wege leiten können. Haben wir herausgefunden, was wir tun können, um unsere gegenwärtige Realität positiv zu beeinflussen, geht es darum, das konsequent umzusetzen. Egal wie klein die Schritte sind, die für uns im Bereich des Möglichen liegen.“ Diese Selbsthilfe nennt die Autorin „Teamarbeit mit dem Leben“ – sicher nichts für das ganz schwere Leid, aber doch für die kleinere oder mittlere Sinnkrise zwischendurch. Eva Wlodarek: Vertrau dem Leben. Von A wie Abenteuergeist bis Z wie Zeitreise. Herder, Freiburg im Breisgau 2016, 144 S., " 16,99

Atemmeditation Der amerikanische Psychotherapeut und Yogalehrer Antonio Sausys beschreibt in seinem Buch Seelen-Yoga eine Reihe von einfachen Übungen, die Verlust und Trauer bewältigen helfen. Die folgende Atemmeditation etwa sei „eine wirkungsvolle Möglichkeit, im Hier und Jetzt zu sein, statt über die Vergangenheit oder die Zukunft nachzudenken“. So geht die Übung: 1. Setzen Sie sich in eine bequeme Position. Der Rücken ist gerade, die Hände ruhen mit den Handflächen nach oben auf den Knien 2. Bleiben Sie still sitzen 3. Richten Sie die Aufmerksamkeit auf Ihren Atem. Nehmen Sie wahr, wie die Luft sanft durch die Nasenlöcher ein- und ausströmt 4. Nehmen Sie jedes Einatmen und jedes Ausatmen bewusst wahr 5. Kehren Sie immer, wenn die Gedanken woandershin wandern, mit der Aufmerksamkeit zu Ihrem Atem zurück. Setzen Sie die fortschweifenden Ge-

Musik für melancholische Stimmungen

danken genauso, wie Sie Papierschiffchen in das fließende Wasser eines Baches setzen würden, in den Fluss Ihres Ausatmens hinein 6. Bleiben Sie mit der Aufmerksamkeit

In manchen Situationen tut es gut, Musik zu hören, die das eigene Gefühl bestätigt.

1. Hallelujah – Rufus Wainwright 2. Nothing compares to you – Sinead O’Connor 3. Everybody hurts – REM 4. Tears in heaven – Eric Clapton 5. Leaving on a jet plane – Peter, Paul and Mary 6. Young and beautiful – Lana Del Rey 7. Someone like you – Adele 8. Fix you – Coldplay 9. Love is a losing game – Amy Winehouse 10. No Surprises – Radiohead 90

bei Ihrem Atem und atmen Sie jeden fortschweifenden Gedanken aus Empfohlene Dauer: 5 bis 10 Minuten

Antonio Sausys: Seelen-Yoga. Mit einfachen Übungen Verlust und Trauer überwinden. O. W. Barth, München 2015, 176 S.,

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Der Schrecken der Vergänglichkeit Wie beeinflusst das Wissen um unsere Sterblichkeit unser Leben? Der Saal lehrte sich immer schneller, als 1984 die drei jungen Sozialpsychologen Sheldon Solomon, Jeff Greenberg und Tom Pyszczynski auf der Jahrestagung der Vereinigung nordamerikanischer Sozialpsychologen ihre „Terror-ManagementTheorie“ vorstellten. Diese Forschung befasst sich mit dem Thema „Angst vor dem Tod“. Dabei geht es um typische Reaktionsmuster (Management), die Menschen angesichts des Bewusstseins der eigenen Sterblichkeit (Terror) entwickeln. Als die drei Begründer wenig später beim American Psychologist einen Artikel über ihre Theorie einreichten, war das Schweigen lang und die Ablehnung eisig. Moniert wurde: Es gebe keine Beweise für die These, dass Menschen deshalb nach einem erfüllten und sinnvollen Leben strebten, um ihrer tiefsitzenden Todesfurcht Herr zu werden. Deshalb machten sich Solomon, inzwischen Professor am Skidmore College im US-Bundesstaat New York, Greenberg, heute an der University of Arizona beschäftigt, und der freiberuflich tätige Pyszczynski die nächsten 25 Jahre daran, dies durch 500 empirische Studien zu belegen. Ergebnis ist dieses gut geschriebene, eingängige und nachdenklich stimmende Buch – der Nachweis ihrer Theorie. Ihnen geht es nicht zuletzt auch darum, wie es am Schluss heißt, „wie wir das Beste aus dem Leben mit dem Tod machen können“. Die Autoren zeigen auf überzeugende und erhellende Weise, dass ein akutes Bewusstsein der eigenen Sterblichkeit den Selbsterhaltungstrieb in Extremsituationen massiv aktiviert. So schlug sich eine Jugendliche aus einer amerikanischen Mittelstandsfamilie als einzige Überlebende eines Flugzeugabsturzes tagelang durch wildes Amazonasgebiet. Der Gedanke an die eigene Vergänglichkeit befördert auch das Streben nach Selbstachtung und verstärkt das kulturelle Weltbild in Form von Abgrenzung der eigenen Gruppe von anderen Gruppen. So werden Richter härter, amerikanische Studenten patriotischer und Religiöse fanatischer, wenn ihnen ihre Mortalität vor Augen geführt wird. Dies ist ein Buch, das das Wissen über den unleugbaren Umstand, dass Sterblichkeit das zu lebende Leben beeinflusst, lehrreich akzentuiert – sowohl für das breite Publikum wie auch für Therapeuten und Sterbebegleiter. Woher stammt der für ein psychologisches Buch so poetische Titel? Als „Wurm im Herzen des Menschen“ bezeichnete der amerikanische Psychologe und Philosoph William James einst

das Wissen um unsere Vergänglichkeit. Entnommen ist er seiner Abhandlung Die Vielfalt religiöser Erfahrung. „Wir brauchen ein Leben, das nicht an den Tod gebunden ist“, schrieb James 1902, „etwas Gutes, das nicht vergeht, ja tatsächlich ein Gut, das sich über alle natürlichen Güter erhebt.“ Und: „Eine kleine Reizbarkeit … (wird) den Wurm im Kern unseres gewöhnlichen Vergnügens vollständig sichtbar machen und uns in melancholische Metaphysiker verwandeln.“ ALEXANDER KLUY

Sheldon Solomon, Jeff Greenberg, Tom Pyszczynski: Der Wurm in unserem Herzen. Wie das Wissen um die Sterblichkeit unser Leben beeinflusst. Aus dem Englischen von Susanne KuhlmannKrieg. DVA, München 2016, 368 S., " 24,99

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Bildquelle: Gräfe und Unzer Verlag / Foto: Julia Hoersch

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„Der melancholische Mensch geht nie konform mit dem Modischen, dem Zeitgeist. Er durchschaut die oberflächlichen

„Schokoladenflammeri“

Fassaden und leidet an der Hohlheit des Konsumismus.“

Schokolade macht glücklich, das wussten wir schon immer. Natürlich könnte man nach dem Essen auch einfach ein Stückchen von der Tafel brechen und naschen. Aber in löffelbarer Form zergeht sie noch feiner auf der Zunge – und das Schokoladenglück hält länger vor. Für 4 Portionen · Pro Portion ca. 300 kcal 20 Min. Zubereitung · 2 Std. kühlen 125 g Bitterschokolade (mind. 70 % Kakaoanteil) 35 g Speisestärke, 500 ml Milch, 2 gestrichene EL Zucker, 1 gehäufter EL Kakaopulver 1. Die Schokolade grob hacken. Die Speisestärke mit 4 EL Milch glattrühren. Übrige Milch, Zucker, Kakao und Schokoladenstückchen aufkochen, dabei ab und zu umrühren, bis sich die Schokolade aufgelöst hat. Die angerührte Stärkemischung in die kochende Schokoladenmilch gießen und unter ständigem Rühren einmal aufkochen. 2. Kleine Förmchen oder Tassen kalt ausspülen und die Puddingmasse einfüllen. Etwas abkühlen lassen, dann die Förmchen im Kühlschrank mindestens 2 Stunden kaltstellen. 3. Zum Servieren die Förmchen kurz in heißes Wasser setzen und die Puddinge auf Teller stürzen. Dieses Rezept finden Sie in dem Buch Küchenschätze. Rezepte für die Seele. aus dem Gräfe und Unzer 2015, 224 S., " 19,99

JOSEF ZEHENTBAUER

Josef Zehentbauers Buch Melancholie: Die traurige Leichtigkeit des Seins erschien 2014 in vierter, überarbeiteter Auflage im Verlag Peter Lehmann

Das hoffnungsvolle Leiden Was ist Schwermut? Woher kommt sie? Wie unterscheidet sie sich von Traurigkeit, Depression und Verzweiflung? Hat die Schwermut einen Sinn – und wenn ja, welchen? Die Schriftstellerin Luise Rinser (1911–2002) widmete sich diesen Fragen bereits 1962 in ihrem Essay Vom Sinn der Traurigkeit, der jetzt als E-Book neu aufgelegt wurde. Eine Lektüre lohnt sich immer noch, denn Rinser seziert klar und deutlich die verschiedenen Begriffe, die oftmals synonym verwendet werden, von Schwermut über Trübsinn bis zu Melancholie. Sie beleuchtet die Begriffe unter philosophischen, psychologischen, historischen und theologischen Gesichtspunkten. Zum Schluss kommt sie zu der Erkenntnis: „Schwermut ist das immerwährende hoffnungsvolle Leiden der Geschöpfe an der Versehrtheit der Welt und an dem Verbanntsein von der Anschauung Gottes.“ Luise Rinser: Vom Sinn der Traurigkeit. Fischer E-Books 2016, 54 S., " 7,99

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Das Klavierspielen ist für Protagonistin Tiffany Blechschmid mit negativen Erinnerungen besetzt

Wie man trotzdem glücklich wird Die Verfilmung des Klassikers Anleitung zum Unglücklichsein von Paul Watzlawick wird der Vorlage nicht immer gerecht, kann an miesen Tagen aber durchaus Trost spenden Bis vor kurzem wollte ganz Deutschland noch glücklich sein. Eine Vielzahl von Glücksratgebern erschien auf dem Buchmarkt. Inzwischen mehren sich wieder Stimmen, die den Wert des Unglücklichseins postulieren. Die deutsch-amerikanische Regisseurin Sherry Hormann etwa entschied sich für eine Verfilmung des Bestsellers Anleitung zum Unglücklichsein des österreichischen Psychoanalytikers Paul Watzlawick. Das Streben nach Glück und die Kunst des Unglücks sind Dauerbrenner – auch im Film. Dabei ist es kein leichtes Unterfangen, Watzlawicks Sachbuch für einen Kinofilm zu fiktionalisieren. Watzlawick entwarf 1983 ein humorvolles Gegenstück zur vorherrschenden Selbstoptimierungs-Ratgeberliteratur und demonstrierte stattdessen, wie es gelingen kann, das eigene Leben vollends unerträglich zu gestalten. Kapitel für Kapitel erklärt er, mithilfe welcher Mittel das Unglück in Reinform erreicht werden kann, beispielsweise durch das konsequente Verwerfen der eigenen Bedürfnisse, durch sturen Pessimismus („Das Glas ist halb leer“), das Heraufbeschwören von selbsterfüllenden Prophezeiungen oder die Verherrlichung der Vergangenheit. Auch Tiffany Blechschmid (Johanna Wokalek), die knapp 30-jährige Protagonistin von Sherry Hormanns Film, hat ein ausgeprägtes Talent zum Unglücklichsein. Die Feinkostladenbesitzerin mit dem lächerlichen Namen verkörpert genau, was Watzlawick empfiehlt: Sie steigt morgens abergläubisch mit dem rechten Fuß zuerst aus dem Bett, resigniert, wenn die Ampeln wieder einmal auf Rot schalten, und findet selbst bei schönstem Sonnenschein noch ein fernes Regenwölkchen am Himmel. Und auch im Privatleben läuft alles schief: Noch immer wohnt Tiffany in der elterlichen Wohnung und schläft in Abwesenheit eines Partners in einem jungfernhaften 90-Zentimeter-Bett. Statt Neues zu wagen, klammert die Neurotike-

rin sich an schwierige Kindheitserinnerungen wie das verpatzte Klaviervorspiel oder das Scheitern der Ehe ihrer Eltern. Und kommt stets zum Ergebnis: „Alle anderen sind immer besser als ich, eigentlich darf ich gar nicht glücklich sein.“ So weit, so Watzlawick. Drehbuchautorin Sherry Hormann hat sich redlich bemüht, dessen Kernthesen in ihrem Charakter Tiffany unterzubringen. Dennoch ist die Umsetzung nur bedingt geglückt. Trotz der gelungenen Performance von Johanna Wokalek verfügt die Figur Tiffany über wenig Tiefe und handelt oft nicht nachvollziehbar. Warum Tiffany beispielsweise mit dem prolligen Polizisten Frank ins Bett steigt und nicht mit dem netten Fotografen Thomas, erschließt sich vielleicht über die Vorlage Watzlawicks, nicht aber aus der Figur heraus. Es fehlt an Authentizität, der Charakter Tiffanys scheint zu sehr am Reißbrett entworfen, mit dem Ergebnis, dass der Zuschauer innerlich einfach nicht mitgehen kann. Trotzdem bringt der Film Spaß. Der wunderbare Feinkostladen Tiffanys, die femininen Kostüme, die Chansonmusik im Hintergrund und die knusprigen Schnitzel in der Pfanne – das alles erinnert an eine herzhafte Version des Films Chocolat. Ein Feelgood-Movie für die Sinne also, mit opulenter Ausstattung und großartiger Besetzung. An den psychologischen Tiefgang und humorvollen Hintersinn des Sachbuchs Anleitung zum Unglücklichsein reicht der Film allerdings nicht heran. A N N E - E V U S TO R F

Anleitung zum Unglücklichsein. DVD. Universum Film 2016. Laufzeit: 114 Minuten. " 6,97

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