Landschaftsfraß ohne Ende? Nein, danke! Warum und wie ist eine Tourismusgemeinde vor Übernutzung zu schützen? Gerlind Weber Abendveranstaltung
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Ramsau, 11.Februar 2020
Warum ist eine Tourismusgemeinde vor Übernutzung zu schützen? ....weil sie durch fortgesetzten Landschaftsfraß an dem Ast sägt, auf dem sie sitzt – der landschaftsgebundene Tourismus baut auf durch bäuerliche Bewirtschaftung hervorgebrachter „intakter“ Kulturlandschaft auf – maßlose Bauentwicklung zerstört die Erwartungen des Gastes im Hinblick auf „stereotype Landschafts- und Ortsbilder“ einer Tourismusgemeinde – auch die Dauerwohnenden haben ein Recht auf ein hohes Maß an „Baukultur“, als Wohlfühlfaktor und Identitätsstifterin „Die Erhabenheit der Natur wird zusehends banalisiert.“ Reinhold Messner 2
....weil der Klimawandel ein Weiter - wie - bisher nicht zulässt – der Tourismus ist ein wesentlicher Treiber der Erderwärmung (15% gehen auf sein Konto) – nur Anpassungsstrategien an Klimawandel-Folgen (weitere Erschließung von Hochlagen, Kunstschnee) sind kontraproduktiv – Vermeidungsstrategien fordern die Respektierung von Wachstumsgrenzen (Einsatz neuer Technik + effizienter Einsatz von Material und Energie + Verhaltensänderung)
– gilt insbesondere auch für die baulichen Eingriffe in die Kulturlandschaft durch Gebäude a. A., Straßen, Parkplätze, Aufstiegshilfen etc. Das klimaschonendste Haus ist das nie gebaute Hause! 3
....weil der Verlust der Artenvielfalt dramatisch ist enormes Artensterben (seit 2000 -70% weniger Wirbeltiere, -75% weniger Insekten, Verarmung der Pflanzenvielfalt [20 Wiesenblüher 1-2]) trotz immer mehr Schutzgebietsausweisungen werden die „Roten Listen“ immer länger werden der Landwirtschaft laufend Wirtschaftsflächen durch Bebauung entzogen, so kompensiert sie den Flächenverlust durch Intensivierung der Bewirtschaftung (Düngung, häufige Mahd, Ausräumung von Flurelementen) Hinwendung zur Strategie des „integrierten Naturschutzes“ = durchgehend naturverträgliche Landnutzung Mühsam, mit allen Mitteln versteckt die Tourismusindustrie ihre Sünden, wohlwissend dass täglich neue hinzukommen. Winfrid Herbst 4
….weil die intergenerationelle Gerechtigkeit auf dem Spiel steht Der Grundsatz der Nachhaltigkeit ist umzusetzen („Wie müssen wir heute leben…“)
die Errichtung von 1 km Gemeindestraße (incl. Beleuchtung, Gehsteig, Kanal und Wasserleitung) kostet etwa 1,2 Mio €, die Erhaltung in der Folge pro Jahr 25 000 € (Zahlen für Österreich, Quelle: ÖIR, 2015)
der boden- und geldverschlingende Landschaftsfraß beraubt übergebührlich die nachfolgenden Generationen ihrer Freiheitsgrade
diese können ihre Dispositionen hinsichtlich einer adäquaten Lebensraumgestaltung nicht mehr „lastenfrei“ treffen
sind ihrer „Erbfreiheit“ beraubt (vgl. Klimawandel, Artensterben, zu hohe Stoffumsätze) Gefordert: „Bremsspur (auch) für den Tourismus – Aber wie?“ Peter Haßlacher
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Raumplanung – eine Schlüsseldisziplin für Nachhaltigkeit Die Ansprüche (1) Vorsorgeorientierung Raumplanung ist „vorausschauende Lebensraumgestaltung“ – hohe Stoffumsätze Stoffstromanalysen ergaben, dass in Industriestaaten 70% - 80% des Energie- und Materialeinsatzes den Bereichen Siedlungswesen- und Verkehr zuzuordnen sind. Sie werden durch Raumplanung (mit-) entschieden hohe Einsparnotwendigkeiten und –potenziale gegeben Langfristigkeit: heutige Entscheidungen der Raumplanung wirken weit in die Zukunft! hohe Beständigkeit der Strukturen (Gebäude, Straßen, Anlagen) 6
Raumplanung – eine Schlüsseldisziplin für Nachhaltigkeit Die Ansprüche (2) Systemisches Denken Die Einzelentscheidung wird in ihrer Wirkung auf Systeme geprüft (die Gemeinde, die Region, das Land) Komplementarität Abstrakte, globale Phänomene (wie „der Klimawandel“, „das Artensterben“) münden in überschaubaren Räumen in konkrete Handlungsanweisungen
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Raumplanung – eine Schlüsseldisziplin für Nachhaltigkeit Die Wirklichkeit Nachhaltigkeit ist nicht „main-stream“ in der Raumplanung Entscheidungen sind meist „wachstumsgetrieben“ Raumplanung wird von „wachstumsfixierten“ Politikern vollzogen - kurzsichtige, ressourcenverschlingende Entscheidungen sind vorherrschend geringe gesellschaftliche Wertschätzung wesentliche Weichenstellungen sind seit langem getroffen (z.B. Zersiedelung)
Höchste Zeit für einen Paradigmenwechsel in einer von hoher Siedlungsdynamik und Klimawandel besonders stark herausgeforderten Wintersportregion
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Wie kann sich eine Tourismusgemeinde vor baulicher Übernutzung schützen? 1. Klärung der Zuständigkeit
2. Abbau des Baulandüberhangs 3. Eindämmung der Flut an Zweitwohnsitzen
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1.Klärung der Zuständigkeiten „die planmäßige und vorausschauende Gesamtgestaltung eines Gebietes, um die nachhaltige und bestmögliche Nutzung und Sicherung des Lebensraumes im Interesse des Gemeinwohls zu gewährleisten“ (§1 StROG)
Gesetzgebung ist „Landessache“ UND „Gemeindesache“ (8 Landesraumplanungs- bzw. -raumordnungsgesetze + Wiener Bauordnung)
Vollziehung ist „Landessache“ UND „Gemeindesache“ zuständiges Organ auf Landesebene: die Landesregierung zuständiges Organ auf Gemeindeebene: der Gemeinderat 10
Örtliche Raumplanung – ist die Trennung von Bauland und Nichtbauland sowie die Baulandgestaltung
– ist den Gemeinden verfassungsrechtlich garantiert (Art 118 B-VG) – ist „Selbstverwaltungsaufgabe“, d.h. frei von staatlichen Weisungen zu vollziehen – ABER: unter staatlicher Aufsicht zu erledigen (z.B. Flächenwidmungsplanänderungen stehen unter Genehmigungsvorbehalt der Landesregierung) – drei kommunale Plantypen: Örtliches Entwicklungskonzept Flächenwidmungsplan Bebauungsplan 11
Planhierarchie
Festlegung vom Allgemeinen zum Konkreten, vom Langfristigen (15 J.) zum Kurzfristigen ď€ alle drei Plantypen stehen unter Genehmigungsvorbehalt der Landesregierung
2. Abbau des Baulandüberhangs (1) fast alle Gemeinden Österreichs leiden an zu viel gewidmetem Bauland durchschnittlich 30% des gewidmeten Baulands ist österreichweit noch unbebaut dadurch kann eine geordnete Siedlungsentwicklung nicht gesteuert werden, „Landschaftsfraß“ wird begünstigt das ausschließliche setzten baulandmobilisierender Maßnahmen durch Baulandverträge (mit Verwendungsvereinbarung) (§ 35 StROG), Anordnung einer Bebauungsfrist im Flächenwidmungsplan (min. 3000m²), Verhängung einer Investitionsabgabe (§ 36 StROG) läuft Gefahr, die sog. „Legalzersiedelung“ zu befördern es ist eine „Stop-and-Go-Politik“ zu verfolgen
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2. Abbau des Baulandüberhangs (2) Stop-and-Go-Politik 1.Schritt: Reduktion des gewidmeten Baulands a. Rückwidmung von Bauland in Freiland: erfordert viel Verhandlungsaufwand mit den betreffenden Grundeigentümern; die Ausweisung von lokalen Siedlungsschwerpunkten im ÖEK kann die Argumentation stützen b. „Einfrieren der Bebaubarkeit“ durch Verordnung von Aufschließungsgebiet(en) nach §29 Abs3 StROG. Zielt auf nicht (gänzlich) erschlossene unbebaute Baulandgebiete ab c. durch Herstellung der Voraussetzungen über einen Bebaungsplan; dieser wird aber nicht erlassen 2.Schritt: Mobilisierung des erforderlichen Baulandes (s.o) 14
Belastungen durch Zweitwohnsitze (1) viel Bodenverbrauch pro Gästebett in Regionen mit geringem Dauersiedlungsraum (Gebirgsstöcke, Almen, Wälder)
geringe Auslastung übers Jahr nehmen die attraktivsten Lagen in Beschlag (z.B. Chaletdorf am Naturschutzgebiet)
Störung des sensiblen Gefüges Berglandwirtschaft/Tallandwirtschaft stört gewachsene Ortsbilder, Landschaftsbilder
konkurrenziert die ortsständigen Tourismusbetriebe erfordert Ausbau der Infrastruktur auf Spitzenbelastung
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Belastungen durch Zweitwohnsitze (2) verdrängen die (potenziellen) Dauersiedler vom Immobilienmarkt durch Preistreiberei
feuert die Spekulation an (Verkäufer/Käufer) verstärkt Mietwohnungsnot (z.B. für Saisoniers)
Ghettobildung keine Ertragsanteile für Zweitwohnsitzer in der Gemeinde Neigung zu Umgehungsgeschäften
einseitige Spezialisierung auf Tourismus treibt Nachwuchs aus der Region (mangels Diversifizierung des Arbeitsmarktes)
eine Krise der Schlüsselbranche wächst sich zur regionalen Krise aus 16
Eindämmung der Flut an Zweitwohnsitzen Fazit: „Es ist ein Treppenwitz der Geschichte, dass ausgerechnet jener Wirtschaftszweig, der Wohlstand und Arbeit in die abgelegenen Regionen gebracht hat, den Menschen heute vielfach die Möglichkeit nimmt, sich im eigenen Dorf anzusiedeln.“ (Winfrid Herbst, 2019)
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Einfallstore für Zweitwohnsitze (1) 1. Das Einsickern von Zweitwohnungen in „allgemeine Wohngebiete“ (§30 StROG):
dient für Wohnzwecke und Wohnfolgeeinrichtungen und verträgliche Betriebe von „Dauerwohnen“ als Bedingung ist keine Rede diesbezügliche gesetzliche Klarstellung erforderlich
Festlegung als „Beschränkungszone für Zweitwohnsitze“, um die Wohnbedürfnisse der Ortsansässigen zu sichern.
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Einfallstore für Zweitwohnsitze (2) Mögliche Lösungen Streichung der Ausnahme im Grundverkehrsgesetz: „Diese Beschränkungen gelten nicht für Grundstücke, die im Rahmen der gastgewerblichen Beherbergung genutzt werden.“ (§ 17 StGVG) AUCH der Erwerber/Eigentümer eines Gastgewerbes muss Erklärung abgeben, die Liegenschaft nicht zur Begründung eines Zweitwohnsitzes zu nutzen hält sich der Erwerber/Eigentümer nicht daran (Beweisumkehr!), hat die Gemeinde das Recht, die Versteigerung der Liegenschaft bei der Grundverkehrslandeskommission zu beantragen
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Einfallstore für Zweitwohnsitze (3) 2. Das Einsickern von Chaletdörfern, Lodges etc. in die Widmung „Erholungsgebiete“
Erholungsgebiete, sind vornehmlich für Beherbergungsbetriebe bestimmt sind.
Chaletdörfer etc. werden als solche mit Services und Gemeinschaftseinrichtungen der Hotellerie „getarnt“ (Rezeption, Speisesaal, tägliches Wechseln von Wäsche, Reinigung), dienen aber als Zweitwohnsitze und werden als solche verkauft. Oft mit der Verpflichtung diese für Beherbergungszwecke zu vermieten
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Einfallstore für Zweitwohnsitze (4) Mögliche Lösungen
Die Zweckentfremdung von Beherbergungsbetrieben für Zweitwohnungszwecke wird ausdrücklich untersagt, einschließlich der Privatzimmer-Vermietung (à la Airbnb).
Pflicht zur Abgabe einer entsprechenden Erklärung aller Erwerber/Eigentümer/Nutzungsberechtigten hält sich der genannte Personenkreis nicht daran (Beweisumkehr!), hat die Gemeinde das Recht, die Versteigerung der entsprechenden Liegenschaft(en) zu beantragen.
das Beherbergungsgebiet darf nur bei vorhergehender Erlassung eines Bebauungsplanes bebaut werden, der insbesondere auf eine sparsame Bodenverwendung Bedacht zu nehmen hat (also Einfamilienhausstrukturen ausschließt) 21
Ferienwohngebiete sind Flächen, die für Zweitwohnsitze bestimmt sind Mögliche Lösungen
In Gemeinden, wo das Verhältnis Zweitwohnsitze zu den sonstigen Wohnsitzen im Gemeindegebiet mehr als 50% (StROG) beträgt (16% SROG), ist die Widmung Ferienwohngebiete ausgeschlossen.
Bestehende Widmungen sind einer den gegebenen Strukturverhältnissen angemessenen Nachfolgewidmung zuzuführen.
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Alles was Du brauchst, ist weniger!
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O.Univ.-Prof. DI Dr. Gerlind Weber MĂźllnergasse 13/17, 1090 Wien Tel.: +43 664 53 45 648 profgerlindweber@gmail.com www.gerlindweber.at
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