Leibniz-Journal 1/2015: Die Gretchen-Frage. Wie halten wir's mit der Bildung?

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Leibniz-Journal Das Magazin der Leibniz-Gemeinschaft

Die

Gretchenfrage

G 49121

Wie halten wir’s mit der Bildung?

Inklusion

Digitalisierung

Weiterbildung

Wirkstoffe

Eine Schule fĂźr alle

Revolution im Klassenzimmer

Erwachsene auf der Schulbank

Naturgift gegen Tumorzellen


DEUTSCHE UNIVERSITÄTS ZEITUNG

Jung trifft Alt im Hörsaal Die Frage der Generationengerechtigkeit

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L E I B N I Z | I N H A LT

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THEMENSCHWERPUNKT: BILDUNG Bildung ist die wichtigste Ressource unserer Gesellschaft. Und sie stellt Weichen im L ­ eben jedes einzelnen Menschen. Wissenschaftler untersuchen, wie sie trotz ungleich verteilter Chancen gelingen kann.

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KURZ & FORSCH

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NUR SO EIN VORSCHLAG…

...von Leibniz-Präsident Matthias Kleiner

10 TITEL: BILDUNG 10 Interview: Wie werde ich ein guter Lehrer?

27 C. Katharina Spieß: Wertvolle Bildung 28 Ungleiche Chancen: Migranten an deutschen Schulen 32 Erwachsenenbildung: Lernen nach dem Abschluss 36 Kenia: Wissen gegen Überfischung

38 SPEKTRUM

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Marcus Hasselhorn: Frühe Bildung hat Potenzial

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Inklusion: Eine Schule für alle

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Digitale Bildung: Das klickende Klassenzimmer

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Fotos: Fabian Zapatka (Titel, Schwerpunkt, Editorial); Miriam Tamayo/Tanzcompagnie Rubato; Hwa Ja Götz/MfN

12 PISA-Studie: Mehr als „diese Rankingliste“

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Liebe Leserin, lieber Leser,

SPEKTRUM Schöne neue Arbeitswelt?

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AUSSTELLUNGEN Pandas im Museum

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46 AUSSTELLUNGEN 48 LEIBNIZ LIFE 49 Leibniz-Liste 50 Verlosung

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Porträt: Leibniz-Preisträger Christian Hertweck

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Berufsrisiko: Schöne neue Arbeitswelt?

wir möchten Ihnen dieses Mal von Marie und Ahmad erzählen. Marie ist im Rollstuhl unterwegs und besucht die erste integrative Grundschule Deutschlands. Ahmad ist elf Jahre alt, Kind syrischer Kurden. Er wächst in einem Stadtteil auf, den Zeitungen als „sozialen Brennpunkt“ bezeichnen. Auf den ersten Blick haben Marie und Ahmad wenig gemein, eines aber verbindet sie: Ihr Beispiel zeigt, dass einige Menschen hierzulande eine härtere Schule durchlaufen, wenn es um ihre Bildung geht. Bildung ist die wichtigste Ressource ­unserer Zeit. Sie entscheidet, wie wir unser Leben gestalten können und ist auch für die Gesellschaft von zentraler Bedeutung: Alle profitieren von Ausgaben für Kitas, Schulen und Universitäten. Trotzdem steht Bildung nicht jedem gleichermaßen zur Verfügung. Sie muss immer wieder neu erfunden werden, etwa wenn Fortbildungen Fachkräfte liefern sollen,

Technologien das Lernen verändern – oder schlicht das Geld fehlt. Bildungsforscher widmen sich deshalb der Gretchenfrage: Wie kann Lernen für alle gelingen – wie wollen wir es mit der Bildung halten? | Titel ab Seite 10 Im Spektrum stellen wir Ihnen Leibniz-Preisträger Christian Hertweck vor. Er erforscht potentiell heilende Naturstoffe. | Seite 38

Für eine nicht giftig, sondern sachlich und offen geführte Debatte spricht sich Matthias Kleiner aus. „Wir brauchen eine neue wissenschaftliche Streitkultur“, fordert der Leibniz-Präsident in seiner Kolumne „Nur so ein Vorschlag…“. Viel Spaß bei der Lektüre! David Schelp Redakteur

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Rückzugsort Borneo Riesige Waldgebiete, die Orang-Utans als Rückzugsort dienen könnten, haben Wissenschaftler des Berliner Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung und britische Kollegen auf Borneo ermittelt. Dazu entwickelten sie Modelle für geeignete ­Lebensräume, die weder vom Klimawandel noch von Landnutzungskonflikten wie Abholzung oder Brandrodung zu stark betroffen sind. Die Gebiete könnten den Primaten laut der Studie auch in den kommenden Jahrzehnten als Lebensraum in den ältesten und artenreichsten tropischen Regenwäldern der Erde dienen. Ihre Entdeckung ist von großer Relevanz: Aktuellen Forschungsergebnissen zufolge könnten Abholzung und Klimawandel bis zu 74 Prozent des Lebensraums der akut vom Aussterben bedrohten Tiere zerstören. Die Wissenschaftler fordern deshalb, die neu entdeckten A ­ reale unter ­ Naturschutz zu stellen. Global Change Biology, DOI: 10.1111/gcb.12814

Gesunde Bewegung

Bewegung begünstigt schon bei Kindern einen niedrigen Blutdruck, das hat eine Forschungsgruppe der Universität Zaragossa unter Beteiligung des Leibniz-Instituts für Präven­ tionsforschung und Epidemiologie – BIPS herausgefunden. Die Wissenschaftler werteten dazu die Bewegungsaktivität von über 5.000 Kindern aus acht europäischen Ländern im Alter von zwei bis neun Jahren aus – Daten der vom BIPS und der Universität Bremen koordinier-

ten IDEFICS-Studie. Wie genau Bewegung den Blutdruck beeinflusst, ist noch nicht abschließend geklärt. Es gibt jedoch Belege dafür, dass Anstrengung eine Erweiterung der Blutgefäße stimuliert: Der Blutdruck sinkt infolgedessen. S­ tudien belegen zudem, dass diese Effekte lang­fristig sind. Sport in frühen ­Jahren wirkt sich demnach positiv auf den Blutdruck im ­Erwachsenenalter aus.

International Journal of Cardiology, DOI: 10.1016/j.ijcard.2014.11.175

DOI = Digital Object Identifier, ein eindeutiger und dauerhafter Identifikator für digitale Objekte, vor allem für Online-Artikel von wissenschaftlichen Fachzeitschriften verwendet

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Rapsöl schlägt Olivenöl

Rapsöl hat dem Deutschen Institut für Ernährungsforschung zufolge einen positiveren Einfluss auf die Cholesterin- und Leberwerte übergewichtiger Männer als Olivenöl. Die Wissenschaftler testeten 18 adipöse Probanden im Alter von 39 bis 63 Jahren. Neun von ihnen nahmen täglich 50 Gramm raffiniertes Rapsöl zu sich, die anderen 50 Gramm kaltgepresstes Olivenöl. Nur bei der Rapsölgruppe ver-

besserten sich in der vierwöchigen Testphase beide Werte: Der Cholesterinspiegel sank, die Leberwerte verbesserten sich. Auch die Produktion des entzündungsfördernden Botenstoffs Interleukin 6, der im Verdacht steht, Typ-2-Diabetes hervorzurufen, nahm ab. Studien mit mehr Probanden sollen die Zusammenhänge überprüfen. Molecular Nutrition & Food Research, DOI: 10.1002/ mnfr.201400446

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Bakterienskelett aufgeklärt

Dem Berliner Leibniz-Institut für Molekulare Pharmakologie (FMP) ist es gelungen, die Struktur eines erst kürzlich entdeckten Proteins aufzuklären: Bactofilin ist mitverantwortlich für das Entstehen von Entzündungen und Geschwüren im Magen. Und eines der wenigen Proteine, die ausschließlich im Zytoskelett von Bakterien vorkommen, nicht aber in der Zellstruktur von Tieren oder Pflanzen. Nachgewiesen wurde es etwa in den Helicobacter-Bakterien, die sich im Magen ansiedeln. Erst Bacto-

filin verleiht ihnen ihre charakteristische Schrau­ benform, die es ihnen ermöglicht, sich in die schützende Schleimschicht des Magens zu bohren. Die Erkenntnisse des FMP könnten helfen, neue Antibiotika gegen die Magenbakterien zu entwickeln. Das wäre von großer Bedeutung: Die Helicobacter-Bakterien sind bereits gegen viele Wirkstoffe ­resistent. Proceedings of the National Academy of Sciences, DOI: 10.1073/pnas.1418450112

Wirksames Verkaufsverbot

Das Alter der Sterne

Wie alt sind die Sterne am Himmel? Auf diese Frage gab es bislang nur vage Antworten. Ein Forscherteam vom HarvardSmithsonian Center for Astrophysics hat nun unter Mitarbeit des Leibniz-Instituts für Astrophysik ­Potsdam eine Metho­de ent­wickelt, die das Alter der Himmelskörper mit lediglich zehnprozentiger Ungenauigkeit bestimmen kann. Von zentraler Bedeutung sind dabei deren Masse und Rotationsgeschwindigkeit. Das Wissen über das Alter eines Sterns ist Schlüssel zu weiteren Erkenntnissen. Unter anderem können auf seiner Basis Prognosen darüber erstellt werden, ob in seinem Umkreis prinzipiell Leben möglich ist. Nature, DOI:10.1038/ nature14118

Fotos: Anup Shah/WWF (li.); Sascha Kohlmann/Flickr

Pilztest

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Seit Einführung des nächtlichen Alkoholverkaufsverbots in Baden-Württemberg sind dort in der Gruppe der 15- bis 24-Jährigen sieben Prozent weniger alkoholbedingte Krankenhausaufenthalte erfasst worden. Auch die Zahl der Fälle der Körperverletzungen unter Alkoholeinfluss nahm ab, so eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) und des Hamburg Center for Health Economics. Die Wissenschaftler untersuchten die Auswirkungen des Verkaufsverbots in Supermärkten, Kiosken und Tankstellen nach 22 Uhr. Bei den Erwachsenen über 25 Jahren

stellten sie keine nennenswerte Veränderung fest. Sie führen dies unter anderem darauf zurück, dass diese, anders als viele Jugendliche, über ausreichend finanzielle Mittel verfügen, Alkohol in Restaurants und Kneipen zu konsumieren. Dort ist der Ausschank nach 22 Uhr nach wie vor erlaubt. In allen anderen Bundesländern nahm die Anzahl der Krankenhausaufenthalte in Folge übermäßigen Alkoholkonsums im gleichen Zeitraum zu. Das Alkoholverkaufsverbot könnte so auch auf Bundes­ ebene interessant werden. DIW Discussion Papers 1443

Forscher des Jenaer Leibniz-Instituts für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie – Hans-KnöllInstitut und Kollegen haben einen Bluttest entwickelt, der schon im frühen Stadium nachweisen kann, mit welcher Pilzart sich ein Patient infiziert hat. Das Verfahren weist im Blut ­körpereigene ­Abwehrzellen nach, die auf eine Pilz­ infektion reagieren. Die Immunzellen dienen so als hochsensitive und spezifische Sensoren für Krankheitserreger. Pilze bilden sich häufig in feuchten oder selten gelüfteten Räumen. Insbesondere für Menschen mit geschwächtem Immunsystem sind sie

eine ernste Gefahr. Sie können etwa schwere Entzündungen in Lunge oder Gehirn verursachen – und im fortgeschrittenen Stadium tödlich sein. Nach einer Vorstudie mit 69 Probanden soll die Wirksamkeit des Tests nun in einer größeren Gruppe bestätigt werden. Langfristig wollen die Forscher so ein Standard-Diagnostikverfahren entwickeln, das die Überlebenschance Betroffener erheb­lich steigern könnte.

American Journal of Respiratory and Critical Care Medicine, DOI: 10.1164/ rccm.201407-1235LE

Sauerstoff für die Ostsee

Ein seltenes ­Phänomen haben Ozeanographen des Warnemünder Leibniz-Instituts für Ostseeforschung im vergangenen Dezember beobachtet: Große Mengen Salzwasser aus der Nordsee strömten in die Ostsee. Es war der größte Salzwassereinbruch seit 60 Jahren und der drittgrößte seit Beginn der meereskundlichen ­Messungen. Für das Ökosystem der ­Ostsee sind Ereig­ nisse wie diese von immenser Bedeutung. Das Nordseewasser ist sehr sauerstoffreich und mildert so den insbesondere in Bornholm- und Gotlandbecken bestehenden Sauerstoffmangel. Über den Öresund gelangte es durch die Belte in die Ostsee. Drei Wochen andauernder Westwind begünstigte den Zustrom.

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Gewitterwarnung in

Zahlen

170.701 Besucher

Forscher des Leibniz-Instituts für Troposphärenforschung (TROPOS) sind zuversichtlich, schwere Gewitter künftig noch früher und exakter vorhersagen zu können. In einer Studie haben sie die Temperatur von Wolkenoberkanten vor und während eines Gewitters analysiert. So konnten sie auf die Größe und nach längerer Beobachtungszeit auch auf das Wachstum einer Wolke schließen. Die Untersuchungen ergaben, dass zwischen dem Ausbruch eines Gewitters und seinen ersten Anzeichen ungefähr eine Stunde vergeht. Das Analyseverfahren soll nun weiter optimiert werden. Dann könnten die Vorhersagen des TROPOS Einzug in Warnungen der europäischen Wetterdienste halten. Journal of Applied Meteorology and Climatology, DOI: 10.1175/JAMC-D-14-0144.1

BMI arbeitet Nachkriegsgeschichte auf

hatte die Dokumentation Obersalzberg des Instituts für Zeitgeschichte bei Berchtesgaden im Jahr 2014. Das ist die zweithöchste Zahl seit der Eröffnung der Dauerausstellung über die Geschichte des früheren „Führer-Sperrgebiets“ und der nationalsozialistischen Diktatur. Mit 31.090 Besuchen war der vergangene August sogar der besucherstärkste Monat in der 15-jährigen Geschichte der Dokumentation. www.obersalzberg.de

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Um Prozent sind die Kaufpreise für landwirtschaftliche Flächen in Deutschland laut dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung Berlin seit dem Jahr 2000 gestiegen. Grund dafür seien aber nicht Spekulationen, sondern die besseren Verdienstaussichten der Landwirte. Diese stiegen von durchschnittlich 595 Euro Gewinn pro Hektar für einen Haupterwerbsbetrieb im Jahr 2001/2002 auf 839 Euro pro Hektar im Jahr 2012/13. DIW-Wochenbericht 3/2015

Fotos: Rolf Friedrich/pixelio; Imagewell/shutterstock (li.); triff/shutterstock (re.)

144,6 Milliarden Euro

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Das Bundesministerium des Innern (BMI) will seine Nachkriegsgeschichte wissenschaftlich aufarbeiten. Innenminister Thomas de Maizière hat dazu das Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam und das Institut für Zeitgeschichte München-Berlin mit einer Vorstudie beauftragt, die das Forschungsfeld abstecken

wird. Die Historiker sollen unter anderem beleuchten, welche Bedeutungvom Nationalsozialismus belastete Beamte im Dienst des BMI und des Ministeriums des ­Innern der DDR hatten. Als Grundlage dienen ihnen die Aktenbestände der beiden Ministerien. Der Start der Hauptstudie ist für Anfang 2016 geplant.

hat die deutsche Wirtschaft im Jahr 2013 für die Entwicklung und Einführung neuer Produkte und Prozesse ausgegeben. Damit stiegen die Innovationsausgaben gegenüber dem Vorjahr um 5,3 Prozent auf einen neuen Rekordwert. Das ergab eine jährliche Erhebung des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim zum Innovationsverhalten der deutschen Wirtschaft im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. ftp://ftp.zew.de/pub/zew-docs/ mip/14/mip_2014.pdf

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LEIBNIZ | KURZ & FORSCH Gefährliche Grenzüber­ schreitung

Sechster Sinn

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Karte, Kompass, GPS: All diese Hilfsmittel könnten überflüssig werden, wenn der Mensch mit einem Magnetsinn ausgestattet würde. Die Basis dafür hat nun das Leibniz-Institut für Festkörper- und Werkstoffforschung Dresden in Zusammenarbeit mit Kollegen aus Chemnitz und Japan gelegt. Die Wissenschaftler entwickelten einen neuartigen, extrem flexiblen Magnetsensor, der sich der menschlichen Haut ideal anpassen kann. Gleich-

zeitig ist der mit einer widerstandsfähigen Polymerschicht ausgestattete Sensor ultradünn, robust und mit gerade einmal drei Gramm pro Quadratmeter so leicht, dass er auf einer Seifenblase schweben könnte. Sein Träger könnte mit seiner Hilfe sowohl statische als auch dynamische Magnetfelder wahrnehmen – und sich so ganz einfach orientieren. Nature Communications, DOI: 10.1038/ncomms7080

Wie viel menschlichen Einfluss kann der Planet ertragen? Um diese Frage ­greifbar zu machen, haben Wissenschaftler des Potsdam-­Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) in Zusammenarbeit mit Forschern aus der ganzen Welt ­bereits 2009 das Konzept von insgesamt neun planetaren Grenzen entwickelt, die die Stabilität des ­Erdsystems ­garantieren. Nun sind vier dieser Grenzen bereits überschritten, wie das PIK in Zusammenarbeit mit anderen Wissenschaftlern herausgefunden hat: Klimawandel, Biodiversitätsver-

lust, Landnutzung und biogeochemische Kreisläufe. Bei Klimawandel und Artensterben sei die Situation besonders kritisch – sie könnten das Erdsystem in einen neuen Zustand versetzen. Insbesondere die globale Erwärmung schreitet voran: So beträgt der Anteil von CO2 in ­der ­Atmosphäre momentan 399 ppm (parts per million) und steigt um jährlich etwa 3 ppm an. Dabei sollte dieser Wert nicht größer sein als 350 ppm, um eine Stabilisierung der globalen Tempe­ raturen bei etwa 1,5 Grad Celsius über vorindustriellem Niveau zu sichern. Science, DOI: 10.1126/ science.1259855

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LEIBNIZ | KURZ & FORSCH

Weite statt Wald Anders als bislang angenommen haben Wisente dem Leben im Wald ursprünglich ein Leben in offenen Landschaften vorgezogen. Das hat das Senckenberg Center for Human Evolution and Paleoenvironment gemeinsam mit deutschen und polnischen Kollegen herausgefunden. Die Wissenschaftler analysierten 10.000 bis 12.000 Jahre alte Wisent-Knochen, um mehr darüber zu erfahren, wie die vor 200 Jahren nahezu ausgestorbenen Tiere sich ursprünglich ernährten und lebten. Die braunen Kolosse fraßen demnach nicht nur Blätter, sondern auch Gras und Flechten, die in Wäldern nicht vorkamen. Das ge­wonnene Wissen könnte auch für die 3.000 W ­ isente E ­ uropas von Bedeutung sein: Derzeit leben sie in ­Wäldern, in ­denen sie den Winter nur mit menschlicher Hilfe überstehen. Artgerechter könnten sie in offenen Landschaften untergebracht sein. PLOS ONE, DOI: 10.1371/journal.pone.0115090

Erstmals haben Forscher des Leibniz-Instituts für Pflanzenbiochemie in Halle beobachtet, dass Pflanzen nicht nur auf Lichtmangel, sondern auch auf hohe ­Temperaturen eine Stressreaktion ­zeigen: Beim ­sogenannten Streckwachstum recken sie sich in die Höhe, vermutlich um ihre Blätter effizienter zu kühlen. Noch nicht geklärt ist, ob die physiologische ­Reaktion auf hohe Temperaturen die gleichen Mecha­ nismen durchläuft wie das Streckwachstum bei Lichtmangel. ­Angesichts der globalen Erwärmung sind Erkenntnisse zur pflanzlichen Anpassung auf steigende Temperaturen wichtig, um die landwirtschaftlichen Erträge auch unter veränderten Umweltbedingungen langfristig zu sichern. Cell Reports, DOI: 10.1016/ j.celrep.2014.11.043

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Fliegenhirn

Dass Fruchtfliegen (Drosophila melanogaster), die im ­Sommer als Plagegeister in Scharen in unseren Küchen auftauchen, besonders helle Köpfchen sind, unterstellt ihnen kaum jemand. Nun haben ­Wissenschaftler am Leibniz-Institut für Neurobiologie bei ihnen jedoch ein erstaunliches assoziatives Lernvermögen festgestellt. Sie zeigten, dass Fruchtfliegen in der Lage sind, zwei Gerüche zu unterscheiden und denjenigen auszuwählen, bei dem sie eine Belohnung mit Zucker erwarten. Demnach können sich die Fliegen an die Art und Stärke einer Belohnung (Zucker) oder Bestrafung (Salz) im Zusammenhang mit verschiedenen Gerüchen erinnern. Angesichts von nur rund 10.000 Nervenzellen überrascht die Komplexität der Erinnerungen. eLife, DOI: 10.7554/ eLife.04711

Wer ist Pegida?

58 Sozialwissenschaftler und Helfer um den Protestforscher Dieter Rucht vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung haben am 12. Januar eine Pegida-Demonstration in Dresden beobachtet und die Demons­ trierenden zur Teilnahme an einer Online-Befragung eingeladen. Sie konnten 670 Handzettel verteilen. Die Mehrheit der Angesprochenen habe deren Annahme und Gespräche jedoch verweigert. Auch die Zahl derer, die sich in den folgenden Tagen an der Online-Befragung beteiligten, war im Vergleich zu Befragungen bei anderen politischen

Demonstrationen (Stuttgart 21, Hartz IV) extrem niedrig. An der Befragung nahmen überwiegend Männer aus der Region Dresden teil, die mehrheitlich älter als 40 Jahre alt sind, über ein hohes Bildungsniveau verfügen und im Berufsleben stehen. Aufgrund der geringen Rücklaufquote konnten die Forscher allerdings keine Aussage über den „typischen“ Pegida-Demonstranten treffen. Sie vermuten, dass gerade die radikaleren Teilnehmer sich ihren Fragen verweigerten. www.wzb.eu/sites/default/files/u6/ pegida-report_berlin_2015.pdf

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Fotos: picture alliance; Kalispera Dell/Wikimedia Commons CC BY 3.0

Pflanzenstress


Foto: Christoph Herbort-von Loeper

LEIBNIZ | KOLUMNE

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Gelegentlich werde ich gefragt, wie ich als Präsident der Fragen zu stellen. Wissenschaft heißt, vermeintliche Leibniz-Gemeinschaft zu unterschiedlichen und auch ­Sicherheiten zu hinterfragen. Dem trägt das Konzert wiskontroversen wissenschaftlichen Positionen stehe, die senschaftlicher Stimmen Rechnung, das wohlweislich aus der Forschung und den Erkenntnissen der 89 unab- auf gemeinsamen Maßstäben beruht und beruhen muss. hängigen Leibniz-Institute entstehen und vertreten werDaher kann ich von Herzen und überzeugt dafür den. Manchmal meine ich darin einen skeptischen Unter- plädieren, wissenschaftliche Ungewissheiten auch auston herauszuhören, der mich verwundert. zusprechen. Unsere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler tun gut daran, ihre Positionen offen zu Tatsächlich gibt es gerade in der Leibniz-Gemeinschaft eine Vielfalt wissenschaftlicher äußern und zu begründen. Sie tun gut daran Perspektiven und Schlussfolgerungen. Ich offenzulegen, wenn sie annähernde, aber ­denke: Zum Glück gibt es sie, zum Wohl keine hundertprozentige Sicherheit er„Wie wäre es langt haben. Sie tun gut daran, ihre wisunserer Forschung und damit auch zum mit einer senschaftliche Meinung neben andere Wohle aller, die von ihr profitieren. Ich neuen wissenschaftliche Meinungen zu stellen, erkenne in dieser Vielfalt von dargelegten wissenschaftlichen stünde sie dort auch im Widerspruch. Es und fundierten Meinungen das Wesen der gelte: Fortiter in re, suaviter in modo – hart Wissenschaft selbst. Sie ist nämlich AusStreitkultur?“ druck dessen, was wir den wissenschaftliin der Sache, fair im Umgang. chen Diskurs nennen: Diese Vielfalt ermöglicht Wie wäre es, diese Grundsätze auch in eine erst die Begründung und Erörterung von Ergebtransdisziplinäre und gleichsam transparente nissen, ihre Überprüfung bis hin zur Feststellung und ja, wissenschaftliche Streitkultur münden zu lassen? Dazu auch zur Festlegung. Sie kann darin aber auch nach dem bräuchte es nur ein wenig mehr Mut zum Diskurs und gegenwärtig letzten Kenntnisstand noch mehrdimen- zur Meinung – immer mit der Offenheit, eigene Standsional sein und bleiben. Das Schlüsselwort ist „gegen- punkte zu hinterfragen, zu modifizieren, aber natürlich wärtig“: Immer kann es zukünftige oder verwandte Er- auch beharrlich zu vertreten, wenn und wo es angezeigt kenntnisse geben, die für die ganzheitliche Betrachtung ist. von Sachverhalten unerlässlich sind. Wissenschaftliche Denn eines kann die Wissenschaft weder ihren Positionen markieren immer auch Zeitpunkte und Weg- ­ Akteuren, noch den Bürgerinnen und Bürgern, noch marken der Forschung. den politischen Entscheidungsträgern abnehmen: ihre Wir haben diesen wissenschaftlichen Diskurs gerade eigenen Entscheidungen zu treffen und dafür einzustein den letzten Jahren vielfach beschworen, wenn es da- hen. Hierzu ist unerlässlich zu kennzeichnen, wo wisrum ging, die selbstordnenden Kräfte der wissenschaft- senschaftliche Evidenz endet, um so den politischen Gelichen Disziplinen und ihrer Communities im Sinne der staltungsbereich deutlich zu markieren. Daher wird die Qualitätssicherung von Forschungsarbeiten zu stärken Leibniz-Gemeinschaft in diesem Jahr „Leibniz debattiert“ und abzusichern gegen ein allzu vorschnell ausgerufe- als eine transparente und transdisziplinäre Form des nes Scheitern. Natürlich braucht es Vertrauen und Gelas- wissenschaftlichen Streitens und Debattierens anbieten. senheit, angesichts offenkundig gewordener Missstände Nur so ein Vorschlag: Debattieren Sie mit! und Unterlassungen in konkreten Fällen nicht sofort nach einer umfassenden und zweifellosen Kontrolle zu verlangen. Sie ist und bleibt ein Fehlschluss: Denn aller Wissenschaft ist Zweifel inhärent. Wissenschaft heißt, m atth i as kl ei n er , pr äsi d en t d er l ei b n i z - g em ei n s c h aft

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LEIBNIZ | K N SDI TKÄOTN F L I K T E BR I OI EDGI V U ER

Kann man lernen, ein guter Lehrer zu sein? „Ja!“, sagt Uta Klusmann vom Kieler Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik. In dem Film „Der Club der toten Dichter“ verehren die Schüler den von Robin Williams verkörperten Mr. Keating wegen seines unorthodoxen Unterrichts. Ist Keating aus Ihrer Sicht ein guter Lehrer? Wenn ich mich richtig erinnere, unterrichtete Mr. Keating mit großem Enthusiasmus und war begeistert von seinem Fach. Er zeichnete sich auch dadurch aus, dass er seine Schüler ermunterte, eigenständig zu denken. Ähnlich definiert auch die Forschung einen guten Lehrer: Zum einen ist er in seinem Fach zuhause und ver­mittelt sein Wissen motiviert und mit Freude. Zum anderen kann er sich in seine Schüler hineinversetzen und weiß, was sie gerade beschäftigt.

Kann denn jeder lernen, ein guter Lehrer zu sein? Aus unseren Studien wissen wir, dass Fachwissen und die Fähigkeit, fachliche Inhalte zu vermitteln, entscheidend dafür sind, wie viel Schülerinnen und Schüler lernen. Diese Kompetenz wird angehenden Lehrkräften im Studium und im Referendariat vermittelt. Auch wie man eine Klasse führt und mit Unterrichtsstörungen umgeht, können sie in der Ausbildung und später in Fortbildungen lernen. Viele denken, man benötigt ein bestimmtes ­Talent für den Lehrerberuf. In der Forschung konnte das allerdings nicht bestätigt werden.

Viele Lehrer klagen über zu hohe Belastungen. Der Lehrerberuf stellt hohe Anforderungen. Zunächst zeigen Studien, dass die Zufriedenheit der Lehrkräfte mit ihrem Beruf hoch ist. Allerdings gibt es Hinweise, dass sie eine höhere psychische Belastung erleben als andere Berufsgruppen. Es gibt große Unterschiede, wie Lehrer mit den Anforderungen umgehen und wie gut sie mit den eigenen Ressourcen haushalten. Es ist wichtig, die Balance zu finden zwischen beruflichem Engagement und der Fähigkeit, sich von beruflichen Belangen distanzieren zu können. Lehrkräfte, denen das gelingt, weisen auch ein hohes Wohlbefinden auf. Unsere neueste Studie zeigt zudem, dass Schüler besser lernen, wenn es ihren Lehrern gut geht. Womit wir wieder bei Mr. Keating wären. Ja, ich vermute, dass Mr. Keatings Fähigkeit, sich zu distanzieren, eher gering war. Bevor Lehrer sich zu sehr aufreiben, sollten sie sich Hilfe organisieren und sich mit Experten austauschen. Auch das macht einen guten Lehrer aus: Er muss seine Grenzen kennen und seine Kräfte gut einteilen. i n terv i ew : al ess a w en d l an d

Foto: picture-alliance/Mary Evans Picture Library

Unser Lehrerbild ist trotzdem ambivalent. Interessanterweise sind Lehrer in repräsentativen Meinungsumfragen unter den prestigereichsten Berufen zu finden. Dennoch werden sie häufig kritisch betrachtet, auch in den Medien. Es wird von geringer Kompetenz, hohen Burn-outRaten und langen Ferienzeiten gesprochen und davon, dass die „Falschen“ sich für den Beruf entscheiden. Dabei zeigen

unsere Studien, dass die meisten angehenden Lehrkräfte sehr gute kognitive Voraussetzungen haben und sich durch ein hohes soziales Interesse auszeichnen. Sie sind emotional stabil, verträglich und aufgeschlossen. Dass dies nicht immer wahrgenommen wird, könnte daran liegen, dass die wenigen schlechten Lehrer, auf die wir treffen, einen bleibenden Eindruck bei uns hinterlassen. Sicher auch, weil sie uns oft über mehrere Schuljahre begleiten.

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L E I B N I Z | K R I E G LUE NI BDN KI ZO N| FKL RI KI ET G E


LEIBNIZ | KURZ & FORSCH

Warum wir PISA brauchen

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Ich empfinde es deshalb als unsere Pflicht, uns in die Debatte einzumischen und auch einmal öffentlich dem zu widersprechen, was andere über PISA sagen. Egal, ob das nun von der OECD, aus wissenschaftlichen ­Publikationen oder aus der Zeitung kommt. Zum Glück sind die PISA-Daten frei zugänglich. Jeder kann überprüfen, was in den nationalen und internationalen Berichten steht. Ein PISA-Durchgang zieht sich über fünf Jahre hin. Hunderte Menschen entwickeln die Messinstrumente, ziehen die Stichprobe, führen die Tests durch und werten die gesammelten Daten aus. In Deutschland leiten die TU München, das Leibniz-Institut für die ­Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik und das Deutsche Institut für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF) PISA. Am DIPF haben wir uns auf die Fragebögen spezialisiert, die wir international federführend konzipieren und entwickeln. Wenn der PISA-Bericht erscheint, bricht die Öffentlichkeit über uns herein. Pressekonferenzen, ­ Blitzlichtgewitter, Mikrofone – auch wenn der Ansturm mit den Jahren etwas nachgelassen hat. Es ist nervenaufreibend, eine Stunde lang in einer Livesendung des Deutschlandfunks mit PISA-Kritikern zu diskutieren. Hinzu kommt, dass die Medien PISA mitunter falsch oder gar aggressiv interpretieren. Aber zunächst mal ist der Trubel eine gewaltige Chance: Wann hat man als Wissenschaftler schon so viel Aufmerksamkeit für sein Thema? Man muss sich allerdings immer klar über die eigene Rolle sein, wenn man mit der Bundesbildungsministerin, Interessenvertretern und Journalisten in Talkshows sitzt. Ich bin weder Politiker, noch Vertreter eines Verbands. Als Wissenschaftler soll ich Fakten und Befunde auf den Tisch legen – keine Forderungen.“ ec kh ar d kl i em e , d i r ektor am d eu tsc h en i n sti tu t fü r i n ter n ati on al e päd ag og i s c h e for sc h u n g

Foto: Susanne Kuerth/photocase; Protokoll: David Schelp

„Jeder PISA-Durchgang beschert mir komplizierte Verhandlungen in Expertenrunden und politischen ­ Gremien, eine Flut von E-Mails und Telefonkonferenzen sowie Meetings in der ganzen Welt. Ich bereue es aber nicht, an der Studie mitzuarbeiten. Sie ist für mich ein Instrument der Aufklärung, das uns viel über die ­Probleme unseres Bildungssystems verrät und zu mehr Ehrlichkeit und Transparenz beiträgt. PISA hat einiges in Gang gebracht, ich denke da an Themen wie Migration, soziale Gerechtigkeit oder die Qualität des Unterrichts. Außerdem liefert die Studie eine einzigartige Datenbasis für die Schulforschung. Ich glaube, dass ihr Potenzial lange nicht ausgeschöpft ist. Auch wenn PISA für manche nur ,diese Rankingliste’ ist. Wie funktioniert Bildung in verschiedenen Kulturen, Gesellschaften und unter verschiedenen Bedingungen? Diese Frage stellten sich die Begründer der international vergleichenden Bildungsforschung erstmals vor etwa 50 Jahren – und auch PISA steht in dieser Tradition. Die Studie ist aber auch ein Instrument der Bildungspolitik. Als Auftraggeber will die Organisa­ ­ tion für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) ihren Mitgliedern Daten und Wissen über die Kompetenzen von Schülern, aber auch über gesellschaftliche, soziale und ökonomische Entwicklungen zur Verfügung stellen, um früh auf Probleme und Handlungsbedarf in ihren Bildungssystemen hinzuweisen. Die Ergebnisse der Studie erzeugen Wettbewerb ­zwischen den Staaten und schaffen öffentlichen Druck, auf den die Regierungen reagieren müssen. Für manche ist PISA deshalb auch eine Form der Ausübung staatlicher Macht. Für uns Wissenschaftler ergibt sich daraus eine forschungsethische Frage: Will ich zu etwas beitragen, was eindeutig Instrument bildungspolitischer ­Interessenkämpfe ist? Die OECD verbindet immer eine politische Agenda mit PISA. Und auch viele andere Akteure berufen sich bei Forderungen auf die Studie, beispielsweise wenn es darum geht, welche Schulformen existieren oder wie Lehrer ausgebildet werden sollen. Manche Forderungen, die mit PISA begründet werden, mag ich sinnvoll finden – andere erscheinen mir durchaus fragwürdig.

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LEIBNIZ | KURZ & FORSCH

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LEIBNIZ | BILDUNG

Frühe Bildung hat Potenzial

Bildung ist die wichtigste Ressource unserer Gesellschaft: Sie erweitert die Gestaltungsmöglichkeiten jedes Einzelnen und bildet die Basis für wirtschaftliche Entwicklung, kulturellen Reichtum und sozialen Zusammenhalt. Wenn Bildung gelingen soll, müssen

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Im Bereich der Betreuung, Erziehung und Bildung von Kindern unter sechs Jahren ist in den vergangenen Jahren viel in Bewegung geraten. Die erhöhte Aufmerksamkeit für die frühe Bildung eröffnet Chancen, die es klug zu nutzen gilt. Zugleich sind mit den neuen Ansätzen neue Herausforderungen verbunden

– und damit auch Sorgen. Noch sehr präsent sind die Diskussionen um die gesetzliche Verankerung des Anspruchs auf Kindertagesbetreuung der Ein- und Zweijährigen. Sie initiierte den bundesweiten Ausbau der K ­ itas zwar, der wurde allerdings recht spät in Angriff genommen. Kritikerinnen und Kritiker

fürchteten deshalb, dass nicht rechtzeitig ausreichend Plätze zur Verfügung stehen würden und eine Klagewelle zwangsläufig folgen werde. Sie ist bislang jedoch ausgeblieben und der nationale Bildungsbericht 2014 zieht ein vergleichsweise positives Zwischenfazit des Ausbaus. Doch mit ausreichend vorhan-

Fotos: Helene Souza/Pixelio; Fotorismus für DIPF

wir jedoch früh damit anfangen — mit Hilfe der Wissenschaft.

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LEIBNIZ | BILDUNG

denen Kitaplätzen allein ist es nicht getan. Es genügt nicht, Kinder einfach irgendwo unterzubringen, wie nun auch viele Eltern merken. Ihre Erwartungen an die Qualität der Kindertageseinrichtungen steigen merklich und sind immens. Die Kitas sollen einen zentralen Beitrag zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf leisten, alle Kinder optimal fördern und sie auf ihre Schulkarriere vorbereiten. Zugleich sollen die Angebote individuelle Defizite der Kinder – etwa aufgrund von Behinderungen oder sozialen Nachteilen – kompensieren. Mit anderen Worten: Nun rücken Fragen der Professionalität und der Qualität früher Bildung in den Mittelpunkt. Die Forschung lässt die Verantwortlichen mit diesen Fragen nicht allein. Auch wenn sie dabei keine Wunderdinge leisten kann, wurden doch bereits viele kleine „Wissens-Bausteine“ erarbeitet, die in die Praxis der frühen Bildung Eingang gefunden haben oder zumindest Handlungsbedarf aufzeigen. Zwei Beispiele verdeutlichen dies.

Zurückstellung bei fehlender Schulbereitschaft

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Ein zentrales Problem früher Bildung in Deutschland ist, dass viele Kinder beim Schuleintritt erhebliche Rückstände im Bereich der für die Grundschule notwendigen Fähigkeiten aufweisen. Zum Beispiel beim Verständnis für Zahlen oder der für den Schriftspracherwerb so wichtigen sprachklanglichen Bewusstheit. Ein in Baden-Württemberg entwickeltes Kon­zept sieht deshalb vor, die Einschulungsuntersuchung auf das vorletzte Kindergartenjahr vorzuverlegen. So kann Kindern mit besonderem Unterstützungsbedarf frühzeitig geholfen werden. Zeigen sich bei einem Kind Auffälligkeiten, wird am Ende des vorletzten Kinder-

gartenjahrs ein „Runder Tisch“ abgehalten. Dabei beraten die Fachkräfte von Kindergarten und Schule gemeinsam mit den Eltern über eine individuelle Förderung und stimmen diese ab. Dieser Ansatz wurde in den vergangenen Jahren an über 200 Standorten umgesetzt. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler begleiteten ihn und untersuchten an etwa 1.000 Kindern die kurz- und mittelfristigen Auswirkungen. Dabei zeigte sich, dass viele Kinder, die mit empirisch bewährten Maßnahmen gefördert wurden, ihre Entwicklungsrückstände bis zum Ende der Kindergartenzeit erfolgreich abgebaut haben. Als Folge wurden deutlich weniger Kinder aufgrund fehlender Schulbereitschaft zurückgestellt. Und nicht nur das: Die meisten geförderten Kinder durchliefen anschließend mit Erfolg und in der vorgesehenen Zeit die Grundschule. Doch was, wenn solche Angebote die Kinder gar nicht erreichen? Auf diese Problematik weisen andere wissenschaftliche Arbeiten hin. Schon länger ist bekannt, dass eher Eltern mit einem höheren Bildungsabschluss frühe Bildungs- und Betreuungsangebote für ihre Kinder in Anspruch nehmen. Forscherinnen und Forscher konnten nun in aktuellen Analysen auf Basis längerer Zeitreihen zeigen, dass diese selektive Nutzung über die Jahre sogar zugenommen hat. Folglich haben Familien mit einem besseren sozioökonomischen Hintergrund auch überproportional stark vom Kitaausbau profitiert. Es wäre wichtig, mehr Eltern aus eher bildungsfernen Milieus vom Nutzen qualitativ hochwertiger früher Angebote zu überzeugen. So könnten auch ihre Kinder angemessen gefördert werden. Solche Erkenntnisse zeigen Wege auf, um die Potenziale früher Bildung besser nutzen zu können. Sie tragen dazu bei, dass immer mehr Kinder erfolgreich in ihre Bildungslaufbahn starten. Schon anhand dieser einzelnen Maßnahmen und Analysen wird

deutlich, welche Bedeutung die zukünftige Ausgestaltung und Leistungsfähigkeit des Bildungssystems samt seiner Institutionen insgesamt hat. Gute Bildung ist nicht nur entscheidend für die individuelle gesellschaftliche Teilhabe unserer Kinder und ihre Lebenszufriedenheit. Sie ist auch eine zentrale Ressource für wirtschaftliche Entwicklung, kulturellen Reichtum und sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft von ­morgen.

An Bildungsfragen entscheidet sich unsere Zukunft

Wissenschaft kann diesen Prozess besonders nachhaltig unterstützen, wenn sie das Fachwissen der unterschiedlichen Disziplinen der Bildungsforschung systematisch zusammenführt. Genau das leistet der Leibniz-Forschungsverbund „Bildungspotenziale“. Er identifiziert Möglichkeiten zur Verbesserung der Bildungsrealität und gibt die Erkenntnisse an Politik und Administration weiter. Daran arbeiten zahlreiche Expertinnen und Experten aus Erziehungswissenschaft, Ethnologie, Neurowissenschaft, Ökonomie, Politikwissenschaft, Psychologie, Soziologie und den Fachdidaktiken von insgesamt 15 Mitgliedsinstitutionen. Diese Breite und Tiefe wissenschaftlicher Expertise des Verbunds zu Fragen der Bildung ist im deutschsprachigen Raum einmalig. Nicht immer zeigen sich die Früchte solcher wissenschaftlicher Arbeit im Bildungsalltag unmittelbar. Forschungsergebnisse werden – auch in der frühen Bildung – aber immer mehr zu einer kontinuierlichen Qualitätsentwicklung beitragen, je deutlicher sie von konsistenten politischen Entscheidungen begleitet und berücksichtigt werden. m ar c u s h ass el h or n

Marcus Hasselhorn

ist Sprecher des Leibniz-Forschungsverbunds „Bildungspotenziale“ und geschäftsführender Direktor des Deutschen Instituts für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF). Zudem ist er Professor für Psychologie mit dem Schwerpunkt Bildung und Entwicklung an der Goethe-Universität Frankfurt und wissenschaftlicher Leiter des am DIPF koordinierten Frankfurter Forschungszentrums IDeA, das individuelle Entwicklungsprozesse von Kindern in den ersten zwölf Lebensjahren und Ansätze zur individuellen Lernförderung in den Blick nimmt. 15


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Eine für alle Das deutsche Bildungssystem steht vor einem Umbruch: Alle Kinder sollen lang­fristig gemeinsam zur Schule gehen, auch Kinder mit ­Behinderungen. Die Sozialwissenschaftlerin ­ Jonna Blanck, die ehemalige ­ Schulleiterin Inge Hirschmann und der ­ Aktivist Raul Krauthausen über die Chancen der I­nklu­sion — und Hindernisse auf dem Weg ­dorthin.

Eine Schule für alle: Marie* besucht die dritte Klasse der Fläming Grundschule im Berliner Stadtteil Friedenau – der ersten öffentlichen Grundschule Deutschlands, die Kinder mit Behinderungen aufgenommen hat. Der Fotograf Fabian Zapatka hat Marie einen Tag lang begleitet. Hier üben sie und die Erzieherpraktikantin Nicole Jankow Laufen mit Maries „Walker“. * Name von der Redaktion geändert. 4/2014

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Herr Krauthausen, Sie haben die Fläming Grundschule in Berlin besucht, die ers­ te öffentliche Grundschule Deutschlands, die Kinder mit Behinderungen aufnahm. Wo ständen Sie, wenn Ihre Eltern Sie auf eine Förderschule geschickt hätten? Raul Krauthausen: Garantiert nicht, wo ich heute stehe. Ich weiß nicht, ob es mir besser oder schlechter ginge, das ist ja eine Frage von ganz vielen Lebensentscheidungen. Meine Eltern waren relativ jung, als ich auf die Welt kam und wollten sich nicht nur ihrem behinderten Kind widmen. Sie waren überzeugt davon, dass ich nur nicht laufen kann – aber alles andere schon klappen wird. Wovon haben Sie am meisten profitiert? Krauthausen: Ich konnte mich mit dem Klassenbesten messen, der auch noch mein bester Freund war. Der absolute Überflieger. So jemanden, der mich mitzieht und mich dazu bringt, mich über meine Grenzen hinaus zu entwickeln, hätte ich an einer Förderschule vermutlich nicht gehabt. Es gab aber auch Niederlagen.

Raul Krauthausen ist ­Inklu­sions-Aktivist, Autor und Radio­moderator. Mit seinem Cousin gründete er den Verein „Sozialhelden“ und ent­ wickelte unter anderem das ­Internetportal „Wheelmap. org“, das barrierefreie Orte in aller Welt sammelt. Wegen seiner Glasknochen­krankheit ist Krauthausen im Rollstuhl mobil. 2013 erhielt er das ­Bundesverdienstkreuz. 18

Zum Beispiel? Krauthausen: Im Sportunterricht wurde es albern, als es irgendwann um Leistungen und Noten ging. Ich musste für die Lehrer die Zeiten stoppen – und zuschauen, wie meine Klassenkameraden schnell sind. Das hat mich nicht besonders verletzt, aber auch überhaupt nicht gefordert. Bald wurde ich vom Sportunterricht befreit. War damit aber auch außen vor, wenn sich die anderen in der Umkleidekabine verabredeten. Inge Hirschmann: Sie sprechen das Problem der Benotung an. Meiner Meinung nach sollten wir in der inklusiven Schule zumindest bis zur achten Klasse auf Noten verzichten und stattdessen die individuelle Entwicklung der Kinder stärker berücksichtigen. Wie die skandinavischen Länder.

Herr Krauthausen besuchte eine integrative Schule. Heute wird aber meist von Inklu­ sion gesprochen. Wo liegt der Unterschied? Jonna Blanck: In der Öffentlichkeit werden Integration und Inklusion häufig synonym verwendet. In der Wissenschaft dagegen überwiegt die Auffassung, dass es sich um unterschiedliche Konzepte handelt. Integration bedeutet, dass bestimmte Schüler mit Behinderung zwar in die Regelschule aufgenommen, dort aber als Gruppe klar von den Nichtbehinderten unterschieden werden. Inklusion dagegen erkennt an, dass alle Schüler verschieden sind. Neben Behinderungen geraten damit auch andere Unterschiede in den Blick und es gibt keine klar trennbaren Gruppen mehr. Vielfalt wird wertgeschätzt. Konsequent gedacht, bedeutet Inklusion, dass es statt des gegliederten Schulsystems eine Schule für alle gibt, in der jedes Kind individuell nach seinen Bedürfnissen gefördert wird. Herr Krauthausen, Sie haben nach der Grundschule an einer integrativen Gesamt­ schule das Abitur gemacht

und studiert. Sind Sie eine Ausnahme? Krauthausen: Mir war lange nicht bewusst, dass ich eine unheimlich privilegierte Rolle hatte. Andere Menschen mit Behinderungen haben eine härtere Schule durch. Viele wurden von ihren Eltern auf Regelschulen geklagt, auf denen sie die einzigen Kinder mit Behinderung waren. Teilweise waren die Gebäude nicht barrierefrei, sodass Eltern ihre Kinder die Treppen hoch und runter tragen mussten. Ich finde es ein Unding, dass zunächst das Kollegium entscheiden darf, welches Kind auf seine Schule kommt und die Eltern so zwingt, vor Gericht zu gehen. Haben die Schulen wirklich so viel Macht? Hirschmann: Ich kenne Schulen, die Kinder mit teils fadenscheinigen Argumenten ablehnen. Das in der UN-Behindertenrechtskonvention verankerte Elternwahlrecht setzt ihnen allerdings eine Grenze – auch wenn es ein harter Weg ist, einen Schulplatz im Ernstfall einzuklagen.

Wie war das an Ihrer Schule? Hirschmann: Wir haben jedes Kind aufgenommen. Im Kollegium herrschte Konsens, was Kinder mit Lernschwierigkeiten betraf. Als es aber darum ging, das erste stark geistig behinderte Mädchen aufzunehmen, waren manche Kollegen vehement dagegen und fragten, was sie noch alles machen sollen. Wir haben damals abgestimmt. Die Gegner waren in der Minderheit. Krauthausen: Viele Lehrer sind überlastet, insofern kann ich ihre Vorbehalte ein Stück weit verstehen. In meiner Klasse war die Ausstattung gut. Eine päda­ gogische Mitarbeiterin unterstützte die Lehrerin und war für alle Kinder da. Außer mir gab es ein Kind mit Hörbehinderung, zwei lernbehinderte Kinder – und ein geistig behindertes Mädchen. Mich hat es sehr bewegt, als sie irgendwann entschied, dass auch sie schreiben lernen will. Niemand hat ihr das zugetraut, aber sie hat jeden Tag

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Die pädagogische Mitarbeiterin Charlotte Hübner und Marie im Mathematikunterricht (li.) und beim Wettrennen auf dem Gang. ­Hübner betreute schon Raul Krauthausens Klasse. Mit dem Sprachcomputer lernt Marie Zahlen und die Buchstaben des Alphabets kennen. Irgendwann kann sie sich mit seiner Hilfe vielleicht auch verständigen.

das Alphabet gelernt. Am Ende des letzten Schuljahrs konnte sie ihren Namen schreiben und war unglaublich stolz.

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Ist so eine Entwicklung nur möglich, wenn die Kinder ge­ meinsam zur Schule gehen? Hirschmann: Sie ist zumindest wahrscheinlicher. Wir hatten an der Heinrich-Zille-Grundschule Kinder, die am Anfang mit dem Buggy gebracht wurden. Wenn die am Ende der Schulzeit an Geländern entlang ins Sekretariat laufen konnten, war das ein tolles Gefühl. Trotzdem muss man sich fragen, was ein Kollegium leisten kann. Ich bin der festen Überzeugung, dass eine Schule für alle Kinder möglich ist. Aber im Detail gibt es offene Fragen.

Zurzeit wird intensiv über Schwerpunktschulen disku­ tiert, Regelschulen, die beson­ ders viele Kinder mit sonder­ pädagogischem Förderbedarf aufnehmen. Hirschmann: Ich glaube, dass es Beeinträchtigungen gibt, für die sie sinnvoll sein können, vor allem für blinde, stark seh- oder hörbehinderte Kinder. Je mehr Schüler mit einer bestimmten Behinderung eine Schule besuchen, desto bessere Konzepte können die Lehrer für sie entwickeln. Gemeinsamen Sportunterricht für körperlich stark beeinträchtigte Schülerinnen und Schüler beispielsweise. Außerdem brauchen die Kinder Begegnungen mit anderen, denen es ähnlich geht. Gehörlose etwa müssen die Gelegenheit

haben, sich mit Mitschülern in Gebärdensprache zu unterhalten. Krauthausen: Für mich hat die Schwerpunktschule einen negativen Beiklang. Ich warne davor, dass sie die Förderschule 2.0 wird – an der wir erneut aussortieren. Blanck: Bei der Diskussion um die Schwerpunktschule vermischen sich zwei Argumentationslinien: Zum einen verspricht man sich von ihnen, dass Kinder mit bestimmten Behinderungen dort besonders gut gefördert werden können, die von Frau ­Hirschmann angesprochenen Seh- und Hörbehinderten beispielsweise. Diese Gruppen machen aber nur einen kleinen Prozentsatz der Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf aus. Zum anderen

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werden Schwerpunktschulen in manchen Bundesländern mit dem Ziel eingerichtet, dort besonders viele Schüler mit Behinderungen aufzunehmen. Bei der Mehrheit der Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf werden die Förderschwerpunkte Lernen, Sprache und emotionale und soziale Entwicklung diagnostiziert. Viele von ihnen kommen aus sozial benachteiligten Familien. Konzentriert man sie an einer Schule, konzentriert man dort auch diese Problemlagen. In beiden Fällen grenzt man Kinder weiter aus, wenn sie nicht einfach auf eine Regelschule in ihrer Nachbarschaft gehen k ­ önnen.

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Sie haben in zwei westdeut­ schen Flächenländern die Umsetzung der Inklusion ver­ glichen: Bayern und SchleswigHolstein. Wo liegen die Unter­ schiede? Blanck: Konkret haben wir die Wirkung der UN-Behindertenrechtskonvention auf Schulreformprozesse in beiden Bundesländern untersucht und dafür zunächst eine Bestandsaufname gemacht. In Bayern steht die integrative Schulentwicklung demnach noch am Anfang. Man ist dort der Meinung, dass optimale Förderung nur gelingen kann, wenn man Kinder in unterschiedliche Schulen sortiert. In Schleswig-Holstein wurde die Integration über Jahrzehnte vorangetrieben: Der gemeinsame Unterricht an Regelschulen wurde stark ausgeweitet, die Lehrer wurden mit ins Boot geholt – und auch die Sonderpädagogen, deren Arbeitsbedingungen sich durch den gemeinsamen Unterricht am stärksten verändern. Mit der Gemeinschaftsschule wurde zudem eine Schulform geschaffen, die Heterogenität offiziell anerkennt. Für Lehrer und Eltern wurde ein Beratungszentrum eingerichtet. Hirschmann: So ein Zentrum baue ich in Berlin im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg auf. Eltern und Lehrer sollen dort bei Fragen zum gemeinsamen Lernen künftig Beratung und Unterstützung finden. Was Inklusion betrifft, ist übrigens auch Bremen

weit vorn. Man hat dort radikal umgesteuert, mit Gesetzen von oben und viel Unterstützung für die Schulen. Nordrhein-Westfalen hat Ähnliches versucht, aber zu stark auf Sonderpädagogen gesetzt, die für mehrere Schulen zuständig sind, sogenannte Ambulanzlehrer. Wir müssen die sonderpädagogischen Fachkräfte aber fest in den Kollegien verankern.

Jonna Blanck ist wissen­ schaftliche Mitarbeiterin am ­Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB). Sie forscht unter anderem zu sozialer Ungleichheit und der Umsetzung der UN-­ Behindertenrechtskonvention in Deutschland. In ihrer ­Disser­tation untersucht die Sozial­wissenschaftlerin die ­beruflichen Chancen von ­Schülern mit sonderpädago­gischem ­Förderbedarf.

Blanck: In Bremen sitzen die Sonderpädagogen sogar mit in der Schulleitung. Neben Schleswig-Holstein ist es eines der wenigen Bundesländer, in denen Sonderschulen aufgelöst werden und die Zahl der Sonderschüler daher tatsächlich sinkt.

Aber die UN-Behinderten­ rechtskonvention gilt seit 2009 für alle. Blanck: Ja, aber es gibt starke Beharrungskräfte, die I­nklusion erschweren. Wir haben vier Mechanismen betrachtet, die die Sonderschule stabilisieren. Zum einen gibt es mächtige Gruppen, die sich gegen die Reform sperren, dazu zählt die sonderpädagogische Profession: Sie be-

fürchtet schlechtere Arbeitsbedingungen und Gehaltseinbußen, sollten Sonderschulen aufgelöst werden. Dann geht es um Vorstellungen davon, wie Schüler unterrichtet werden sollen. Viele Menschen glauben, dass beeinträchtigte Schüler nur im vermeintlichen Schonraum Sonderschule angemessen gefördert werden können. Die Abschaffung der Sonderschule stellt zudem die Funktionsweise des gegliederten Schulsystems in Frage. Regelschulen sind auf Leistungsauslese eingestellt und nicht darauf, Schüler mit Beeinträchtigungen zu fördern. Und dann ist da natürlich die Kostenfrage.

Ist Inklusion denn wirklich zu teuer? Blanck: Zumindest stand sie früher in diesem Verdacht. In den meisten Bundesländern steht deshalb der sogenannte Ressourcenvorbehalt im Schulgesetz: Integration kann demnach mit dem Argument abgelehnt werden, sie sei aus finanziellen Gründen nicht möglich. Mittlerweile haben Studien gezeigt, dass lediglich die Übergangsphase etwas teurer ist. Langfristig kostet Integration genauso viel oder ist sogar billiger als das Doppelsystem aus Regel- und Sonderschulen. Bei der Bewertung der Frage, wie viele Ressourcen man für inklusiven Unterricht braucht, bin ich vorsichtig. Hier muss man natürlich auf die Erfahrungen von Lehrern zurückgreifen. Dabei sollte man aber bedenken, dass Forderungen zum Teil auch von der Haltung des Fordernden geprägt sind. Wenn ein Regelschullehrer meint, er sei nicht für behinderte Kinder zuständig, wird er mehr Sonderpädagogen für seine Schule ­fordern. Die Ausstattung der Schulen ist das eine, die Ausbildung der Lehrer das andere. In Berlin und anderen Bun­ desländern wird sie derzeit reformiert. Ein Schritt in die richtige Richtung? Krauthausen: Er war längst überfällig. Alle warten auf den Super-Referendar, der die Schu-

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Auf der Matte: Marie ist in jeder Sportstunde ihrer Klasse dabei. Während die anderen toben, lernt sie, ihren KÜrper besser wahrzunehmen.

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Inge Hirschmann ­leitete mehr als 20 Jahre die Heinrich-Zille-Grundschule in ­Berlin-Kreuzberg, an der Kinder mit und ohne Behinderungen seit den 1980er Jahren gemeinsam lernen. Derzeit baut ­sie ein Beratungs- und Unter­ stützungszentrum für Lehrer und Eltern auf. Solche Einrichtungen soll es in Berlin künftig in allen Bezirken geben.

len inklusiv macht. Der wird aber nicht kommen – und die Eltern behinderter Kinder waren vorher ja ebenfalls keine Fachkräfte. Wir müssen mit der Inklusion jetzt anfangen, anstatt ewig zu warten. Und Lehrer und Eltern auch mal jammern lassen. Hirschmann: Alle Lehrer bekommen in Berlin in Zukunft eine gleichwertige Ausbildung, reine Sonderschullehrer werden nicht mehr ausgebildet. Irgendwann werden im Lehrerzimmer hoffent­lich auch alle gleich viel verdienen. Privilegien fallen weg. Aber was können die Lehrer wirklich, wenn Inklusion nur ein kleiner Teil ihres Studiums ist? Hirschmann: Das meiste lernt man tatsächlich im Unterricht. Auch ein paar Stunden Fortbildung reichen nicht aus. Es sollte an allen Schulen Fachleute für

Inklusion geben, die ihre Kollegen beraten. Dafür brauchen wir Ressourcen.

Sie bilden an der Freien Uni­ versität Berlin Lehrer für den inklusiven Unterricht fort. Mit welchen Fragen kommen die Teilnehmer zu Ihnen? Hirschmann: Was mich am meisten überrascht: Sie wollen Patentrezepte. Manche Lehrer denken, man könnte ihnen vormachen, wie es geht. Aber Inklusion ist ein Prozess, auf den man sich einlassen muss. Mein Ziel ist, dass die Teilnehmer nach dem Kurs differenzierten Unterricht machen und versuchen, individuell auf die Kinder einzugehen. Auch wenn nicht alles auf Anhieb glatt geht. Krauthausen: Ich glaube, Inklusion hat auch viel mit unserer Haltung gegenüber dem Anderen zu tun. Wir fürchten am meisten, was wir am wenigsten

Musikunterricht: In Bewegungs- und ­Musikspielen lernen Marie und andere Kinder mit Behinderungen klassenübergreifend. Nicole Jankow kann sie so besonders fördern. 22

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kennen. Inklusion funktioniert nur durch Konfrontation.

Warum ist die Kritik an dem Konzept oft sehr polemisch und aggressiv? Hirschmann: Eine Rolle spielen die Sorgen der Eltern. Früher haben sie unseren integrativen Ansatz bewundert, heute fürchten sie, behinderte Mitschüler könnten den Lernerfolg ihrer Kinder schmälern. Blanck: Viele wissenschaftliche Studien zeigen übrigens, dass dem nicht so ist. Hirschmann: Trotzdem hat gerade die Mittelschicht seit einigen Jahren unheimliche Verlustängste, es hat sich eine Ellenbogenmentalität entwickelt. Wie können Schulen das Vertrauen der Eltern gewinnen? Die magische Zahl ist dabei noch immer die Anzahl der Kinder, die nach der Grundschule ans Gymnasium gehen.

Krauthausen: Menschen werden vor allem bei fehlender Sachkenntnis polemisch. Wir führen heute ganz ähnliche Debatten wie 1920, als es in Deutschland darum ging, ob Mädchen und Jungen gemeinsam zur Schule gehen sollen.

Glauben Sie, unsere Schulen werden in 20 Jahren inklusiv sein? Blanck: Ich hoffe es. Ich bin selbst auf eine integrative Gesamtschule gegangen und habe persönlich erlebt, wie viel möglich ist, wenn alle gemeinsam lernen. Man darf aber auch nicht vergessen, dass es bei Inklusion ja nicht nur um Schule geht, sondern darum, in allen Lebensbereichen mehr soziale Teilhabe zu ermöglichen. Sie geht uns alle an: Wir leben in einer alternden Gesellschaft, schon allein deshalb wird die Zahl der Menschen mit Behinderungen zunehmen. Die meisten Behinde­

rungen sind schließlich nicht angeboren, sondern entstehen im Laufe des Lebens. Hirschmann: Ich hoffe das auch. Schließlich habe ich ein Arbeitsleben damit verbracht, eine andere Vision von Schule zu verwirklichen. Aber die Beharrungskräfte sind groß. In Berlin merke ich: Es läuft zu langsam. Krauthausen: Mir machen vor allem die jungen Menschen große Hoffnung. Wenn mich ein Kind früher neugierig angestarrt hat, haben seine Eltern es weggezerrt. Heute höre ich bestärkende S­ ätze: „Wenn du möchtest, können wir fragen, warum der Mann im Rollstuhl sitzt.“ So eine Offenheit wünsche ich mir. Übrigens nicht nur gegenüber Menschen mit Behinderungen. i n terv i ew :

bar bar a ker bel

& d av i d sc h el p

fotos : fabi an z apatka

Gut organisiert: Jeden Tag sind zwei andere Kinder aus Maries Klasse dafür verantwortlich, sie auf den Pausenhof und wieder zurück in die Klasse zu bringen. 1/2015

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L E I B N I Z | D E R W E R T D E R V I E L FA LT

Digitale Schule: „Tablet-Klasse“ an einem Kölner Gymnasium.

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Das klickende

Klassenzimmer eBook statt Schulbuch, Tablet statt Tafel: Digitale Unterrichtsmaterialien drängen weltweit ins Klassenzimmer. In Deutschland begleiten Wissenschaftler den Prozess, damit Schüler und Lehrer

Foto: Dominik Asbach/laif

nicht im digitalen Chaos verloren gehen.

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Im Chemiebuch der Zukunft tanzen die Moleküle. Sie sind rot und fünfeckig und schwirren durch einen Fahrradreifen. Wenn man den zusammenpresst oder auf eine Pumpe drückt, beginnen die roten Luftteilchen zu drängeln. Mit einem „Energie-Regler“ kann man ihnen auch Feuer unterm Hintern machen. „Teilchen unter Druck“ heißt dieses Kapitel des „eChemBooks“. Das wurde für Tablets und Smartboards, also digitale Schultafeln, entwickelt. Und es ist der Anfang vom Ende des gedruckten Schulbuchs. Der hat in Deutschland lange auf sich warten lassen. Spätestens seit die PISA-Studie 2005 festgestellt hat, dass Schüler mit Computern besser lernen, arbeiten Länder in den verschiedensten Teilen der Erde an der Digitalisierung ihrer Klassenzimmer. Finnland ist dabei, die Schreibschrift abzuschaffen und in den Niederlanden gibt es sogenannte iPad-Schulen, in de-

nen Wissen ausschließlich über Apps vermittelt wird. In Südkorea sollen Stifte und Papier noch vor Ablauf dieses Jahres sogar komplett aus den Klassenzimmern verschwinden.

Neue Medien, neue Perspektiven

Hierzulande stecken große Teile des Schulwissens noch immer in gedruckten Büchern und in den Heften der Kinder. Dabei sind die Nachteile bekannt. Es ist nicht nur die Masse des Materials, die negativ ins Gewicht fällt. „Im Prinzip ist Schulbuchwissen immer veraltet“, sagt Inga ­Niehaus vom Georg-Eckert-Institut – ­ LeibnizInstitut für internationale Schulbuchforschung (GEI) in Braunschweig. „Für Fächer wie Politik, Geographie oder Gesellschaftslehre, die auf aktuelle Ereignisse eingehen müssen, ist das ein Riesenproblem.“ Ein Problem sei auch, dass Schulbücher

i­mmer nur eine begrenzte Auswahl an Quellen präsentieren. Digitale Medien bieten da mehr Möglichkeiten, zum Beispiel im Geschichtsunterricht. „Man kann Audiosequenzen aus Zeitzeugeninterviews einspielen oder historisches Filmmaterial zeigen“, so die Forscherin. Schon seit einiger Zeit gibt es am GEI das Projekt „Zwischentöne“, das Lücken im klassischen Schulbuch füllt und dabei auf multimediale Unterrichtsmate­ri­ alien setzt. Von der Online-Plattform können Lehrer Lerneinheiten herunterladen, die Themen aus Politik, Ethik, Religion und Geschichte aus einer neuen Perspektive beleuchten. Die 1920er Jahre etwa werden als Geschichte der Frauenbewegung in Deutschland, der Türkei und den arabischen Ländern erzählt. Diese ­Onlinemodule sind an den Lehrplan angedockt und sollen das gedruckte Schulbuch im Unterricht ersetzen.

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Das eChemBook hingegen soll irgendwann nicht nur Bücher ersetzen, sondern auch Unter­ richtshandlungen ergänzen. „Wir binden Videos von realen Experimenten ein“, erklärt ­Katharina Scheiter vom Leibniz­ -Institut für Wissensmedien in Tübin­ gen (IWM). Mit ihrem Team hat sie den Prototypen des Kapitels mit den tanzenden Teilchen erstellt. „In­ zwischen haben die Lehrer häufig keine Zeit mehr, jedes Experiment selber durchzuführen oder auch Angst, vor einer unruhigen Klasse mit Chemikalien zu hantieren“, sagt die Psychologin. In solchen Situationen oder auch, wenn es darum geht, Inhalte zu wiederholen und Klausuren vorzubereiten, können die Videos ein sinnvolles Angebot sein. Ersetzen sollen sie die Durchführung eigener Experimente aber nicht. Im eChemBook findet sich deshalb zu jedem gezeigten Experiment eine Anleitung.

Nicht im digitalen Chaos versinken

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Das digitale Buch soll in einem klassischen Verlag erscheinen und wird dort auch entwickelt. Die Forscher am IWM, die Leibniz Universität Hannover und das IT-Unternehmen Smart Technologies begleiten diesen Prozess jedoch intensiv. Das eChemBook soll so auch tatsächlich besser werden als herkömmliche Lehrmittel. Die Schüler sollen nicht im digitalen Chaos versinken. „Die Videos sind deshalb alle interaktiv, das heißt, man kann sie stoppen und an das eigene Lerntempo anpassen“, erklärt Scheiter. Links zu weiterführenden Inhalten sind sparsam dosiert, denn zu viele Verweise stiften meist Verwirrung. Und auch dynamische Elemente wie die im Fahrradreifen tanzenden Luftteilchen kommen bewusst nur in wenigen Fällen zum Einsatz. Noch ist die Schere groß zwischen den digitalen Möglichkeiten und der Realität im Klassenzimmer. Zwar gibt es an einigen

Schulen inzwischen Notebookund Tabletjahrgänge. Aber Scheiters Erfahrung zeigt, dass nicht alles besser wird, bloß weil auf einmal ein Computer im Klassenzimmer steht.

Digitales Potenzial nicht ausgeschöpft

Dass es im Gegenteil erst einmal ziemlich holprig zugehen kann, hat man am GEI herausgefunden. Seit 2012 begleiten dort Wissenschaftler wie Inga Niehaus die Einführung von Notebooks an drei Braunschweiger Schulen. Ihr Zwischenfazit am Ende der ersten Studie ist ernüchternd: Technische Schwierigkeiten machen Schülern wie Lehrern zu schaffen und rauben Unterrichtszeit. Ist das Notebook dann doch einmal im Einsatz, wird das Potenzial der digitalen Welt kaum ausgeschöpft. „Wenn überhaupt, haben Schüler wie Lehrer das Gerät genutzt, um Informationen aus dem Internet zusammenzutragen“, sagt Niehaus. Gruppenarbeit habe dagegen nur selten stattgefunden, multimediale und interaktive Angebote wurden kaum in den Unterricht eingebunden. Es ist die Unsicherheit, nicht mehr Herr der Lage zu sein, die manche Lehrer vor den digitalen Medien zurückschrecken lässt. „Und auch die Strukturen sind nicht ideal“, erklärt Annekathrin Bock vom GEI, die im Rahmen einer Folgestudie den Geschichts-, Mathe-, und Englischunterricht einer Braunschweiger NotebookKlasse verfolgt. Die Lehrer müssten einfach zu viele Schulstunden bespielen, und hätten kaum Zeit, den Unterricht mit digitalen Medien vorzubereiten. „Wer sich wie ein Hamster im Laufrad dreht, kann einfach nicht sagen: ‚So jetzt hab‘ ich mal Lust, etwas komplett Neues zu machen.‘“ Wenn sich ein Lehrer dennoch in die digitale Welt wagt, nimmt der Unterricht mitunter schnell neue Formen an. Bock hat Klassen erlebt, deren Schüler mithilfe der Laptops ganze Unterrichtseinheiten selbst or-

ganisierten. Die Lehrerin wurde zur beratenden Moderatorin. „Da war Platz für kooperatives und eigenverantwortliches Lernen“, sagt Bock. „Kinder, die eher fertig wurden, lösten weitere Aufgaben oder wurden ermuntert, ihren Mitschülern zur Hand zu gehen.“ Eine Lernumgebung, die direkt auf die Fähigkeiten der Schüler abgestimmt ist und ihnen auch Freiräume beim Lernen einräumt, hat es schon vor der Einführung des Laptops gegeben, an Montessori-Schulen etwa, aber auch an immer mehr Regelschulen. Digitale Geräte vereinfachen diesen Prozess, denn sie können dem Lehrer Tests und die Zuordnung passender Aufgaben abnehmen. „Das ist ein Szenario, das technisch schon jetzt realisierbar ist“, sagt Scheiter. „Man braucht nur Firmen, die sich daran setzen.“

EEG im Klassenzimmer

Am IWM gehen die Überlegungen sogar noch weiter. Was wäre, wenn man gar keine Tests mehr bräuchte, um herauszufinden, wo ein Schüler gerade steht? Könnte nicht automatisch erfasst werden, ob er sich bei einer Aufgabe langweilt – oder daran verzweifelt? Die Tübinger Forscher basteln an so einer automatisierten Abfrage. Mit EEG-Messmethoden erfassen sie die Hirnstrom­ aktivität von Versuchsteilnehmern und versuchen daraus abzuleiten, wie sie mit Aufgaben zurechtkommen. Und auch die Fingerbewegungen auf dem Tablet könnten Auskunft darüber geben, ob jemand gerade engagiert bei der Sache ist oder gedankenverloren durch die Aufgaben streicht. Wer früher geistesabwesend ins Schulbuch kritzelte, wurde im Zweifelsfall nicht bemerkt. In der TabletKlasse kommt er damit nicht mehr durch. r i c ar d a br ey ton

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LEIBNIZ | BILDUNGSBÜRGER

Fotos:Judith Flickr.com/Xochiquetzal Fonseca/CIMMYT (CC BY-NC-SA 2.0); IPK Foto: Wiesrecker/photocase

Wertvolle Bildung

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Was sollten wir in Bildung investieren? Einiges, titativen Ausbaus. Qualitativ gibt es hier einiges nachzu­fordert C. Katharina Spieß vom Deutschen ­Institut legen. Nur so können die potenziell hohen Erträge früher für Wirtschaftsforschung. Denn Bildung kostet Bildung auch eingefahren werden. nicht nur – sie verspricht auch Renditen. Ein weiteres Beispiel ist der Ausbau des Ganztagsschulbereichs. Soll es hier weiter vorangehen, werden Nach aktuellen Daten der Organisation für wirtschaft- weitere Ausgaben notwendig. Auch hier kann grundsätzliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hat lich eine doppelte Rendite realisiert werden: Nicht nur die Deutschland im Jahr 2011 insgesamt 5,1 Prozent seines Kinder können von guten Ganztagsangeboten profitieren, Bruttoinlandsprodukts (BIP) für Bildungseinrichtungen sondern auch Eltern, die Familie und Beruf unter einen ausgegeben. Gemessen an seiner wirtschaftlichen Leis- Hut bringen möchten. tungsfähigkeit lässt es sich die Bildung – wie Kritiker imAuch wenn ein Blick auf den Lebensverlauf nahelegen mer wieder bemängeln – damit weniger kosten als manch kann, vermehrt in frühe Bildungsangebote zu investieren, andere OECD-Staaten oder EU-21-Länder, die im Mittel heißt dies keinesfalls, dass nicht auch Ausgaben zu einem alle mehr dafür bereitstellen (6,1 Prozent; 5,8 Prozent). späteren Zeitpunkt effektiv sind. Wir müssen heute zum Hinzu kommt, dass der Anteil der Bildungsausgaben am Beispiel auch Jugendliche in den Fokus nehmen, die aus BIP in den letzten Jahren nicht zugenommen hat, sondern verschiedenen Gründen nach der Schule keine Berufsaussogar leicht gesunken ist. bildung machen. Zunächst handelt es sich bei dieser Rechnung um eine All das sind nur wenige Beispiele für viele Baustellen reine Ausgabenbetrachtung. Und die sagt nichts darüber im deutschen Bildungssystem. Dass sie durch Strukturaus, welche Ergebnisse mit dem Geld erzielt werden. Viel- veränderungen kostenneutral bearbeitet werden können, mehr gibt es aus bildungsökonomischer Perspektive im ist vollkommen illusorisch. Auch wenn höhere Ausgaben Ländervergleich keine eindeutigen Hinweise darauf, dass nicht zwangsläufig die Qualität von Bildung verbessern, höhere Bildungsausgaben per se bessere Bildungsergeb- liegt auf der Hand, dass beispielsweise mehr und besser nisse nach sich ziehen. Dennoch kommt in der Öffentlich- aus- und weitergebildete (früh)pädagogische Fachkräfte keit immer wieder die Frage auf: Wieviel müssen wir für uns etwas kosten werden. Wir sollten jedoch immer auch „gute Bildung“ ausgeben? überprüfen, ob Ausgaben die gewünschte Wirkung entfalAuf der Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse lässt ten. Nur so können wir die knappen Ressourcen für Bilsich das in dieser Pauschalität allerdings kaum beantwor- dung sinnvoll einsetzen. ten. Erschwerend kommt hinzu, dass keine einheitliche Manch einer wird nun denken, dass dies keine neue Definition von „guter Bildung“ vorliegt. Hinweise auf eine Erkenntnis ist. Und das nicht zu Unrecht. Gerade deshalb Antwort können aber in einzelnen Bildungsbereichen ge- sollten sich Bund, Länder und Kommunen endlich in allen funden werden. Bildungsbereichen auf neue Formen der Zusammenarbeit So weisen etwa bildungsökonomische Studien, die die verständigen, auch bei der Finanzierung. Klar ist, dass sie Erträge von Bildungsinvestitionen über den Lebensver- alle sich beteiligen müssen. Bildung ist schließlich ein gelauf eines Menschen betrachten, auf die vergleichsweise samtgesellschaftliches Großprojekt, von dem im Idealfall hohe Rendite frühkindlicher Bildungsinvestitionen hin. In alle profitieren. c . kath ar i n a spi e ß, Deutschland sind die Ausgaben für frühe Bildungs- und LEITERIN DER ABTEILUNG „BILDUNG UND FAMILIE“ Betreuungsangebote wie Kitas in den vergangenen Jahren zwar gestiegen – aber vorrangig aufgrund ihres quan- AM DEUTSCHEN INSTITUT FÜR WIRTSCHAFTSFORSCHUNG (DIW BERLIN) 27


LEIBNIZ | BILDUNG

Ahmad Khalil und unsere Autorin Susanne Hörr

„Das kannst du doch eh nicht!“ Fremde Sprache, fremdes System. Für ­ Kinder aus Migrantenfamilien ­

stellen

­ deutsche

Schulen

eine

­besondere Heraus­forderung dar. Darüber, ob sie gute Bildungschancen haben, entscheidet aber vor allem ­ ihre ­soziale Herkunft. 28

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Thilo Sarrazin ist Schuld, dass Ahmad und ich jetzt hier sitzen. Auf dem Fransenteppich seines Kinderzimmers, über uns an der Wand eine goldfarbene, verschnörkelte Sure. Wir haben uns vor vier Jahren bei einem Spielenachmittag kennengelernt. Er war damals neun Jahre alt und auf der Suche nach einer Patin, ich 29 und ziemlich naiv. Deutschland diskutierte gerade darüber, wie es sich – so unkte Sarrazin – „abschafft“. Und ich wollte von der Diskussion über die drohende Verdummung des Landes nichts mehr hören. Deshalb bewarb ich mich bei den „Neuköllner Talenten“, einem Programm der Neuköllner Bürgerstiftung, das Kindern mittels Patenschaften helfen möchte, ihr Potenzial zu entfalten. Bei einem Gespräch über das Computerspiel „Super Mario“ funkte es. Am Ende des Nachmittags hatte Ahmad eine Patin. Und ich jemanden, den ich mit in meine bildungsbürgerliche Welt nehmen konnte. Ahmads Geschichte und die seiner Schwestern Maryam, Scherin und der fünf anderen Kinder der Familie Khalil* spielt im Berliner Stadtteil Neukölln. Es geht in ihr um Bildung und Migration. Viele der 15.297.460 Menschen mit sogenanntem Migrations­hintergrund in Deutschland könnten sie erzählen. Immer ein bisschen anders, je nach Bildungsstand und Herkunftsland. Und je nachdem, seit wann sie hier sind, woher die Eltern stammen und warum sie kamen.

Foto: privat

Die Menschen hinter den Zahlen

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Sie sind die Menschen hinter den Zahlen, die Bildungsforscher wie Cornelia Kristen und Cornelia Gresch auswerten. Kristen ist Inhaberin eines Lehrstuhls für Soziologie an der Otto-­FriedrichUniversität Bamberg und wissenschaftliche Leiterin des Arbeitsbereichs „Bildungserwerb von Personen mit Migrationshintergrund im Lebenslauf“ am Bamberger Leibniz-Institut für Bildungsverläufe (LIfBi). Gresch untersucht am Wissen-

schaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) unter anderem ethnische Ungleichheiten im Bildungswesen. Die Wissenschaftlerinnen durchleuchten riesige Datensätze wie den Mikrozensus und analysieren die Ergebnisse von Schulleistungsstudien wie PISA. Wertvolle Daten für ihre Forschung gewinnen sie auch durch das Nationale Bildungspanel (NEPS), das seit 2014 vom ­LIfBi durchgeführt wird. Die für Deutschland repräsentative Studie begleitet Bildungsprozesse und Kompetenzentwicklung von 60.000 Menschen über viele Jahre hinweg in verschiedenen Lebensphasen. Heute auf dem Fransen­ teppich erzählt mir Ahmad von der Schule. Er geht nicht gerne hin. Der Ton in der Klasse ist rau, die anderen hänseln ihn. Ahmad schaut auf den Boden, eine schwarze Haarsträhne rutscht vor seine dunklen Augen. Er möchte später gerne Ingenieur werden, sagt er. Oder Informatiker, so genau wisse er das noch nicht. Vor vier Jahren hätte ich gesagt, klar, warum nicht. Das war, bevor ich verstanden hatte, was es bedeutet, wenn man von ungleichen Bildungschancen spricht. Zwischen dem, was Ahmad gerne mal wäre und dem, was er nach momentanem Stand sein kann, liegt eine Kluft. Sie ist gefüllt mit Schwierigkeiten, denen sich viele Menschen mit Migrationshintergrund stellen müssen. Da ist zum Beispiel die Landessprache: Um dem Unterricht folgen zu können, müssen Migrantenkinder sie erst einmal lernen. „Das ist einer der Gründe, warum sie am Ende der Grundschulzeit schlechter abschneiden“, sagt Cornelia Gresch vom WZB. In ihrer Dissertation hat sie gezeigt, dass es dabei Unterschiede zwischen den verschiedenen Gruppen gibt. Spätaussiedler etwa haben etwas bessere Noten als türkischstämmige Schüler und erzielen auch in Leistungstests etwas bessere Ergebnisse. Das kann daran liegen, dass sie oder ihre Eltern häufig schon im Herkunftsland Deutsch gesprochen haben. Die Bildungschan-

cen eines Kindes, das betonen Gresch und auch Cornelia Kristen, hängen aber vor allem von seiner sozialen Herkunft ab: dem sogenannten soziökonomischen Status.

Hoher Status, gute Chancen

Schüler mit einem hohen sozioökonomischen Status besuchen im Vergleich zu jenen mit einem niedrigen Status seltener Hauptschulen (7 vs. 34 Prozent), jedoch dreimal so häufig ein Gymnasium (64 vs. 21 Prozent), heißt es auch im Bildungsbericht 2014. Und häufig sind es eben Migranten, die ihren Kindern nicht viel mehr als einen guten Willen bieten können. Und den haben sie: 28 Prozent der türkischstämmigen S­chüler etwa wechseln auf das Gymnasium – obwohl nur 18 Prozent von ihnen hierfür eine Empfehlung erhalten. Dennoch, sagt Cornelia Kristen, höre man Sätze wie „Die wollen halt einfach nicht!“ häufig in Deutschland. „Aber das stimmt nicht. Migranten haben häufig eine wesentlich höhere Bildungs­ aspiration.“ Wissenschaftler reden in diesem Zusammenhang auch von „Zuwanderungsoptimismus“: Im Gegensatz zu Deutschen aus vergleichbaren sozioökonomischen Schichten wollen Migranten oft ihren Status verbessern und wünschen sich deshalb für ihre Kinder eine höhere Bildung. Auch Ahmads Vater Abdulkader Khalil ist das ein Anliegen. „Ich sage meinen Kindern immer, wie wichtig Bildung ist. Bildung ist Nahrung für das Gehirn, also das, was für den Körper das Essen ist.“ Diese Sätze fallen regelmäßig, wenn wir uns unterhalten. Mit seiner Frau sitzen wir im Wohnzimmer auf der beigefarbenen Couch und trinken süßen schwarzen Tee. Im Hintergrund läuft Al Jazeera, es geht um die Lage in Syrien. Dort hat Vater Khalil an der Universität von Damaskus Englisch unterrichtet, bevor er als Kurde mit seiner Familie fliehen musste. „Ohne Uniabschluss kann man

* Name von der Redaktion geändert.

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LEIBNIZ | BILDUNG

nicht gut leben“, sagt er. „Leben kann jeder. Aber gut leben – das nicht.“ Khalil hat so einen Abschluss, aber wegen fehlender Papiere wurde er hier nicht anerkannt. Seine Frau ist nicht zur Schule gegangen. Seit 21 Jahren leben sie in Berlin. Derzeit von Hartz IV. Bildung und Kapital sind meist eng miteinander verknüpft. Ob ein Kind Erfolg in der Schule hat oder nicht, darüber entscheiden vor allem die sogenannten Bildungsressourcen, die zwischen den Schichten jedoch ungleich verteilt sind. Cornelia Gresch und Cornelia Kristen können einige aufzählen: die bereits erwähnte Kenntnis der Landessprache, das Bildungsniveau der Eltern, finanzielle oder auch intellektuelle Fördermöglichkeiten der Kinder, das Lernumfeld oder schlicht: Wissen – über das deutsche Bildungssystem zum Beispiel.

Bildungsweichen fürs Leben

Die Phase vor dem Wechsel in die Sekundarstufe I in Deutschland ist kritisch. Jetzt werden Bildungsweichen gestellt, nicht nur für das Gymnasium, sondern auch für die weitere Laufbahn. Wer das nicht weiß, verpasst unter Umständen den entscheidenden Moment, den Grundstein für eine solide Bildung seines Kindes zu legen. „Danach ist es eigentlich gelaufen“, sagt Cornelia Gresch vom WZB. „Wechsel zwischen

Dossier „Zukunft Bildung“ Bildung ist ein komplexes ­Thema, bei dem trotzdem jeder mitreden will. Im Online-Dossier „Zukunft Bildung“ bündeln das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) und die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) deshalb Informationen für Interessierte. Die WZBForscher Benjamin Edelstein und Simone Grellmann, die das

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den verschiedenen Schulformen finden dann nur noch selten statt.“ Das deutsche System werde deshalb immer wieder kritisiert, die Schüler zu früh auf weiterführende Schulen zu verteilen. Wenn die Kinder mit unterschiedlichen Ausgangsvo­ raussetzungen in die Grundschule kommen, reiche die kurze Zeit nicht aus, um das auszugleichen.

Jedes Kind ein Einzelfall

Im Wohnzimmer der Khalils wurde in letzter Zeit viel diskutiert. Auch Ahmad und seine Schwester Maryam stehen kurz vor dem Wechsel an eine höhere Schule. Die Kinder gehen in die sechste Klasse der Karlsgartengrundschule, Ahmad hat einen Notendurchschnitt von 3,2, Maryam einen von 1,6. Sie würde lieber auf die Leibniz-Oberschule gehen, wo das Niveau höher und der Migrantenanteil niedriger ist. Ahmads Leistungen reichen dafür nicht aus. Manchmal habe ich mich gefragt, warum er es nicht schafft, zu Maryam aufzuschließen. Die Geschwister leben und lernen unter den gleichen Bedingungen. Sie teilen Eltern, Wohnung und Geschichte – und sehen sich mit denselben Hindernissen konfrontiert. Aber wenn wir in die Bücherei gehen, zieht es Ahmad magisch in die Ecke mit den Computerspielen, während Maryam zwischen den Bücherregalen verschwindet. Ahmad fällt es schwer, sich auf den UnProjekt betreuen, wollen mit der Plattform den konstruktiven Dialog über bildungspolitische Fragen unterstützen. Das von der Jacob Foundation geförderte Dossier stellt bildungspolitische Akteure vor, greift Probleme und Streitfragen auf und trägt Erkenntnisse aus Bildungsforschung und -praxis zusammen — und zwar aus allen Bildungsbereichen von der Kita bis zur Universität. Verschiedene Kapitel informieren über die Folgen des demografischen Wandels

terricht und die Hausaufgaben zu konzentrieren, Maryam ist fokussiert und neugierig auf die Welt. Ihre guten Leistungen scheinen nicht in das Bild zu passen, das in Deutschland wohl viele von Migrantenkindern ­haben. Das Beispiel der Geschwister zeigt, wie schwierig es ist, einzelne Schicksale in das kom­plexe Forschungsfeld „Bildung und Migration“ zu pressen. ­Jedes Kind ist individuell. Quantitative Forschung, wie Cornelia Gresch und Cornelia Kristen sie betreiben, erlaubt es, dennoch aussagekräftige Rückschlüsse über typische Muster und zentrale Bedingungen des Bildungserfolgs zu ziehen. Vater Abdulkader Khalil hat oft gegrübelt, ob Ahmad es auf einer anderen Schule leichter gehabt hätte. Ob er auf einer mit weniger Migranten besser gefördert worden wäre? Immer wieder haben die Khalils mit dem Gedanken gespielt, in einen anderen Berliner Bezirk zu ziehen, ins wohlhabende Steglitz oder das grüne Zehlendorf zum Beispiel. Am Ende stand immer das Geld: Auch wenn sie gewollt hätten, die Mieten dort wären zu teuer gewesen.

Vereinheitlichung der Leistungen

In der Wissenschaft wird diese Diskussion unter dem Schlagwort „Segregation“ geführt. Darunter versteht man die ungleiche Verteilung verschiedener für die Bildungspolitik, neue Erkenntnisse der Intelligenzforschung, Schwächen von UniRankings und zahlreiche andere Themen. Mit Texten, Videos und Grafiken möchte das Dossier vor allem junge Menschen ansprechen. Neben Wissenschaftlern, Schülern, Studierenden und Lehrkräften kommen deshalb auch der Rapper MC Toba Borke und der Beatboxer Pheel zu Wort. www.bpb.de/zukunft-bildung

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LEIBNIZ | BILDUNG

Ethnien über Stadtgebiete und Ortschaften: In Neukölln ist die Segregation besonders stark ausgeprägt, viele Kinder aus sozioökonomisch schwachen Familien gehen hier zur Schule. „In einem Umfeld, wo die Mitschüler im Schnitt schlechtere Leistungen erzielen, lernt auch das einzelne Kind weniger als in einem leistungsstärkeren Umfeld“, erklärt Cornelia Kristen. Die Aufgliederung in die verschiedenen Schultypen verstärke diesen Effekt vermutlich noch. „Sie zieht eine Vereinheitlichung der Leistungen innerhalb der verschiedenen Schulformen nach sich.“ Ahmads große Schwester Scherin weiß, wovon die Bamberger Bildungsforscherin spricht. „Wir waren fast nur Ausländer in der Schule“, erinnert sich die 27-Jährige. Die Familie ei-

ner Freundin sei deshalb nach Steglitz gezogen. „Sie spricht heute anders als ich, drückt sich sehr gewählt aus“, sagt Scherin. „Wie hätte ich das lernen sollen, bei so vielen Migranten?“

Als Migrant doppelt beweisen

Gerade hat sie ihren Bachelor für „Soziale Arbeit“ an der Uni Potsdam abgeschlossen. Einfach war der Weg dorthin nicht. Scherin musste die zweite Klasse wiederholen und auch das Abitur. Ihr NC war zu schlecht, deshalb hat sie sich in ihr Studium eingeklagt. Die Hausarbeiten seien ihr als Nichtmuttersprachlerin schwerer gefallen als den deutschen Kommilitonen. Und noch eine Erfahrung hat sie im Laufe

ihrer Bildungslaufbahn gemacht. „Als Migrant musst du dich doppelt beweisen. Wenn dein Name Ali ist, heißt es schnell: Ach, du kannst es doch eh nicht! Selbst wenn du gute Klausuren schreibst.“ Scherin würde ihre Schwester Maryam deshalb gerne auf der Leibniz-Oberschule sehen. Sie würde dort gefordert werden, das täte ihr gut. Im Neuköllner Wohnzimmer der Khalils aber ist die Entscheidung gefallen: Maryam und Ahmad sollen auch künftig nicht auf verschiedene Schulen gehen. Vater Abdulkader Khalil hat die Kinder an der Albert-Schweitzer-Schule angemeldet. „Sie liegt im Norden von Neukölln“, sagt er. „Und hat einen Migrantenanteil von über 90 Prozent“, denke ich. su san n e h ör r

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Graphik: Elke Baulig/Maakii Film, NEPS 2014

Lernen in Deutschland von der Geburt bis ins hohe Alter

Bildungsforschung im Netzwerk Das Nationale Bildungspanel am Leibniz-Institut für Bildungsverläufe 1/2015

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LEIBNIZ | BIODIVERSITÄT

Lernwerkstatt: Dirk Henzes Schüler bereiten sich auf ihren Abschluss als Einzelhandelskaufmann vor. Einer von ihnen möchte dann einen Fahrradladen eröffnen. 32

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LEIBNIZ | BILDUNG

Bildungswerkstatt Immer mehr Menschen bilden sich nach ihrem Abschluss weiter. Einheitliche Standards für die Dozenten aber fehlen. Ebenso wie Möglichkeiten, diejenigen zu motivieren, die zusätzliche Qualifikationen am dringendsten bräuchten.

Dirk Henze hat sich nach der Mittagspause gerade wieder warm geredet, als sich die Tür zum Klassenzimmer öffnet. „Scheiße“, sagt ein muskulöser junger Mann in schwarzer Jogginghose, schlüpft durch den Türspalt und eilt zu seinem Platz. Das Handy, mit dem er gerade telefoniert hat, hält er noch in der Hand. „Nee, nicht ‚scheiße‘, sondern zu spät“, sagt Henze. Dann fährt er mit dem Unterricht fort.

Foto: Foto: Leo Reynolds/Flickr

Fortbildung statt Fachkräftemangel

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Auch wenn es diese Szene nicht vermuten lässt: Henze unterrichtet keine pubertären Schüler, sondern Erwachsene am Bildungsund Beratungszentrum für Beruf und Beschäftigung, kurz BBZ, in Berlin. Acht Frauen und zwei Männer sitzen an diesem Nachmittag vor ihm. Sie besuchen einen Kurs, der sie auf die theoretische Abschlussprüfung zum Einzelhandelskaufmann vorbereiten soll. Sie machen ihren Abschluss nach. Freiwillig. Gerade ist Rechnungswesen dran und Henze erklärt mit viel Geduld und Verve, auf wie vielen verschiedenen Wegen man ­Preise für Waren berechnen kann.

Das Interesse an Erwachsenenbildung nimmt zu in Deutschland. 26 Millionen Menschen bilden sich jedes Jahr bundesweit fort, sagt Josef Schrader vom Deutschen Institut für Erwachsenenbildung (DIE), dem LeibnizZentrum für Lebenslanges Lernen in Bonn. Oder anders gesagt: Die Hälfte aller Deutschen zwischen 19 und 64 Jahren nimmt mindestens einmal im Jahr an einer Weiterbildung teil, meist innerhalb von Betrieben. Das sind mehr Menschen, als es Schüler und Studenten gibt. Die Zahl der Teilnehmer habe sich in den vergangenen 30 Jahren verdoppelt, so Schrader.

Die Losung vom „Lebenslangen Lernen“, die Bildungspolitiker und Arbeitsforscher schon vor Jahren als unerlässlich für den Wirtschaftsstandort Deutschland und die Wissensgesellschaft ausgerufen haben, scheint angekommen zu sein. Der demografische Wandel spiele eine Rolle, sagt Petra Hübner, die Leiterin des BBZ. „Viele Betriebe merken seit ein paar Jahren, dass sie ihre Ausbildungsplätze nicht mehr besetzen können“, erklärt die Schulleiterin. „Aber die Fachkräfte müssen irgendwo herkommen. Also bilden sich die Leute fort.“

Auch die stets kürzer werdenden Zyklen technischer Neuerungen seien ein Grund für den gestiegenen Weiterbildungsbedarf, sagt Bildungsforscher Josef Schrader. „Wer immer auf dem neusten Stand sein will, muss sich regelmäßig weiterbilden.“ Ganz generell seien die Deutschen immer besser qualifiziert. Auch das trägt zur gestiegenen Nachfrage bei: Je besser die Ausbildung eines Menschen, umso höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass er nach seinem Abschluss weiter lernt. Erwachsenenbildung ist ein extrem heterogenes Feld. Computerschulungen im eigenen Betrieb gehören ebenso dazu wie Kongresse und Tagungen für Mediziner oder der freiwillig besuchte Sprachkurs an der Volkshochschule – und natürlich Dirk Henzes Berufsschulklasse in Berlin, die am Ende zu einem Abschluss führt.

Ausbilden ohne Ausbildung

So vielfältig wie das Kursangebot sind auch die Probleme und Herausforderungen, die Erwachsenenbildung birgt. Eines der schwerwiegendsten Defizite ist die oft mangelnde pädagogische

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LEIBNIZ | BILDUNG

Ausbildung derer, die unterrichten. Der gesamte Bildungsbereich ist nirgendwo einheitlich geregelt. Verbindliche Qualifikationsstandards für Kursleiter, Dozenten und Trainer, die oft unter prekären Beschäftigungsbedingungen arbeiten, fehlen. Das DIE entwickelt deshalb ein Online-Portal, das wissenschaftlich erprobte Materialien als „Open Educational Resources“ frei zur Verfügung stellt. Auch Dirk Henze musste erst lernen, wie man eine Gruppe Erwachsener unter Kontrolle hält. „Erwachsene Menschen, die es nicht schaffen, pünktlich da zu sein?“, sagt der groß gewachsene Mann und zieht die buschigen, schwarzen Augenbrauen hoch, als wäre er darüber immer noch erstaunt. „Da ist für mich erst mal eine Welt zusammen gebrochen.“ Henzes Schüler im BBZ sind größtenteils Harz-IV-Empfänger. „Die sind ganz schnell entmutigt und brechen ab, wenn man sie nicht motiviert“, sagt er. Wie das geht, hatte ihm niemand beigebracht. 300.000 bis 400.000 Lehrkräfte arbeiten in der Erwachsenenbildung, sagt DIE-Direktor Josef Schrader, mehr als im klassischen Schulbereich. Die allermeisten beherrschen zwar das Fach, seien aber unsicher, wie sie ihr Wissen vermitteln sollen. Wie bereitet man den Stoff sinnvoll auf und plant Lernsituationen? Wie stellt man gute Fragen und gibt hilfreiches Feedback? Wie macht man Lernfortschritte sichtbar? All das müssen sich die meisten Dozenten selbst beibringen. Viele landen zudem eher über Umwege in der Erwachsenenbildung – quasi als Plan B, wenn etwas mit dem ursprünglichen Beruf nicht klappt, oft auch als Freiberufler, in Teilzeit, oder gänzlich unentgeltlich im Ehrenamt.

„Echt was in der Birne“

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Dirk Henze hat Einzelhandelskaufmann gelernt und wollte nach einigen Jahren Berufserfahrung im Handel seinen ei-

genen Supermarkt aufmachen. Das ging schief und Henze war pleite. „Ich musste irgendwie gucken, wie ich Geld verdiene“, erinnert er sich. Er sah zufällig eine Anzeige und bewarb sich – als Ausbilder für Menschen, die so wie er Verkäufer werden wollen. Er bekam die Stelle. „Dann hab ich mich vor eine Gruppe gestellt und so getan, als würde ich das schon immer machen.“ Was Henze gar nicht leiden kann, ist Unpünktlichkeit. Schon wenn er das Wort ausspricht, wird er ganz ernst. Das ist noch heute so. Zu Beginn seiner Zeit machte er seinem Ärger einmal Luft – mit schwerwiegenden Folgen. „Der junge Mann war eh schon ein problematischer Fall und dann kam er auch noch zu spät. Da habe ich ihn angeranzt“, erinnert sich Henze. Das ließ der Kursteilnehmer nicht auf sich sitzen und maulte zurück. Henze stieg darauf ein – und die ganze Klasse hörte mit. Heute weiß er: „Das Problem ist: Ich muss in einer solchen Situation gewinnen, sonst steht meine Autorität auf dem Spiel.“ Er bleibt deshalb von vornherein gelassen. Der Schüler damals aber schmiss den Kurs und trat nicht zur Prüfung an. Henze ist heute noch traurig darüber. „Der hatte echt was in der Birne“, sagt er. „So wie viele. Was ihm fehlte, waren Durchhaltevermögen und soziale Kompetenz.“ Schüler wie die von Lehrer Henze sind in der Erwachsenenbildung unterrepräsentiert. Reinhard Pollak untersucht am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB), wer Weiterbildungsmaßnahmen in Anspruch nimmt. Seine Projektgruppe „Nationales Bildungspanel: Berufsbildung und lebenslanges Lernen“ koordiniert die umfassendste Befragung zur Erwachsenenbildung in Deutschland. Erste Ergebnisse zeigen: Besonders häufig bildet sich fort, wer einen Job hat, Vollzeit arbeitet, mittleren Alters und gut ausgebildet ist. Arbeitslose, Teilzeitbeschäftigte, Ältere und geringqualifizierte Menschen

nehmen Weiterbildungsangebote dagegen seltener wahr – auch weil ihre Arbeitgeber es ihnen weniger häufig ermöglichen. Die Befunde geben noch weitere Details preis: Wer organisiert, plant, berät, informiert, pflegt oder unterrichtet, bildet sich eher weiter als jemand, der etwas herstellt, transportiert, lagert, ein- und verkauft oder reinigt.

„Aufsuchende Bildungsarbeit“

Es ist eine große Herausforderung, auch diese zweite Gruppe zu motivieren“, sagt auch Josef Schrader vom DIE, man müsse auf Menschen mit geringeren Bildungsabschlüssen und entsprechend weniger Motivation zugehen, weil diese nur selten Eigeninitiative zeigen. „Aufsuchende Bildungsarbeit“ nennt er das. Am BBZ hat man dafür offenbar eine andere Lösung gefunden. „Bei uns wird die berufliche Vorerfahrung angerechnet“, sagt Schulleiterin ­ Petra Hübner stolz. Wer eine Ausbildung schon einmal begonnen hat, kann an diesem Punkt wieder einsteigen, muss also nicht erneut drei Jahre Ausbildung absolvieren, sondern lediglich das nachholen, was ihm noch fehlt. Eine Regelung, die so nur in Berlin gelte, wie sie sagt. Ohne diese Regelung säße wohl auch der junge Mann in der schwarzen Jogginghose nicht in Dirk Henzes Klasse. 26 Jahre ist er alt. Seinen Namen will er nicht nennen. Mehrfach hat er eine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann in verschiedenen Fahrradgeschäften begonnen. Im letzten Betrieb lernte er „ein paar Jungs“ ­kennen – und stieg in deren Geschäft mit ein. Nun will er seinen Abschluss nachholen, wie er sagt, „und dann vielleicht einen eigenen Laden aufmachen“. Mal sehen, ob ihn Dozent Henze durch die ­Prüfung bringt. m ar l en e h al ser

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LEIBNIZ | EIN WEITES FELD

JEtzt MitGliEd wERdEN UNd NEBEN FREiEM EiNtRitt iN AllE SENCKENBERGMUSEEN ViElE VORtEilE GENiESSEN.

SENCKENBERG – das sind 10 Forschungsstandorte, 3 berühmte Naturmuseen und ein Auftrag: moderne Naturforschung für die Gesellschaft

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Fischer am kenianischen Ufer des Victoriasees.

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Mein Forschungsgebiet liegt an der Küste des Indischen Ozeans im Süden Kenias. Die Menschen dort leben von der Fischerei, obwohl das Gebiet seit Langem als überfischt gilt. Mich interessiert, ob das wirklich so ist. Und wie man die Lebensgrundlage der Menschen dort erhalten kann. Letztes Jahr war ich drei Monate unten. Helfer vor Ort und ich stellten uns an die Landungspunkte und notierten bei jedem Fischer, wann er rausfuhr und zurückkam. Wo, wie viel und welche Arten hatte er gefischt? Und wie groß waren die einzelnen Tiere? Mein Ziel ist es, ein Modell zu entwickeln, mit dem ich simulieren kann, wie es um die Fischerei an Kenias Küsten in fünf oder zehn Jahren bestellt sein wird. Auch ich bin in einer Gesellschaft von Fischern aufgewachsen, in der Nähe des kenianischen Ufers des Victoriasees. Wegen der Probleme, die ich dort sah, beschloss ich, mich der Fischerei als Wissenschaftler zu widmen. Für den Master „International Studies in Aquatic Tropical Ecology“ ging ich deshalb nach Deutschland an die Universität Bremen und das Leibniz-Zentrum für Marine Tropenökologie, wo ich nun auch promoviere. Biologie ist nur ein Teil meiner Arbeit: Fischerei ist eng mit vielen sozialen Themen verknüpft, mit Armut und Arbeitslosigkeit beispielsweise. An dem Küstenabschnitt etwa, wo ich jetzt forsche, wollte die Regierung in den 1990ern ein Meeresschutzgebiet ausweisen. Das scheiterte, weil die Menschen fürchteten, ihre Lebensgrundlage zu verlieren. Heute sind zwar bestimmte Fanggeräte verboten. Aber wer kein Geld hat, sich andere zu kaufen, geht trotzdem mit einer selbstgebastelten Harpune fischen, die Schäden an den Korallen verursacht. Die Ergebnisse meiner Arbeit will ich auch mit der lokalen Bevölkerung und den Fischern diskutieren. Denn manchmal können wir Wissenschaftler gar nicht genau erklären, warum diese oder jene Veränderung aufgetreten ist. Die Fischer aber können zum Beispiel sofort sagen: In diesem Jahr gab es weniger Fische, weil es so heiß war. Das ist ihre Erfahrung, wir müssen da zuhören. Und am Ende aus allem eine wissenschaftliche Erkenntnis formulieren. pau l tu d a ,

leibniz - zentrum für marine tropenökologie

Foto: Javier Corbo Lopez/Flickr; Protokoll: Armin Simon

Foto: Gladieu/Le Figaro Magazine/Laif; Text: David Schelp

Fischerwissen

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LEIBNIZ | SPEKTRUM

Puzzlearbeit Die Moleküle, denen sich Christian Hertweck widmet, sind winzig — aber extrem komplex. Eines Tages könnten sie Grundlage neuer Chemiker nun den Leibniz-Preis verliehen.

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Fotos: David Ausserhofer/DFG

Medikamente sein. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat dem

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LEIBNIZ | SPEKTRUM

Jena ist eine Stadt, die erst auf den zweiten Blick ihren Charme entfaltet. Der Weg vom Paradies­ park zum Beutenberg Campus, dem wissenschaftlichen Zentrum, führt entlang wulstiger, blauer Fernwärmerohre. Ab und an rauscht ein Zug vorbei. Aber löst man den Blick von den Rohren und Gleisen, bleibt er an dem grünen Kessel aus bewachsenen Hügeln hängen, der die Stadt umschließt. Auf der anderen Seite des Weges fließt ruhig die Saale. Heute läuft Christian Hertweck diesen Weg vom Bahnhof, den er sonst mit dem Klapprad oder der Straßenbahn zurücklegt. 60 Zugminuten trennen seinen Wohnort Leipzig und seinen Arbeitsplatz auf dem Beutenberg, das LeibnizInstitut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie – HansKnöll-Institut (HKI). „Das kann schon anstrengend sein“, sagt er, „aber ich habe gelernt, die Zeit ­effektiv zu nutzen. Zwei Stunden, in denen mich niemand anderes als der Schaffner stört.“ Am HKI füllt Christian Hertweck gleich mehrere Rollen aus. Er ist Leiter der Abteilung für Biomolekulare Chemie, stellvertretender Direktor und Mentor für junge Wissenschaftler. Außerdem hat er die Professur für Naturstoffchemie an der FriedrichSchiller-Universität Jena inne. Er beschäftigt sich mit kleinen, aber komplexen organischen Molekülen aus Mikroorganismen. Diese Naturstoffe sind einerseits ökologisch bedeutsam – andererseits können sie als Wirkstoffe die Grundlage für neue Medikamente sein.

Antibiotika aus Bakterien

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Mit seiner Arbeitsgruppe hat Hertweck bereits viele Puzzleteile zusammengetragen, die entschlüsseln, wie Mikroben die kompliziert aufgebauten Moleküle herstellen. Mit Hilfe dieses Wissens haben die Forscher erstmals neuartige Antibiotika aus anaeroben Bakterien gewonnen. Hinzu kommen grundlegend neue Erkenntnisse zum Zusammenleben von Pilzen und Bakterien.

Im Labor: Christian Hertweck und Mitarbeiter.

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) hat dem gebürtigen Bonner deshalb Anfang März den mit 2,5 Millionen Euro dotierten Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis verliehen.

„Nicht geglaubt, was gelehrt wurde“

Der Weg dorthin war durchaus von Zweifeln begleitet. Nach vier Semestern unterbricht Christian Hertweck erst einmal sein Chemiestudium an der Universität Bonn. „Ich habe nicht geglaubt, was da gelehrt wurde“, sagt er. „Diese ganzen Formeln und dass da irgendwelche Elek­ tronen rumwandern.“ Doch auch ein Intermezzo in Philosophie, Psychologie und Germanistik erklärt ihm nicht, was die Welt im Innersten zusammenhält. „Erst später ist mir aufgegangen, dass solche Formeln nicht die Realität sind, sondern gut funktionierende Modelle, mit denen man etwas beschreibt, was dann erfahrbar wird.“ Heute nutzt der Forscher theoretische Modelle aus verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen, weil sie es ihm ermöglichen, Fragestellungen aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln zu beleuchten. Das spiegelt sich auch in der Auswahl seiner Mitarbeiter: Chemiker, Biologen, Biochemiker, Pharmazeuten und Mikrobiologen arbeiten in seiner Abteilung zusammen. 1996 schließt Christian Hertweck schließlich sein Chemie­ studium ab. Am ebenfalls auf

dem Beutenberg ansässigen MaxPlanck-Institut für chemische Ökologie beendet er drei Jahre später seine Promotion. Nach einer Zwischenstation in Seattle kehrt er 2001 nach Jena zurück. Dieses Mal ans Hans-KnöllInstitut, wo ihm eine Nachwuchsgruppe übertragen wird. „Das war spannend, hat aber auch den Druck enorm erhöht. Ich musste in sehr kurzer Zeit lernen, Mitarbeiter anzuleiten und mich wissen­ schaftlich profilieren.“ Nach seiner Habilitation haben Elite-Universitäten wie die TU München und die ETH Zürich versucht, ihn abzuwerben, aber er ist Jena treu geblieben. Nicht zuletzt wegen der idealen Arbeitsbedingungen. Hertwecks Abteilung hat sich auf die Entdeckung neuer Wirkstoffe gegen Infektionen spezialisiert. Mit chemischen und biologischen Methoden untersuchen die Forscher, wie die mikrobiellen Naturstoffe aufgebaut sind und wirken. Mit synthetischen und gentechnischen Verfahren werden diese dann verändert, damit die Medizin sie nutzen kann.

Giftstoff gegen Tumorzellen

Rhizoxin ist einer dieser Wirkstoffe. In der Natur nutzt ein Pilz das Zellgift, um Reispflanzen zu befallen. Tests haben jedoch gezeigt, dass Rhizoxin auch gegen Tumorzellen wirksam ist. Hertweck und seine Kollegen fanden in der Folge heraus, dass der Pilz nicht der wahre Produzent ist, sondern Bakterien, die im Inneren der Pilzzellen leben. Mit Hilfe dieser Bakterien konnten schließlich deutlich wirksamere Verbindungen produziert werden. „Ich würde mich sehr freuen“, sagt Hertweck, „wenn das, was wir hier machen, irgendwann mal eine Krankheit heilt oder eine Infektion bezwingt.“ Gleichzeitig sei ihm bewusst, dass der Weg zum Medikament weit ist. Das Fördergeld des Leibniz-Preises ermöglicht es ihm, nun auch riskantere Projekte zu verfolgen, für die sich sonst kaum Gelder aufbringen lassen.

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LEIBNIZ | SPEKTRUM

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Hertwecks Arbeitstage sind lang und gefüllt mit diversen Terminen, Projektmeetings und dem Schreiben wissenschaftlicher Artikel und Gutachten. Hinzu kommen die Vorlesungen an der Universität, administrative Aufgaben und ein ganzer Wust an E-Mails. Das hohe Arbeitspensum erfordert eine gute Strategie. „Auch um nicht irgendwann sonderlich zu werden.“ Zum Ausgleich macht Christian Hertweck Sport und verschiedene Entspannungsübungen. „Dabei geht es gar nicht darum, in eine andere Welt abzudriften, sondern präsenter und ausgeglichener in dieser Welt zu sein.“ An die große Glocke hängt der 45-Jährige das aber lieber nicht, immerhin sei die Wissenschaftswelt noch immer eine sehr rationale. „Wissenschaftler meinen manchmal, dass alles beweisbar und einer Logik unterworfen sein müsste, damit es wahr ist“,

sagt er. „Für viele ist das eine Art Insel in einem ansonsten sehr unberechenbaren Universum. Dabei ist auch die Logik an sich nicht beweisbar. Man muss an sie glauben.“

An der Forschung wachsen

Auch mit seinen Mitarbeitern spricht Hertweck nicht nur über Arbeitsfortschritte. Sie tauschen sich über Themen wie Frus­ trationsbewältigung oder den Umgang mit Prüfungssituationen aus. Ein weiterer Punkt, den Hertweck ihnen nahelegt: das „freundliche Nein-Sagen“. Das sei absolut notwendig, um sich auf das Wesentliche konzentrieren zu können. An seinem Beruf als Wissen­ schaftler reizen Hertweck neben der Hoffnung auf Erkenntnisse,

die Leiden lindern, auch diese zwischenmenschlichen ­Er­fahrungen. Und das Wachsen an den gestellten Aufgaben. „Im Grunde sind das die gleichen Herausforderungen wie im täglichen Leben“, findet er. Arbeit sei eine ritualisierte Übung, mit den ganz normalen Lebensaufgaben umzugehen. „Die eine Frage lautet: Kann man die Aufgabe lösen? Aber die andere ist: Was hat das Ganze mit einem selbst gemacht?“ Hertweck wirkt zufrieden. Mit beschwingtem Schritt setzt er seinen Weg zum HKI fort. An manchen Stellen löst sich der steinige Untergrund des Weges zu hellem Matsch und hinterlässt Spuren an Schuhen und Hosenbein. Christian Hertweck scheint das nicht der Rede wert. In etwa zehn Minuten wird er den ­Beutenberg erreicht haben. ti n a ku n ath

sehen sie auch überall den produktlebenszyklus? Mehr sehen. Mehr verstehen. Alles finden. ZBW.

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Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft Leibniz Information Centre for Economics

Über die ZBW haben Sie Zugriff auf qualitativ hochwertige Volltexte, Daten und Statistiken aus den Wirtschaftswissenschaften. In ganz Deutschland. www.alles-finden-zbw.eu

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LEIBNIZ | IMPRESSUM

Wissen direkt vom Erzeuger.

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Leibniz-Journal

Feinstaub

Drohnen

Wenn Luft krank macht

„Saubere“ Kriege oder Kriegsverbrechen?

Ägypten

Ausstellung

Recherchen bei den Muslimbrüdern

1/2014

100 Jahre Jugendbewegung

Leibniz-Journal

Das Magazin der Leibniz-Gemeinschaft

Big Data

Science 2.0

Kuba

Affengesellschaft

Goldrausch in Datenbergen?

Bloggen für mehr Freiheit

Das nal, z-Jour i n b i e L l im vierma Jahr.

Wissenschaft und Social Media

Die Primatenforscherin Julia Fischer

Das Magazin der Leibniz-Gemeinschaft

Luft anhalten. Wie kleinste Partikel größte Probleme bereiten

Der

vernetzte

Mensch G 49121

G 49121

Wie die Digitalisierung unsere Gesellschaft verändert

Kostenloses Abo: abo@leibniz-gemeinschaft.de www.leibniz-gemeinschaft.de/journal

IMPRESSUM

Leibniz-Journal

Herausgeber: Der Präsident der Leibniz-Gemeinschaft Matthias Kleiner Chausseestraße 111, 10115 Berlin Telefon: 030 / 20 60 49-0 Telefax: 030 / 20 60 49-55 www.leibniz-gemeinschaft.de

Redaktion: Christoph Herbort-von Loeper (komm. Chefredakteur), David Schelp (C.v.D.) Alessa Wendland, Malte Jacobs (Praktikant), Nora Tyufekchieva (Grafik), Steffi Kopp (Assistenz). journal@leibniz-gemeinschaft.de Anzeigen: Axel Rückemann, anzeigen@leibniz-gemeinschaft.de Layout: Stephen Ruebsam, unicom-berlin.de

Druck: PRINTEC OFFSET – medienhaus, Kassel Nachdruck mit Quellenangabe gestattet, Beleg erbeten.

Auflage: 34.000 Ausgabe 1/2015: März www.leibniz-gemeinschaft.de/journal Das Leibniz-Journal erscheint viermal jährlich. Es wird gratis über die Institute und Museen der Leibniz-Gemeinschaft verbreitet. Außerdem kann es über die Redaktion kostenlos unter abo@leibniz-gemeinschaft.de abonniert werden. ISSN: 2192-7847 Leibniz twittert: twitter.com/#!/LeibnizWGL Leibniz ist auf Facebook: facebook.com/LeibnizGemeinschaft

Die Leibniz-Gemeinschaft — 89 Mal Forschung zum Nutzen und Wohl der Menschen: Die Leibniz-Gemeinschaft verbindet 89 selbständige Forschungseinrichtungen. Deren Ausrichtung reicht von den Natur-, Ingenieur- und Umweltwissenschaften über die Wirtschafts-, Raum- und Sozialwissenschaften bis zu den Geisteswissenschaften. Leibniz-Institute bearbeiten gesellschaftlich, ökonomisch und ökologisch relevante Fragestellungen. Sie betreiben erkenntnis- und anwendungsorientierte Grundlagenforschung. Sie unterhalten wissenschaftliche Infrastrukturen und bieten forschungsbasierte Dienstleistungen an. Die Leibniz-Gemeinschaft setzt Schwerpunkte im Wissenstransfer in Richtung Politik, Wissenschaft, 1/2015

Wirtschaft und Öffentlichkeit. Leibniz-Institute pflegen intensive Kooperationen mit den Hochschulen – u.a. in Form der WissenschaftsCampi –, mit der Industrie und anderen Partnern im In- und Ausland. Sie unterliegen einem maßstabsetzenden transparenten und unabhängigen Begutachtungsverfahren. Aufgrund ihrer gesamtstaatlichen Bedeutung fördern Bund und Länder die Institute der Leibniz-Gemeinschaft gemeinsam. Die Leibniz-Institute beschäftigen rund 18.100 Personen, darunter 9.200 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Der Gesamtetat der Institute liegt bei 1,64 Milliarden Euro. 41


Foto: Miriam Tamayo/Tanzcompagnie Rubato

LEIBNIZ | SPEKTRUM

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LEIBNIZ | SPEKTRUM

Schöne neue

Arbeitswelt

Unsichere Jobs, befristete Verträge, wacklige Altersver­sorgung. Am Beispiel von Künstlern haben Regionalwissen­ schaftler den sich verändernden Arbeitsmarkt untersucht. Mit beunruhigen­dem Ergebnis.

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LEIBNIZ | SPEKTRUM

Immer wieder neu beweisen

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Oliver Ibert vom Leibniz-Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung (IRS) hat diese neue Arbeitswelt am Beispiel von Musicaldarstellern wie Mahrenholz untersucht. In qualitativen Interviews befragten er und seine Mitarbeiter Suntje Schmidt und Kai Pflanz zwei Dutzend Künstler. Das Ergebnis fasst Ibert wie folgt zusammen: „Alle Unsicherheiten, die man auf dem Arbeitsmarkt finden kann, kommen in dieser Branche vor. Bei Musicaldarstellern lässt sich das Phänomen des volatilen Arbeitsmarktes wie in einer Laborsituation beobachten.“ Die Regionalwissenschaftler aus Erkner haben untersucht, wie diese sich an die schwierigen Gegebenheiten anpassen. Dazu haben sie Begriffe, die

„Hätte mir den Beruf nie so schwer vorgestellt.“ Musicaldarstellerin Mandy-Marie Mahrenholz

aus der Ökologie stammen, auf die Arbeitssituation übertragen: Als Vulnerabilität, also Verwundbarkeit, bezeichnen sie die Risiken des Berufs, als Resilienz die Strategien, die Musicaldarsteller entwickeln, um mit ihnen umzugehen. „Ich hätte mir den Beruf nie so hart vorgestellt“, sagt Mandy-Marie Mahrenholz. Sie ­ hat in Hamburg die Akademie von Stage Entertainment besucht, dem größten Musicalunternehmen Europas. Eine private Schule, die in der Branche über großes Renommee verfügt. Trotzdem muss Mahrenholz

sich auch heute, fünf Jahre nach ihrem Abschluss, immer wieder neu beweisen. Derzeit tourt sie mit Andrew Lloyd Webbers Musical „Sunset Boulevard“ durch ­Österreich und die Schweiz. Für Engagements wie diese gibt es meist ein mehrstufiges Auswahlverfahren. Mahrenholz bereitet sich mit Gesangs- und Schauspielunterricht darauf vor. Den Unterricht bezahlt sie selbst, ebenso wie Anreise und Unterkunft. Meist kommen auf acht Rollen etwa 100 Kandidaten. „Eine Absage hat nicht unbedingt etwas mit meinem Können zu tun“, sagt Mahrenholz. „Aber natürlich empfinde ich das trotzdem erst mal als Ablehnung.“ Der Wettbewerb ist immer da. „Es gibt nicht den Punkt, wo ich sagen kann: Jetzt habe ich es geschafft“, erklärt Oliver Ibert. „Auch die erfahrenen Darsteller haben uns gesagt: Man hat nie Sicherheit. Selbst wenn man schon mehrere Hauptrollen an großen Häusern hatte, kann es sein, dass man eine schlecht bezahlte Nebenrolle annehmen muss, damit es weitergeht.“ Die Gagen sind oft niedrig. Und manchmal sind sie an die Aufführungen gekoppelt. Wer zur Premiere krank wird und ersetzt werden muss, bekommt im schlimmsten Fall gar kein Geld – für mehrere Wochen Arbeit. Mandy-Marie Mahrenholz hatte vor eineinhalb Jahren ein einschneidendes Erlebnis. Ein Theater in Aachen wollte sie engagieren. Jeden Abend sollte sie eine Vorstellung spielen, tagsüber proben. Die monatliche Gage: 1.200 Euro brutto.

Montag Auftritt, Dienstag Arbeitsamt

Arbeitsämter und Versicherungen sind zudem oft nicht auf die wechselnden Beschäftigungsformen eingestellt. Die Darsteller arbeiten mal als Angestellte, mal selbstständig, mal im Inland, mal im Ausland. „Es gibt einen institutionellen mismatch“, sagt Ibert. Eigentlich sollten Arbeitsämter, Kranken- und Rentenversiche-

Foto: Sylke Gall

Mandy-Marie Mahrenholz hat viele Lebensläufe. In einem präsentiert sie sich als Schauspielerin, in einem als Tänzerin, in einem als Moderatorin. Und dann gibt es noch den Lebenslauf für die Tätigkeiten als Trainerin und Dozentin. Mahrenholz ist Musicaldarstellerin. Aber für jeden Job muss sie sich anders verkaufen – je nachdem, ob es um eine Produktion auf der Bühne, im Film oder im Fernsehen geht. Und je nachdem, was es für einen Part zu besetzen gilt, ob sie als Tänzerin, Sängerin oder Schauspielerin engagiert werden möchte. Viele Musicaldarsteller reisen von Job zu Job. Sie sind – wenn überhaupt – nur für ein paar Monate angestellt, maximal für zwei Jahre. Sie müssen extrem flexibel, mobil und leistungsfähig sein, also all das, was in immer mehr Branchen vom Arbeitnehmer erwartet wird. Wissenschaftler sprechen von „volatilen Arbeitsmärkten“, um das Phänomen zu beschreiben: unsichere Jobs, befristete Verträge und eine sich rasch verändernde Situation von Angebot und Nachfrage.

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LEIBNIZ | SPEKTRUM

rung und die Künstlersozialkasse die Arbeitnehmer unterstützen. „Aber für Personen mit sehr flexiblen Erwerbsbiographien verschärfen sie die Situation oft, statt zu helfen.“ So müsse etwa ein Darsteller, der am Montag und am Donnerstag einen Auftritt fern seines Wohnorts hat, sich für Dienstag und Mittwoch im heimischen Arbeitsamt arbeitslos melden. Die Unterstützung erhält er jedoch nur, wenn er dort persönlich vorspricht. Das ist wegen der Reisezeit und -kosten oft schier unmöglich. Die Darsteller sind auf sich gestellt, egal ob es um das Organisatorische geht, ihre Gesundheit oder den nächsten Job. Netzwerken ist darum elementar. Musicaldarsteller knüpfen viele Kontakte und Freundschaften innerhalb der Branche, sagt Ibert. So haben sie die Chance, früh von geplanten Auswahlverfahren zu erfahren, in einer fremden Stadt bei Freunden auf der Couch zu übernachten oder Entscheider persönlich kennen zu lernen. Das sei eine gute Strategie, um sich auszutauschen, findet der Wissenschaftler. Aber auch Netzwerken kann den Wettbewerbsdruck nicht aushebeln. Außerdem wird oft unterschätzt, wie aufwändig es ist: „Die Trennung zwischen Arbeit und Freizeit verschwindet vollständig“, sagt Ibert. „Selbst

das Treffen von Freunden bekommt schnell einen beruflichen Unterton.“

Karriereende mit Vierzig

Eine weitere Strategie ist, sich breiter aufzustellen. „Prismatische Identität“ nennt Ibert das. Die Darsteller konzentrieren sich nicht nur auf Musicalrollen. Sie treten in Fernsehshows auf, singen in Bands oder auf Kreuzfahrtschiffen und arbeiten als Trainer oder Coach. Das ist auch eine Vorbereitung auf die Zukunft, denn mit spätestens 40 Jahren ist die Karriere bei den allermeisten vorbei. Mandy-Marie Mahrenholz bemerkte neulich bei einem Casting, dass sie zu den Ältesten gehörte. Sie ist 27. Viele dieser Schwierigkeiten betreffen auch andere Berufsgruppen: Leistungssportler müssen sich in einem gewissen Alter einen neuen Job suchen. Stewardessen und Bundeswehrsoldaten sind ständig unterwegs. Handwerker gehen gesundheitliche Risiken ein, die sie im schlimmsten Fall berufsunfähig machen. Gleichzeitig steigt in fast allen Branchen die Zahl der befristeten Verträge. Derzeit untersucht Oliver Ibert mit seinem Team die Ber-

liner Lab-Szene. Meist sind es „Digitalarbeiter“, die sich hier zu Innovations- und Kreativlaboren zusammenschließen, Programmierer, Designer und Medienleute beispielsweise. Sie sind die Pioniere der Arbeitswelt. Oft brauchen sie nicht mehr als ihren Laptop. Sie können arbeiten, wann und wo sie wollen. Und doch suchen auch sie nach Fixpunkten, schaffen sich neue Räume, Netzwerke und Strukturen. Ibert sieht die Gefahren, die der sich verändernde Arbeitsmarkt mit sich bringt. Die heute etablierten Formen der Altersvorsorge etwa würden für die meisten Beschäftigten nicht ausreichen. Die Politik müsse reagieren. Und auch Institutionen wie Arbeitsämter und Versicherungen mit ihren oft veralteten Strukturen müssten verändert werden, sagt Ibert. „Natürlich stelle ich mir manchmal die Frage: Wie lang will ich das noch machen?“, sagt Mandy-Marie Mahrenholz. Aber dann steht sie wieder auf der Bühne, in einer Produktion, in der alles stimmt, die Inszenierung, die Rolle, die Kollegen. „Ich mache diesen Beruf aus Leidenschaft“, sagt sie. Damit ist sie nicht allein. Selbstverwirklichung ist der Motor der neuen Arbeitswelt. m ou n i a m ei bor g

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Aktuelle Forschungsergebnisse aus den Leibniz-Instituten

Leibniz-Lektionen Eine Vortragsreihe der Leibniz-Gemeinschaft in der Urania Berlin

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23.3.2015, 19.30 Uhr Klaus Dieter Wolf Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Kon�liktforschung Experten in der Krise. Chancen/ Möglichkeiten und Grenzen der Politikberatung

30.4.2015, 19.30 Uhr Thomas Glauben Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien Agrarspekulation: nützlich oder verwerflich?

18.5.2015, 17.30 Uhr Andreas Mehler GIGA German Institute of Global and Area Studies/Leibniz-Institut für Globale und Regionale Studien Geht es auch ohne Staat? Sicherheit durch Selbsthilfe in Afrika Vortrag mit Diskussion Eintritt frei Die Vortragsreihe wird fortgesetzt.

Veranstaltungsort Urania Berlin An der Urania 17 10787 Berlin

www.leibniz-gemeinschaft.de/leibniz-lektionen

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LEIBNIZ | AUSSTELLUNGEN

Das Schätzchen und das Biest

Aktuelle Ausstellungen

der Leibniz-Gemeinschaft

Die Pandabären Bao Bao und Yan Yan im Berliner Museum für Naturkunde

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Als die Schöne das Schätzchen zum ersten Mal trifft, beißt sie ihm ein halbes Ohr ab. Und dabei hatte im April 1995 ganz Berlin diesem Rendezvous entgegengefiebert. Einer Love Story aus Fernost, deren Protagonisten keine Hollywoodstars waren, sondern die Pandabären Bao Bao (chinesisch: „das Schätzchen“) und Yan Yan („die Schöne“). Wie hätte man auch ahnen sollen, dass in dieser Geschichte die Schöne das Biest ist? 20 Jahre später wirkt Yan Yan friedlich. Aufrecht sitzt sie in einem gläsernen Schaukasten. Bao

Bao hat sich ein paar Meter weiter in sicherer Höhe auf einem Baum niedergelassen. Die Präparatoren des Museums für Naturkunde (MfN) haben die beiden in den Ausstellungsräumen drapiert. Täuschend echt sehen die Dermoplastiken aus. Noch bis Mitte Juli erzählen das MfN, der Zoologische Garten Berlin, WWF Deutschland und das Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung die Geschichte der Bären. Sie machen aber auch darauf aufmerksam, dass ihre Artgenossen in freier Wildbahn zu den Sorgenkindern des

Keine Kohle mehr 17.4. bis 30.7.2015

Willkommen ­im Anthropozän — Unsere Verantwortung für die Zukunft der Erde bis 31.1.2016

Monster. Fantastische Bilderwelten zwischen Grauen und Komik 7.5. bis 6.9.2015

Deutsches Museum, München

Germanisches Nationalmuseum

Genauso unverwechselbar wie ein Fingerabdruck hinterlässt auch der Mensch seine Spuren auf der Erde. Phänomene wie das Ozonloch, schmelzende Polkappen oder der Anstieg des Meeresspiegels führen uns vor Augen, dass wir im Anthropozän angekommen sind, dem neuen Menschenzeitalter. Wie wir unsere Umwelt nachhaltig verändern und gleichzeitig Verantwortung für unseren Pla­neten übernehmen können, zeigt die weltweit erste große Ausstellung zu diesem Thema im Deutschen Museum in ­München.

Godzilla, Dracula, Nosferatu. Sie alle jagen uns einen wohligen Schauer über den Rücken, wecken in uns Ängste, aber auch Sehnsüchte. Dass Untote und Gruselgestalten nicht nur ein modernes Film-Publikum begeistern, sondern bereits vor über tausend Jahren Menschen in ihren Bann zogen, zeigen seit dem Mittelalter etliche Abbildungen von Dämonen, Teufeln und Monstern. Das Germanische Nationalmuseum zeichnet die Entwicklung dieser ganz eigenen und schaurig-schönen Kunstwerke anhand von 200 Objekten nach.

Deutsches Bergbaumuseum, Bochum Der Bergbau gehört zum Pott wie die Currywurst und Herbert Grönemeyer. Über hundert Jahre lang prägten Fördertürme, Schachtanlagen und Schlote das Bild des Ruhrgebiets. Doch viele Bergwerke sind inzwischen geschlossen, 2018 ist endgültig Schicht im Schacht. Für das Fotoprojekt „Keine Kohle mehr“ wurden viele Zechen noch einmal zur großen Bühne: Thomas Stelzmann und Wolf R. Ussler haben ehemalige Bergleute zurück an ihren alten Arbeitsort geholt und sie dort in Szene gesetzt. Damit dokumentieren sie den Niedergang der Industriekultur – aber auch eine mögliche Zukunft der Zechenlandschaften.

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LEIBNIZ | AUSSTELLUNGEN „Fellanprobe“: Yan Yans Gipsplastik wird mit nassem, gegerbtem Fell überzogen.

Fotos: Hwa Ja Götz/MfN (2); DBM; DM; GNM; RGZM; Jacqueline Gitschmann/Senckenberg; Sabine Heine/ZFMK

Tierschutzes zählen. Noch immer stehen sie auf der Roten Liste der vom Aussterben bedrohten Arten. Nur dank aufwändiger Rettungsmaßnahmen haben sie bis heute in den Bambuswäldern Chinas überlebt. Dort wird auch Bao Bao mit einer großen Holzfalle gefangen, bevor er und das Pandaweibchen Tjen Tjen, Yan Yans Vorgängerin, 1980 nach Berlin kommen. Die Tiere sind Staatsgeschenke des damaligen Partei- und Regierungschefs Chinas, Hua Guofeng, an Bundeskanzler Helmut Schmidt. Und Teil der „Panda-Diplomatie“: 23 Bären schenken die Chinesen europäischen Regierungschefs, um die Beziehungen zum Westen zu verbessern. Zumindest bei den Zoobesuchern kommt das gut an.

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Joseph Déchelette (1862-1914) und die Geburt der DeutschFranzösischen Archäologie bis 3.5.2015 Römisch-Germanisches Zentralmuseum, Mainz

Durch einen Onkel entdeckte Joséph Déchelette schon in früher Jugend seine Begeisterung für die Archäologie. Zu Studienzwecken bereiste er jahrelang Europa und besuchte die wichtigsten Altertums-Museen des Kontinents. Seine Recherchen führten den jungen Forscher auch nach Deutschland, wo er eine ­gemeinsame deutsch-französische Forschungs­ tradition begründete. Hundert Jahre, nachdem er als Soldat im Ersten Weltkrieg ums Leben kam, widmet das RGZM Déchelette nun eine Sonderausstellung.

In Berlin avancieren Bao Bao und Tjen Tjen zu Publikumslieblingen. Der Kartenverkauf zieht um 30 Prozent an. West-Berlin hofft auf schwarz-weißen Nachwuchs. Doch das Bärenglück währt kurz: Drei Jahre nach ihrer Ankunft im Zoo stirbt Tjen Tjen an einer Virusinfektion, noch bevor Bao Bao geschlechtsreif ist. Auch in der Wildnis bekommen Pandas selten Nachwuchs, auch weil sie in ihrem von Rodung und Siedlungen unterbrochenem Verbreitungsgebiet immer schwerer zueinander finden. Um den Bestand der Art zu sichern, beginnt die Volksrepublik in den 1970er Jahren, Aufzuchtstationen einzurichten. Auch die Wissenschaft trägt in der Folge zur Rettung der Tiere bei. Forscher widmen sich der Anatomie der Bären und ihrer Lebensweise. Unter anderem finden sie heraus, dass Pandas lange Zeit Fleisch fraßen und erst später bambuskauende Vegetarier wur-

den. Auch die Aufzucht der Tiere steht immer wieder im Fokus. Für Bao Bao und Yan Yan kommen diese Bemühungen zu spät. Die Schöne stirbt 2007 kinderlos, das Schätzchen fünf Jahre später als mit 34 Jahren ältester in Gefangenschaft lebender Panda. Auch das posthume Wiedersehen im MfN ist nicht von Dauer. Nach Ausstellungsende wird Yan Yans Plastik nach Hause in die Volksrepublik gebracht, weil das Tier nur eine Leihgabe war. Bao Bao ist dann endgültig Jung­geselle.

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PANDA. Ein Phänomen in schwarz-weiß bis 31. Juli 2015 Museum für Naturkunde (MfN) Invalidenstr. 43 · 10115 Berlin Öffnungszeiten Di bis Fr 9-18 Uhr, Sa, So und feiertags: 10-18 Uhr www.naturkundemuseum-berlin.de

Im Reich der Gezeiten — Die faszinierende Tierwelt der Nordseeküste bis 17.5.2015

Der Vielfalt auf der Spur — Biodiversitätsforschung am Museum Koenig bis 31.12.2015

Die Nordseeküste ist ein beliebtes Urlaubsziel und gleichzeitig Heimat hunderter faszinierender Tierarten. Muscheln und Krebse leben hier in Symbiose mit Fischen, Vögeln und dem größten freilebenden Raubtier Deutschlands: der bis zu 250 Kilogramm schweren Kegelrobbe. Inmitten dieses Naturschauspiels, weiten Wattlandschaften, hohen Dünen und der tosenden Gischt haben die Tiere der Nordseeküste sich einen einzigartigen Lebensraum geschaffen. Die Besucher der Sonderausstellung können ihn bis Mitte Mai erkunden.

Immer mehr natürliche Lebensräume von Tieren und Pflanzen werden von Menschenhand zerstört. Dadurch sterben jährlich mehrere tausend Arten aus. Wie die Wissenschaft versucht, dieser Entwicklung entgegenzuwirken, zeigt die aktuelle Sonderausstellung des Zoologischen For­schungsmuseums Alexander Koenig. Hautnah können die Besucher erleben, wie die Bonner Forscher arbeiten, an welchen Projekten sie beteiligt sind und welchen Einfluss ihre Erkenntnisse auf Entscheidungsträger in Politik und Wirtschaft haben.

Senckenberg Museum für Naturkunde, Görlitz

Wir verlosen Eintrittskarten für das Museum für Naturkunde. 3 S. 50

Zoologisches Forschungsmuseum Alexander Koenig, Bonn

Mehr Sonderausstellungen unserer Forschungsmuseen finden Sie online: www.leibnizgemeinschaft.de/ institute-museen/ forschungsmuseen/ leibniz-museenaktuell/

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LEIBNIZ | LIFE

Ins Licht gerückt 2015 ist das Internationale Jahr des Lichts und der Lichttechnologien. In Deutschland begann es mit einer Eröffnungsveranstaltung im Deutschen Museum. Dabei erstrahlte das Forschungsmu­ seum derLeibniz-Gemeinschaft in neuem Licht. Im Laufe des Jahres möchte die federführende Deutsche Physikalische Gesellschaft die Bedeutung des Lichts für unser Leben sowie für Forschung und Technik stärker ins öffentliche Bewusstsein rücken. Sie wird dabei unter anderem von der Leibniz-Gemeinschaft unterstützt. www.jahr-des-lichts.de

Neuer Wirkstoff-Cluster

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Fünf Leibniz-Institute machen sich gemeinsam auf die Suche nach neuen biotechnologischen Methoden zur Wirkstoff-Fahndung. Im Leibniz Research Cluster (LRC) erweitern sie die traditionellen Techniken der WirkstoffSuche aus Biologie und Chemie um Ansätze aus Nanotechnologie, Mikrofluidik und Membrantechnologie. Dahinter steht die Erkenntnis, dass neue Wirkstoffe

– besonders dringend benötigte neue Antibiotika – kaum noch ohne eine disziplinenübergreifende Forschung gefunden werden können. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert den LRC zunächst bis 2020 mit 5,5 Millionen Euro. In dieser Zeit werden Nachwuchsforschungsgruppen an den einzelnen Instituten daran arbeiten, neue Wirkstoffe zu finden. Ihr Haupt-

ziel besteht darin, diese durch biotechnologische Methoden künstlich nachzubauen. Beteiligt am LRC sind die Leibniz-Institute für Naturstoffforschung und Infektionsbiologie – Hans-Knöll-Institut (HKI) in Jena, für Analytische Wissenschaften (ISAS) in Dortmund, für Pflanzenbiochemie (IPB) in Halle, für Polymerforschung (IPF) in Dresden und für Neue Materialien (INM) in Saarbrücken.

Fotos: Jan Vetter/DPG; Anna Schroll/HKI

Von links: BMBF-Referatsleiter für Bioökonomie Henk van Liempt übergibt den Förderbescheid an Albert Sickmann (ISAS), Eduard Arzt (INM), Manfred Stamm (IPF), Ludger Wessjohann (IPB) und Axel Brakhage (HKI).

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LEIBNIZ | LIFE

Neubau mit Leibniz-Kita Das Land Hessen und der Bund stellen 42,9 Millionen Euro für den Neubau des Deutschen Instituts für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF) auf dem Campus Westend in Frankfurt am Main bereit. Damit kann das Institut in die direkte Nachbarschaft der Goethe-Universität umziehen und die bestehenden Kooperationen mit der Hochschule weiter intensivieren. Der 13-geschossige Neubau wird auf mehr als 7.000 Quadratmetern Platz für rund 300 Beschäftigte bieten. Der angestammte Sitz des DIPF in der Schloßstraße war für sie zu eng geworden. Im Gebäude ist neben einer Bibliothek, einem Laborkomplex und einem Konferenzbereich eine Kindertagesstätte vorgesehen, die das DIPF gemeinsam mit der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung nutzen wird. Der Umzug ist für den Jahreswechsel 2017/2018 geplant.

Fotos: DFG (2); IFW; LIKAT; MFO; SGN; Uwe Bellhäuser/INM; Stefan Jentsch/FMP

Leibniz-Präsident schmiedet Masterplan

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Niedersachsen will neue Wege für die Forschungsregion Braunschweig-Hannover gehen und einen Masterplan entwickeln, um die Region fit für die Zukunft zu machen. Das Niedersächsische Ministerium für Wissenschaft und Kultur hat den Leibniz-Präsidenten Matthias Kleiner zum externen Moderator der neuen Strategie berufen. Die Masterplanung soll nach der Auflösung der Niedersächsischen Technischen Hochschule die wissenschaftliche Zusammenarbeit der Hochschulen und Forschungseinrichtungen in der Region intensivieren. Dabei sollen die wissenschaftlichen Stärken der Region – nicht nur in den MINT-Fächern – gebündelt werden. Erstes Ziel ist es, die bestehenden Forschungskooperationen zu den Themen Lebenswissenschaften und Mobilität weiterzuentwickeln. Im Zentrum des Masterplans stehen die Leibniz Universität Hannover und die TU Braunschweig, andere Universitäten und Forschungseinrichtungen können jedoch in den Prozess einbezogen werden. In Braunschweig und Hannover haben fünf Institute der LeibnizGemeinschaft ihren Sitz.

Liste

Der Gottfried Wilhelm LeibnizPreis der Deutschen Forschungsgemeinschaft gilt als der wichtigste deutsche Forschungsförderpreis. Manche nennen ihn sogar den „deutschen Nobelpreis“. Neben dem aktuellen Preisträger Christian Hertweck aus Jena (s. Seite 38) arbeiten noch weitere LeibnizPreisträger an Instituten der Leibniz-Gemeinschaft.

Konzentriertes Zuhören fällt vielen nicht leicht. Vor allem bei Schulkindern häufen sich Fälle von Aufmerksamkeitsstörungen und -defiziten. Doch wie wird unsere Aufmerksamkeit eigentlich gesteuert? Damit beschäftigt sich Stefan Treue, Direktor am Deutschen Primatenzentrum — Leibniz-Institut für Primatenforschung in Göttingen. Für seine Forschungsergebnisse hat er 2010 den Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis erhalten. Jürgen Eckert vom Leibniz-Institut für Festkörper- und Werkstoffforschung Dresden wurde 2009 für seine Arbeiten zu den Eigenschaften metallischer Gläser sowie zu quasikristallinen und nanokristallinen Strukturen ausgezeichnet. Diese Werkstoffe sind für die Entwicklung neuer technischer Produkte und Lösungen von großer Bedeutung.

Für seine Arbeiten zu Telomeren, den Enden von Chromosomen, erhielt der Mediziner Karl Lenhard Rudolph 2009 den Leibniz-Preis. Damals arbeitete er an der Universität Ulm, heute ist er wissenschaftlicher Direktor am Leibniz-Institut für Altersforschung — Fritz-Lipmann-Institut in Jena.

Der Chemiker Matthias Beller beschäftigt sich mit einer der Schlüsseltechnologien des neuen Jahrtausends: der Katalyse. Der Leibniz-Preisträger von 2006 und Direktor des Leibniz-Instituts für Katalyse in Rostock sucht nach neuen Wegen für die Herstellung von Wirkstoffen für Arzneimittel und nach Zusatzstoffen für Farben und Lebens­ mittelzwischenprodukte. Gerhard Huisken forscht an der Schnittstelle von Mathematik und theoretischer Physik. Der Direktor des Mathematischen Forschungsinstituts Oberwolfach hat wichtige Beiträge zur allgemeinen Relativitätstheorie geleistet. Er erforschte die Entwicklung der Form von Flächen im Zeitverlauf, ein Studienfeld, das er in den 1980er Jahren mitbegründet hat. Als Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik wurde er 2003 mit dem Leibniz-Preis ausgezeichnet. Bereits 1998 erhielt Volker Mosbrugger den Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis unter anderem für seine historische Forschung im Bereich Klimawandel, Entwicklungen von Ökosystemen und globaler Erwärmung an der Universität Tübingen. Der heutige Generaldirektor der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung erforscht anhand von Befunden aus der Erdgeschichte, wie sich das Klima und die Artenvielfalt verändern. Wie klebt der Gecko an der Wand und kann der Mensch dieses Naturphänomen technisch nachahmen? Dies ist eine der Fragestellungen, denen der Materialwissenschaftler Eduard Arzt nachgeht. Der wissenschaftliche Geschäftsführer des Leibniz‐Instituts für Neue Materialien in Saarbrücken wurde 1996 Leibniz-Preisträger, damals am Max-Planck-Instituts für Metallforschung. Der studierte Mediziner und Physiker Thomas Jentsch erhielt den Leibniz-Preis 1995, damals noch an der Universität Hamburg. Heute arbeitet Jentsch am Leibniz-Institut für Molekulare Pharmakologie, wo er unter anderem Ionenkanäle und ihren Einfluss auf einige genetisch bedingte Krankheiten erforscht.

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LEIBNIZ | LIFE Meilenstein für Senckenberg

Das LOEWE Bio­ diversität und Klima Forschungszentrum (BiK-F) in Frankfurt ist Anfang 2015 als „Senckenberg ­Bio­diversität und Klima Forschungszentrum“ in die ­Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung integriert worden. Im Zuge ­dieser ­strategischen Erweiterung ist es nun auch Teil der Leibniz-Gemeinschaft, seine jähr­liche Förderung in Höhe von rund 6,5 Millionen Euro wurde verstetigt. Bundesforschungsministerin Johanna Wanka nannte die ­Erweiterung beim Festakt zur Integration einen „Meilenstein“ für Senckenberg als eine der weltweit führenden Institu­tionen in der Biodiversitätsforschung. Sie sei der sichtbare Beleg dafür, dass es den Wandel von einem klassischen, naturhistorischen Museum zu einem modernen, integrierten Forschungsmuseum ausgesprochen erfolgreich vollzogen habe, so Wanka.

Phosphor­ forschung kommt in Fahrt

Der LeibnizWissenschaftsCampus Phosphorforschung hat Anfang März sein erstes internationales Symposium veranstaltet. Dabei stellte er seine Ziele, aktuelle Forschungsarbeiten und Projekte namenhaften Wissenschaftlern aus aller Welt vor. Neben einem neu gegründeten wissenschaftlichen Beirat präsentierte der WissenschaftsCampus auch zwei neue Förderzusagen: Aus den Mitteln des Leibniz-Wettbewerbs wird ab April 2015 eine Graduiertenschule zur Phosphorforschung für elf Doktoranden eingerichtet. Das neu bewilligte Verbundprojekt „InnoSoilPhos“ erhält vom Bundesministerium für Bildung und Forschung etwa 1,5 Millionen Euro für die Jahre 2015 bis 2018. Es soll Lösungen zur optimierten Phosphor-Fruchtbarkeit der Böden erarbeiten, die eine Grundvo­ raussetzung für die Bioökonomie der Zukunft sind.

Verlosung 3 Exemplare des Buches „Zwischen Kulturgeschichte und Politik. Das Germanische Nationalmuseum in der Weimarer Republik und der Zeit des Nationalsozialismus“ (3 Buchvorstellung auf S. 51). Stichwort: „GNM“

5 Familien-Eintrittskarten (2 Erw. und 3 Kinder bis 14 Jahre) für das Museum für Naturkunde Berlin (3 Bericht zur Sonderausstellung „Panda“ auf S. 46/47). Stichwort: „Naturkunde“

Teilnahme unter Nennung von Stichwort, Name und Postanschrift per E-Mail an: verlosung@leibniz-gemeinschaft.de Einsendeschluss: 31. Mai 2015 Die Gewinner erklären sich mit der Nennung ihres Namens und Herkunftsortes im nächsten LeibnizJournal einverstanden.

Die Gewinner der Verlosungen aus dem Heft 4/2014: Jeweils ein Exemplar des Buches „Sex macht Spaß“ geht an Sigrid Rakow aus Edewecht, Helmut Metzner aus Berlin, Prof. Dr. Mathias Grünwald aus Neubrandenburg, Daniel Schröder aus Berlin sowie Paul Janositz aus Berlin. Ein Exemplar des Buchs „Warum dick nicht doof macht und Genmais nicht tötet“ erhalten Heike ­Kalesse aus Potsdam, Barbara Völkl aus Obertraubling und Sara Kretschmer aus Fürth.

www.wissenschaftscampus-rostock.de

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LEIBNIZ | LEKTÜRE

Bodo Mrozek, Alexa Geisthövel, Jürgen Danyel (Hrsg.): Popgeschichte Band 2. Zeithistorische Fallstu­ dien 1958-1988; 385 Seiten, transcript Verlag, Bielefeld 2014; 34,99 Euro ISBN 978-3-8376-2529-5

Ursula Feldkamp: Frauen an Bord von Frachtsegelschiffen. 1850 bis 1939 in autobiografischen Quellen; 327 Seiten, Deutsches Schifffahrtsmuseum Bremerhaven und Oceanum Verlag e.K., Wiefelstede 2014; 34,90 Euro

Fotos: Thierry Ehrmann/Flickr; transcript Verlag; DSM; GNM

ISBN 978-3-86927-075-3

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Luitgard Sofie Löw, Matthias Nuding (Hrsg.): Zwischen Kulturgeschichte und Politik; 192 Seiten, Verlag des Germanischen National­museums, Nürnberg 2014; 28,00 Euro ISBN: 978-3-936688-89

Mit Bill Haleys erstem Konzert kündigt sich 1958 eine neue Ära an. Rock ’n’ Roll, kreischende Teenies, lange Haare und wilde Exzesse werden zum Lebensgefühl einer ganzen Generation. Was die Eltern damals ratlos zurück lässt, ist nicht weniger als die Geburt des Pop. Die historische Forschung hat diese Jugendkultur bisher dennoch eher stiefmütterlich behandelt. Das ändern Jürgen Danyel, stellvertretender Direktor ­ des Zentrums für Zeithistorische Forschung Potsdam, und seine Co-Autoren. In 17 Beiträgen zeichnen sie die Popgeschichte auf Grundlage empirischer Quellen, Interviews und Fotografien von den 1950er bis zu den

1980er Jahren nach und zeigen auf, was die Jugend dieser Zeit bewegte: die Beatles, der Summer of Love, Vivienne Westwood, David Bowie. Der Band nimmt seine Leser mit auf eine Reise durch den bunten, schrillen Pop, der nicht nur die Musikszene prägte, sondern auch bildende Kunst, Mode und sogar Politik. Zwanzig Jahre nach Haleys Konzert in Frankfurt provozieren Jugendliche mit Irokesenschnitt und Sicherheitsnadel im Ohr, sie kiffen und betrinken sich auf Konzerten der „Sex Pistols“. Pop mag viele Gesichter haben, symbolisiert jedoch immer vor allem eines: die Ablehnung des Establishments. al ess a w en d l an d

Haben Sie schon einmal von Margaretha Meinders gehört? Vermutlich nicht, denn schließlich spielt sie in keinem Schulbuch und auch in keinem Historienfilm eine Rolle. Doch Meinders war eine stille Heldin: Im Jahr 1890 rettete die Kapitänsfrau den Papenburger Schoner „JOHANNA“, der auf dem Weg von Mauritius nach Melbourne in Not geriet, nachdem die gesamte Besatzung am Tropenfieber erkrankt war. Meinders versorgte nicht nur die Seeleute, sondern reparierte und steuerte auch das Schiff. Anerkennung und Dank wurden ihr nach ihrer Rückkehr nach Deutschland dennoch nicht zuteil. Wie Margaretha Meinders ging es vielen Frauen des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts, die auf See arbeiteten

oder mit ihren Familien an Bord lebten. Ihre Fähigkeiten und Verdienste wurden verkannt. Nicht selten waren sie Anfeindungen und Demütigungen ausgesetzt. Ursula Feldkamp vom Deutschen Schiffahrtsmuseum in Bremerhaven erzählt die Geschichte dieser Frauen. In ihrer Dissertation hat sie anhand von Tagebucheinträgen, Zeitungsberichten und Schiffsmeldungen ihre Lebenswelt auf den Frachtseglern des 19. Jahrhunderts und den schon moderneren Segelschiffen der Zeit zwischen den Weltkriegen rekonstruiert. Feldkamp zeigt aber auch, dass die Ungleichheit an Bord bis in die jüngere Vergangenheit reicht. 1998 arbeiteten 1.674 Kapitäne auf deutschen Schiffen. Drei von ihnen waren Frauen. m alte jac obs

Für das größte kulturhistorische Museum des deutschen Sprachraums ist die Zeit der Weimarer Republik und besonders des Nationalsozialismus eine neuralgische Phase der eigenen Vergangenheit. Dieser Zeit in der bald 163 Jahre währenden Geschichte des Germanischen Nationalmuseums in Nürnberg widmet sich der Band „Zwischen Kulturgeschichte und Politik“. Eine erschöpfende Aufarbeitung der Geschichte des GNM kann er zwar nicht liefern – zu viele Forschungslücken gibt es dafür noch – präsentiert aber verschiedene Facetten der Museumsgeschichte auf Basis eines Symposiums im Jahr 2010. Auch wenn es für eine abschließende Beurteilung

zu früh sei, resümiert GNM-Wissenschaftler Matthias Nuding, das Museum habe sich durch eine gewisse Anschlussfähigkeit zum Nationalsozialismus ausgezeichnet, wenn es sich mit den Interessen des Hauses deckte. So wurden zu den Reichsparteitagen große Sonderausstellungen inszeniert und Kunstschätze aus den eroberten Gebieten im Osten nach Nürnberg geholt. Mitte der 1920er Jahre war das Museum aber auch Ziel von Hetzartikeln der berüchtigten NS-Zeitschrift „Der Stürmer“. Ein Buch für (kunst-)historisch oder speziell am GNM und Nürnberg interessierte Leser mit gut gewählten historischen Aufnahmen aus dem Museum jener Zeit. c h r i stoph h er bort - v on l oeper

Wir verlosen einen unserer Buchtipps 3 S. 50

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LEIBNIZ | LEUTE

Zweiter Leibniz-Chair am ZMT Das Leibniz-Zentrum für Marine Tropen­ ökologie in Bremen (ZMT) hat seinen zweiten „Leibniz-Chair“ an den Ökonomen Prof. Dr. Douglas ­MacMillan verliehen. Der Professor für Umweltschutz und R ­ essourcenökonomie arbeitet an der Universität Kent über den ökonomischen Wert von Ökosyste­men und möchte – bildlich gesprochen – Preisschilder an die Dienstleistungen von Ökosystemen anbringen. Der Leibniz-Chair wird für jeweils drei Jahre an eine herausragende Forscherpersönlichkeit verliehen. In dieser Zeit arbeitet sie wissenschaftlich eng mit dem ZMT zusammen.

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Leibniz-Institut für Gewässer­ ökologie und Binnenfischerei und untersucht, wie sich globaler Wandel und intensive Landnutzung auf Flüsse, Feucht- und Wassereinzugsgebiete auswirken. Der Preis wird jährlich an bis zu 25 international anerkannte Wissenschaftler verProf. Dr. Irene Dingel vom geben. Er ist mit 45.000 Euro Leibniz-Institut für Europäi- ­dotiert. sche Geschichte (IEG) in Mainz hat für die Neuedition der Bekenntnisschriften der Evangelisch-Lutherischen Kirche den Hermann-Sasse-Preis 2015 erhalten. Der Preis wird alle zwei Jahre von der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche für Werke lutherischer Theologie vergeben. Die IEG-Direktorin wurde außerdem vom Bundespräsidenten für eine Prof. Dr. Volker Presser, Leizweite dreijährige Amtszeit in ter der Juniorforschergruppe den Wissenschaftsrat berufen. Energie-Materialien am INM – Leibniz-Institut für Neue MateDr. Emily Bernhardt ist mit rialien und Junior-Professor an dem Friedrich Wilhelm Bessel- der Universität des Saarlandes, Forschungspreis der Alexander ist für seine innovative Nutzung von Humboldt-Stiftung ausge- der elektrischen Doppelschicht zeichnet worden. Die Biologin und elektrochemischer Systeforscht derzeit als Fellow am me vom Magazin „Technology Review“ als einer von zehn Innovatoren unter 35 Jahren (TR35) ausgezeichnet worden. Die Ergebnisse seiner Arbeit ermöglichen besonders langlebige Energiespeicher, hocheffiziente Wasseraufbereitungssysteme so­wie neue Ansätze zur Energierückgewinnung und Energieumwandlung.

Der Diabetologe Prof. Dr. med. Dan Ziegler vom Deutschen Diabetes-Zentrum in Düsseldorf hat den diesjährigen Forschungspreis 2015 der Heinz Bürger-Büsing-Stiftung erhalten. Die mit 10.000 Euro dotierte Auszeichnung würdigt seine langjährigen Forschungsarbeiten zur Pathophysiologie, Diagnostik, Klinik und Therapie der diabetischen Neuropathien.

Prof. Dr. Alexander Böker, stellvertretender wissenschaftlicher Direktor des DWI – LeibnizInstitut für Interaktive Materialien in ­Aachen wird Leiter des Fraunhofer-Instituts für Angewandte Polymerforschung IAP sowie Professor für Polymermaterialien und Polymertechnologie an der Universität Potsdam. Prof. Dr. med. Susanne KraussEtschmann hat die W3-Professur „Experimentelle Asthmaforschung“ am Forschungszentrum Borstel – LeibnizZentrum für Medizin und Biowissenschaften (FZB) angetre-

ten. Die Berufung erfolgte gemeinsam mit der ChristianAlbrechts-Universität zu Kiel und ist mit der Leitung der Forschungsgruppe „Experimentelle Asthmaforschung“ am FZB verbunden. Sie beschäftigt sich mit den vorgeburtli-

chen und frühkindlichen Ursprüngen chronischer Lungenerkrankungen.

Dr. Jonathan Jeschke hat Ende 2014 eine gemeinsame Heisenberg-Professur am Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) und der Freien Universität Berlin angetreten. Mit der Professur zum Thema „Ecological Novelty“ soll Jeschke mit seinen Kompetenzen im Bereich der theoretischen Ökologie

sowie im Verknüpfen von Biodiversitäts-, Ökosystem- und Evolutionsforschung den Standort Berlin in der Biodiversitätsforschung langfristig stärken. Am IGB leitet Jeschke eine neue Arbeitsgruppe mit dem Schwerpunkt „Invasionsbiologie und theoretische Ökologie“.

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Fotos: University of Kent; IEG; IGB; Uwe Bellhäuser/INM; DDZ; Phatcharin Tha-in/DWI; FZB; David Ausserhofer/IGB; IFW (2); Silke Oßwald/FMP (2); Jacqueline Hirscher/DRFZ

ERC-Grants für fünf Leibniz-Forscher

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Fünf Wissenschaftler aus ­Leibniz-Instituten haben in der aktuellen Ausschreibung des Europäischen Forschungsrates (ERC) über sogenannte „Consolidator Grants“ Fördermittel in Höhe von knapp elf Millionen Euro für einen Zeitraum von fünf Jahren eingeworben.

Am Leibniz-Institut für Festkörper- und Werkstoffforschung Dresden (IFW) wird Dr. Alexey A. Popov (o. li.) für seine Forschung an molekularen Magneten gefördert. Dabei handelt es sich um kugelförmige Moleküle aus 60 oder mehr Kohlenstoffatomen, sogenannte Fullerene. Diese können mit Metallclustern gefüllt und so zu kleinsten Magneten werden, die für die Anwendung in der Spintronik interessant sind. Ebenfalls am IFW wird Dr. ­Christian Hess (o. mi.) die Fördergelder nutzen, um mit einer eigenen Arbeitsgruppe die Grundlagen unkonventioneller Supraleiter experimentell zu erforschen. Von besonderem Interesse ist dabei das Zusammenspiel von Magnetismus, Supraleitung und elektronischer Ordnung. Hierfür soll ein unikales hochauflösendes RasterTunnel-Mikroskop für tiefste Temperaturen im Milli-KelvinBereich aufgebaut und eingesetzt werden.

Am Leibniz-Institut für Molekulare Pharmakologie (FMP) erhält Dr. Philipp Selenko (o. re.) die Fördermittel für seine Arbeit mit hochauflösender InCell NMR Spektroskopie. Seine Forschungsgruppe untersucht die strukturellen und funktionalen Eigenschaften von Proteinen innerhalb lebender Zellen. Dabei sind die Wissenschaftler besonders an den in höheren Lebewesen stattfindenden biologischen Prozessen interessiert und nutzen Modellsysteme von Eizellen des Krallenfroschs (Xenopus laevis) bis hin zu Säugetier-Zellkulturen. Sein FMP-Kollege Dr. Andrew Plested (u. li.) wird für seine Forschungen zu Glutamatrezeptoren im Gehirn gefördert. Diese sind essenziell für die Funktion unseres Gehirns und spielen eine wichtige Rolle bei Krankheiten wie Epilepsie sowie bei kognitiven und neurodegenerativen Störungen. Die Gruppe um Plested interessiert sich für den dynamischen

Aufbau des schnellsten Rezeptors der Welt, des sogenannten AMPAR-Rezeptors. Die Forscher untersuchen dabei unter anderem das Öffnen und Schließen einzelner Rezeptormoleküle mit feinsten Aufnahmemethoden durch sogenannte Einzelkanal­ messungen. Ergänzend dazu wen­ den sie Röntgenstrukturanalysen und computergestützte Methoden an, um Erkenntnisse über die blitzschnelle Aktivierung des Rezeptors zu gewinnen. Am Deutschen Rheuma-Forschungszentrum Berlin erhält Simon Fillatreau einen Grant, um die Charakterisierung von regulatorischen Plasmazellen, die Antikörper produzieren, und B-Zell-Untergruppen, die dagegen auch Entzündungen fördern können, bei Autoimmun- und Infektionskrankheiten zu verfolgen. Diese Arbeit könnte helfen, neuartige Strategien zu entwickeln, um das Immunsystem im gesunden wie im kranken Zustand zu beeinflussen.

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sphäre besser beschreiben zu können. Die Finanzierung der insgesamt vierköpfigen Arbeitsgruppe erfolgt über die Förderlinie „Frauen für wissenschaftliche Leitungspositionen“ des internen Wettbewerbsverfahrens der Leibniz-Gemeinschaft.

Prof. Dr. York Sure-Vetter einem Ruf ans Institut für Angewandte Informatik und Formale Beschreibungsverfahren des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT). Dort wird er sich wieder verstärkt der Forschung und der Lehre in den Bereichen Semantic Web, Knowledge Management und Internet der Dienste widmen. Der Chemiker Dr. Alexander Kühne vom DWI – Leibniz-Institut für Interaktive Materialien in Aachen ist in das Junge Kolleg

Nach gut fünf Jahren als Leiter des GESIS – Leibniz-Instituts für Sozialwissenschaften folgt­

der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissen­ schaften und Künste aufgenommen worden, eine der bedeutendsten Auszeichnungen für junge Wissenschaftler in NordrheinWestfalen. Kühne forscht zu neuen fluoreszierenden und intelligenten Materialien für Anwendungen in der Tele­ kommunikation, der Photonik und der Medizin.

Fotos: Tilo Arnhold/TROPOS; GESIS; Endermann/AWK; Universität Göttingen

Mit einer Arbeitsgruppe um Dr. Kerstin Schepanski wird die Staubforschung am Leibniz-Institut für Troposphärenforschung in Leipzig weiter ausgebaut. Mineralstaub spielt eine wichtige Rolle im Klimasystem, seine zeitlichen und räumlichen Schwankungen sind aber noch nicht ausreichend erforscht. Dazu wird das Projekt Satellitendaten und numerische Modelle kombinieren, um den Staubkreislauf in der Atmo-

Der Agrarwissenschaftler Dr. Gürbüz Daş vom Leibniz-­ Institut für Nutztierbiologie in Dummerstorf hat für seine an der Universität Göttingen angefertigte Dissertation zu Wachstum und Vermehrung von Parasiten bei Junghennen den mit 10.000 Euro dotierten Förderpreis 2013/2014 der H. Wilhelm Schaumann Stiftung erhalten.

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