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Peter Bauza: Festsaal „El Payaso“ (der Clown) in El Alto, La Paz
Joseph Michael Lopez 6 | D e a r N e w Yo r k e r
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LFI G a l e r i e
E - ma i l f ü r d i c h N e u i n d e r LFI - g a l e r i e
Pi c tu re of the w eek
33/2017
Paris, aufgenommen von Lu Wenpeng mit der Leica Q
Über 23 000 Fotografen präsentieren in der LFI-Galerie mittlerweile mehr als 300 000 Bilder. Die besten Bilder werden von der LFI-Redaktion als Leica Master Shots und vielleicht als Bild der Woche ausgezeichnet. Ab sofort erhalten Fotografen, die Bilder eingereicht haben, die von der LFIBildredaktion prämiert werden, eine Benachrichtigungsmail. Auch Fotografen, deren Bild in eine der kuratierten Kategorien, zum Beispiel Street Photography, Porträt oder Architektur, aufgenommen wurde, setzt LFI jetzt davon in Kenntnis. Und vielleicht finden sich die ausgewählten Bilder demnächst ja auch in der gedruckten LFI wieder? In der Rubrik Lightbox stellen wir die schönsten Bilder unserer Leser vor. In dieser Ausgabe nehmen aber ausnahmsweise die Preisträger des Leica Oskar Barnack Awards 2017 diesen Platz ein; in der LFI 8/2017 kommen dann wieder die Aufnahmen der Leser zum Zuge. lfi-online.de/gallery
C o nt r i b u t 0 r
Eine Reportage, die den Atem stocken lässt: Der Höhenunterschied von 2800 Meter in der Südzone von La Paz bis auf über 4000 Meter in El Alto bringt körperliche und geistige Herausforderungen mit sich. „Die Luft wird sehr dünn und der Atem kürzer. Selbst die einheimische Bevölkerung hat damit zu kämpfen. Viele sehnen sich danach, in tiefer gelegenen Bezirken zu leben“, berichtet Fotograf Peter Bauza über seinen Aufenthalt in Boliviens Hauptstadt La Paz. 4 |
lFi
j o s e p h m i c h ae l lo p e z „Ich habe viele Dinge bei meiner Arbeit als Herausforderung empfunden. Bei meiner visuellen Ästhetik war es so, dass sich meine eigene Stimme erst ganz allmählich herausbildete. Es war ein Prozess des Erwachsenwerdens: zu lernen, mich in meiner Haut wohlzufühlen und mich gleichzeitig immer wieder neu herauszufordern. Es geht darum, etwas, das in deinem Herzen liegt, einzufangen und es in einem Bildausschnitt zu erfassen – herauszufinden, wo und wofür du stehen willst.“
Re n é G r o eb l i
Das Hotel in der Rue Vandamme 7 gibt es noch immer. Vor 65 Jahren entstand dort eine bis heute bezaubernde fotografische Liebeserklärung: Rita und René Groebli waren auf ihrer verspäteten Hochzeitsreise im Pariser Montparnasse abgestiegen – der größte Teil der Bildserie Das Auge der Liebe spielt im kleinen Zimmer des Nouvel Hôtel. Heute heißt es Hôtel de la Gaîte, doch nach Renovierungen wird von der Atmosphäre der frühen 50er-Jahre nur noch wenig übrig sein.
Fotos: © Peter Bauza, © Joseph Michael Lopez, © Katrin Matschenz, Hamburg
Pe t e r B auza
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Joseph Michael Lopez
Seine Geburtsstadt hat Joseph Michael Lopez als Kind verlassen, doch er kehrte zurück und machte New York zu seiner Bühne und das Alltägliche zu etwas Besonderem. Eine emotionale Auseinandersetzung mit einer Stadt im Wandel.
„Wir haben es hier in New York mit einem wirklich besonderen und einflussreichen Ort zu tun.“
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„Einerseits wurde New York zu einem fragmentierten, privilegierten und globalisierten Vergnügungspark für die Superreichen …
… andererseits fördert die Stadt die globale freie Marktwirtschaft, die in anderen Ländern zu sozialen Abgründen und Ungerechtigkeiten geführt hat.“
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„Die Frage ist, wie lange New York wirklich noch als Verfechter einer progressiven Gleichheitskultur gelten kann.“
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„New York heute ist wie eine exzentrische Seifenblase, bestehend aus verblendeten progressiven Wertvorstellungen und dĂźsterem Kapitalismus.“
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„Der Kapitalismus gleicht einem Monster, das sich selbst verschlingt. Die Stadt ist zu einer Art Tresor für die Verwahrung der reichen Elite geworden.“
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„Auch wenn ich New York einmal verlassen sollte, werde ich immer fotografieren und versuchen, Geschichten zu erzählen.“
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Geboren 1973 in New York. Nachdem er nach Florida umgezogen war, arbeitete er als Dokumentarfilmer. 2009 ließ die Columbia-Universität in New York Lopez allein aufgrund seines Portfolios für den Masterstudiengang Fotografie zu – ohne dass er vorher einen Abschluss gemacht hätte. Zurück in seiner Geburtsstadt, fokussierte sich Lopez auf Street Photography. Seine Arbeit New York at Its Core: Future City Lab gehört zur Sammlung des Museum of the City of New York.
jos e phm lo pez .co m LFI -O nl i n e .D E / B log : Drei Fragen an Joseph Michael Lopez Farbfotos: In Zusammenarbeit mit dem Museum of the City of New York; New York at Its Core: Future City Lab Equipment: Leica MP und Leica M-P240 mit Summilux-M 1:1.4/35 mm Asph und Asph FLE
Es ist ein heißer Julitag in New York. Aus dem Zugfenster kann ich die Brooklyn Bridge sehen. Ich bin unterwegs nach Flatbush, um mit Joseph Michael Lopez zu sprechen. Wir kennen uns seit fünf Jahren. In seinem Apartment angekommen, bin ich von Kameras, Drucken und Bildern umgeben. Die Liebe, die Lopez für seine Arbeit und für seine Heimatstadt empfindet, ist wahrlich kein Geheimnis.
Nach meiner Rückkehr arbeitete ich zunächst als Assistent für Bruce Weber. Irgendwann bemerkte ich aber, dass Modefotografie nicht wirklich meine Sache ist. Die Entscheidung, mit der Kamera auf die Straße zu gehen, entsprang der Tatsache, dass ich einfach noch nicht genau herausgefunden hatte, wer ich bin. Ich war naiv und wollte mich selbst und die Welt um mich herum verstehen.
LFI: Joseph, wie würdest du dich selbst beschreiben – siehst du dich als Street Photographer? Joseph Michael Lopez: Ich bin einfach Fotograf. Eher sehe ich mich noch als Dokumentarfotograf. Zwar liebe ich die Straße, ich bin gern von Menschen umgeben und bewege mich im freien Raum, in dem die Situationen nicht kontrolliert sind. Die Straße hat eine Theatralik, die mich anzieht. Ich denke, dass die Bezeichnung Street Photography für meine Arbeit zutrifft, aber der Begriff kann auch einengend sein. Mir wäre es am liebsten, ich würde gar nicht in eine Kategorie eingeordnet. Ich kann überall arbeiten. Mein Ziel ist es, Menschen nahezukommen, eine Verbindung aufzubauen, mich den eigenen Ängsten zu stellen und etwas Neues zu lernen.
In deinen Kompositionen spielst du mit natürlichem Licht und extremen Kontrasten … Meine visuelle Sprache entspringt dem Wunsch, die Lautstärke aufzudrehen, um es einmal bildlich auszudrücken. Ich wollte meine Emotionen in einer verstärkten Form kommunizieren. Aus diesem Grund fühlte ich mich zu starken Kontrasten hingezogen, die die Intensität meiner Gefühle einfach besser widerspiegeln.
Du bist gebürtiger New Yorker, bist aber schon früh nach Florida umgezogen. Später bist du zurückgekommen – welche Beziehung hast du heute zu dieser Stadt? Meine Eltern verließen Manhattan Mitte der 70er-Jahre, als New York fast bankrott war. Die Stadt bedeutet mir alles. Ich lebe jetzt fast 20 Jahre wieder hier. Seither hat sich New York verändert, aber es ist der Ort, wo ich geboren wurde und wo ich meine Identität entdeckt habe. Die Zeit auf der Straße hat mich auch auf einer menschlichen Ebene geprägt. Ich habe eine bessere Wahrnehmung entwickelt und eine größere Verantwortung für mich selbst übernommen.
Du fotografierst zwar nicht ausschließlich, aber doch in erster Linie in Schwarzweiß. Ich mag das Gefühl der Ungewissheit, bis der Schwarzweißfilm entwickelt ist. Und ich liebe es, die dunklen Töne richtig schwarz zu gestalten und das Licht so einzusetzen, dass es zu einem eigenständigen Motiv wird. Das Besondere an der Schwarzweißfotografie ist die Möglichkeit, einen emotionalen und metaphysischen Raum zu erschaffen, während man in der Farbfotografie mehr an die Darstellung von vertrauten Flächen und Farben gebunden ist. Mein Ziel ist es, die analoge Schwarzweißtechnik weiterzuentwickeln, mich weiterhin mit digitaler Farbfotografie auseinanderzusetzen und vielleicht einmal beides in einem geschlossenen, unerwarteten Bild zu verschmelzen. Interview: Francesca Gennari. 1988 in
Parma, Italien, geboren. Gennari ist Bildredakteurin beim Burn Magazine und freie Fotografin. Sie lebt in New York.
Wann hast du angefangen, die Straßen von New York zu dokumentieren? Was war dein Antrieb?
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Daniel Etter D i e k i n de r Sy r i e n s
Kinderaugen, die vom Bürgerkrieg in Syrien erzählen: Fotograf Daniel Etter hat Einrichtungen der SOS-Kinderdörfer im Großraum Damaskus besucht, in denen traumatisierte Kinder und Kriegswaisen ein neues Zuhause gefunden haben.
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85 Prozent aller syrischen Kinder sind schwer traumatisiert. Sie haben ihre Angehörigen im Krieg verloren und niemals einen unbeschwerten Tag erlebt. Im SOS-Kinderdorf haben sie ein neues Heim gefunden
Traurige Blicke ins Leere, manchmal ein zaghaftes Lächeln, kleine Hände, die schützend andere Kinderhände umfassen: Die Mimik und Gestik der Kinder lässt den Betrachter nur ansatzweise erraten, was sie erlebt haben. Mitten im syrischen Bürgerkrieg, der das Land seit 2011 spaltet, wachsen sie auf. Sie haben ihre Mütter, Väter oder Geschwister verloren, wurden zum Betteln geschickt oder von Angehörigen verstümmelt, um sie vor Missbrauch durch den IS zu schützen. Alles was sie bisher gekannt haben, ist Krieg, Leid und Verlust. Im SOS-Kinderdorf sollen sie nun eine neue Heimat und einen Weg finden, das Erlebte zu verarbeiten.
Fotograf Daniel Etter war mit seiner Kamera in Einrichtungen der SOSKinderdörfer im Großraum Damaskus unterwegs. Mithilfe von Betreuern, Psychologen und SOS-Müttern hat er einen Zugang zu den traumatisierten Kindern gefunden – und ihre Gefühle in seinen Bildern eingefangen. Ihre Gesichter, Gesten und Blicke erzählen von ihrer Vergangenheit, aber auch davon, dass sie nun endlich in eine Zukunft blicken, die ihnen ein sicheres Zuhause verspricht. „Diejenigen von uns, die in Syrien waren, ließen die Gesichter der traumatisierten Kinder, die wir in den SOSEinrichtungen betreuen, nicht mehr los. Daniel Etters Fotos sollten zeigen, wie zerbrechlich die Seelen der Kinder sind. Er sollte aber auch die innere Stärke und die Energie der Kinder ab-
lichten, die sie in ein normales Leben zurückführen“, erklärt Louay Yassin, Pressesprecher der SOS-Kinderdörfer. Etters Bilder zeigen eine andere Seite des Krieges: Keine zerstörten Gebäude, keine verwundeten Bewohner. Es ist ein stilles Leid, das aus den Kinderaugen spricht und das uns mehr vom Krieg erzählt, als es all die Nachrichten jemals können. Zwar haben die Kinder oft auch physische Verletzungen erlitten, doch während diese Wunden langsam verheilen, wird das Erlebte noch lange nachhallen. LFI sprach mit Daniel Etter über die Situation, die er in den Kinderdörfern vorfand, sowie den unschätzbaren Stellenwert von Bildern. →
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Ein eigenes Bett, Spielzeug, eine Hand voller Buntstifte. Viele Kinder haben nie zuvor ein sicheres Zuhause kennengelernt. Der Krieg hat ihnen die nächsten AngehÜrigen und ihre Heimat genommen
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Blicke, die vom Leid erzählen: Mithilfe der Betreuer und Psychologen konnte sich Fotograf Daniel Etter den Kindern nähern und ihre Geschichten in Bildern einfangen
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Da n i e l E t t e r Daniel Etter ist Autor, Fotograf und Filmemacher. Nach dem Politik- und Journalismusstudium erhielt Etter 2013 ein Stipendium der Kathryn Davis Fellowship for Peace. Seine Bilder wurden von der Alexia Foundation und beim Wettbewerb Picture of the Year International ausgezeichnet. 2016 erhielt er für ein Bild irakischer Flüchtlinge den Pulitzer-Preis. Als Textjournalist wurde er u. a. mit dem Axel Springer Preis gewürdigt.
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Fotos: SOS-Kinderdörfer weltweit/Daniel Etter
Neben all den schrecklichen Erlebnissen, die aus den Kinderaugen abzulesen sind, erzählen sie auch vom Glück, im SOS-Kinderdorf in Sicherheit vor den Bürgerkriegswirren zu sein
LFI: Welche Vorstellung hatten Sie von der Lage in Syrien? Daniel Etter: Die Bilder aus Syrien kennen wir alle. Was selten gezeigt wird, ist, wie normal die Situation – zumindest oberflächlich – in Damaskus erscheint. Die Stadt ist ruhig, der Basar voller Menschen. Gleichzeitig hört man jede Nacht Gefechtslärm und ständig wird man von der Polizei kontrolliert. Soweit hatte ich das auch erwartet. Was mich überrascht hat, war, wie viele Binnenvertriebene in Damaskus leben. Eine enorm große Zahl an Menschen ist aus dem Umland in die Stadt geflohen. Viele leben in halbfertigen Apartmenthäusern und kommen kaum über die Runden.
Wie haben Sie die Situation im SOSKinderdorf empfunden? Viele Kinder, die wir trafen, sind Kriegswaisen und schwer traumatisiert. Auch das hatte ich vorher erwartet, wenn man aber vor Ort ist, merkt man, wie viel komplexer manche Geschichten sind. Die Kinder sind nicht nur Opfer des Krieges, sondern oft auch konservativer sozialer Normen. Einige wurden von der Mutter verlassen, nachdem der Vater gestorben war und sie wieder geheiratet hatte. Welche Gedanken gehen Ihnen dazu heute durch den Kopf ? In Syrien wächst eine verlorene Generation heran: Kinder, die innerlich so sehr verwundet sind, dass ich mir kaum vorstellen kann, dass sie je ein normales Leben führen können.
Es wird Generationen brauchen, bis diese Wunden verheilt sind. Braucht es Bilder, um die Lage vor Ort zu verstehen? Das können Worte besser. Aber wenn es darum geht, die Lage emphatisch erlebbar zu machen, Anteilnahme zu erzeugen und Interesse zu wecken, dann sind Bilder nicht zu ersetzen. interview: Katrin iwanczuk
aus stellu n g: Vom 29. September bis 18. Oktober 2017, LFI, hamburg LFI-On lin e.DE /B log: Interview mit Louay yassin, Pressesprecher der SOS-Kinderdörfer Equipment: Leica M240 mit Summilux-M 1:1.4/35 mm und 1:1.4/50 mm Asph
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Seit 2006 regiert der Sozialist Evo Morales in Bolivien und verändert das Land. Er unterzieht den Andenstaat einer Generalüberholung und weckt bei der indigenen Bevölkerung die Hoffnung auf Gleichstellung. Ein Blick auf das Land, das sich aus der Armut kämpft.
Verkehr in La Paz: Minis, Micros, Truffis und Taxen sind beliebte รถffentliche Verkehrsmittel. Eine Fahrt in einem Micro kostet zwischen 1,50 und drei Boliviano, ein Boliviano ist etwa zwรถlf Cent wert. Ein Truffi ist eine Art Sammeltaxi und kostet ebenso viel. Der Mini folgt dem Konzept des Sammeltaxis, nimmt aber bis zu zwรถlf Personen mit (oben). Sicht auf das in 1930 erstellte Sport- und Fuร ballstadion Hernando Siles im Stadtteil Miraflores von La Paz (links)
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Cholitas luchadores – so heißen die Frauen, die in der traditionellen Tracht aus Überrock, bis zu zehn Unterröcken, Schultertuch und Hut für das Publikum wresteln (links oben). Ausbau eines Festsaals von Architekt Freddy Mamani. Neureiche Indigene verleihen oftmals ihrem Kulturstolz mit derartigen barocken Bauten Ausdruck. Bereits 150 Festsäle dieser Art soll es in Bolivien geben – und es werden stetig mehr (unten). Aussicht von El Alto auf Boliviens Hauptstadt (vorherige Seite)
Von rechts oben im Uhrzeigersinn: der traditionelle Obst- und Gemüsemarkt Rodriguez in La Paz. Etwa 75 Prozent der Bewohner tätigen ihre Einkäufe auf dem Markt. Kontrolle, Wiegen und Klassifizierung der Cocablätter auf dem Cocamarkt in Villa Fátima in La Paz – seit der Legalisierung hat sich der Lebensstandard vieler Bauern verbessert. Die Sozialbausiedlung Wiphala in El Alto soll ärmeren Familien ein Zuhause geben. Sicht auf La Paz und die Rote Linie des Seilbahnnetzes
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Höhe: 4100 Meter – Station: Plaza La Paz. Wenn man Staatspräsident Evo Morales glauben darf, kommen an diesem strahlenden Sonntagmorgen auf 4100 Meter Höhe in der Satellitenstadt El Alto zwei der ganz Großen Boliviens zusammen. Da wäre zum einen die neue Seilbahn – schon die vierte Linie des größten städtischen Seilbahnnetzes der Welt und Symbol für den Aufstieg des einst so armen Andenstaates. Und zum anderen der erste Passagier dieser Jungfernfahrt: Juan Evo Morales Ayma, Südamerikas dienstältester Präsident und Symbol für technologischen Fortschritt, anhaltenden Wirtschaftsboom, Indigenenrechte, legalisierten Coca-Anbau und noch einiges mehr. Morales ist wie so oft um 5 Uhr früh aufgestanden. Er trägt Jeans und Oberhemd und eine traditionelle Jacke des Volkes der Aymara. Hinter ihm im Morgenlicht leuchten orangefarben die schneebedeckten Gipfel der Anden. Er begrüßt die Schaulustigen mit Schulterklopfen und den ihm unbekannten Reporter mit „Hello, my friend“. Mit jeder Geste zeigt Evo, wie ihn alle nennen, dass er Teil des Volkes ist, nicht der Elite. Der Präsident inspiziert den neuen Bahnhof und wendet sich dann den Göttern zu. Bei Einweihungen legt er nach indigenen Traditionen zunächst einen Lama-Fötus auf den Boden, dann Cocablätter und schließlich Alkohol. Es ist seine Danksagung an Pachamama, Göttin Mutter Erde. „Mit der Seilbahn sind wir in der Welt angekommen“, verkündet Morales dem Volk: „Unser Teleférico-Netz ist das größte der Welt und in der höchsten Stadt der Welt.“ Indigene Frauen streuen so viel weißes Konfetti über sein Haupt, bis er aussieht wie ein Sherpa im Schneesturm. Dann steigt er in die erste Gondel des neuen Teleférico, die mit seinem Namen und Konterfei und eigenem Logo bedruckt ist: „Evo Morales Ayma. Präsident des Plurinationalen Staates Bolivien“.
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Die Strecke der neuen Linie Azul (Blau) hat etwas Symbolisches wie alles im Bolivien dieser Tage. Sie führt von den Außenbezirken El Altos, wo die Ärmsten leben, ins Zentrum, wo die Armen leben. Morales schließt die Unterklasse ans Leben an, die Provinz an die Metropole. Es könnte so etwas wie sein Regierungsmotto sein. Es ist ein Sonntag, wie ihn Bolivien seit nun zehn Jahren ständig erlebt: neue Seilbahnen, neue Straßen, neuer Staatsname, neue Verfassung. Als Evo Morales aus dem Volk der Aymara 2006 mit nur 46 Jahren sein Amt als erster indigener Präsident antrat, machte sich die Welt lustig über den einfachen Cocabauern im Wollpullover. Aber in den zehn Jahren, die er nun Präsident ist, hat er sein Land geprägt wie kein anderer – und der Welt nebenbei einige Lektionen erteilt: Südamerikas ärmstes Land bekämpft die Armut derzeit am besten. Der einst fast bankrotte Andenstaat hat heute den größten Haushaltsüberschuss des Kontinents. Ja, das Land der Pachamama hat sogar einen eigenen Satelliten im All: Túpac Katari 1. Es läuft da ein gewaltiges Experiment des 21. Jahrhunderts. Es geht nicht um die Reform eines Landes, sondern um dessen Generalüberholung. Morales entzieht sich den Spielregeln der Welt und versucht knapp 500 Jahre europäischer Vorherrschaft zurückzudrehen. Kann das gut gehen? Unsere Reise mit den Teleféricos führt vom höchsten Punkt El Altos (4100 Meter) zum niedrigsten in der Nachbarstadt La Paz (3200 Meter), durch ein verändertes Land, das wir zehn Jahre nach unserem ersten Besuch kaum wiedererkennen. Höhe: 4100 Meter – Station: Jach’A Qhathu. El Alto war im ärmsten Staat Südamerikas stets die ärmste Stadt. Von der Höhe der Gondel aus betrachtet, ein seelenloser Moloch aus roten Ziegelhütten, die endlos in die Hochebene wachsen. Doch seit Kurzem tauchen mehrstöckige Paläste in den grellen Farben bolivianischer Trachten aus diesem roten Meer auf. Sie gehören der neuen indigenen Mittelklasse
und heißen „Cholets“, eine Mischung aus „Chalet“ und cholo, der abfälligen Bezeichnung für Indigene. Erbaut hat sie der Architekt Freddy Mamani, Boliviens derzeit wohl bekanntester Mann nach Morales. Mamani stapft in eiligen Schritten über die Baustelle eines neuen Cholets, groß wie eine Turnhalle, bunt wie ein Knusperhaus. Im Erdgeschoss Läden, im ersten Stock befindet sich ein gewaltiger Festsaal und oben das Penthouse des Inhabers, einer der vielen indigenen Unternehmer, die durch Morales an günstige Kredite kamen. „Ich baue überall indigene Elemente ein“, erklärt Mamani: „An der Decke das Kreuz der Anden. Die Säulen in den Farben unserer Textilien. Die Spiegel symbolisieren die Diamanten unserer Erde.“ Manche nennen es Raumschiffarchitektur. Er nennt es indigene Identität. Angesichts der Flut von Aufträgen neureicher Indigener kommt Mamani, 45, kaum noch hinterher. Er hat alle fünf Geschwister in sein Unternehmen eingespannt. Einst wuchsen die Kinder auf dem Land in Armut auf, der Vater Bauarbeiter, die Mutter Hausfrau, bis Freddy – inspiriert von Morales’ Wahl – seinen Traum von indigenen Bauten verwirklichte. „Es gab bis dahin nur spanische Kolonialarchitektur und die Lehmhütten der Armen. An der Uni sagten mir Professoren, mein Stil sei Kitsch. Heute schicke ich ihnen Einladungen zu meinen Ausstellungen in Washington, London, der Biennale in Venedig.“ Mamani steigt in seinen Jeep und startet eine „Reise durch unser neues indigenes Land“. Er fährt entlang der neuen Seilbahnlinie durch dichten, chaotischen Verkehr. Aus dem Radio ertönen die Nachrichten in der Sprache der Aymara und Quechua. In einem Büro nebenan koordinieren junge Aktivisten ein Volksbegehren mit dem Ziel, Facebook zum Einrichten von Aymara zu bewegen, der Sprache von mehr als zwei Millionen Menschen. Kein anderes indigenes Volk →
Justa Elena Canaviri Choque tritt mit der Sendung La Justa, ein Kochprogramm mit Werbung, live im Staatsfernsehen auf. Dort trägt sie die traditionelle Tracht der Indigenen
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Weitergegebene Tradition: Dona Marta hat Wahrsagen und das Heilen von ihren Eltern gelernt. Sie übt ihren Beruf in der Nähe der Seilbahnstation in El Alto aus
Pe t e r bau z a Als Außenhandelskaufmann reiste Peter Bauza regelmäßig durch Europa, Afrika und Südamerika. Seit 20 Jahren lebt der gebürtige Düsseldorfer in Lateinamerika und hat sein Hobby, die Fotografie, zum Beruf gemacht. Gewinner zahlreicher Preise, darunter der Arthus-Bertrand Visa d’or 2016 und der World Press Award 2017. Sein Buch Copacabana Palace erschien 2016 im Verlag Edition Lammerhuber – diese Arbeit ist auch im M Magazin No. 5 zu sehen.
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Südamerikas hat sich im 21. Jahrhundert der Macht so entschlossen genähert wie die Aymara in Bolivien. Mamani zeigt stolz seinen Personalausweis, der ihn als Aymara ausweist. Inzwischen haben 37 bolivianische indigene Völker ihre eigenen Ausweise. Mamani könnte auch den Uhrzeigersinn seiner Uhr noch ändern, wie es die Regierung macht, „um die letzten Spuren der Kolonisatoren zu tilgen“. Aber das geht ihm zu weit. Höhe: 3700 Meter – Station: Villarroel. Drei Haltestellen entfernt, Richtung Osten, liegt moderiger Geruch in der Luft. Er dringt durch Ritzen in Häuser und Autos, er umwabert Plätze und eine Baustelle, wo derzeit die Seilbahnlinie Weiß entsteht. In den benachbarten Hallen von Villa Fátima hetzen Menschen durch labyrinthische Gänge, auf ihren Rücken Säcke, die größer sind als sie selbst. Kunden beäugen die Qualität von grünen Blättern durch Lupen. Sie verladen die Säcke auf Autodächer, Lkw, Busse und schicken sie durchs ganze Land. Inmitten des Gewusels steht ein stämmiger Mann, stopft sich die Cocablätter in die Backe und saugt den Saft heraus. „Zu süß für Kokain“, urteilt er. „Unsere Blätter aus Yungas eignen sich nur zum Kauen. Schichtarbeiter bleiben länger wach. Schüler konzentrieren sich besser. Für Kokain eignen sich nur die herben Blätter aus der Region Chapare, wo Bruder Evo Boss war.“ Javier Aparicio, 46, ist Gewerkschaftsboss wie einst Evo Morales – und Anführer von 35 000 Bauern. „Das ist der größte Cocamarkt der Welt“, sagt er stolz. Und dann: „Und alles ganz legal.“ Dank Evos neuer Politik („Coca ja, Kokain nein“) darf jeder Bauer heute auf 1600 Quadratmetern die heilige Pflanze Coca anbauen und in Villa Fátima verkaufen. Sie verdienen etwa 1000 Dollar im Monat, das Dreifache des Mindestlohns. „Aber wir wollen mehr. Wir arbeiten am Gesetz 1008. Wir wollen keine Begrenzun-
gen mehr. 97 Prozent der Ernte wird harmlos genutzt, nur drei Prozent für Kokain. Coca ist unser Nationalheiligtum. Man würde den Japanern ja auch kein Sushi verbieten.“ Der Handel mit Coca ist nicht etwa explodiert, seit Morales ihn legalisieren ließ. Berechnungen der Uno aus dem Jahr 2015 ergaben, dass die Gesamtanbaufläche bei 20 200 Hektar liegt, weniger als 2003. Die US-Drogenaufsichtsbehörde DEA fordert stärkere Kontrollen, aber wie immer lässt sich Morales davon nicht beeindrucken. Er hat die DEA schon 2008 aus dem Land geschmissen. Er hat gegen internationale Proteste auch Zementwerke und Energieunternehmen verstaatlicht und dem Internationalen Weltwährungsfonds Diktatur vorgeworfen. Heute nennt der IWF Boliviens Aufstieg „enorm“. Morales mag Sozialist sein, aber er ist eben auch Pragmatiker. Verstaatlichung ja, aber nur von mehr als 20 Schlüsselunternehmen, nicht von rund 1200 Firmen wie in Venezuela. Und wie im Öl- und Gassektor sind ausländische Unternehmen auch bei Lithium-, Zink- oder Goldgewinnung berechtigt, 49 Prozent der Anteile zu halten. Morales versucht so etwas wie einen Dritten Weg. Es ähnelt eher dem skandinavischen Modell als dem gescheiterten venezolanischen LatinoSozialismus. Dennoch leben mehr als eine Million der 10,7 Millionen Bolivianer von einem Euro am Tag. Die letzten Jahre lag das Wirtschaftswachstum bei über fünf Prozent, doch seit 2015 geht es leicht zurück. Höhe: 3500 Meter – Station: Cancha Zapata. Ein paar Stationen entfernt, im Zentrum von La Paz, bereitet sich Justa Canaviri auf ihre TV-Sendung vor. Hinter ihr leuchtet das Neonschild: „Netzwerk Neues Vaterland. Die Stimme des Plurinationalen Staates“. Die politische Bewegung des Evo Morales hat alle Sphären des Lebens durchdrungen, Politik und Wirtschaft, Medien und Justiz, auch das Showgeschäft. Wenn Morales die Stimme des Landes ist, dann ist La Justa die des Volkes. Jedem Kind bekannt,
moderiert sie als erste Indigene eine tägliche Sendung im Staatsfernsehen. Sie redet über Kochrezepte und Schwulenrechte, Verhütung und ihre Depression. Am heutigen Tag redet sie über Femicidio, Morde an Frauen. Das Thema bestimmt derzeit die Schlagzeilen in Bolivien, es liegt ihr am Herzen. Sie ist alleinerziehende Mutter dreier Kinder, und aus ihren Sätzen ist abzulesen, dass ihre Begegnungen mit Männern nicht immer gut verliefen. „In dieser Stunde wird wieder eine Frau umgebracht – von ihrem Mann oder Freund.“ Boliviens Mordrate ist nicht sonderlich hoch, bei ermordeten Frauen liegt das Land aber an der Spitze. La Justa sagt: „Es ist, als schlügen die Männer zurück, als rächten sie sich für unsere riesigen Fortschritte.“ Seit 2010 gibt es eine höhere Frauenquote in der Politik. 53,1 Prozent der Abgeordneten im Parlament sind Frauen. Auch La Justa wollten sie in die Politik holen, aber die hohe Zahl von Misshandlungen und sexuellen Übergriffen auf Politikerinnen (4000 in acht Jahren) gab ihr zu denken. Über das Thema Rassismus spricht sie vor der Kamera nur ungern. Bis Evo kam, so sagt sie, hätten Hautfarbe und Nachname alle Indigenen von wichtigen Jobs ausgeschlossen. In der Zona Sur von La Paz und in Santa Cruz, der Wirtschaftsmetropole Boliviens, werden Weiße niemals akzeptieren, dass Indigene sie regieren, glaubt sie. Nach der Sendung macht sich La Justa per Seilbahn auf den Weg in ebendiese Zona Sur, wo sie wohnt. Sie mag die bekannteste Frau Boliviens sein, aber die meistgestellte Frage dort lautet: Für welche Familie arbeiten Sie als Hausangestellte? jan Christoph Wiechmann , geboren 1967 in Hamburg, ist Lateinamerika-Korrespondent für Stern, Geo und Capital in Rio
peterbauza.com LFI-On lin e.DE /B log: Behind the Scenes Equipment: Leica SL mit Vario-Elmarit-SL 1:2.8–4/24–90 mm Asph
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L e i c A K l a ss i k e r
René Groebli da s Au ge de r L i ebe
Als Bildserie ist die fotografische Liebeserklärung an seine Frau Rita bis heute richtungsweisend geblieben. Feinsinnig gelang es René Groebli, den Moment in zeitlosen Bildern zu erfassen. Am 9. Oktober kann der große Schweizer Fotograf seinen 90. Geburtstag feiern.
Die Ruhe eines intimen Hotelzimmers war die Voraussetzung für das fotografische Zwiegespräch, in dessen Verlauf eine einzigartige Bildserie entstand
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Zwei Wochen verbringen Rita und René Groebli in dem kleinen Nouvel Hôtel im Pariser Künstlerviertel Montparnasse. Rund 300 Bilder entstehen, mit einer Rolleiflex, aber vor allem mit der Leica. Rita ist mehr als Muse und Modell: Die Auswahl für das 1954 veröffentlichte Buch wird gemeinsam getroffen
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Poetische Momente, getragen von subtiler Sinnlichkeit und vertrauter Nähe: Der Fotograf fand immer neue Möglichkeiten, die Geschichte vom Auge der Liebe in sich verändernden Lichtstimmungen zu erzählen
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Bei aller Romantik und erzählerischer Verspieltheit bestimmt doch eine stark grafische, strenge Komposition die Aufnahmen. Immer neue Variationen probierte Groebli fßr seine Serie aus
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R E N é G r o eb l i
Die Ausbildung des am 9. Oktober 1927 in Zürich geborenen Fotografen begann 1944 mit einer Lehre, gefolgt von Studien an der Kunstgewerbeschule Zürich und, 1946, einer Ausbildung zum Dokumentarfilm-Kameramann. Ab 1949 Reporter für Schweizer und internationale Magazine. Im selben Jahr erscheint die erste freie Serie Magie der Schiene. In den 50er-Jahren wechselt René Groebli, unterstützt von seiner Frau Rita (1923–2013), das Metier und wird Industrie- und Werbefotograf. Groebli hat international Erfolg mit innovativen Farbexperimenten im künstlerischen und angewandten Bereich. Aus der kommerziellen Fotografie zieht er sich Ende der 70er-Jahre zurück.
r e negro ebl i .co m Bü c he r : (Auswahl) Magie der Schiene (2017); New York 1978 (2017); London 1949 (2016); Nudes (2016); Early Work (2015); Das Auge der Liebe (2014); alle bei Sturm & Drang Verlag, Zürich. Variation. Möglichkeiten der Farbfotografie (Niggli Verlag, Teufen 1965); Variation 2 (Niggli Verlag, Teufen 1971)
Wenn man Verliebtheit in eine fotografische Form bringen kann, dann ist es René Groebli mit der Serie Das Auge der Liebe gelungen. Sinnlichkeit, Vertrautheit, Intimität, Flüchtigkeit – all das wird in diesen Motiven gespiegelt, die von der Leichtigkeit des Moments getragen sind. Paris, im Sommer 1952. Montparnasse, Rue Vandamme 7 – hier sind die meisten Motive in einem kleinen Hotel entstanden. Es ist die verspätete Hochzeitsreise des Schweizer Paares. Kennengelernt hatten sich Groebli und Rita Dürmüller Jahre zuvor auf der Kunstgewerbeschule in Zürich. Er, 17 Jahre, in der Fotografieklasse bei Hans Finsler, sie, vier Jahre älter und bewunderte Studentin in der Fachklasse für angewandte und bildende Kunst. Zwar brach Groebli das Studium schon nach der Probezeit ab, um Kameramann zu werden, doch der Kontakt zu Rita blieb. Da ihm der kreative Spielraum bei der Arbeit mit der Filmkamera zu begrenzt war, begann er 1949 als Bildreporter für die Zürcher Woche zu arbeiten, später für die Londoner Agentur Black Star, vor allem in Afrika und im Nahen Osten. 1951 war keine Zeit für eine Hochzeitsreise, erst 1952 konnte sie nachgeholt werden. Nicht zuletzt Rita war dann auch der Grund, das gefährliche Reporterleben wieder aufzugeben. Ein Industrie-Auftrag war die „Erlösung“ und die folgenden kommerziellen Aufträge ermöglichten ab Mitte der 50er-Jahre die erwünschten Freiheiten. Doch zuvor war Das Auge der Liebe als Buch erschienen. Das private Album sorgte für Aufsehen und Erfolg. Allerdings vor allem in den USA und weniger in der Schweiz. Zu freizügig erschien es dem eidgenössischen Publikum und auch der künstlerische Umgang mit der Fotografie entsprach nicht den üblichen Konventionen einer an den Gesetzen der dokumentarischen Abbildung geschulten Wahrnehmung. Das 1954 publizierte Bändchen ist eine visuelle Liebeserklärung mit nur 25 Motiven. Die während der Reise nach Paris – und später nach Marseille und Toulon – entstandenen Fotografien verdichtete Groebli zu
einem intimen Bildessay. Er erinnert sich, dass es seine Frau war, die ihn zum Fotografieren ermunterte und schnell war klar, dass es eine vertrauensvolle Zwiesprache werden sollte. Das Auge der Liebe ist kein typisches Album einer Hochzeitsreise, sondern die konzentrierte Erinnerung an eine emotionale Ausnahmesituation, deren stiller Zeuge der Betrachter wird. Das Hotelzimmer spielt seine eigene Rolle mit Interieurs und feinen Stillleben im gedämpften, schmeichelnden Licht; der Blick zu der vielsagenden Spitzengardine mit dem Amor-Motiv am Fenster wird ebenso mit einbezogen wie kleine Arrangements – das Negligé auf dem Bügel etwa. Doch im Mittelpunkt steht die geliebte, begehrte Frau: ihre Silhouette, im Wechselspiel von Schärfe und Unschärfe, die Ab folge von Entkleiden und Verhüllen und immer wieder der nackte Körper. Der Fotograf feiert ihre Körperlichkeit, ist ein vertrauter, begeisterter Voyeur mit subtilem Gespür für Nähe und Erotik. Die zeitlose Poesie, die Groebli hier einfängt, war der Zeit weit voraus, lässt Das Auge der Liebe bis heute stimmig erscheinen. Im Bild ist vieles nur angedeutet, es ist die Fantasie des Betrachters, die weiter geht. Diese Komplizenschaft zwischen Akteuren und Betrachter wurde damals als skandalös empfunden. Ritas Rolle dabei ist nicht zu unterschätzen. Nicht nur als Modell, sondern wesentlich waren auch ihr Gespür für den Moment und das Design des Buches: „Rita hat mir beigebracht, wie man ein Buch gestaltet“, bekennt der Fotograf. Die Begeisterung nachfolgender Generationen für diese Hommage hat Rita charmant beobachtet, hielt sich mit Kommentaren allerdings zurück. Über 60 Jahre währte die Partnerschaft, und auch wenn Rita vor vier Jahren verstorben ist, wird die Serie weit mehr als eine liebevolle Erinnerung und kostbare Hommage an eine ganz besondere Reise bleiben. Ulrich Rüter
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LeicA S
Antonio Paredes Ha n am i
Wie eine zarte Kirschblüte im Wind scheint sich Model Anabel als westliche Geisha in Paredes’ Fotografien aufzulösen. Ein visueller Tanz zwischen grazilen Blüten und elegischer Schönheit.
Model Anabel als zarte, westlich gestylte Geisha. Ihr provokativer, trotziger Habitus verleiht weicher Schรถnheit eine traumhafte Note
Gelegentlich zarte Farbwol ken ßber der Bildebene, Weichzeichnung und Unschärfe sprengen die Grenzen heutiger Modefotografie
Einem post-impressionistischen, klassischen Blütenstillleben entsprungen, trifft schmerzliche Vergänglichkeit auf berührende Schönheit
Stylistin Jeanne Dekonink hat mithilfe moderner und floraler Akzente der gesamten Serie von Paredes das beson dere Etwas gegeben
Die Serie Hanami nahm ihren Anfang, als Antonio Paredes bei zwei seiner liebsten Floristen in Paris Blumen kaufte, bei Moulié an der Place du Palais Bourbon und L’Artisan Fleuriste in der Rue Vieille-du-Temple. „Blumen sind der Ursprung, ich wollte mit Farben arbeiten, etwas Freudiges und Sinnliches schaffen. Bereits ein paar Tage vor dem Shooting mit Anabel begann ich, die Blumen zu fotografieren – sie sollten die Inspiration für die Kleider sein.“ Seine Recherchen führten den Fotografen zum japanischen Kirschblütenfest (hanami, wörtlich übersetzt „Blüten betrachten“), mit dem überall im Land der Frühlingsanfang gefeiert wird. Das Kirschblütenfest führte Paredes weiter zu Gedanken über Geishas. „Ich wollte eine Geisha-Ästhetik erschaffen, ohne auf die geschichtlichen Hintergründe einzugehen, die bereits so oft thematisiert worden sind“, erklärt der Fotograf. „Deshalb habe ich mit den traditionellen Normen gebrochen und mich für ein kaukasisches Model entschieden.“ So kam Anabel ins Spiel. „Jeanne Dekonink, unsere Stylistin, fand das Konzept inspirierend. Also haben wir die Strecke gemeinsam ausgearbeitet.“ Mit Mustern und Make-up entwickelte Dekonink florale Motive, die am Tag des Shootings mit üppigen Farben und abstrakten Momenten verwoben wurden. Antonio Paredes stammt aus Mexiko-Stadt, lebt jedoch in Paris. Darum war für ihn der französische Einfluss auf dieses Projekt ebenso wichtig wie der japanische. Besonders fasziniert ihn die Arbeit der französischen Fotografin Sarah Moon, die im London der 70er-Jahre mit ihren bewusst unscharfen Bildern von Models und verwelkten Blumen in ausgewaschenen Farben große Bekanntheit erlangte. „Ich wollte, dass die Strecke genauso aussieht wie ein Traum“, erinnert sich Paredes. „Mein Ziel war es, der besonderen Atmosphäre in Moons Fotogra-
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fien nahezukommen, daher spielte ich mit Lichtreflexen und Textilien, mit denen ich das Objektiv verdeckte.“ Paredes hatte schon immer eine Vorliebe für interessante visuelle Effekte, die bevorzugt während des Shootings, nicht in der Nachbearbeitung entstehen. Betrachtet man seine Bildstrecke, die Weichzeichnung und Unschärfe, die hauchzarten, hier und da über der Bildebene schwebenden Farbwolken, hat man wirklich das Gefühl, in einen Traum einzutauchen. Ich bin ebenfalls in Paris, als ich Hanami das erste Mal sehe. An den meisten Abenden passiere ich das zu dieser Zeit bereits geschlossene Blumengeschäft in der Rue Vieille-duTemple. Im Gespräch mit Paredes erwähne ich, dass mich seine Fotografien an die holländischen Blumengemälde im Louvre erinnern. Er antwortet, dass er von den Blumenmotiven des Malers Félix Vallotton inspiriert sei, die im frühen 20. Jahrhundert in Paris entstanden sind. Vallotton gehörte der Künstlergruppe der Nabis an (von Hebräisch nabi, Prophet), deren Vertreter Aspekte des Impressionismus mit dekorativer Kunst vereinten, sich vom Realismus abwandten und stattdessen emotionale Effekte, Muster und wirklichkeitsfremde Farbpaletten zur Geltung brachten. „Die Ideen der Nabis haben mich sehr stark beeinflusst”, fährt Paredes fort. „Ich wollte die Farben auf die Spitze treiben und die Limitierungen der heutigen Modefotografie durchbrechen, in der alles vollkommen klar und scharf sein muss, mit großem Augenmerk auf das Produkt.“ Anstelle dieser kühlen Perfektion verwandelte er die Strecke in einen Traum, der nur aus jemandem entspringen kann, der schon um die halbe Welt gereist ist, um das zu tun, was er immer tun wollte. „Ich stand unter großem Druck meines Vaters, den Familienbetrieb zu übernehmen“, erklärt er. „Daher wusste ich, dass meine Berufswahl in Mexiko nie unterstützt werden würde. Ich kam nach Frankreich mit dem Ziel, meinen Kindheitstraum zu erfüllen und meinen eigenen Weg zu gehen.“ dean kissick
A n to n i o Pa r ede s Emotionen, Visionen, spezielle visuelle Effekte liegen dem Fotografen besonders am Herzen. Paredes hatte schon früh den Traum, Fotograf zu werden – für ihn verließ er seine Heimat Mexiko. Er assistierte bekannten Modefotografen wie Craig McDean oder Vincent Peters und war für Paolo Roversi und Ryan McGinley tätig. Seit acht Jahren lebt und arbeitet Paredes in Paris.
an ton ioparede s stu dio.com s -magazin e.ph otograph y: Interview/Digital Feature zu Hanami
Equipment: Leica S007 mit Summarit-S 1:2.5/70 mm Asph, Summicron-S 1:2/100 mm, Apo-Macro-Summarit-S 1:2.5/120 mm
f/ s top – Le i c a TL 2 P r ax i s – TL 2 C o n n e c t i v i t y – Ve r s c h l Ü s s e –
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To u c h É ! Leica TL2
Der Verkaufsstart der neuen spiegellosen APS-C-Kamera von Leica stand unter keinem guten Stern. Im Praxistest erweist sich die TL2 aber als gelungene Konzeptauffrischung, die dieses Pech nicht verdient hat.
Das TL2-Gehäuse weist nur die absolut notwendigen Bedienelemente auf – alle anderen fotografischen Parameter werden über das Touchscreen-Menü eingegeben
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Auf unserer Wunschliste für ein Testmodell der TL2 stand auch ein Visoflex. Im Paket, das uns dann kurz vor der Vorstellung der Kamera erreichte, fehlte er. So blieb uns vielleicht ein Fiasko erspart – wie auch all den Feldtestern, die sich schon monatelang mit der TL2 auseinandergesetzt hatten. Doch genau wie diese hätten wir sehr gern die Gelegenheit genutzt, zeitig Alarm zu schlagen. Denn kaum war die Leica TL2 auf dem Markt, ausgestattet mit so ziemlich allem, was eine zeitgemäße APS-C-Kamera auszeichnet (LFI 6/2017, Seite 80), und generalüberholt in allen Belangen, die das TL-Konzept im Besonderen ausmachen, da kam auch schon der Rückruf: Die Nutzung des Visoflex-Aufstecksuchers, unverzichtbar für alle, die ungern mit ausgestrecktem Arm fotografieren, konnte unter ungünstigen Bedingungen den Totalausfall der Kamera bewirken. Offenkundig ein so seltenes Phänomen, dass niemand je etwas bemerkte – bevor das Schicksal dann ausgerechnet einige der ersten Käufer ereilte. Man kann sich nun fragen, was diese Angelegenheit über die Testprozeduren aussagt, oder man kann sich wundern über die horrende Komplexität von Steuerungssoftware, die solche Fehler irgendwann und eher zufällig provoziert. Immerhin, Leica reagierte genau richtig, nämlich schnell, stoppte den Verkauf, kreiste den Fehler ein und schaffte ihn mit einem Update der Firmware wieder aus der Welt. Ein schlechter Nachgeschmack bleibt trotzdem zurück, was umso bedau-
erlicher ist, als es an der TL2 nun eigentlich wirklich nichts mehr auszusetzen gibt, hat man sich einmal grundsätzlich mit ihrem Konzept angefreundet. Einschalten und aufwachen: spürbar beschleunigt. Wischen und tippen durch die Menüs: flüssig und verzögerungsfrei. Der KontrastAutofokus: reaktionsschnell auf den Punkt. So, wie sie jetzt ist, macht die Kamera wirklich Spaß. Sie liegt hervorragend in der Hand, selbst wenn es auch mal nur die rechte ist und man mit der linken noch schnell einen Parameter im Menü ändern will. Oder auch wenn man im TouchClick-AF-Modus fotografiert, also nicht nur auf dem Display den Fokuspunkt festlegt, sondern auch gleich auslöst. Was ganz wunderbar selbst mit dem Summilux-TL 1:1.4/35 mm Asph bei Offenblende mitten im Geschehen funktioniert. Das ist dynamisches Fotografieren, wie man es sich wünscht, und da freut man sich dann selbst als Verfechter des Durchblicksuchers darüber, wozu ein Touchdisplay alles gut sein kann. Dieses 3,7 Zoll große Touchdisplay ist ja bekanntlich das funktionale Herzstück der Kamera und die Voraussetzung dafür, dass das Gehäusedesign so elegant und puristisch realisiert werden konnte, wie es ist. Die TL2 setzt damit einen Kontrapunkt nicht nur zum Gros der Konkurrenz, bei dem die Gehäuserückseite mit Knöpfen überfrachtet ist, ohne dass es deswegen weniger komplexe Menüs gäbe, sondern auch zum Trend, wieder zu →
Fotos: Olaf Stefanus
Oben: Im Touch-and-Click-Verfahren über das Display lässt sich die Reaktionsschnelligkeit des Autofokus der TL2 ausreizen, hier mit dem Summilux-TL 1:1.4/35 mm Asph bei Offenblende. Dass wir aus Versehen die Empfindlichkeit auf ISO 800 gedreht hatten, war nicht schlimm – der elektronische Verschluss sprang ein und belichtete mit 1/10 000 s. Unten: Auch das Vario-Elmar 11–23 mm ist ein feines Objektiv, dank elektronischer Korrektur, die das optische Design unterstützt, frei von Verzeichnung (Bild: Brennweite 11 mm, Blende 3.5, ISO 400)
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Fotos: Olaf Stefanus
Dass der Sensor der TL2 24 Megapixel fein auflöst, ist sicherlich dem Marktdruck geschuldet, der dazu geführt hat, dass die Sensorhersteller auch bei Formaten wie APS-C diese Pixeldichte als Nonplusultra zu propagieren sich genötigt sehen – ob sie nun wirklich mehr Bildinformation bietet oder nicht. Was die damit einhergehende gestiegene High-ISO-Leistung betrifft, so zeigt sich immerhin: Das Bildergebnis bei ISO 6400 (Mitte) kann sich durchaus sehen lassen; ISO 25 000 (unten) wirken im Pixel-Peeping schon recht pointillistisch. Oben: ISO 100
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klassischen Einstellrädern zurückzukehren, als der bewährten, haptisch intuitivsten Form der Steuerung der wichtigsten Aufnahmeparameter. Siehe Fujis X-Systeme, siehe natürlich auch die Leica Q. Kontrapunkt schön und gut – aber hat Leica hier vielleicht die Funktionalität dem Schönheitsideal geopfert? Keineswegs: Die Kachelstruktur des Menüs ist logisch und eingängig unterteilt, und man kann aus den Funktionen leicht per Fingertipp diejenigen auswählen, die für einen selbst am wichtigsten sind, und sie im persönlichen Menü gruppieren. Von den beiden Drehrädern, die in die Gehäuseoberseite eingelassen sind, richtet sich das rechte
in seiner Funktion danach, welcher Belichtungsmodus eingestellt ist, bei Zeitautomatik stellt man mit ihm folglich die Blende ein. Nur bei manueller Belichtung ist auch die Funktion des linken Rades festgelegt, damit man eben sowohl Zeit und Blende wählen kann. Sonst lässt es sich frei belegen, zum Beispiel mit der ISOEinstellung, was unsere Präferenz war. Die Leichtigkeit, mit der sich, wie in unserem Fall, zum Beispiel die ISO-Einstellung per Drehrad handhaben lässt, kann natürlich auch ihre Tücken haben, wenn man die Kamera mal längere Zeit schussbereit in der Hand hält: Ruck, zuck ist es da passiert, dass die Empfindlichkeit unbeab-
sichtigt, ja womöglich unbemerkt höher gedreht ist. Sie muss ja nicht gleich bis zu ISO 50 000 hochgeschnellt sein – so viel bietet der neue 24-Megapixel-Sensor an. Es reichen auch 800 ISO bei Sonnenschein, und unter anderen Umständen wäre dann mit dem aufgeblendeten 1.4/35er nur Schrott herausgekommen. Glücklicherweise aber ist es bei der TL2 so, dass bei Verschlusszeiten kürzer als 1/4000 s der elektronische Verschluss einspringt, der Belichtungszeiten bis zu 1/40 000 s ermöglicht. Das ist nicht nur ein willkommener Puffer für Fälle, in denen man als TL2-Benutzer einfach mal nicht richtig aufgepasst hat, sondern heißt vor allem auch: Die TL2 ermöglicht
das Komponieren mit selektiver Schärfe, zu welchem etwa das 1.4/35er einlädt, bei wirklich beliebigen Lichtverhältnissen – eine feine Sache. Abgesehen davon: Mit einem langen Fingertipp auf das dem Dreh rad zugehörige Icon lässt sich die Einstellung sperren und entsperren – als Handbuchverächter haben wir das dann erst durch Ausprobieren herausgefunden und schnell schätzen gelernt. Was ist noch erwähnenswert? Der integrierte Klappblitz, den die TL noch hatte, ist weggefallen – bedauerlich für alle, die derlei gern mal zur Vordergrundaufhellung verwenden, aber auch nicht weiter schlimm. Was vormals ein dedizierter →
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Die TL2 und ihre Objektive: das 60er-Macro-Elmarit, das VarioElmar 11–23 mm, das Vario-Elmar 55–135 mm , das Vario-Elmar 18–56 mm, das 35er-Summilux und das 23er-Summicron
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Videoknopf vorn am Gehäuse war, lässt sich darüber hinaus nun auch entweder mit der Funktion Wiedergabe oder Wechsel zwischen Display und Visoflex belegen. Gern hätten wir auch das Apo-Vario-Elmar-TL 1:3.5–4.5/55–135 mm Asph
ausprobiert, um zu erkunden, ob am Tele-Ende sich das Fehlen einer Bildstabilisierung ungünstig bemerkbar macht – denn das ist gewiss ein ernst zu nehmendes Manko des TL-Systems im Vergleich zur Konkurrenz. Nur wer SL-Objektive verwendet, die das gleiche Bajonett haben wie die TL-Optiken, kommt in den Genuss des Verwacklungsschutzes. Doch wie realistisch ist der Gedanke, dass Anwender der TL2 zu SL-Objektiven greifen oder, umgekehrt, dass SL-User sich für den kleineren Sensor der TL2 erwärmen, nur um vielleicht mal ein kleineres, leichteres Gehäuse in der Hand zu haben? Aber immerhin: Es ist möglich. Ebenso wie, per Adapter, das
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02.10.11 11:35
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Angesichts der erklärten Positionierung des TL-Systems als eines Angebots an Menschen, die ihre Fotografie-Sozialisierung über das Smartphone erfahren haben und nun friktionslos erkunden wollen, was HighQuality-Fotografie wirklich bedeuten kann, ohne dass man gleich investitionsmäßig über die Stränge schlägt, wirkt die Einbindung der TL2 in den Kanon der ambitioniertesten Leica-Systeme zwar ein wenig sonderbar – wir erklären es uns aber als strategisches Statement, das unterstreicht, wie ernst es Leica mit dem TL-Kon-
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Anbringen von M- oder R-Objektiven, deren Scharfstellung nun durch Focus Peaking unterstützt wird.
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zept ist. Der genuine TLObjektivpark schmückt sich ohnehin auch jetzt schon mit exzellenten Designs, die natürlich auch Gebrauch machen von den elektronischen Möglichkeiten der Korrektur zum Beispiel von Verzeichnung: Es gibt das erwähnte großartige, wenn auch recht voluminöse Summilux, sodann ein zierliches 23-mm-Summicron, ein 2.8/60er-Apo-Macro-Elmarit und im Vario-Bereich ein 11–23er, ein 18–56er und eben das 55–135er. Die Zielgruppe sollte dieses Sortiment rundum glücklich machen können, wir werden diese Objektive nach und nach genauer in Augenschein nehmen, jetzt, wo die Kamera endlich auch den Kinderschuhen entwachsen ist
und man ihr größeren Zuspruch wünschen würde. Bleibt die Frage, ob die TL2 denn nun auch wirklich mit ihrem Interface abbildet, was der ans Smartphone gewohnte User vielleicht erwartet. Was die Auswahl von Steuerungsfunktionen per Wischen und Tippen angeht: Durchaus, hier hat Leica eine Systematik entwickelt, die durchweg gefällt in ihrer Eingängigkeit, Logik und Einfachheit. Und trotzdem ist man hinter den Möglichkeiten geblieben, die ein Touchscreen eröffnet. Um ein Beispiel zu nennen: Die SmartphoneApp ACDSee Camera Pro demonstriert, was für eine Fülle von Bearbeitungsmöglichkeiten sich, realisiert mit Buttons und Gleitreg-
lern, auf einer Touch-Oberfläche anordnen lässt, ohne dass diese auch nur im Geringsten überfrachtet und unübersichtlich wirkte. Das meiste davon ist zwar dann überflüssig, wenn man von einem DNG-Workflow ausgeht (und übrigens: Die TL2 kann endlich ausschließlich DNGs speichern statt nur in Kombination mit Jpeg), doch es geht ums Prinzip: Was könnte man alles aus der Idee eines Touchscreens herausholen, wenn man ihn schon ins Zentrum eines Kamerakonzepts stellt? Und eine direkt fotografisch relevante Funktion dieser App würde auch der TL2 sehr gut zu Gesicht gestanden zu haben, wenn sie schon die Wahl eines Fokuspunkts per Touch ermöglicht: ein
Schwester-Messpunkt, der sich an die Stelle des Bildfelds verschieben lässt, auf die belichtet werden soll. Ungemein praktisch wäre das und eine intuitive Alternative zur üblichen Belichtungskorrektureinstellung, die das Potenzial der TL2 wirklich konsequent ausnutzte. Doch kritisieren lässt sich immer etwas, und es sei ja auch bloß als Anregung verstanden – mit der TL2 ist das TL-System jedenfalls zu einem reifen System geworden, dessen exzellente Bildqualität nun Hand in Hand geht mit ebenso exzellentem Tempo der zentralen Funktionen. Schade, wirklich schade, dass die Visoflex-Panne passieren musste. olaf stefanus
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22.02.2017 16:19:05 Uhr
g u t e ko n tak t e L e i c a T L 2 : C o nn e c t i v i ty
Der Drahtauslöser hat seine besten Tage schon lange hinter sich, an seine Stelle treten heute immer öfter Smartphone-Apps. Die passende App für die Leica TL2 haben wir uns näher angesehen.
Eine gewisse Reserviertheit der Kamerahersteller Smartphones gegenüber könnte man verstehen, denn die haben schließlich mit ihren zumeist eher schlichten Kameras das Segment der digitalen Kompaktkameras fast verkümmern lassen. Statt eine Kamera mitzunehmen, zückt man halt das Telefon und nimmt in Kauf, dass man zwar in der Regel mit festem Weitwinkel, ohne großartige Einstellmöglichkeiten und mit minderer Qualität fotografiert, im Gegenzug aber die Bilder sofort verschicken oder ins Netz stellen kann.
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Die bei dedizierten Kameras immer in Aussicht stehende Bearbeitungs-Session am Rechner schreckt viele eher ab. Das gilt natürlich nicht unbedingt für jemanden, der sich eine so ambitionierte Kamera wie die Leica TL2 mit all ihren Gestaltungsmöglichkeiten gekauft hat. Aber auch er hat allen Grund, Smartphonebesitzer um ihre Kommunikationsfähigkeiten zu beneiden. Dabei kommt die TL2 mit ihrem Touchscreen und ihrer daran sehr gut angepassten Bedienung einem Smartphone schon recht nahe. Und für die Kommu-
nikation und als Fernbedienung nutzt die TL2 einfach die Fähigkeiten des Smartphones: Für Android- und iOS-Geräte gibt es eine App, die sich mit der Kamera verbindet und die nicht nur die Fernsteuerung der Kamera, sondern auch die schnelle Übertragung der Bilder per W-Lan ermöglicht. Sind die Bilder erst einmal auf dem Smartphone, lassen sie sich dort bearbeiten und natürlich verschicken. Die App an sich, deren iOS-Version wir auf iPhone und iPad testeten, ist nicht einmal neu, sie arbeitete auch schon mit den Vorgängern Leica T und TL zusammen.
den W-Lan, lässt sich über die Bildschirmtastatur des Touchscreens das Passwort sehr gut eingeben. Anschließend wird man gefragt, ob man die Verbindung aufbauen will, um eine Web-Galerie (s. u.) zu zeigen, oder ob man sich mit der App verbinden möchte. Entscheidet man sich für Letzteres, muss sich das Smartphone mit dem Netz verbinden – die passenden Daten zeigt die Kamera an. Das Passwort fürs Netz muss man nur beim ersten Mal eingeben, aber auswählen muss man es am Smartphone. Im Anschluss kann man dann die App starten.
W- La n -V e r bi ndu n g . Die TL2 beherrscht zwei W-LanModi: Sie kann sich mit einem bestehenden W-Lan im 2,4-GHz-Bereich verbinden oder aber sie kann ein Adhoc-Netzwerk aufspannen, in dem sie die federführende Partei ist. Letzteres ist naturgemäß die Art und Weise, wie man sich irgendwo draußen im Gelände mit der Kamera verbindet, während ersteres höchstens dann Sinn macht, wenn man zu Hause mal den Fernauslöser ersetzen möchte. Verbindet man sich mit einem bestehen-
F e r nst e u e ru n g . Nach dem Start der App landet man erst einmal im Fernsteuerungsmodus, der Schirm der Kamera wird gleichzeitig dunkel. Das Bild wird stattdessen per W-Lan aufs Smartphone übertragen. Hält man das Telefon im klassischen Hochformat, bekommt man zwar nur ein eher kleines Bild, aber dafür viele Informationen wie Batterieladung, Belichtungsart, Zeit, Blende und Empfindlichkeit. Hält man das Telefon quer, dann erhält man ein drastisch →
Das Herstellen der W-LanVerbindung zwischen TL2 und iPhone wird schnell zur Routine. Im Hochformat lassen sich auch Blende, Empfindlichkeit etc. steuern, im Querformat sieht man stattdessen deutlich mehr vom Live-Bild
Überträgt man mit der App Bilder von der Kamera aufs Gerät, lassen sich nur Jpegs transferieren. Wer auch DNG-Dateien wandeln und deren Qualitätsreserven nutzen möchte – die Rechenleistung reicht dafür locker aus –, muss die SD-Karte direkt auslesen. Bei AppleGeräten wie hier dem iPad muss man den Kartenleser zwar separat erwerben, doch dafür lassen sich auch DNG-Dateien direkt in die Foto-Mediathek importieren (oben). Für die eigentliche Raw-Konvertierung benötigt man spezialisierte, leicht bedienbare Apps wie hier Adobe Lightroom (unten), die ihre Ergebnisse über Cloud-Dienste mit dem Mac oder PC zu Hause austauschen können
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vereinfachtes Interface, das nur noch den Auslöser und den Video-Button zeigt. Wie an der Kamera selbst muss man nur aufs Bild tippen, um den Messpunkt für den Autofokus zu setzen. Die Belichtungssteuerung übernimmt die App von der Kamera, sie lässt sich per App auch nicht umstellen. Steht alles auf Programmautomatik, darf man nur die Empfindlichkeit verstellen und eine Belichtungskorrektur vornehmen, andernfalls lassen sich auch Zeit und Blende verstellen. Im manuellen Modus zeigt die App nur mit einer eingeblendeten Zahl die Abweichung in Lichtstufen – eine klassische Lichtwaage wäre hier intuitiver gewesen. Und man fragt sich zunächst
auch, warum man nicht in den Einstellungen und Menüs der Kamera wühlen darf – bis einem dann auffällt, dass das an der TL2 mit ihrem Touchscreen mindestens genauso einfach geht wie auf dem Smartphone. Man könnte auch kritisieren, dass durch die W-LanÜbertragung das Live-Bild etwas ruckelig und die Auslösung der Kamera per App leicht verzögert ist. Aber die App ersetzt ja zunächst nur den Drahtauslöser und macht das ziemlich gut, zumal man kein zusätzliches Equipment benötigt und in die Fototasche packen müsste. Dafür ist der Komfort schon ziemlich einzigartig und auf die kleine Verzögerung kann man sich gut einstellen.
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t rag u n g . Natürlich kann
die App auch die Bilder wiedergeben, die sich auf der Kamera befinden. Für sich allein macht diese Funktion wenig Sinn, denn auf dem großzügigen Display der Kamera selbst lassen sich die Bilder weit flotter und besser durchblättern als auf einem externen Mobilgerät. Der Zweck dieser Funktion besteht aber darin, die Bilder direkt auf das Gerät zu laden und sofort weiterzuleiten oder zu verwerten. Die Bilder lassen sich entweder unmittelbar an andere Apps von Mail bis Instagram übergeben oder zunächst in die zentrale FotoMediathek übertragen. Als Nutzer von iOS findet man sie dort im Album „Leica“
und kann sie verwalten, bearbeiten und an weitere Apps übergeben. Sind die Bilder in der Foto-Mediathek von iOS oder Android gelandet, werden sie auf Wunsch auch gleich über die Cloud-Dienste der jeweiligen Anbieter mit anderen Geräten synchronisiert. Die Übertragung noch vor Ort per App ist natürlich extrem schnell, und wenn man will, ist ein Bild zwei Minuten nach der Aufnahme bereits irgendwo online oder per Mail verschickt. Würde man die Kamera des Smartphones benutzen, wäre man kaum schneller, doch dafür hat man mit der TL2 eine ungleich höhere Bildqualität, Zugriff auf ganz andere Brennweiten abseits des Standardweitwinkels
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und deutlich bessere Gestaltungsmöglichkeiten. Aber natürlich gibt es auch Limitierungen: Zum einen lassen sich lediglich Bilder im Jpeg-Format übertragen. Schießt man seine Bilder nur im DNG-Format, sieht die App sie nicht einmal und bietet die Übertragung gar nicht erst an. Ist die Kamera auf DNG und Jpeg eingestellt, zeigt und überträgt die App nur das in der Kamera bereits aufbereitete Jpeg. Das wäre ein Problem, wenn die Übertragung per App der einzige Weg wäre, Bilder von der Kamera zu exportieren, aber wer ein Bild sofort nach der Aufnahme im Netz sehen will, dürfte sich wohl kaum noch mit einer Raw-Konvertierung aufhalten – so gesehen
ist die Beschränkung aufs Jpeg-Format in Wirklichkeit kaum eine. Der zweite Haken ist die Größe der Bilder: Nur wenn man die Bilder einzeln auf das Smartphone überträgt, kommen sie auch in der maximalen Auflösung von 6000 × 4000 Pixeln an, was per W-Lan übrigens bereits eine kleine Weile dauert. Markiert man hingegen mehrere Bilder und überträgt sie in einem Rutsch, wird die Auflösung deutlich reduziert auf gerade eben 1632 × 1080 Pixel. Das ist deutlich weniger, als die Kameras der Smartphones selbst schaffen, aber andererseits mehr, als man für die Verwendung im Netz oder die Sichtung normalerweise benötigt.
w e b-Ga l e r i e . Man muss sich aber nicht unbedingt per App mit der Leica TL2 verbinden, vielmehr kann man alternativ auch die Web-Galerie nutzen. Diese lässt sich von jedem Smartphone, Tablet oder Computer, die sich im selben Netz befinden, aufrufen. Die Kamera enthält dafür einen richtigen kleinen Web-Server, der sich erreichen lässt, wenn man die eingeblendete Adresse im Browser eintippt. Die Galerie ist zwar schlicht gestaltet, aber sehr hilfreich, wenn man die Bilder einfach nur etwas größer sehen möchte. Allerdings gelten hier die gleichen Einschränkungen wie bei der Nutzung der App: Gezeigt werden nur Jpegs mit reduzierter Auflösung.
E i n e g e lu n ge nE ve rbi ndu n g . Wer noch mit teuren Funkauslösern oder gar archaischen Drahtauslösern gearbeitet hat, kann sich mit dem Smartphone, das ein Livebild zeigt und mit dem sich Fokus und Belichtung steuern lassen, fast schon wie James Bond fühlen. Auch die Übertragung der Bilder, um sie gleich weiterzureichen, kann manchmal sehr nützlich sein. Wer DNG-Dateien und damit die Qualitätsreserven der Kamera nutzen möchte, muss zwar nach wie vor die Speicherkarte direkt auslesen, doch auch dafür gibt es längst passende Apps und Strategien. Vielleicht ist die Bildbearbeitungs-Session am Rechner ja wirklich bald Geschichte. holger sparr
Für die anspruchsvolle Fotografie Michael Schär mit Leica M und Summilux 50 mm
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Ve r s c h lu s s e vo lu t i o n m e c h a n i s c h , h y b r i d, e l e k t r o n i s c h
In der Historie der Fotografie entstanden verschiedene Verfahren, die Belichtung zu starten und zu beenden, die meisten fanden auch in Leica-Kameras Eingang. In Zukunft könnten elektronische Verschlüsse mechanische vollständig ablösen.
Gemeinsam mit der Blende bestimmt der Verschluss, wie viel Licht den Sensor erreicht. Wie die Blende spielt der Verschluss neben der Belichtungssteuerung noch eine zweite Rolle: Während die Blende auch die Schärfentiefe festlegt, kann der Verschluss die Bewegungen von Motiv und Kamera einfrieren. Diese zweite Aufgabe ist um einiges anspruchsvoller als die erste und die verschiedenen Verschlussarten unterscheiden sich darin, wie gut sie diese bewältigen, ohne Artefakte im Bild zu erzeugen. S c hlitzve r schluss.
Der Schlitzverschluss ist vermutlich die verbreitetste Verschlussvariante und findet sich in Spiegelreflexund Messsucherkameras. Vor dem Sensor bewegen sich zwei Verschlussvorhänge, die den Weg des Lichts 82 |
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zum Sensor freigeben und wieder verschließen. Das ursprünglich für die Verschlussvorhänge verwendete Gummituch ist bei aktuellen Modellen durch Metalllamellen ersetzt, die den starken Kräften besser widerstehen können. Da die Höhe des Bildes durchweg geringer als dessen Breite ist, bewegen sich die Vorhänge meist senkrecht statt waagerecht – die zurückzulegende Strecke ist dann kürzer und der Verschluss entsprechend schneller. Die Geschwindigkeit der Verschlussvorhänge ist ein wichtiger Parameter, steht aber in keinem direkten Zusammenhang mit der Verschlusszeit. Vor der Belichtung ist der Sensor vom ersten Verschlussvorhang bedeckt. Der Vorhang öffnet sich dann und gibt mehr und mehr von der Fläche des Sensors frei.
Nachdem die gewählte Belichtungszeit verstrichen ist, folgt ihm der zweite Vorhang und beginnt, die Öffnung wieder zu schließen. Zwischen den beiden Vorhängen entsteht der Schlitz, dem dieser Verschlusstyp seinen Namen verdankt. Weil der Sensor durch das Fenster belichtet wird, das die beiden Verschlussvorhänge bilden, werden unterschiedliche Teile des Sensors zu leicht voneinander abweichenden Zeiten belichtet. Dennoch ist die Belichtungszeit jedes Sensorpixels dieselbe, da ja die Verzögerung zwischen dem Vorhang, der öffnet, und dem Vorhang, der schließt, der Belichtungszeit entspricht. Bewegte Motive könnten verzerrt werden, da der obere Teil des Motivs etwas später als sein unterer Teil aufgenommen wird, aber bei aktuellen, schnellen Schlitz-
verschlüssen ist das kaum noch ein Problem. Die Verschlussvorhänge bewegen sich stets mit gleicher Geschwindigkeit, unabhängig von der Belichtungszeit. Bei einem aktuellen Verschluss für eine Kleinbildkamera brauchen die Vorhänge zwischen 1/80 und 1/500 s, um die 24 Millimeter der Bildhöhe zurückzulegen. Verschlüsse für Mittelformatkameras brauchen, abhängig von der Bildgröße, entsprechend länger. Die Belichtungszeit kann deutlich kürzer sein, meist bis zu 1/4000 oder 1/8000 s. Mit einem extrem schmalen Schlitz zwischen den Vorhängen wären noch kürzere Zeiten möglich, aber neben mechanischen Beschränkungen setzt die Beugung des Lichts dieser Methode Grenzen. Während die Belichtungszeit viel kürzer als die Lauf-
zeit der Verschlussvorhänge sein kann, ist das bei der Blitzsynchronzeit anders. Die Blitzröhre eines Blitzgeräts leuchtet für 1/1000 s oder weniger auf, also nicht lange genug, als dass der ganze Sensor durch den wandernden Schlitz belichtet werden könnte. Daher wählt man die Blitzsynchronzeit so, dass der zweite Verschlussvorhang erst startet, nachdem der erste Vorhang den Sensor vollständig freigegeben hat. Die Blitzsynchronzeit entspricht daher der Laufzeit der beiden Verschlussvorhänge. Damit sich die Vorhänge mit gleichbleibender Geschwindigkeit über den Sensor bewegen, müssen sie in kürzester Zeit auf die Geschwindigkeit beschleunigen und am anderen Ende ebenso schnell wieder abbremsen. Die Bewegungsenergie der Vorhänge muss in eine andere Form umgewandelt werden – zum Teil in akustische Energie. Ein schnellerer Verschluss ist daher in der Regel auch ein lauterer Verschluss. Wenn der erste Verschlussvorhang gestoppt wird, wird die Kamera in Vibrationen versetzt, die die Bildschärfe beeinträchtigen können – insbesondere bei Modellen mit einer hohen Megapixelzahl, →
Kameras der M-Reihe verwenden ausschließlich Schlitzverschlüsse, während die SL zusätzlich einen elektronischen Verschluss unterstützt. Im S-System kann man wahlweise den Schlitzverschluss im Gehäuse oder den Zentralverschluss einiger Objektive nutzen
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denn deren höhere Auflösung macht die Unschärfe stärker sichtbar. Die Vorteile des Schlitzverschlusses sind kurze Verschlusszeiten und kaum Probleme bei der Aufnahme bewegter Motive; die Nachteile lange Zeiten bei der Blitzsynchronisation, die Geräuschentwicklung und Vibrationen. Z e ntra lv e r s c h luss.
Mit dem Zentralverschluss eines Objektivs aus der CS-Reihe für das S-System sind Blitzsynchronzeiten bis 1/1000 s möglich, während der Schlitzverschluss nur 1/125 s unterstützt
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Der zweite traditionelle Typ eines Verschlusses ist der Zentralverschluss. Er wird so bezeichnet, weil er sich mitten im Objektiv statt im Gehäuse der Kamera befindet. Der Zentralverschluss teilt sich diese Position mit der Blende und tatsächlich wirkt er wie eine Blende mit nur zwei Stellungen – offen und geschlossen. Das Öffnen und Schließen der Verschlusslamellen wirkt sich auf den gesamten Sensor aus, weshalb sich alle Verschlusszeiten auch mit dem Blitz synchronisieren lassen. Aber während die Synchronzeiten kürzer als bei einem Schlitzverschluss sind, sind die insgesamt erreichbaren Verschlusszeiten länger – beispielsweise bis zu 1/1000 s bei den Objektiven des S-Systems, die mit einem Zentralverschluss ausgestattet sind. Die Lamellen des Zentralverschlusses bewegen sich zwar schneller als die Vorhänge eines Schlitzverschlusses; da aber der gesamte Sensor gleichzeitig belichtet wird, sind keine extrem kurzen Belichtungszeiten möglich. Wenn sich die Verschlusslamellen schließen, treffen sie sich in der Mitte. Gegenüberliegende Lamellen bewegen sich in entgegengesetzter Richtung und
ihre Bewegungsenergie hebt sich am Ende auf. Daher kommt es nicht zu Vibrationen. Auf die Geräuschentwicklung hat das allerdings keinen Einfluss; die Lautstärke eines Zentralverschlusses kann ebenso störend sein wie die eines Schlitzverschlusses. Die Vorteile des Zentralverschlusses sind die problemlose Aufnahme bewegter Motive, kurze Synchronzeiten und Vibrationsfreiheit, die Nachteile begrenzte Verschlusszeiten und die Geräuschentwicklung. „ Ro l l e nde r “ e l e ktro n i s c h e r V e r s c hluss.
Praktisch alle aktuellen Digitalkameras haben einen Sensor, mit dem sich ein elektronischer Verschluss realisieren lässt. Sie nutzen ihn im Live-View-Modus und für Videoaufnahmen, aber manche Modelle wie die Leica SL unterstützen den elektronischen Verschluss auch als schnelle, lautlose und vibrationsfreie Alternative für Standbilder. Genau genommen ist ein elektronischer Verschluss gar kein Verschluss – schließlich wird nichts verschlossen. Sein Funktionsprinzip ist dieses: Jedes Sensorpixel wird ständig von einem Strom von Photonen getroffen, die bei ihrem Auftreffen jeweils ein Elektron freisetzen, das im Pixel gesammelt wird. Zum Start der Belichtung entleert der elektronische Verschluss den Speicher des Pixels, sodass alle bis dahin gesammelten Elektronen abfließen und die Sammlung neu beginnen kann. Nach der vorgesehenen Belichtungszeit wird das Pixel ausgelesen; danach noch auf-
treffende Photonen zählen dann nicht mehr. CMOS-Sensoren unterstützen typischerweise einen „Rolling Shutter“. Dieser Verschlusstyp geht sequenziell von oben nach unten vor, ganz ähnlich einem Schlitzverschluss. Zeile um Zeile von Sensorpixeln werden entleert und nach Ende der Belichtungszeit wird wiederum Zeile um Zeile ausgelesen. Die Ähnlichkeit mit dem Schlitzverschluss endet allerdings, wenn es um die Geschwindigkeit geht, denn ein „rollender“ elektronischer Verschluss braucht etwa zehn mal so lange für eine vollständige Belichtung. Das überrascht zunächst, erreicht ein elektronischer Verschluss doch extrem
kurze Belichtungszeiten von 1/16 000 s und teilweise noch kürzer, aber nur die Belichtungszeit der einzelnen Sensorpixel ist so kurz – die gesamte Belichtungszeit des Sensors ist viel länger. Der rollende Verschluss rollt also zu langsam, als dass er sich für die Blitzsynchronisation eignete. Er neigt auch zu Verzerrungen bewegter Motive, die in bizarrer Weise verformt werden, wie hier am Beispiel der Rotoren einer Drohne (S. 86) gezeigt. Ein weiteres Problem sind die immer häufiger verwendeten LED-Lampen. Diese haben eine hohe Energieeffizienz und liefern ein natürlicheres Licht als Leuchtstoffröhren, was sie für fotografische Zwecke empfiehlt – sofern kein
Ein Schlitzverschluss sitzt unmittelbar vor dem Sensor. Der zweite (schließende) Verschlussvorhang folgt dem ersten (öffnenden) Vorhang, zwischen denen der Schlitz entsteht, dem dieser Verschlusstyp seinen Namen verdankt
elektronischer Verschluss zum Einsatz kommt. LEDs werden üblicherweise gepulst betrieben, und während ihr Flackern vom menschlichen Auge unbemerkt bleibt, erzeugt es in Aufnahmen mit dem elektronischen Verschluss ein Streifenmuster. →
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Ein Rolling Shutter erzeugt willkürliche Verzerrungen bewegter Motive wie der Rotoren dieser mit einer Leica SL fotografierten Drohne. Der Schlitzverschluss vermeidet derlei Artefakte
Die Vorteile des Rolling Shutter sind sehr kurze Verschlusszeiten, keine Geräusche und Vibrationsfreiheit, die Nachteile seine Probleme mit bewegten Motiven und gepulsten Lichtquellen. Zudem ist er nicht für Blitzlicht geeignet. G lo ba l e r e l e kt ro n i -
Aufnahmen unbewegter Motive mit elektronischem Verschluss können ein Streifenmuster zeigen (oben), wenn gepulste LEDs als Lichtquelle dienen. Beim Schlitzverschluss ist das nicht so (unten)
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s c h e r V e r s c h luss. Ein idealer elektronischer Verschluss würde alle Sensorpixel gleichzeitig belichten. Das bezeichnet man als globalen elektronischen Verschluss, da die Belichtung global, also im ganzen Sensor gleichzeitig beginnt und endet. Die Belichtung global zu starten wäre einfach, da alle Pixel gleichzeitig entleert werden müssten. Aber alle Pixel gleichzeitig auszulesen, wäre eine anspruchsvolle Aufgabe, der heutige Halbleitertechnik noch nicht gewachsen ist. Aber man kann schnellere rollende Verschlüsse bauen und so den Abstand zu einem echten globalen Verschluss verringern. Anstatt nur eines Analog-Digital-Wandlers (ADC) pro Pixelspalte – der Sensor der Leica SL etwa hat 6000 ADCs – kann man für eine noch stärkere Parallelverarbeitung mehrere ADCs pro Spalte vorsehen. Es gibt aber auch echte globale Verschlüsse, und tatsächlich existieren sie schon seit vielen Jahren. Kompaktkameras nutzten früher meist Interline-Transfer-CCDs mit extrem kurzen Verschlusszeiten bis 1/32 000 s, die sich sogar mit einem Blitz synchronisieren ließen. Interline-Transfer-CCDs haben jeweils ein Paar von Sensorpixeln für jedes Bildpixel. Nur ein Pixel jedes Paars ist licht-
empfindlich, während das andere nur als Ladungsspeicher dient. Während der Belichtung sammeln die lichtempfindlichen Pixel Elektronen. Soll die Belichtung enden, werden die Elektronen in das zweite Pixel verschoben. Die Zweitpixel können in aller Ruhe ausgelesen werden, denn da sie lichtgeschützt sind, ändert sich ihre Ladung nicht mehr und es spielt keine Rolle, wenn sie nacheinander statt gleichzeitig ausgelesen werden. CMOS-Sensoren könnten dasselbe Prinzip nutzen und solche Sensoren gibt es auch bereits. Sie sind aber nur für industrielle Anwendungen und nicht für die Fotografie geeignet. Mit zwei Pixeln auf dem Platz von einem bleibt für jedes weniger Platz, um Elektronen zu speichern, und darunter leiden der Dynamikumfang und der Rauschabstand. Bei den einfach aufgebauten CCDs ist das ein geringeres Problem als bei dem komplexeren CMOS-Sensoren. Alle großen Sensorhersteller arbeiten an der Lösung dieses Problems und es ist nur eine Frage der Zeit, bis ein solcher Sensor für fotografische Aufgaben nutzbar sein wird. Der globale elektronische Verschluss ist der heilige Gral des Verschlussdesigns, da er die Vorteile aller Verschlussvarianten in sich vereinigt: die Möglichkeit sehr kurzer Verschlusszeiten, keine Probleme mit bewegten Motiven, kurze Blitzsynchronzeiten, Geräuschund Vibrationsfreiheit. Michael j. hussmann
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Fa r bko m p o s i t i o n bi l dk o mp o si t i o n
G u t au s b a l a n c i e r t e Fa r b e n kö nn e n au c h e i n e u n g e w ö h n l i c h e Ko m p o s i t i o n z u s a m m e n h a lt e n .
Foto: Constantin Manos/Magnum Photos/Agentur Focus
Eher als dass sie Schutz vor der Sonne sucht, sieht die Frau so aus, als versuche sie eine Schuld zu verbergen, während sie ihren Kuchen isst. Da Constantin Manos sie ganz an den Rand der Aufnahme gerückt hat, wirkt es noch komischer. So verliert sie völlig ihre Identität und geht in dem Plunder unter, den sie doch eigentlich loswerden will. Diese wirkungsvolle, aber sehr ungewöhnliche Komposition fiele sofort auseinander, wäre da nicht Manos’ meisterhafter Einsatz der Farbe. Man sehe nur, wie die rote Bluse der Frau die rote Hutschachtel ausbalanciert oder wie die grünen Gläser dem Gelb und Grün unten im Bild eine Daseinsberechtigung geben. Oder wie das zarte Lila der Tischdecke, der stahlblaue Laster und das blaugrüne Dreieck vor der Frau die Komposition solide grundieren. Manos findet die Ordnung in diesem visuellen Tohuwabohu. Anders als bei Schwarzweiß, wo visuelle Informationen aus Tönungen destilliert werden, führt die Lebhaftigkeit der Farben oft zu einem überladenen Raum, der den Betrachter schnell überwältigen kann. In puncto Komposition kommt es darauf an, die „Persönlichkeit“ der Farben im Blick zu behalten. Wie man anhand dieser Aufnahme sieht, drängen sich die roten Töne nach vorn, während sich die blauen eher in den Hintergrund zurückziehen. Und verwandte Farben wie Grün und Gelb finden in einer zwingenden visuellen Verbindung zueinander.
Jetz t b est ellen:
l f i - o n l i n e . de/s h o p Hen ry Car ro l l ist Autor der Buchreihe Big Shots,
in der er die Geheimnisse ikonischer Fotografien lüftet, erschienen im Midas Verlag.
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Leica
Oskar Barnack Award 2017
LFI-So n der he ft: Die LFI-Sonderausgabe zum Leica Oskar Barnack Award 2017 mit ausführlichen Informationen zu allen zwölf Strecken finden Sie im LFI Shop ( lfi-online.de/shop). LO BA-Aus st e l lu n gen : Berlin, Neue Schule für
Fotografie, 14. September bis 15. Oktober; Paris Photo, 10. bis 13. November; Lucca, Photolux Festival, 19. November bis 10. Dezember
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Douglas So, Gründer des F11 Foto Museums in Hongkong und Mitglied der Jury für den 37. Leica Oskar Barnack Award (LOBA), bringt es auf den Punkt: „Der LOBA bietet sowohl etablierten als auch Newcomer-Fotografen eine seriöse internationale Plattform, um ihre Arbeiten zu zeigen, ihre Geschichten zu erzählen und ihre Träume zu realisieren. Der Preis ist ein bewährter Maßstab für Exzellenz. Auf vielerlei Art und Weise bleibt der LOBA einer der wichtigsten Preise in den Ruhmeshallen der Fotografie.“ Dabei mag So auch im Hinterkopf haben, dass der LOBA mit Sachund Geldpreisen in Höhe von 80 000 Euro einer der am höchsten dotierten Preise der Branche ist, der Kern seiner Aussage zielt jedoch darauf, dass der LOBA Jahr für Jahr ein verlässliches Bild davon gibt, welche Themen die zeitgenössische Fotografie besonders bewegen, und wie Fotografen sie auf ihre jeweils ganz eigene Weise umsetzen. Dazu tragen die Modalitäten des Preises ihren Teil bei, sie bestimmen, dass eine Serie von mindestens zehn bis maximal zwölf Aufnahmen einzureichen sei. Noch einmal So: „Fotoessays haben für mich eine besondere Bedeutung. Glück und Zufall können bisweilen eine Rolle dabei spielen, ein gelungenes Einzelbild umzusetzen. Um eine kohärente und ästhetisch überzeugende Serie zu erschaffen, braucht es viel mehr. Eine Serie, die kraftvoll eine Aussage vermittelt oder ein kompliziertes Thema interpretiert; ein Einzelbild kann das oftmals nicht transportieren.“ Neben So gehörten der Jury Karin Rehn-Kaufmann, Artdirector & Generalbevollmächtigte Leica Galerien International; Michelle Dunn Marsh, Executive Director des Photographic Center Northwest, und Christian Pohlert, Ressortleiter FAZ-Bildredaktion, an. Sie hatte die Qual der Wahl zwischen 2700 Einreichungen aus 104 Ländern. In dem Norweger Terje Abusdal fand die Jury einen verdienten Sieger, der sich in seiner Serie Slash & Burn mit der Volksgruppe der Waldfinnen befasst, die sich im 16. und 17. Jahrhundert im heutigen Norwegen angesiedelt hatte. Wie ein teilnehmender Beobachter in der Sozialforschung näherte sich Abusdal seinen Protagonisten und setzte sie in einer Manier ins Bild, die sich als fotografische Entsprechung zum Magischen Realismus in Literatur und Malerei verstehen lässt: „Die Fotografie ist ein Mittel zur Dokumentation. Aber man kann mit ihr auch einen Augenblick, eine Idee, einen Ort außerhalb seines Kontextes einfangen und ihm so eine neue Bedeutung geben – etwa eine geheimnisvolle. Man kann etwas ganz Anderes vermitteln als das, was man tatsächlich fotografiert hat.“ Aus der Gruppe der 800 Teilnehmer, die für den Leica Oskar Barnack Award Newcomer infrage kamen, kürte die Jury Sergey Melnitchenko zum Preisträger. Obwohl der Ukrainer auf eine ganz andere Art fotografiert als Abusdal, nahm auch er die Rolle des teilnehmenden Beobachters ein und trieb sie sogar auf die Spitze: Melnitchenko, nicht nur Fotograf, sondern auch Tänzer, trat mit dem Ensemble, dem er angehört, in einem Club in Dongguan, Südchina, auf. In der Serie Behind the Scenes hielt er seine Beobachtungen im Backstage-Bereich fest – Beobachtungen, die ein Außenstehender niemals hätte machen können. „Für mich war diese Serie etwas Neues, sehr Interessantes. Es handelt sich um einen Mix aus konzeptueller und Dokumentarfotografie. Ich liebe diesen Stil, damit will ich gern weitermachen“, verspricht der junge Fotograf. Wir sind gespannt! bernd luxa
Aus der Serie Slash & Burn des LOBA-Preisträgers 2017, Terje Abusdal (siehe auch die nächste Seite) lFI
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L e i c a o s k a r B a r n a c k Awa r d 2 0 1 7
Te r je A b u s da l Im 16. und 17. Jahrhundert emigrierten zahlreiche Finnen nach Norwegen. In den Finnskogen, den Wald der Finnen. Ein wesentliches Element ihrer landwirtschaftlich gepr채gten Kultur war die Brandrodung. Generationen sp채ter leben sie noch immer dort. Aufgrund ihrer Naturverbundenheit werden manchen Waldfinnen, inzwischen eine staatlich anerkannte Minderheit in Norwegen, auch heute noch magische Kr채fte zugesprochen. In Slash & Burn setzt sich der norwegische Fotograf (*1978) mit ihrer Lebensweise und ihren Traditionen auseinander. Zauberhaft und LOBA-w체rdig.
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Pat r i c k W i l l o c q F i n a l i st 2 0 1 7
Die Serie You Cannot Pick a Stone with One Finger des französischen Fotografen (*1969) entstand bei den Dagomba, einer Ethnie im Norden Ghanas. Der größte Teil der Arbeit entfiel dabei nicht auf den eigentlichen Akt des Fotografierens, sondern auf die Recherchen im Vorfeld und, vor allem, auf den Bau der Kulissen. Willocq hat sie gemeinsam mit einheimischen Künstlern und Kunsthandwerkern entwickelt und mit den Materialien errichtet, die vor Ort verfügbar waren. „Mache deine Protagonisten zu Schauspielern!“, lautet sein Motto als Fotograf – die Bühne hat er ihnen bereitet.
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A l ek s ey Ko n d r at ye v F i n a l i st 2 0 1 7
Wie verloren stehen die mannsgroßen Behelfszelte irgendwo im Nichts – auf dem zugefrorenen Fluss Ishim, der sich durch die Region um Kasachstans hypermoderne Hauptstadt Astana schlängelt. Den traditionellen Eisfischern dienen sie als Schutz bei Temperaturen von bis zu minus 40 Grad Celsius. Sie bestehen aus einer dünnen Schicht Plastik, zusammengeklebt aus Einkaufstüten, Reissäcken und Folien. Die Serie Ice Fishers des kirgisischen Fotografen (*1993) schlägt eine Brücke zwischen zutiefst bescheidenem Komfort und den Auswüchsen einer hysterischen Konsumkultur.
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D o m i n i c Na h r F i n a l i st 2 0 1 7
Am 11. März 2011 kam es vor der Küste Japans zum schwersten Erdbeben in der Geschichte des Landes. Der folgende Tsunami kostete nicht nur Zehntausende das Leben, sondern führte auch zur Kernschmelze in drei Reaktoren des Atomkraftwerks Fukushima Daiichi. Der Schweizer Fotograf (*1983) war bereits zehn Mal vor Ort – das erste Mal kurz nach der Katastrophe. Doch wie kann man die unsichtbare Bedrohung in Bilder übersetzen? In ruhigen, dichten Bildern zeigt seine Serie Nothing to See Here, wie sich innerhalb und außerhalb der Sperrzone wieder ein fragiler Alltag herstellt.
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E kat e r i n a Se v r o u k F i n a l i st 2 0 1 7
Sevrouk (*1975) nutzt die aus der Malerei der deutschen Romantik bekannte Kulisse der Alpen und des Salzkammerguts für eine aktuelle Aussage über die Gefühlslage und die Lebenssituation junger Afrikaner, die in Österreich auf Asyl hoffen. Der Widerspruch zwischen künstlerischer Bildtradition und politischer Aktualität irritiert und zwingt den Betrachter zur Stellungnahme. Der Titel der Serie Fremd bin ich eingezogen zitiert Franz Schuberts Liederzyklus Winterreise und evoziert die schmerzlich zwischen Sehnsucht und Realität zerrissene Gefühlslage der Porträtierten.
G i de o n M e n de l F i n a l i st 2 0 1 7
Seit 2007 bereist Mendel (*1959) Überschwemmungsgebiete weltweit. Er kommt meist, wenn das Wasser noch hoch steht und eine eigentümliche, surreale Ruhe herrscht. Das Wasser deckt dann alles zu – auch soziale und kulturelle Unterschiede. Im Langzeitprojekt Drowning World porträtiert er die Menschen inmitten der Reste ihres Zuhauses. Indem die Porträts von der Verschiedenheit der Lebensverhältnisse abstrahieren und Menschen zeigen, die in ihrer Verzweiflung vereint sind, verdeutlichen sie, welch universale, alle betreffende Folgen der Klimawandel haben kann.
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Yo a n n C i m i e r F i n a l i st 2 0 1 7
Auf das Projekt Nomad’s Land ist Cimier (*1974) während eines Urlaubs auf der tunesischen Insel Djerba gestoßen. Von seinem Hotelzimmer blickte Cimier geradewegs auf den Strand – Familien mit Karren, Kindern, Tieren und Autos bauten ihre Unterstände auf, einen eigenen Mikrokosmos, der an Beduinentraditionen erinnert. Ausschnitt, Abstand und Licht bilden dabei den roten Faden und geben den Bildern eine Uniformität, ebenso wie der immer gleiche Hintergrund aus Sand, See und Horizont. Auch das Stilmittel Überbelichtung wendet der Fotograf in allen Bildern seiner Serie an.
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E m i l i e n U r ba n o F i n a l i st 2 0 1 7
Seit Sommer 2014 dokumentiert der französische Fotograf die Rolle der Kurden in der Konfliktregion zwischen Syrien, Irak und der Türkei: in Gestalt der PKK und deren Jugendorganisation YPG-H von der türkischen Armee als Terroristen bekämpft, in Gestalt der Peschmerga im Nordirak (unterstützt wiederum von PKK und YPG-H) als wichtiger Akteur im internationalen Kampf gegen den Islamischen Staat gefördert. Urbano begleitete kurdische Milizen zu zahlreichen Konfliktherden, etwa bei der Verteidigung der Jesiden gegen den IS oder bei der Rückeroberung von Mossul.
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ViKtoria Sorochinski F i n a l i st 2 0 1 7
Was als Suche nach Spuren ihrer Kindheitserinnerungen im Heimatdorf ihrer Großeltern begann, erweiterte Sorochinski (*1979) nach und nach zu einem Archiv des sich auflösenden traditionellen Lebensstils in der bäuerlichen Ukraine – eine Hommage an die Vergangenheit, an den asketischen Alltag der Menschen. In der für ihre Arbeiten charakteristischen Mischung aus Dokumentation und Fiktion fand sie in Lands of No-Return zu einer Bildsprache, die auf beinahe märchenhafte Weise an die Gefühle von Nostalgie und Sehnsucht des Betrachters zu appellieren vermag.
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Clara Chichin F i n a l i st 2 0 1 7
Wie Bilder aus einem wilden Traum, der keinen nachvollziehbaren Regeln folgt, mag dem Betrachter die radikal subjektivistische Serie Under the Eyes that Few Minutes Exhaust der französischen Fotografin (*1985) erscheinen. Sie fotografiert in einem kontrastreichen, körnigem Schwarzweiß, in dem sich helle und dunkle Bildpartien wie in einer Auseinandersetzung um die Dominanz im Bild gegenüberstehen. Chichin verfolgt in ihrer Arbeit einen gleichsam literarischen Ansatz – als schriebe sie „ein Gedicht ohne lineares Narrativ, eine imaginäre Reise, mäandernd wie ein Traum“.
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Ve r a T o r o k F i n a l i st 2 0 1 7
Die komplexen Strukturen in den Aufnahmen der Serie Accidentally on Purpose von Vera Torok (*1981) beruhen auf einem ebenso einfachen wie frappierenden Kunstgriff: Die Fotografin setzt Doppelbelichtungen auf Dia-Rollfilm ein. Die aus einem Versehen entstandene Vorgehensweise erhob Torok zum eigentlichen Zweck ihrer Serie, die sie in den Metropolen London, Hongkong und Tokio bis zur Perfektion ausgearbeitet hat. Die spezielle Atmosphäre der GroĂ&#x;stadt findet in den Bildern ihre konsequente Umsetzung, wobei die Farbe das wichtigste Element der Bildsprache bildet.
L e i c a o s k a r B a r n a c k Awa r d n e w c o m e r 2 0 1 7
Se r gey M e l n i t c h e n ko Mit seiner Serie Behind the Scenes lässt uns der ukrainische Fotograf (*1991) den Blick in eine Welt werfen, die sonst verborgen bleibt: den Kosmos hinter der Bühne, abseits des Rampenlichts. Melnitchenko kam vor zwei Jahren als Tänzer nach China, wo er seither lebt, und trat in einem Tanzclub im chinesischen Dongguan auf. Für Behind the Scenes fand er eine Bildsprache, die mit cineastischen Noten ein Licht auf den Alltag seiner Kollegen wirft. Er arbeitet ausschließlich mit dem vorhandenen Licht, das die Tänzerinnen in emotional-dramatischen Schattierungen von ausgelassen bis reflexiv zeigt.
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p h oto – b ü c h e r – Au s s t e l l u n ge n – f e s t i va l s – Awa r d s –
Podbielski Contemporary, Berlin: Ute Mahler, Mauergedenkstätte an der Bernauer Straße Berlin, 1998
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E l l e n vo n U n w e rt h IMMAGI S G a l e r i e , M ü n c h e n
R E NÉ B URRI
Fotos: © Ute Mahler/Ostkreuz; © René Burri/Magnum Photos; © courtesy Ellen von Unwerth; © Ohad Matalon, courtesy of Podbielski Contemporary Berlin; © Bruno Barbey/Magnum Photos; © Danny Lyon/Magnum Photos, courtesy Gavin Brown‘s Enterprise
Bildhalle Zürich
Die Schweiz. Schokolade, Berge, Ricola. Und acht Millionen Einwohner. Ein kleines Land für einen, der allen die Welt zeigen will, zu klein für jemanden wie René Burri. Schon als 26-Jähriger reiste er, gerade mal Absolvent der Fotoklasse der Zürcher Kunstgewerbeschule, nach Argentinien. Danach folgten China, Mexiko, Kuba. „René Burri ist losgezogen, als der Globus noch nicht globalisiert war“, sagt der Autor Dieter Bachmann über ihn. „Immer auf Achse. Ruhe war etwas für die anderen.“ Drei Jahre nach seinem Tod präsentiert die Bildhalle Zürich den Schweizer Magnum-Fotografen mit einer Auswahl seiner signierten Schwarzweiß- und Farbabzüge. René Burri – Kosmopolit vereint Ikonen der Fotografiegeschichte des 20. Jahrhunderts wie die Porträts von Che Guevara (1963) und Picasso (1956) mit Burris Bildreportagen aus allen Winkeln der Erde. Italien, Frankreich, USA. Kaum ein Land, das er nicht besucht, in dem er nicht dokumentiert hätte. „Wahrscheinlich gibt es zwei Arten von Reisenden“, schreibt Bachmann. „Die einen denken sich in der Fremde immer nach Hause … Die anderen müssen immer dort zu Hause sein, wo sie gerade sind – das sind die ewigen Migranten, und mit ihnen die Reporter, und sehr oft die Fotografen … Ich würde mich nicht wundern, wenn es das Wort ‚burri‘ in irgendeinem HopiDialekt geben würde, und es würde ‚unterwegs‘ bedeuten.“ Die Welt von René Burri ist die Welt in ihrer Größe, ihrer Vielfalt und ihrer Grenzenlosigkeit. Und der Schweizer, der mit seiner Kamera zugleich Bürger, Bummler und Bewohner von irgendwie allem war, hat sie auf seinen Bildern zusammengeführt. 16. September 2017 — 28. Januar 2018, Foto: René Burri, Men on a rooftop, São Paulo, Brazil 1960 © René Burri/Magnum Photos
Pünktlich zum Oktoberfest: In der Ausstellung Heimat der aus Süddeutschland stammenden Fotografin sind 30 Werke aus Bayern zu sehen. Vom Kreuz über die Kuh-Alm bis hin zu Frauen in Dirndl oder Lederhose ist die Schau eine fotografische Lustreise – frech, erotisch, nostalgisch und üppig inszeniert. 15. September — 11. November 2017, Foto: Ellen von Unwerth, Tête à Tête Bavaria, 2015
B r u n o B a r bey Fotografie Forum Frankfurt
Passages präsentiert eine Retrospektive des französischen Fotografen mit 100 Bildern seit 1960: von Arbeiten aus Marokko, dem Land der Kindheit Barbeys, über Brasilien bis hin zu Dokumentationen historischer Ereignisse wie der Kulturrevolution in China oder dem Irak-Krieg. 9. September 2017 — 14. Januar 2018 Foto: Bruno Barbey, Moulay Ismael Mausoleum, Meknes, Morocco 1985
T h e Wa l l P o d b i e l s k i C o nt e m p o r a r y, Berlin
Wozu Mauern? Aus politischen, religiösen oder ethnischen Gründen? Diesen Fragen geht die Ausstellung nach und präsentiert die Künstler Kai Wiedenhöfer, Edmund Clark und Ohad Matalon mit Bildern aus Berlin, Afghanistan und Israel. Der Berliner Mauer widmet sich ein besonderer Teil der Ausstellung. 8. September — 11. November 2017 Foto: Ohad Matalon, Zeelim 2013
Da n n y Lyo n C/O Berlin
„Meine größte Stärke ist meine Empathie für Menschen, die anders sind als ich“, sagt Lyon. Und so ist die Schau Message to the future auch eine Hommage an seine Protagonisten: Bürgerrechtler, Biker, Gefängnisinsassen. Der USFotograf beobachtet soziale Randgruppen und dokumentiert damit zugleich Politik und Kultur seines Landes. 16. September — 3. Dezember 2016 Foto: Danny Lyon, Crossing the Ohio River, Louisville 1966
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I m d i a l o g m i t d e m g a st l a nd U S A
Oben: Richard Renaldi, Nathan and Robyn, Provincetown, MA 2012, aus der Serie Touching Strangers; von links: Gregory Halpern, aus der Serie XXYZX, 2016; Zara Katz & Lisa Riordan Seville, Kristal Bush, aus der Serie Women on the Outside; Harris Mizrahi, Waynesboro, aus der Serie Inside Out www.fotodoks.de
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Fotos: © Richard Renaldi, © Harris Mizrahi, Zora J. Murff für @EverydayIncarceration, © Gregory Halpern
f o to d o k s 2 0 1 7
Ein Blick auf das Spannungsverhältnis zwischen Individuellem und Kollektivem: Vom 11. bis zum 15. Oktober 2017 findet in der Lothringer13 Halle, einer städtischen Kunsthalle in München, das Festival für aktuelle Dokumentarfotografie, Fotodoks, statt. Im Austausch mit dem Gastland USA sollen zum Thema ME:WE dokumentarfotografische Positionen zeigen, wie soziale Gemeinschaften durch äußere Einflüsse wie Politik oder Konflikte geformt werden und Möglichkeiten einer hoffnungsvollen Verbindung schaffen. Was verbindet die Menschen? Und welche Motive stehen dahinter? Auch die Handlungsweise der Fotografen wird thematisiert und die Frage aufgeworfen, welche Rolle ihnen im sozialen Miteinander zukommen kann. Fotografen wie Thomas Dworzak aus Deutschland, Richard Renaldi aus den USA oder Stefanie Moshammer aus Österreich werden sich mit diesen Fragen auseinandersetzen – ihre Bilder sind in der großen Gruppenausstellung zu sehen. Seit 2008 hat sich Fotodoks als größtes Festival für Dokumentarfotografie im deutschsprachigen Raum etabliert und findet seither alle zwei Jahre statt. Bei der Veranstaltung in diesem Jahr gibt es einige Veränderungen: Erstmals speist sich der Pool der 150 diskutierten Projekte – und damit auch die 19 Fotografen der Juryauswahl – aus den Vorschlägen so bekannter Nominatoren wie der Galeristin Regina Anzenberger oder der Fotografen Christoph Bangert und Natan Dvir. Und wer nach Ausstellungen und Workshops eine Pause benötigen sollte, den lädt das Café mit Fotobüchern zum Schmökern ein.
S MAGAZIN AUSGABE 9 20
Le i c a G a l e r i e n d e u ts c h l a nd
i ta l i e n
We t z l a r
Mailand
Huber, Umbach, von Schweinitz
Bei Drucklegung nicht bekannt
Am Leitz-Park 5, 35578 Wetzlar 5. September — 10. November 2017
Via Mengoni, 4, 20121 Mailand
Frankfurt
Collectable Iconics
Portugal
Porto
Großer Hirschgraben 15, 60311 Frankfurt am Main 1. September — Mitte November 2017
Bei Drucklegung nicht bekannt
NRW
Türkei
Lars Beusker: Was bleibt? – Monochrom.
i s ta n b u l
Mies-van-der-Rohe-Weg 1, 59302 Oelde-Stromberg 16. September 2017 — 13. Januar 2018
228
FOTOGRAFEN SEITEN · 9,90
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L O
Rua d. Sá da Bandeira, 48/52, 4000-427 Porto
O
Ahmet Polat: The Myth of Men Bomontiada – Merkez, A, Birahane Sk. No:1, 34381 Şişli/İstanbul 8. September — 2. Dezember 2017
K
N ü r n be r g
Andreas Riedel: Dunnerholler – so ein fränkischer Fotograf Obere Wörthstr. 8, 90403 Nürnberg 30. September — 23. November 2017
Zingst
USA
L o s A n ge l e s
Doug Menuez: Fearless Genius – The Next Generation
Heidi und Robert Mertens: Das andere Sehen
8783 Beverly Boulevard, West Hollywood, CA 90048 1. September — 2. Oktober 2017
Am Bahnhof 1, 18374 Zingst 21. September — 13. Dezember 2017
Boston
ö st e r r e i c h
74 Arlington Street, Boston, MA 02116 31. August — 29. Oktober 2017
Sa l z b u r g
Wuales #002: Nude Silhouettes Gaisbergstr. 12, 5020 Salzburg 11. August — 14. Oktober 2017
S ã o Pa u l o
S c h l o s s A r e n be r g
Rua Maranhão, 600 Higienópolis, 01240–000 São Paulo
Bei Drucklegung nicht bekannt
Arenbergstr. 10, 5020 Salzburg 6. August — 3. November 2017
Ja pa n
wien
Tokio
Bei Drucklegung nicht bekannt Walfischgasse 1, 1010 Wien
Marc Riboud: The World of Marc Riboud
ts c h e c h i e n
6-4-1 Ginza, Chuo-ku, Tokio 22. September 2017 — 14. Januar 2018
P r ag
Ellen von Unwerth: Wild Wild West
O
Alain Laboile: Quotidian
brasilien
Eva Andessner: … look at me!
B
Kyoto
O K · 2
Marc Riboud: Japanese Women as seen by Marc Riboud
Školská 28, 110 00 Prag 1 14. September — 19. November 2017
570–120 Gionmachi Minamigawa, Higashiyama-ku, Kyoto 23. September 2017 — 18. Januar 2018
polen
Singapur
wa r s c h a u
S i n ga p u r
Bogdan Dziworski: f/5.6
Bei Drucklegung nicht bekannt
Mysia 3, 00–496 Warschau 8. September — 22. Oktober 2017
The Fullerton Hotel, 1 Fullerton Square, #01-07
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STATE-OF-THE-ARTFOTOGRAFIE VON
Enrique Badulescu Joachim Baldauf Brix & Maas Bil Brown Arved Colvin-Smith Anna Daki Rui Faria Christian Geisselmann Esther Haase Marie Hochhaus Benjamin Kaufmann James Meakin Monica Menez Hector Perez Elizaveta Porodina René & Radka Christian Rinke Tristan Rösler Takahito Sasaki SPECIAL
GUEST
Ellen von Unwerth
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LFI-ONLINE.DE/SHOP
Stephen Shore
Der großformatige Prachtband eröffnet einen neuen Weg in das Werk des US-amerikanischen Fotografen. Seit den 60er-Jahren gehört Steven Shore (*1947) zu den wichtigsten Vertretern der New Color Photography und hat nicht zuletzt mit seiner Serie Uncommon Places für Furore gesorgt. Jetzt hatte eine Gruppe von 15 Künstlern, Kritikern und Kuratoren die Möglichkeit, eine persönliche Auswahl zu treffen. Der Einladung sind u. a. David Campany, Paul Graham, Ed Ruscha, Taryn Simon und Thomas Struth gefolgt. Insgesamt standen über 400 108 |
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neu gescannte oder wiederentdeckte Diapositive von den 70er- bis zu den frühen 80er-Jahren zur Verfügung, die bisher nie oder kaum gezeigt wurden. So unterschiedlich die Persönlichkeiten der Kuratoren, so unterschiedlich fällt auch das Potpourri überraschender Statements und individueller Kommentare. Meist sind es Serien, die sich aus Stadt- und Straßenansichten mit den typischen amerikanischen Autos sowie Haus- und Ladenfronten zusammensetzen; spannender wird es, wenn der Fokus auf Porträts liegt (An-My Lê) oder auf eigenwilligen
Stillleben aus Hotelzimmern (Hans Ulrich Obrist). Manchem Kurator genügte gar ein einziges Bild (Francine Prose), um die überzeugende Qualität des Fotografen zu belegen. Shore selbst hat sich in die Serienabfolge eingeschaltet und setzt in seiner Auswahl auf die von ihm meist vernachlässigten Hochformate. Entstanden ist eine ungewöhnliche Hommage an Shore – und wohl auch ein Sammlerwerk mit hohem Suchtfaktor. 272 Seiten, 150 Vierfarbabbildungen, 31 × 38,5 cm, englisch, Aperture
Foto: © Stephen Shore, courtesy of 303 Gallery, New York
Selec ted Works, 1973–1981
M asa h i sa F u ka s e R av e ns
Sa n n e de W i l de
Fotos: © Sanne de Wilde; © Masahisa Fukase, courtesy of Masahisa Fukase Archives and Mack Books; © William Daniels; © Robin Hammond
T h e Is l a nd o f t h e C o l o r b l i nd
Eine eigenwillige Seherfahrung bietet die künstlerische Umsetzung einer Reise der belgischen Fotografin (*1987) auf die Inseln Pingelap und Pohnpei, winzig kleine Korallenatolle im Pazifischen Ozean. Bei der im Titel genannten „Insel der Farbblinden“ handelt es sich um Pingelap, wo es einen ungewöhnlich hohen Anteil von Menschen gibt, die keine Farben unterscheiden können. Die sogenannte Achromatopsie tritt weltweit nur sehr selten auf, doch bei der kleinen Population Pingelaps sind es vier bis zehn Prozent, die lediglich Hell-Dunkel-Kontraste unterscheiden können. Dieser Umstand ist vermutlich auf den katastrophalen Tsunami zurückzuführen, der im späten 18. Jahrhundert fast die gesamte Inselbevölkerung auslöschte; allerdings überlebte der König der Insel und seine seltene Erbkrankheit hat sich bis heute auf die zahlreichen Nachkommen übertragen. „Sie sehen überhaupt keine Farben. Deshalb erscheint ihnen alles in Grautönen – alles zwischen Schwarz und Weiß. Ich habe keine Farben verändert, das übernahm eine Infrarot-Kamera. Und die anderen Bilder habe ich mit Photoshop in Schwarzweiß umgewandelt“, erklärt die Fotografin ihre Vorgehensweise. Dass Farbe für diejenigen, die monochrom sehen, eben nur ein Wort ist, hat de Wilde in ihrem konzeptuellen Projekt eindrücklich belegt, in dem sie vermeintlich das Inselleben mit den Augen der Bewohner dokumentierte. Der Betrachter wird so in eine ganz eigene Traumwelt der farbigen Möglichkeiten geführt. 160 Seiten, 85 Abbildungen, 22,5 × 28 cm, englisch, Kehrer
Beeindruckend, voller düsterer Melancholie, mehr als nur Raben: die tiefe Verzweiflung des Autors (1934–2012) dokumentiert sich in kargen Landschaften, unscharfen Straßenszenen oder rätselhaften Stillleben. Mit diesem Reprint des 1986 veröffentlichten Bildbandes ist eines der wichtigsten Werke des japanischen Künstlers wieder verfügbar. 148 S., 80 Tritone-Abb., 26,3 cm × 26,3 cm, japan./engl., Mack Books
W i l l i am Da n i e l s rca
Die Zentralafrikanischen Republik (RCA) ist der ärmste Staat der Welt, geprägt von Staatsstreichen, Gewalt und Bürgerkrieg. Zwischen 2013 und 2016 reiste der französische Fotograf (*1977) zehn Mal durch das krisengeschüttelte Land. Seine Bilder sind intensiv, direkt, schonungslos – aber umso notwendiger. 104 S., 56 Abb., 19,3 × 25 cm, französisch/englisch, Éditions Clémentine de la Féronnière
R o b i n Hamm o n d m y lag o s
Wie lässt sich das wilde Chaos von Lagos zwischen zwei Buchdeckeln zügeln? Der neuseeländische Fotograf (*1977) hat es versucht: „Lagos ist ein Ort voller Möglichkeiten“, so Hammond, der früh seine Leidenschaft für Afrika entdeckte und immer wieder über den Kontinent berichtet hat: „Es gibt eine riesige Vielfalt in diesem Chaos einer Stadt und ich sehe sie als einen Ort, der Afrika in seiner Komplexität zeigt.“ Reichtum steht neben bitterster Armut, Tradition und Religion neben boomender Mode- und Filmindustrie. Vollformatige Stadtimpressionen werden von Klappseiten mit Polaroid-Porträts unterbrochen. In Bild und Text sprechen einzelne Vertreter der 18-Millionen-Megacity über ihre Wünsche, Hoffnungen und Erfahrungen. Zudem ist jedes der 600 Exemplare mit einem individuellen Umschlag aus einem OriginalFilmplakat ausgestattet. 68 S., 64 Farbabb., 37 × 24,6 cm, englisch, Éditions Bessard
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„W i r h e l f e n K ü n s t l e r n , s i c h t ba r z u w e r de n.“ i nt e r v i e w
Fotos: © Günter Rössler, © Sibylle Bergemann, © Peter Bialobrzeski
Markus Hartmann fördert und vermittelt Künstler, vornehmlich Fotografen, mit Ausstellungen, Büchern und vor allem viel individuellem Engagement, um ihnen eine größere Öffentlichkeit zu ermöglichen.
LFI: Mit Norman Behrendts Buch und der Ausstellung Brave New Turkey waren Sie gerade bei den Rencontres d’Arles beim Prix Decouvertes vertreten – wie war Arles dieses Jahr für Sie? Markus Hartmann: Ich würde eher sagen, dass wir primär eine Ausstellung von Norman Behrendt gezeigt haben. Das Postkartenbuch, als türkischer Pass getarnt, war nicht geplant, sondern hat sich aus der Zusammenarbeit bei der Ausstellung ergeben. Behrendt ist ein gutes Beispiel, wie manchmal sehr viel richtig läuft, wenn die Arbeit, die Ideen und das Netzwerk stimmen. So konnten wir Norman seine erste größere Veröffentlichung im
New York Times Magazine vermitteln (14. Juni 2017, www.nytimes.com). Dann kam die Zusage für die Shortlist des Prix Decouvertes. Aktuell arbeitet Behrendt noch weiter an diesem Projekt. Ich fand das Festival in Arles in diesem Jahr besonders gelungen. Normalerweise sehe ich dort nur ein paar gute Ausstellungen, in diesem Jahr aber gab es nicht nur viele gute, sondern sogar sehr gute. Datar, Masahisa Fukase, Iran Année 38, Mathieu Asselins Monsanto, Paz Errázuriz und viele andere sind jede für sich vollwertige, herausragende Ausstellungen, die auf einem Festival mit 40 Präsentationen Gefahr laufen, unter ihrem eigentlichen Wert wahrgenommen zu werden. Arles wird, jetzt im dritten Jahr unter der Leitung von Sam Stourdzé, immer besser, finde ich. LFI: Mit Hartmann Projects vertreten Sie seit 2014 Künstler, kuratieren und vermitteln Ausstellungen. Und seit einem Jahr gibt es nun auch Hartmann Books – Gratulation! Hartmann: Herzlichen Dank, es hat bisher viel Spaß gemacht und wir sind selbst gespannt, wie sich alles entwickelt. Wir sehen Bücher →
2016 erschien bei Hartmann Books Sibylle 1956–1995, ein Band über die Mode- und Kulturzeitschrift aus der DDR: Günter Rössler (Sibylle 2/1964, linke Seite); Sibylle Bergemann (Sibylle 5/1980, oben). Aus Peter Bialobrzeskis aktuellem Buch Die zweite Heimat (links)
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„W i r wo l l e n s p ü r e n , was u n s e r e b i l de r h u n g r i ge We lt s u c h t. “
Gefragt, was für ihn ein gutes Bild ausmache, antwortete Arnold Odermatt lakonisch: „Ein gutes Bild muss scharf sein!“ Das Zitat machte der Verlag zum Untertitel des 2017 erschienenen Bandes über sein Leben. Stansstad 1964 und 1963 (oben), Buochs 1965 (rechts)
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immer mehr als erweitertes Marketinginstrument für ein künstlerisches Projekt denn als kommerzielle Basis. Wenn man einer Kuratorin, einem Museumsdirektor, einer Galeristin oder einem Sammler zur Vorstellung eines Künstlers ein Buch in die Hand drückt, ist das immer überzeugender als ein PDF und es wird nicht so leicht vergessen. Wir versuchen verschiedene Ebenen der Kunst- und Verlagswelt zu verbinden. Kuratieren, vermitteln Ausstellungen, entdecken Künstler, vermitteln Künstler an Galerien oder zeigen Ausstellungen, vermitteln Werkgruppen an Sammlungen. Bücher sind ein bedeutsamer Baustein in diesem Modell. Und sie helfen, Presse und mediale Aufmerksamkeit zu erzeugen. „Wir“ bedeutet, dass Hartmann Projects ein gemeinsames Projekt der drei Beteiligten – meiner Frau Angelika Hartmann, Nadine Engler und mir – ist, in das jeder von uns seine Talente und Kontakte einbringt. Wir wollen die Nase im Wind haben, um zu spüren, was unsere bilderhungrige Welt sucht, braucht … und wir sind auf Rückenwind angewiesen. Einfach ist das nicht, was wir machen! LFI: Sie sind seit Langem in der Fotobuch-Branche tätig – es gibt viel Gejammer, aber auch immer wieder neue, tolle Ideen und Erfolge. Hartmann: Der Buchmarkt hat sich dramatisch verändert! Kurz gesagt, er wurde durch die Digitalisierung der Angebots- und Verkaufsprozesse völlig auf den Kopf gestellt. Und er wird sich weiter stark verändern, der Prozess ist voll im Gang und es ist heute noch nicht absehbar, ob das jemals wieder aufhören wird. Die Buchbranche hatte nach dem Zweiten Weltkrieg bis weit hinein in die Nullerjahre eine positive oder zumindest stabile Entwicklung, dann schlug das Internet kombiniert mit der Bankenkrise voll durch. Ich kann nur feststellen, dass a) aktuell immer mehr Bücher gemacht werden, leider auch viele schlechte, und dass b) von dieser Titelflut immer weniger Exemplare auch wirklich über den Handel verkauft werden. Wie in manchen Teilen des Kulturbetriebs
übersteigt das Angebot die Nachfrage massiv. Wir sehen auch, dass die Bücher immer aufwendiger, schöner, komplexer, konzeptueller werden. Wir befinden uns buchgestalterisch und produktionstechnisch in einer Blütezeit – ob es die letzte besonders prächtige Blüte ist oder eine andauernde, werden wir sehen. Ich finde immer mehr, dass wir in sehr aufregenden Zeiten leben, und das müssen wir würdigen und aktiv nutzen. LFI: Was ist Ihre Strategie?
Presse, Presse, Presse, Medien, Medien, Medien und Veranstaltungen! Das schönste Buch, die beste Ausstellung ist nichts ohne eine kluge Kommunikationsstrategie. Der Wettbewerb ist so gewaltig, dass man heute einfach alle Kontaktmöglichkeiten parallel planen und betreuen muss, um wahrgenommen zu werden. Wir wollen uns auf wenige Künstler und Projekte konzentrieren, um klein und persönlich bleiben zu können.
Hartmann:
Norman Behrendt, aus Brave New Turkey, präsentiert beim Prix Decouvertes 2017 während des Fotofestivals Rencontres d’Arles. Parallel ist das kleine Postkartenb ooklet Greetings from Turkey erschienen
Früher reichte es, ein gutes Buch zu machen. Das hat sich dann über Vertrieb, Vertreter, Prospekte und ein bisschen Pressearbeit herumgesprochen und begann sich langsam aber nachhaltig zu verkaufen. Das konnte jahrelang und über mehrere Auflagen weitergehen. Aber: Die Welt ist in den letzten 20 Jahren größer und komplexer geworden und die alten Rezepte funktionieren nicht mehr. Diese Erkenntnis bedeutet auch, dass Künstler und ihre Projekte heute mehr denn je Vermittler brauchen, es sei denn, der Künstler ist selbst ein Marketinggenie wie etwa Burtinsky oder Salgado. Diese Vermittler können Galerien, Verlage, Kuratoren sein und genau das versuchen wir zu vereinen. LFI: Was muss ein Fotograf mitbringen, um ein Buch mit Ihnen zu realisieren? Hartmann: Er muss eine Arbeit mitbringen, die uns wirklich begeistert, inhaltlich, formal, konzeptuell, und es muss auch auf der menschlichen Ebene passen. Ein Grund für den Umstieg vom großen, aber trägen Kreuzfahrtschiff ins kleine, aber wendige Segelboot war ja, dass wir uns den Luxus einer Projektauswahl nach diesen Kriterien leisten wollten. Das Geld spielt natürlich auch immer eine Rolle,
wobei unser Overhead jetzt deutlich kleiner ist und wir auch kreativer planen können als in größeren Apparaten. Ich rate jungen Künstlern immer, ihre Arbeiten so häufig und so weitreichend wie möglich zu präsentieren – nur wenn jemand eine Arbeit sehen kann, kann er auch darauf reagieren. LFI: Wenn Sie eine Prognose für die kommenden Jahre abgeben müssten, was den Fotobuchmarkt betrifft … Hartmann: Die dramatische Titelflut wird irgendwann nachlassen, einfach weil am Ende die Ökonomie über die Sehnsucht, gedruckt zu werden, siegen wird. Es wird immer mehr und aufwendiger im Digitaldruck in Kleinauflagen produziert werden. Der Offsetdruck wird überleben, aber mehr als Kunstform denn als Industrie. Bücher werden ebenso überleben, aber auch mehr als erweiterte Kunstform denn als Informationsmedium. Information ist das Internet, wahre Leidenschaft und Begeisterung ist das Buch – oder für den, der es sich leisten kann, das Original. Die analoge Welt – auch in der Fotografie – verschwindet nicht, aber sie bleibt als eine wunderschöne Nische. Nachdem sie für viele den größeren Teil ihres Lebens Heimat gewesen ist, müssen wir uns an das Virtuelle immer noch gewöhnen. Für die Jüngeren ist das kaum spürbar, aber für die, die in der analogen Welt groß geworden sind und sich dort sehr heimisch fühlen, wird es immer wieder herausfordernde Ablösungs- oder Verlustprozesse geben. Interview: Inas Fayed
Fotos: © Urs Odermatt, Windisch; © Norman Behrendt
Markus Ha rtma n n wurde 1962 in eine
Berliner Verleger- und Druckerfamilie geboren. Von 1990 bis 2013 im Hatje Cantz Verlag; seit 2014 freier Kurator und Autor; seit 2015 mit Hartmann Projects unternehmerisch tätig. www.hartmannprojects.com Aus stellu n ge n : Peter Bialobrzeski, Die
zweite Heimat, bis 7. Jan. 2018, Deichtorhallen Hamburg; Sibylle, bis 26. Nov. 2017, Opelvillen Rüsselsheim, danach Dieselkraftwerk Cottbus, Schloss Pillnitz, Haus der Geschichte Leipzig
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Leica Fotografie Int e r n at i o n a l
p ee r ku g l e r mein Bild
Eine beschlagene Fensterscheibe, eine Rose, ein Mann: Nach einer langen Zeit voller Trauer fand Kugler mit dieser Aufnahme seinen Zugang zur Fotografie wieder.
69. Jahrgang | Ausgabe 7. 2017
LFI PHOTOGR A PHIE GMBH Springeltwiete 4, 20095 Hamburg Telefon: 0 40/2 26 21 12 80 Telefax: 0 40/2 26 21 12 70 ISSN: 0937-3969 www.lfi-online.de, mail@lfi-online.de Chefredaktion Inas Fayed, Frank P. Lohstöter (V.i.S.d.P.) A rt Direction Brigitte Schaller REDA KTION Carla S. Erdmann, Michael J. Hußmann, Katrin Iwanczuk, Bernd Luxa, Edyta Pokrywka, David Rojkowski, Holger Sparr, Olaf Staaben, Olaf Stefanus, Katrin Ullmann Fotoredaktion Reportage Carol Körting layout Thorsten Kirchhoff MITA RBEITER DIESER AUSGA BE Henry Carroll, Francesca Gennari, Katja Hübner, Dean Kissick, Ulrich Rüter, Jan Christoph Wiechmann Geschäftsführung Frank P. Lohstöter, Anja Ulm A nzeigenleitung & M arketing Kirstin Ahrndt-Buchholz, Samira Holtorf Telefon: 0 40/2 26 21 12 72 Telefax: 0 40/2 26 21 12 70 E-Mail: buchholz@lfi-online.de holtorf@lfi-online.de Es gilt die Anzeigenpreisliste Nr. 45 vom 1.1.2017 REPRODUKTION: Alphabeta, Hamburg DRUCK: Optimal Media GmbH, Röbel/Müritz PA PIER: Igepa Profimatt
Vernissage in Kreuzberg, Berlin, Mai 2007
Nach dem plötzlichen Tod meines Vaters im Frühjahr 2006 fiel es mir schwer, zu fotografieren. Selbst wenn ich mal ein Foto machte, war ich mit dem Ergebnis unzufrieden. Ein Dreivierteljahr später verliebte ich mich und ging nach Paris. Die Liebe hielt nicht lange. Gebrochenen Herzens kehrte ich nach Berlin zurück. Eines Abends überredete mich eine Freundin, mit ihr eine Ausstellung zu besuchen. Aus irgendeinem Grund hatte ich meine Leica mitgenommen. Wir saßen draußen, als es anfing zu regnen. Ich drehte mich um, sah das beschlagene Fenster, die Rose, den Mann und machte ein Foto. Das erste Foto nach dem Tod meines Vaters, das wieder mein Foto war. Peer Kugler, Jahrgang 1966, studierte am Art Institute of Fort Lauderdale und am ICP New York. Zahlreiche Ausstellungen und Buchveröffentlichungen. Publikationen u. a. in Le Monde, New York Times, Stern, Greenpeace Magazin. Kugler lebt in Berlin.
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