KIRILL GOLOVCHENKO LENA REICH
AUSCHWITZ PARKING EINE REISE ZU ORTEN MIT HOLOCAUST-GEDENKSTÄTTEN IN POLEN UND DEUTSCHLAND
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AUSCHWITZ PARKING
Malarek Wlodzimer möchte nicht, dass das Bild auf dem
Rainer ein gestörter, unglaubwürdiger Mann sei, der Kon
Tisch abfotografiert wird. Es zeigt den grauhaarigen Mann
takt mit Überlebenden sucht, um sich aber gleich von ihnen
mit den warmen dunklen Augen, wie er seinen Arm kum
abzuwenden.
pelhaft über die Schulter eines etwa gleichaltrigen Mannes
Im Postkartenständer vor dem Souvenir-Shop stecken
mit kurz rasierten Haaren legt. Er trägt Jeans und Wollpul
Ansichtskarten. Hochöfen. Eine Batterie Zyklon-B-Dosen,
li, Brille und Ohrringe. Die Männer grinsen. Über ihnen der
aufgenommen wie die dynamische Werbung für das Sup
Schriftzug des gusseisernen Tores „Arbeit macht frei“.
pen-Regal. Magnetbuttons mit dem Torriegel. Eine Gra
Heute hat Malarek sein Gesicht tief in der Tschapka
phic-Novel-Reihe erzählt von einer Liebesgeschichte im
versteckt. Das Thermometer misst sieben Grad unter Null.
Todescamp. Daneben sind Perlonstrumpfhosen ausgeprie
Es sind nur wenige Menschen auf den Straßen der kleinen
sen. Regencapes. Einen knappen Kilometer weiter nördlich
Stadt Oświęcim unterwegs. Die militärische Kopfbede
entlang der Stanisławy Leszczyńskiej, die vom Stammla
ckung hat dieser Tage Konjunktur. Der Boxer Vitali Klitsch
ger nach Brzezinka führt, lockt eine grüne Superhelden
ko, der sich auf dem Maidan in Kiew für die Westler stark
figur zum Bummeln in die Lagerhalle ein. SECOND HAND.
macht, trägt eine. Unser Fotograf ist ebenfalls mit einer
L EVNE ODEVI. GEBRAUCHTE BEKLEIDUNG.
angereist und in dem Shop auf dem Parkplatz des Ausch
Nach Spielbergs Hit „Schindlers Liste“ kamen mehr
witz Museums, werden verschiedene Varianten dieses
und mehr Touristen nach Auschwitz. Im vorletzten Jahr,
polnischen Hutes feilgeboten. Mit dem Ablegen seiner
als Polen Austragungsort der Fußball-Europameister
schwarz-grauen Tschapka im „Art Burger“ beginnt Mala
schaften war, besuchten rund 1,4 Millionen Menschen das
rek seine Geschichte zu erzählen. Der Sohn einer Überle
ehemalige Vernichtungslager. Malarek gehört zu jenen, die
benden als travel specialist. Sie wird von dem Inhalt einer
auf bescheidene Art von diesem dark tourism profitieren
grün-weißen Plastiktüte, die er stets mit sich führt, belegt:
oder zumindest über die Runden kommen: gemeinsam mit
eine Dokumentenmappe, ein Fotoalbum, ein Buch mit Au
seinem Sohn hat er ein Taxiunternehmen und führt seine
togrammen. Henryk Mandelbaum. Schlomo Venezia. Mu
Fahrgäste um das Lagergelände herum. Zur Judenrampe
siker. Künstler. Polanski. Der Mann auf dem Foto heißt
und den Ruinen der Versorgungsspeicher der SS. Am mor
Rainer Höß. Der Urenkel des KZ-Lagerkommendanten Ru
gigen Tag, dem 69. Gedenktag zur Befreiung durch die Rote
dolf Höß hat soeben Papiere aus dem „Familiennachlass“
Armee, wird er die israelische Delegation chauffieren. Er
den Leiter der Gedenkstätte übergeben, wirkt gelöst auf
wiederholt den Satz zwei, dreimal. Wohl auch, weil nur die
dem Ausdruck. Später in Deutschland lese ich, dass dieser
wenigsten Deutschen das Gefühl verstehen können, wie es
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ist, Angehöriger einer survivor zu sein. Seine polnische
Davon zeugt heute noch die 1913 errichtete Synagoge. Ein
Mutter, als Kind von dem schwedischen Offizier Volker
kleines Museum erzählt von dem Viertel rund um die
Bernadotte aus Bergen-Belsen gerettet, ist Ende der 40er
Berek-Joselewicz-Straße – kaum ein Stein steht mehr. Die
nach Oświęcim zurückgekehrt. Täglich trifft der 60-jähri
meisten Häuser wurden in den 1990er Jahren abgerissen.
ge auf Besucher, die beim Gedanken, nur wenige hundert
Gleich hinter der Piastowski-Brücke, die Westen und Osten
Meter neben den Ruinen der Gaskammern zu leben, die
miteinander verbindet, lässt eine Brachfläche die Größe der
Hände über dem Kopf zusammen schlagen: hier stehen
„Dampffabrik feiner Liqueure – Jakub Haberfeld“ von 1804
Neubauvillen mit Trampolinen in den Vorgärten und Aus
erahnen. Schnaps und Likör machten dessen Enkel im
sicht auf das schier unendlich große Feld. Auf die wieder
20. Jahrhundert europaweit bekannt. Als der Krieg aus
holte Frage, ob er denn die Anwohner in ihrer Bautollheit
brach, befand er sich mit seiner Frau auf der Weltausstel
verstehen könne, reagiert er gar nicht erst.
lung in New York. Sie kehrten nie wieder nach Polen zurück.
Vor wenigen Jahren hat die Stadtverwaltung ihren
Trotz Bemühungen der mittlerweile verstorbenen Ehefrau
Kurs gerändert und das Land westlich der Soła, die die
Felicia Haberfeld, aus dem Fabrikgebäude, in dem bis 1994
achthundert Jahre alte Stadt Oświęcim in zwei Teile trennt,
noch Bier und Limo abgefüllt wurde, einen Ort für ein jü
zum Verkauf freigegeben. Zu pietätlos schien es bis da
disches Zentrum entstehen zu lassen, wurde zur Jahrtau
hin auch ausländischen Investoren, in der Nähe des Mas
sendwende der Verkauf entschieden. Der Abriss folgte.
senfriedhofes zu bauen. Es gab allein Funktionsgebäude,
Mittlerweile zeichnen das neogotische Rathaus, diverse
wie die 197X unter kommunistischer Regierung entstan
Banken und Wechselstuben, Kebab-Läden und wenige Bars
dene Wartehalle des Bahnhofes, deren mystische Atmo
das heutige Stadtzentrum. Auch die Kaufhalle musste wei
sphäre noch heute durch viel Elektrizität an den Mosaik
chen: der Hauptmarktplatz, bereits auf alten Fotografien
wänden aufgebracht wird. Unweit der Gleise steht seit
als das Weichbild der Stadt zu finden, wird wieder in den
wenigen Monaten eine Mall. Auf die sind viele der 43000
damaligen Zustand mit Brunnen und Bänken hergerichtet.
Bewohner Oświęcim besonders stolz. KFC. H&M. Wer auf
Vor allem sollte es um die Wieder-Errichtung eines öffent
dem östlichen Flussufer lebt, der weiß, wie selten Touris
lichen Platzes gehen. Bei den Baurarbeiten ist man im Erd
ten sich dahin verlaufen. Umso tapferer kämpft die Stadt
reich auf eine Bunkeranlage gestoßen: sie soll zu einem
für ein positives Image. In der Soła könne man wieder
touristischen Highlight ausgebaut werden.
schwimmen, heißt es auf der Homepage des Hotel Kami
Östlich dieses alten Stadtkerns verdecken auf einem
niec. An den Häuserwänden werben Auftragsgraffiti für
weiten Hügel Hochhäuser den Horizont. Acht, Zehn. Sie
das Life Festival. Eric Clapton wird da sein. Soundgarden.
sind orange oder grün angestrichen, gedämmt. Zwischen
Eine wunderschöne Brünette pustet die Früchte einer
ihnen stehen kleine Kioske, in denen Zigaretten verkauft
P usteblume in die Ferne – die Flugschirme werden zu
werden. Gegenüber des Kulturzentrums mit dem Schrift
Tauben. Hier und Da springt aus den urban spaces das Kon
zug „Unser Kino“, das 1958 als Kulturhaus des Chemie
terfei Oświęcim: der Fluss und die Brücke mit einem Ra
betriebes gebaut wurde, schlängelt sich ein Betonkomplex
punzelturm aus dem 13. Jahrhundert. Ein Blick aus den
die große Straße entlang. Kindergarten, Radio Maria. Weit
tatsächlich 20 Metern Höhe offenbart die majestätische
ragt die Heilige-Märtyrer-Maximilian-Kolbe-Kirche in die
Weite Małopolskas.
Höhe. Kind, Mann, Weib – Sonntag Morgen sind sie alle da.
Heilschlamm und Mineralquellen machen die Umge
Auch im zwei Mal zwei Meter großen Vorraum stehen sie
bung zu beliebten Kurorten: in nördlicher Richtung treffen
dicht an dich. Zwei ältere Damen, zwei jüngere treten
Soła, Kleine Weichsel und Przemska aufeinander – für die
durch die schwere Eingangstür hinzu. Über eine Stunde
IG Farben war das einst das entscheidende Kriterium, die
stehen sie still. Während die Gemeinde die Hostie zu sich
Produktionsanlagen für den künstlichen Kautschuk hier
nimmt, singen sie das „Gloria in excelsis Deo“. Die Stim
hin zu verlegen. Ein Graffito, das sich durch die gesamte
men wiederholen die Zeilen, werden höher und fallen dann
Stadt bis zu Chemie Oświęcim zieht, zeigt einem die Zif
tief in die Breite. Sonnenlicht dringt durch die bunten
fern 1944 und einen Soldatenkopf.
Fenster oberhalb der Empore.
Oshpitzin hieß der kleine Ort zwischen Katowtiz und
Gegen den Bau der Kirche hatte die kommunistische
Krakow auf Hebräisch. Bis 1939 waren mehr als die Hälfte
Regierung lange gekämpft – bis 1978 Jani Paul II zum
der damals 14.000 Bewohner jüdischer Abstammung.
Ponitfex gewählt wurde. Bereits als Kardinal von Krakau
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soll er wochenlang vor der Tür der Regierenden gewartet
Dornenkrone aus Stacheldraht eine Menschenmenge eng
und ihnen zugeredet haben. Der neungliedrige Betonbau
aneinandergedrückt zur oberen Bildhälfte empor – und
mit aufgefächertem Dach scheint, als spiegele er die Land
wird in einer Christusfigur mit Rundbrille und Pantoffeln
schaft um sich herum und erinnert gleichermaßen an eine
gebündelt: Maximilian Maria Kolbe. Weil er Flüchtlingen
sich just öffnende Muschel, die vom Meeresgrund hoch an
und Mitgefangenen geholfen hatte, wurde der katholische
die Oberfläche schwebt: Im Scheitel der Türe ruht ein sechs
Pfarrer 1941 in Auschwitz ermordet. Von seinem Marty
Meter hohes Kruzifix, das dem Betrachter schier auf den
rium erzählen auch ein riesiges Tableau und ein Öl-Portrait
Kopf zu fallen droht. Dieses paradoxe Oben und Unten, Hin
im Innern. Hinter dem Altar ruht eine meterhohe Urne mit
und Her, Innen und Außen hat in dem dreitürigen Sockel
Asche aus dem Krematorium.
bereich seinen Ursprung: im Hochrelief erzählen XY Tafeln
Barbara Luchs lächelt aus ihrem Rezeptionsfenster im
die Geschichte des Holocaust. Da werden Frauen mit Tod
Flur des Hotels Kaminiecz. Auf dem Schoß der 67-jährigen
geweihten im Unterleib dargestellt. Menschen, die mit aus
wacht ein Chihuahua. In Oświęcim gebe es ein Sprichwort
gestrecktem Finger auf andere zeigen. Wieder andere wer
„Wenn der letzte Überlebende gestorben ist, gibt es einen
den abgeführt. Die Haupttür zeichnet einen großen Kreis mit Stacheldraht, deren äußersten Rand Männer mit Uni
neuen Krieg, “ sagt sie lächelnd. Während die Köchin auf die Bestellung der drei einzi
formen, Hunden und Gewehren bedrohen. Wachtürme
gen Gäste wartet, repariert ein rumänischer Handwerker
sichern die Grenzen. Während abgemagerte Figuren steife
mit Schieber und Schnauzer das Garagendach, das unter
Körper über den Boden ziehen, schwebt innerhalb dieser
der Schneedecke einzustürzen droht.
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RISSE AUF DEM GÄSTEKLO
Entlang der Panzerstraße durch die Lüneburger Heide
mit seinem tiefen Einstieg und griffigen Reifen eine Inno
verläuft ein Zaun, der seit 1935 immer wieder Narben hin
vation aus der Umgebung für ältere Herrschaften ist. Als
terlässt. Während sich auf der einen Seite Vergnügungs
Städter werde ich schnell geoutet. Mein grüßendes Grum
parks und Heideromantik dicht an dicht siedeln, finden
meln ist ein Hauch von Nichts in dem Land der „Moins“ und
jenseits des Zauns jährlich hunderte Manöver statt. Auf Europas größtem NATO-Übungsplatz lernen Bundes wehrsoldaten im nachgebauten Afghanistan-Dorf Papp
„MoinMoins“. Gemächlich rollen wir an. Die Heide liegt vor uns wie ein gewellter Pfannekuchen. Gebüsch und Gestrüpp bre
männchen mit Baby von Pappkindern mit Uzzi zu unter
chen die weiche Ebene. Hier und da ein Flecken öder Dürre.
scheiden. Zutritt zu der abgeschirmten Zone haben Militär
Dann wieder ein Zaun, dahinter Schafe und Ziegen, Heid
und Mitarbeiter. Nur im Sommer, während der schießfrei
schnucken und ein rauchender Hirte. Schäferhunde.
en Zeit, wird der rot-weiße Schlagbaum mit dem Hinweis
Die geteerte Straße zieht eine Schneise durch die
„Life Firing Exercises“ für die Öffentlichkeit hochgezogen.
Landschaft, an deren Horizont keine Windräder warten.
Noch im Regenschauer bereiten sich am frühen Mor
Auch fehlt das populäre lila Heidekraut. Während ich mich
gen die ersten Teilnehmer des „Volksradwanderns“ vor. Auf
durch eine Traube Radler schlängele, werde ich Zeuge
dem Parkplatz vor der Sammelstelle Rominten in Lohheide
einiger Gesprächsangebote.
werden Räder von den Dächern der Familienautos herun
Die Natur habe sich verändert, heißt es im Radlerpulk,
tergehoben. Kinder auf Fahrradsitzen festgeschnallt; ein
die Blüte komme immer später. Dafür seien Tierarten da
junger Labrador nimmt im Hundeanhänger Platz. Neben
zugekommen, höre ich jemanden etwas weiter vorne aus
einem weißen Besenwagen mit dem Bundeswehrkreuz stu
stolzer Brust verkünden. Wölfe zögen durch die sonst so
diert eine Dame im elektrischen Rollstuhl die ausgeteilten
menschenleere Stille. Flora und Fauna hätten sich auf die
Orientierungskarten: Vier farblich markierte Rundkurse
Manöver eingestellt, so ein dritter. Rehe hielten sich vom
führen über das 284 Quadratmeter große Gelände des
Schießstand fern bis die Soldaten fertig seien. Zutrau
Truppenübungsplatzes Bergen. Es gibt drei Strecken zum
lich seien sie, nicht blöd. Wieder andere schimpfen auf
Radeln, die längste misst 77 Kilometer. Eine zusätzliche
den trüben Himmel, der grau und lustlos die Weite ein
Teilstrecke hat der Bund ausschließlich für Inlineskater
engt. Überhaupt plappert und schnattert es an jeder Ecke.
geräumt. Rot markierte Fähnchen markieren scharfe Mi
Unwahrscheinlich, heute überhaupt ein Tier zu Gesicht
nen. Es herrscht Obacht. Während Tante Gisela eine Route
zu bekommen. Dabei möchte sich die Bundeswehr mit
bestimmt, prüfe ich lässigen Blickes mein „Heide-Rad“, das
dem Volksradfahren bei den Anwohnern angrenzenden
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Gemeinden Lohheide und Osterheide für die Lärmbelästi
tendemonstration aus den 80ern daher, doch das Kriegs
gung erkenntlich zeigen. Die ständigen Kriegsübungen
übungsplatz im Herzen Niedersachsens scheint in dieser
sind für viele eine Zumutung. Panzerketten donnern über
manöverfreien Zeit äußerst friedlich. Nur das scharfe Auge
den Asphalt. Hubschrauber, die an einem Tag dicht über
erkennt den Sicherheitszaun, der wenige hundert Meter
die Grundstücke knattern und am anderen einem Alp
dahinter durch das Urwaldgewächs die britische Garnison
gleich schlaff vom Himmel gleiten. „Die Risse in den
camp Hohne ankündigt. Wer hier rein will, der muss ange
Kacheln auf dem Gästklo“, da ist sich meine Tante Gisela
meldet sein, Pass und Papiere zeigen. Es herrscht höchste
sicher, „die kommen vom Schießen!“ Mit ihren knapp sieb
Sicherheit. In dem 2000-Seelen-Ort wohnen die Soldaten
zig Jahren gehört sie zu den Anwohnern, die einmal im Jahr
mitsamt ihren Familien. In den Vorgärten der Kasernen
der Einladung folgen, und „schauen wollen, was sich so auf
stehen Trampoline. Es gibt eine Schule, Kindergarten,
dem Platz verändert hat.“ Tante Gisela wohnt nur wenige
Shoppingmalls, Restaurants. An „wife-weekends“ stärken
Kilometer in der Stadt Bergen. Hier ist sie geboren, hat
sich die Ehefrauen gegenseitig und überwinden mit mili
geheiratet, Kinder und Enkelkinder bekommen. Als ihr
tärischen Übungen die emotionale Distanz zu den Solda
Mann vor sechs Jahren starb, kaufte sie die Fläche neben
tenmännern. Ein Plakat an der Bushaltestelle vor dem
seinem Urnengrab. Tante Gisela gehört zu der Generation,
Rugby-Feld wirbt für Eheberatung. Heute sind nur noch
die mit dem „Platz“, wie das Kriegsübungsgelände liebko
zehn Prozent der hier stationierten Soldaten Junggesellen.
send genannt wird, aufgewachsen ist: der Schwiegervater
Das war nicht immer so. „Manche Kneipen hatten
versorgte als britischer Internierter Überlebende des Kon
Schilder an ihren Türen, auf denen stand ‚No British‘“,
zentrationslagers Bergen-Belsen, bevor er als Landarzt
jauchzt Colin Albert. Mit verschmitztem Lächeln erinnert
Karriere machte. In den 60er Jahren zapfte die junge
sich der hagere Panzeroffizier an ein Pornokino, in dem
Gisela mit Bob und Hornbrille Bier für die britischen Alli
Boney M. Diskomusik auflegte. Seinen sehnigen Unterarm
ierten und tanzte bis früh in den Morgen im ballroom. Die
ziert ein Tattoo. Renate. Während Alberts Augen funkeln,
Freiheit trieb sie nach Berlin, das Erbe zog sie wieder zu
als wäre der Schriftzug erst gestern gestochen worden,
rück. Nach der Wende ging Gisela dann bei dem britischen
zielt er mit dem Autoschlüssel auf die Armee Arno Bre
Militärs putzen, die trotz Beendigung des Kalten Krieges
ker-Kopien, die auf dem faschistischen Kappellenbau turnt.
in der Heide blieben. Derweil verbrachte der Onkel als Elek
„We fucked them off“, zischt er. Dann schließt er die Keller
triker seine Zeit in den Bunkeranlagen der Bundeswehr. Er starrte auf Poster mit barbusigen Frauen und hörte Bun desliga im Radio und oben ging es heftig zur Sache. Weil der Alkohol ihn den Job kostete und „die Briten“ ihm einen neuen gaben, ist Tante dankbar. „Ich denke gar schon gar nicht mehr daran, dass die da für den Krieg üben. Wenn sie weg sind, dann wird’s schlimm.“ Gemeint ist damit der Abzug der Soldaten aus der Lüneburger Heide. Die Briten wollen ihre Kasernen bis Ende kommenden Jahres räu men. Die Region, die ohnehin unter dem demografischen Wandel leidet, verliert damit nicht nur rund zehntausend Einwohner, sondern auch ihren stärksten Arbeitgeber. Zudem werden hunderte Wohnungen freistehen. Nach einigen sturgeraden Kilometern blinzelt durch das Grün einer Hecke heller weißer Stein: das Gästehaus der britischen Kommandantur. Apfelbäume säumen den Weg. Heidelbeersträucher. Holunderbüsche. Wie auf einem Öl-Gemälde von William Turner liegt hinter einem Schlei er schwüler Lichtstrahlen ein Jahrhunderte altes Schloss im Dickicht, die Auffahrt von Laub bedeckt, das Wärter häuschen unbesetzt. Die Radelei kommt wie eine Pazifis
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türe zum „Hohne Military Museum“ auf. Die monotonen Beats von Kraftwerk schallen mir ent gegen. Mein Blick fällt auf eine riesige Harkenkreuzflagge.
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FOTOS: KIRILL GOLOVCHENKO TEXTE: LENA REICH PRODUKTION: JULIA GAJEWSKI MAINZ UND BERLIN, 2014