Dialog im Parlament - Band 8

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Wir haben in unserer Veranstaltung daher darüber diskutiert und informiert, welche Vorteile und allenfalls befürchtete Nachteile Maßnahmen wie Sammel- und Musterklagen sowie andere angedachte prozessökonomische Änderungen mit sich bringen und welche Erfahrungen es dazu in anderen Ländern bereits gibt. Besteht eine „best practise“ und wenn ja, was zeichnet diese aus?

Dr. Hannes Jarolim ist Rechtsanwalt und Abgeordneter zum österreichischen Nationalrat (Justizsprecher der SPÖ, stellvertretender Vorsitzender des Justizausschusses). Er veranstaltet vor allem zu wirtschaftsrechtspolitischen Themen Diskussions- und Informationsveranstaltungen im Zusammenhang mit laufenden Gesetzesvorhaben.

Band 8

ISBN 978-3-7007-6525-7

www.lexisnexis.at

Jarolim (Hrsg.)

Dialog im Parlament

Beschleunigung von Verfahren als Gebot der Stunde

Nicht zuletzt aufgrund einer Unzahl von Kapitalmarktverfahren zur Geltendmachung tatsächlicher oder vermeintlicher Ansprüche gegen Finanzinstitute und die dadurch bedingte völlige Überlastung einzelner Gerichte, wurde der Ruf nach verfahrensrationalisierenden Schritten immer lauter. Die Österreichische Justiz genießt zwar im internationalen Kontext nach wie vor einen ausgezeichneten Ruf, doch fragen sich zunehmend mehr Expertinnen und Experten aus den verschiedensten justiz- und wirtschaftsnahen Bereichen, warum auf der Hand liegende und in zahlreichen anderen Ländern bereits seit längerem existierende verfahrensbeschleunigende gesetzliche Rahmenbedingungen in Österreich nicht umgesetzt bzw. eingeführt werden. Mehrere Regierungen hatten derartige Maßnahmen schon in ihre Regierungsprogramme aufgenommen und dadurch deren bedeutende Rolle betont. Allein, es gibt sie nach wie vor nicht. Auch seitens der Wirtschaft wird im zunehmenden Maße betont, dass Sammelklagen auch eine adäquate Hilfe gegen unlautere Mitbewerber und daher schon aus standortpolitischen Gründen zu unterstützen sind.

Band 8

Jarolim (Hrsg.)

Beschleunigung von Verfahren als Gebot der Stunde Sammel-, Musterklagen und andere Möglichkeiten

Dialog im Parlament, Band 8


Jarolim (Hrsg.)

Beschleunigung von Verfahren als Gebot der Stunde Sammel-, Musterklagen und andere Mรถglichkeiten Dialog im Parlament, Band 8



Beschleunigung von Verfahren als Gebot der Stunde Sammel-, Musterklagen und andere Mรถglichkeiten

Dialog im Parlament, Band 8

herausgegeben von

Dr. Hannes Jarolim


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ISBN 978-3-7007-6525-7 LexisNexis Verlag ARD Orac GmbH & Co KG, Wien http://www.lexisnexis.at Wien 2016 Best.-Nr. 92.116.001 Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Es wird darauf verwiesen, dass alle Angaben in diesem Werk trotz sorgfältiger Bearbeitung ohne Gewähr erfolgen und eine Haftung des Verlags, der Herausgeber und der Autoren ausgeschlossen ist. Foto Jarolim: privat Druckerei: Prime Rate GmbH, Budapest


Vorwort des Dekans der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien Univ.-Prof. Dr. Dr. h.c. Paul Oberhammer Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Leserinnen und Leser! Hört man als Zivilprozessualist von Veranstaltungen zum Thema „Verfahrensbeschleunigung“, so ist man zunächst skeptisch: Der ordentliche Zivilprozess wird ja schon seit Jahrhunderten von Gesetzgebern mehr oder weniger erfolgreich beschleunigt, wobei nicht selten das sprichwörtliche Rad neu erfunden wird. Anders verhält es sich hier: Das Problem massenhaft auftretender Klagen aus ähnlichen Sachverhalten nicht nur, aber vor allem von Anlegern, ist in der Tat ein Phänomen, welches die Justiz vor neue Anforderungen stellt, die nach neuen Antworten verlangen. Das Thema wurde nicht nur in Österreich, sondern international in den vergangenen Jahren intensiv diskutiert, und so liegt ein breites Portfolio möglicher Antworten auf die einschlägigen Probleme vor. Dies zeigen auch die hervorragenden Referate, die Eingang in den vorliegenden Tagungsband gefunden haben. (Meine eigene Meinung zu den hier interessierenden Fragen kann man in den Veröffentlichungen des 19. Österreichischen Juristentags nachlesen.) Der Befund ist klar: Die Forderung nach der Schaffung von gesetzlichen Instrumenten zur Verbesserung der Verfahren des kollektiven Rechtsschutzes folgt nicht erst aus dem Wunsch nach einer Stärkung der Rechtsstellung von Konsumenten oder Anlegern; vielmehr braucht die Justiz ganz unabhängig von solchen politischen Zielsetzungen solche Instrumente, um diese Verfahren in angemessener Frist auf rechtsstaatlichen Bahnen erledigen zu können! Nun sollte der Gesetzgeber handeln. Dabei sollte freilich in zweierlei Hinsicht das Kind im sprichwörtlichen Bad bleiben: Zum einen ist ein pragmatisches Ansetzen an den bereits von der Praxis entwickelten Lösungen sinnvoller als spektakuläre Neuerfindungen, die dann in der Realität nicht halten, was sie auf dem Papier versprechen. Zum anderen gilt es auch, die Grundsätze des „normalen“ zivilprozessualen Zweiparteienverfahrens – mag es auch noch so komplex sein – vor einem Übergreifen von de lege lata aus der Not geborenen „Abkürzungen“ in Schutz zu nehmen: Die besondere, hier nach gesetzlicher Regelung verlangende Situation ergibt sich ja zum Teil nur aus der Menge der Verfahren, zum Teil aus einer spezifischen Kombination dieser Menge mit der Komplexität der zugrundeliegenden gemeinsamer Sachfragen, niemals jedoch aus der bloßen Komplexität. Die Verbesserung des Zivilprozessrechts mit Blick auf die „complex litigation“ außerhalb der Bedingungen kollektiver Rechtsverfolgung ist eine davon klar zu unterscheidende Regelungsaufgabe. Damit kann die Schaffung neuer Instrumente für die Massenverfahren auch dazu beitragen, bewährte Grundsätze rechtsstaatlicher Verfahrensführung in klarer Abgrenzung von jenen Kompromissen, die bei der Regelung kollektiven


Rechtsschutzes nun einmal notwendig sein werden, zu stärken oder überhaupt wiederherzustellen. Initiatoren und Vortragenden der hier dokumentierten Veranstaltung, namentlich Herrn Abg. z. NR RA Dr. Hannes Jarolim, ist für diesen wesentlichen Impuls auf dem Weg zur gesetzlichen Regelung des kollektiven Rechtsschutzes in Österreich zu danken! Univ.-Prof. Dr. Dr.h.c. Paul Oberhammer (Dekan der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien)


Vorwort von Dr. Hannes Jarolim Liebe Leserinnen und Leser, Die Diskussions- und Informationsreihe „Dialog im Parlament“ setzt sich vor allem mit solchen Vorhaben auseinander, welche sich vor oder bereits in parlamentarischer Diskussion über eine Umsetzung befinden und soll dazu beitragen, die „Für“ und „Wider“ der unterschiedlichen Sichtweisen und Argumente auf höchstmöglichem Niveau herauszuarbeiten. In diesem Sinne sind wir auch stets darum bemüht, Vertreter der unterschiedlichen Sichtweisen als Diskutanten auf das Podium einzuladen und so die Entscheidungsgrundlagen für das jeweilige Vorhaben größtmöglich zu erweitern. Seit 2006 befinden sich die „Sammelklagen“ und damit zusammenhängende Verfahrensrationalisierungsmaßnahmen in Zivilverfahren in den Regierungsprogrammen. Beschleunigte Verfahrensführungen, kollektiver Rechtsschutz, rationalisierte Entscheidungsfindungen bei Gericht und damit raschere Rechtssicherheit sind dabei die wesentlichen Ziele. Als Gegenargument für einen beschleunigten Umgang mit vor allem komplexen Verfahren wird in erster Linie die US-amerikanische Rechtslage um die „class action“ angeführt. Abseits auch bei uns mehrheitlich nicht als wünschenswert aufgefasster „Ausreißer“ dieses Systems haben sich aber im gesamten europäischen und auch globalen Umfeld Maßnahmen und Regelungen herausgebildet, welche als Vorbilder im Sinne einer „best practise“ dienen können. In diesem Sinne sollte unsere jüngste Veranstaltung daher einer Versachlichung der Diskussion dienen und dazu beitragen, mit bestehenden Ängsten und Sorgen auf verantwortungsvolle Weise umzugehen. Ich denke, dass dieser Aufgabe bei unserer Veranstaltung entsprochen wurde und wünsche den Leserinnen und Lesern ein interessantes Studium der unterschiedlichen Argumente. Hannes Jarolim



Inhaltsverzeichnis Vorwort des Dekans der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien Univ.-Prof. Dr. Dr. h.c. Paul Oberhammer ................................................................ V Vorwort von Dr. Hannes Jarolim .................................................................................................. VII AutorInnenverzeichnis ............................................................................................................................ IX Enquete „Beschleunigung von Verfahren als Gebot der Stunde“ – Sammel-, Musterklagen und andere Möglichkeiten ............................................................................ 1 Einleitung zur Enquete von Dr. Hannes Jarolim ............................................................ 1 SC Hon.-Prof. Dr. Georg Kathrein .................................................................................. 2 „Der bisherige Verlauf der Diskussion über Sammelklagen und Massenverfahren“ ............................................................................................................................. 2 Univ.-Prof. in Dr.in Astrid Stadler ......................................................................................... 7 „Sammelklagen im Internationalen Vergleich“ ..................................................... 7 Univ.-Prof. Dr. Georg Kodek ............................................................................................ 19 „Keine Angst vor Verfahrensrationalisierungen – sie sind ein Gebot der Stunde“ ......................................................................................................................... 19 Mag.a Gabriele Zgubic-Engleder ..................................................................................... 44 „Die Sammelklage als unentbehrliches konsumentenrechtliches Instrument “............................................................................................................................... 44 Dr. Artur Schuschnigg ........................................................................................................... 48 „Sammelklage aus Sicht der Wirtschaft“ ................................................................ 48 Publikumsrunde

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Rechtsanwalt Dr. Alexander Klauser .............................................................................. 61 Rechtsanwalt Dr. Wolfgang Leitner ............................................................................... 63 Mag. Heinz-Ludwig Majer .................................................................................................. 64 Rechtsanwalt MMag. Florian Horn ............................................................................... 66 Präsident des OGH Hon.-Prof. Dr. Eckart Ratz ................................................... 67 Richter Mag. Harald Wagner ............................................................................................. 69 Rechtsanwältin Mag.a Bettina Knötzl ........................................................................... 70 Schlussrunde der Vortragenden ............................................................................................... 71 Mag. Max Schrems ................................................................................................................... 71 Mag.a Gabriele Zgubic-Engleder ..................................................................................... 71 Prof.in Dr.in Astrid Stadler ....................................................................................................... 71 Univ.-Prof. Dr. Georg Kodek ............................................................................................ 71 SC Hon.-Prof. Dr. Georg Kathrein ................................................................................ 72

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AutorInnenverzeichnis Dr. Hannes Jarolim ist Rechtsanwalt und Abgeordneter zum österreichischen Nationalrat (Justizsprecher der SPÖ, stellvertretender Vorsitzender des Justizausschusses), Präsident der Österreichisch-Chinesischen juristischen Gesellschaft und Gründungsmitglied des China-Europe Legal Forums sowie Vorstandsmitglied der Österreichisch-Russischen Freundschaftsgesellschaft. Sein Tätigkeitsschwerpunkt liegt im Bereich Unternehmens- und Wirtschaftsrecht, er veranstaltet auch regelmäßig Diskussions- und Informationsveranstaltungen vor allem im Zusammenhang mit laufenden Gesetzesvorhaben. SC Hon.-Prof. Dr. Georg Kathrein, geboren am 30. 7. 1957 in Innsbruck; Studium, Gerichtspraxis und Richteramtsanwärter in Tirol. 1984 Ernennung zum Richter des BG Innsbruck, 1986 Zuteilung an das BMJ. Als Referent Mitwirkung an verschiedenen Gesetzesvorhaben im Familien- und Erbrecht. 1995–2008 Abteilungsleiter in der Zivilrechtssektion des BMJ (Schuld- und Sachenrecht, Versicherungsrecht, Verbraucherrecht). Vorbereitung und Betreuung verschiedener Gesetzesvorhaben auf nationaler und europäischer Ebene im allgemeinen Zivilrecht, im Schadenersatzrecht, im Verbraucherrecht, im IT-Recht, im Versicherungsrecht und im Persönlichkeitsrecht. Seit 2008 Leiter der Zivilrechtssektion im BMJ. Wissenschaftlich verschiedene Werke und Aufsätze im Zivilrecht, insbesondere zum Erbrecht, Eherecht, Schuld- und Verbraucherrecht, Kindschaftsrecht sowie Schadenersatzrecht, Mitglied der Redaktion der Zeitschrift für Verkehrsrecht. Seit 2003 Honorarprofessor am Institut für Zivilrecht der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien. Professorin Dr.in Astrid Stadler ist seit 1994 Inhaberin eines Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Zivilprozessrecht, Rechtsvergleichung und IPR an der Universität Konstanz. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt im deutschen, europäischen und internationalen Zivilprozessrecht, sowie im Vertrags- und Sachenrecht. Ihr besonderes Interesse gilt seit einigen Jahren dem kollektiven Rechtsschutz – von 2011 bis 2015 hatte sie eine Teilprofessur an der Erasmus Universität in Rotterdam

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AutorInnenverzeichnis

für „Comparative Mass Litigation“. Professor Stadler ist Mitherausgeberin der deutschen Juristenzeitung (JZ) und u.a. stellvertretende Vorsitzende der Zivilprozessrechtslehrervereinigung, stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Juristentages (DJT) und Vorstandsmitglied der Zivilrechtslehrervereinigung. Weitere Einzelheiten und Publikationsliste: https://www.jura.uni-konstanz.de/stadler/ Univ.-Prof. Dr. Georg Kodek studierte Rechtswissenschaften in Wien und Chicago (Northwestern University). Er ist seit 1991 Richter. Im Jahr 2001 habilitierte er sich an der Universität Wien mit einer Untersuchung zum Besitzschutz. Nach Tätigkeit am BG Innere Stadt, LG Eisenstadt und OLG Wien ist er seit 2006 am Obersten Gerichtshof. Seit 2007 ist er auch Professor für Zivil- und Unternehmensrecht an der Wirtschaftsuniversität Wien und dort Vorstand der Abteilung Unternehmensrecht. Prof. Kodek ist Verfasser zahlreicher Publikationen in den Bereichen Zivil-, Zivilverfahrens-, Insolvenz- und Unternehmensrecht und Herausgeber mehrerer Kommentare und zweier Zeitschriften. Mag.a Gabriele Zgubic-Engleder, Jahrgang 1966, geb. in Linz, Studium der Rechtswissenschaften an der Johannes Kepler Universität in Linz, Abschluss 1991. Anschließend Referentin in der Konsumenten- und Umweltschutzabteilung der Arbeiterkammer Oberösterreich. Im Zuge des EU-Beitrittes 1995 Assistentin einer österreichischen Abgeordneten im Europäischen Parlament. 1997/98 Mitarbeiterin im Kabinett der damaligen Frauen- und Konsumentenschutzministerin. Danach rund 11 Jahre Juristin in der Österreichischen Bundesfinanzierungsagentur. Seit August 2010 Abteilungsleiterin der Abteilung Konsumentenpolitik der Arbeiterkammer Wien. Funktionen: Aufsichtsratspräsidentin des Vereins für Konsumenteninformation. Mitglied der Stakeholdergruppe bei der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde. Mitglied der Europäischen beratenden Verbrauchergruppe bei der Europäischen Kommission.

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AutorInnenverzeichnis

Dr. Artur Schuschnigg ist ausgebildeter Rechtsanwalt. Nach seiner Tätigkeit in der Rechtsanwaltschaft hat er bei der Errichtung und dem Betrieb der LKW-Maut in Österreich mitgearbeitet. Seit 2008 ist er Referent der Abteilung für Rechtspolitik der Wirtschaftskammer Österreich. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten zählen das Gesellschaftsrecht, das Zivilverfahrensrecht sowie das Strafrecht. Aus diesen Bereichen erfolgen auch Publikationen, zB ist zuletzt erschienen ein Kommentar über das Bundesgesetz über alternative Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten. Mag. Max Schrems ist Jurist. 2005 absolvierte er mit AFS ein Auslandssemester in den USA. Von 2005 bis 2010 war er im Vorstand von AFS Österreich. Im Jahr 2007 zog Schrems nach Wien, um dort an der Universität Wien Rechtswissenschaften zu studieren. In seinem Studium beschäftigte er sich vorwiegend mit IT-Recht und Datenschutz. Im Jahr 2011 veröffentlichte er eine Monographie über die rechtliche Lage der Videoüberwachung in Österreich. Im Zuge eines Auslandssemesters an der Santa Clara University in Kalifornien traf er auf Vertreter vom US-Konzern Facebook Inc., was zur Gründung von europe-v-facebook.org führte. Das Unternehmen lagerte sensible Daten seiner europäischen Nutzer auf Servern in den USA, dort aber haben auch US-Geheimdienste wie die NSA Zugriff. Deshalb war Schrems vor Gericht gezogen. Nachdem er Projektassistent an der Universität Wien gewesen war, schloss er im Jahr 2012 sein Studium ab.

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Enquete „Beschleunigung von Verfahren als Gebot der Stunde“ – Sammel-, Musterklagen und andere Möglichkeiten Einleitung zur Enquete von Dr. Hannes Jarolim Jarolim Hannes, Dr. Abg. z. NR: Meine Damen und Herren, ich darf Sie herzlich zu unserer heutigen Veranstaltung zum Thema „Beschleunigung von Verfahren – Sammelklagen als Gebot der Stunde; Sammel-, Musterklagen und andere Notwendigkeiten“ begrüßen. Warum findet diese Veranstaltung statt? Es ist so, dass wir in der Diskussionsreihe „Dialog im Parlament“ abseits der Tagespolitik Veranstaltungen zu entscheidungsnahen Themen im Parlament durchführen und versuchen, die jeweilige Diskussion dadurch etwas breiter anzulegen und zu intensivieren. Das „Zeitnah“ ist im gegenständlichen Fall vielleicht ein wenig übertrieben, weil wir erstmals 2006 in einem Regierungsprogramm unter dem Decknamen „Sammelklage“ die Einführung verfahrensvereinfachende sowie -beschleunigende Maßnahmen vereinbart haben. Gut Ding braucht Weile; in der Zwischenzeit gab es einige Gerichtsverfahren in den unterschiedlichsten Bereichen, insbesondere im Kapitalmarktbereich, die jedenfalls gezeigt haben, wie wichtig es ist, sich hier mit derartigen Fragen forcierter auseinanderzusetzen. Es gibt auch immer wieder die Frage, wie man es ermöglichen kann, dass Höchstgerichte in einer beschleunigten Art und Weise Entscheidungen über Rechtsfragen treffen können, welche zwar nicht unmittelbar die gleichen Verfahren betreffen, aber doch als Vorfragen für eine größere Anzahl von Rechtsstreitigkeiten von zentraler Bedeutung sind. Dies etwa in Anlehnung an § 54 ASGG. Es ist auch für den Wirtschaftsstandort wichtig, dass wir ein Rechtssystem haben, in welchem man sehr rasch – und Österreich genießt hier ja einen sehr guten Ruf – zu Rechtssicherheit kommt. Geschwindigkeit bedeutet ja sowohl für die Wirtschaft als auch für die Konsumenten rasche Rechtsklarheit und damit auch eine Reduktion von Verfahren bzw Verfahrenszeiten und damit wiederum mehr Zeit für die Richterschaft in den einzelnen Verfahren. Und daher haben wir uns hier und heute mit einer sehr prominenten Runde – der ich herzlich für das Kommen danken darf – zusammengetroffen, um diese Themen aus unterschiedlicher Sicht zu beleuchten. Es wird auch einen Tagungsband dazu geben, den wir voraussichtlich in ca. 6 Wochen veröffentlichen. Eigentlich müsste ich jetzt fast alle der Anwesenden namentlich begrüßen, traditionell darf ich das aber doch etwas einschränken: Ich freue mich daher, dass uns die Vizepräsidentin des Verfassungsgerichtshofs, Frau Dr.in Brigitte Bierlein hier besucht, herzlich willkommen. Ich freue mich weiters, dass uns der Präsident des Obersten Gerichtshofes, Herr Dr. Eckart Ratz auch heute wieder besucht, traditionell – wie ich annehme – wieder in

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Enquete „Beschleunigung von Verfahren als Gebot der Stunde“ – Sammel-, Musterklagen und andere Möglichkeiten sehr diskussionsfreudiger Laune, herzlich willkommen. Und dass uns der Dekan der juristischen Fakultät der Universität Wien, Herr Univ.-Prof. Dr. Paul Oberhammer, der auch in seinem „Zivilberuf“ Zivilverfahrensrechtler ist, besucht, freut mich ebenso außerordentlich – herzlich willkommen. In diesem Zusammenhang darf ich auch nochmals erwähnen, dass es uns vor einiger Zeit in einem „gemeinsamen Gefecht“ gelungen ist, den Schiedsstand Österreich dadurch auszubauen, dass in Schiedsverfahren der OGH nun einzige und letzte Rechtsmittelinstanz ist, eine in Europa hervorragende Position, die im internationalen Bereich den Standort Österreich auch als Unternehmensstandort ganz wesentlich unterstreicht. Und dass Frau Professor Wendehorst und die seinerzeitige OGH-Präsidentin Dr. Griss das European Law Institute (ELI) nach Wien gebracht haben und wir hier ein klein wenig unterstützen durften, zeigt auf, was man alles bei einer guten Zusammenarbeit für das Land bewegen kann. Ich darf auch beste Grüße vom Herrn Bundesminister für Justiz ausrichten, der uns aufgrund eines Auslandtermins leider nicht besuchen kann. So, nun zur Sache, ich darf Herr Sektionschef Dr. Georg Kathrein herzlich ersuchen, uns einen Überblick über die die aktuelle Lage und die bisherigen Schritte um die Entstehungsgeschichte der Sammelklagen und andere Prozesserleichterungen zu geben.

SC Hon.-Prof. Dr. Georg Kathrein „Der bisherige Verlauf der Diskussion über Sammelklagen und Massenverfahren“ Frau Vizepräsidentin, Herr Präsident, Spectabilität, sehr geehrter Herr Abgeordneter, sehr geehrte Damen und Herren! Ich habe jetzt ungefähr zehn Minuten Zeit, um sie in die Problematik einzuführen. Ich möchte das möglichst ausgewogen, informativ und neutral gestalten, muss mich aber kurz halten. Bei einer Prüfung bei Dekan Prof. Dr. Oberhammer käme ich damit maximal auf einen Dreier, weil die Kürzung doch zur Verknappung und damit auch zur Unrichtigkeit führt. Das muss ich aber in Kauf nehmen. Mein Beitrag ist dreigeteilt: Es geht zum Ersten darum, kurz einmal den Status Quo darzustellen, in dem wir uns derzeit befinden, wo wir uns jetzt bewegen. Dann möchte ich zum Zweiten darüber berichten, welche Reformbestrebungen in den vergangenen Jahren virulent gewesen sind. Zum Dritten möchte ich dann auf die Perspektiven eingehen, die sich aus der fachlichen Sicht zu dem Thema bieten. Ich habe meinen Vortrag nicht mit Bundesminister Dr. Wolfgang Brandstetter abgesprochen und vertrete hier meine persönliche Meinung, also die Fachmeinung des Justizministeriums, die halt unter dem allgemeinen Vorbehalt steht, dass es politisch vielleicht anders kommen kann, als die fachliche Ebene sich das vorgestellt hat.

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Enquete von Dr. Hannes Jarolim Zunächst einmal zum Status Quo: Allgemein darf ich zunächst festhalten, dass wir in Österreich mit der Zivilprozessordnung über ein sehr gutes Zivilverfahrensrecht verfügen. Das ist für den Rechts- und Wirtschaftsstandort Österreich sehr wichtig. Zugleich hat die österreichische ZPO aber ein Problem: Sie ist nämlich nicht auf Massenverfahren zugeschnitten. Leit- und Idealbild unserer ZPO ist der Unternehmer oder auch Bürger, der seine Ansprüche selbst bestimmt und, vorerst jedenfalls, auf eigenes Risiko geltend macht oder sich auf solche Art gegen geltend gemachte Ansprüche zur Wehr setzt. Das damit entstandene Prozessrechtsverhältnis bindet im Allgemeinen nur das Gericht und die Streitteile, die Entscheidung wirkt im Allgemeinen nicht auf andere Personen. Die Ergebnisse des Verfahrens können im Allgemeinen mit bestimmten Ausnahmen nicht in anderen Verfahren verwendet werden. Weiters ist unser Prozessrecht auch dadurch gekennzeichnet, dass es – anders als das materielle Recht – den schwächeren Teil nicht explizit schützt. Die beiden Streitteile stehen einander gleichsam auf Augenhöhe, gleichberechtigt und gleich verpflichtet gegenüber. Das kann in der Praxis natürlich zu gewissen Verzerrungen und Ungleichgewichten führen, wenn eine Partei des Verfahrens stärker als die andere ist, wenn sie sich mehr leisten kann, wenn sie besser informiert ist. Die Verfahrenshilfe allein kann dieses Ungleichgewicht sicher nicht ausgleichen. Die These, wonach der Schwächere im Zivilprozess nicht spezifisch geschützt sei, muss man aber, gerade was den Verbraucherschutz angeht, sofort wieder infrage stellen. Es gibt bestimmte Bereiche, in denen schwächere Parteien kollektiven Rechtsschutz genießen. Gerade das Verbraucherrecht steht dem Konsumenten auch verfahrensmäßig mit speziellen Instrumenten zur Verfügung. Musterbeispiel dafür ist die sogenannte Verbandsklage nach den § 28 ff Konsumentenschutzgesetz, mit der bestimmte Verbände des öffentlichen Interesses an fairen und lauteren Praktiken im Geschäfts- und Rechtsverkehr durchsetzen können. Die Klage geht auf Unterlassung, und zwar entweder auf Unterlassung der Verwendung von gesetzwidrigen Geschäftsbedingungen oder auf Unterlassung von bestimmten Verhaltensweisen, die dem Unionsrecht widersprechen. Klagebefugt sind nur die Sozialpartner, der Verein für Konsumenteninformation und der österreichische Seniorenrat. Praktisch wird nur von der Bundesarbeiterkammer (BAK) und vom Verein für Konsumenteninformation (VKI) geklagt. Diese Verbandsklage ist ein sehr bewährtes und effektives Instrument des Verbraucherschutzes. Fast alle klassischen Verbraucherstreitigkeiten sind auf dieser Basis ausgetragen worden. Ich erinnere an den Zinsenstreit, an die Verrechnung von Provisionen für die Vermittlung von Lebensversicherungen, an die Ausgestaltung von Kfz-Leasingverträgen oder an die Entscheidung zur Ausgestaltung von Mietverträgen. Es gibt darüber hinaus bestimmte Branchen, die ständig im Fokus der BAK und des VKI stehen. Die Verbandsklage nach den §§ 28 ff KSchG hat aber auch gewisse Schwächen. Das zweite Instrument des kollektiven Rechtsschutzes, das wir jetzt schon zur Verfügung haben, ist die so genannte Sammelklage österreichischer Prägung. Dabei handelt es Jarolim, Beschleunigung von Verfahren als Gebot der Stunde, LexisNexis

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Enquete „Beschleunigung von Verfahren als Gebot der Stunde“ – Sammel-, Musterklagen und andere Möglichkeiten sich um ein verfahrensrechtliches Instrument, das den österreichischen Verbraucherorganisationen gemeinsam mit der Rechtsprechung auf Basis relativ dünner gesetzlicher Bestimmungen entwickelt wurde. Es geht darum, dass gebündelt geklagt wird, dass Ansprüche des einzelnen Verbrauchers an bestimmte Einrichtungen – wiederum sind hier die BAK und der VKI zu nennen – abgetreten und klageweise geltend gemacht werden. Zum Teil werden solche Sammelklagen österreichischer Prägung durch Prozessfinanzierer finanziert und unterstützt. Das hat der OGH als legal und als gesetzmäßig angesehen. Es verstößt also nicht gegen das an sich auch dem österreichischen Recht geläufige Verbot der quota litis. Diese Sammelklage hat sich ebenfalls bereits in einigen spektakulären Verbraucherstreitigkeiten sehr bewährt. Sie stößt aber an Grenzen, weil sie eben nur sehr rudimentär geregelt ist und damit mit sehr vielen Unsicherheiten verbunden ist. Dann gibt es zum Status Quo noch einige weitere praktische Entwicklungen. Hier ist vor allem auf die Bemühungen zur judiziellen Bewältigung der Finanzkrise, die in etwa seit 2009 die Gerichte beschäftigt hat und das auch jetzt noch tut. Hier haben sich Usancen entwickelt, die die Verhandlung und die Entscheidung über Schadenersatzansprüche – es geht fast immer nur um Schadenersatzforderungen – erleichtern sollen. So ist es beispielsweise vorgekommen oder üblich geworden, dass vor Einbringung einer Klage erst einmal eine Anzeige bei der Staatsanwaltschaft eingebracht wird. Dem dann eingeleiteten Ermittlungsverfahren schließen sich die Geschädigten als Privatbeteiligte an. Das bietet ihnen die Gelegenheit, aufgrund ihrer Parteistellung im Strafverfahren Akteneinsicht in Anspruch zu nehmen. Die dabei eingesehenen Unterlagen oder Informationen, die sie aus dem Strafverfahren erlangt haben, können sie dann später für den Zivilprozess verwenden. Hier ist quasi das Strafverfahren Wegbereiter oder Aufbereiter des Zivilprozesses, eine Funktion, die dem Strafprozess ansonsten nicht immer zukommt, um das einmal zurückhaltend zu sagen. Es haben sich darüber hinaus aber auch in der Gerichtspraxis und hier vor allem in der Handelsgerichtsbarkeit Wien gewisse Usancen herausgebildet, mit denen die Verfahren schneller entschieden und schneller bewältigt werden sollten. Diese Usancen sind in der Wissenschaft und zuletzt am Juristentag stark kritisiert worden. Das ist also der Status Quo: Die ZPO ist nicht auf Massenverfahren zugeschnitten. Über zwei wichtige Instrumente im kollektiven Rechtsschutz verfügen wir aber bereits nach geltendem Recht, nämlich die Verbandsklage und die Sammelklage österreichischer Prägung. Nun zu den Reformvorhaben und -überlegungen: Zuerst ist hier an die Empfehlung der Kommission über gemeinsame Grundsätze für kollektive Unterlassungs- und Schadenersatzverfahren in den Mitgliedstaaten bei Verletzung von durch das Unionsrecht garantierten Rechten zu erinnern. In diesem Dokument hat die Kommission den Mitgliedstaaten empfohlen, verfahrensrechtliche Instrumente, mit denen Massenschäden oder kollektive Probleme bewältigt werden können, einzuführen oder beizubehalten. Die Mitgliedstaaten sollen faire sowie 4

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Enquete von Dr. Hannes Jarolim günstige Verfahren auf der Basis des Opt-in Prinzips zur Verfügung stellen. Diese Verfahren sollen Vorkehrungen gegen missbräuchliche Klagen enthalten, etwa durch eine Offenlegung der Finanzierung, durch die Beschränkung von Honoraren oder durch Beschränkungen der Klagebefugnis auf bestimmte Verbände. Die Kosten sollen, wie im österreichischen Recht, nach dem Erfolgsprinzip ersetzt werden. Auch sollen Verfahren gebündelt werden. Die Empfehlung ist nicht verbindlich, sie hat bloß politisches Gewicht. Die Kommission will das bis 2017 evaluieren. Im Kontext mit Reformvorhaben im Bereich der Geltendmachung kollektiver Interessen ist aber auch auf eine andere Entwicklung zu verweisen. Es geht um das so genannte Private Enforcement bei Wettbewerbsrechts- und Kartellrechtsverletzungen: Hier gilt es gerade, die Richtlinie 2014/104/EU über bestimmte Vorschriften für Schadenersatzklagen nach nationalem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union 2016 umzusetzen. Die Arbeiten sind gerade im Gange. Es werden im österreichischen Kartellgesetz und auch im Wettbewerbsgesetz Regelungen zur Verhandlung und Entscheidung von Schadenersatzansprüchen aus Kartellrechtsverstößen vorgeschlagen. In dieser Richtlinie sind aber auch einige Regelungen enthalten, mit denen Elemente des kollektiven Rechtsschutzes eingeführt werden sollen, vor allem was die Frage Beweis oder Beweisfindung angeht. Zum Programmpunkt Reformvorhaben ist letztlich noch auf das Vorhaben „Gruppenklagen“ hinzuweisen. Dieses Vorhaben ist 2008/2009 fast bis zur Regierungsvorlage gediehen, dann aber an politischen Widerständen gescheitert. Das Vorhaben sollte es bestimmten Klägern oder Anspruchswerbern möglich machen, sich zu einer Gruppe zusammenzuschließen. In dieser Gruppe sollten die für ihre Mitglieder gemeinsamen Rechts- oder Tatfragen entschieden werden, und zwar für die Mitglieder der Gruppe verbindlich. Dieser Vorschlag beruhte auf dem Opt-in Prinzip. Niemand wäre zur Teilnahme verpflichtet gewesen, auch wäre es den Mitgliedern der Gruppefreigestanden, aus der Gruppe wieder auszuscheiden. Dieses Vorhaben ist fast, aber eben nur fast bis zur Regierungsvorlage gediehen. Es ist dann nicht mehr gelungen, die letzten Streitfragen zu lösen. Seitdem steht das Gesetzgebungsverfahren, wenn ich das so sagen darf. Das ist vor allem deshalb bedauerlich, weil der Entwurf doch einige Regelungen enthielt, mit deren Hilfe kollektive Auseinandersetzungen effizienter und schneller hätten entschieden werden können. Einmal die Gruppenentscheidung selbst, dann aber, was wohl auch wesentlich ist, die Frage der Bemessungsgrundlage für das Rechtsanwaltshonorar und auch für die Gerichtsgebühren, die gedeckelt worden wäre. Damit sollten derartige Gruppenverfahren leistbar bleiben und zugleich einen wirtschaftlichen Anreiz bieten. Im Kontext mit der Gruppenklage wurden noch weitergehende Instrumente diskutiert. Es wurde zum einen ein Musterverfahren erwogen: Gemeint war damit ein Verfahren zur Klärung reiner Rechtsfragen, die für eine Vielzahl von Ansprüchen bedeutsam sein Jarolim, Beschleunigung von Verfahren als Gebot der Stunde, LexisNexis

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Enquete „Beschleunigung von Verfahren als Gebot der Stunde“ – Sammel-, Musterklagen und andere Möglichkeiten können. Dieses Musterverfahren sollte nach den seinerzeitigen Erwägungen nur von einem klagebefugten Verband eingeleitet werden können. Dann hat es, zum anderen, noch eine weitere Überlegung gegeben, nämlich die Einführung eines – weiteren – Unterbrechungsgrundes in der ZPO, um eine Musterentscheidung des Obersten Gerichtshofs herbeizuführen. Beide dieser Vorschläge wurden aber in der weiteren Diskussion nicht weiter verfolgt, weil es ebenfalls große Probleme gegeben hat. Was wir uns jetzt im Augenblick, losgelöst von allen rechtspolitischen Entwicklungen, zum Dritten auch ansehen, das sind die Entwicklungen im Ausland. Hier ist vor allem auf das niederländische und auf das schwedische Modell der Verhandlungslösung zu erinnern. In den Niederlanden hat man eine Regelung geschaffen, die eine Art – nach unserem Verständnis – Sondervergleich in strittigen Auseinandersetzungen ermöglichen soll. Dieses Verfahren wird interessanterweise vom Unternehmer entriert. Seine Bedeutung liegt in zwei Bereichen, nämlich in der Finanzwirtschaft und dann auch in der Pharmaindustrie. Das niederländische Modell scheint sich zu bewähren. Wenn man über weitere Entwicklungen in der Gruppenklage oder im kollektiven Rechtsschutz nachdenkt, dann meine ich, sollte man auch diesen Bereich im Auge behalten. Ich komme damit auch schon zum Schluss. Bisher ist politisch in dem Zusammenhang nicht viel weitergegangen. Das Thema Gruppenklage bzw kollektiver Rechtsschutz ist zwar seit Längerem Inhalt von Regierungsprogrammen, es hat aber keine wirkliche Bewegung gegeben. Dabei kann ich nur Vermutungen über die Ursachen dieses Stillstandes anstellen. Es dürfte zunächst einmal um rechtspolitische Bedenken gehen, also die Sorge vor Missbräuchen, vor „amerikanischen Verhältnissen“, vor der missbräuchlichen Verwendung. Weiters könnten die Verzögerungen auf politologische Veränderungen zurückzuführen sein. Der Verbraucherschutz war bis vor wenigen Jahren ein Thema der Sozialpartnerschaft. Was nun aber die sozialpartnerschaftliche Entscheidungsfindung betrifft, so haben sich gewisse Veränderungen ergeben. Dazu kommen auch psychologische Faktoren, die hier eine Rolle spielen. Hier spielen gewisse Auseinandersetzungen, die es auf der politischen Ebene zu bestimmten Verbraucherthemen gegeben hat, immer wieder herein. Ich meine, dass man sich trotzdem nicht fürchten sollte. Man sollte zusehen, dass diese Instrumente vernünftig und ausgewogen ausgestaltet sind, dass sie effizient sind, dass sie zur Durchsetzung der der Verbraucher führen. Es gilt aber auch zu beachten, dass diese Instrumente nicht ausarten, dass sie die ökonomischen Tätigkeiten nicht allzu sehr hindern und beeinflussen, dass sie nicht dem Missbrauch Tür und Tor öffnen. Man wird also versuchen müssen, dass man auf einen vernünftigen Kompromiss kommt. Vielen Dank! Jarolim Hannes, Dr. Abg. z. NR: Vielen Dank Herr Sektionschef für diesen Abriss und Überblick. Ich denke, dass Informationsveranstaltungen wie heute auch dazu beitragen, den Ruf und die Sorge vor so mancher Erneuerung zu relativieren. Gerade die Class Action und die amerikanischen Verhältnisse werden hier immer wieder als 6

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Enquete von Dr. Hannes Jarolim abschreckendes Beispiel genannt. Dieses System war aber nie geplant, daher muss man über Vorhaben reden und muss sich anschauen, was eine „Best Practise“ im internationalen Vergleich sein könnte. Es ist immer sinnvoll zu prüfen, wer in welchem Umfeld – das kann das europäische aber auch das globale sein – für welche Form der Auseinandersetzung die besten Lösungsansätze entwickelt hat, und damit kommen wir schon zum nächsten Referat: Frau Professor Stadler von der Universität Konstanz hat es übernommen, uns einen Überblick über unterschiedliche, hier relevante Systeme zu geben, also einen Rechtsvergleich, der auch dazu beitragen kann, unser eigenes System bestmöglich auszurichten. Frau Professor, herzlich willkommen, ich darf Sie um Ihr Referat ersuchen.

Univ.-Prof.in Dr.in Astrid Stadler „Sammelklagen im Internationalen Vergleich“ Meine sehr geehrten Damen und Herren, in maximal zwanzig Minuten etwas zu Sammelklagen im internationalen Vergleich zu sagen, ist eine sportliche Herausforderung. Ich habe mir deshalb erlaubt, das Thema ein bisschen enger zu fassen und werde nur etwas zu europäischen Reformbestrebungen bzw Reformen im Bereich des kollektiven Rechtsschutzes sagen. Zur amerikanischen Class Action wurde schon so viel gesagt und geschrieben, dass ich auf einen Überblick an dieser Stelle verzichten möchte. Wenn gewünscht, können wir darauf später in der Diskussion noch eingehen. Ich möchte mit einer terminologischen Bemerkung beginnen, weil doch eine gewisse sprachliche Verwirrung herrscht. Es werden viele unterschiedliche Begriffe verwendet, obwohl häufig das Gleiche gemeint ist. Wir sprechen von Sammelklagen, von Gruppenklagen, Muster- und Verbandsklagen – das ist sehr verwirrend. Im englischen und inzwischen auch im deutschen Sprachgebrauch hat sich der Begriff des „collective redress“ oder des „kollektiven Rechtsschutzes“ eingebürgert – nicht zuletzt, um auch unliebsame Assoziationen zur amerikanischen Class Action, welche mit einer Bezeichnung als Sammelklagen oder Gruppenklagen doch sehr nahe liegen, zu vermeiden. Darunter fällt allerdings noch immer ein bunter Reigen verschiedener Instrumente, allerdings steckt hinter allen häufig dieselbe Grundidee. Es geht jeweils darum, eine große Gruppe von Geschädigten, wenn es zum Prozess kommt, letztlich wieder auf ein Zweiparteiensystem zurückzuführen und die Geschädigten dabei durch einen Repräsentanten im Prozess vertreten zu lassen. Außer dem Repräsentanten werden grundsätzlich in allen Modellen die Geschädigten nicht formal Partei des Zivilprozesses, gleichwohl ergeht im Ergebnis letztlich eine für sie bindende Gerichtsentscheidung oder, falls ein Vergleich geschlossen wird, hat dieser aufgrund verschiedener Mechanismen Bindungswirkung für alle Gruppenmitglieder. Die Vertretung der Gruppe durch den Repräsentanten wird ganz unterschiedlich organisiert. Das kann durch sogenanntes Opt-in System geschehen, bei dem der RepräJarolim, Beschleunigung von Verfahren als Gebot der Stunde, LexisNexis

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Enquete „Beschleunigung von Verfahren als Gebot der Stunde“ – Sammel-, Musterklagen und andere Möglichkeiten sentant durch eine ausdrückliche Teilnahmeerklärung der Geschädigten ein ausdrückliches Mandat zur Verfahrensführung erhält. In einigen Verfahren soll dies aber auch nach dem Opt-Out System erfolgen, in dem die Geschädigten an das Verfahren, welches der Repräsentant führt, automatisch gebunden werden, wenn sie nicht rechtzeitig eine gegenteilige Erklärung abgeben. Von der europäischen Kommission wir dieses Verfahren in ihrer Empfehlung von 2013 als Ausnahme statuiert – im Hinblick auf mögliche Verletzungen des rechtlichen Gehörs oder des Dispositionsgrundsatzes seitens der Gruppenmitglieder. Eine grundsätzliche Frage, vor der alle Gesetzgeber stehen, wenn sie sich um solche neuen Modelle des kollektiven Rechtsschutzes bemühen, ist, wer die Gruppe im Prozess repräsentieren soll oder darf. Dies kann entweder nach dem amerikanischen Referenzmodell der Class Action ein einzelner individuell Geschädigter aus der Gruppe sein. Es kann aber auch – eher europäischer Tradition entsprechend – ein Verbraucherverband oder eine andere Interessenorganisation sein. Daneben haben sich inzwischen auch andere Modelle etabliert. Abtretungsmodelle, nicht im Sinne der österreichischen Verbandsklage, sondern in dem Sinne, wie wir sie etwa im Kartellrecht kennen. Auf dem Markt sind zahlreiche spezielle Unternehmen (zB Cartel Damages Claims) entstanden, deren Geschäftsmodell darin besteht, Schadensersatzforderungen (aus Kartellrechtsverstößen oder anderen großen Massenschadensereignissen) zu kaufen, sich abtreten zu lassen und gerichtlich geltend zu machen – selbstverständlich gegen eine Beteiligung am Erfolg. Solchen Rechtsdurchsetzungsgesellschaften begegnet man in manchen Rechtsordnungen mit einem gewissen Misstrauen. Die Empfehlung der europäischen Kommission zum kollektiven Rechtsschutz von 2013 wurde von meinem Vorredner gerade angesprochen. Ich will auf den Inhalt nicht im Einzelnen eingehen. Sie beinhaltet, wie gerade schon gesagt wurde, gemeinsame Grundsätze für kollektive Unterlassungs- und Schadensersatzverfahren bei Verletzung von Unionsrecht, die von Mitgliedstaaten bei ihren Reformen umgesetzt werden sollen. Das Ziel ist weniger die Straffung von komplexen Verfahren, vielmehr geht es erst einmal darum, Zugang zu Gericht in Massenschadensfällen zu gewährleisten und damit auch eine effektive Bekämpfung gewisser unlauterer Marktstrategien zu erreichen. Nach der Idee der Kommission sollen die Mitgliedstaaten ein breit gefächertes, horizontales prozessuales Instrumentarium einführen. Es soll gerade nicht auf einzelne Sektoren, wie Verbraucherschutz, Kartellrecht oder Anlegerschutz begrenzt sein, sondern allgemein Anwendung finden. Der entscheidende Nachteil der Empfehlung wurde auch soeben schon angesprochen: Es handelt sich eben nur um eine rechtlich unverbindliche Empfehlung. Die politischen Verhältnisse haben es auch nach jahrelanger, sehr kontroverser Diskussion auf europäischer Ebene nicht zugelassen, dass man sich auf mehr als eine solche unverbindliche Empfehlung einigte. Auch inhaltlich, das nur ganz kurz am Rande, ist die Empfehlung sehr durch politische Kompromisse gekennzeichnet. Man gewinnt bisweilen den Eindruck, dass vor lauter Vorkehrungen gegen angeblich allfälligen Missbrauch solcher Verfahren von dem ursprünglichen Anliegen, Massenschadensfälle effektiv zu bewältigen, gar nicht mehr so viel übrig geblieben ist. 8

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Enquete von Dr. Hannes Jarolim Die Umsetzungsfrist, die den Mitgliedstaaten bis zum Juli letzten Jahres gesetzt war, ist bereits abgelaufen. Die Kommission wird sich nächstes Jahr wieder mit dem Thema beschäftigen und eine Auswertung vornehmen. Wenn man sich die Umsetzung in den Mitgliedstaaten ansieht, ist das Fazit bislang relativ einfach. Kein Mitgliedstaat hat die Empfehlung in toto umgesetzt. Es gibt einige wenige Reformprojekte und Reformen, die ich Ihnen gleich vorstellen werde, welche aber nur in mittelbarem Zusammenhang mit der Kommissionsempfehlung stehen und vermutlich ohnehin gekommen wären. Sie haben ihren Anfang entweder schon vor der Publikation der Empfehlung genommen oder der Einfluss der Kommissionsempfehlung auf ihren Inhalt erscheint eher marginal. Auf europäischer Ebene wird man also abwarten müssen, wie die Kommission nächstes Jahr aufgrund einer Auswertung reagiert. Meine Prognose ist, dass sich bis dorthin vermutlich die politischen Verhältnisse nicht grundlegend geändert haben werden, sodass nicht mit einer Einigung auf eine verbindliche Lösung zu rechnen ist. Das gilt vor allem weil, wie ich gleich versuche klar zu machen, inzwischen ein Wettbewerb einiger Mitgliedstaaten um attraktive Massenverfahren eingesetzt hat. Dieser wird bis dahin so weit fortgeschritten sein, dass diese Staaten kein Interesse an einer Harmonisierung mehr haben werden. Das gilt für die Niederlande, aber auch für Großbritannien, wenn es sich im Juni für einen Verbleib in der Europäischen Union entscheidet. Welche Reformen gibt es im kollektiven Rechtsschutz? Ich beginne mit einem ganz kurzen Überblick, ohne auf Details einzugehen. Welches war der Stand der Reformen bevor die Kommissionsempfehlung 2013 veröffentlicht wurde? Sammelklagen, und darunter verstehe ich nun solche Instrumente des kollektiven Rechtsschutzes, die auf Schadensersatz gerichtet sind, nicht die klassische Verbandsunterlassungsklage nach deutschem und österreichischem Vorbild, welche ursprünglich eine Vorreiterrolle innehatte, diese aber längst eingebüßt hat. Wo standen also kollektive Schadensersatzklagen für Massenfälle zur Verfügung? Vorreiter waren in dieser Hinsicht zunächst die skandinavischen Länder. Schweden führte bereits 2003 eine Sammelklage angelehnt an das Class Action Modell der USA ein, entschied sich allerdings für einen Opt-in Mechanismus. Dänemark, Norwegen und Finnland folgten ein paar Jahre später. Dort kennt man Sammelklagen, die unterschiedlich ausgestaltet sind. In Finnland kann zB nur der Verbraucherombudsmann solche Schadensersatzklagen für Konsumenten initiieren, ähnlich in Dänemark, wenn die Klage dem Opt-Out Mechanismus folgt. Dänemark wählte insofern von Anfang an eine sehr flexible Regelung, indem es dem Gericht die Entscheidung überließ, ob das Verfahren nach dem Opt-in oder Opt-out Modus erfolgen soll. Entscheidend soll dabei sein, ob die individuellen Schäden hinreichend groß sind, dass mit aktiven Beitrittserklärungen der Geschädigten zu rechnen ist oder es sich eher um Bagatellschäden handelt, bei denen die Betroffenen typischerweise passiv bleiben. Es folgten dann Reformen in Polen, Italien, Bulgarien und Italien. Im zuletzt genannten Mitgliedstaat wurde eine reine Verbandsklage für Verbraucherverbände eingeführt – zunächst mit mäßigem Erfolg, weil die Zulässigkeitsanforderungen von den Gerichten so streng gehandhabt wurden, dass ganz wenige Klagen überhaupt zugelassen wurden. Portugal Jarolim, Beschleunigung von Verfahren als Gebot der Stunde, LexisNexis

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Enquete „Beschleunigung von Verfahren als Gebot der Stunde“ – Sammel-, Musterklagen und andere Möglichkeiten und Spanien kennen schon seit den 1990er Jahren ähnliche Modelle, aber auch dort mit verhältnismäßig geringer praktischer Relevanz. Der Grund liegt vor allem darin, dass die Verfahren in den Prozessordnungen keine intensive Ausgestaltung erfahren haben und daher eine große Rechtsunsicherheit herrscht. Das Vereinigte Königreich kannte schon vor der Reform im Jahre 2015 Instrumente zur Zusammenführung von gleichgerichteten Klagen, jedoch keine echten Sammelklagen. Die representative action hatte keine große praktische Bedeutung, weil ihre Voraussetzungen von der Rechtsprechung so eng gezogen worden waren, dass sie selten oder nie erfüllt waren: Die Ansprüche aller Kläger mussten quasi identisch sein. Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang noch die group litigation order (GLO), die wiederum keine Sammelklage im klassischen Sinne darstellt, sondern nur die Möglichkeit bietet, eine Vielzahl von bereits eingereichten Klagen für bestimmte Verfahrensabschnitte zu bündeln und etwa eine gemeinsame Beweisaufnahme durchzuführen. Voraussetzung ist aber, dass die Geschädigten bereits individuell geklagt haben. Daneben gibt es Modelle, die nicht in die „Schublade“ der Sammelklage passen. Einen gewissen Bekanntheitsgrad hat das deutsche Kapitalanlegermusterverfahrensgesetz, vor allem wegen seines zungenbrecherischen Namens. Wir verdanken diese Neuregelung von 2005 dem sog. „Telekom- Verfahren“ – einem der ersten echten Massenverfahren vor deutschen Gerichten. Das Gesetz wurde 2012 einer kleinen Reform unterzogen, auf die ich später noch eingehen werde. Das KapMuG erlaubt ebenfalls keine Sammelklage im klassischen Sinne, vielmehr war die gesetzgeberische Idee die eines Musterverfahrens. Voraussetzung ist jedoch, dass die Geschädigten erst einmal individuell klagen. Auf Antrag können dann ihre Ansprüche in einem Zwischenverfahren gebündelt werden, in dem das Oberlandesgericht über gemeinsame Tatsachen- und Rechtsfragen, welche in allen Individualprozessen eine Rolle spielen, einmalig und mit Bindungswirkung entscheidet. Angesprochen wurde von meinem Vorredner auch bereits die Reform in den Niederlanden von 2005. Damals verabschiedete man ein inzwischen sehr erfolgreiches Gesetz. Das sogenannte Gesetz zur vergleichsweisen Beilegung von Massenschäden erlaubt ebenfalls keine Sammelklage mit einem streitigen Verfahren, sondern setzt voraus, dass eine Vertreterorganisation mit dem Verursacher eines Massenschadens einen außergerichtlichen Vergleich im Namen aller Geschädigten aushandelt. Dabei bedarf es keiner vorherigen Absprache mit den Geschädigten. Wenn eine solche vergleichsweise Einigung gelingt, kann dieser Vergleich auf Antrag der Vergleichsparteien vom Amsterdamer Gerichtshof für verbindlich erklärt werden – und zwar für alle Geschädigten. Das Verfahren folgt dabei nach öffentlicher Bekanntgabe des gerichtlich genehmigten Vergleichs einem Opt-Out System. Ursprünglich war das Gesetz nur für nationale Fälle in den Niederlanden gedacht. Nachdem der amerikanische Supreme Court allerdings in seiner „Morrison“-Entscheidung 2010 die Tür für europäische Kläger zur amerikanischen Class Action in Anlegerfällen mehr oder weniger geschlossen hat, gewann dieses niederländische Instrument an Bedeutung. In großen Anlegerschadensfällen im internationalen Kapitalmarkt bietet es heute – neben der US class action – mehr 10

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Enquete von Dr. Hannes Jarolim oder weniger die einzige Möglichkeit für ein Unternehmen, das Kapitalmarktinformationen falsch, zu spät oder gar nicht veröffentlich hat, mit einem Schlag alle Ansprüche der geschädigten Anleger zu bereinigen. Ob die Bindungswirkung eines solchen niederländischen Vergleichs allerdings in Europa und darüber hinaus wirklich Anerkennung findet, ist bislang gerichtlich nicht entschieden. Ich komme nun zu den etwas jüngeren Reformprojekten, die nach der Kommissionsempfehlung von 2013 in Kraft getreten sind. Zunächst einmal gibt es in Frankreich eine neue Verbandsklage im Verbraucherrecht. Im Frühjahr 2014 wurde die „action de groupe“ im Code de consomation verankert. Es handelt sich um eine Schadensersatzklage, die als reine Verbandsklage ausgestaltet ist. Klagebefugt sind nur französische Verbraucherverbände – derzeit 16 Verbände aus verschiedenen Bereichen. Ausländische Verbände haben in diesem Verfahren keine Klagebefugnis. Der Anwendungsbereich ist entgegen der Kommissionsempfehlung beschränkt auf Verbraucherkaufverträge und Dienstleistungsverträge sowie auf follow-on Schadensersatzklagen im Kartellrecht. Die Grundidee des Gesetzes besteht darin, dass der Verbraucherverband zunächst einmal nur auf der Basis einer Mandatierung durch einen oder zwei Verbraucher das Verfahren initiiert. Ohne die Einbindung weiterer Geschädigter soll das Gericht sodann eine Entscheidung über den Haftungsgrund fällen. Erst wenn diese Entscheidung getroffen ist, findet eine „Opt-in“ Phase statt, in der alle Verbraucher, die sich von diesem Schadensfall betroffen fühlen, ihre Ansprüche der Höhe nach anmelden und geltend machen können. Das Grundurteil wirkt zu ihren Gunsten. Zu Beginn des Verfahrens gibt es eine Mediationsphase, in der eine gütliche Einigung zwischen dem Verbraucherverband und dem beklagten Unternehmen erzielt werden soll. Frankreich folgt damit einer europaweiten Tendenz, Verfahren des kollektiven Rechtsschutzes sehr stark darauf anzulegen, möglichst eine gütliche Einigung herbeizuführen. Wenn das nicht gelingt, kommt es in Frankreich zu einer Gerichtsentscheidung über die Höhe der Ansprüche – regelmäßig standardisiert bzw nach typisierten Gruppen von Verbrauchern. Die Schadensregulierung obliegt dem Verbraucherverband, der befugt ist, im Namen der geschädigten Verbraucher notwendigenfalls auch die Zwangsvollstreckung zu betreiben. Das französische Gesetz kennt noch eine kleine Variante: Es gibt ein sogenanntes „vereinfachtes Verfahren“, wenn alle Geschädigten namentlich bekannt sind und wenn sich die Schadensbeträge relativ einfach oder schematisch errechnen lassen. Hat also beispielsweise eine Bank aufgrund unwirksamer allgemeiner Geschäftsbedingungen zu Unrecht bei ihren Kunden Gebühren eingezogen hat, besteht die Möglichkeit, dass das Gericht das Unternehmen verurteilt, direkt an die Geschädigten die entsprechenden Beträge zurückzubezahlen. Dem klagenden Verband kommt dann nur eine Überwachungsfunktion zu. In Belgien gibt es ein ähnliches Gesetz seit 2014. Der Anwendungsbereich ist etwas breiter als in Frankreich, aber auch hier handelt es sich ausschließlich um eine Verbraucherverbandsklage. In diesem Gesetz werden etwa dreißig Gesetze, Verordnungen und

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Enquete „Beschleunigung von Verfahren als Gebot der Stunde“ – Sammel-, Musterklagen und andere Möglichkeiten EU-Regelungen aufgezählt, bei deren Verletzung die Verbandsklage auf Schadensersatz möglich ist. Dies umfasst im Wesentlichen den gesamten Verbraucherschutz, nicht jedoch das Kapitalmarktrecht und den Anlegerschutz. Auch in Belgien sind nur Verbraucherverbände klagebefugt. Der Gesetzgeber hat auch hier großen Wert auf eine Verfahrensgestaltung gelegt, die eine möglichst gütliche Einigung ermöglicht. Es besteht, ähnlich wie in den Niederlanden, die Möglichkeit einen vorprozessualen Vergleich, den ein Verbraucherverband mit dem Schädiger aushandeln konnte, vom Gericht prüfen und für vollstreckbar erklären zu lassen. Wenn es nicht zu einem Vergleich vor dem Prozess kommt, entscheidet das Gericht zunächst, ob das Verfahren im Optin oder im Opt-out Modus stattfindet. Bei Ansprüchen, die auf Körper- oder Gesundheitsverletzung beruhen, kommt jedoch grundsätzlich nur ein Opt-in Verfahren in Betracht. Bei Vermögens- und Sachschäden hat das Gericht die freie Entscheidung, wobei das maßgebliche Kriterium dabei sicher sein wird, ob es sich um Bagatellschäden oder größere Individualschäden handelt. Nur bei letzteren darf man mit aktiven Beitrittserklärungen der Geschädigten rechnen und ein Opt-in Verfahren ist sinnvoll. Auch hier sieht das Gesetz nach der Klagerhebung noch eine obligatorische Verhandlungsphase vor. Dazu kann das Verfahren bis maximal 6 Monate ausgesetzt werden. Sollte dies nicht zum Erfolg führen, wird eine Gerichtsentscheidung über die Schäden gefällt. Die Schadensregulierung obliegt in Belgien nicht dem klagenden Verband, sondern es wird eine dafür verantwortliche Person vom Gericht bestimmt, die entweder Anwalt oder ein „ministerieller Amtsträger“ sein kann. Beide Neuregelungen versuchen, mit einem Instrument zwei ganz unterschiedliche Sachverhalte zu erfassen: Einmal die berühmten Verbraucher-Bagatellschäden, zum anderen aber auch Fälle, in denen die individuellen Schäden doch relativ groß sind, sodass man davon ausgehen kann, der einzelne Geschädigte werde auch aktiv und entschließe sich zu einer Opt-in Erklärung. Es liegen naturgemäß noch keine nennenswerten praktischen Erfahrungen mit diesen neuen Instrumenten vor. Ich habe meine Zweifel, ob der französische Opt-in Mechanismus wirklich funktionieren wird. In Frankreich setzt man eindeutig darauf, dass auch bei Bagatellschäden solche Erklärungen von Verbrauchern abgegeben werden, wenn erst einmal eine Grundentscheidung des Gerichts zur Haftung des Beklagten getroffen ist. Ob sich dann wirklich auch Verbraucher, die nur einen kleinen Schaden erlitten haben, am Verfahren beteiligen werden, halte ich für fraglich. In vielen Fällen bleiben sie ja auch deshalb passiv, weil sie gar nicht mehr nachweisen können, von einem konkreten Schadensfall betroffen zu sein, etwa weil man für den Erwerb von Gebrauchsgegenständen des täglichen Bedarfs keine Quittungen oder Unterlagen aufbewahrt hat. Das gilt vor allem für Schäden durch Kartellabsprachen im Lebensmittelbereich, die regelmäßig lange Zeit benötigen, bevor es zu einer Gerichtsentscheidung kommt. Man hat in Frankreich auch keine Vorkehrungen getroffen für den Fall, was mit einem Vergleich und einem daraufhin eingerichteten Fonds geschieht, wenn die Verbraucher ihre Ansprüche gar nicht geltend machen. Fraglich ist schon, ob und wie der Verbraucherverband minimale Beträge von wenigen Cent oder Euro unter einer großen Anzahl 12

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Enquete von Dr. Hannes Jarolim von Verbrauchern verteilen kann. Erfahrungsgemäß bleiben erhebliche Summen uneingefordert. In England hat man für diese Situation vorgesorgt – wie gleich noch zu zeigen sein wird: Geld, das aufgrund eines Vergleichs vom Beklagten oder Schädiger zur Verfügung gestellt, aber nicht abgerufen wird, geht nicht etwa an das Unternehmen zurück, sondern fließt in den „Acess2Justice“ Fonds, aus dem weitere Verfahren finanziell unterstützt werden können. In Belgien hat der Gesetzgeber versucht, Schadensfälle, die für den Einzelnen im Bagatellbereich liegen, mit dem Opt-out in den Griff zu bekommen. Aber auch dort fehlt eine Regelung für die zweite Stufe. „Opt-out“ hilft zunächst nur für die Einbindung der Betroffenen in das Erkenntnisverfahren. Spätestens wenn es an die Verteilung zugesprochener Beträge geht, müssen die Verbraucher oder die sonstigen Betroffenen sich doch melden und gegebenenfalls auch nachweisen können, dass sie zu der Gruppe der Geschädigten gehören. Hierin dürften in der Praxis vermutlich noch die eigentlichen Probleme liegen. Daher erscheint mir grundsätzlich für Bagatellschäden eine Gewinnabschöpfung durch Behörden oder Verbände das effektivere Mittel zur Lenkung von Marktverhalten zu sein. Ich komme zu den Reformen im Vereinigten Königreich. Der Consumer Rights Act 2015 hat hier wesentliche Änderungen gebracht. Dies gilt zunächst einmal im Verbraucherschutz im engeren Sinne. Der Consumer Rights Act räumt zahlreichen Behörden und Institutionen, u.a. der Verbraucherorganisation „WHICH?“ das Recht ein, bei Zuwiderhandlungen gegen verbraucherschützende Normen, bei Gericht Anträge auf eine Unterlassungsverfügung zu stellen oder etwa auch direkt die Rückerstattung zu Unrecht eingezogener Beträge durch ein Unternehmen anordnen zu lassen. Geht es um verhältnismäßig kleine Beträge, bei denen sich eigentlich der Aufwand der Rückerstattung an einzelne Verbraucher nicht lohnt, kann das Gericht auch anordnen, dass ein Unternehmen den Gesamtbetrag stattdessen an an eine sog. „consumer charity“ bezahlt und das Geld damit einer Organisation zugute kommt, die dem Verbraucherschutz dient und das Geld satzungsgemäß verwendet. Echte Gruppenklagen hat der englische Gesetzgeber nur für das Kartellrecht vorgesehen. Seit 2015 können kartellrechtliche Schadensersatzklagen vor dem Competition Appeal Tribunal eingereicht werden, die entweder von einem einzelnen Geschädigten aus der Gruppe der betroffenen Verbraucher oder Abnehmer initiiert werden kann oder durch sogenannte „representative entities“. Der englische Gesetzgeber wollte Anwälte, die auf einer Erfolgshonorarbasis arbeiten, und sog. special purpose vehicles, welche nur zum Zweck der Durchsetzung fremder Ansprüche etabliert werden, als Akteure eigentlich vermeiden. Letztlich ist nun aber dem Gericht überlassen zu entscheiden, ob eine Organisation, die eine Schadensersatzklage im Namen einer ganzen Gruppe von Geschädigten einreicht, eine angemessene Vertretung der Geschädigten gewährleistet und daher als Repräsentant und Kläger zugelassen werden kann. Die Frage nach der Geltung eines Opt-in bzw Opt-out Mechanismus hat man differenziert geregelt. Grundsätzlich verläuft das einmal initiierte Gruppenverfahren nach dem Opt-out

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Enquete „Beschleunigung von Verfahren als Gebot der Stunde“ – Sammel-, Musterklagen und andere Möglichkeiten Prinzip, allerdings nur für Geschädigte, die in Großbritannien ansässig sind. Wenn sich Geschädigte von außerhalb am Verfahren beteiligen wollen, dann kann eine Teilnahme nur nach einem ausdrücklichen Opt-in erfolgen. Damit hat man, meines Erachtens zu Recht, den Bedenken bezüglich des rechtlichen Gehörs der Geschädigten und den begrenzten Informationsmöglichkeiten in grenzüberschreitenden Fällen Rechnung getragen. Innerhalb des Gerichtsstaates fällt es leichter, die Geschädigten über ihr opt-out Recht zu informieren und ihnen damit die Wahlmöglichkeit einzuräumen, im Verfahren zu bleiben oder sich dessen Bindungswirkung zu entziehen. Grenzüberschreitend kann man auch mit Hilfe des Internets nicht erwarten, alle von der Klage betroffenen Geschädigten zuverlässig über die Einleitung des Verfahrens zu informieren und ihnen eine faire Chance zum „opt-out“ einzuräumen. Auch im englischen Kartellrecht gibt es die Möglichkeit, in allen Verfahrensstadien zu einer gütlichen Einigung zu kommen und die durch Kartellabsprachen entstandenen Schäden einvernehmlich zu regulieren. Es wird dabei klar das niederländische Modell kopiert und den in ein Kartelluntersuchungsverfahren nationaler Behörden verwickelten Unternehmen die Möglichkeit gegeben, schon während des nationalen Kartellverfahrens einen eigenen Regulierungsvorschlag für Schäden zu unterbreiten und behördlich genehmigen zu lassen. Es gibt aber auch die Möglichkeit, einen außergerichtlichen Vergleich mit einer Vertreterorganisation der Geschädigten zu schließen. Dieser kann gerichtlich bestätigt und für verbindlich erklärt werden lassen. Der gerichtlich bestätigte Vergleich hat Wirkung für alle Geschädigten. Ich komme zu guter Letzt noch zu den Niederlanden. Dort gibt es seit der Kommissionsempfehlung von 2013 noch keine erfolgreich abgeschlossene Reform des kollektiven Rechtsschutzes. Allerdings bestehen Bestrebungen und Vorschläge zu einer Ergänzung der gesetzlichen Regelung über die Verbindlicherklärung außergerichtlicher Vergleiche. Dies folgt aus der Überlegung, dass allein die Möglichkeit zu diesen außergerichtlichen Vergleichen nicht ausreicht. Sie setzt nämlich die grundsätzliche Bereitschaft eines Unternehmens voraus, überhaupt in Vergleichsverhandlungen einzutreten und eine solche Vereinbarung mit einer Vertreterorganisation abzuschließen. Was aber fehlt, ist der sogenannte „stick behind the door“, wenn man so will, ein gewisses Drohpotential für den Fall, dass diese Vergleichsbereitschaft nicht gegeben ist. Daher soll den Verbänden künftig auch die Möglichkeit gegeben werden, vor Gericht ein streitiges Verfahren gerichtet auf Schadensersatz für alle Geschädigten aus einem Massenschadensfall durchzuführen. Das niederländische Zivilgesetzbuch sieht zwar bislang schon grundsätzlich Verbandsklagen vor, die auch auf Feststellung und Leistung gerichtet sein können. Es hat allerdings ausdrücklich Schadensersatzklagen durch Verbände ausgenommen. Dafür hatte der niederländische Gesetzgeber bislang mehrere Gründe: Man befürchtete insbesondere, dass die Abgrenzung einer Verbands-Schadensersatzklage zu individuellen Schadensverfahren, die aus demselben Schadensfall resultieren, möglicherweise schwierig ist.

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Enquete von Dr. Hannes Jarolim An dieser Stelle setzen also jüngere Reformüberlegungen an. Das niederländische Justizministerium hat im Juli 2014 einen ersten Reformentwurf vorgelegt, der es künftig ermöglichen soll, dass Vertreterorganisationen (und dies schließt grundsätzlich auch spontan anlässlich eines einzelnen Schadensfalls gegründete Stiftungen und Interessenorganisationen ein) – vor Gericht auf Schadensersatz klagen. Der Anwendungsbereich der neuen Regelung ist hier nach der Absicht des Ministeriums nicht sektoriell eingeschränkt. Genauso wie das Gesetz über außergerichtliche Vergleiche soll sich der Anwendungsbereich auf alle Massenschadensfälle erstrecken. Der niederländische Gesetzgeber lässt sich bei der Reform ebenfalls stark davon leiten, dass trotz der Möglichkeit eines streitigen Gruppenklageverfahrens eine gütliche Einigung mit dem Beklagten ermöglicht werden soll. Das Gericht ist nach dem Entwurf in allen Phasen gehalten, möglichst die Einigungsbemühung der Beteiligten aktiv zu unterstützen und den Beklagten anzuhalten, selbst einen Regulierungsvorschlag zu unterbreiten. Erst wenn alle diese Versuche scheitern, kann das Gericht selbst einen solchen Vorschlag unterbreiten und in einem Opt-in Verfahren den Geschädigten quasi zur Abstimmung stellen. Wenn hinreichend viele Geschädigte den Vergleichsvorschlag des Richters annehmen, dann soll er verbindliche Wirkung haben und auch den Beklagten binden. Sollten sich nicht hinreichend viele Geschädigte für den richterlichen Vergleichsvorschlag entscheiden, wird das Verfahren für beendet erklärt. Der Entwurf sah daher keine streitige Entscheidung des Gerichts über einzelne Ansprüche vor. Der Reformvorschlag hat einige Kritik erfahren und die Rückmeldungen aus einem öffentlichen Konsultationsverfahren werden im niederländischen Ministerium derzeit analysiert. Vermutlich wird man im Laufe des Jahres 2016 mit einem überarbeiteten Reformvorschlag rechnen dürfen. Ein paar Worte noch zu der Situation in Deutschland und dem Kapitalanlegermusterverfahrensgesetz (KapMuG), das anlässlich der Massenklagen von Anlegen gegen die Deutsche Telekom im Jahre 2005 geschaffen wurde. Das Ziel, zur Verfahrensvereinfachung beizutragen, wurde verfehlt. Das Musterverfahren, welches das KapMuG ermöglicht, war von Anfang viel zu komplex und kompliziert. Es ermöglichte den Beteiligten zahlreiche Optionen zur Verfahrensverzögerung. Der ursprüngliche Telekomprozess ist nach über 10 Jahren immer noch anhängig und ein Ende ist auch derzeit noch nicht absehbar. Meines Wissens hat keines der inzwischen doch recht zahlreichen KapMuG-Verfahren alle Stadien durchlaufen, die das Gesetz vorsieht. Entweder die Prozesse wurden nach einer Entscheidung des Oberlandesgerichts über die „Musterfragen“ verglichen oder die Musterfeststellungsanträge wurden nicht zugunsten der Kläger beschieden. Die letzte Phase, in der nach einer positiven Musterfeststellung durch das Oberlandesgericht die erstinstanzlichen Gerichte die ausgesetzten Ausgangsverfahren wieder aufnehmen und aufgrund der bindenden Musterentscheidung des OLG über die einzelnen Ansprüche entscheiden, ist auch im Telekom-Verfahren noch nicht erreicht. Der Bundesgerichtshof hob die Musterentscheidung des OLG Frankfurt auf und wies die Sache zur erneuten Entscheidung zurück.

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Enquete „Beschleunigung von Verfahren als Gebot der Stunde“ – Sammel-, Musterklagen und andere Möglichkeiten Der Misserfolg des KapMuG hat mehrere Gründe: Eine Evaluation des Verfahren aus dem Jahr 2010/2011 durch den Kollegen Axel Halfmeier u.a. kam – wenn man so ein bisschen zwischen den Zeilen liest – eigentlich zu einem ziemlich vernichtenden Ergebnis. Mein Lieblingssatz aus der Evaluation ist die Feststellung, das KapMuG habe nicht zu einer Verlängerung der Verfahren beigetragen. Selbst das möchte ich bezweifeln, aber es ist eine entlarvende Beurteilung für ein Verfahren, das angetreten ist mit dem Ziel, komplexe Verfahren im Kapitalmarktrecht einfacher und schneller zu gestalten. Die Evaluation hatte damals vorgeschlagen, einen Grundfehler des KapMuG zu beseitigen. Dort war und ist nämlich vorgesehen, dass geschädigte Anleger zunächst individuell klagen müssen und erst dann in einem weiteren Verfahrensstadium eine Bündelung zahlreicher Prozesse für die Zwischenphase der Musterfeststellung stattfinden kann. Das Evaluationsgutachten schlug eine Umstrukturierung zu einer echten Gruppen- oder Sammelklage vor, bei der nicht alle Geschädigten individuell klagen müssen. Dies hätte es langfristig auch ermöglicht, das KapMuG-Modell für Bagatellschäden im Verbraucherrecht nutzbar zu machen. Diesen Vorschlag hat der Gesetzgeber 2012 leider nicht aufgegriffen. Es ist dabei geblieben, dass die Geschädigten individuell klagen müssen, es gibt nun allerdings ein sogenanntes vereinfachtes „Teilnahmerecht“. Nachdem die Musterfeststellung eingeleitet ist, können sich weitere Geschädigte, die noch nicht geklagt haben, elektronisch registrieren lassen. Dies führt allerdings nicht dazu, dass sie am Ende an der Gerichtsentscheidung oder an einem im Musterprozess geschlossenen Vergleich automatisch partizipieren. Die einzige rechtliche Wirkung, welche die Registrierung vorsieht, ist eine Hemmung der Verjährung der Schadensersatzansprüche der Geschädigten. Sie können also die Musterentscheidung abwarten und müssten dann gegebenenfalls doch noch klagen und auf eine faktische Bindungswirkung des Musterurteils für ihren Prozess hoffen. Ein klarer Vorteil der Reform des KapMuG von 2012 liegt darin, dass der Gesetzgeber nun den Abschluss von Vergleichen erleichtert hat. Bislang konnte im Musterprozess vom Musterkläger und dem Beklagten ein Vergleich mit Wirkung für alle Kläger der ausgesetzten Verfahren (sog. Beigeladene im Musterprozess) nur geschlossen werden, wenn jeder Betroffene ausdrücklich zustimmte. Dieses Erfordernis erwies sich als schwer erfüllbar bei oftmals Hunderten oder Tausenden von Beigeladenen. Nunmehr können der Musterkläger und der Musterbeklagte während des Musterverfahrens einen Vergleich abschließen, der für alle Beigeladenen gelten soll (aber nicht automatisch auch für diejenigen, die ihre Ansprüche nur registriert haben für eine „einfache Teilnahme“). Der Vergleichsvorschlag wird vom Gericht geprüft und sodann in einem opt-out-Verfahren für verbindlich erklärt. Das Gesetz sieht dabei ein Quorum vor: Es dürfen nicht mehr als 30 % der Betroffen „herausoptieren“. Trotz aller sonstigen Vorbehalte gegen opt-out-Mechanismen in Deutschland ist diese Lösung unproblematisch im Hinblick auf das rechtliche Gehör der Betroffenen. Diese sind ja namentlich bekannt und schon als Beigeladene am Musterprozess beteiligt. Sie können unproblematisch über den Vergleich und ihr opt-out-Recht informiert werden und sich dann frei entscheiden, ob sie den Vergleich akzeptieren möchten oder nicht. Damit stellt 16

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Enquete von Dr. Hannes Jarolim sich die sonst bei streitigen Gruppenklageverfahren häufig auftauchende Frage nicht, wie man zu Beginn des Prozesses durch eine öffentliche Bekanntgabe an einen Kreis namentlich nicht bekannter Geschädigter oder Verbraucher sicherstellt, dass diese die öffentliche Aufforderung, innerhalb einer Frist gegebenenfalls eine opt-out Erklärung abzugeben, auch erreicht. In Deutschland befindet sich nach Presseverlautbarungen des Bundesministerium der Justiz und für Verbraucher noch eine Reform in Planung zur Umsetzung der Kommissionsempfehlung. Gedacht wird an eine Musterfeststellungsklage für Verbraucherverbände im Verbraucherrecht nach dem Vorbild des KapMuG. Sie soll eine für geschädigte Verbraucher bindende gerichtliche Feststellung eines Gesetzesverstoßes durch ein Unternehmen oder einen Anbieter ermöglichen. Details dazu sind aber noch nicht bekannt und insbesondere erscheint mir unklar, wie das Verfahren nach einer solchen Musterfeststellung weitergehen könnte. Die Feststellungsklage mit Bindungswirkung bildet ja nur den ersten Schritt, betroffene Verbraucher müssten dann offensichtlich noch individuell ihren Schadensersatz einklagen, wenn keine freiwillige Regulierung erfolgt. Wenn der Anbieter jedoch nicht mit einer kollektiven Durchsetzung auch der einzelnen Schadensersatzansprüche rechnen muss oder mit einer konsequenten Gewinnabschöpfung, dann wird die Bereitschaft zur freiwilligen Schadensregulierung trotz des Feststellungsurteils vermutlich gering sein. Die niederländischen Reformüberlegungen zeigen m.E. deutlich, dass man den „stick behind the door“ benötigt. Der Gesetzentwurf für eine echte Gruppenklage, den die „Grünen“ in den deutschen Bundestag eingebracht hatten, fand im letzten Jahr erwartungsgemäß keine politische Mehrheit. Welche gemeinsamen Tendenzen zeichnen sich bei den vorgestellten Reformen ab? Die bisherigen Reformen haben, was den Anwendungsbereich der Instrumente des kollektiven Rechtsschutzes angeht, nicht die Idee der Kommission aufgegriffen, ein sehr breites Instrument zu implementieren. Meist beschränken sie sich doch auf eine sektorielle Regelung und konzentrieren sich mehr oder weniger auf den Verbraucherschutz im engeren Sinne. Einige decken noch das Kartellrecht ab, nicht erfasst werden aber regelmäßig Kapitalmarkt- und Anlegerfälle. Hinsichtlich der Klagebefugnis gibt es eine gewisse Präferenz für Verbandsklagen durch etablierte und erfahrene Verbraucherverbände, was der Empfehlung der europäischen Kommission durchaus entspricht. Lediglich die Niederlande pflegen insoweit einen sehr weiten Ansatz und erlauben nahezu uneingeschränkt die Vertretung der Geschädigten auch durch ad hoc gegründete Interessenverbände. In Großbritannien ist – insoweit im Einklang mit der Kommissionsempfehlung – ein gewisses Misstrauen gegenüber professionellen Rechtsdurchsetzungsgesellschaften („special purpose vehicles“) mit klarer Gewinnerzielungsabsicht unverkennbar. Die Verfahrensstrukturen der neuen Instrumente, auf die ich nicht im Detail eingehen konnte, sind sehr ähnlich. Es gibt regelmäßig eine Zulassungsphase, in der auch geprüft wird, ob der Kläger ein geeigneter Repräsentant der Gruppe ist. Die klare Präferenz für Opt-in Verfahren, die sich in der Kommissionsempfehlung findet, spiegelt sich in Jarolim, Beschleunigung von Verfahren als Gebot der Stunde, LexisNexis

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Enquete „Beschleunigung von Verfahren als Gebot der Stunde“ – Sammel-, Musterklagen und andere Möglichkeiten den Reformen so nicht wider. Belgien, Großbritannien und die Niederlande sehen entweder von Gesetzes wegen oder aufgrund richterlicher Entscheidung auch den optout Mechanismus vor. Während die Entscheidung in Belgien von der Höhe der Individualschäden und damit der zu erwartenden Passivität der Geschädigten abhängt, differenziert man in Großbritannien unabhängig von der Schadenshöhe nach der Erreichbarkeit der Betroffenen. Eine ganz klare Tendenz, die sich überall ausmachen lässt, besteht in der Begünstigung von Vergleichen und dem Bestreben der Gesetzgeber, spezielle Verfahren zu etablieren, die eine Verbindlicherklärung solcher Vergleiche ermöglichen und damit den Verursacher eines Massenschadens die Chance geben, tendenziell mit allen Geschädigten zu einer Einigung zu kommen. Wenn man sich dafür entscheidet, auch Bagatell- und Streuschäden in solche Verfahren einzubeziehen, sollte man allerdings auch eine Regelung vorsehen (oder die Vergleichsparteien zu einer solchen anhalten), die eine Entscheidung darüber trifft, was passieren soll, wenn die Geschädigten das vom Beklagten zur Verfügung gestellte Geld nicht restlos in Anspruch nehmen. Hier wäre eine Auskehrung an einen Prozessfinanzierungsfonds (wie in England) oder an Verbraucherverbände vorzugswürdig gegenüber einer Rückzahlung an den Schadensverursacher (wie dies häufig in Vergleichen in US-amerikanischen class action Verfahren der Fall ist). Was in den meisten neuen Modellen fehlt, sind ausdrückliche gesetzliche Regelungen zur Prozessfinanzierung von Massenverfahren. Die Kommissionsempfehlung hatte sich insoweit sehr skeptisch gegenüber einer Prozessfinanzierung durch Dritte (Thirdparty-funding) oder Rechtsanwälte geäußert. Die nationale Haltung zum Erfolgshonorar von Anwälten ist inzwischen recht gespalten. Beim Third-party-funding halten sich die Gesetzgeber offensichtlich gerne noch bedeckt und warten die weitere Entwicklung der Prozessfinanzierung am Markt erst einmal ab bzw setzen auf eine gewisse Selbstregulierung. Meine Damen und Herren, das war eine kurze Tour d’horizon durch aktuelle Reformmodelle in Europa. Sie können auch dem österreichischen Gesetzgeber als Anschauungsmaterial dienen und zeigen, dass die noch vor einigen Jahren zu beobachtende grundlegende Abwehrhaltung gegen „Sammelklagen“ langsam in einigen Mitgliedstaaten der Einsicht weicht, dass sich viele Fälle – gerade im Verbraucher- und Kartellrecht – anders gar nicht bewältigen lassen. Ich stehe gerne noch für Fragen zur Verfügung und danke für Ihre Aufmerksamkeit!

Quellenangaben zu ausländischen Gesetzen Das belgische Gesetz kann abgerufen werden unter: http://economie.fgov.be/fr/modules/regulation/loi/20140328_loi_portant_insertion_titre_2_action_en_reparation_collective_au_livre_xvii_procedures_juridictionnelles_particulieres_du_code_de_droit_economique.jsp

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Enquete von Dr. Hannes Jarolim Lit. zur belgischen Verbandsklage: S. Voet, Consumer Collective Redress in Belgium: Class Actions to the Rescue? European Business Organization Law Review 2015, 121–143 Die französischen Regelungen zur Action de groupe können abgerufen werden unter: http://www.assemblee-nationale.fr/14/ta/ta0295.asp Der englische Consumer Rights Act – insbesondere Schedule 7 und 8 – kann abgerufen werden unter: http://www.legislation.gov.uk/ukpga/2015/15/contents/enacted Lit. zum neu gestalteten kollektiven Rechtsschutz in England/Wales: R. Mulheron, A channel apart: Why the United Kingdom has departed from the European Commissions’s Recommendation on class actions, Cambridge Yearbook of European Legal Studies, 2015, 36–65, http://journals.cambridge.org/action/displayAbstract?fromPage=online&aid=10031224&fileId=S1528887015000014 Der Entwurf der „GRÜNEN/BÜNDNIS 90“ zu einem Gruppenklagegesetz (der im deutschen Bundestag keine Mehrheit fand) ist unter dem Titel Bundestag-Drucks. 18/1464 vom 21. 5. 2014 abrufbar unter: https://www.gruene-bundestag.de/themen/verbraucherschutz/rechtsbruch-darf-sich-nicht-mehr-lohnen.html Jarolim Hannes, Dr. Abg. z. NR: Ich danke herzlich für diese sehr umfassende Darstellung unterschiedlicher international bereits angewandter Systeme. Herr Prof. Kodek hat es nun übernommen, in Bezug auf Österreich über bestehende Verbesserungspotentiale in Zivilerfahren und Gerichtsorganisation sowie den diesbezüglichen Umsetzungsbedarfs zu sprechen. Bitte um Ihre Ausführungen Herr Professor:

Univ.-Prof. Dr. Georg Kodek „Keine Angst vor Verfahrensrationalisierungen – sie sind ein Gebot der Stunde“ I. Einführung Seit ca 10 Jahren wird in Österreich die Einführung eines Gruppenverfahrens diskutiert. Der Vorschlag für ein Gruppenverfahren,1 der ursprünglich als ZVN 2007 in Kraft treten hätte sollen,2 wurde jedoch bekanntlich bisher nicht Gesetz. Im Regierungspro-

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Ministerialentwurf einer Zivilverfahrens-Novelle 2007, 70/ME XXIII. GP. Dazu Kodek, RdW 2007, 711. Zu den Vorarbeiten und zur Folgediskussion Kodek, Gesetzliche Möglichkeiten zur Regelung von Massenverfahren, in Gabriel/Pirker-Hörmann, Massenverfahren – Reformbedarf für die ZPO, wilhelminenberg gespräche VI (2005) 311; Kodek, Möglichkeiten zur gesetzlichen Regelung von Massenverfahren im Zivilprozess, ecolex 2005, 751, Kodek, Massenverfahren – Reformbedarf für die ZPO, AnwBl 2006, 72; Kodek, Massenverfahren und Verfahrensmassen: Einige Gedanken zur aktuellen Diskussion, Zak 2012/132, 66; Kodek, Groß- und Massenverfahren de lege lata und de lege ferenda, in Neumayr, Beschleunigung von Zivil- und Strafverfahren – Zwischen Richtigkeitsgewähr, Fairness und Effizienz (2014) 1.

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Enquete „Beschleunigung von Verfahren als Gebot der Stunde“ – Sammel-, Musterklagen und andere Möglichkeiten gramm der aktuellen Legislaturperiode3 ist unter der Überschrift „Entlastung der Gerichte“ nur mehr knapp davon die Rede, dass „durch Gruppen- und Sammelklagen sowie prozessleitende Maßnahmen (Innehaltung) gleichartige Ansprüche mehrerer Betroffener leichter und prozessökonomischer gerichtlich geltend gemacht werden können“ sollen. In der Folge kam das Thema in Medienberichten4 oder in der öffentlichen Diskussion nur mehr vereinzelt zur Sprache.5 Im Jahr 2014 wurde (neuerlich) von den Grünen die Einführung eines Gruppenverfahrens gefordert.6 In zahlreichen anderen Staaten wurden mittlerweile jedoch Gruppenverfahren in verschiedener Form eingeführt. Vorschub erhielt diese Entwicklung durch die am 11. 6. 2013 von der EU-Kommission erlassene Empfehlung zum kollektiven Rechtsschutz.7 Dadurch erhielt die Diskussion neue Impulse.8 Zuletzt hat im Frühjahr 2015 der Österreichische Juristentag, der sich auch prozessualen Fragen des Anlegerschutzes widmete, das Thema angesprochen.9 Der vorliegende Beitrag fasst die Vorschläge zusammen und erörtert den Reformbedarf für komplexe Verfahren (II), Massenverfahren im eigentlichen Sinn (III) und Musterverfahren (IV).10

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Arbeitsprogramm der österreichischen Bundesregierung 2013–2018 (Dezember 2013) 84. ZB in Radiobeiträgen am 22. 2. 2012 Ö1, 9. 6. 2012 in Ö1. Befürwortend Arbeiterkammer 10. 10. 2013 http://ooe.arbeiterkammer.at/interessenvertretung/konsumentenschutz/Gruppenklagen_zulassen.html; ablehnend hingegen Wirtschaftskammer Newsletter der rechtspolitischen Abteilung Winter 2013, 7 (Artur Schuschnigg) NR 25. GP S 277, 21.–23. Mai 2014 Abg Aslan (Grüne). Empfehlung der Kommission „Gemeinsame Grundsätze für kollektive Unterlassungs- und Schadensersatzverfahren in den Mitgliedstaaten bei Verletzung von durch Unionsrecht garantierten Rechten“ C(2013)3539/3. Dazu ausführlich (auch zur Vorgeschichte) Stadler, Die Vorschläge der Europäischen Kommission zum kollektiven Rechtsschutz in Europa – der Abschied von einem kohärenten europäischen Lösungsansatz? GPR 2013, 281. Vgl auch Steiner, Kollektive Rechtsdurchsetzungsmechanismen in der EU, ÖJZ 2013, 1058 und das ausführliche Statement of the European Law Institute on Collective Redress and Competition Damages Claims (2014). Aus der umfangreichen neueren internationalen Diskussion vgl Bruns, Einheitlicher kollektiver Rechtsschutz in Europa, ZZP 125 (2012) 399; Hensler/Hodges/Tzankova (Hrsg), Class Actions in Context (2014); Hodges, The Reform of Class and Representative Actions in European Legal Systems (2008); Lein/Fairgrieve/Crespo/Smith, Collective Redress in Europe – Why and How? (2015); Stadler, Group Actions as a Remedy to Enforce Consumer Interests, in Cafaggi/Micklitz (Hrsg), New Frontiers of Consumer Protection – Interplay between Private and Public Enforcement (2009) 305, at p. 325–27; Willems in Brömmelmeyer (Hrsg), Die EU-Sammelklage, – Status und Perspektiven 2013, 17; van Boom/Wagner (Hrsg), Mass Torts in Europe: Cases and Reflections (2014). Das von Oberhammer hiefür erstattete Gutachten „Kollektiver Rechtsschutz bei Anlegerklagen“, in Kalss/Oberhammer, Anlegeransprüche – kapitalmarktrechtliche und prozessuale Fragen, 19. ÖJT (2015) Band II/1 73 ff, bleibt allerdings bedauerlicherweise – bei aller Tiefe und Schärfe der Beobachtung – in mancherlei Hinsicht hinter dem bereits erreichten Diskussionsstand zurück; auch die EU-Empfehlung und die diesbezügliche Diskussion wird souverän beiseitegelassen. Zum Folgenden vgl auch schon Kodek, Kollektiver Rechtsschutz in Europa – Diskussionsstand und Perspektiven, FS Nowotny (2015) 127; ders, Groß- und Massenverfahren de lege lata und de lege ferenda, in Neumayr, Beschleunigung von Zivil- und Strafverfahren (2014) 1. Jarolim, Beschleunigung von Verfahren als Gebot der Stunde, LexisNexis


Enquete von Dr. Hannes Jarolim II. Komplexe Verfahren Die Rsp des EGMR anerkennt, dass ein Verfahren mit einer besonders großen Anzahl von Beteiligten länger dauern kann als ein einfaches Verfahren; die Schwierigkeit des Falles ist nach ständiger Rechtsprechung des EGMR eines der Kriterien, die bei der Beurteilung der Angemessenheit der Verfahrensdauer zu berücksichtigen sind.11 Dennoch muss ein Staat, um den Justizgewährungsanspruch nach Art 6 EMRK zu erfüllen, Verfahrensstrukturen bereithalten, die auch in schwierigen und umfangreichen Verfahren eine Beendigung in angemessener Frist ermöglichen.12 Nun hat Österreich im internationalen Vergleich in Zivilsachen eine ganz hervorragende Verfahrensdauer aufzuweisen. Diese Position beruht jedoch auf einer Bewertung der durchschnittlichen Verfahrensdauer. Gerade in schwierigeren Verfahren ist demgegenüber die Verfahrensdauer oft sehr lang. Die Gründe hiefür sind vielfältig. Sie reichen vom besonderen Umfang des Beweisverfahrens über – bei längeren Verfahren tendenziell häufigere – (mitunter sogar mehrfache) Richterwechsel, die dann in Verbindung mit dem streng gehandhabten Unmittelbarkeitsgrundsatz eine Neudurchführung des Verfahrens erfordern, bis zu (wiederholten) Aufhebungsbeschlüssen der Berufungsgerichte. Nach einer – allerdings schon älteren – Untersuchung schwankt der Anteil der Aufhebungen bei berufungsgerichtlichen Erledigungen zwischen den verschiedenen zweitinstanzlichen Gerichten zwischen 3 (!) und 45 % – mit anderen Worten: es gibt Gerichte, bei denen nahezu jedes zweite Berufungsverfahren in eine Aufhebung mündet. Wenn es dann noch zu wiederholten Aufhebungen kommt, spricht der EGMR vom „vicious circle of reversals“. Diesen Problemen ist auf einer Reihe von Ebenen zu begegnen. Einerseits ist die Justizverwaltung gefordert. Die Palette der hier erforderlichen Maßnahmen reicht von der Richteraus- und -fortbildung zur administrativen Unterstützung.13 Hier zeigt gerade ein Pilotprojekt beim HG Wien, wie durch eine besondere Geschäftsabteilung eine bessere Unterstützung der Richter erreicht werden kann. Ein anderes Beispiel bietet das schon einige Zeit zurückliegende WEB-Verfahren in Salzburg, in dem es zunächst über Eigeninitiative eines engagierten Richters zur EDV-mäßigen Erfassung des gesamten Aktes kam.14 Schon nach derzeitiger Rechtslage ist eine informelle Abstimmung zwischen den befassten Richtern, etwa durch Austausch über Verfahrensergebnisse und Rechtsfragen sowie durch koordinierte Vorgangsweise bei der Bestellung von Sachverständigen möglich.15

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Vgl Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention5 428 Rz 70. Grabenwarter aaO 431 Rz 72. Instruktiv Parzmayer, Prozessökonomie bei Groß- und Massenverfahren, in Neumayr, Beschleunigung von Zivil- und Strafverfahren – Zwischen Richtigkeitsgewähr, Fairness und Effizienz (2014) 71 (74 f); Schmidbauer, Das zivilrechtliche Großverfahren, AnwBl 2006, 77. Vgl Schmidbauer aaO. Vgl Kodek, Massenverfahren und Verfahrensmassen, Zak 2012, 66 (69); Parzmayer aaO 88.

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Enquete „Beschleunigung von Verfahren als Gebot der Stunde“ – Sammel-, Musterklagen und andere Möglichkeiten Auf gesetzlicher Ebene sind mE eine Stärkung der Stellung des Richters und eine Flexibilisierung des Beweisverfahrens geboten. Hier sollte nach dem Vorbild des Außerstreitverfahrens ein Beweisaufnahmeermessen eingeführt werden.16 Der Richter wäre dann nicht mehr verpflichtet, jedem auch noch so sinnlosen Beweisantrag nachzukommen. Wegen des Verbots der vorgreifenden Beweiswürdigung sind nach derzeitiger Rechtslage Aufhebungsbeschlüsse vorprogrammiert, wenn ein Richter einen Beweisantrag abweist. Dies führt dazu, dass Richter zur Absicherung ihres Urteils oft weitwendige Beweisaufnahmen durchführen müssen, auch wenn davon nur wenig zu erwarten ist. Im Außerstreitverfahren hat sich das – selbstverständlich im Instanzenweg überprüfbare – Beweisaufnahmeermessen seit 150 Jahren bewährt. Wenn dies in so heiklen Verfahren wie Pflegschafts- oder Sachwalterschaftsverfahren17möglich ist, ist nicht zu sehen, warum den Gerichten im Streitverfahren nicht eine vergleichbare Befugnis eingeräumt werden sollte. Auch wird der Unmittelbarkeitsgrundsatz derzeit wohl überschätzt. Wieder zeigt das Außerstreitverfahren,18 dass hier Einschränkungen möglich sind, ohne dass damit eine Verschlechterung der Qualität der Entscheidungsgrundlagen verbunden wäre. Insbesondere erscheint der generelle Vorbehalt gegen schriftliche Erklärungen von Zeugen schwer verständlich. Selbstverständlich soll die Möglichkeit, die Zeugen persönlich zu vernehmen, wenn dies für die Wahrheitsfindung erforderlich ist, nicht angetastet werden. In vielen Routinefragen könnten aber schriftliche Erklärungen ausreichen. Hier ist auf die Erfahrung im Schiedsverfahren zu verweisen, wo dies seit Langem möglich ist. Weitere gebotene Maßnahmen sind die Erweiterung der Möglichkeiten der Prozessleitung. Hierzu gehört auch die Innehaltung des Verfahrens, um den Ausgang eines Parallelverfahrens abzuwarten, wenn dadurch voraussichtlich Aufschlüsse für das gegenständliche Verfahren gewonnen werden können und dies voraussichtlich zur effizienteren Erledigung des Verfahrens beiträgt.19 Schon mit der WGN 1989 hat der Gesetzgeber das Zwischenurteil ausgebaut, indem er in § 393 Abs 1 aE ZPO klarstellte, dass ein Zwischenurteil auch dann erlassen werden kann, wenn noch strittig ist, ob der Anspruch überhaupt mit irgendeinem Teilbetrag zu Recht besteht. Seit 2010 kann ein Zwischenurteil auch über die Verjäh-

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Zum Außerstreitverfahren vgl Kodek in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG § 1 Rz 558; Höllwerth in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG § 31 Rz 11 ff. Zum Verfahrensermessen des Schiedsgerichts bei der Beweisaufnahme vgl § 599 Abs 1 ZPO. Dazu Hausmaninger in Fasching/Konency² § 599 ZPO Rz 40 ff. Zur Abschwächung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes im Außerstreitverfahren etwa Kodek in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG § 1 Rz 58; Höllwerth in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG § 31 Rz 21 ff mwN. Vgl Kodek, Möglichkeiten der Prozessleitung in Massenverfahren, RZ 2005, 34; ders, Zak 2012, 66 (68); zustimmend Parzmayr in Neumayr, Beschleunigung 99; ablehnend jedoch OLG Graz 3 R 250/11a (unveröffentlicht). Jarolim, Beschleunigung von Verfahren als Gebot der Stunde, LexisNexis


Enquete von Dr. Hannes Jarolim rung gefällt werden (§ 393a ZPO). In Fortführung dieses Ansatzes wäre auch an eine Erweiterung der Möglichkeit zur Fällung von Zwischenurteilen zu denken. Schließlich sind die starre Rekursfrist von (meist) zwei Wochen und – wegen der typischerweise größeren Komplexität der Entscheidung in der Hauptsache noch mehr – die Berufungsfrist von vier Wochen (§ 464 Abs 1 ZPO) in Anbetracht des Umstands, dass diese auch bei Vorliegen besonderer Umstände wie außergewöhnlicher Schwierigkeit des Falls nicht verlängert werden können, bedenklich.20 Hier ist daran zu erinnern, dass die EKMR schon im Jahr 1974 Bedenken gegen die (damals 14-tägige) Frist zur Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde im Strafverfahren in Hinblick darauf äußerte, dass diese Frist nicht verlängert und die Beschwerde nachträglich nicht ergänzt werden kann.21 In der Folge hat der VfGH in der früheren (starren) vierwöchigen Frist zur Erhebung der Nichtigkeitsbeschwerde im Strafverfahren nach § 285 Abs 1 aF StPO einen Verstoß gegen Art 6 Abs 1 EMRK erblickt.22 Dieser Entscheidung lag ein außergewöhnlich umfangreiches Strafverfahren (WEB-Prozess) zugrunde. Allein das Protokoll der Hauptverhandlung umfasste mehrere tausend Seiten; der erwartete Umfang des Urteils betrug ebenfalls nicht unter tausend Seiten. Der VfGH hob § 285 Abs 1 aF StPO als verfassungswidrig auf, weil das Recht nach Art 6 Abs 3 lit b EMRK iVm Art 2 des 7. Zusatzprotokolls zur EMRK, über ausreichende Zeit und Gelegenheit zur Vorbereitung der Verhandlung zu verfügen, in Hinblick auf das Fehlen einer Möglichkeit, die Frist zu verlängern, nicht gewährleistet sei. Eine an sich zulässigerweise am Regelfall orientierte gesetzliche Bestimmung sei verfassungswidrig, wenn sie für einen besonderen Extremfall keine Ausnahmemöglichkeit zur Sicherstellung der in Rede stehenden Verfahrensgarantie bereithalte. Zwar stützt sich der VfGH in seiner Entscheidung ausschließlich auf Art 6 Abs 3 lit b EMRK und Art 2 des 7. Zusatzprotokolls, mithin spezifische Garantien für das Strafverfahren. Insoweit ist jedoch eine Besonderheit des Strafverfahrens nicht zu erkennen; dass eine allfällige Rechtsmittelfrist – will sie den Anforderungen des Art 6 Abs 1 EMRK genügen – ausreichend lang sein muss, um eine effektive Rechtsverfolgung bzw -verteidigung zu gewährleisten, ist evident.23 Zwar ist aus rechtstatsächlicher Sicht der Aktenumfang im Zivilverfahren üblicherweise geringer als im Strafverfahren; auch hier gibt es jedoch Großverfahren, in denen der 20

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So zum Strafverfahren Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention § 24 Rz 65; ders, Die Revisionsbegründungsfrist nach § 345 I StPO und das Recht auf angemessene Vorbereitung der Verteidigung (Art 6 III lit b EMRK), NJW 2002, 109 [111]; Hillenkamp, die Urteilsabsetzungsund die Revisionsbegründungsfrist im deutschen Strafprozess (1998) 109 ff. Zum Folgenden schon Kodek, Zur Zweiseitigkeit des Rekursverfahrens – Überlegungen aus Anlass der Entscheidung Beer gegen Österreich, ÖJZ 2004, 534 und 589. EKMR 5. 10. 1974, CD 46, 99, Huber gegen Österreich. Die Beschwerde wurde als unzulässig zurückgewiesen, sodass die diesbezüglichen Ausführungen der Kommission ein bloßes obiter dictum darstellen. VfGH v 16. 3. 2000 VfSlg 15.786. Vgl auch EGMR 28. 10. 1998 Perez de Rada Cavanilles gegen Spanien, Zl 28090/95, wo in der dreitägigen Frist für eine reposición nach spanischem Recht, bei der es zudem auf das Einlangen ankam, eine Verletzung des Art 6 Abs 1 EMRK erblickt wurde.

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Enquete „Beschleunigung von Verfahren als Gebot der Stunde“ – Sammel-, Musterklagen und andere Möglichkeiten Umfang des Verhandlungsstoffes und der Entscheidung die starre vierzehntägige Rekursfrist (§ 521 Abs 1 ZPO) oder (wohl häufiger noch) die vierwöchige Berufungsfrist (§ 464 Abs 1 ZPO) als zu kurz erscheinen lässt.24 Während für den Bereich des Strafverfahrens eine Reaktion des Gesetzgebers erfolgte,25 blieben die möglichen Implikationen für das Zivilverfahren allerdings bisher unbeachtet. III. Massenverfahren A. Notwendigkeit eines mehrspurigen Ansatzes Die vielfältigen Probleme, die Massenverfahren mit sich bringen, erfordern einen mehrspurigen Ansatz.26 Die hier erforderlichen Maßnahmen umfassen Anpassungen im Zuständigkeitsrecht ebenso wie die im Vorigen beschriebene Ausweitung der Möglichkeiten der Prozessleitung und den Ausbau des Zwischenurteils. Zur Sicherstellung der einheitlichen Entscheidung in erster Instanz ist an die Erweiterung der gesetzlichen Möglichkeiten zur Verfahrensverbindung und der Delegationsmöglichkeiten zu denken.27 Bestehende Möglichkeiten der Verfahrensbündelung wie insb die „Sammelklage österreichischer Prägung“ könnten erweitert und gesetzlich abgesichert werden. Spektakulärstes „Kernstück“ einer Neuregelung wäre sicherlich die Einführung eines dem österreichischen Recht bisher in dieser Form nicht bekannten Kollektivverfahrens, wie es sich – wenn auch im Einzelnen in völlig unterschiedlicher Ausgestaltung – im internationalen Vergleich immer mehr durchsetzt. Ob der diesbezüglichen Diskussion sollten aber Neuregelungen für die bessere Bewältigung komplexer (Einzel- wie Massen)Verfahren nicht außer Acht gelassen werden. Ergänzend wäre schließlich ein Mechanismus zur raschen Klärung von Rechtsfragen, die eine größere Zahl von Personen betreffen, zu schaffen. Dies kann ein Musterverfahren, aber auch die Einführung eines an § 54 ASGG angelehnten Instituts sein. Das Problem der Bagatell- und Streuschäden schließlich kann nicht im Weg des Verfahrensrechts, sondern nur durch eine materiellrechtliche Regelung etwa in Form einer Abschöpfung von „Unrechtsgewinnen“ gelöst werden.

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Damit soll keineswegs einer generellen Verlängerung der Rechtsmittelfrist das Wort geredet werden, zumal der Staat auch eine Entscheidung in angemessener Frist (Art 6 Abs 1 EMRK) sicherzustellen hat. Die Kritik richtet sich ausschließlich gegen das Fehlen einer Verlängerungsmöglichkeit. § 285 Abs 2 StPO idF BGBl I 2000/108 sieht nunmehr bei „extremem Umfang des Verfahrens“ ausdrücklich eine Möglichkeit zur Verlängerung der (weiterhin grundsätzlich vierwöchigen) Frist zur Erhebung der Nichtigkeitsbeschwerde um jenen Zeitraum vor, „der erforderlich ist, um eine ausreichende Vorbereitung der Verteidigung“ (Art 6 Abs 3 lit b EMRK und Art 2 des 7. Zusatzprotokolls) zu gewährleisten (vgl dazu die Mat 289 BlgNR 21. GP 7; Ratz in Wiener Kommentar StPO § 285 Rz 15 ff). Stadler, Individueller und kollektiver Rechtsschutz im Verbraucherrecht, in Micklitz, (Hrsg), Verbraucherrecht in Deutschland – Stand und Perspektiven, Tagungsband der 1. Bamberger Verbrauchertage 2004, 319; Kodek in Gabriel/Pirker-Hörmann, Massenverfahren 364 ff. Dazu Kodek in Gabriel/Pirker-Hörmann, Massenverfahren 364 ff. Jarolim, Beschleunigung von Verfahren als Gebot der Stunde, LexisNexis


Enquete von Dr. Hannes Jarolim B. Gründe für ein neues Kollektivverfahren Die bisherigen Erfahrungen mit Massenklagen zeigen, dass die bisher zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten zur angemessenen Bewältigung der damit verbundenen Herausforderungen nicht ausreichen. Ein Testprozess bietet eine ökonomisch sinnvolle Möglichkeit der Klärung von Tat- und Rechtsfragen, setzt aber eine entsprechende Kooperationsbereitschaft der Gegenseite voraus. Die Rechtsdurchsetzung darf aber nicht von der Kooperationsbereitschaft des Beklagten abhängen. Die Erhebung zahlreicher Einzelklagen führt zur Notwendigkeit der mehrfachen Klärung derselben Tat- und Rechtsfragen, was einerseits unter dem Gesichtspunkt der Prozessökonomie problematisch ist und andererseits die Gefahr der unterschiedlichen Beurteilung dieser Fragen mit sich bringt. Das Institut der Verbindung bietet hier nur beschränkt Abhilfe, zumal diese nur bei Personen- und Sachschäden (§ 31a JN) zwingend ist. Außerdem behalten auch bei Verbindung die Verfahren ihre rechtliche Selbständigkeit, sodass eine unterschiedliche Beurteilung gleicher Sach- und Rechtsfragen im Instanzenzug möglich ist. Bei einer sehr hohen Zahl von Parteien bzw Verfahren bereitet zudem die Verfahrenskoordination Schwierigkeiten, die von der Justiz mit dem herkömmlichen Instrumentarium schlicht nicht zu bewältigen sind. Dies gilt für die Verbindung mehrerer selbständiger Verfahren ebenso wie für die subjektive Klagshäufung (Klagserhebung durch Streitgenossen). Die traditionellen Möglichkeiten der Prozessleitung stoßen in echten Massenverfahren jedenfalls an ihre Grenzen. Hinzukommen rein faktische Probleme: Mehrere aus demselben Sachverhalt Geschädigte haben oft nur durch Zufall Kenntnis voneinander,28 sodass diese vielfach gar nicht Gelegenheit haben, ihre Ansprüche gemeinsam zu verfolgen. Diese Beobachtung zeigt, dass für die sachgerechte Bewältigung von Massenschäden eine gewisse Organisation erforderlich ist. Aus Gründen der Verfahrensökonomie, aber auch zur Sicherung des hier gebotenen Entscheidungsgleichklangs ist eine Beurteilung von Massenansprüchen in einem (zumindest weitgehend) einheitlichen Verfahren sinnvoll. Eine individuelle Klärung von Massenansprüchen in einer Fülle separater Einzelverfahren wäre nicht nur in Hinblick auf die dann mögliche unterschiedliche Beurteilung derselben Fragen durch verschiedene Gerichte oder gar einzelne Richter desselben Gerichts wenig wünschenswert, sondern auch praktisch vielfach schlicht nicht durchführbar, zumindest aber aus verfahrensökonomischer Sicht wenig zweckmäßig. Eine mehrfache Prozessführung wegen desselben Ereignisses bringt auch – was in der bisherigen Diskussion zu wenig beachtet wurde – nicht nur erhebliche Verfahrenskosten, sondern auch eine erhebliche Mehrfachbelastung nicht nur für die Gerichte, sondern auch für die Parteien, insbesondere den Beklagten, und Zeugen mit sich, weil sich diese dann mehrfach der Einvernahme zum selben Thema stellen müssen.29 Eine Bündelung der Verfahren und die damit 28 29

v Bar, GA 62. DJT (1998) A 89. Dieser mit der Einführung eines Kollektivverfahrens verbundenen justizentlastenden Wirkung trägt Oberhammer in seinem für den 19. ÖJT erstatteten Gutachten nicht ausreichend Rechnung; statt-

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Enquete „Beschleunigung von Verfahren als Gebot der Stunde“ – Sammel-, Musterklagen und andere Möglichkeiten eröffnete Möglichkeit zur einfacheren und rascheren Entscheidung des Verfahrens liegen nicht nur im Interesse der Allgemeinheit, sondern auch im wohlverstandenen Interesse der Parteien. Neben den angeführten prozessökonomischen Vorteilen bringt eine Bündelung der Verfahren auch eine psychologische Stärkung der Kläger im Prozess gegenüber einem möglicherweise überlegenen Gegner30 und dient solcherart in einem gewissen Sinn der Herstellung der Waffengleichheit. Zusätzlich ermöglicht die Anspruchsbündelung vielfach erst das Erreichen einer zur Erlangung einer Prozessfinanzierung erforderlichen Streitwerthöhe. Die Erfahrung zeigt, dass viele Verbraucher das Prozesskostenrisiko scheuen. Gerade bei geringen Streitwerten werden Verfahren deshalb überhaupt nicht geführt, bei höheren Streitwerten bietet teilweise die Einschaltung eines Prozesskostenfinanzierers Abhilfe. Die Zulässigkeit dieser Form der Finanzierung von Verfahren ist mittlerweile grundsätzlich anerkannt.31 Allerdings finanzieren Prozesskostenfinanzierer nur hohe Streitwerte (idR ab ca € 50.000,– bis 100.000,–), sodass die Notwendigkeit besteht, mehrere Ansprüche zu bündeln, um die entsprechende „kritische Masse“ zu erreichen. Diese Möglichkeit setzt jedoch voraus, dass eine Institution (in der Praxis bisher regelmäßig ein Verband) die entsprechende „Organisationsarbeit“ übernimmt und die Verfahrensführung vorbereitet. Die Bündelung kann im Übrigen auch einen entscheidenden Beitrag zur Sicherstellung der Qualität der Vertretung leisten: Ein einzelner Kläger kann sich eine der Rechtsvertretung des Beklagten, der nicht nur über enorme Mittel, sondern auch das aus einer Vielzahl von Verfahren gewonnene „Know-how“ verfügt, entsprechende Qualität der Vertretung nicht leisten.32Hier kann ein „Einzelkämpfer“ mit wirtschaftlich vertretbarem Aufwand nicht „gleichziehen“. Aber nicht nur der Kläger, sondern auch der Beklagte hat regelmäßig ein Interesse an einer möglichst einheitlichen Entscheidung in einem raschen und kostengünstigen Verfahren.33 Dies führte in anderen Ländern bereits dazu, dass mitunter sogar der Beklagte die Initiative zur Bündelung der Ansprüche der Kläger ergriff und teilweise sogar deren Kosten übernahm.34 Die in einigen Mitgliedstaaten mittlerweile vorgesehenen bzw geplanten Vergleichsverfahren nach dem Vorbild des niederländischen

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dessen beklagt er Qualitätsverlust durch Versuche, bei der Beweisaufnahme „abzukürzen“, ohne jedoch praktikable Alternativen aufzuzeigen. Rechberger, Prozessrechtliche Aspekte von Kumul- und Großschäden, VR 2003, 15 (18); Braun, Haftung für Massenschäden, NJW 1998, 2318 (2322). Vgl E. Wagner, Rechtsprobleme der Fremdfinanzierung von Prozessen, JBl 2001, 416; 6 Ob 224/12b EvBl-LS 2013/94 = RdW 2013/264. Insoweit zutreffend Oberhammer, Gutachten 149 ff. Ein allfälliges Interesse des Beklagten, dass wegen Fehlens ausreichender prozessualer Möglichkeiten oder des hohen Kostenrisikos bestehende materielle Ansprüche gegen ihn nicht geltend gemacht werden (können), ist demgegenüber naturgemäß nicht schutzwürdig. So im Fall Equitable Life Assurance Society v Hyman, in dem die representative action namens 90.000 Betroffenen von der beklagten Lebensversicherungsgesellschaft bezahlt wurde (Andrews, Multi-Party Proceedings in England: Representative and Group Actions, ZZPInt 2000 3 (15 FN 50). Jarolim, Beschleunigung von Verfahren als Gebot der Stunde, LexisNexis


Enquete von Dr. Hannes Jarolim WCAM können daher entweder ausschließlich oder zumindest auch auf Initiative des Schuldners eingeleitet werden.35 Für eine Reform spricht auch die zunehmende Tendenz von Klägern, in spektakulären Fällen auch ohne Binnenbezug ihre Ansprüche in den USA, neuerdings auch in Großbritannien oder den Niederlanden, geltend zu machen. Nun machen vor allem Unterschiede auf dem Gebiet des materiellen Rechts, insbesondere die Neigung amerikanischer (Geschworenen-)Gerichte zu hohen Zusprüchen, die Attraktivität der USA als Gerichtsort aus. Allerdings spielen hier auch verfahrensrechtliche Überlegungen eine Rolle. Aufgrund der sogenannten forum non conveniens-Doktrin hat das Gericht eine Interessenabwägung vorzunehmen, in deren Rahmen zu beurteilen ist, ob die Geltendmachung des Anspruchs in einem anderen Land sinnvoller wäre. In diesem Zusammenhang wird von den Klägern vielfach argumentiert, in Europa stünde kein Verfahren zur effizienten Bewältigung von Massenstreitigkeiten zur Verfügung. Die Einführung eines effizienten Instrumentariums zur Bewältigung von Massenstreitigkeiten könnte bewirken, dass die Abwägung hier zugunsten des Gerichtsstands Europa ausfällt. Damit ist die Einführung eines Massenverfahrens auch zur Behauptung der österreichischen Justizhoheit gegenüber den USA erforderlich. Längst hat auch ein Wettlauf zwischen einzelnen Staaten als Verfahrensstandort für lukrative Großverfahren eingesetzt.36 In diesem Wettlauf ist Österreich noch nicht einmal gestartet. Das Ergebnis ist, dass auch österreichische (vorerst: Groß-)Anleger ihre Schadenersatzansprüche in England oder in den Niederlanden geltend machen. Demgegenüber schließen amerikanische Gerichte europäische Anleger gerade im Zusammenhang mit Anlegerentschädigung zunehmend aus class actions aus,37 sodass europäische Geschädigte nicht mehr in die USA „ausweichen“ können. Dabei kann, worauf unlängst Stadler38 treffend hingewiesen hat, die in manchen Staaten zu beobachtende Reformverweigerung ihr Ziel, die heimische Wirtschaft vor kollektiven Schadenersatzklagen zu schützen, ohnedies nicht mehr erreichen. Jedenfalls in Fällen einer gemeinsamen Verursachung von Massenschäden wie im Kartellrecht müssten deutsche Firmen (Gleiches gilt selbstverständlich für österreichische Unternehmen) mit einer Einbeziehung in entsprechende Klagen in Großbritannien oder den Niederlanden oder an Orten iSd Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012 rechnen. Die Anerkennungsverweigerung schützt nur vor einer Vollstreckung im Inland. Im Übrigen ist, soweit beim Opt-out Verfahren eine adäquate Verständigung der Gruppenmitglieder

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Zum diesbezüglichen Interesse des Beklagten auch Oberhammer, Gutachten 84. Stadler, The Commission’s Recommendation on Common Principles of Collective Redress and Private International Law Issues, in Lein/Fairgrieve/Crespo/Smith, Collective Redress in Europe – Why and How? (2015) 235 (240). Fallmaterial bei Pinna, 1 Erasmus Law Review (2008) 31 (40 ff). Stadler, ZfPW 2015, 61 (84)

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Enquete „Beschleunigung von Verfahren als Gebot der Stunde“ – Sammel-, Musterklagen und andere Möglichkeiten gesichert ist und für ausländische Gruppenmitglieder ein Opt-in Prinzip gilt, keineswegs gesichert, dass der ordre public-Einwand greift.39 Mit der „Sammelklage“ österreichischer Prägung verfügt die österreichische Rechtsordnung über ein Institut, das zur Bündelung der Ansprüche mehrerer Geschädigter und zur Prozessfinanzierung an sich in hohem Maße geeignet ist. Dennoch kann es sich dabei nicht um die einzige Möglichkeit der Durchsetzung von Massenansprüchen handeln. Die Gründe dafür liegen mE auf mehreren Ebenen: Ein wesentlicher Nachteil ist materiell-rechtlicher Natur. Die Abtretung des Anspruchs darf nicht das einzige von der Rechtsordnung zur Verfügung gestellte Mittel zur Durchsetzung von eigenen Ansprüchen sein. Die Rechtsdurchsetzung muss vielmehr auch jenen Geschädigten offenstehen, die – aus welchen Gründen immer – eine Abtretung an einen der in § 29 KSchG angeführten Verbände nicht wünschen. Hier ist vor allem daran zu denken, dass ein Geschädigter die mit dem derzeitigen Modell der Sammelklage in der Praxis zwingend verbundene Inanspruchnahme der Prozessfinanzierung nicht wünscht. Dazu kommen jedoch „handfeste“ praktische Gründe: Die klagebefugten Verbände sind nicht verpflichtet, die Organisation aller möglicherweise auftretender Massenverfahren zu übernehmen. Bei einer größeren Zahl derartiger Verfahren stoßen die Verbände wohl bald an die Grenzen ihrer personellen und finanziellen Ressourcen. Die Organisation der Geltendmachung von Massenansprüchen ist aber eine wesensgemäß öffentliche Aufgabe; diese erfordert aber die Zurverfügungstellung ausreichender Mittel. Die Rechtsdurchsetzung muss jedenfalls unabhängig davon möglich sein, ob der Kläger einen Verband findet, der im Wege der Inkassozession seine Ansprüche geltend macht. Zu diesen faktischen Grenzen des Sammelklagemodells kommen spezifisch prozessrechtliche Einwände: Zunächst führt die Zwischenschaltung eines Verbands im Wege der Inkassozession nach der Rechtsprechung des EuGH dazu, dass der Verbraucher den Verbrauchergerichtsstand verliert.40 Klagen gegen Beklagte mit Sitz im Ausland könnten dann nicht am Wohnsitz des Verbrauchers, sondern – sofern nicht ein Wahlgerichtsstand nach Art 5 EuGVVO zur Verfügung steht – nur im Ausland erhoben werden. Dies bringt naturgemäß eine faktische Erschwerung der Rechtsdurchsetzung mit sich. Auch kann sich ein in Österreich klagebefugter Verband im Ausland nicht auf die ihn in Österreich begünstigenden verfahrensrechtlichen Sonderbestimmungen, insbesondere die Regelung der erweiterten Revisionszulässigkeit nach § 502 Abs 5 Z 3 ZPO, berufen. Damit hängt ein weiterer Nachteil zusammen: Die Geltendmachung von Ansprüchen durch einen Verband im Wege der Inkassozession ist verfahrensrechtlich 39

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Stadler aaO. Vgl auch Fentiman in Nuyts/Hatzimihail, Cross-Border Class Actions. The European Way (2014) 85 ff; Fairgrieve in Fairgrieve/Lein, Extraterritoriality and Collective Redress (2012) Ch 10; Stadler, Die internationale Anerkennung von Urteilen und Vergleichen aus Verfahren des kollektiven Rechtsschutzes mit opt-out Mechanismen, FS Schütze (2014) 561 ff. Dazu näher Kodek in Gabriel/Pirker-Hörmann, Massenverfahren (2005) 311 ff. Jarolim, Beschleunigung von Verfahren als Gebot der Stunde, LexisNexis


Enquete von Dr. Hannes Jarolim vor allem wegen des überindividuellen Interesses und des Beitrags zur Rechtsentwicklung begünstigt. Die Erhebung einer Klage im Ausland vermag aber keinen Beitrag zur Rechtsentwicklung in Österreich zu leisten. C. Grundzüge der Ausgestaltung 1. Einleitung Die Rechtsvergleichung ein sehr heterogenes Bild. Nahezu in allen Fragen der Ausgestaltung des Verfahrens bestehen große Unterschiede. Diese reichen vom Anwendungsbereich über die Konstituierung der Gruppe (Stichwort Opt-in oder Opt-out). Während einige Staaten eine Verfahrenseinleitung durch Einzelpersonen kennen, setzen die meisten Länder auf eine Verfahrenseinleitung durch Organisationen („ideological plaintiff“), um solcherart möglichen Missbräuchen vorzubeugen. Im Vergleich zu Individualverfahren kommen dem Gericht vielfach schon bei der Verfahrenseinleitung, vor allem aber bei Abschluss eines Vergleichs verstärkte Überwachungsbefugnisse zu.41 Im Folgenden werden die zentralen Punkte einer künftigen Neuregelung diskutiert. Dabei wird auf den seinerzeit vom Verfahren erarbeiteten Vorschlag42 zurückgegriffen, aber auch auf neuere Entwicklungen eingegangen. 2. Repräsentationslösung Ein Modell, das – nach dem Vorbild des § 9 Abs 2 KuratorenG43 oder dem deutschen KapMuG – den einzelnen Anspruchsinhabern den Beitritt als Nebenintervenient eröffnet44, ist nicht geeignet, die sich in einem echten Massenverfahren ergebenden rein manipulativen Probleme angemessen zu bewältigen. Die wirtschaftliche Bewältigung derartiger Verfahren in angemessener Dauer ist nur bei Einschränkung individueller Verfahrensrechte und deren Ersatz durch eine Repräsentationslösung möglich. Jede Kollektivierung des Rechtsschutzes bewirkt zwangsläufig eine gewisse Mediatisierung der Einzelkläger und führt damit zur Einschränkung der Parteiherrschaft.45 Ein Prozess 41 42 43

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Für eine Überwachung des Vergleichs und der Organisatoren des Verfahrens durch das Gericht de lege ferenda Oberhammer, Gutachten 147 ff. Kodek in Gabriel/Pirker-Hörmann, Massenverfahren 311. KuratorenG 1874 RGBl 95. Dazu Kalss, Anlegerinteressen. Der Anleger im Handlungsdreieck von Vertrag, Verband und Markt (200) 405; Kodek in Gabriel/Pirker-Hörmann, Massenverfahren (2005) 332. In gewissem Sinn vergleichbare Bestimmungen finden sich in § 225e Abs 1 und Abs 2 Satz 3 AktG, § 33 Abs 2 Z 4 erster Satz und § 33 Abs 3 zweiter Satz ÜbG, wonach in einem Verfahren zur Überprüfung der Angemessenheit des verschmelzungsrechtlichen Umtauschverhältnisses oder des Preises eines Pflichtangebots die Aktionäre (Inhaber von Beteiligungspapieren) das Recht haben, neben dem jeweiligen gemeinsamen Vertreter ihre Rechtsposition zu vertreten (vgl Kalss, Anlegerinteressen 422). Hess, Der Regierungsentwurf für ein Kapitalmusterverfahrensgesetz – eine kritische Bestandsaufnahme, WM 2004, 2329. Bedenken gegen eine derartige Mediatisierung der repräsentierten Kläger in

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Enquete „Beschleunigung von Verfahren als Gebot der Stunde“ – Sammel-, Musterklagen und andere Möglichkeiten mit hunderten oder gar Tausenden Klägern mit teilweise widersprüchlichem Vorbringen und Anträgen ist schlicht nicht administrierbar. Entgegen einer mitunter erhobenen Behauptung ist eine derartige Bündelung verfassungsrechtlich unbedenklich. Hier sind zwei Entscheidungen des EGMR aufschlussreich. Die erste Entscheidung, Lithgow ua gegen United Kingdom46, betraf die Verstaatlichung großer Teile der Industrie in Großbritannien nach dem Aircraft and Shipbuilding Industries Act 1977. Im Verfahren über die Höhe der Enteignungsentschädigung konnte nur der Stockholders’ Representative auftreten Ratio dieser Regelung war die Überlegung, dass Verhandlungen und ein Schiedsverfahren mit einer Vielzahl von individuellen Ansprüchen nicht handhabbar („unworkable“) wären.47 Der EGMR erblickte in dieser Regelung keine Verletzung des Rechts des Beschwerdeführers auf Zugang zu einem Gericht.48 Ausdrücklich wies der Gerichtshof darauf hin, dass das Gesetz aus dem Jahr 1977 ein kollektives Rechtsschutzsystem vorsehe.49 Die Interessen der einzelnen Aktionäre würden in diesem System indirekt wahrgenommen. Die Beschränkung des individuellen Zugangs zum Gericht verfolgte nach Auffassung des Gerichtshofs ein legitimes Ziel, nämlich das Bestreben, im Zusammenhang mit einer umfangreichen Enteignungsmaßnahme, eine Vielzahl von Ansprüchen und Verfahren, die von einzelnen Aktionären eingeleitet werden, zu vermeiden. In Anbetracht der Rechte und Pflichten des Representative und des dem Staat zukommenden Gestaltungsspielraums sei auch die Verhältnismäßigkeit der Regelung zu bejahen. Diese Rechtsprechungslinie wurde in einer jüngeren Entscheidung vom Gerichtshof erneut bestätigt.50 In Wendenburg ua gegen Deutschland hatte sich der Gerichtshof mit der Beschwerde mehrerer deutscher Rechtsanwälte zu befassen, die sich gegen die Aufhebung der Singularzulassung durch ein Urteil des BVerfG wandten. Der EGMR hielt die Beschwerde für offenbar unbegründet. Zwar habe das Verfahren vor dem BVerfG civil rights iSd Art 6 EMRK der Beschwerdeführer betroffen. Wenngleich die Beschwerdeführer im Verfahren vor dem BVerfG nicht persönlich auftreten konnten, begründe dies jedoch keinen Verstoß gegen Art 6 EMRK. Der Gerichtshof nahm Bezug auf die Entscheidung im Fall Lithgow und führte aus, dass nach dieser Entscheidung in Verfahren, die eine Vielzahl von Personen betreffen, es nicht immer notwendig oder auch nur möglich ist, dass jeder einzelne Betroffene im Gerichtsverfahren auftreten

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Hinblick auf den Justizgewährungsanspruch bei Hess/Michailidou, WM 2003, 2318 (2322); Hess, WM 2004, 2329 (2333 FN 77). Ähnlich zum KuratorenG Kalss, Anlegerinteressen 411. Lithgow and others v. United Kingdom, EGMR 24. 6. 1986, application nr 9006/80. Vgl die Wiedergabe der nationalen Rechtslage unter Nr 28 des zit Urteils. Vgl Nr 196 des zit Urteils: „Notwithstanding this bar on individual access, the Court does not consider that in the particular circumstances the very essence of Sir William Lithgow’s right to a court was impaired.” Nr 196 des zit Urteils. EGMR v 6. 2. 2003, Wendenburg ua gegen Deutschland, application no. 71630/01. Jarolim, Beschleunigung von Verfahren als Gebot der Stunde, LexisNexis


Enquete von Dr. Hannes Jarolim kann.51 Im vorliegenden Fall habe die Entscheidung die Stellung zahlreicher Rechtsanwälte betroffen. In Hinblick auf die praktischen Schwierigkeiten habe das BVerfG den Anforderungen des Art 6 EMRK durch die Anhörung von Berufsverbänden Genüge getan. Diese Entscheidungen zeigen, dass eine Gruppenklage ohne Möglichkeit eines „Opt-out“ bei Wahrung entsprechender Kautelen mit Art 6 EMRK durchaus vereinbar ist. 3. Opt-in, Opt-out oder weder noch?52 Die Diskussion um die Ausgestaltung von Kollektivverfahren konzentriert sich vielfach auf die Frage der Konstituierung der Gruppe,53 nämlich ob diese nur aus jenen Personen bestehen soll, die sich aktiv für die Teilnahme am Verfahren entscheiden (Opt-in), oder aus allen Personen, die nicht hinausoptieren (opt-out). Treffend wird davon gesprochen, in Anbetracht der vielfach zu konstatierenden Trägheit (inertia bias) stelle eine default-Lösung einen starken „nudge“54 dar.55 Im internationalen Vergleich finden sich beide Lösungen. Während das amerikanische Verfahren vom Modell des opt-out ausgeht, hat sich der schwedische Gesetzgeber – nach längerem Schwanken während der Vorbereitungsarbeiten – für eine Opt-in Lösung entschieden. Dieser Lösung hat sich auch der Entwurf Micklitz/Stadler angeschlossen.56 Auch die EU-Empfehlung favorisiert deutlich ein Opt-in Verfahren. Andererseits folgen nicht nur der niederländische WCAM-Verfahren, sondern auch die derzeit in England und Wales diskutierten Erweiterungen des kollektiven Rechtsschutzes für Kartellschadensatz dem opt-out Modell. Schon dieser Befund zeigt, dass es hier keine aus rechtspolitischer Sicht eindeutig „richtige“ oder „falsche“ Lösung gibt. Die für oder gegen Opt-in bzw Opt-out sprechenden Argumente sind bekannt: Befürworter einer Opt-in Lösung argumentieren damit, dass dadurch Abgrenzungsfragen weitgehend erübrigt würden; außerdem entfallen Zuständigkeitsprobleme, wenn sich ein Gruppenmitglied freiwillig dem Verfahren anschließt. Für das Opt-out Modell spricht demgegenüber die damit erreichte stärkere Bündelung und die dadurch tendenziell stärkere Gerichtsentlastung. Eine stärkere Bündelung kann im Hinblick auf einen

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S 28 des Urteils: „However, the Court has already held that in proceedings involving a decision for a collective number of individuals, it is not always required or even possible that every individual concerned is heard before the court“ (unter Berufung auf die Vorentscheidung im Fall Lithgow). Zum Folgenden auch Kodek, Class Actions – Some Reflections from a European Perspective, in Lein/Fairgrieve/Crespo/Smith, Collective Redress in Europe – Why and How? (2015) 117. Plastisch der Titel der Arbeit von A. Johnson, To „Opt-in“ or to „Opt-out“ – That is the Question, in Lein/Fairgrieve/Crespo/Smith, Collective Redress in Europe – Why and How? (2015) 61. Dieser in der Verhaltensökonomie entwickelte Begriff wird mit dem deutschen Äquivalent „Anstoß“ nur unzureichend wiedergegeben. ELI Statement 43, unter Berufung auf C. Sunstein/R. Thaler, Nudge, Yale University Press (2008) 1 und 105 ff. Micklitz/Stadler, Das Verbandsklagerecht in der Informations- und Dienstleistungsgesellschaft (2005).

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Enquete „Beschleunigung von Verfahren als Gebot der Stunde“ – Sammel-, Musterklagen und andere Möglichkeiten Vergleichsabschluss auch durchaus im Interesse des Beklagten sein.57 Ein weiterer Vorteil desOopt-out Modells liegt schließlich darin, dass dieses zumindest vordergründig das Problem der Bagatell- und Streuschäden besser bewältigt. Gegen das Opt-out Modell wird üblicherweise ins Treffen geführt, dass dieses zu einer verfassungsrechtlich problematischen „Zwangsgemeinschaft“ der Kläger führe. In dieser Allgemeinheit ist mE diesen Argumenten nicht zu folgen. Der verfassungsrechtliche Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs nach Art 6 EMRK erfordert nur die Möglichkeit der Rechtsverteidigung, nicht die tatsächliche Teilnahme am Verfahren.58 Außerdem können sich Abgrenzungsfragen auch bei einem Opt-in Modell stellen. Die Anhängigkeit des Gruppenverfahrens muss nämlich – will das Verfahren sein Ziel erreichen – mit einer Sperre der individuellen Rechtsverfolgung einhergehen. Für die Zulässigkeit der Einzelrechtsverfolgung ist daher auch bei einem Opt-in Modell die Frage der Zugehörigkeit des Klägers zur betreffenden Gruppe in einem bereits anhängigen Gruppenverfahren zu beantworten. Für ein Opt-in Modell spricht hingegen die eher pragmatische Überlegung, dass dann die Kostenersatzpflicht leichter zu regeln ist. Die stärksten Bedenken gegen ein Opt-out Modell nach amerikanischem Vorbild ergeben sich mE daraus, dass es hier nicht nur zu einer Bindung aller Gruppenmitglieder an das Ergebnis des Verfahrens kommt, sondern dass auch ohne jede Eigeninitiative der Mitglieder ihre jeweiligen individuellen Ansprüche geprüft werden, dass also der zivilprozessuale Dispositionsgrundsatz ausgehöhlt wird. Dies bedeutet einen erheblichen Wertungswiderspruch zu sonstigen Formen der Rechtsdurchsetzung im (streitigen und außerstreitigen) Zivilverfahren sowie im Exekutions- und Insolvenzverfahren. Dieser Widerspruch lässt sich jedoch dadurch vermeiden, dass man zwar alle Gruppenmitglieder an die im Gruppenverfahren ergehende Entscheidung über gemeinsame Tat- und Rechtsfragen bindet, diese also gewissermaßen „vor die Klammer zieht“,59 für die Geltendmachung eines individuellen Anspruchs aber stets eine entsprechende Eigeninitiative des Mitglieds verlangt. Ein derartiges Modell wäre mit traditionellen Grundsätzen des österreichischen Verfahrensrechts durchaus vereinbar. Zwar wäre dann wegen des Fehlens einer Möglichkeit hinauszuoptieren die Bündelungswirkung des Gruppenverfahrens insoweit sogar stärker als bei einer class action in den USA, aber andererseits dadurch abgeschwächt, dass die Entscheidung über einen konkreten

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Arons/van Boom, Beyond Tulips and Cheese: Exporting Mass Securities Claim Settlements from the Netherlands, European Business Law Review, vol. 21 (2010) 85; Kramer, Enforcing Mass Settlements in the European Judicial Area: EU Policy and the Strange Case of Dutch Collective Settlements, in Hodges/Stadler, Resolving Mass Disputes (2013) 63. Vgl Rechberger/Kodek, Mahnverfahren in der Europäischen Union (2001) 40. Zu einem derartigen Modell näher Kodek in Gabriel/Pirker-Hörmann, Massenverfahren (2005) 386 ff. Zu Folgefragen E. Rieder, Die objektiven Grenzen der Rechtskraft im Gruppenverfahren (2011). Auch Oberhammer, Gutachten 142, 160, plädiert dafür, den „gordischen Knoten“ durch eine einheitliche Entscheidung gemeinsamer Fragen mit allseitiger Bindungswirkung zu durchschlagen. Jarolim, Beschleunigung von Verfahren als Gebot der Stunde, LexisNexis


Enquete von Dr. Hannes Jarolim Anspruch stets von einer entsprechenden Geltendmachung durch das betreffende Gruppenmitglied abhängt. Aus praktischer Sicht ist zudem darauf hinzuweisen, dass die Beobachtung, dass in den USA die Möglichkeit des opt-out nur überaus selten in Anspruch genommen wird, nicht ohne Weiteres auch Prognosen für Österreich zulässt. Die in den USA bei der Ausübung des Hinausoptierens zu beobachtende Zurückhaltung ist nicht nur durch Gleichgültigkeit der Gruppenmitglieder und mangelnde Eigeninitiative, sondern auch durch die enorm hohen Verfahrenskosten zu erklären, die eine Einzelrechtsverfolgung mit sich brächte. Ist bereits eine Sammelklage anhängig, wird ein Gruppenmitglied vielfach keinen Anwalt finden, der sich zur Übernahme des Falles auf Basis eines Erfolgshonorars bereiterklärt, weil dieses dann nur ausgehend vom niedrigeren Einzelanspruch berechnet werden könnte. Demgegenüber wäre in Österreich in Hinblick auf die niedrigeren Rechtsverfolgungskosten und die Verbreitung von Rechtsschutzversicherungen wohl eine größere Zahl von hinausoptierenden Gruppenmitgliedern zu erwarten. Das WEB-Verfahren zeigt, dass hier mehrere Kläger den Weg einer Einzelklage anstatt der Sammelklage gewählt haben. Auch in den vielen Anlegerprozessen gibt es regelmäßig eine Fülle von Einzelklägern, die sich keiner organisierten Sammelklage anschließen. Dies ist nicht nur aus verfahrensökonomischer Sicht unbefriedigend, sondern auch in Hinblick auf den grundsätzlich anzustrebenden Entscheidungsgleichklang. Ist im Gruppenverfahren für einen angemessen Schutz der Interessen der einzelnen Mitglieder gesorgt (was bei einer Opt-in Lösung ebenso wie bei einer opt-out Lösung gewährleistet sein muss), so besteht auch aus Sicht des Verfassungsrechts kein Grund, ein opt-out vorzusehen. Sowohl aus verfahrensökonomischer Sicht als auch in Hinblick auf die möglichst einheitliche Beurteilung der maßgeblichen Tat- und Rechtsfragen bietet ein derartiges Modell ohne opt-out Möglichkeit mE die größten Vorzüge, weil dadurch auch eine Flut späterer Einzelprozesse, in denen die bereits in der Gruppenklage geklärten Fragen neu aufgerollt werden müssten, verhindert wird. Unabhängig davon, ob man das Gruppenverfahren als Opt-in oder als Opt-out Verfahren ausgestaltet, sollte dieses im Interesse der Verfahrenskonzentration und Prozessökonomie eine Sperrwirkung für Einzelverfahren aus demselben anspruchsbegründenden Sachverhalt nach sich ziehen.60 Andernfalls könnte das Gruppenverfahren seine justizentlastende Funktion nicht erfüllen. Dies entspricht auch der Regelung des § 5 KapMuG, nach dem mit Erlass des Vorlagebeschlusses die Einleitung weiterer Musterverfahren unzulässig ist.61

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Vgl schon Stadler, Verh 62. DJT (1998) Bd II/1 I 52. Keine taugliche Alternative bietet der wenig präzise Vorschlag von Gidi, Class Actions in Brazil – A Model for Civil Law Countries, 51 American Journal of Comparative Law 311 [400]: “Traditional civil-law rules of lis pendens must be sacrificed in the interest of absent class members. The best solution would be a flexible mechanism to merge the actions, to choose the class action with the broadest scope, to allow the plaintiff in one class action to intervene in the other and make a new claim if necessary, or a combination of these devices.” Zu dieser Sperrwirkung Reuschle, WM 2004, 2334 (2338).

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Enquete „Beschleunigung von Verfahren als Gebot der Stunde“ – Sammel-, Musterklagen und andere Möglichkeiten Wenngleich damit die „Bündelungswirkung“ eines Gruppenverfahrens in gewisser Weise diejenige einer class action in den USA übertrifft,62 ist dies doch in gewisser Weise dadurch „entschärft“, dass nach dem hier vorgeschlagenen Modell zwar die Entscheidung über Vorfragen alle Gruppenmitglieder bindet, die Zuerkennung oder Abweisung eines Einzelanspruchs jedoch stets das Auftreten eines Klägers und damit dessen Eigeninitiative erfordern. Damit wird dem herkömmlichen Verständnis des Dispositionsgrundsatzes Rechnung getragen. Dieser Vorschlag stellt jedoch nur eine von mehreren Gestaltungsmöglichkeiten dar. Die vorschnelle Festlegung der EU-Empfehlung (und vieler Mitgliedstaaten) auf das Opt-in Modell verstellt den Blick auf kreativere Möglichkeiten. Hier bestehen vielfältige Abstufungsmöglichkeiten hinsichtlich Intensität und Gegenstand der Bindung, aber auch – wie das Beispiel Frankreich zeigt – hinsichtlich des Zeitpunkts des Beitritts. Immerhin ist auch eine Lösung wie in Belgien, nach der der Richter entscheidet, ob die Gruppe durch Opt-in oder Opt-out konstituiert wird, mit der Empfehlung vereinbar. Nach diesem Modell sind die Umstände des Einzelfalls, insb Art und Anzahl der Kläger, die Natur des Anspruchs und der Gesamtzusammenhang des Verfahrens zu berücksichtigten.63 4. Einheitliche Beurteilung gemeinsamer Tat- und Rechtsfragen Die alle Gruppenmitglieder in gleicher Weise betreffenden gemeinsamen Tat- und Rechtsfragen sollen nach Möglichkeit in einem Verfahren geklärt werden.64 Bildlich gesprochen sollen diese gewissermaßen „vor die Klammer gezogen“ werden. Dies führt zu dem Problem, welche Fragen generell gelöst werden können und welche nicht. Diese Frage lässt sich nicht vordergründig auf die Unterscheidung zwischen Grund und Höhe des Anspruchs reduzieren. Vielmehr ist teilweise schon der Grund des Anspruchs individuell zu beurteilen. Als Beispiel ist hier an die ab Kenntnis des Geschädigten laufende (kurze) Verjährungsfrist von Schadenersatzansprüchen, aber auch etwa an unterschiedliche (schriftliche oder mündliche) Angaben gegenüber Kapitalanlegern zu denken. Aus diesem Grund eignet sich die mangelhafte Anlageberatung oder -vermittlung wegen des individuellen Charakters der Dienstleistung weniger für eine gemeinsame Anspruchsdurchsetzung.65 Auch hier sind aber zumindest einzelne Elemente, etwa die (objektive) Unrichtigkeit bestimmter Informationen oder der Wert der empfohlenen oder vermittelten Beteiligungen einer generellen Klärung zugänglich. Abgesehen von diesem (Sonder-)Fall finden sich jedoch gerade im Bereich des Kapitalmarktrechts zahlreiche Beispiele, in denen eine Vielzahl von Anlagern durch Fehlleistungen des Emittenten oder von Finanzdienstleistern in völlig gleicher Weise betroffen

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So auch die Beobachtung von Hess, WM 2004, 2329, zum Entw KapMuG. Vgl ELI Statement 44 ff. Dazu Kodek in Gabriel/Pirker-Hörmann, Massenverfahren 386 ff. Kalss, ÖBA 2005, 322 (327 ff). Jarolim, Beschleunigung von Verfahren als Gebot der Stunde, LexisNexis


Enquete von Dr. Hannes Jarolim sind, sodass hier eine kollektive Rechtsdurchsetzung besonders angebracht erscheint.66 Hierzu gehören vor allem Prospekt- und sonstige Informationsmängel.67 Aber auch die Klärung von Veranlagungsfehlern kann idR generell erfolgen.68 Wenngleich es sich bei Anlegerschäden – wie die bisherigen Erfahrungen in Österreich und Deutschland zeigen – um einen Hauptanwendungsfall von Massenschäden handelt, sollte ein künftiges Gruppenverfahren jedoch nicht auf diese Konstellation beschränkt werden. Bei den bisherigen Überlegungen stand die gemeinsame Klärung (von Teilaspekten) des Grunds des Anspruchs im Vordergrund. In manchen Fällen kann aber auch die Schadenshöhe generell gelöst werden. Zutreffend hat in diesem Zusammenhang Stadler darauf hingewiesen, dass letztlich jede Form des kollektiven Rechtsschutzes, unabhängig vom Klageziel, immer in einem gewissen Spannungsverhältnis zur Einzelfallgerechtigkeit steht.69 Andererseits ist gerade die – bei aller Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls – einheitliche Beurteilung der Höhe des Anspruchs wünschenswert. Dies leuchtet bei Vermögensschäden unmittelbar ein. Hier ist etwa die Frage des Ersatzes entgangenen Gewinns oder nur des positiven Schadens oder von Höhe und Beginn des Zinsenlaufs zu denken. Aber auch bei Massenpersonenschäden ist eine einheitliche Beurteilung vielfach wünschenswert.70 So wäre es den Betroffenen und der Allgemeinheit wohl schwer verständlich, wenn im Fall eines Eisenbahn- oder Flugzeugunglücks ein allfälliges Schmerzengeld für Angehörige unterschiedlich hoch bemessen und damit der Eindruck vermittelt würde, dass einzelne Tote mehr „wert“ seien als andere.71 Die damit gebotene einheitliche Beurteilung einzelner Rechts- oder Tatfragen bedingt auch eine Ausweitung des bisher möglichen Gegenstands der Entscheidung und eine Modifikation der bisherigen Konzeption der Rechtskraft- und Bindungswirkung.72 Nach völlig einhelliger Auffassung erwächst nur der Spruch einer Entscheidung in Rechtskraft, nicht aber die Entscheidungsgründe.73 Diese sind vielmehr nur zur Konkretisierung des Spruchs heranzuziehen. Im vorliegenden Zusammenhang geht es demgegenüber um eine dem österreichischen Verfahrensrecht bisher weitgehend fremde Bindung an Vorfragen und Tatsachenfeststellungen. 66 67 68 69

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Vgl dazu Kalss, Massenverfahren im Kapitalmarktrecht, ÖBA 2005, 322 ff. Vgl Kalss, Massenverfahren im Kapitalmarktrecht, ÖBA 2005, 322 ff. Kalss, ÖBA 2005, 322 (323 ff). Stadler, Individueller und kollektiver Rechtsschutz im Verbraucherrecht, in Micklitz, (Hrsg), Verbraucherrecht in Deutschland – Stand und Perspektiven, Tagungsband der 1. Bamberger Verbrauchertage 2004, 319. Skeptisch hier aber Gerda Müller, Haftungsrechtliche Probleme des Massenschadens, VersR 1998, 1181 (1187). Diese Überlegung steht selbstverständlich einer individuellen Bemessung des Schmerzengeldes nicht entgegen. Sie richtet sich nur gegen eine unterschiedliche Festsetzung in jedem Einzelfall ohne ersichtlichen Grund. Instruktiv ElisabethRieder, Die objektiven Grenzen der Rechtskraft im Gruppenverfahren (2011). Vgl hierzu – auch mit den hier gebotenen Einschränkungen – Fasching/Klicka in Fasching/Konecny² § 411 ZPO Rz 62 ff.

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Enquete „Beschleunigung von Verfahren als Gebot der Stunde“ – Sammel-, Musterklagen und andere Möglichkeiten 5. Grenzüberschreitende Verfahren Besondere Probleme stellen sich in grenzüberschreitenden Verfahren.74 Ein Beispiel aus neuerer Zeit bieten Verfahren in Zusammenhang mit dem Schiffsunglück der Costa Concordia.75 Vergleichbare Fragen können sich in Anlegerfällen stellen. Bedauerlicherweise hat der Unionsgesetzgeber dieses Problem anlässlich der Neufassung der EuGVVO nicht aufgegriffen.76 Damit wird in Zukunft, sofern die Mitglieder der Gruppe nicht ausdrücklich hineinoptieren, ein grenzüberschreitendes Massenverfahren nur auf nationaler Ebene sowie in jenen Fällen möglich sein, in denen aus der EuGVVO ein vom Wohnort der Beteiligten unabhängiger Gerichtsstand, etwa jener der Schadenszufügung nach Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012, zur Verfügung steht. In Einzelfällen mag eine Aussetzung nach Art 28 EuGVVO 2012 Abhilfe schaffen.77 6. Bagatell- und Streuschäden Ein besonderer Bereich der Massenschäden betrifft die sog Bagatell- und Streuschäden. Beispiele sind etwa die zu lange Dauer von Banküberweisungen, überhöhte Gebühren von Banken oder anderen Dienstleistungsunternehmen des täglichen Bedarfs, aber auch etwa Füllmengenunterschreitungen.78 Ein aktuelles Beispiel ist etwa die unzulässige Verrechnung von Zahlscheingebühren.79 All diesen Fällen ist gemeinsam, dass – trotz erheblicher gesamtwirtschaftlicher Bedeutung – der individuelle Schaden für den Einzelnen regelmäßig gering ist, sodass kein Anreiz für die individuelle Klagsführung besteht. Dieses Problem lässt sich auch durch Musterprozesse oder Abtretung an 74

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Dazu Nuyts/Hatzimihail, Cross-Border Class Actions. The European Way (2014); Stadler, Crossborder Mass Litigation – A Particular Challenge for European Law, in Steele/van Boom, Mass Justice – Challenge for Representation and Distribution (2011) 73; Stadler, Conflicts of Laws in Multinational Collective Actions – a Judicial Nightmare?, in Fairgrieve/Lein, Extraterritoriality and Collective Redress (2012) 191; Fairgrieve, The Impact of the Brussels I Enforcement and Recognition Rules on Collective Actions, ebendort, 171; Stadler, The Commission’s Recommendation on Common Principles of Collective Redress and Private International Law Issues, in Lein/Fairgrieve/Crespo/Smith, Collective Redress in Europe – Why and How? (2015) 235 (242). Dazu Poncibòm, Forum Shopping and Consumer Collective Redress in Action: The Costa Concordia Case, in Lein/Fairgrieve/Crespo/Smith, Collective Redress in Europe – Why and How? (2015) 251. Fairgrieve/Lein, Extraterritoriality and Collective Redress (2012) 258; Hess in Nuyts/Hatzimihail, Cross-Border Class Actions, The European Way (2014) 59; Nuyts ebendort 69 ff; Stadler in Wagner/van Boom, Mass Torts in Europe (2014) 197. ELI Statement 38 (ebendort S 36 auch eine Aufforderung zu einer breiten Diskussion im Zuge der ins Auge gefassten Evaluierung der EU-Empfehlung). Nach einer Hochrechnung der deutschen Arbeitsgemeinschaft Mess- und Eichwesen ergeben sich dadurch allein bei Nahrungsmitteln für Verbraucher jährlich insgesamt ungerechtfertigte Vermögensverluste von über 50 Millionen Euro und bei Getränken von fast 20 Millionen Euro (Stadler in Micklitz, 1. Bamberger Verbrauchertage 319). Zu den sich aus der Unzulässigkeit solcher Gebühren (vgl EuGH C-616/11, T-Mobile Austria GmbH/Verein für Konsumenteninformation) ergebenden Rückforderungsansprüchen vgl P. Bydlinski, Zum Verbot der Vereinbarung von „Zahlscheingebühren“: Das Urteil des EuGH und seine Konsequenzen, VbR 2014, 125 (127). Jarolim, Beschleunigung von Verfahren als Gebot der Stunde, LexisNexis


Enquete von Dr. Hannes Jarolim Verbände nicht lösen, weil sich der organisatorische Aufwand bei bloßen Kleinbeträgen nicht lohnt.80 Gerade wegen der geringen Höhe der jeweiligen Einzelschäden bietet aber auch eine Gruppenklage nach dem hier vorgeschlagenen Modell keine Lösung, weil der einzelne Geschädigte keinen ausreichenden Anreiz zur Teilnahme am Verfahren hat. Man spricht hier auch von „rationaler Apathie“: Wegen der geringen hier in Rede stehenden Beträge besteht auch dann kein Anreiz zur gerichtlichen Rechtsverfolgung, wenn das Prozesskostenrisiko durch einen Prozessfinanzierer oder auf andere Weise abgedeckt wird. Dieser Zustand ist sicherlich unbefriedigend, läuft er doch darauf hinaus, dass dem Schädiger der rechtswidrig erzielte Gewinn verbleibt. Damit kann das Recht seine verhaltenssteuernde Wirkung nicht wahrnehmen.81 Dabei handelt es sich allerdings in Wahrheit um ein materielles Problem, das in den USA nur vordergründig dadurch gelöst wird, dass auch in derartigen Fällen Sammelklagen zugelassen werden. Dadurch, dass alle Gruppenmitglieder erfasst werden, erreicht der Streitwert eine entsprechende Höhe, sodass das erwartete Erfolgshonorar für Anwälte einen ausreichenden Anreiz darstellt, eine Sammelklage einzubringen. Allerdings wird damit das zugrunde liegende Problem mehr verdeckt als wirklich gelöst. Die geringe Höhe des Einzelschadens sowie die Schwierigkeiten bei der Ermittlung der eigentlich Geschädigten führen hier typischerweise dazu, dass ein kollektiver Ausgleich gesucht wird, der im Regelfall in der Zuweisung von Schadenersatzbeträgen an Institutionen besteht. Der Umstand, dass der ersiegte Betrag nicht an individuelle Geschädigte ausgefolgt wird, zeigt indes, dass wir uns hier von der traditionellen Funktion des Schadenersatzrechts deutlich entfernen.82 Hier greifen vor allem state courts83 auf das im Trust-Recht entwickelte Institut des cy-près bzw der fluid recovery zurück.84 Damit werden Lösungen bezeichnet, bei denen der Zuspruch ganz oder teilweise an Personen erfolgt, die selbst keinen unmittelbaren Anspruch haben. So verpflichtete sich in einem Fall ein beklagtes Taxiunternehmen, das in den letzten drei Jahren überhöhte Fahrpreise verrechnet hatte, dazu, in Hinkunft die Preise zu senken und auf diese Weise den rechtswidrig erlangten Vorteil an die Kunden herauszugeben.85 In diesem Fall erfolgt freilich keine Befriedigung individueller Schadenersatzansprüche 80 81 82 83

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Stadler aaO. Dazu etwa Gerhard Wagner, Collective Redress – Categories of Loss and Legislative Options (2011) 127 Law Quarterly review 55. Dazu jüngst Kodek, Atomized Losses – Conceptual Difficulties and Modern Developments, JETL 2015, 124. Bundesgerichte sind hier zurückhaltender. So hat das Gericht in einem Holocaust-Verfahren angeordnet, dass nicht beanspruchte Beträge nicht Institutionen zukommen sollten, sondern dass namentlich bekannte Geschädigte eine zusätzliche Entlohnung erhalten sollten (In re Holocaust Vicitim Assets Litig., 311 F Supp 2d 407 (EDNY 2004). Dazu etwa Mulheron, The Modern Cy-près Doctrine (2006); vgl auch ALI Principles of the Law of Aggregate Litigation § 3.07 Cy pres settlements (2010). Daar v. Yellow Cab Co. 67 Cal. 2d 695 (1967). Zu dieser „fluid recovery“ aus volkswirtschaftlicher Sicht kritisch Schäfer in Basedow/Hopt/Kötz/Baetge, Die Bündelung gleichgerichteter Interessen im Prozeß 91, insb FN 58; vgl auch Jolowicz, On Civil Procedure 113 FN 25.

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Enquete „Beschleunigung von Verfahren als Gebot der Stunde“ – Sammel-, Musterklagen und andere Möglichkeiten mehr,86 sondern werden dem Taxiunternehmen in Form eines Ausgleichs auf überindividueller Ebene die auf verpönte Weise erlangten Gewinne entzogen. In einem anderen Fall, in dem lediglich 2 % des Ersatzbetrages von individuellen Geschädigten beansprucht wurden, wurde der Restbetrag der Stadt San Francisco zur Verbesserung des Eisenbahnnetzes übergeben.87 In einem Fall begründet das Gericht diese Vorgangsweise ausdrücklich mit der Notwendigkeit der Abschreckung (deterrence) und der Abschöpfung des „Unrechtsgewinns“ (ill-gotten gains).88 In einem Schadenersatzverfahren wegen eines Vitamin-Kartells wurde sogar der gesamte Entschädigungsbetrag gemeinnützigen Organisationen zugesprochen.89 In einer Microsoft betreffenden Entscheidung ordnete das Gericht an, dass der nicht beanspruchte Restbetrag aus Schadenersatz für zu teuer verkaufte Software Schulen zur Verfügung gestellt wird.90 Der deutsche Gesetzgeber versucht diesen Problemen mit einem eigenen Gewinnabschöpfungsanspruch zu begegnen.91 Einzuräumen ist, dass man sich mit derartigen Konstruktionen vom klassischen Zivilrecht entfernt und letztlich zu hybriden Lösungen gelangt, die nur noch schwer von verwaltungsrechtlichen zu unterscheiden sind.92 Die Durchsetzung von Allgemeininteressen, die nicht mit konkreten Personen verbunden sind, ist nach traditionellem Verständnis in erster Linie eine Aufgabe des öffentlichen Rechts.93 Dennoch erweist sich ein Abschöpfungsanspruch auf längere Sicht in derartigen Konstellationen wohl unverzichtbar. ME sollte die gesamte gesetzwidrig erlangte Bereicherung abgeschöpft werden können, soweit diese nicht bereits an die Geschädigten refundiert wurde. Dadurch wird ein Anreiz zur frühzeitigen freiwilligen Schadensgutmachung geschaffen. Denkbar wäre auch, dass die Abschöpfung der Bereicherung im Interesse der Generalprävention mit individuellen Ansprüchen auf Schadenersatz etc konkurriert. Mit derartigen Abschöpfungslösungen beschreitet man allerdings völliges Neuland. Die hier zu lösenden Fragen reichen von der Verwendung des abgeschöpften Betrages bis zum Verhältnis zwischen dem Abschöpfungsanspruch und den individuellen Ansprüchen einzelner Geschädigter. Hier muss freilich der Gesetzgeber auf dem

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Dies wird in der amerikanischen Literatur teilw durchaus gesehen. Gegen derartige small claims class actions zB Hill, Small Claimant Class Actions: Deterrence and Due Process Examined, 19 Am. J. of Trial Advoc. 147 (1995); Handler, The Shift from Substantive to Procedural Innovations in Antitrust Suit – The Twenty-Third Annual Antitrust Review, 71 Colum. L. Rev. 1 (1971); Landers, Of Legalized Blackmail and Legalized Theft: Consumer Class Actions and the Substance-Procedure Dilemma, 47 S. Cal. L. Rev. 842 (1974). Market Street Railway Co. v Railroad Commission, 171 P2d 875, 881 (Cal), cert. den. 329 U.S. 793 (1946). State v Levi Strauss Co., 41 Cal 3rd 460 (Cal 1986). In re Vitamins Cases, 107 Cal App 4th 820 (Ct App 1st Dist 2003). In re Microsoft I-V Cases, 135 Cal App 4th 706 (Ct App 1st Dist 2006). Dazu Stadler in Micklitz, 1. Bamberger Verbrauchertage (2004) 319. Schäfer in Basedow/Hopt/Kötz/Baetge, Die Bündelung gleichgerichteter Interessen im Prozeß 91. Hopt/Baetge in Basedow/Hopt/Kötz/Baetge, Die Bündelung gleichgerichteter Interessen im Prozeß 44. Jarolim, Beschleunigung von Verfahren als Gebot der Stunde, LexisNexis


Enquete von Dr. Hannes Jarolim Gebiet des materiellen Rechts „Farbe bekennen“; das Prozessrecht ist für die sich hier stellenden Probleme nicht der geeignete Ort. IV. Musterverfahren A. Das Verjährungsproblem94 Eine Klärung strittiger Rechtsfragen lässt sich bekanntlich im Wege eines sog „Testprozesses“ erreichen. Dies stellt jedenfalls mit Abstand die kostengünstigste Lösung dar, setzt allerdings eine entsprechende Vereinbarung der Beteiligten (und damit eine entsprechende Kooperationsbereitschaft auf der Gegenseite) voraus, das Ergebnis dieses Verfahrens auch den anderen – nicht ausjudizierten – Fällen zugrunde zu legen. Hinsichtlich der übrigen Ansprüche müsste ein Verjährungsverzicht abgegeben werden, was die Praxis trotz der Formulierung des § 1502 ABGB als zulässig ansieht. Damit setzt der Testprozess einen kooperativen Beklagten voraus. Nun gibt es zwar Fälle, in denen eine derartige Kooperationsbereitschaft auf der Beklagtenseite besteht. Geradezu ein Lehrbuchbeispiel ist der Fall der Entgelterhöhung durch die Wiener Linien während eines laufenden Vertrages. Hier veranlasste die Entscheidung des OGH die Wiener Linien, allen Inhabern von Jahreskarten die zu viel abgebuchten Beträge zurückzuerstatten. Ist der Beklagte aber – wie etwa die beklagte Bank im WEBVerfahren – nicht zu einem Verjährungsverzicht bereit, droht vor allem bei längerer Verfahrensdauer die Gefahr der Verjährung. Insoweit hängt die Verjährungsregelung eng mit der Notwendigkeit eines Gruppenverfahrens zusammen: Viele Gruppenverfahren wurden erst deshalb notwendig, weil die beklagte Partei nicht zur Abgabe eines Verjährungsverzichts bereit war und daher eine prozessökonomische Klärung der Rechtsfrage in einem Testprozess nicht möglich war. B. Der Entwurf einer ZVN 2007 Diesem Problem wollte der – mittlerweile auf politischer Ebene gescheiterte – Ministerialentwurf einer ZVN 2007 durch Einführung eines Musterverfahrens Rechnung tragen. Dieses – als 6. Abschnitt der ZPO vorgesehene – Musterverfahren sollte die Vorabklärung von Rechtsfragen, die für eine große Zahl von Ansprüchen gegen dieselbe Partei Bedeutung haben, ermöglichen und auf diese Weise zwar keine bindende Erledigung, aber doch eine wichtige Orientierung ermöglichen. Es handelte sich dabei gewissermaßen um einen institutionalisierten „Testprozess“, der nunmehr auf bei fehlender Kooperation des Beklagten möglich sein sollte. Kernstück des Vorschlags war eine flankierende Regelung über die Verjährungsunterbrechung. Vorgeschlagen wurde, dass das Musterverfahren nur auf Antrag eines klagebefugten Verbandes nach § 29 KSchG eingeleitet werden konnte. Voraussetzung sollte sein, 94

Zum Folgenden bereits Kodek, Die Verbesserung des Schutzes kollektiver Interessen im Privat- und Prozessrecht, in Reiffenstein/Pirker-Hörmann, Defizite kollektiver Rechtsdurchsetzung (2009) 131 (165).

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Enquete „Beschleunigung von Verfahren als Gebot der Stunde“ – Sammel-, Musterklagen und andere Möglichkeiten dass der geltend gemachte Anspruch Rechtsfragen aufwirft, die für eine große Zahl von Ansprüchen gegen dieselbe beklagte Partei bedeutsam sein können und sich aus einem im Wesentlichen gleichartigen Sachverhalt ergeben (§ 634 Abs 1). Der Verband hatte nach dem Entwurf in seiner Klage jene Merkmale zu bezeichnen, die das Verfahren als Musterverfahren kennzeichnen und die typischen Kriterien, die Ansprüche aufweisen müssen, um vom Musterverfahren betroffen zu sein, im Einzelnen genau anzugeben. Das Gericht hatte die Klage in der Ediktsdatei öffentlich bekannt zu machen. Darin war auf die Voraussetzungen, die Frist und die Wirkung einer Anmeldung des Anspruchs hinzuweisen. Ansprüche, die den von der klagenden Partei festgelegten Kriterien entsprachen, konnten nach dem Entwurf bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung 1. Instanz bei der klagenden Partei (also nicht bei Gericht!) angemeldet werden; eine Gleichschrift sollte dem Anspruchsgegner übermittelt werden. Die Anmeldungen waren vom klagenden Verband in ein Register einzutragen. Die Eintragung in das Register unterbrach den Lauf der Verjährungsfrist ebenso wie die Einbringung einer Klage, wenn der Anspruch den vom Musterkläger festgelegten Kriterien entspricht und gegen dieselbe beklagte Partei gerichtet ist sowie binnen drei Monate nach Veröffentlichung der rechtskräftigen Beendigung des Musterverfahrens die Klage eingebracht wird. C. Bewertung Damit war der Vorschlag relativ kompliziert. Sachgerechter wäre mE eine Orientierung an § 54 Abs 5 ASGG gewesen, wonach für die Dauer des „Testprozesses“ alle Fristen zur Geltendmachung von Individualansprüchen gehemmt werden. Die Beurteilung, ob der eigene Anspruch auch unter das Musterverfahren fällt, muss ohnehin jeder Kläger für sich vornehmen. Eine Registrierungspflicht – wie im Entwurf vorgesehen – stellt demgegenüber eine sachwidrige Erschwernis der Rechtsverfolgung dar. Ein (schutzwürdiges) Vertrauen eines Beklagten, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden, kommt in einem Musterverfahren, das definitionsgemäß für Rechtsfragen vorgesehen ist, die für eine große Zahl von Ansprüchen Bedeutung haben, mE von vornherein nicht in Betracht. Ohne eine entsprechende Neuregelung besteht die Gefahr, dass der OGH die ihm zugedachte Leitfunktion gerade in Massenfällen nicht oder nicht ausreichend erfüllen kann. D. Alternativen: Ausdehnung des besonderen Feststellungsverfahrens Als Alternative zur Einführung eines besonderen Musterverfahrens kommt auch eine Ausweitung des Anwendungsbereichs des in § 54 ASGG geregelten besonderen Feststellungsverfahrens in Betracht.95 Eine derartige Kompetenz des OGH ist verfassungsrechtlich unbedenklich. Zwar sieht Art 92 Abs 1 B-VG vor, dass der OGH „oberste 95

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Zum Folgenden schon Kodek, Möglichkeiten zur gesetzlichen Regelung von Massenverfahren, in Gabriel/Pirker-Hörmann, Massenverfahren – Reformbedarf für die ZPO? (2005) 311 (368 ff); dort auch zu Vorläufermodellen. Jarolim, Beschleunigung von Verfahren als Gebot der Stunde, LexisNexis


Enquete von Dr. Hannes Jarolim Instanz in Zivil- und Strafrechtssachen“ ist. Nach dem VfGH steht diese Bestimmung jedoch einer gesetzlichen Regelung nicht entgegen, die dem OGH die Kompetenz überträgt, in erster und letzter Instanz zu entscheiden.96 Freilich dürfen dem OGH derartige Kompetenzen nicht unbeschränkt, sondern nur in Ausnahmefällen von besonderer Wichtigkeit übertragen werden. Gegen die Einrichtung einer einzigen Instanz sprechen auch keine anderen Verfassungsbestimmungen. Insbesondere gewährt Art 6 EMRK kein Recht auf einen bestimmten Instanzenzug.97 Eine derartige Tätigkeit des OGH kann bereits auf eine lange Tradition verweisen. Nach § 16 lit f OGHG aF kam dem OGH auch die Aufgabe zu, Gutachten zu erstatten.98 Nach dieser Bestimmung war dem Plenarsenat des Obersten Gerichts- und Kassationshofs „die Entscheidung einer von den Gerichten verschieden oder unrichtig entschiedenen Rechtsfrage vorbehalten, wenn der Generalprokurator über Auftrag des Justizministers die Abhaltung einer Plenarversammlung beantragt“.99 Mit Entschließung vom 11. 11. 1852, RGBl Nr 24, wurde die Generalprokurator aufgehoben; in der Folge wurde diese lediglich für Strafsachen wieder eingeführt. Seither kam es unmittelbar aufgrund von Anträgen des Justizministeriums zu Gutachten auf Grundlage der zitierten Bestimmung. Das Institut des besonderen Feststellungsverfahrens wird in der Literatur positiv bewertet. Demnach zeigen die bisherigen Erfahrungen, dass die besonderen Feststellungsverfahren nach § 54 Abs 2 ASGG einen erheblichen Beitrag zur Rechtssicherheit und damit zur Vermeidung einer Vielzahl von Einzelverfahren im Arbeitsrecht leisten.100 In Hinblick darauf erscheint eine Ausdehnung dieses Instituts auf Verbraucherstreitigkeiten durchaus erwägenswert. Vor übertriebenen Erwartungen in diesem Zusammenhang ist allerdings zu warnen: Zunächst zeigt die Erfahrung, dass in Massenverfahren keineswegs nur oder auch nur überwiegend Rechtsfragen, sondern vielfach gerade auch Tatfragen strittig sind. Zu deren Lösung vermag ein besonderes Feststellungsverfahren nach Art des § 54 ArbVG aber nichts beizutragen. Dazu kommt, dass das Feststellungsverfahren keinen Exekutionstitel schafft, sodass eine Entscheidung des OGH in einem derartigen Fall die weitere gerichtliche Auseinandersetzung mit dem Beklagten nicht erübrigt, wenn dieser nicht kooperativ ist. Außerdem ist wohl aus rechtspolitischer Sicht der Bedarf nach einem besonderen Feststellungsverfahren außerhalb von Arbeitsverhältnissen geringer. Bei arbeitsrechtlichen Streitigkeiten will der Arbeitnehmer idR das Arbeitsverhältnis fortsetzen, was ihn von der gerichtlichen Geltendmachung seiner Ansprüche vielfach abhalten wird. Diese Überlegung gilt für die Ansprüche von Ver96 97 98 99 100

VfGH 11. 12. 1996 VfSlg 14709; Rill, Feststellungsverfahren gem § 54 Abs 2 ASGG verfassungswidrig? RdW 1995, 345. Matscher, Die Verfahrensgarantien der EMRK in Zivilrechtssachen, ZÖR 1980, 21; Miehsler/Vogler, IntKommEMRK Art 6 Rz 272 mwN. Vgl auch Sobalik, Rechtsgutachten von Gerichtshöfen, JBl 1961, 150. Vgl auch Jelinek, Die heutige Bedeutung der Judikate, Sprüche, Gutachten und Plenarentscheidungen des Obersten Gerichtshofes, RZ 1976, 137. Vgl Gamerith, Die besonderen Feststellungsverfahren nach § 54 ASGG, DRdA 1988, 316.

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Enquete „Beschleunigung von Verfahren als Gebot der Stunde“ – Sammel-, Musterklagen und andere Möglichkeiten brauchern hingegen nicht. Zudem ist im Arbeitsrecht die Klärung von Rechtsfragen gerade auch deshalb besonders dringlich, weil die diese für mehrere laufende Beschäftigungsverhältnisse von Bedeutung sind. Auch diese Überlegung gilt aber für Verbraucherstreitigkeiten nicht in gleicher Weise. Gleichwohl könnte eine Übertragung des Modells des § 54 ASGG auf das allgemeine Zivilverfahren Vorteile bringen. Dadurch könnte eine Rechtsfrage – unabhängig von der Kooperationsbereitschaft des Beklagten – rasch vom OGH geklärt und auf diese Weise Rechtssicherheit erreicht werden. Dabei wäre allerdings dafür Sorge zu tragen, dass derzeitige Konstruktionsfehler des § 54 ASGG, insbesondere die strenge Bindung an den vom Antragsteller vorgegebenen Sachverhalt, vermieden werden. Anzustreben ist vielmehr die möglichst allgemeine Beantwortung von Rechtsfragen, vergleichbar der Entscheidung des EuGH im Vorabentscheidungsverfahren. Dabei sollte auch für umfangreiche Beteiligungsmöglichkeiten möglichst vieler „stakeholder“ Vorsorge getroffen werden, um eine möglichst breite Grundlage für die Entscheidung zu schaffen; dies würde auch zur Akzeptanz der Entscheidung beitragen. V. Schluss und Ausblick Die Regelung der Durchsetzung von Massenansprüchen stellt eine der großen Herausforderungen für das Zivilprozessrecht dar. Die hier vielfach (noch) bestehenden Vorbehalte reichten sich in Wahrheit vor allem gegen Eigenheiten des amerikanischen materiellen und Prozessrechts, weniger gegen kollektiven Rechtsschutz als solchen. Der Befund der Judikatur des EGMR zeigt, dass ein Kollektivverfahren durchaus mit den Vorgaben des Art 6 EMRK vereinbar sein kann. Handlungsbedarf besteht – wie gezeigt wurde – aus mehreren Gründen. Nach der – zweifellos für Österreich als Schiedsstandort wichtigen – Reform des Schiedsverfahrens, der den Parteien den unmittelbaren Zugang zum OGH eröffnete, wäre es für den Gesetzgeber an der Zeit, auch auf Ebene des Verfahrens für „Otto Normalverbraucher“ nachzuziehen. Den namentlich von Seiten der Wirtschaft geäußerten Bedenken ist einerseits entgegenzuhalten, dass in Österreich schon wegen der völlig anderen prozessualen und materiellen Rahmenbedingungen von vornherein keine „amerikanischen Zustände“ drohe. Auch liegt ein Massenverfahren keineswegs nur im Interesse der Kläger; die kostengünstige Erledigung einer Vielzahl von Ansprüchen liegt auch im Interesse des Beklagten. Auch können von einem Massenverfahren auch Unternehmer als Kläger profitieren. Die jüngsten Entwicklungen im Bereich des Kartellschadenersatzes belegen dies deutlich. Schließlich ist – auch wenn bei Beobachtung der politischen Diskussion ein anderer Eindruck entstehen mag – darauf hinzuweisen, dass es sich bei der Einführung von Verfahrensregeln für Massenverfahren nicht um eine parteipolitische Frage handelt. Die in der Literatur gelegentlich anzutreffende Qualifikation von Proponenten der

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Enquete von Dr. Hannes Jarolim Sammelklage als „links“101 ist schlicht unzutreffend; die „sozialistischen“ Staaten kannten keine derartigen Regelungen. In anderen Publikationen wird demgegenüber die Sammelklage als „bourgeoises“ Institut bezeichnet,102 was die letztliche Beliebigkeit derartiger Wertungen zeigt. Die zeitgerechte Einführung eines Gruppenverfahrens hätte Österreich auf diesem Gebiet die Themenführerschaft verschafft. Von einer überzeugenden nationalen Regelung hätten wesentliche Impulse für Reformen auf Ebene des Unionsrechts ausgehen können. Hier ist auf das Beispiel des Europäischen Mahnverfahrens103 zu verweisen, das sich Mahnverfahren – gewissermaßen als „best practice“ – in wesentlichen Punkten am österreichischen Modell orientiert.104 Diese Möglichkeit hat Österreich mittlerweile verpasst. Mittlerweile sind Kollektivverfahren unterschiedlichster Ausprägung auch in Europa gewissermaßen „auf dem Vormarsch“. Damit läuft Österreich Gefahr, hier den Anschluss an internationale Entwicklungen zu verlieren. Diese Zurückhaltung ist schwer verständlich. Im 19. Jahrhundert war Österreich, indem es für bestimmte Teilschuldverschreibungen die Prozessführung durch einen Kurator vorsah, sogar Vorreiter des kollektiven Rechtsschutzes. Möglicherweise gerät jedoch Bewegung in die seit geraumer Zeit verhärteten Fronten.105 Mittlerweile fordern auch Autoren, die bisher der Bündelung von Verfahren skeptisch gegenüberstanden, die Einführung eines Massenverfahrens zumindest für bestimmte Arten von Ansprüchen. Hier ist namentlich auf einen Beitrag von Kalss zu verweisen,106 die jedenfalls für kapitalmarktrechtliche Ansprüche die Einführung eines derartigen Verfahrens empfiehlt. Auf die weitere Entwicklung darf man jedenfalls gespannt sein. Jarolim Hannes, Dr. Abg. z. NR: Besten Dank für diesen detaillierten Überblick und die aufgezeigten Verbesserungspotentiale, Herr Prof. Kodek. Für die Gestaltung und Umsetzung der angedachten Überlegungen spielen die Sozialpartner sowohl auf Arbeitgeber- als auch Arbeitnehmerseite eine nicht unerhebliche Rolle. In der Folge hören wir deren Einstellung und Standpunkte zur aktuellen Diskussion. Zunächst darf ich Frau Mag.a Zgubic-Engleder für ihr Kommen danken und um ihre Ausführungen ersuchen. 101 102 103 104 105

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Zur Kritik entsprechender Vorschläge als „sozialistisch“ vgl schon Koch, (Non-Class) Group Litigation Under EU and German Law, 11 Duke J. Comp. Int’l L. 355 (2001). Vgl Glenn, Class Actions in Ontario and Quebec, 62 The Canadian Bar Review 247, 273 [1984]: “bourgeois, liberal invention”. Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens, ABl L 399 vom 30. 12. 2006, S 1. Vgl dazu Kodek, Auf dem Weg zu einem europäischen Mahnverfahren? Gedanken zum Verordnungsvorschlag der Kommission, FS Rechberger (2005) 283. Zurückhaltend allerdings zuletzt Oberhammer, Kollektiver Rechtsschutz bei Anlegerklagen, in Kalss/Oberhammer, Anlegeransprüche – kapitalmarktrechtliche und prozessuale Fragen, 19. ÖJT (2015) Band II/1 73 ff, 160. Kalss, Zeit für gebündelte Verfahren am Kapitalmarkt, GesRZ 2011, 133.

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Enquete „Beschleunigung von Verfahren als Gebot der Stunde“ – Sammel-, Musterklagen und andere Möglichkeiten

Mag.a Gabriele Zgubic-Engleder „Die Sammelklage als unentbehrliches konsumentenrechtliches Instrument" Die Diskussion über ein neues prozessrechtliches Instrument für Massenklagen ist schon viele Jahre alt, sowohl in Österreich als auch auf EU-Ebene, und ebenso lange fordern Konsumentenschützer, dieses Instrument in der österreichischen Zivilprozessordnung gesetzlich zu verankern. Bereits im Jahr 2008 fand die Absicht zur Einführung einer Gruppenklage Eingang in das damalige Regierungsübereinkommen, wurde jedoch nicht umgesetzt. Nunmehr findet sich dieses Vorhaben wiederum im aktuellen Regierungsübereinkommen – ebenso bislang nicht umgesetzt. Seit vielen Jahren ist also nichts passiert. Dies ist aus der Sicht des Konsumentenschutzes nicht tragbar. Auch auf europäischer Ebene ist die Gruppenklage jahrelang Gegenstand von Diskussionen. Letztlich konnte sich die Europäische Kommission nicht auf eine verbindliche Richtlinie einigen, sondern veröffentlichte 2013 eine unverbindliche Empfehlung für gemeinsame Grundsätze für kollektive Unterlassungs- und Schadenersatzverfahren in den Mitgliedstaaten bei Verletzung von durch Unionsrecht garantierten Rechten. Eine Evaluierung der Umsetzung soll 2017 erfolgen. AK-Sammelaktion Kreditnachberechnung Spätestens die AK-Sammelaktion Kreditnachberechnung 2000–2005, in deren Rahmen in Folge der Aufhebung von Zinsgleitklauseln bei Kreditverträgen österreichweit 32.000 Kredite nachgerechnet und über 27 Millionen Euro zurückgezahlt wurden, zeigten sich prozessuale Defizite und insbesondere die Notwendigkeit eines speziellen kollektiven Rechtsdurchsetzungsinstruments. Zur Durchsetzung der Ansprüche von Kreditnehmern mussten Arbeiterkammer und Verein für Konsumenteninformation (VKI) zahlreiche Sammel- und Musterklagen einbringen. Für die Sammelklagen wurde § 227 ZPO herangezogen. Dennoch mussten diese Bündelungen von gleichartigen Ansprüchen jedes Mal durch die Instanzen durchgefochten werden, denn die Gerichte wiesen systematisch die Zulässigkeit dieser Sammelklagen zurück. In einem Verfahren etwa entschied der OGH letztlich Folgendes: „Es wird ein im Wesentlichen gleichartiger Anspruchsgrund geltend gemacht, nämlich Bereicherungs- und/oder Schadenersatzansprüche auf Grund unwirksamer Zinsanpassungsklauseln eines bestimmten Kreditinstituts. Dabei sind insofern im Wesentlichen gleiche Fragen tatsächlicher oder rechtlicher Natur zu lösen, die die Hauptfrage oder eine ganz maßgebliche Vorfrage aller Ansprüche betreffen, als die verschiedenen Zinsanpassungsklauseln jeweils zahlreiche Kreditnehmer betreffen und die Beklagte unter anderem Verjährung der Ansprüche und Anerkenntnis der Abrechnungen durch die Kreditnehmer eingewendet hat. Damit ist aber das Rekursgericht im Ergebnis zutreffend von der Zulässigkeit der vorliegenden „Sammelklage“ ausgegangen.“ (OGH 12. 7. 2005, 4 Ob 116/05w)

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Enquete von Dr. Hannes Jarolim In den letzten Jahren wurden vor allem vom VKI mehrere Sammelverfahren vorrangig im Finanzdienstleistungsbereich auf Basis der Sammelklage „nach „österreichischer Prägung“ geführt. Aber die Frage der Zulässigkeit war immer wieder ein Streitpunkt bei Gericht und führte zum Teil zu jahrelangen Prozessverzögerungen. Dies bedeutet neben dem Kosten- und Zeitaufwand der Parteien auch, dass die Geschädigten deswegen jahrelang nicht zu ihrem zustehenden Schadenersatz kommen. Das Vertrauen in die Justiz wird so sicher nicht gestärkt. AK Sammelaktion Alpine 2015 Durch die Insolvenz der Alpine verloren Anleihegläubiger ihr eingesetztes Kapital samt Zinsen. Die AK startete eine Sammelaktion, bei der sich rd 1.500 Anleihegläubiger mit einem Schaden von ca EUR 30 Mio beteiligen. Neben Falschberatung geht es vor allem um die Frage der Prospekthaftung der Emissionsbanken, die gleichzeitig Kreditgeber der Alpine waren. Insgesamt wurden 19 Sammelklagen eingebracht. Obwohl schon in vielen anderen Verfahren die Sammelklage „nach österreichischer Prägung“ als zulässig erkannt wurde, gab es auch bei der ersten Sammelklage wieder den Einwand der Unzulässigkeit seitens des Gerichtes, insbesondere wegen unzulässiger Anspruchshäufung und Unzuständigkeit des angerufenen Gerichtshofes. Dies wurde von der nächsten Instanz nicht bestätigt, sondern die Sammelklage als zulässig erklärt. Da bei der Sammelklage „nach österreichischer Prägung“ die Geschädigten ihre Ansprüche an den Kläger – idR AK oder VKI – abtreten, steigt damit die Klagssumme und folglich die Prozesskosten. Im Fall Alpine kommen noch sehr hohe Gutachterkosten hinzu. Daher sind derartige Klagen idR nur mittels Prozessfinanzierung möglich. Schwachstellen der Sammelklage „österreichischer Prägung“ Vor allem AK und VKI haben in den letzten Jahren einige Sammelklagen bzw -aktionen durchgeführt zB AWD, Schiffsfonds, Brustimplantate, Meinl Bank, Alpine. Mit dieser Form der Sammelklage sind aber Nachteile verbunden: Organisatorisch aufwendig: Es muss sich zuerst ein Sammelkläger finden, der sich sodann jeden einzelnen Anspruch in Form der Inkassozession abtreten lässt. Damit erhöht sich für den Sammelkläger das Prozesskostenrisiko und es ist idR ein Prozesskostenfinanzierer notwendig. Somit können uU Klagen deswegen nicht geführt werden, weil die Prozesskosten nicht alleine getragen werden können und sich kein Prozesskostenfinanzierer findet. Für den Einzelnen bedeutet es auch, dass dieser letztlich auch Kosten für den Prozesskostenfinanzierer mitzutragen hat. Einwand der Unzulässigkeit der Sammelklage bei jedem Verfahren durch Beklagte und/oder Erstgerichte. Der Verbrauchergerichtsstand geht bei der Inkassozession verloren, was va bei grenzüberschreitenden Klagen ein Problem darstellt. ●

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Enquete „Beschleunigung von Verfahren als Gebot der Stunde“ – Sammel-, Musterklagen und andere Möglichkeiten Trotz dieses Hilfsinstrumentes bedarf es also eines gesonderten prozessrechtlichen Instrumentes. Vorteile einer Gruppenklage Der Zugang zur Justiz wird verbessert. Geschädigte scheuen oft wegen des Prozesskostenrisikos oder wegen zu geringer Schadenshöhe den Gang zu Gericht. Durch die Möglichkeit der Teilnahme bei einer Gruppenklage fällt diese Hemmschwelle weg. Erhöhte Verfahrensökonomie – die Entscheidung über viele gebündelte Fälle erfolgt durch einen Richter, ggf ist nur ein Sachverständiger notwendig und es erfolgt ein Urteil Dies führt zu einer Ersparnis bei Verfahrenskosten und folglich zur Ersparnis für den Steuerzahler. Geschädigte kommen zu ihrem Recht. Die Gerichte sind entlastet. Bringt Rechtssicherheit durch ein Urteil. Es ist auch ein Vorteil für gesetzeskonforme Unternehmen, da sich rechtswidriges Verhalten weniger lohnt und wirkt wettbewerbswidrigen Geschäftspraktiken entgegen. Letztlich bringt effizienter grenzüberschreitender Rechtsschutz auch mehr Vertrauen in den Binnenmarkt. ●

Die Angst vor „amerikanischen Zuständen“ ist unbegründet Die Vorbehalte der Wirtschaft folgen oft mit einem Verweis auf die „class action“ in den USA. Allerdings ist ein Vergleich aufgrund der verschiedenen Rechtssysteme nicht möglich. Bei der Gruppenklage bleibt das Prozesskostenrisiko grundsätzlich aufrecht. Zudem sollten Gerichte von Amts wegen möglichst früh Voraussetzungen und Begründetheit prüfen. Auch die Empfehlung der Europäischen Kommission trägt diesen Bedenken bereits Rechnung va keine Erfolgshonorare für Rechtsvertreter kein Strafschadenersatz ●

Die Praxis zeigt: Bislang sind weder in Österreich noch in anderen EU-Staaten Missbrauchsfälle bekannt. Die Befürchtungen der Wirtschaft sind also unbegründet. Gruppenklage mit niedrigen Hürden Gruppenklagen sollen möglichst nicht erschwert werden: Im Wesentlichen geht es um gleichartige Tat- und Rechtsfragen; gegen denselben Beklagten; es sind eine bestimmte Anzahl von Ansprüchen betroffen; ●

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Enquete von Dr. Hannes Jarolim ●

es soll bereits eine niedrige Anzahl von Ansprüchen ausreichend sein; ohne Mindeststreitwert; ohne Prozesskostenkaution; Kostenersatzprinzip soll bleiben; Klagsbefugnis per Gesetz für private und öffentliche Interessensverbände unter folgenden Voraussetzungen: Gemeinnützigkeit, ausreichende organisatorische Ausstattung und Infrastruktur, fachliche Befähigung, entsprechende finanzielle Ausstattung, ●

einheitliche grenzüberschreitende Regelungen in Verfahrensgrundsätzen; soll sich auf die Bereiche Arbeitsrecht, Konsumentenschutz, Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, Datenschutz und Massenschäden erstrecken.

Ebenso wichtig: Die Musterklage Eine Musterklage dient zur exemplarischen Klärung strittiger Rechtsfragen, die eine Auswirkung auf eine große Anzahl von Vertragsverhältnissen haben. Zentrales Element ist dabei die verjährungshemmende Wirkung. Durch Musterverfahren können andere Verfahren und Gruppenklagen vermieden werden. Wettbewerbsrecht Das Problem bei Streuschäden durch unlautere Geschäftspraxis ist, dass diese va wegen der geringen Höhe pro Geschädigten nicht eingeklagt werden. Wenn zum Beispiel Konsumenten jahrelang einen zu hohen Milchpreis aufgrund eines Verstoßes gegen das UWG zahlten, wird ein Einzelner schon aufgrund der schwierigen Beweisfrage, aber auch aus ökonomischen Gründen diesen Schaden nicht einklagen. Dies führt zu Wettbewerbsverzerrung und zur Benachteiligung von Unternehmen, die sich an Gesetze halten. Daher sollten diese Unrechtsgewinne abgeschöpft werden und zumindest zum Teil Verbraucherorganisationen zufließen. Klagslegitimiert sollen die in § 29 KSchG angeführten Organisationen sein. Reform – vom Stillstand zum Fortschritt Die Vorteile einer Gruppenklage sind offensichtlich. Mit Fug und Recht kann man von einer Regierung erwarten, dass sie sich an das eigene Regierungsübereinkommen hält und die vereinbarten Vorhaben auch umsetzt. Wenn dies letztlich nicht erfolgt, so könnte doch noch Druck aus Brüssel kommen, sieht doch die Empfehlung der Europäischen Kommission die Evaluierung der Umsetzung der Empfehlung im Jahr 2017 vor. Diese könnte möglicherweise zu einem verbindlichen Richtlinienvorschlag führen.

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Enquete „Beschleunigung von Verfahren als Gebot der Stunde“ – Sammel-, Musterklagen und andere Möglichkeiten Jarolim Hannes, Dr. Abg. z. NR: Besten Dank, Frau Mag. Zgubic-Engleder und nun darf ich Herrn Dr. Schuschnigg von der WKO herzlich begrüßen und ihn um die Darstellung seiner Sicht der Dinge ersuchen:

Dr. Artur Schuschnigg „Sammelklage aus Sicht der Wirtschaft“ Üblicherweise – Ausnahmen bestätigen die Regel – sind Unternehmen Adressaten von Sammelklagen und nicht direkt oder indirekt Kläger im Rahmen einer Sammelklage. Aus diesem Umstand folgt auch die wesentliche Sicht der Wirtschaft auf Sammelklagen & Co., was allerdings nicht zwangsläufig bedeutet, dass andere Perspektiven vollkommen außer Acht gelassen werden. Das Generalthema dieser Veranstaltung „Beschleunigung von Verfahren“ ist dafür ein schönes Beispiel. Denn an sich liegt es auch im Interesse des beklagten Unternehmens, dass ein Gerichtsverfahren möglichst zügig durchgeführt wird.107 Denn je länger ein Verfahren dauert, desto kostspieliger ist es für das Unternehmen, desto länger besteht Ungewissheit, desto länger wird der „normale“ Geschäftsgang durch das Verfahren beeinträchtigt, desto länger hat es sich mit der häufig von der Klägerseite gewollten negativen Publicity auseinanderzusetzen. Werden allerdings auf der einen Seite alle möglichen Mittel zur Rechtsverfolgung eingesetzt, so ist es nicht unbillig, wenn auf der Beklagtenseite alle möglichen Mittel zur Rechtsverteidigung ergriffen werden. Sich auf Konsumentenseite darüber aufzuregen, ist im Hinblick auf die Grundzüge derartiger kontradiktorischer Verfahren nicht ganz schlüssig. Diese Raschheit des Verfahrens ist allerdings nicht das allein zu berücksichtigende Moment. Auch werden manche Verzögerungsmomente infolge strittiger Rechtsfragen durch die fortschreitende höchstgerichtliche Judikatur abnehmen und die Konturen deutlicher, innerhalb derer sich auch Großverfahren bewegen können. Mitunter begegnet man allgemeinen Behauptungen, die Wirtschaft sei gegen Verfahren zur „kollektiven“108 Rechtsdurchsetzung, weil sie gegen eine effektive Rechtsdurchsetzung sei. Schon ein erster Blick auf den Umstand, dass für einen freien Wettbewerb und zur Vermeidung unlauterer Wettbewerbsvorteile ein effektives Rechtssystem von fundamentaler Bedeutung ist, widerlegt diese These. Für eine zielgerichtete Diskussion ist es allerdings von Vorteil, sich auch darüber klar zu werden, worüber überhaupt diskutiert wird. Da die Bezeichnungen auch in der 107 108

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So auch Kodek, Möglichkeiten zur gesetzlichen Regelung von Massenverfahren im Zivilprozess, ecolex 2005, 751. Allerdings handelt es sich bei der kollektive Rechtsdurchsetzung im dogmatischen Sinne nicht um die Bündelung von Einzelinteressen mehrerer Personen. Zur Diskussion über den Begriff s. etwa Koch, Internationaler kollektiver Rechtsschutz, in Meller-Hannich (Hrsg.), Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozess, 53 [55 ff.]. Jarolim, Beschleunigung von Verfahren als Gebot der Stunde, LexisNexis


Enquete von Dr. Hannes Jarolim Literatur nicht immer unbedingt eindeutig und voneinander unterscheidbar sind, könnte zwischen einer Sammelklage als eine objektive Klagenhäufung, bei der von einer einzigen klagenden Partei mehrere an sich selbständige und voneinander unabhängige Ansprüche gegen denselben oder dieselben Beklagten in einer Klage geltend gemacht werden, und einer Gruppenklage als eine subjektive Klagenhäufung differenziert werden. Zwischen diesen beiden Formen bestehen beachtliche Unterschiede (z.B. Einflussmöglichkeit, Vertretung, Ausstieg aus Verfahren, Prozesskosten). Funktionierendes System Wenn wir uns die österreichische Rechtslage ansehen, so wird deutlich, dass mit der sog. Sammelklage österreichischer Prägung dem Grunde nach ein funktionierendes System vorhanden ist. Etwas vereinfacht formuliert, ist die Klage an sich mit verhältnismäßig wenig Problemen behaftet. Der VKI hat in den vergangenen Jahren ein bewegliches System entwickelt, mit dem er über ein Abtretungsmodell unter Mitwirkung eines Prozessfinanzierers gesammelte Ansprüche gerichtlich geltend macht. Besondere Schwierigkeiten im „Einsammeln“ der Abtretungen durch den VKI bestehen aufgrund der medialen Präsenz des VKI nicht. Diese mediale Präsenz führt allerdings bereits zu einer benachteiligten Situation für das betroffene Unternehmen. Der Medienauftritt des VKI ist – aus dessen Sicht verständlicherweise – nicht neutral formuliert. Es wird „Stimmung gemacht“, was sich zwangsläufig negativ auf das Image des Unternehmens auswirkt. Mediale Vorverurteilungen sind häufig die Folge. Es werden Erwartungshaltungen geschürt, denen in der Folge häufig – wenn nicht schon dem Grunde nach, so doch der Höhe nach – nicht entsprochen wird. Entsprechende öffentliche Gegenausführungen des Unternehmens können bekanntermaßen den einmal eingetretenen Imageschaden kaum korrigieren. Eine Sammelklage kann aufgrund des höheren Druckpotentials dazu führen, dass der Beklagte sich nicht primär mit der Beurteilung auseinandersetzt, ob er im Recht ist, sondern dahingehend eine Entscheidung treffen muss, ob nicht unter Berücksichtigung aller zu erwartenden internen und externen Auswirkungen (Medienberichterstattung) und Kosten der Abschluss eines Vergleichs bis hin zur Unterwerfung unter das Klagebegehren eine günstigere Alternative für ihn darstellt (sog. „legal blackmailing“). Vor allem aus Konsumentensicht mag dieser Umstand durchaus ein gewünschter Effekt sein, aus Wirtschaftssicht sind derartige Auswirkungen allerdings nachdrücklich in Frage zu stellen. Offensichtlich ist, dass Sammelkläger bei Weitem nicht so prominent medial auftreten, wenn ein Verfahren nicht optimal für sie läuft bzw entschieden wird. Der effektive Zugang zum Recht inkludiert auch die effektive Abwehr von unberechtigten Klagen. Dass die Diktion im gegebenen Zusammenhang nicht unwichtig ist, zeigt auch die Europäische Kommission auf, indem sie feststellt, dass – solange das Gericht nicht entschieden hat, dass der Schaden durch eine bestimmte Rechtsverletzung verursacht worden ist – es nicht angebracht sei, im Rahmen eines Verfahrens des kol-

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Enquete „Beschleunigung von Verfahren als Gebot der Stunde“ – Sammel-, Musterklagen und andere Möglichkeiten lektiven Rechtsschutzes von „Opfern“, „Geschädigten“ oder „Rechtsverletzung“ zu sprechen.109 Nach Ansicht des Bundesministeriums für Justiz haben die bisherigen Erfahrungen gezeigt, dass die Sammelklage österreichischer Prägung durchaus geeignet ist, Verbraucherinteressen wirksam durchzusetzen.110 Auch in der Literatur wird die Ansicht vertreten, dass mit dieser Sammelklage die österreichische Rechtsordnung über ein Institut verfügt, das zur Bündelung der Ansprüche mehrerer Geschädigter an sich in hohem Maße geeignet ist.111 Wird als Nachteil des bestehenden Systems beklagt, dass der Verbraucher seinen Verbrauchergerichtsstand verliert, so ist dem zum einen entgegenzuhalten, dass in reinen Inlandsfällen ein solcher Gerichtsstand überhaupt nicht gegeben ist. Zum anderen ist es offensichtlich, dass es Sammelverfahren welcher Art auch immer systemimmanent ist, dass ein Verbrauchergerichtsstand für alle betroffenen Verbraucher schon rein faktisch nicht möglich ist, da sehr rasch davon auszugehen ist, dass mehrere Verbraucher nicht über denselben Verbrauchergerichtsstand verfügen. Wird bei der sog. Sammelklage österreichischer Prägung die notwendige Abtretung kritisiert, so wird damit einerseits der damit verbundene Vorteil der Überwälzung des Prozesskostenrisikos außer Acht gelassen. Andererseits bleibt es den Anspruchstellern unbenommen, andere Wege zu beschreiten, etwa den der Rechtsverfolgung als Streitgenossen. Die mediale Berichterstattung ist primär vom Gegensatz Verbraucher/Unternehmer geprägt, was allerdings darüber hinwegtäuscht, dass es keine rechtliche Einschränkung dahingehend gibt, dass auch auf Klägerseite Unternehmen (direkt oder indirekt) auftreten. Die Schwierigkeit derartiger Konstellationen liegt im praktischen Bereich, da VKI und AK sich ausschließlich an Verbraucher wenden. Knackpunkt Die Erfahrungen der letzten Jahre zeigen, dass der Knackpunkt bei der Bewältigung von Sammelklagen im Bereich der Gerichte liegt. Dieser Umstand ist allerdings den Gerichten nicht unbedingt vorzuwerfen, die österreichische Gerichtsbarkeit genießt auch international einen hervorragenden Ruf. Viele Ansätze zur Verfahrensbeschleunigung wurden zwischenzeitlich von anderen Staaten und auch von der Europäischen Union kopiert. Befürworter von Sammelklagen & Co. betonen gerne deren verfahrensbeschleunigende Funktion zur Klärung gemeinsamer Tat- und Rechtsfragen. Die seitens der Rechtspre109 110 111

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Mitteilung der Kommission vom 11. 6. 2013 [COM(2013) 401 final] „Auf dem Weg zu einem allgemeinen europäischen Rahmen für den kollektiven Rechtsschutz“, 5 (FN 13). EB 70/ME BlgNR XXIII. GP 2. Kodek, Möglichkeiten zur gesetzlichen Regelung von Massenverfahren, in Gabriel/Pirker-Hörmann, Massenverfahren – Reformbedarf für die ZPO? (2005), 342. A.A. z.B. Domej, Einheitlicher kollektiver Rechtsschutz in Europa? ZZP 2012, 421 [423]. Jarolim, Beschleunigung von Verfahren als Gebot der Stunde, LexisNexis


Enquete von Dr. Hannes Jarolim chung für Sammelklagen aufgestellten Erfordernisse eines im Wesentlichen gleichartigen Anspruchsgrunds (maßgebliche gemeinsame Grundlage) und der im Wesentlichen gleichen Fragen tatsächlicher oder rechtlicher Natur, die die Hauptfrage oder eine ganz maßgebliche Vorfrage aller Ansprüche betreffen,112 wurde zwar in der Literatur durchaus kontroversiell diskutiert,113 stellen allerdings aus praktischer Sicht eine durchaus sinnvolle Vorgehensweise dar, um zumindest theoretisch tatsächlich eine Verfahrensbeschleunigung erzielen zu können.114 Lässt sich beispielsweise der VKI Ansprüche gegen ein und dieselbe Versicherung abtreten, die zum einen einen Produkthaftungsfall, zum anderen einen Verkehrsunfall und zum Dritten eine Rechtsschutzstreitigkeit betreffen, so wird die gemeinsame Behandlung dieser geltend gemachten Ansprüche im Vergleich zu deren einzelner Verfolgung wohl nicht zu einer Verfahrensbeschleunigung führen. Die Praxis zeigt allerdings, dass bei Leistungsklagen diese gemeinsamen Fragen nur einen Bruchteil der jeweils zu klärenden inhaltlichen Fragen darstellen. Sehr schnell stoßen daher die Gerichte an ihre Grenzen, wenn de facto aus einem Sammelverfahren ein mehr oder minder großes Bündel an Einzelverfahren wird, da hinsichtlich jedes einzelnen Anspruchs z.B. geklärt werden muss, ob ein relevanter Irrtum überhaupt vorliegt, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe der Schaden eingetreten ist. Hier ist bei aller allfälligen, aber nicht notwendiger Weise gegebenen Ähnlichkeit der Sachverhalte jeder einzelne Fall für sich zu klären. Und damit ist der einzelne Richter nachvollziehbar sehr schnell an die Grenzen seiner Möglichkeiten angelangt. Damit stellt sich auch die Frage, ob die gewollte Beschleunigung sich nicht sehr schnell ins Gegenteil verkehrt. Kurz anzureißen ist die Thematik der Streuschäden. Ganz abgesehen davon, dass überzeugende Abgrenzungskriterien, was ein Streuschaden ist,115 weiterhin fehlen, fehlt in diesen Fällen offensichtlich weitaus überwiegend ein konkretes Individualinteresse an der Geltendmachung eines solchen Streuschadens. Daher ist auch die Bündelung solcher fehlenden Individualinteressen in einem Sammelverfahren nicht gerechtfertigt bzw müsste eine derartige Geltendmachung mangels Rechtsschutzinteresses zurückgewiesen werden. Auch inhaltlich würde es nicht zu einem Schadensausgleich kommen, da erstrittene Schadenersatzbeträge eben nicht den vermeintlich Geschädigten zufließen würden. Ist ein berechtigtes Allgemeininteresse in diesen Fällen anzuerkennen, wären andere Mittel und Wege als der herkömmliche Schadenersatzprozess zu beschreiten; und zwar so, dass erstrittene Beträge der Allgemeinheit zukommen – etwa dem 112 113 114 115

OGH 12. 7. 2005, 4 Ob 116/05 w. Oberhammer, Kollektiver Rechtsschutz bei Anlegerklagen, in Kalss/Oberhammer, Anlegeransprüche – kapitalmarktrechtliche und prozessuale Fragen, 19. ÖJT Band II/1, 74 (FN 3, m.w.N.). Was sich auch im Entwurf der ZVN 2007 niedergeschlagen hat. Mitunter wird zudem noch zwischen Bagatell- und Streuschäden unterschieden (vgl. etwa Jünemann, Ubi ius ibi remedium: Ein richtiges Postulat auch für den Ersatz von Kleinst- und Masseschäden? in Brömmelmeyer (Hrsg.), Die EU-Sammelklage, 9.

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Enquete „Beschleunigung von Verfahren als Gebot der Stunde“ – Sammel-, Musterklagen und andere Möglichkeiten Staatshaushalt – und nicht einzelnen Interessengruppen wie etwa Verbraucherorganisationen. Die Fragestellung der Verfahrensbeschleunigung stellt das Problem mit Musterverfahren dar. Auch hier wird in aller Regel das tatsächlich Gemeinsame mit anderen Sachverhalten sehr schnell in ein tatsächlich Differentes umschlagen. Geht es in der Folge nur darum, zu klären, was das Differente ist, kann auch ein Musterverfahren die gewünschte Vereinfachung und Beschleunigung nur schwerlich erbringen. Häufig werden aber in solchen Fällen die sachlichen Grenzen ignoriert und wird ungerechtfertigter Druck auf den beklagten Unternehmer ausgeübt, in dem Ungleiches als Gleiches dargestellt wird. Nicht unbekannt ist, dass das deutsche Kapitalanleger-Musterverfahren erhebliche Schwächen zeigt. Auch Oberhammer zeigt auf,116 dass die Fragestellung, ob und inwiefern kollektives Vorgehen de lege lata oder de lege feranda etwas an der Möglichkeit der Justiz zu verbessern vermag, einen solchen Massenanfall gleichförmiger Angelegenheiten zu erledigen, erst analysiert werden müsse. International Auch international zeigt es sich, dass sich das Prozessrecht mit der Lösung von Massenverfahren schwer tut. Wie Kodek gerne anmerkt, stammt die class action nicht aus Nordkorea bzw der DDR, sondern aus den USA. Dies täuscht aber darüber hinweg, dass die amerikanische Rechtstradition eine ganz andere als die kontinentaleuropäische ist. Die Systembedingungen sind sehr unterschiedlich. Vollkommen zu Recht bestehen daher massive Bedenken gegen die kritiklose Übernahme derartiger Instrumente. So hat auch schon das deutsche Bundesverfassungsgericht herausgestrichen, dass class actions gegen unverzichtbare Grundsätze des freiheitlichen Rechtsstaates verstoßen könnten [wenn das Verfahren vor ausländischen Gerichten in einer offenkundig missbräuchlichen Art und Weise genutzt werden wird, um eine Forderung durchzusetzen, die – jedenfalls in ihrer Höhe – keine substantielle Grundlage hätte, der Beklagte mit dem angegriffenen Verhalten offensichtlich nichts zu tun hat oder erheblicher publizistischer Druck aufgebaut wird, um den Beklagten zu einem ungerechtfertigten Vergleich zu drängen (2 BvR 2805/12)]. Vor allem im Zusammenwirken mit anderen US-(verfahrens)rechtlichen Besonderheiten (pre-trial discovery, American rule of costs, punitive damages, Laien-Jury) führt die US-class action zu einem Gift-Cocktail. Oberstes Ziel der Klägeranwälte ist nicht die Klärung der aufgeworfenen Sach- und Rechtsfragen, sondern den Beklagten in einen frühzeitigen Vergleich zu zwingen. Es handelt sich weniger um einen Zugang zum Recht, als um die Kommerzialisierung der Rechtsverfolgung im anwaltlichen Geschäftsinteresse. In den USA selber wird die US-class action nicht nur in der Fachliteratur zunehmend kritisiert, der US Supreme Court verhält sich in seinen jüngeren Entscheidungen zunehmend restriktiv, zB im Fall Dukes vs Walmart wegen angeblicher Geschlechterdis116

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Oberhammer 94. Jarolim, Beschleunigung von Verfahren als Gebot der Stunde, LexisNexis


Enquete von Dr. Hannes Jarolim kriminierung. Die erhobenen Nachzahlungs- und Schadenersatzansprüche seien unterschiedlich und nicht strikt identisch, was allerdings für die Zertifizierung der Klage als class action notwendig sei. Ähnlich wurde in der Entscheidung AmChem vs Windsor argumentiert. Die in der Gesundheitsschädigung durch Asbest liegende Gemeinsamkeit genüge für sich genommen nicht zur Rechtfertigung einer class action, weil zu viele individuelle Streitpunkte offen blieben (zB unterschiedliche Einwirkungsformen, -intensitäten und -zeiten, unterschiedliche Asbestprodukte, unterschiedliche Form und Schwere gegenwärtiger bzw möglicher künftiger Verletzungen). Kollektivverfahren sind innerhalb der Europäischen Union von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedlich geregelt, eine tatsächlich überzeugende Lösung eines beschleunigten Prozesses, der die berechtigten Interessen aller Beteiligten ausreichend und ausgewogen berücksichtigt, ist allerdings bislang nicht gefunden worden. Auf Verbraucherseite wird allzu gerne auf das niederländische Modell einer kollektiven Schadenersatzklage, deren Besonderheit die Anwendung des Opt-out Prinzips ist (WCAM-Verfahren), verwiesen. Näheres ist noch im Folgenden auszuführen, anzumerken ist an dieser Stelle allerdings, dass es sich bei diesem Verfahren nicht um einen streitigen Gerichtsprozess handelt, sondern um ein gerichtliches Verfahren zur Bestätigung eines außergerichtlich erzielten Vergleichs.117 Auch die in den Niederlanden geplante kollektive Schadenersatzklage wird den Anforderungen eines ausgewogenen Systems nicht gerecht, insoweit in der Literatur zu dieser euphemistisch ausgeführt wird, dass diese aus der Erkenntnis folge, dass ein „Stock hinter der Tür“ notwendig sei, um Vergleichsverhandlungen zu fördern.118 Kernaufgabe des Schadenersatzrechts Weil wir soeben beim Knüppel waren: Dass der Strafgedanke im modernen Zivilprozessrecht nichts verloren hat, muss leider im Hinblick auf Strafschadenersatz nach USMuster betont werden, sollte jedoch auf fachlicher Ebene weitgehend außer Streit stehen (was allerdings zur Diskussion führen kann, was eine Strafe ist und was nicht). Geht es daher im primär interessierenden Bereich um die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen, so ist die Kernaufgabe des Schadenersatzrechts in Erinnerung zu rufen, nämlich bei Vorliegen der Voraussetzungen den Schädiger zum Ersatz des Schadens gegenüber dem Geschädigten zu verpflichten. Geht es in der heutigen Diskussion um die Beschleunigung von Verfahren, so darf doch ein Grundgedanke verdeutlicht werden: Es handelt sich um eine Diskussion um Prozessrecht, was im Kern dazu führen muss, dass zumindest aufgrund der gesetzlichen

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Stadler weist darauf hin, dass die Regelung nur vor dem Hintergrund der besonderen niederländischen Rechts- und Streitkultur verständlich ist und – jedenfalls derzeit (Anm.: 2008) – nur schwer übertragbar scheint (Stadler, Rechtspolitischer Ausblick zum kollektiven Rechtsschutz, in Meller-Hannich [Hrsg.], Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozess, 93 [102]) Stadler, Reformen des kollektiven Rechtsschutzes: Schlichten vor Richten, VbR 2015, 145.

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Enquete „Beschleunigung von Verfahren als Gebot der Stunde“ – Sammel-, Musterklagen und andere Möglichkeiten Grundlagen es in einem Gerichtsurteil keinen Unterschied ergeben kann, ob ein Anspruch in einem Einzel- oder in einem Kollektivverfahren geltend gemacht wird. Die rechtliche Beurteilung einer Schadenersatzklage setzt jedenfalls voraus, dass die Ansprüche dem Grunde und der Höhe nach durch den Kläger spezifiziert werden. Durch die Klage wird u.a. der Streitgegenstand definiert (bestimmtes Begehren sowie die Tatsachen im Einzelnen kurz und vollständig enthalten, auf die sich der Anspruch in Haupt- und Nebensachen gründet). Dieser Rahmen ist nicht nur für die beklagte Partei ein wesentliches und schutzwürdiges Interesse, da mit dieser Spezifizierung Art, Umfang und behauptete Tatsachengrundlage beschrieben werden, sondern auch für das Gericht, da die Klage den Entscheidungsrahmen des Gerichts absteckt. Opt-in/Opt-out Intensiv diskutiert wird die Fragestellung, ob ein solches Sammelverfahren nach dem opt-in- oder nach dem Opt-out-Prinzip organisiert werden soll. Die Europäische Kommission vertritt die Auffassung, dass die vertretene Gruppe klar bestimmt zu sein hat, damit das Gericht das Verfahren in einer Weise führen kann, dass die Rechte aller Beteiligten, insbesondere die Verteidigungsrechte, gewahrt sind.119 Auch das Europäische Parlament spricht sich nachdrücklich für eine Opt-in-Lösung aus.120 Nicht nachvollziehbar ist die Ansicht, dass Opt-in-Systeme nicht allen geschädigten Verbrauchern wirksamen Zugang zum Recht garantieren und deswegen das Opt-out-Prinzip vorzuziehen sei. Deren Zugang zum Recht ist zweifellos gegeben, denn rechtliche Hindernisse bestehen nicht. Ob er in concreto wahrgenommen wird, ist eine andere Sache. Daher wird auch in der Literatur darauf hingewiesen, dass ein reines opt-outModell in der Form, dass auch über Ansprüche von Klassenmitgliedern entscheiden wird, die sich am Verfahren nicht beteiligt haben, jedenfalls mit dem zivilprozessualen Dispositionsgrundsatz nicht vereinbar ist.121 Auch wird herausgestrichen, dass dem verfassungsrechtlichen Gebot der Wahrung des rechtlichen Gehörs auch in Verfahren kollektiven Rechtsschutzes Rechnung zu tragen ist122 und es nicht gerechtfertigt ist, es auf der Basis von Praktikabilitätsüberlegungen zu opfern.123 Stadler tritt aus verfassungsrechtlichen Gründen für ein klares Opt-in Modell ein.124 119 120

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S. FN 3, 13. Entschließung des Europäischen Parlaments vom 2. 2. 2012 zu dem Thema „Kollektiver Rechtsschutz: Hin zu einem kohärenten europäischen Ansatz“ (2011/2089 (INI)), ABl. C 239 E/32 vom 20. 8. 2013, Punkt 20. Kodek, Möglichkeiten zur gesetzlichen Regelung von Massenverfahren im Zivilprozess, ecolex 2005, 751 [753]. Schilken, Der Zweck des Zivilprozesses und der kollektive Rechtsschutz, in Meller-Hannich (Hrsg.), Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozess, 21 [49]. Domej, 448 f. Sie weist auch darauf hin, dass eine völlige oder weitgehende prozessuale Entrechtung, die weder erforderlich noch gerechtfertigt ist, die Akzeptanz kollektiver Rechtsschutzinstrumente bei potentiellen Gruppenmitgliedern und damit auch die Wirksamkeit solcher Instrumente verringern (449). Stadler, s. FN 11, 111. Jarolim, Beschleunigung von Verfahren als Gebot der Stunde, LexisNexis


Enquete von Dr. Hannes Jarolim Wie bereits angeschnitten, ist die Bündelung von Schadenersatzansprüchen in der Regel dadurch gekennzeichnet, dass die einzelnen Ansprüche sehr unterschiedlich gelagert sind. Daraus folgt allerdings meines Erachtens zwingend, dass die Behandlung derartiger Klagen im Rahmen eines zivilgerichtlichen opt-out-Modells nicht zulässig ist. Denn mit einem solchen System ist die spezifische Geltendmachung der Ansprüche unvereinbar. Auch kann das Gericht wohl kaum auf dem Boden des geltenden materiellen Rechts eine korrekte und nachprüfbare Entscheidung treffen. Wird dieser Rahmen verwischt, in dem nach den materiell-rechtlichen Vorschriften neben „reinem“ Schadenersatz auch Strafschadenersatz, Kostenersatzüberlegungen uÄm einfließen, so zeigt sich, dass von einer Spezifizierung zunehmend Abstand genommen wird und eine Pauschalbetrachtung Platz greift. Dies mag zwar zu Verfahrensvereinfachungen für den Sammelkläger und das Gericht führen, das hat allerdings dann kaum mehr etwas mit unserem Verständnis eines Schadenersatzes zu tun. Auch wenn die Wirtschaft aus diesen und anderen Überlegungen ganz eindeutig optout-Varianten ablehnt, so lassen Sie mich doch gedanklich einen Schritt weitergehen: Der Sammelkläger wird vermutlich nicht ganz alleine klagen dürfen, sondern schon mit einer gewissen Anzahl bekannter Anspruchsteller auftreten müssen. In dieser Konstellation wird wohl vertraglich vereinbart werden können, in welchem Verhältnis im Obsiegensfall zwischen geltend gemachtem Anspruch und Prozessergebnis die Leistung den Anspruchstellern zufließt. Hinsichtlich der unbekannten Personen, die von einem opt-out-Ergebnis gewollt oder ungewollt betroffen wären, besteht allerdings kein Vertragsverhältnis. In diesen Fällen müsste es mangels Einigung zu Folgeprozessen kommen, in denen zwangsläufig die konkreten Umstände des Einzelfalls zu beurteilen wären. Ist das tatsächlich mit dem Ziel einer Entlastung der Gerichte vereinbar? Tritt der Sammelkläger mit einer solchen Entscheidung bzw mit einem solchen Vergleich gegenüber allen potentiellen Anspruchstellern an die Stelle des Schädigers? Was passiert, wenn der „Topf“ ausgeschöpft ist, aber dennoch berechtigte Ansprüche bestehen? Auch aus prozessrechtlicher Sicht stellen sich mit einer Opt-out Konstellation eine Reihe von Fragen. Führt ein solches Sammelverfahren dazu, dass weitere gleiche Klagen unzulässig sind, wird zu diskutieren sein, wer berechtigt ist, eine solche Klage zu erheben. Wie weit können die Wirkungen einer solchen Klage reichen? Wie weit geht die Bindungswirkung einer solchen Klage bzw eines solchen Verfahrens? Kommt es nur auf einen einheitlichen Sachverhalt an oder auch auf die geltend gemachten Ansprüche? Wie sieht es aus, wenn materiell-rechtliche Unterschiede bestehen? Kann ein (ausländisches) Gericht eine nachfolgende Klage ohne Weiteres zurückweisen oder ist mit einer solchen Klage implizit eine Opt-out Erklärung verbunden (um zB der Verjährungsproblematik zu entgehen)? Welche Voraussetzungen müssen gegeben sein, damit ein Gericht ein Urteil mit Opt-out Wirkung fällen darf bzw einen Vergleich mit Optout Wirkung akzeptieren kann? Wie weit geht die Rechtskraft einer gerichtlichen Entscheidung?

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Enquete „Beschleunigung von Verfahren als Gebot der Stunde“ – Sammel-, Musterklagen und andere Möglichkeiten Einer der wesentlichsten Momente im Rahmen derartiger Überlegungen wird der Umstand sein, ob und wie die potentiellen Anspruchsteller von einem solchen Verfahren verständigt werden können, damit deren Grundrecht auf rechtliches Gehör und ihre Dispositionsfreiheit nicht verletzt wird. Ob eine Repräsentationslösung den Vorgaben des Art 6 EMRK entspricht, wie dies Kodek vertritt,125 ist zumindest dort zweifelhaft, wo die zu repräsentierenden Personen von der Repräsentation nicht verständigt werden – ganz abgesehen davon, dass damit die Frage ihrer Dispositionsfreiheit weiterhin ungelöst ist. Das von Kodek ua herangezogene Beispiel Wendenbug ua vs Deutschland (EGMR 6. 2. 2003, Nr 71.630/01)126 dürfte als Beispiel eines kollektiven Verfahrens durch Repräsentation verfehlt sein, und sein als Beispiel herangezogene Entscheidung Lithgow vs Vereinigtes Königreich begegnet in der Literatur doch massiven Einwendungen.127 In Philis vs Griechenland128 urteilte der EGMR, dass das Recht auf Zugang zu Gericht verletzt war, da der beschwerdeführende Ingenieur nicht in der Lage war, direkt Zahlungsklage gegenüber seinen Klienten einzubringen. Auch in Holy Monasteries vs Griechenland129 wurde festgestellt, dass das Recht auf Zugang zu Gericht verletzt wird, wenn ein Anspruch nicht direkt geltend gemacht werden kann. Ein mitunter gezogener Vergleich zu einem Insolvenzverfahren, in dem die Verständigung der Gläubiger ua durch die Veröffentlichung in der Ediktsdatei erfolgt, unterlässt den Hinweis, dass in diesen Fällen die allermeisten Forderungen vom Insolvenzverwalter geprüft und anerkannt werden. Wird die angemeldete Forderung bestritten, so kann es zu einem Prozess kommen – dies nicht gesammelt hinsichtlich aller bestrittenen Forderungen. Gläubiger und Schuldner sind in der Regel bekannt und ist einer der Grundsätze des Insolvenzverfahrens die Gleichbehandlung aller Gläubiger – ein Umstand, der bei einer Sammelklage eben nicht unbedingt gegeben ist. Insgesamt zeigt sich, dass ein Opt-in System sowohl aus verfassungsrechtlicher Sicht als auch aus prozessualer Sicht gegenüber einem Opt-out System zu favorisieren ist.

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Kodek, Möglichkeiten zur gesetzlichen Regelung von Massenverfahren im Zivilprozess, ecolex 2005, 751 [752]. Die Entscheidung des EGMR betrifft eine Entscheidung des deutschen Bundesverfassungsgerichts (13. Dezember 2000, 1 BvR 335/97), nach der § 25 der dt. Bundesrechtsanwaltsordnung mit Art. 12 Abs. 1 dt. Grundgesetz (Berufsfreiheit) unvereinbar war. Wird eine Gesetzesbestimmung als verfassungswidrig aufgehoben, die allenfalls negative Auswirkungen auf eine Berufsgruppe hat, so kann diese Berufsgruppe sich nicht auf eine Verletzung des Art. 6 EMRK berufen, sofern sie im Verfahren keine Parteistellung hat. EGMR 8. 7. 1986, Serie A Nr. 102. Siehe dazu Domej, 439. Entscheidend war und entscheidend ist, dass die Aktionäre tatsächlich Einfluss auf den Vertreter (Bestellung, Abwahl) und dessen Verhalten hatten. Nur so konnte die Einschränkung des individuellen Zugangs zu Gericht gerechtfertigt werden. EGMR 27. 8. 1991, Serie A Nr. 209. EGMR 9. 12. 1994, Serie A Nr. 301-A. Jarolim, Beschleunigung von Verfahren als Gebot der Stunde, LexisNexis


Enquete von Dr. Hannes Jarolim Finanzierung Ein Sammelverfahren ist wesentlich aufwendiger als ein Einzelverfahren, entsprechend wesentlich höher sind die Kosten eines solchen Verfahrens zu veranschlagen. Der Grundsatz, dass die unterlegene Partei die Kosten zu tragen hat, ist in der europäischen Rechtstradition fest verankert, wenn auch nicht in allen Mitgliedstaaten der Union und auch nicht in derselben Weise. Auch die Kommission empfiehlt, nach diesem Grundsatz zu verfahren.130 Dieser Grundsatz bildet ein anerkanntes Korrektiv, um die missbräuchliche Führung von Verfahren bestmöglich zu unterbinden. Das beklagte Unternehmen erhält auch bei erfolgreicher Abwehr der klageweise geltend gemachten Ansprüche durch die Kostenersatzregel sowieso nur einen Bruchteil seines für die Abwehr notwendigen und zweckentsprechenden Aufwands ersetzt. Nicht nur, dass er unmittelbar gezwungen ist, wesentliche eigene Ressourcen einzusetzen, wird er darüber hinaus keinen qualifizierten Anwalt finden, der bereit ist, seine Leistungen pauschaliert nach Tarif zu verrechnen. Wirtschaftsanwälte werden in der Regel auf Stundenhonorarbasis tätig. Je nach Ausgestaltung eines Sammelverfahrens auf Klägerseite ist sicherzustellen, dass der Beklagte seinen Kostenersatzanspruch nicht verliert bzw dieser wertlos wird. Bekannt ist die Finanzierung durch einen Prozessfinanzierer, der das Risiko des Prozessverlusts gegenüber dem Sammelkläger trägt. Eine Prozessführung durch einen finanzschwachen Sammelkläger ist allerdings höchst problematisch. Diese Gefährdung trifft nicht nur den Beklagten, sondern kann auch negative Auswirkungen auf die Anspruchsteller haben, wenn zB der Sammelkläger während des Verfahrens nicht in der Lage ist, Gerichtsgebühren, Sachverständigenkosten oÄm zu finanzieren. Wird eigens zur Prozessführung eine eigene juristische Person gegründet, so ist dieses Gefährdungspotential offensichtlich. Aus den angeführten Gründen sollte allgemein einem derartigen Zugang mit Skepsis begegnet werden. Problematisch ist allerdings der immer wieder auftretende Umstand, dass das Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz131 (BMASK) den VKI beauftragt, ein Sammelklageverfahren durchzuführen. Bekannt ist, dass der VKI zu wesentlichen Teilen durch das BMASK finanziert wird. Bekannt ist, dass auch der VKI von finanziellen Problemen betroffen ist.132 Bekannt ist auch, dass als Vertragspartner einer Sammelklagen-Rahmenvereinbarung neben dem VKI und dem Prozessfinanzierer auch das BMASK auftritt.133 Diese inhaltliche Involvierung einer obersten Behörde des Bundes in ein zivilgerichtliches Verfahren ist im Hinblick auf die verfassungsrechtliche Trennung der Verwaltung von der Gerichtsbarkeit und im Hinblick auf die gebotene Äquidistanz der Verwaltung gegenüber den Parteien eines Zivilverfahrens hinterfragungswürdig. Will die Verwaltungsbehörde gegen die beklagte Partei vorgehen, 130 131 132 133

S FN 3, 18. Formal korrekt wohl der Bundesminister. S Z 3 der Änderung des Bundesfinanzgesetzes 2015 (als Art 3 BGBl I Nr 140/2015). Vgl OGH 27. 2. 2013, 6 Ob 224/12b.

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Enquete „Beschleunigung von Verfahren als Gebot der Stunde“ – Sammel-, Musterklagen und andere Möglichkeiten stehen ihr ausreichend Mittel und Wege zur Verfügung. Durch diesen zivilgerichtlichen Umweg wird die beklagte Partei ihrer Rechte, die sie in einem allfälligen Verwaltungs(straf)verfahren hätte, ungerechtfertigt beschnitten. Auch im Sinne der Waffengleichheit ist eine Mitfinanzierung ausschließlich des Sammelklägers durch die öffentliche Hand aus Wirtschaftssicht abzulehnen. Kontrolle des Sammelklägers & Co? In der Entscheidung AmChem vs Windsor wurde ein Punkt aufgeworfen, der auch in Österreich zunehmend diskutiert wird, nämlich der der Interessenkonflikte innerhalb der (mittelbaren) Anspruchsteller sowie zwischen diesen, dem Sammelkläger, einem Prozessfinanzierer und dem einschreitenden Rechtsanwalt. Die Interessen der unterschiedlich Beteiligten sind nicht ident. Dass hier Probleme bestehen, ist in der Praxis weithin bekannt. VKI und andere Sammelkläger verfolgen nicht nur die Interessen der Anspruchsteller, sondern (auch) eigene oder die Dritter (zB BMASK). Ist eines der Ziele ein öffentlichkeitswirksamer Auftritt des Sammelklägers, so kann zB nicht ausgeschlossen werden, dass dieser eher einem für die Anspruchsteller nachteiligen Vergleich zustimmt, als den Prozessverlust zu riskieren. Auch Gegenteiliges ist bekannt, nämlich die mitunter mangelnde Vergleichsbereitschaft nicht der indirekten Anspruchsteller, sondern des für sie tätig werdenden Sammelklägers samt seinen Prozessfinanzierern und Anwälten. Der Sammelkläger steht häufig im Spannungsverhältnis zwischen den Anspruchstellern und dem Prozessfinanzierer, auch der Anwalt wird faktisch nicht vollkommen uneigennützig handeln. Im Falle eines Vergleichs sind diese Gegensätze besonders hervorstechend. Wer kann eine unabhängige Beratung von Verbrauchern hinsichtlich des Vertrages mit dem VKI über die Prozessführung gewährleisten? Auch ohne die bekannten Elemente der US-class action können Sammelverfahren schon durch ihre schiere Größe und Komplexität spezifische Missbrauchsgefahren mit sich bringen. Es ist daher besonderes Augenmerk darauf zu richten, dem Beklagen eine reale Chance zu geben, unberechtigte Ansprüche abzuwehren; dazu gehört auch, dass ein Prozessgewinn kein Pyrrhussieg werden sollte.134 Eine gewisse und kontinuierliche Aufsicht über Sammelkläger & Co ist daher sinnvoll, etwa dahingehend, ob die Organisation der Anspruchsteller den Anforderungen genügt sowie ob das Verfahren sorgfältig und korrekt geführt wird. Wie diese konkret auszugestalten ist, wo diese Kontrolle ansetzen soll und wie weit sie gehen darf/soll, sollte eingehend beleuchtet werden. Eine Aufsicht durch das Gericht des Verfahrens selber könnte zu einer Art Vorkontrolle des Verfahrens führen und wäre daher eher fragwürdig. Eine Kontrolle durch einen anderen Richter könnte als einseitiger Eingriff in eine an sich unabhängige Gerichtsbarkeit qualifiziert werden, denn hier würde eine Partei

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Enquete von Dr. Hannes Jarolim eines kontradiktorischen Verfahrens von einer Kontrolle betroffen sein und nicht ein Organ des Gerichts selbst, wie dies etwa beim Insolvenzverwalter der Fall ist. „Sammel-ADR“ Immer wieder wird in der Literatur die Ansicht vertreten, dass der gerichtlichen Erledigung von Sammelklagen einer vergleichsweisen Lösung der Vorzug zu geben sei.135 Eine einvernehmliche kollektive Streitbeilegung hat nichts mit dem Zugang zum Recht zu tun. Ziel ist der Zugang zum Rechtsfrieden als von den Parteien akzeptiertes Ergebnis. Ob der erzielte Vergleich rechtlich richtig ist, muss keiner gerichtlichen Überprüfung unterliegen. Übersehen wird bei derartigen Forderungen allerdings das Grundprinzip einer einvernehmlichen Streitbeilegung: das der absoluten Freiwilligkeit. Dass sofort geklagt wird, ohne zuvor den Versuch einer gütlichen Einigung vorgenommen zu haben, entspricht sowieso der allgemeinen Erfahrung. Auch zeigt die Erfahrung, dass es keineswegs ausgeschlossen ist, dass im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens – allenfalls nach Klärung bestimmter Vorfragen – ein Vergleich zustande kommt, so auch bei einem Großteil der vor dem Handelsgericht Wien anhängigen Anlegersammelklagen. Druck, welcher Art auch immer, zur Teilnahme an einem ADR-Verfahren,136 geschweige denn zum Abschluss eines Vergleichs, ist nachdrücklich abzulehnen. Dies erst recht in jenen Fällen, in denen derartige Vergleichsverfahren tragende Prinzipien eines fairen Verfahrens verletzen. So bestehen etwa berechtigte Zweifel an der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit von Schlichtungsstellen im Rahmen des AStG,137 die zugleich Regulierungsbehörden sind,138 an der Waffengleichheit bei Mitwirkungspflichten betroffener Unternehmen139 oder an den gesetzlichen Mindestanforderungen an die fachliche Qualifikation der Schlichter. Auch vermögen manche angepriesene Vorteile eines ADR-Systems einer genaueren Überprüfung nicht standzuhalten. Die angeführten niedrigeren Kosten mögen allenfalls die Gerichtsgebühren betreffen, nicht jedoch zwangsläufig die der eigenen Rechtsvertretung. Kommt es zu keiner Einigung, ist es wohl offensichtlich, dass es zu keiner Beschleunigung, sondern zu einer weiteren Verzögerung des Gerichtsverfahrens und zu zusätzlichen Verfahrenskosten kommt. Ist es tatsächlich gerechtfertigt, auf diese Weise an den Rechtsschutzgarantien zu sparen?140 Nicht gänzlich unberücksichtigt sollte der Umstand sein, dass das Unternehmen auch gegenüber seinen Anteilseignern und Investoren rechenschaftspflichtig ist. Wird zwar 135 136 137 138 139 140

Stadler 146; Oberhammer 115 mwN. S etwa FN 12. Bundesgesetz über alternative Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten (Alternative-Streitbeilegung-Gesetz – AStG), BGBl I Nr 105/2015. Vgl § 4 Abs 1 Z 1 bis 4 AStG. S dazu Schuschnigg, Außergerichtliche Streitbeilegung 23 ff. S Oberhammer 120.

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Enquete „Beschleunigung von Verfahren als Gebot der Stunde“ – Sammel-, Musterklagen und andere Möglichkeiten an der einen Front eine Einigung erzielt, führt diese allerdings an einer anderen Stelle zu vermehrten Klagen, wird das Ziel einer beschleunigten Herstellung des Rechtsfriedens und der Entlastung der Gerichtsbarkeit ein wenig verfehlt. Insgesamt zeigt sich, dass es bei Weitem noch nicht erwiesen ist, dass mit den vielfach vorgebrachten „Weiterentwicklungsvorschlägen“ tatsächlich sachgerechte prozessrechtliche Verbesserungen unter bestmöglicher Berücksichtigung der wechselseitigen Interessen und unter tunlichster Vermeidung von Missbräuchen zu erzielen sind. Die offenkundig gewordenen mangelnden Ressourcen der Zivilgerichtsbarkeit können jedenfalls kein überzeugendes Argument dafür sein, tragende zivilrechtliche und zivilprozessuale Grundsätze mir nichts, dir nichts über Bord zu werfen. Die Wirtschaft ist für eine sachliche Diskussion jederzeit zu haben und verschließt sich keineswegs sinnvollen Reformen. Sinnvoll bedeutet allerdings im konkreten Zusammenhang, dass ausgewogene Mittel und Wege gefunden werden. Entscheidend ist, dass es – ob individuell oder gebündelt – im Schadenersatzprozess primär um die Verfolgung subjektiver Privatrechte geht – und das sollte auch so bleiben.141

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Ähnlich Domej 422 f mwN. Jarolim, Beschleunigung von Verfahren als Gebot der Stunde, LexisNexis


Publikumsrunde Abg. z. NR Dr. Hannes Jarolim: Besten Dank für Ihre Ausführungen! Meine Damen und Herren, ich darf Sie jetzt – nachdem wir aufgrund der fortgeschrittenen Zeit keine eigene Antwortrunde am Podium machen – um Ihre Wortmeldungen, Anregungen und Fragen ersuchen, das gilt aber natürlich auch für das Podium. Es gibt zwei Funkmikrophone und ich darf jede/n ersuchen, durch ein Zeichen mit der Hand sein Interesse an einer Wortmeldung kund zu tun und sich einleitend kurz vorzustellen.

Rechtsanwalt Dr. Alexander Klauser Mein Name ist Alexander Klauser. Ich bin Anwalt in Wien und hauptsächlich auf Verbraucherseite tätig, meist als Vertrauensanwalt des Vereins für Konsumenteninformation (VKI). Die sogenannte Sammelklage österreichischer Prägung gibt es nun seit dem Ende der 1990er-Jahre. Als Rechtsvertreter des VKI erprobte ich dieses Rechtsinstrument erstmals zum Zweck der gerichtlichen Geltendmachung der gleichgelagerten Ansprüche hunderter Konsumentinnen und Konsumenten in jenem Reiserechtsfall, den Sie, Frau Zgubic, erwähnten. Seither wurde die Sammelklage bei Massenschäden mehrfach erfolgreich eingesetzt, zB im sogenannten Zinsenstreit gegen österreichische Banken und in den letzten Jahren insbesondere bei Anlegerschäden. Maßgeblich an der Entwicklung und praktischen Erprobung der Sammelklage beteiligt waren wie gesagt der VKI, aber auch die Arbeiterkammer, das Konsumentenschutzministerium und der Prozessfinanzierer FORIS. Das Instrument der Sammelklage österreichischer Prägung dafür ins Treffen zu führen, dass wir in Österreich auf dem Gebiet des kollektiven Rechtsschutzes nichts Neues brauchen, wäre allerdings falsch. Die österreichische Sammelklage ist eine Behelfslösung, die gewissermaßen aus einer Notwehrsituation heraus entstanden ist. Das Unternehmen, gegen das sich die massenhaften Ansprüche richteten, war nicht bereit, über die Ansprüche einiger weniger Konsumenten zur Klärung der gemeinsamen Sach- und Rechtsfragen einen Musterprozess zu führen und hinsichtlich der Ansprüche aller anderen Konsumenten einen Verjährungsverzicht abzugeben. Wie Frau Zgubic schon sagte, ist die Frage der Verjährung von Ansprüchen bei Massenschäden ein ganz wichtiger Aspekt. Die Ansprüche sämtlicher Geschädigten in Einzelprozessen zu Gericht zu bringen, wäre jedoch keine gangbare Alternative gewesen. Bei dem Reiserechtsfall ging es um Einzelstreitwerte zwischen 500 und 3000 Euro. Welcher rational agierende Verbraucher würde eine Klage über diesen Betrag einbringen, wenn alleine die Sachverständigengebühren das Punktum übersteigen? Vor diesem Hintergrund war es – da muss ich Herrn Schuschnigg Recht geben – eine rationale und legitime Überlegung des Unternehmens, zu sagen: „Den Verjährungs-

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Publikumsrunde verzicht geben wir nicht ab. Schauen wir uns an, ob die Konsumenten wirklich alle zu Gericht gehen.“ Die Konsequenz auf Seiten der Anspruchsteller bzw des VKI war sodann, aus § 227 Zivilprozessordnung (ZPO) die Strategie abzuleiten, nicht bloß einzelne Ansprüche an den VKI abzutreten und darüber Musterprozesse zu führen, sondern die Ansprüche sämtlicher Verbraucher an den VKI abzutreten und diese Ansprüche gesammelt in einer einzigen Klage gerichtlich geltend zu machen. Diese Klagenhäufung ergab einen derart hohen Streitwert, dass dadurch ein Prozessfinanzierer gewonnen werden konnte, mit dessen Hilfe die gerichtliche Geltendmachung sämtlicher Ansprüche finanzierbar wurde. Zugleich waren durch die Einklagung sämtliche Ansprüche vor Verjährung geschützt – und damit war der Weg zu einem Vergleich nicht mehr weit. Hartnäckiger waren die Banken im sogenannten Zinsenstreit. Die Banken wandten ein, die Klagenhäufung im Wege der mittlerweile so genannten „Sammelklage österreichischer Prägung“ wäre nach der österreichischen ZPO nicht zulässig, das wären „amerikanische Verhältnisse“ – und Prozessfinanzierung gegen Erfolgsbeteiligung wäre sowieso verpönt. Daher mussten wir im Zinsenstreit viele Jahre lang alle Instanzen hindurch prozessieren, bis diese formalen Fragen im Sinn der Anspruchstellerseite geklärt waren. Erst dann war auch im Zinsenstreit ein Vergleich möglich. Genauso war es bei den Sammelklagen des VKI gegen den Finanzdienstleister AWD wegen fehlerhafter Anlageberatung im Zusammenhang mit Immobilienaktien. Wir prozessierten zunächst jahrelang über die Frage, ob auch in diesem Fall die Klagenhäufung zulässig ist, und danach noch weitere Jahre, ob die Einbeziehung eines Prozessfinanzierers zulässig ist. Als diese Fragen geklärt waren, dauerte es hingegen bloß drei Tage und zwei Nächte im Rahmen einer Mediation, und der Vergleich stand. Das zeigt deutlich, wo die Probleme liegen. Die Sammelklage österreichischer Prägung hat darüber hinaus zusätzlich zu dem, was heute schon gesagt wurde (zB dem Verlust des Verbrauchergerichtsstands), noch folgende in der Praxis bedeutsame Defizite: Wenn etwa doch kein Vergleich zustande kommt, dann ist ein Ausjudizieren einer Sammelklage mit, sagen wir, beispielsweise 1200 Beteiligten eine praktisch nicht handhabbare Mühsal. Es wäre mit einem jahrzehntelangen Verfahren zu rechnen. Hinzu kommt der Kostenaspekt. Was am Anfang eines Verfahrens über eine Sammelklage infolge der Struktur der Tarife für Gerichts- und Anwaltsgebühren eine deutliche Kostenersparnis bringt, kann sich im Lauf eines längeren Verfahrens ins Gegenteil verkehren. Wenn Sie sich beispielsweise vorstellen, dass ein Gericht viele Jahre lang über alle 1.200 gebündelte Ansprüche ein Beweisverfahren durchführt, und das womöglich noch auf der Basis des Gesamtstreitwertes, kommt es geradezu zu einer Kostenexplosion.

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Publikumsrunde Wenn man aber Ansprüche nicht zu Gericht bringen kann, weil die gerichtliche Geltendmachung nicht finanzierbar ist, dann nützt selbst das modernste Verbraucherrecht nichts. Der Zugang zum Recht ist dann nicht mehr gewährleistet. Denn auch das beste materielle Recht ist nur so viel wert, wie das Verfahrensrecht und die Verfahrenspraxis dessen Durchsetzung ermöglichen. Übrigens, es ist schon gesagt worden: Nicht nur Verbraucher, sondern auch Unternehmer können in der Situation sein, dass sie völlig gleichgelagert von Massenschäden, etwa von systematischen rechtswidrigen Vorgangsweisen eines Vertragspartners, betroffen sind und daher eine Sammelklage benötigen, um auf leistbare Weise zu ihrem Recht zu kommen. Ein weiteres Defizit der österreichischen Sammelklage ist der Aspekt der Rechtsmittelfristen: Stellen Sie sich vor, es gibt nach jahre- oder jahrzehntelanger Prozessführung über eine Sammelklage von 1.200 gebündelten Ansprüchen ein Urteil. Wie viele Seiten hat dann dieses Urteil? Sicherlich mehrere tausend Seiten. Und dann soll ein Rechtsanwalt innerhalb von vier Wochen eine Berufung dagegen machen oder, je nachdem ob man gewonnen oder verloren hat, eine Berufungsbeantwortung? Das ist einfach nicht zumutbar. Abschließend zur Frage „Opt-in“ oder „Opt-out“: Eine „Opt-out“-Lösung ist auch und gerade im Interesse der beklagten Unternehmen jedenfalls vorzuziehen. Es ist nämlich für ein beklagtes Unternehmen sehr nachteilig, wenn es nicht weiß, wie lange und in welchem Ausmaß es noch von potenziellen Ansprüchen betroffen sein kann. Zusammenfassend: Österreich, und zwar nicht nur die Verbraucherseite, sondern auch die Unternehmerseite, braucht ein modernes, effektives und faires kollektives Rechtsschutzinstrument. Die Sammelklage österreichischer Prägung ist zwar de lege lata noch immer nötig, erfüllt diese Anforderungen jedoch definitiv nicht. Und der Gesetzgeber sollte auch endlich eindeutig klären, dass Prozessfinanzierung gegen Erfolgsbeteiligung eine zulässige Form der Finanzierung von Massenklagen ist. Denn, auf Wienerisch gesagt: „Ohne Geld, keine Musik“. Danke!

Rechtsanwalt Dr. Wolfgang Leitner Mein Name ist Dr. Wolfgang Leitner. Ich bin Anwalt und seit vielen Jahren mit der Verfolgung von Anlegeransprüchen befasst. Ich habe vor 25 Jahren den Interessensverband für Anleger mitgegründet und habe damals den ersten großen Prospekthaftungsprozess mit rund 350 geschädigten Aktionären der Tiroler Loden AG geführt. Ich hatte damals das Glück, die beklagte Länderbank davon zu überzeugen, einen Prozess als Musterverfahren zu führen, während für die anderen Verfahren bis zur Entscheidung des Musterprozesses auf den Einwand der Verjährung verzichtet wurde. Als sich dann aus dem Sachverständigengutachten ergeben hat, dass die übrigen Prozesse für die beklagte Partei nicht zu gewinnen waren, konnte die Sache mit allen vernünftig verglichen werden.

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Publikumsrunde Aus meiner Erfahrung kann ich sagen, dass bei der Verfolgung einer großen Zahl gleich gelagerte Ansprüche das zentrale Problem die drohende Verjährung ist. Sie zwingt Geschädigte zur Prozessführung und zum Kostenrisiko; andernfalls verlieren sie ihre zu Recht bestehenden Ansprüche durch Verjährung. Der einfachste Weg, diesen Missstand ohne komplizierten gesetzgeberischen Aufwand im Interesse der Masse der Geschädigten in den Griff zu bekommen, wäre, eine Art Nebenintervention zu schaffen, die einen Beitritt zu einem Verfahren, welches den Charakter der Gleichartigkeit mit dem behaupteten Anspruch hat, erlaubt und die Wirkung der Verjährungsunterbrechung hätte. Der Nebenintervenient sollte die Anspruchsgleichheit glaubhaft machen. Für eine solche „Nebenintervention bei Anspruchsgleichheit“ wäre, nur das Recht der Akteneinsicht und der Urteilsverständigung, aber keine Antrags- und Mitwirkungsrechte im Prozess und auch keinen Kostenersatzanspruch zu gewähren. Die Hauptpartei muss das Recht haben, einer solchen „Nebenintervention bei Anspruchsgleichheit“ zu widersprechen. Musterkläger könnten auf ihr Verfahren aufmerksam machen; Geschädigte könnten sich nach ihrer Wahl der einen oder anderen Musterklage anschließen. Wenn dann eine Musterentscheidung vorliegt, kann man damit rechnen, dass die große Menge der Ansprüche verglichen werden. Als aktuelles Beispiel können die jetzt aufgebrochenen Probleme mit den geschlossenen Fonds, das sind die kritisierten Schiffs- und Schrottimmobilienfonds, genannt werden. Rund 100 Geschädigte wurden und werden von uns vertreten. Neben anderen Banken hat allein eine Bank gegenüber mehr als 7.000 Kunden dieses Anlageprodukt empfohlen. Es gibt wohl schon ein Urteil des OGH zur Teilfrage des sogenannten „Ausschüttungsschwindels“; zu anderen Fragen, wie etwa des Verjährungsbeginnes und der beim Vertrieb dieser Fonds verschwiegenen Provisionen, liegt aber noch keine höchstgerichtliche Judikatur vor. Die Folge davon ist, dass die Ansprüche nach wie vor bestritten bleiben, weiterhin durch den Instanzenzug gerichtsanhängig sind und gegenüber der Masse der Geschädigten, die sich nicht für die Prozessführung entschieden haben, die Verjährung droht. Die von mir vorgeschlagene „Nebenintervention bei Anspruchsgleichheit“ würde hier den Geschädigten die Anspruchsverfolgung signifikant erleichtern und man braucht kein kompliziertes Gesetz für Gruppenklagen.

Mag. Heinz-Ludwig Majer Sehr geehrter Herr Abgeordneter, sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrter Herr Sektionschef, sehr geehrtes Publikum, mein Name ist Heinz Ludwig Majer. Ich bin erstinstanzlicher Richter am Handelsgericht Wien und beschäftige mich dort seit 2011 fast ausschließlich mit Anlegersachen. Zuvor hatte ich, dafür bin ich dem Bundesministerium bis heute dankbar, die Möglichkeit als abgeordneter nationaler Sachverständiger in Brüssel zu arbeiten. In den Jahren 2009–2011 war ich in der Generaldirektion Wettbewerb, die sich ja auch mit dem Thema Schadenersatz aus Kartellen und damit natürlich auch mit Großschadensfällen befasst. Was kann ein erstinstanzliches Gericht 64

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Publikumsrunde zur heutigen Diskussion beitragen? Als Gericht stehen wir dem natürlich neutral gegenüber, können aber unsere Erfahrungen schildern. Wir haben gehört: 20.000 Ansprüche beim Handelsgericht in Wien. Wir haben sehr strenge Statistiken, die wir an uns selbst anlegen. Daraus kann man errechnen: ein Richter schafft in einem Jahr 80 solche Fälle. Das heißt, aus der richterlichen Sicht kann man jetzt natürlich ganz einfach sagen, 20.000 durch 80, machen wir 250 neue Richter am Handelsgericht, dann haben wir überhaupt kein Problem. Wir haben schon gehört, Sektionschef Kathrein hat erwähnt, unsere Zivilprozessordnung regelt das Einzelverfahren. Reden Sie einmal mit Kollegen aus anderen Ländern. Wir haben eine extrem gute Zivilprozessordnung für das Einzelverfahren. Professor Stadler hat die Bindungswirkung angesprochen. Hofrat Kodek, natürlich mit sehr starkem Einblick in die Praxis, erwähnte das Stichwort: Probleme vor die Klammer ziehen. Worum geht es? Es geht darum, dass – bevor ich eine Rechtsfrage löse – ich mir klar sein muss, von welchem Sachverhalt rede ich? Und jetzt versuche ich ganz komprimiert ein Beispiel zu bringen, auch ein Großschadensfall in Österreich: Es geht darum, dass eine österreichische Bank einen ausländischen Investmentfonds in Österreich als ausländischen Investmentfonds vertreibt. Dieser ausländische Investmentfonds sitzt in einem anderen Land und dort sind ganz legal die Verwahrung und die Verwaltung in einer Hand. Wenn das ein österreichischer Investmentfonds wäre, dann dürfte er das nicht. Da sind unsere Gesetze strenger. So, jetzt stellt sich die Rechtsfrage: Erstens, darf das die Bank in Österreich als ausländischen Investmentfonds vertreiben? Zweitens, wenn sie das darf, muss sie darauf hinweisen, dass dort die institutionelle Konstruktion eine andere ist? Und da stellt sich im Sachverhalt vorher eine andere Frage: Konnte die Bank von dieser anderen institutionellen Konstruktion überhaupt wissen? Der ursprüngliche Standpunkt der Bank war, es sei rechtlich irrelevant, ob sie das gewusst haben oder nicht. Das war im Ausland zulässig, dieser institutionelle Aufbau, deswegen selbst, wenn sie das gewusst haben, schadet es nicht. Ein Kollege von mir sagt, ich erörtere das jetzt mit Ihnen und wenn Sie das jetzt nicht bestreiten, dann nehmen wir das halt als unstrittig an und schreibt ein Urteil darüber. Das nächste Verfahren ist bei mir. Die Bank sagt, jetzt bestreiten wir das doch. Vollkommen zulässig in einem Einzelprozess. Also setzen wir uns hin in diesem Verfahren und hören uns die Zeugen an und gehen die Urkunden durch. Das waren damals zwischen 32 und 33 Stunden netto Einvernahmen, 15 bis 20 Zeugen. Ich weiß jetzt den Streitwert von dem Fall nicht mehr, die Mindestinvestitionssumme war 50.000. Da habe ich einen Stundensatz von 1.000 Euro pro Seite und Stunde. Gut, was kommt am Ende raus: das Wissen ist nachweisbar. Das wird auch rechtskräftig festgestellt, das Urteil geht bis zum OGH. Und dann kommen im Einzelprozess die Probleme. Nämlich im nächsten Prozess: Wo es im nächsten Prozess dann heißt, so, der Kläger A hat mir zwar jetzt das Wissen nachgewiesen, das hat bitte im österreichischen Ein-Parteienprozess keine Bindungswirkung und jetzt ist der Kläger B dran und weist mir das wieder nach. Da gibt es dann eine Bestimmung, wir können Protokolle verlesen. Auch der OGH greift schon die Bestimmungen über gerichtsbekannte Umstände auf. Aber das Ganze kann nie einen Beweisantrag overrulen. Ich setze mich im

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Publikumsrunde nächsten Fall hin und sage, ich bin 33 Stunden gesessen mit denselben Leuten. Ich halte das für nachgewiesen, ich habe es ja selber gesehen. Dann sagt halt die Gegenseite, na, dann beantragt das jetzt nicht der Kläger, sondern beantragen wir die 33 Zeugen und die kommen wieder her und alle Beweise müssen wieder aufgenommen wurden. Und das ich kann aus meiner persönlichen Wahrnehmung erzählen: Der Herr, ich nenne ihn jetzt Herrn O., war einmal bei mir und ich sagte: Haben Sie mir im letzten Prozess die Wahrheit gesagt? Ja. Das wie vielte Mal sind Sie heute bei Gericht? Das 200. Mal. Der Herr O. ist ein Bankmitarbeiter, unter der Vorstandsebene angesiedelt. Er hat nicht einmal, nicht ein einziges Mal irgendetwas vermittelt. Er hatte nur zwei direkte Wahrnehmungen zu zwei Vertriebsvereinbarungen über nachher behauptetermaßen Großschadensfälle. Er hatte bei mir schon ausgesagt. Er wurde aber immer wieder beantragt. Über den Antrag kann ich mich ohne Verfahrensfehler nicht hinwegsetzen. Was er materiell beitragen konnte, waren zweimal 10 Minuten, nämlich: Stimmt das Papier was da drinnen ist, diese Vereinbarung? Wer hat das unterzeichnet? Gab es Nebenabreden? Was sind die Provisionen? 200 Mal war er da. Und hier ist das Problem, das ich Ihnen vor Augen führen will. Nämlich diese Fakten, die in der Realität nur einmal bestehen können und dann natürlich für den individuellen Anspruch eine Vorfrage darstellen. Müssen wir die in jedem Verfahren wirklich einzeln neu ermitteln? Dankeschön.

Rechtsanwalt MMag. Florian Horn Ich bin Rechtsanwalt in Wien. Ich hatte die Gelegenheit, schon seit jungen Jahren in dieses Sammelklagsthema hineinzuschnuppern und kann diese Wahrnehmungen natürlich bestätigen, dass es tatsächlich praktische Probleme gibt und dass es an der Zeit ist, hier etwas zu schaffen, das sowohl den Beklagten als auch den Klägern die Verfahren erleichtert. Ich glaube, es zerfällt das Thema eigentlich in zwei Teilthemen und da möchte ich etwas aufgreifen, was der Herr Hofrat Professor Kodek gesagt hat als kleine Abweichung vom heutigen Thema, nämlich, dass er auch über komplexe Verfahren gesprochen hat. In Wahrheit haben wir in den Sammelverfahren immer eine Eingangsphase, diese Zulässigkeitsphase, die wirklich ganz originär in den Sammelverfahren jedes Mal in der Vergangenheit ein Problem war, weil uns die gesetzlichen Grundlagen gefehlt haben, um das klar darzustellen. Aber sobald einmal die Zulässigkeit geklärt ist, sind wir in der Regel – vielleicht bis auf einzelne Ausnahmefälle – in jedem Sammelverfahren auch in einem komplexen Verfahren, in einem Verfahren, für das unsere Zivilprozessordnung nicht eingerichtet ist. Dabei kann man sagen, dass auch in anderen Verfahren, wo es nicht diesen Sammelvorlauf gibt, genau dieselben Probleme kommen, dieselben Probleme, dass wir große, komplexe Sachverhalte haben, dass wir überbordende Beweisaufnahmen haben und dass wir vielleicht auch Fälle haben, die der Herr Rat Majer gerade angesprochen hat. Wo es sinnvoll wäre, innerhalb eines Verfahrens auch konkrete Einzelfragen in die 66

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Publikumsrunde Instanz zu bringen, um Klarheit zu schaffen über gewissen Fragen, um vielleicht auch eine gewisse Bindungswirkung – und sei sie nicht formell – zumindest autoritativ durch eine oberstgerichtliche Rechtsprechung zu schaffen. Diese Möglichkeit ist zwar in Teilen geschaffen worden – wir haben ja eine neue Bestimmung bekommen im Rahmen der Zwischenentscheidung der Verjährung – aber andere Teilrechtsfragen können wir, außer mit gewissen Kunstgriffen sage ich einmal, nicht vor die Klammer ziehen. Und da gebe ich nur zu bedenken, dass das nicht nur ein Thema ist, für die Sammelverfahren so etwas zu schaffen, sondern natürlich für jedes der komplexen Verfahren, mit denen insbesondere das Handelsgericht belastet ist, in sehr, sehr vielen Fällen. Um auf den ersten Punkt der Eingangsphase zurückzukommen: Wenn ich mir die Empfehlung der Kommission durchlese, wo gefordert wird, dass man besonders klar darlegen muss, was darf jetzt ein Sammelverfahren sein und was nicht, da bekomme ich Bedenken, ob wir nicht in das gleiche Problem, das wir jetzt mit der Sammelklage nach österreichischem Recht haben, dann wieder in einem sozusagen „ausgefeilteren“ Verfahren kommen. Denn je mehr Anforderungen wir an diesen Beginn stellen und je mehr Rechtsmittelmöglichkeiten wir den Beklagten geben, desto mehr wird das Spiel aufgemacht für rein formelle Fragen, die mit der sachlichen Klärung des jeweiligen Anspruchs ja nichts zu tun haben. Und das zeigt die Erfahrung, dass natürlich legitimerweise von den Kollegen auf der Gegenseite jedes Mittel ausgenützt wird, um sich hier zu wehren. Das ist ja der Sinn der Rechtsordnung, nicht? Aber die Frage muss man sich rechtspolitischerweise schon stellen, welche Ansprüche, welche konkreten persönlichen Rechtsschutzbedürfnisse hat eine Partei und welche dieser Rechtsschutzbedürfnisse sind generell legitim? Und welche sind vielleicht nicht legitim, sondern machen in Wahrheit manchen Anwälten ein bisschen mehr Geschäft, aber tun den Parteien nichts Gutes? Und da würde ich nur in der weiteren rechtspolitischen Diskussion darauf aufpassen, dass gerade in dieser Eingangsphase darauf geachtet wird, diese möglichst klar und möglichst einfach zu gestalten. Denn die ausgefeilteste Regel in dieser Eingangsphase tut den Parteien nichts Gutes, wenn man dann erst wieder im Rechtsmittelverfahren vielleicht einmal die Eingangsphase in zwei Rechtsgängen bis zum OGH klären muss, ohne überhaupt in der Sache einmal geredet zu haben. Danke sehr.

Präsident des OGH Hon.-Prof. Dr. Eckart Ratz Sie werden enttäuscht sein, weil ich Strafrechtler bin und daher nichts von Zivilrecht verstehen kann. Aber es gibt eine Behörde, die Gemeinwohlinteressen, die Interessen des Staates in der Rechtspflege, wahrnehmen kann. Und ich greife jetzt einen Gedanken von Kodek auf, der auf eine frühere Fassung des OGH-Gesetzes hingewiesen und gesagt hat, da gab es damals einen Senat des OGH, der befasst werden konnte mit Grundsatzfragen. Keine Bindung für Einzelfälle, sondern autoritative Aussagen, von denen der Herr Kollege vorhin gesprochen hat. Eine solche Klärung wichtiger Fallgruppen

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Publikumsrunde durch eine Art Clearingstelle, die Interessen des Gemeinwohls vertritt, haben wir im Strafverfahren bereits. Das ist die Generalprokuratur beim OGH. Man müsste – überspritzt gesagt – fünf Buchstaben ändern im Gesetz und die Generalprokuratur könnte jeden Vorgang – nicht wie jetzt bloß eines Strafgerichts, sondern ganz allgemein – eines Gerichts an den OGH zur Grundsatzklärung herantragen. „Vorgang eines Gerichts“ heißt jede Erklärung eines Gerichts und in jedem Verfahrensstadium, so wie es in Strafsachen bereits jetzt der Fall ist. Dazu könnte sie in strukturell interessanten Prozessen schon den Zeitpunkt wählen, in dem das Gericht zu erkennen gibt, welche Rechtsfragen es durch beabsichtigte Beweisaufnahmen klären will, den Zeitpunkt also, wo die Rechtsfrage erstmals auf den Punkt kommt, selbst bloß implizit auf den Punkt zu kommen. So eine Rechtsfrage könnte man herausschälen, in Klammer setzen und dann nur diesen Klammerausdruck an den OGH herantragen. Die Frage ist nur: Ist die Generalprokuratur fähig und willens dazu? Fähig ist sie. Wir machen das ja ständig, wir beantworten ständig zivilrechtliche Fragen in Wirtschaftsprozessen – und die Lösung aufgrund einer sogenannten Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes (so lautet der Tool im Strafverfahren) ist nur eine abstrakte, nämlich ob das Gesetz verletzt wurde: keine unmittelbare Auswirkung auf den Fall. Aber alle Gerichte halten sich wie automatisch daran. Das funktioniert wunderbar und ganz schnell. Die zweite Frage: Ist die Generalprokuratur willens, so eine Aufgabe zu übernehmen? Wohl eher nicht. Auch in Strafsachen werden meines Erachtens viel zu sehr strukturell wenig interessante, aber einfach zu handhabende Einzelfälle an den OGH herangetragen. Die großen Fragen eher nicht. Man erinnere sich an die Geschichte mit der Untreue. Der Gesetzgeber hat leider den Vorschlag, den ich gemacht habe, nicht aufgegriffen. Nämlich, statt das Gesetz zu ändern, auf eine Klärung der Frage durch den OGH hinzuwirken; konkret: ob der OGH die Rechtssätze der berühmten Libro-Entscheidung – scharf auf den Punkt gebracht – für richtig hält oder nicht aufrechterhält. Mit der Folge, dass nach der Gesetzesänderung, soweit ich weiß, keiner der angeblich vielen gleichartigen Fälle eingestellt wurde. Hätte die Gesetzesänderung gegriffen, hätten ja jede Menge gleichartiger Verfahren – die es dem Vernehmen nach geben soll – sofort aufgrund des nun milderen Strafgesetzes eingestellt werden müssen, wenn nämlich die Weisung des Eigentümers an den Machthaber diesen straffrei macht, im Sinne des § 153 StGB und § 70 Aktiengesetz aus dem Spiel bleibt, dessen Interessen der Eigentümer nicht wirksam vertreten kann. Das wurde beabsichtigt. Ist nicht gelungen. Ich habe immer gesagt: Ein Satz durch die Generalprokuratur, an uns herangetragen, und das lösen wir in wenigen Monaten. Bitte nicht von vornherein solche Gedanken verwerfen, sondern einmal sagen, probieren wir es einmal. Es wird im Moment nicht gemacht. Es wird nicht gemacht, weil es viel einfacher ist, wenn man Kleinigkeiten an uns heranträgt, zum Beispiel, die ungemein wichtige Frage, ob jugendliche Beschuldigte in Abwesenheit verurteilt werden dürfen. Antwort: Das steht im Gesetz, nämlich, sie dürfen nicht. Das sollte ein Scherz sein, der das Problem auf den Punkt bringt. Wenn die Generalprokuratur mit ihrer quantitativ wie qualitativ hochwertigen Besetzung strategisch, statt kleintaktisch vorgeht, kann sie viele wichtige Strukturfragen in 68

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Publikumsrunde relative kurzer Zeit und mit relativ geringem Aufwand durch den OGH lösen lassen. Derartige Effizienztools kennt man im Europarecht mit Art 267 AEUV und bei den Menschenrechten mit dem 16. Zusatzprotokoll zur EMRK. Das sind alles Tools, die man einsetzen kann, wo sich der Aufwand im Verhältnis zum Erfolg wirklich lohnt. Und zwar rechtzeitig und ganz zu Beginn, das ist der Punkt. Man muss also nicht die Endentscheidung abwarten, um solche Strukturfragen zu lösen. Abg. z. NR Dr. Hannes Jarolim: Vielen herzlichen Dank, Herr Präsident. Sie haben diesen Vorschlag auch im Rahmen der Debatte um die Untreue (§ 153 StGB) erstattet, leider war die Zeit damals schon zu weit fortgeschritten, um dieses Projekt zu evaluieren. Aber im Rahmen der nunmehrigen Diskussion ist es eine Selbstverständlichkeit – und ich danke in diesem Sinne nochmals für den Vorschlag – diesen Überlegungen breiten Raum zu geben. Präsident des OGH Hon.-Prof. Dr. Eckart Ratz: Da muss das oberste Organ der Vollziehung sein Weisungsrecht geben! Abg. z. NR Dr. Hannes Jarolim: Natürlich, danke nochmals für diesen innovativen Hinweis auf eine ja schon bestehende Möglichkeit, man muss sie halt auch wahrnehmen. Ich sehe weitere Wortmeldungen, bitteschön.

Richter Mag. Harald Wagner Mein Name ist Harald Wagner. Ich bin Richter am Handelsgericht Wien und sozusagen auch einer der Leidtragenden oder Betroffenen der angesprochenen 20.000 Verfahren. Wir erleben im Übrigen gerade wieder so eine kleine Klagswelle. Jeder Richter bekommt derzeit circa pro Monat 50 neue Klagen auf den Tisch, die ein und dasselbe Wertpapier betreffen. Und da muss ich das Vorgesagte ein bisschen relativieren, was Dr. Leitner, Mag. Horn und auch Präsident Ratz gesagt haben. Diese neuen Klagen betreffen ein Wertpapier, da gibt es schon Entscheidungen des OGH, die werden aber nicht anerkannt. Zu diesem Wertpapier gäbe es die Möglichkeit einer Vergleichslösung in den Niederlanden, die wird aber nicht angenommen, weil sie von den Parteien auch wirtschaftlich nicht akzeptiert wird. Das heißt, es braucht schon eine Lösung mit einer rechtlichen Bindungswirkung. Zu dem was Kollege Majer gesagt hat, möchte ich auch noch ein bisschen ein Gegenbild zeichnen, um zu zeigen, dass wir als Handelsgericht auch auf Basis der jetzigen Rechtslage dem Ganzen nicht tatenlos gegenüberstehen. Wir versuchen Tatfragen vor die Klammer zu ziehen – um bei diesem Bild zu bleiben – indem wir verstärkt von der Möglichkeit Gebrauch machen, Verfahren zu verbinden, um gemeinsame Tatfragen in einem gemeinsamen Beweisverfahren zu klären. Wir haben eine Spezialisierung am Handelsgericht. Das heißt, es sind nicht alle Richterinnen und Richter für Anlagesachen zuständig. Dies hat es in einem heute auch schon angesprochenen Komplex ermöglicht, uns intern abzusprechen und uns auf eine Jarolim, Beschleunigung von Verfahren als Gebot der Stunde, LexisNexis

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Publikumsrunde Sachverständige zu verständigen, die in zahlreichen Parallelverfahren zu denselben Fragen bestellt wird, um zu einer Straffung zu kommen. Ganz aktuell: Seit 1. 4. haben wir auch eine eigene Geschäftsabteilung, die für Spezialverfahren zuständig ist, wo das heute schon gezeichnete Bild, dass der Richter oder die Richterin kopieren geht, vermieden werden soll. Im Rahmen eines Pilotprojekts soll es mehr Support für die Richterinnen und Richter geben. Um zum Thema der Veranstaltung zurückzukommen: Diese Bemühungen reichen nicht aus. Ich glaube, es braucht den Gesetzgeber, es braucht eine Novelle, die in die Richtung geht, wie sie Professor Kodek auch richtig dargestellt hat. Ich glaube, Sie, Herr Dr. Schuschnigg, haben viele Diskussionspunkte angesprochen, die man bei so einer Novelle berücksichtigen muss. Ich persönlich bin aber überzeugt, dass es für jeden Punkt, den Sie angesprochen haben, eine Antwort gibt, sodass man zu einer ausgewogenen Lösung kommt. Ich denke, das wäre die Herausforderung für den Gesetzgeber.

Rechtsanwältin Mag.a Bettina Knötzl Bettina Knötzl, ebenfalls Rechtsanwältin. Ich bedanke mich, sehr geehrte Damen und Herren, ebenfalls für die Einladung. Ich bin sozusagen das Pendant zum ersten Sprecher und bin deutlich mehr auf der Unternehmensseite tätig. Ich habe aber auch schon aktiv Sammelklagen geführt, die dann nicht mit Vergleich geendet haben, sondern am letzten Tag der Berufungsfrist ist das Unternehmen in Konkurs gegangen. Auch so kann es gehen. Ich glaube, die Diskussion ist sehr wichtig und sollte auch aus Sicht der Unternehmerseite vorangetrieben werden. Ich habe einen Hang zum Praktischen. Ich glaube, dass Sie, die jetzt flammend für eine Regelung von Massenverfahren eingetreten sind, die Unternehmer viel eher auf Ihre Seite bringen würden wenn Sie es grundsätzlich anpacken. So sollte die Idee, Neuregelungen auf komplexe Verfahren abzustellen, aufgegriffen werden, weil das Thema „komplexe Verfahren“ – beispielsweise mit der Berufungsfrist von vier Wochen – ist ein ganz ein Allgemeines, das wir grundsätzlich angehen müssen. Und ein zweiter Punkt scheint mir sehr wichtig: Es gibt Unternehmen, die angesichts der Zahl und der Flut von Klagen tatsächlich vergleichswillig wären, und unter dem Vergleichsdruck, der bei Klagsfluten entsteht – und den man auch schon heute praktisch aufbauen kann – gerne vergleichen würden. Dafür haben wir kein Modell derzeit. Derzeit muss man eben eine Flucht in die Niederlande antreten. Man hat allerdings keine Rechtssicherheit, dass dieses System hier in Österreich auch wirklich akzeptiert wird. Wir wissen nicht, ob „Opt-out“ wirklich funktioniert. Wenn man aber weiß, dass ein Bedürfnis nach einer Regelung tatsächlich da ist, könnte es – im Sinne der guten österreichischen Salamitaktik – schon ein erster Schritt in die richtige Richtung sein, diesem Bedürfnis zu entsprechen. Abg. z. NR Dr. Hannes Jarolim: Dankeschön, Frau Kollegin. Da es keine weiteren Wortmeldungen gibt, darf ich das Podium um eine Schlussrunde ersuchen.

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Schlussrunde der Vortragenden Mag. Max Schrems Ich habe nicht wahnsinnig viel zu sagen, ich glaube, die Summary ist relativ klar. Wir haben was, aber es kann noch sehr deutlich besser sein und es sollte dann auch am Ende funktionieren. Also ich glaube, die Punkte sind da.

Mag.a Gabriele Zgubic-Engleder Ja, ich hoffe, dass diese Diskussion oder diese Veranstaltung hier jetzt wieder ein Auftakt ist, um dieses Thema auf der politischen Ebene wieder wirklich ernster anzugehen. Ich hoffe auch, dass wir noch in dieser Legislaturperiode zu der Umsetzung des Regierungsübereinkommens kommen.

Prof.in Dr.in Astrid Stadler Ich wollte mich eigentlich aus der rechtsvergleichenden Perspektive vielleicht noch einmal dem Petitum von Herrn Kodek anschließen. Er hatte ja sehr stark für eine differenzierte Betrachtung plädiert. Und ich glaube, das ist in der Tat ganz wichtig. Die Versuche, alles mit einem Verfahren, mit einem Modell zu erschlagen, das wird nicht funktionieren. Es sind einfach unterschiedliche Sachverhalte und unterschiedliche rechtspolitische Regelungsziele. Im Anlegerverfahren haben Sie im Regelfall relativ große Schäden. Und die Leute gehen auch zu Gericht. Da ist es die Komplexität und auch die Verfahrenslänge, die ein Problem darstellen. Das muss man mit anderen Instrumenten angehen, wie wenn Sie im Verbraucherschutz kleine Bagatell- und Streuschäden versuchen in den Griff zu bekommen, wo das Problem nicht die Komplexität des Verfahrens zunächst ist, sondern, dass überhaupt irgendetwas geschieht. Da muss man also Instrumente finden, die letztlich nicht so sehr auf Kompensation, sondern auf Prävention abzielen. Und da ist der Abschöpfungsgedanke mit irgendwelchen sinnvollen Mitteln Gewinne abzuschöpfen sicher der richtigere. Mir ist klar, dass das politisch vielleicht schwerer zu verkaufen ist. Weil Sie dem Verbraucher sagen müssen: Du bekommst keinen Schadenersatz, aber wir schöpfen den Gewinn ab. Und wo auch immer der dann hingeht, das ist eine andere Diskussion. Aber ich glaube im Ergebnis wird es das effizientere Mittel sein. Also von daher, nur das Plädoyer für eine differenzierte Betrachtung und verschiedene Lösungsansätze für verschiedene Probleme.

Univ.-Prof. Dr. Georg Kodek Ich kann mich dem, und das wird jetzt wenig überraschen, natürlich nur anschließen. Die derzeitige Fokussierung der Diskussion auf Sammelklagen, Massenverfahren usw. soll nicht dazu führen, dass wir komplexe Einzelverfahren aus dem Blick verlieren. Der Hinweis von Frau Dr. Knötzl, dass die Berufungsfrist als generelle Regelung von vier Wochen für komplexe Verfahren auch in Zivilsachen zu kurz ist, ist mit Sicherheit Jarolim, Beschleunigung von Verfahren als Gebot der Stunde, LexisNexis

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Schlussrunde der Vortragenden zutreffend. Ich habe schon vor Jahren darauf hingewiesen, dass das verfassungswidrig sein dürfte, und für eine Flexibilisierung plädiert. Zweiter Punkt, und das betrifft natürlich die Massenverfahren: Ein Teil, aber ich bitte nur ein Teil der Lösung, könnte in der Tat sein, die Funktion des OGH zur erstinstanzlichen gutachterlichen Lösung von Rechtsfragen wieder stärker zu betonen. Ich habe gesagt, das gab es alles schon einmal. Wer den OGH dann anruft, ob das bestimmte Verbände sind, ob das die Generalprokuratur ist, das ist aus meiner Sicht sekundär. Selbstverständlich wäre das möglich. Das gab es in der Geschichte schon einmal, dass die Rolle der Generalprokuratur auch auf das Zivilverfahren erstreckt wurde. Dies zöge dann natürlich Konsequenzen für deren Ausstattung und Besetzung usw nach sich. Das steht dann auf einem anderen Blatt. Das erste Mal, dass der OGH ein Gutachten in Zivilsachen erstattet hat, war übrigens über Antrag der Generalprokuratur. Der Gesetzgeber hat der Generalprokuratur dieses Recht dann weggenommen und dem Justizministerium übertragen und dem hat er es inzwischen auch weggenommen. Das heißt aber keineswegs, dass diese beiden Zugänge seinerzeit schlecht waren. Vielen Dank.

SC Hon.-Prof. Dr. Georg Kathrein Danke, einmal für die Gelegenheit, überhaupt noch Stellung zu nehmen, dann aber auch dafür, dass ich den Standpunkt des Ministeriums einbringen kann. Ich wollte nur einige Sachen deponieren: Ich gehe zum Ersten davon aus, dass die derzeitige Situation, mit den zwar zum Teil nicht befriedigenden Massenverfahren, aber der doch bestehenden Möglichkeit, seine Ansprüche durchzusetzen, dem Art. 6 EMRK nicht widerspricht. Diesem Eindruck muss ich einfach entgegentreten. Ich glaube ganz im Gegenteil, dass wir, sowohl was Einzelverfahren als auch was Massenverfahren angeht, im guten europäischen Durchschnitt und in manchen Bereichen sogar weit darüber liegen. Wir könnten freilich auch noch besser werden. Ich glaube zum Zweiten, dass die Diskussion heute plastisch gezeigt hat, wie umfassend das Thema ist. Wir müssen nicht nur über Verfahrensregelungen und Verfahrensinstrumente nachdenken, zum Beispiel über die Themen Gruppenklage, Weiterentwicklung der Sammelklage österreichischer Prägung, Verhinderung von Missbrauch, sondern auch über mögliche Änderungen im materiellen Zivilrecht, etwa bei der Frage, wie es mit der Verjährung aussieht. Zum Dritten sollten wir uns klar und deutlich dazu bekennen, dass wir punitive damages, pauschale Entschädigungen, im österreichischen Recht nicht brauchen. Für die Probleme, die wir hier haben, etwa die Abgeltung von Kleinstschäden oder dergleichen, kann man auch andere Lösungen finden. Bundesminister Dr. Brandstetter hat schon angekündigt, dass es eine Arbeitsgruppe zu dem Thema geben wird. Wir sind dabei, diese zusammenzustellen, und ich sehe für die Arbeitsgruppe doch einigen Gesprächs- und Diskussionsbedarf. Abgeordneten Dr. Jarolim möchte ich für diese Veranstaltung im Namen des Justizministeriums ganz besonders danken.

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Schlusswort von Abg. z. NR Dr. Hannes Jarolim Besten Dank für diese abschließenden Bemerkungen. Meine Damen und Herren, damit sind wir am Ende unserer Veranstaltung angekommen. Herzlichen Dank an die Vortragenden am Podium, dass Sie gekommen sind und die Diskussion mit Ihren interessanten Ausführungen, Informationen und Stellungnahmen ein schönes Stück weiter gebracht haben. Danke auch an alle Teilnehmer an dieser Veranstaltung, sowohl dafür, dass Sie gekommen sind als auch für die vielen Debattenbeiträge. Es wurden viele Perspektiven dargestellt, die es ermöglichen im Sinne einer Weiterentwicklung des Wirtschaftsstandortes Österreich einen schönen Schritt vorwärts zu machen. Das freut mich sehr, ich danke Ihnen in diesem Sinne nochmals herzlich für Ihr Kommen und wünsche noch einen schönen Tag, auf Wiedersehen!

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Wir haben in unserer Veranstaltung daher darüber diskutiert und informiert, welche Vorteile und allenfalls befürchtete Nachteile Maßnahmen wie Sammel- und Musterklagen sowie andere angedachte prozessökonomische Änderungen mit sich bringen und welche Erfahrungen es dazu in anderen Ländern bereits gibt. Besteht eine „best practise“ und wenn ja, was zeichnet diese aus?

Dr. Hannes Jarolim ist Rechtsanwalt und Abgeordneter zum österreichischen Nationalrat (Justizsprecher der SPÖ, stellvertretender Vorsitzender des Justizausschusses). Er veranstaltet vor allem zu wirtschaftsrechtspolitischen Themen Diskussions- und Informationsveranstaltungen im Zusammenhang mit laufenden Gesetzesvorhaben.

Band 8

ISBN 978-3-7007-6525-7

www.lexisnexis.at

Jarolim (Hrsg.)

Dialog im Parlament

Beschleunigung von Verfahren als Gebot der Stunde

Nicht zuletzt aufgrund einer Unzahl von Kapitalmarktverfahren zur Geltendmachung tatsächlicher oder vermeintlicher Ansprüche gegen Finanzinstitute und die dadurch bedingte völlige Überlastung einzelner Gerichte, wurde der Ruf nach verfahrensrationalisierenden Schritten immer lauter. Die Österreichische Justiz genießt zwar im internationalen Kontext nach wie vor einen ausgezeichneten Ruf, doch fragen sich zunehmend mehr Expertinnen und Experten aus den verschiedensten justiz- und wirtschaftsnahen Bereichen, warum auf der Hand liegende und in zahlreichen anderen Ländern bereits seit längerem existierende verfahrensbeschleunigende gesetzliche Rahmenbedingungen in Österreich nicht umgesetzt bzw. eingeführt werden. Mehrere Regierungen hatten derartige Maßnahmen schon in ihre Regierungsprogramme aufgenommen und dadurch deren bedeutende Rolle betont. Allein, es gibt sie nach wie vor nicht. Auch seitens der Wirtschaft wird im zunehmenden Maße betont, dass Sammelklagen auch eine adäquate Hilfe gegen unlautere Mitbewerber und daher schon aus standortpolitischen Gründen zu unterstützen sind.

Band 8

Jarolim (Hrsg.)

Beschleunigung von Verfahren als Gebot der Stunde Sammel-, Musterklagen und andere Möglichkeiten

Dialog im Parlament, Band 8


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