Leseprobe ABGB Band 3, 5. Auflage

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Schwimann | Kodek (Hrsg.)

ABGB Praxiskommentar §§ 285–530 ABGB und Notwegegesetz Band 3 5., neu bearbeitete Auflage



ABGB Praxiskommentar

§§ 285–530 ABGB und Notwegegesetz

Band 3

5., neu bearbeitete Auflage

H E R A U S G E G E B E N VO N

HR d. OGH Univ.-Prof. Dr. Georg Kodek auf Grundlage der von em. o. Univ.-Prof. Dr. Michael Schwimann herausgegebenen Vorauflagen


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ISBN 978-3-7007-7522-5

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§ 309 ABGB

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Erste Abteilung des Sachenrechtes. Von den dinglichen Rechten Erstes Hauptstück Von dem Besitze Inhaber. Besitzer § 309. Wer eine Sache in seiner Macht oder Gewahrsame hat, heißt ihr Inhaber. Hat der Inhaber einer Sache den Willen, sie als die seinige zu behalten, so ist er ihr Besitzer.

Literatur 4

Randa, Der Besitz (1895); Kralik, Besitz und Besitzschutz heute, GAÖJT I/1 (1964); Apathy, Der possessorische Schutz gegenüber Eigenmächtigkeiten eines Miteigentümers, JBl 1977, 341; Iro, Besitzerwerb durch Gehilfen (1982); Mohr, Der Begriff des Störers im Besitzstörungsverfahren, ZVR 1985, 225; Balthasar, Wer ist „Inhaber“ einer Betriebsanlage? ecolex 1993, 350; Nunner, Die Freigabe von Konkursvermögen – Grundfragen des Massebegriffs und der Haftungsordnung im Konkurs (1998); Reckenzaun, Besitzschutz für den Masseverwalter, ZIK 2000, 116; Kodek, Besitzstörung (2002); Karner, Rechtsscheinwirkung des Besitzes und Scheinermächtigung, JBl 2004, 486; Oberhofer, Anspruch des Miteigentümers auf Benützungsentgelt auch für die Vergangenheit? wobl 2004, 209; Kodek in Fischer-Czermak/Hopf/Kathrein/Schauer, ABGB 2011, Reformbedarf im Besitzrecht (2008); Müller, Besitzschutz in Europa (2010). Stowasser, Besitzstörung im öffentlichen Raum, ZVR 2013, 521.

Gliederung

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A. Allgemeines und Bedeutung des Besitzes ...................................................................... 1 B. Tatbestandsmerkmale des Besitzes ................................................................................ 3 I. Innehabung (corpus) ................................................................................................... 3 II. Besitzwille (animus rem sibi habendi) ......................................................................... 6 C. Alleinbesitz, Mitbesitz, Teilbesitz .................................................................................. 9 D. Sonderprobleme zur Person des Besitzers .................................................................... 10

A. Allgemeines und Bedeutung des Besitzes § 309 ABGB normiert die Tatbestandsmerkmale des Besitzes: Besitzer ist, wer eine Sache in seiner Macht oder Gewahrsame hat (Innehabung) und den Willen aufweist, sie als die seinige zu behalten (Besitzwille). Die Berechtigung zur Innehabung ist dabei ebenso irrelevant (so können auch Räuber und Dieb Besitzer sein) wie das Wissen des Inhabers um seine mangelnde Berechtigung.1 Die „Rechtsqualität“ des Besitzes ist im Schrifttum umstritten: Während einige Stimmen (wie das auch die in Deutschland herrschende Ansicht tut2) den

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Iro, Sachenrecht6 Rz 2/9; Kletečka, Bürgerliches Recht15 I Rz 814; Kodek in Klang3 § 309 Rz 25; vgl auch Kodek in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.03 § 309 Rz 4. Vgl statt vieler Joost in Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg, Münchener Kommentar zum BGB7 III Vor § 854 BGB Rz 9.

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§ 309 ABGB

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Besitz als Recht erachten,3 versteht die wohl überwiegende Ansicht den Besitz – mangels rechtlicher Zuweisung – als tatsächlichen Zustand (oder als „Faktum“),4 an den gewisse Rechtsfolgen geknüpft sind. Praktische Auswirkungen sind mit dieser Einteilung aber nicht verbunden.5 2

Die praktisch wichtigste Bedeutung des Besitzes liegt im Besitzschutz: Denn auch wenn mit dem Besitz keine sachenrechtliche Zuordnung verbunden ist, schützt die Rechtsordnung zum Zweck des Erhalts des Rechtsfriedens und der Minimierung der Eigenmacht auch den Besitz.6 Der Besitz ist zudem Voraussetzung für die Ersitzung (vgl § 1466 ABGB), wobei die Anforderungen an die Qualifikation des Besitzes (als rechtmäßiger oder unrechtmäßiger, redlicher oder unredlicher sowie echter oder unechter Besitz) bei den unterschiedlichen Ersitzungsarten divergieren.7 Der Besitz hat auch Publizitätsfunktion: Wer im Rechtsverkehr tätig ist, darf damit rechnen, dass der Besitzer einer Sache oder eines Rechts auch eine entsprechende Rechtsposition innehat; der Übergang der Rechtsposition an einer Sache muss insofern grundsätzlich durch eine Änderung der Besitzverhältnisse in Erscheinung treten.8 Und schließlich kommt dem Besitz Rechtsscheinwirkung zu:9 So wird der redliche Erwerber eines dinglichen Rechts an der Sache (bei Hinzutreten weiterer Voraussetzungen) in seinem Vertrauen auf die Eigentümereigenschaft des Besitzers geschützt (vgl §§ 367, 371 und 456 ABGB);10 zudem hat der Besitzer einer Sache gem § 323 ABGB die Vermutung eines gültigen Titels für sich.

B. Tatbestandsmerkmale des Besitzes I. Innehabung (corpus) 3

Gem § 309 Satz 1 ABGB ist Inhaber einer Sache (zur Frage, welche Sachen Gegenstand des Besitzes sein können, s bei § 311 Rz 1), wer sie „in seiner Macht oder Gewahrsame hat“ (corpus). Diese Begriffe sind sehr auslegungsbedürftig. In der Lehre wird die Innehabung etwa als „äußere Erscheinung der Herrschaft über den Gegenstand“11 oder als „tatsächliche Verfügungsmacht am Gegenstand entsprechend der Verkehrsauffassung“12 verstanden. Ein bloßes räumliches Naheverhältnis soll dabei nicht ausreichend sein, vielmehr habe der Anschein einer Rechtslage vor-

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Gschnitzer, Sachenrecht2 6; Holzner in Rummel/Lukas4 § 308 Rz 2. Eccher/Riss in KBB5 § 309 Rz 1; Grüblinger in Schwimann/Kodek, ABGB4 II § 309 Rz 1; Iro, Sachenrecht6 Rz 2/2; Kletečka, Bürgerliches Recht15 I Rz 814; Kodek, Besitzstörung 21; Kodek in Klang3 § 309 Rz 13. Kodek in Klang3 § 309 Rz 13. Gschnitzer, Sachenrecht2 5; Iro, Sachenrecht6 Rz 2/2; Kletečka, Bürgerliches Recht15 I Rz 872; Kodek in Klang3 § 309 Rz 14. Dazu statt vieler Kletečka, Bürgerliches Recht15 I Rz 1056 ff. Gschnitzer, Sachenrecht2 5; Iro, Sachenrecht6 Rz 2/3; Kodek in Klang3 § 309 Rz 16; vgl auch Grüblinger in Schwimann/Kodek, ABGB4 II § 309 Rz 1. Grüblinger in Schwimann/Kodek, ABGB4 II § 309 Rz 1; Gschnitzer, Sachenrecht2 5; Iro, Sachenrecht6 Rz 2/4; Karner, JBl 2004, 486 ff; Kletečka, Bürgerliches Recht15 I Rz 870; Kodek in Klang3 § 309 Rz 17. Iro, Sachenrecht6 Rz 2/4. Holzner in Rummel/Lukas4 § 309 Rz 2; Kodek in Klang3 § 309 Rz 20; Kodek in Kletečka/Schauer, ABGBON1.03 § 309 Rz 2; Stowasser, ZVR 2013, 522. Eccher/Riss in KBB5 § 309 Rz 1.

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zuliegen, die bei Hinzutreten weiterer Voraussetzungen etwa als Besitz oder Eigentum zu klassifizieren wären.13 In eine ähnliche Kerbe schlägt die Rechtsprechung, die Macht als „für jedermann zu erkennende äußere Erscheinung einer Rechtslage“14 und Gewahrsame als die Tatsache auffasst, „daß Gegenstände, die sich in einem bestimmten Bereiche einer Person befinden, von anderen erfahrensgemäß als fremdes Gut geachtet werden“.15 Auf ein Recht zum Gebrauch oder die Art des Erwerbs der Sache kommt es dabei nicht an.16 Wann diese äußere Erscheinung in hinreichendem Ausmaß gegeben ist (wann etwa eine hinreichende räumliche Nähe zur Sache vorliegt), richtet sich nach der für die jeweilige Sache einschlägigen Verkehrsauffassung;17 es ist aber keinesfalls notwendig, dass jeglicher Eingriff eines anderen physisch unmöglich ist.18 Eine bloß zufällige Einwirkungsmöglichkeit reicht für die Innehabung allerdings nicht aus, vielmehr muss die Person auch einen entsprechenden auf Sachherrschaft (aber nicht auf Besitz) gerichteten Willen (so genannter „Detentionswille“) aufweisen.19 Zur Innehabung von Rechten s § 313 Rz 1 ff. Die Innehabung kann – insoweit mittelbar – auch durch dritte Personen (und zwar auch an einem anderen Ort20) ausgeübt werden, etwa durch abhängige Gehilfen wie Angehörige oder Arbeitnehmer (sog „Besitzdiener“), oder durch Partner aus Rechtsverhältnissen, aus denen sich die Anerkennung der Oberherrschaft ergibt, etwa Entlehner, Mieter, Pächter, Verwahrer oder Vorbehaltskäufer (sog „Besitzmittler“).21 Der Unterschied wird darin gesehen, dass dem Besitzmittler die Gewahrsame gänzlich überlassen wird, während sie vom Besitzdiener gemeinsam mit dem mittelbaren Besitzer (dem „Herren“) ausgeübt wird.22 Die Sinnhaftigkeit dieser terminologischen Einteilung ist allerdings hinterfragenswert, zumal sich an die Unterscheidung keinerlei abweichende Rechtsfolgen knüpfen. Nach der Rechtsprechung können auch Kinder unter sieben Jahren taugliche Besitzdiener (in dieser Entscheidung bezeichnenderweise „Besitzmittler“ genannt) sein.23

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Beispiele aus der Rechtsprechung: Der „Haushaltsvorstand“ (egal ob Eigentümer, Bestandnehmer oder Fruchtnießer des Grundstücks) hat Gewahrsame an allen Sachen in der

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Gschnitzer, Sachenrecht2 6; Illedits in Schwimann/Neumayr, ABGB-TaKom4 § 309 Rz 2. 1 Ob 516/93; vgl auch 1 Ob 22/91; 2 Ob 273/97d; RIS-Justiz RS0010102; RS0010105. 1 Ob 516/93; RIS-Justiz RS0010102. 3 Ob 56/84; 7 Ob 636/86; RIS-Justiz RS0010104; RS0010107. 3 Ob 56/84; 7 Ob 636/86; 1 Ob 22/91; RIS-Justiz RS0010108; RS0010122; Grüblinger in Schwimann/Kodek, ABGB4 II § 309 Rz 2; Gschnitzer, Sachenrecht2 15; Holzner in Rummel/Lukas4 § 309 Rz 2; Iro, Sachenrecht6 Rz 2/5; Kodek in Klang3 § 309 Rz 20; Kodek in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.03 § 309 Rz 2; Stowasser, ZVR 2013, 522. RIS-Justiz RS0010109. Gschnitzer, Sachenrecht2 14; Illedits in Schwimann/Neumayr, ABGB-TaKom4 § 309 Rz 2; Iro, Besitzerwerb 34 ff; Iro, Sachenrecht6 Rz 2/5; Kletečka, Bürgerliches Recht15 I Rz 813; aA noch Ehrenzweig, System2 I/2, 54. 10 Ob 4/05v; RIS-Justiz RS0007911. Eccher/Riss in KBB5 § 318 Rz 1; Grüblinger in Schwimann/Kodek, ABGB4 II § 309 Rz 3; Holzner in Rummel/ Lukas4 § 309 Rz 2; Illedits in Schwimann/Neumayr, ABGB-TaKom4 § 309 Rz 3; Iro, Sachenrecht6 Rz 2/47; Kletečka, Bürgerliches Recht15 I Rz 813; Kodek in Klang3 § 309 Rz 20; Kodek in Kletečka/Schauer, ABGBON1.03 § 309 Rz 2; vgl auch 3 Ob 56/84; 10 Ob 4/05v; 1 Ob 10/15z; RIS-Justiz RS0010104; RS0010114. Gschnitzer, Sachenrecht2 7. 1 Ob 10/15z; vgl auch Grüblinger in Schwimann/Kodek, ABGB4 II § 310 Rz 2; Holzner in Rummel/Lukas4 § 310 Rz 2; Illedits in Schwimann/Neumayr, ABGB-TaKom4 § 309 Rz 2; Kodek in Kletečka/Schauer, ABGBON1.04 § 310 Rz 2.

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Wohnung und in sonstigen Räumlichkeiten, außer wenn sie von Dienstnehmern in den ihnen ausschließlich zugewiesenen Räumen oder von Untermietern in den an sie vermieteten Räumen untergebracht oder von Personen, die sich auf Besuch dort aufhalten, mitgebracht sind.24 Der Hauseigentümer hat mangels äußerlicher faktischer Sachherrschaft keine Gewahrsame an der Hausanschlussleitung im Rahmen der Gasversorgung.25 Nach allgemeiner Verkehrsauffassung kann jemand über Sachen, die ihm in seinen Räumen frei zugänglich stehen, nach Belieben verfügen.26 Für die Begründung einer gemeinsamen Gewahrsame der Mutter und der Tochter an den Haushaltsgegenständen in der Wohnung der Mutter genügt es nicht, dass die verheiratete Tochter, die im selben Ort eine eingerichtete Wohnung besitzt, mit ihrer Familie überwiegend in der Wohnung ihrer Mutter wohnt und die Haushaltsgeräte der Mutter benützt, diese aber jeweils befragt, ob sie diese Gegenstände benützen dürfe.27 Die für den Gemeingebrauch (vgl § 287 ABGB) notwendige Innehabung kann durch die Nutzung durch die Gemeindeangehörigen sowie das Touristenpublikum hergestellt werden.28

II. Besitzwille (animus rem sibi habendi) 6

Der Inhaber einer Sache wird gem § 309 Satz 2 ABGB zu ihrem Besitzer, wenn er „den Willen“ aufweist, „sie als die seinige zu behalten“ (animus rem sibi habendi). Hierbei ist zunächst zu klären, worauf genau der Wille des Inhabers gerichtet sein muss, um als Besitzwille kategorisiert zu werden: Soweit es sich um Sachbesitz (dazu bei § 311 Rz 2) handelt, muss der Inhaber das Vollrecht an der Sache, also die Rechtsposition eines Eigentümers ausüben wollen.29 Dabei genügt es auch, dass der Inhaber die Sache veräußern oder verbrauchen will.30 Bei bloßem Rechtsbesitz (dazu bei § 311 Rz 5) muss der Wille auf die Ausübung des Vollrechts am Recht – also etwa die Ausübung eines Mietrechts wie ein Mieter (dazu zählen die Nutzung des Mietobjekts, der Ausschluss der Nutzung Dritter, das Recht, Instandhaltung, Verbesserung und Aufwandersatz zu fordern,31 etc) – gerichtet sein.32 Der Umfang des Besitzes ergibt sich daher – soweit er mit der Innehabung einer körperlichen Sache verbunden ist33 – insbesondere aus der Reichweite des Besitzwillens (sowie aus dem Modus des Besitzerwerbs; vgl dazu bei § 312 Rz 2 f): Will etwa der Inhaber eines Fahrrads das Vollrecht daran ausüben (es also wie ein Eigentümer verwenden), so ist er – jeweils den erforderlichen Besitzerwerbsmodus vorausgesetzt – dessen Sachbesitzer; will er nur Teilrechte am Fahrrad ausüben (etwa, weil er das Rad zu Transportzwecken benützen möchte), so ist er Rechtsbesitzer; will er hingegen überhaupt kein Recht am Fahrrad ausüben, so bleibt er bloßer Inhaber.

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3 Ob 56/84. 1 Ob 22/91; RIS-Justiz RS0010118. 2 Ob 273/97d; RIS-Justiz RS0010108 (T 1). RIS-Justiz RS0010116. 1 Ob 178/61. Vgl dazu Kodek in Klang3 § 320 Rz 2; 1 Ob 10/15z. Ehrenzweig, System2 I/2, 71. Statt vieler Zöchling-Jud, Bürgerliches Recht14 II Rz 996 ff. Vgl dazu etwa 1 Ob 10/15z. S dazu bei § 311 Rz 5. Schwimann/Kodek, ABGB Praxiskommentar, Band 35, LexisNexis

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Nach bedeutenden Teilen der Lehre34 und Rechtsprechung35 soll sich der Besitzwille zudem in einem äußerlich wahrnehmbaren Verhalten manifestieren müssen. So soll sich nach der Rechtsprechung der Besitzwille aus einem Verhalten ergeben, wie es ein Eigentümer oder sonstiger Berechtigter typischerweise setzt.36 Ausschlaggebend sei das äußere Bild der Benützung, wobei für dessen Zustandekommen und Äußerung keine bestimmte Form vorgesehen sei.37 Diese Sichtweise dürfte wohl insbesondere der Sorge um die Beweisbarkeit des Besitzwillens sowie dem Wunsch nach einer gewissen Publizität des Besitzes entspringen, zumal die gegenteilige Sichtweise – so könnte man auf den ersten Blick meinen – bewirkt, dass der Inhaber einer Sache ohne jegliche äußere Wahrnehmbarkeit (sondern durch bloßen internen Willensakt) Besitz begründen und auch wieder verlieren und so gewissermaßen „mit bloßer Gedankenkraft“ zwischen Besitz und Nichtbesitz „hin- und herschalten“ könnte. Nach Kletečka soll daher „der bloße innere Wille niemals allein geeignet“ sein, „Rechtsfolgen herbeizuführen. Er muss in einem äußerlich wahrnehmbaren Verhalten seinen Ausdruck finden.“38 Diese Sichtweise führt zu zwei möglichen Handhabungsvarianten des Besitzwillens: Entweder man verlangt das äußerlich wahrnehmbare Verhalten zusätzlich zur subjektiven Tatseite (also dem „bloßen“ Willen, die Sache als die eigene zu behalten) und schafft somit im Ergebnis ein zusätzliches Tatbestandsmerkmal für das Auslösen der Rechtsfolgen von Besitz (dieses Tatbestandsmerkmal könnte etwa „besitzwillenindizierendes Verhalten“ lauten). Oder aber man deutet den Besitzwillen rein objektiv,39 sodass es auf die subjektive Tatseite überhaupt nicht (mehr) ankommt und daher ein Gericht auch dann die Rechtsfolgen von Besitz anzuwenden hat, wenn der Inhaber erwiesenermaßen keinen Besitzwillen aufwies, so lange er nur ein besitzwillenindizierendes Verhalten gesetzt hat. Beides überzeugt im Ergebnis nicht: Allfällige Bedenken der Beweisbarkeit des Besitzwillens zerstreuen sich bei einem Blick auf die unzähligen subjektiven Tatbestandsmerkmale der österreichischen Rechtsordnung, mit denen die Gerichte ebenfalls operieren müssen (und dies auch tun); häufig ist dann eben von einem äußeren Verhalten auf die innere Tatseite zu schließen (in concreto würde das besitzwillenindizierende Verhalten

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Ehrenzweig, System2 I/2, 72; Gschnitzer, Sachenrecht2 6 und 10; Gusenleitner-Helm in Klang3 § 1460 Rz 22; Holzner in Rummel/Lukas4 § 309 Rz 3; Illedits in Schwimann/Neumayr, ABGB-TaKom4 § 309 Rz 4 sowie § 319 ABGB Rz 1; Iro, Sachenrecht6 Rz 2/6 sowie 2/44; vgl auch Grüblinger in Schwimann/Kodek, ABGB4 II §§ 318 und 319 Rz 1; aA wohl Eccher/Riss in KBB5 § 309 Rz 2, wonach sich der Besitzwille idR aus einem Verhalten ergebe, das ein Eigentümer oder sonstiger Berechtigter setzt; vgl aber bei § 327 ABGB Rz 1, wonach ein sein Recht überschreitender Rechtsbesitzer zum unrechtmäßigen Sachbesitzer werde, sofern er auch einen Eigentümerwillen zum Ausdruck bringe. 1 Ob 18/83; 1 Ob 10/15z (wonach für den Besitzwillen „das äußere Bild der Benützung ausschlaggebend“ sei); LGZ Wien 42 R 473/77 = Miet 29.015. 1 Ob 10/15z. 7 Ob 551/86; 1 Ob 10/15z; RIS-Justiz RS0010110. Kletečka, Bürgerliches Recht15 I Rz 860. So offenbar LGZ Wien 42 R 473/77 = Miet 29.015, wonach der Besitzwille „nicht als Wollen im subjektiven psychologischen Sinn zu verstehen“ sei, „sondern als die Erscheinung der Zugehörigkeit je nach dem erkennbaren Kausalverhältnis als dem Rechtsgrund der Gewahrsame“; auch Holzner (in Rummel/Lukas4 § 309 Rz 3) scheint in diese Richtung zu gehen, wenn er sagt, dass der „augenblickliche (subjektive) Wille des Inhabers […] nur entscheidend [ist], wo ein Kausalverhältnis fehlt (wie beim Dieb oder Räuber) oder die äußere Lage mit der Rechtslage nicht übereinstimmt“.

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§ 309 ABGB

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dann zu einem Indizienbeweis40 für das Vorliegen von Besitzwillen41). Auch Bedenken betreffend die Publizitätsfunktion des Besitzes verfangen hier nicht: Die Publizität wird bereits durch die Innehabung der Sache (die ja ohnehin den Anschein einer gewissen güterrechtlichen Zuordnung erweckt und auch erwecken muss; vgl Rz 3) erzielt, an die gerade beim Besitzerwerb (vgl §§ 312 ff ABGB) zunächst „verschärfte“ Anforderungen gestellt werden. Nach dem Zeitpunkt des Besitzerwerbs können sowohl Innehabung als auch Besitzwille „abgeschwächt“ gelebt werden oder sogar gänzlich wegfallen (vgl § 349 Rz 1), sodass der mit einem Sachinhaber konfrontierte Teilnehmer des Rechtsverkehrs in aller Regel ohnehin nicht zuverlässig beurteilen kann, ob es sich dabei nur um einen Inhaber oder um einen Besitzer handelt.42 Mit Kodek ist daher die Annahme der Notwendigkeit einer äußerlichen Wahrnehmbarkeit des Besitzwillens abzulehnen;43 ein entsprechend wahrnehmbares Verhalten lässt aber selbstverständlich auf Beweisebene Schlüsse über das Vorliegen des Besitzwillens zu. 8

Nach der Rechtsprechung44 und nach Teilen der Lehre45 soll der Besitzwille bei Vorliegen von Macht oder Gewahrsame vermutet werden; nach vereinzelten Entscheidungen soll aus der Besitzergreifungshandlung die Vermutung des Besitzwillens ableitbar sein.46 Auch hier ist es allerdings überzeugender, den Erfahrungssatz, wonach die Innehabung in der Regel mit Besitzwille verbunden ist, auf Beweisebene zu berücksichtigen.47 Nach herrschender Auffassung können der Besitzwille sowie (insb beim Rechtsbesitz) der Umfang der Besitzausübung aber auch am zugrundeliegenden Kausalverhältnis erschlossen werden.48

C. Alleinbesitz, Mitbesitz, Teilbesitz 9

Alleinbesitzer ist, wer als Einziger die Gewahrsame an einer Sache mit dem Willen ausübt, sie als die seinige zu behalten.49 Mehrfachbesitz an einer körperlichen Sache gibt es in zwei Erscheinungsformen: Als Mitbesitz (vgl § 327 ABGB) bezeichnet man den gemeinschaftlichen Besitz mehrerer Personen an einer ungeteilten Sache;50 etwa im Fall mehrerer Miteigentümer einer Liegenschaft oder mehrerer Wohnungsmieter bezüglich des Mietrechts.51 Ihr Verhältnis

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Zu diesem Begriff s Rechberger/Simotta, Grundriss9 Rz 827. Vgl auch Kodek in Klang3 § 309 Rz 26, der das äußerlich wahrnehmbare Verhalten hingegen auf Ebene der Beweiswürdigung berücksichtigen will. S zu diesem Argument auch Mohr, ZVR 1985, 227. Kodek in Klang3 § 309 Rz 26; Kodek in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.03 § 309 Rz 4 (wobei nach Kodek eine zusätzliche Manifestation des Besitzwillens erforderlich sein kann, wenn die äußere Seite des Besitzes nicht aussagekräftig ist); in diese Richtung auch Mohr, ZVR 1985, 227. 7 Ob 551/86; 1 Ob 516/93; RIS-Justiz RS0010103. Etwa von Ehrenzweig, System2 I/2, 94; Kletečka, Bürgerliches Recht15 I Rz 858. 1 Ob 638/76 = Miet 28.169; RIS-Justiz RS0010123. So schon Kodek in Klang3 § 309 Rz 27; Kodek in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.03 § 309 Rz 5; ihm folgend wohl Grüblinger in Schwimann/Kodek, ABGB4 II § 309 Rz 7. Holzner in Rummel/Lukas4 § 309 Rz 3; Kodek in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.03 § 309 Rz 5; Schey/Klang in Klang2 II 60. Ehrenzweig, System2 I/2, 59; Grüblinger in Schwimann/Kodek, ABGB4 II § 309 Rz 6; vgl für zahlreiche Beispiele Kodek in Klang3 § 309 Rz 28; vgl 1 Ob 229/97a. Eccher/Riss in KBB5 § 311 Rz 2; Grüblinger in Schwimann/Kodek, ABGB4 II § 309 Rz 6; Gschnitzer, Sachenrecht2 13; Holzner in Rummel/Lukas4 § 309 Rz 5; Illedits in Schwimann/Neumayr, ABGB-TaKom4 § 309 Rz 5; Iro, Sachenrecht6 Rz 2/14; Kletečka, Bürgerliches Recht15 I Rz 824. Illedits in Schwimann/Neumayr, ABGB-TaKom4 § 309 Rz 5; Kletečka, Bürgerliches Recht15 I Rz 824.

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§ 309 ABGB

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bestimmt sich nach den Regeln zur Rechtsgemeinschaft (§§ 825 ff ABGB).52 Haushaltsgegenstände stehen nach der Rechtsprechung im Mitbesitz beider Ehegatten, selbst wenn der eine oder andere dieser Haushaltsgegenstände zu Zwecken des Haushalts grundsätzlich nur von einem Ehepartner benützt wird.53 Als Teilbesitz wird der Besitz am selbstständigen Teil einer Sache bezeichnet;54 an unselbstständigen Bestandteilen einer Sache (etwa der Mauer eines Hauses) ist hingegen kein Teilbesitz möglich.55 Kodek lehnt demgegenüber die Existenz von Teilbesitz überhaupt ab, weil Besitz die andere ausschließende Macht über eine Sache voraussetze, weshalb Besitz der gesamten Sache notwendigerweise alle Teile (also sowohl unselbstständige als auch selbstständige Bestandteile) erfasse.56 Ein Besitz an Bestandteilen sei erst nach Lösung der Verbindung von der Hauptsache möglich.57 Nach Holzner soll Sachbesitz an bloßen Sachteilen hingegen „als ein mit ideellem (anteiligen) Mit(sach)besitz verbundener Besitz eines Benützungsrechts“58 möglich sein. Zum so genannten „doppelten Besitz“ oder „mehrstufigen Besitz“ (also dem Nebeneinanderbestehen von Sach- und Rechtsbesitz an derselben Sache) s bei § 311 Rz 3.

D. Sonderprobleme zur Person des Besitzers Stirbt der bisherige Besitzer, so geht der Besitz zunächst auf die Verlassenschaft (und ab dem Zeitpunkt der Einantwortung auf die Erben) über.59 Auch die Insolvenzmasse ist taugliche Besitzerin;60 allfällige Besitzschutzansprüche können vom Insolvenzverwalter bzw vom eigenverwaltenden Schuldner61 geltend gemacht werden.62 Verwahrer und Sequester sind (mangels Besitzwillens) zwar keine Besitzer, ihnen soll nach wohl herrschender Auffassung im Besitz-

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Holzner in Rummel/Lukas4 § 309 Rz 5; Kodek in Klang3 § 309 Rz 30. LGZ Wien 43 R 1069/88 = EF 56.868. Eccher/Riss in KBB5 § 311 Rz 2; Ehrenzweig, System2 I/2, 60; Grüblinger in Schwimann/Kodek, ABGB4 II § 309 Rz 6; Gschnitzer, Sachenrecht2 8; Illedits in Schwimann/Neumayr, ABGB-TaKom4 § 311 Rz 2; Kletečka, Bürgerliches Recht15 I Rz 823. Ehrenzweig, System2 I/2, 60 f; Iro, Sachenrecht6 Rz 2/13; Kletečka, Bürgerliches Recht15 I Rz 823. Kodek in Klang3 § 311 Rz 38. Kodek in Klang3 § 311 Rz 38. Holzner in Rummel/Lukas4 § 311 Rz 2. Ehrenzweig, System2 I/2, 71; Grüblinger in Schwimann/Kodek, ABGB4 II § 352 Rz 3; Illedits in Schwimann/ Neumayr, ABGB-TaKom4 § 312 Rz 2; Iro, Sachenrecht6 Rz 2/49; Kodek in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.03 § 309 Rz 8; vgl auch 1 Ob 530/95; 7 Ob 234/03t; LG St. Pölten 36 R 115/00f; RIS-Justiz RS0044140; RSP0000009. S statt vieler Nunner, Freigabe 133 ff. Nach Kodek (in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.03 § 339 Rz 9) soll hingegen der Sanierungsverwalter zur Erhebung der Besitzstörungsklage legitimiert sein. Meines Erachtens gehört die Rechtshandlung „Aufforderung zur Unterlassung einer Besitzstörung und zur Wiederherstellung des früheren Zustands“ aber in aller Regel zum gewöhnlichen Unternehmensbetrieb (vgl § 172 Abs 1 IO), sodass die Prozessführungsbefugnis zur Geltendmachung dieses Anspruchs gem § 173 IO grundsätzlich (vgl allerdings die differenzierende Sichtweise Trenkers [in Konecny, Kommentar § 173 IO Rz 17 ff] zum Umfang der Prozessführungsbefugnis) ebenfalls beim eigenverwaltenden Schuldner liegt (sofern das Insolvenzgericht die Befugnisse des Schuldners nicht gem § 172 Abs 2 IO beschränkt hat). Vgl Kodek in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.03 § 309 Rz 8; Reckenzaun, ZIK 2010, 116.

Schwimann/Kodek, ABGB Praxiskommentar, Band 35, LexisNexis

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§§ 309, 310 ABGB

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störungsverfahren aber dennoch Parteistellung (kraft Amts) zukommen.63 Auch die Republik Österreich genießt einen zivilrechtlichen Anspruch auf ungestörten Besitz und Ausübung des Hausrechts, sodass das gesetzwidrige Betreten eines Gerichtsgebäudes eine Besitzstörung darstellen kann.64

Erwerbung des Besitzes. Fähigkeit der Person zur Besitzerwerbung § 310. Kinder unter sieben Jahren sowie nicht entscheidungsfähige Personen können – außer in den Fällen des § 170 Abs. 3, § 242 Abs. 3 und § 865 Abs. 2 – Besitz nur durch ihren gesetzlichen Vertreter erwerben. Im übrigen ist die Fähigkeit zum selbständigen Besitzerwerb gegeben. Fassung BGBl I 2017/59

Literatur Welser, Die Neuordnung der Geschäftsfähigkeit und ihre Problematik, VersRdSch 1973, 146; Iro, Besitzerwerb durch Gehilfen (1982); Gitschthaler, Handlungsfähigkeit minderjähriger und besachwalteter Personen (Teil 1), ÖJZ 2004, 81. 1

Während die Besitzfähigkeit bloß Rechtsfähigkeit voraussetzt,1 erfordert der Besitzerwerb durch eigenes Verhalten – aufgrund des notwendigen Willenselements („Besitzwille“; vgl § 309 Rz 6) – die Geschäftsfähigkeit des Erwerbers.2 Dafür genügt gem § 310 S 2 ABGB allerdings bereits beschränkte Geschäftsfähigkeit.3 Zu geringfügigen Geschäften des täglichen Lebens bei Kindern vgl § 170 Abs 3 ABGB; zu Alltagsgeschäften nicht entscheidungsfähiger volljähriger Personen vgl § 242 Abs 3 ABGB; zum Erwerb durch ausschließlich vorteilhafte Geschäfte vgl § 865 Abs 2 ABGB. An die Aufrechterhaltung des Besitzes werden demgegenüber weniger strenge Anforderungen gestellt; die Geschäftsfähigkeit ist dafür gem § 352 S 2 ABGB nicht erforderlich.4

2

Umstritten ist, ob § 310 ABGB nur für den Besitzerwerb oder – als lex specialis für die allgemeinen Regeln zur Geschäftsfähigkeit – für alle Rechtshandlungen im Zusammenhang mit dem Besitz, also etwa auch seine Aufgabe oder die Einwilligung in Eingriffe, gelten soll. Während dies vor allem im älteren Schrifttum (insbesondere unter Verweis auf historische Argumente) abgelehnt wurde,5 spricht sich das überwiegende jüngere Schrifttum überzeugend für eine entspre-

63 64 1 2 3 4 5

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Kodek in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.03 § 309 Rz 8. 20 Os 7/15b; RIS-Justiz RS0130259. Ehrenzweig, System2 I/2, 59; Grüblinger in Schwimann/Kodek, ABGB4 II § 310 Rz 1. 1 Ob 67/02p; Eccher/Riss in KBB5 § 310 Rz 1; Kodek in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.04 § 310 Rz 1. Gschnitzer, Sachenrecht2 14; Holzner in Rummel/Lukas4 § 310 Rz 1; Illedits in Schwimann/Neumayr, ABGB-TaKom4 § 310 Rz 1; Iro, Besitzerwerb 48 (FN 128); 1 Ob 67/02p; 1 Ob 10/15z. Eccher/Riss in KBB5 § 310 Rz 1; Grüblinger in Schwimann/Kodek, ABGB4 II § 310 Rz 4; Illedits in Schwimann/ Neumayr, ABGB-TaKom4 § 310 Rz 3. Ehrenzweig, System2 I/2, 81 f; Randa, Besitz 590 f; Schey/Klang in Klang2 II 129; aktuell auch Holzner in Rummel/Lukas4 § 310 Rz 1. Schwimann/Kodek, ABGB Praxiskommentar, Band 35, LexisNexis

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§§ 328, 329 ABGB

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für die Unredlichkeit des Besitzes einer Dienstbarkeit4).5 Nach Lehre6 und Rechtsprechung7 bewirkt die Anordnung des § 328 S 2 ABGB zudem eine Umkehr der Behauptungslast; dies ist aus den in §§ 323 und 324 Rz 3 angeführten Erwägungen auch hier abzulehnen. Die Redlichkeitsvermutung kann allerdings durch den Nachweis der in § 368 Abs 2 ABGB genannten Tatbestände (auffällig geringer Preis; dem Besitzer bekannte persönliche Eigenschaften des Vormanns, aufgrund derer Verdacht hätte geschöpft werden müssen) entkräftet werden.8 Außerdem gilt die Vermutung nach herrschender Ansicht nicht im Zusammenhang mit § 333 ABGB (dazu bei § 333 Rz 3). 3

Die Vermutung des § 328 S 2 ABGB gilt nach der Rechtsprechung bei Inhaberschecks (sowie bei anderen auf den Inhaber ausgestellten Wertpapieren9), nicht hingegen beim Inkasso eines Orderschecks, wenn sich der Einreicher weder durch eine unterunterbrochene Indossamentenkette legitimieren kann, noch seine Berechtigung auf andere Weise dartut.10

Fortdauer des Besitzes. Rechte des redlichen Besitzes: a) in Rücksicht der Substanz der Sache; § 329. Ein redlicher Besitzer kann schon allein aus dem Grunde des redlichen Besitzes die Sache, die er besitzt, ohne Verantwortung nach Belieben brauchen, verbrauchen, auch wohl vertilgen.

Literatur F. Bydlinski, Zum Bereicherungsanspruch gegen den Unredlichen, JBl 1969, 252; Spielbüchler, Der Dritte im Schuldverhältnis (1973); Apathy, Das Recht des redlichen Besitzers an den Früchten, JBl 1978, 517; Iro, Besitzerwerb durch Gehilfen (1982); Harrer, Rückabwicklungsprobleme beim fehlerhaften Kauf, JBl 1983, 238; Wachter, Zur Nichtrückforderbarkeit irrtümlich bezahlten Arbeitsentgelts bei gutgläubigem Verbrauch, in FS Strasser (1983) 147; Apathy, Redlicher oder unredlicher Besitzer, NZ 1989, 137; Kerschner, Anmerkung zum österreichischen Bereicherungsrecht, JBl 1990, 562; Oberhofer, Sonderhaftpflicht für Besitzer? JBl 1996, 152; Rabl, Verwendungsanspruch des wahren Erben gegen den Fiskus – ist der Heimfall gegenüber dem wahren Erben gerechtfertigt? NZ 1997, 141; Bollenberger, Das stellvertretende Commodum (1999); Kerschner, Rückabwicklung gegenseitiger Verträge, JBl 2001, 756; Azizi/Gößler, Extreme Ungerechtigkeit und bewegliches System, JBl 2006, 415; Burger, Rückforderung von Überzahlungen – eine Bestandsaufnahme, wbl 2007, 567; Wendehorst, Leistungskondiktionen und Rückabwicklung von Verträgen, in FS Koziol (2010).

4 5

8 9 10

1 Ob 41/08y. 7 Ob 549/77; 3 Ob 103/05a; 4 Ob 49/16h; Eccher/Riss in KBB5 § 328 ABGB Rz 1; Grüblinger in Schwimann/ Kodek, ABGB4 II § 328 Rz 1; Gschnitzer, Sachenrecht2 11; Holzner in Rummel/Lukas4 § 328 Rz 1; Kletečka, Bürgerliches Recht15 I Rz 829; Kodek in Klang3 § 328 Rz 2. Grüblinger in Schwimann/Kodek, ABGB4 II § 328 Rz 2; Kodek in Klang3 § 328 Rz 2; Kodek in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.03 § 328 Rz 1. Etwa 1 Ob 757/78, wonach vom Gegner Umstände zu behaupten und zu beweisen seien, „welche die Annahme mangelnden guten Glaubens des Erstehers rechtfertigen“. Vgl Grüblinger in Schwimann/Kodek, ABGB4 II § 328 Rz 1; Gschnitzer, Sachenrecht2 11. 1 Ob 622/94; RIS-Justiz RS0041395. 8 Ob 31/97k; RIS-Justiz RS0110970.

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§ 329 ABGB

Gliederung

Rz

A. Allgemeines ................................................................................................................... 1 B. Schadenersatzansprüche ................................................................................................ 3 C. Bereicherungsansprüche ................................................................................................ 4

A. Allgemeines In den §§ 329–338 ABGB werden die Verhältnisse zwischen Eigentümer und Besitzer geregelt,1 wobei sich insbesondere an die Qualifikation der Redlichkeit oder Unredlichkeit des Besitzes (vgl § 326 ABGB) beachtliche Rechtsfolgen knüpfen. Wenn die Marginalie die §§ 329– 338 ABGB mit „Fortdauer des Besitzes“ betitelt, sind damit die Rechtsfolgen aufrechten Besitzes gemeint, nicht hingegen etwa Regelungen, wann weiterhin von aufrechtem Besitz gesprochen werden kann (dazu s vielmehr §§ 349 ff ABGB).

1

§ 329 ABGB soll den Besitzer schützen, der redlicherweise darauf vertraut hat, dass es sich bei der Sache um seine eigene handelt.2 Dies betrifft nach zutreffender herrschender Ansicht sowohl Sachbesitz als auch mit Sachinhabung verbundenen Rechtsbesitz.3 Nach herrschender Ansicht gewährt § 329 ABGB dem redlichen Besitzer allerdings nicht das Recht zu gebrauchen, zu verbrauchen oder zu vertilgen,4 sondern bewirkt lediglich, dass der Eigentümer mit Schadenersatz- und Bereicherungsansprüchen gar nicht beziehungsweise eingeschränkt (dazu in Rz 3 ff) gegen ihn durchdringt.

2

B. Schadenersatzansprüche Die Anordnung des § 329 ABGB schließt aus der Verletzung des Eigentums resultierende Schadenersatzansprüche gegen den redlichen Besitzer jedenfalls aus.5 Der Bedeutungsgehalt des § 329 ABGB in Bezug auf Schadenersatzansprüche hängt stark von der jeweiligen Auffassung zum Begriff der Redlichkeit ab (dazu bei § 326 Rz 2): Wer mit der herrschenden Ansicht davon ausgeht, dass bereits leichte Fahrlässigkeit die Redlichkeit des Besitzes ausschließt (vgl § 326 Rz 5), muss in der Anordnung des § 329 ABGB im Wesentlichen eine bloße Klarstellung erblicken, zumal mangels Verschuldens des Besitzers Schadenersatzansprüche ohnehin ausgeschlossen sind.6 Ein Restanwendungsbereich lässt sich aber auch unter Zugrundelegung dieser Sichtweise dann ausmachen, wenn man mit der herrschenden Lehre unterschiedliche Ver-

1 2 3 4

5 6

3

Vgl Kodek in Klang3 § 329 Rz 1. Kodek in Klang3 § 329 Rz 4; Lurger in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.06 § 329 Rz 1. Kodek in Klang3 § 329 Rz 6; Lurger in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.06 § 329 Rz 5; vgl auch Eccher/Riss in KBB5 § 329 Rz 2. Apathy, JBl 1978, 524; Ehrenzweig, System2 I/2, 58; Grüblinger in Schwimann/Kodek, ABGB4 II § 329 Rz 1; Kodek in Klang3 § 329 Rz 1 und 5; Lurger in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.06 § 329 Rz 1; aA wohl Holzner in Rummel/Lukas4 § 329 Rz 1. Apathy, JBl 1978, 524; Eccher/Riss in KBB5 § 329 Rz 1; Kodek in Klang3 § 329 Rz 6; Lurger in Kletečka/ Schauer, ABGB-ON1.06 § 329 Rz 2; RIS-Justiz RS0010196. Kodek in Klang3 § 329 Rz 6; Lurger in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.06 § 329 Rz 2.

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§ 329 ABGB

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schuldensmaßstäbe an die Begründung und die bloße Aufrechterhaltung redlichen Besitzes stellt (vgl dazu § 326 Rz 8): Nimmt man den Entfall des einmal begründeten redlichen Besitzes erst bei grob fahrlässigem Nichtwissen oder überhaupt erst bei Wissen um die Nichtberechtigung an, so schützt § 329 ABGB auch den zunächst redlichen Besitzer, der seine mangelnde Berechtigung aufgrund später hervorkommender Umstände leicht (je nach Sichtweise: allenfalls sogar grob) fahrlässig nicht erkannt hat.7 Ein umfassendes „Haftungsprivileg“ ist in § 329 ABGB hingegen dann zu erblicken, wenn man – wie dies auch der historische Gesetzgeber getan hat8 – einen Entfall der Redlichkeit erst bei grober Fahrlässigkeit (oder überhaupt erst bei Wissen um die fehlende Rechtmäßigkeit) annimmt.9 Selbst die vorsätzliche Beschädigung oder Zerstörung der Sache macht den redlichen Besitzer daher nicht schadenersatzpflichtig, was insbesondere damit zu erklären ist, dass der soziale Störwert der Beschädigung oder Zerstörung fremder Sachen ungleich geringer ist, wenn sie der beschädigende oder zerstörende Besitzer redlich für die seine hält.10

C. Bereicherungsansprüche 4

Ob und inwieweit § 329 ABGB auch Bereicherungsansprüche nach §§ 1041 und 1431 ff ABGB ausschließt, ist umstritten; die Rechtsprechung11 hierzu ist uneinheitlich: Nach herrschender Lehre12 lässt § 329 ABGB die Bereicherungsansprüche im Zweipersonenverhältnis zwischen Leistendem und Empfänger (iSd §§ 1431 ff ABGB) unberührt. Denn einerseits sind die Bestimmungen der §§ 329 ff ABGB auf das Dreipersonenverhältnis „Eigentümer – Besitzer – Vormann“ zugeschnitten,13 andererseits würde § 329 ABGB auf diese Weise eine mit den sonstigen Prinzipien des Bereicherungsrechts kaum vereinbare Begünstigung des redlichen Besitzers darstellen.14 Auch der redliche Besitzer hat daher gutgläubig Verbrauchtes zurückzuerstatten, Benützungsentgelt zu leisten und bezogene Früchte herauszugeben oder zu vergüten.15

5

Anderes gilt für das Dreipersonenverhältnis zwischen Eigentümer, Besitzer und nichtberechtigtem Vormann: Auf diese Konstellation passt die Überlegung des historischen Gesetzgebers, wonach der Besitzer als Ausgleich für die Pflicht zur Herausgabe der Sache (was typischerweise mit dem Verlust des Kaufpreises verbunden ist) von Bereicherungsansprüchen freigestellt sein solle.16 Dazu kommt die Überlegung, dass dem Eigentümer in solchen Konstel-

7 8 9 10 11

12 13 14 15 16

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Kodek in Klang3 § 329 Rz 6 aE. Kodek in Klang3 § 329 Rz 7. Kodek in Klang3 § 329 Rz 7; Lurger in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.06 § 329 Rz 2; Oberhofer, JBl 1996, 156. Kodek in Klang3 § 329 Rz 7; vgl auch Lurger in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.06 § 329 Rz 2. Für den Ausschluss von Bereicherungsansprüchen etwa 7 Ob 676/89; 2 Ob 274/01k; RIS-Justiz RS0010171; gegen den (generellen) Ausschluss von Bereicherungsansprüchen hingegen etwa 7 Ob 672/86; 9 ObA 42/91; 4 Ob 84/97z; 5 Ob 231/98a; 4 Ob 46/13p; RIS-Justiz RS0010209; RS0108262. Etwa Kodek in Klang3 § 329 Rz 11; Lurger in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.06 § 329 Rz 3; vgl auch Illedits in Schwimann/Neumayr, ABGB-TaKom4 § 329 Rz 2; aA hingegen Apathy, JBl 1978, 523 ff. Holzner in Rummel/Lukas4 § 329 Rz 1b; Kodek in Klang3 § 329 Rz 11. Kodek in Klang3 § 329 Rz 24; Lurger in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.06 § 329 Rz 3. Holzner in Rummel/Lukas4 § 329 Rz 2; Illedits in Schwimann/Neumayr, ABGB-TaKom4 § 329 Rz 2. Grüblinger in Schwimann/Kodek, ABGB4 II § 329 Rz 2; Kodek in Klang3 § 329 Rz 22. Schwimann/Kodek, ABGB Praxiskommentar, Band 35, LexisNexis

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§§ 329, 330 ABGB

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lationen typischerweise selbst eine Nachlässigkeit (die etwa in den Umständen des Abhandenkommens oder einer zögerlichen Nachforschung gelegen sein können) anzulasten ist.17 Die herrschende Ansicht unterscheidet aufgrund dieser Erwägungen zwischen dem entgeltlichen und dem unentgeltlichen Erwerb vom nichtberechtigten Vormann. Hat der Besitzer die Sache vom nichtberechtigten Vormann entgeltlich erworben, dann ist er idealtypisch nicht bereichert, weshalb der in § 329 ABGB angeordnete Ausschluss von Verwendungsansprüchen in diesen Fällen gerechtfertigt erscheint.18 Die erhöhte Schutzwürdigkeit des entgeltlichen Erwerbers zeigt auch ein Blick auf die Bestimmungen der §§ 367 f ABGB, in denen ebenfalls der Erwerbsvorgang geregelt wird und die ebenfalls dem Verkehrsschutz dienen.19 Ob der Kaufpreis tatsächlich bereits entrichtet wurde, ist für die Beurteilung der Entgeltlichkeit irrelevant.20 Das bedeutet, dass der redliche Erwerber in diesem Fall weder für Gebrauch oder Verbrauch der Sache aufkommen muss noch die aufgebrauchten Früchte (fructus consumpti) zu ersetzen21 oder den Veräußerungserlös herauszugeben hätte.22

6

Anderes gilt im Fall des unentgeltlichen Erwerbs vom Nichtberechtigten: Hier ist § 329 ABGB teleologisch zu reduzieren, sodass er nicht nur dem Herausgabeanspruch (§ 367 ABGB), sondern auch den Bereicherungsansprüchen des Eigentümers ausgesetzt ist, soweit er die Sache verbraucht oder weiterveräußert hat.23 Auch im Fall des ungültigen Erwerbs nimmt das Schrifttum eine telelogische Reduktion des § 329 ABGB an.24

7

Die Höhe eines allfälligen Bereicherungsanspruchs richtet sich nach dem vom redlichen Besitzer tatsächlich erlangten Vermögensvorteil.25 Im Fall der Verwertung schuldet der frühere Besitzer dem Eigentümer den Verwertungserlös aber nur insoweit, als er den gemeinen Wert der Sache nicht übersteigt.26

8

b) der Nutzungen; § 330. Dem redlichen Besitzer gehören alle aus der Sache entspringende Früchte, sobald sie von der Sache abgesondert worden sind; ihm gehören auch alle andere schon ein-

17 18 19 20 21 22 23

24 25 26

Vgl zu diesem Argument Holzner in Rummel/Lukas4 § 329 Rz 1a; Kodek in Klang3 § 329 Rz 22. Grüblinger in Schwimann/Kodek, ABGB4 II § 329 Rz 2; Holzner in Rummel/Lukas4 § 329 Rz 1d; Kodek in Klang3 § 329 Rz 13; Lurger in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.06 § 329 Rz 4. Kodek in Klang3 § 329 Rz 13. Kodek in Klang3 § 329 Rz 13. Kodek in Klang3 § 329 Rz 17. So überzeugend Holzner in Rummel/Lukas4 § 329 Rz 1; Kodek in Klang3 § 329 Rz 19 ff; aA Lurger in Kletečka/ Schauer, ABGB-ON1.06 § 329 Rz 3. Grüblinger in Schwimann/Kodek, ABGB4 II § 329 Rz 2; Holzner in Rummel/Lukas4 § 329 Rz 1d; Kodek in Klang3 § 329 Rz 14; Lurger in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.06 § 329 Rz 4; in der Entscheidung 6 Ob 672/86 wird die Anwendbarkeit des § 330 ABGB (die Problematik ist dabei dieselbe; vgl § 330 Rz 8) als „zweifelhaft“ bezeichnet. Holzner in Rummel/Lukas4 § 329 Rz 1d; Kodek in Klang3 § 329 Rz 15 f. Kodek in Klang3 § 329 Rz 23; Lurger in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.06 § 329 Rz 6. Kodek in Klang3 § 329 Rz 23; Lurger in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.06 § 329 Rz 6.

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§§ 366, 367 ABGB

Zoppel

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Der Verwahrer muss dem Eigentümer auch eine von einem Dritten hinterlegte Sache herausgeben. Der dingliche Herausgabeanspruch des Eigentümers geht dem schuldrechtlichen Anspruch des Verwahrers vor.48

21

Nach § 366 S 2 wird der Erwerber Eigentümer, wenn eine ursprünglich unwirksame Verfügung des Nichtberechtigten geheilt wird (Konvaleszenz). Es handelt sich dabei um eine sog echte Konvaleszenz und keine Einrede im technischen Sinn.49 Historisch standen vor allem Fälle im Vordergrund, in denen ein zunächst nur mutmaßlicher Erbe eine Sache noch vor dem Tod des späteren Verstorbenen veräußerte. Kam es später tatsächlich zur Rechtsnachfolge, sollte die unwirksame Verfügung geheilt werden.50 Auch beim Erwerb einer unter Eigentumsvorbehalt gekauften Sache geht das Eigentum durch Kaufpreistilgung unmittelbar auf den Erwerber über.51

B. Feststellungsklage 22

Die Klage auf Feststellung von Eigentumsrechten ist zulässig (vgl § 228 ZPO), wenn die Klarstellung der Rechtsverhältnisse künftige Streitigkeiten zwischen den Parteien zu verhindern geeignet ist. Das ist etwa der Fall, wenn das Eigentumsrecht des Klägers vom Beklagten ernstlich und hartnäckig bestritten wird.52 Die Klage auf Feststellung des Eigentums ist bei einer bloßen Berühmung dann unzulässig, wenn der Kläger bücherlicher Eigentümer und im Besitz der Liegenschaft ist. Wird aber die Rechtslage des Klägers infolge ständiger und hartnäckiger Bestreitung oder auf andere Weise nicht bloß vermeintlich, sondern ernstlich gefährdet, dann ist die Feststellungsklage zulässig. Dies ist etwa dann der Fall, wenn der Beklagte die Liegenschaft praktisch in Besitz hat und nutzt.53

C. Anwendungsfälle 23

Anwendungsfälle der Eigentumsklage sind die Exszindierungsklage (§ 37 EO), die Aussonderungsklage (§ 44 IO) und die Grenzberichtigungsklage (§ 851 Abs 2). Auch die Wertersatzklage (Interessenklage nach § 368 EO), die wahlweise erhoben werden kann, führt nur dann zum Erfolg, wenn ein Anspruch auf die primäre Leistung, deren Wert verlangt wird, erhoben werden kann.54

Gutgläubiger Erwerb § 367. (1) Die Eigentumsklage gegen den rechtmäßigen und redlichen Besitzer einer beweglichen Sache ist abzuweisen, wenn er beweist, dass er die Sache gegen Entgelt in einer öffentlichen Versteigerung, von einem Unternehmer im gewöhnlichen Betrieb seines

48 49 50 51 52 53 54

306

6 Ob 94/91; 1 Ob 496/57 = JBl 1958, 205 (Gschnitzer). 3 Ob 37/68; Kodek in Klang3 § 366 Rz 116 ff. Zeiller, Commentar II/1, 132 f; s dazu auch Kodek in Klang3 § 366 Rz 118. 3 Ob 37/68. 5 Ob 253/69. RIS-Justiz RS0010338; 7 Ob 100/69. 3 Ob 711/53. Schwimann/Kodek, ABGB Praxiskommentar, Band 35, LexisNexis

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§ 367 ABGB

Zoppel

Unternehmens oder von jemandem erworben hat, dem sie der vorige Eigentümer anvertraut hatte. In diesen Fällen erwirbt der rechtmäßige und redliche Besitzer das Eigentum. Der Anspruch des vorigen Eigentümers auf Schadenersatz gegen seinen Vertrauensmann oder gegen andere Personen bleibt unberührt. (2) Ist die Sache mit dem Recht eines Dritten belastet, so erlischt dieses Recht mit dem Erwerb des Eigentums durch den rechtmäßigen und redlichen Besitzer, es sei denn, dass dieser in Ansehung dieses Rechtes nicht redlich ist. Fassung BGBl I 2005/120

Literatur Kreller, Inhalt und Ausschluss des guten Glaubens beim Rechtserwerb, ÖJZ 1951, 105; F. Bydlinski, Der Inhalt des guten Glaubens beim Erwerb vom Vertrauensmann des Eigentümers, JBl 1967, 355; Frotz, Aktuelle Probleme des Kreditsicherungsrechts, 4. ÖJT 1970 (1970); ders, Gutgläubiger Mobiliarerwerb und Rechtsscheinprinzip, in FS Kastner (1972) 131; Reischauer, Willensmängel, Geschäftsfähigkeit und unwirksame Veräußerungen als Probleme des Anvertrauens (§ 367 ABGB), JBl 1973, 589; Spielbüchler, Der Dritte im Schuldverhältnis (1973); Koziol, Streckengeschäft und Anweisung. Ein Beitrag zu sachen- und bereicherungsrechtlichen Fragen, JBl 1977, 617; Reidinger, Gutgläubiger Mobiliarerwerb in öffentlicher Versteigerung, JBl 1980, 579; F. Bydlinski, Missbräuchliche Verfügungen über Bankkonten und Verwendungsansprüche des Kontoberechtigten, QuHGZ 1981/3, 51; ders, Das Recht der Superädifikate (1982); Iro, Besitzerwerb durch Gehilfen (1982); Avancini, Die Sparurkunde aus zivilund strafrechtlicher Sicht, ÖJZ 1986, 353; E. Bydlinski, Der gutgläubige Erwerb von Sicherungseigentum, ÖBA 1988, 958; Rodrigues, Eigentumserwerb an der Vorbehaltssache innerhalb der Vertriebskette ohne Einsicht in den Typenschein, JBl 1988, 295; Gröll, Schutz des guten Glaubens an die Bestandteilseigenschaft eines Gebäudes? ÖBA 1989, 1182; Reidinger, Zum Konflikt Werkunternehmer – Besteller – Eigentümer, JAP 1990/91, 206 und 1991/92, 68; Wilhelm, Gutgläubiger Erwerb eines Zurückbehaltungsrechts, ecolex 1991, 145; Bollenberger, Konkursfeste Gestaltung der verlängerten Eigentumsvorbehalte, RdW 1993, 36; Riedler, Zur personellen Reichweite des gutgläubigen Rechtserwerbs vom Scheinerben, NZ 1994, 1; Holzner, Wer ist „dritter redlicher Besitzer“ im Sinne des § 824 ABGB? NZ 1994, 121; ders, Gutgläubiger Rechtserwerb an Nebensachen, JBl 1994, 511 (Teil 1) und 587 (Teil 2); Markl/Niedermayr, Zur Rechtsstellung des Mobiliarpfandrechtes, ÖJZ 1994, 185; Bollenberger, Veräußerung von Vorbehaltsgut, ÖJZ 1995, 641; Holzner, Gutglaubenserwerb nur nach Maßgabe der Zahlung? ÖJZ 1996, 372; Bollenberger, Gutglaubenserwerb nach Maßgabe der Zahlung ‒ Anhaltspunkte in der Rechtsordnung, ÖJZ 1996, 851; Holzner, Umdenken beim Gutglaubenserwerb? ÖJZ 1997, 499; Ertl, Gutgläubiger Erwerb von Softwarepiraten – Zugleich ein Beitrag zum Gutglaubenserwerb an Forderungen, MR 1997, 314; Spielbüchler, Der Rückerwerb durch den Nichtberechtigten – ein alter Gedanke zu einem jungen Urteil, ÖBA 2000, 361; Kundi, Zession hypothekarisch gesicherter Forderungen (2003); Hoyer, Erwerb dinglicher Rechte im Vertrauen auf den Grundbuchstand nur entgeltlich? in FS Welser (2004) 295; Karner, Rechtsscheinwirkung des Besitzes und Scheinermächtigung, JBl 2004, 486; ders, Gutgläubiger Mobiliarerwerb und HGB-Reform, RdW 2004, 137; ders, Der redliche Mobiliarerwerb aus rechtsvergleichender und rechtsgeschichtlicher Perspektive, ZfRV 2004, 83; Kühnberg, Sachenrechtliche Änderungen im ABGB durch die Handelsrechtsreform, JAP 2005/2006, 250; Aicher/F. Schumacher, Wertpapierrecht (2006); Karner, Gutgläubiger Mobiliarerwerb (2006); Iro, Gutgläubiger Pfandrechtserwerb vom Unternehmer, RdW 2006, 739; ders, HaRÄG, Irrwege beim lastenfreien Erwerb kraft guten Glaubens, RdW 2006, 675; Nagy, Wesentliche Änderungen im 4. Buch des UGB auf einen Blick, SWK 2006, W 97; Feil, Gutgläubiger Eigentums- und Pfandrechtserwerb nach dem 1. 1. 2007, Ges-RZ 2006, XXIII; Schauer, Handelsrechtsreform, die Neuerungen im 4. und 5. Buch, ÖJZ 2006/7; ders in Krejci, Kommentar zu den Neuerungen im Unternehmensgesetzbuch und im ABGB (2007); Holzner, Altes und Neues zum gutgläubigen Mobiliarerwerb, JBl 2007, 401; Dehn, Die neuen Regelungen für unternehmensbezogene Rechtsgeschäfte, in Dehn/Krejci (Hrsg), Das neue UGB (SWK-Spezial 2007) 124; Beclin/Kühnberg, Das Unternehmensgesetzbuch und die Anpassung des ABGB im Überblick, NZ 2007/10; Eliskases, Kreditsicherung durch Superädifikate (2008); Kralik/Benedikt, Gutgläubiger Eigentumserwerb vom Unternehmer, NetV 2007, 142; Karner, Erwerb vom (Schein-)Unternehmer nach § 367 Satz 1 Fall 2 ABGB, RdW 2008, 16; Engel, Gutgläubiger lastenfreier Erwerb nach § 367 Abs 2 ABGB, JAP 2008/2009, 173; Handig, Guter Glaube – schlechte Chancen, wbl 2010, 209; Reidinger, Die dinglich wirkende Einrede, in FS Binder (2010) 148; Riss, Die sachenrechtliche Wirksamkeit des einseitig erklärten Eigentumsvorbehalts – neue Gedanken zu einer alten Streitfrage, ÖBA 2010, 215; Arnold, Eigentumsschutz und Verkehrsschutz bei Kunstgegenständen

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§ 367 ABGB

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im österreichischen Kollisions- und Privatrecht, ALJ 2015, 3; Holzner, Kein Gutglaubenserwerb bei Übergabe durch Besitzkonstitut oder Besitzanweisung, JBl 2018, 345; Kraus, Zum erforderlichen Sorgfaltsgrad beim gutgläubigen Erwerb nach § 371, JBl 2018, 568.

Gliederung A. B. C. D.

E.

F.

G. H.

Rz

Zweck und Anwendungsbereich ..................................................................................... 1 Redlichkeit des Erwerbers .............................................................................................. 3 Entgeltlicher Erwerb ...................................................................................................... 7 Übergabe durch Erklärung als ausreichender Modus? .................................................... 8 I. Unterschiedliche Positionen der Lehre ........................................................................ 9 II. Begründungen .......................................................................................................... 10 Die drei Alternativen ................................................................................................... 11 I. Öffentliche Versteigerung ........................................................................................ 11 II. Unternehmer im gewöhnlichen Betrieb seines Unternehmens ................................... 13 III. Vertrauensmann ...................................................................................................... 16 Ansprüche des ehemaligen Eigentümers ...................................................................... 19 I. gegen den gutgläubigen Erwerber ............................................................................ 19 II. gegen den Vertrauensmann ..................................................................................... 21 III. gegen sonstige Dritte .............................................................................................. 22 Lastenfreier Eigentumserwerb kraft guten Glaubens ................................................... 23 Rückerwerb .................................................................................................................. 24

A. Zweck und Anwendungsbereich 1

§ 367 Abs 1 regelt den gutgläubigen Eigentumserwerb an beweglichen körperlichen Sachen vom Nichtberechtigten. Es handelt sich dabei um einen originären Erwerb. Durch § 367 Abs 2 wird ein gutgläubiger lastenfreier Erwerb ermöglicht. Der Zweck des § 367 ist es, einerseits einen sinnvollen Interessenausgleich zwischen Eigentümer und gutgläubigem Erwerber herzustellen. Dabei soll das Vertrauen des redlichen Erwerbes geschützt werden, aber auch – man denke an den Erwerb vom Vertrauensmann – eine Risikoverteilung zu Lasten des Eigentümers vorgenommen werden. Zum anderen wird der Rechtsverlust des Eigentümers grundlegend mit dem Verkehrsschutzgedanken gerechtfertigt.1 Die Möglichkeit eines gutgläubigen originären Eigentumserwerbs ist konsequenterweise ausschließlich gegeben, wenn sowohl ein gültiger Titel als auch ein (ausreichender, dazu vgl unten Rz 8 ff) Modus vorliegen. Es kann nur die fehlende Berechtigung des Vormannes ersetzt werden.2 § 367 betrifft (wie §§ 371 und 1088) nur den Eigentumserwerb an beweglichen Sachen, über die jemand vorgibt, im eigenen Namen zu verfügen, nicht jedoch Veräußerungen im Namen des wahren Sacheigentümers ohne Vertretungsmacht.3

1 2 3

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Karner, Mobiliarerwerb 11, 63 ff, 72 ff; aus rechtsvergleichender und rechtshistorischer Perspektive s auch dens, ZfRV 2004, 83. Vgl Holzner, JBl 1994, 512 und 515. 5 Ob 683/80; Iro, Sachenrecht6 Rz 6/52. Schwimann/Kodek, ABGB Praxiskommentar, Band 35, LexisNexis

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§ 367 ABGB

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Ein Erwerb nach § 367 kann nur an beweglichen Sachen erfolgen, die ihrer Natur nach die Ausübung des Besitzes, der Innehabung, der Verwahrung oder des Gebrauches gestatten.4 Auch an gestohlenem, geraubtem oder sonst abhanden gekommenem Gut kann unter den Voraussetzungen des § 367 grundsätzlich Eigentum erworben werden.5 § 367 ist auch auf Superädifikate,6 auf Zubehör,7 (sonderrechtsfähige) selbständige Bestandteile8 und nach überwiegender Ansicht analog auf nicht verbücherte Liegenschaften anzuwenden.9 Ein Zurückbehaltungsrecht iSd § 471 (des Werkunternehmers) kann in Analogie zu § 367 dann gutgläubig erworben werden, wenn der Berechtigte die Sache dem Werkbesteller anvertraut hat.10

2

Unter beweglichen Sachen iSd § 367 sind nur körperliche Sachen, nicht aber Forderungen zu verstehen.11 Ausnahmen bestehen nach der hA12 beim Erwerb nach einem Scheingeschäft iSd § 916, dem Erwerb als Folge des grundbuchsrechtlichen Vertrauensprinzips13 und nach wertpapierrechtlichen Regeln bei Inhaberpapieren.14 Nach der hM ist der gutgläubige Erwerb von Urheberrechten15 sowie von GmbH-Anteilen nicht möglich.16

4 5 6

7 8 9 10

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16

5 Ob 12/68. Dies gilt selbstverständlich nur für den Erwerb vom Unternehmer im gewöhnlichen Betrieb seines Unternehmens und im Rahmen einer öffentlichen Versteigerung. Zum Meinungsstand s Iro, Sachenrecht6 Rz 6/49: Dabei sind zwei Fälle zu unterscheiden: (1) Erwerb (nur) des Bauwerks vom Nichteigentümer desselben und (2) Erwerb der Liegenschaft in der irrigen Ansicht das auf ihr befindliche Gebäude sei ein unselbständiger Bestandteil. In beiden Fällen müssten grundsätzlich nicht nur alle Voraussetzungen des § 367 gegeben sein, sondern als Modus auch eine Urkundenhinterlegung vorgenommen werden; vgl F. Bydlinski, Superädifikate 31 ff; im zweiten Fall wird ein Eigentumserwerb zumeist, wegen der Fehlvorstellung des Erwerbs, scheitern; nach manchen soll in dieser Konstellation auch der Modus der Einverleibung im Grundbuch ausreichen; vgl Eliskases, Kreditsicherung 77 ff; Gröll, ÖBA 1989, 1182 ff; Holzner, JBl 1994, 587 (591 ff). Dazu vgl ausf Holzner, JBl 1994, 511 ff. 8 Ob 157/99. Klang in Klang II2 222; Leupold in Klang3 § 367 Rz 19; krit Spielbüchler in Rummel3 § 434 Rz 5; ebenso zweifelnd Holzner in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.04 § 367 Rz 2. 7 Ob 615/90 = JBl 1991, 241 (krit Rummel) = JAP 1990/91, 235 (zust Reidinger, JAP 1990/91, 206 ff); zum Meinungsstand Oberhammer/Domej in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.03 § 471 Rz 1 und 14; Eliskases in Klang3 § 471 Rz 20 ff; vgl Reidinger in FS Binder 148 ff mwN. 5 Ob 12/68; 4 Ob 588/71; 5 Ob 627/79. Statt vieler Eccher/Riss in KBB5 § 367 Rz 2. Hier ist strittig, ob der Publizitätsgrundsatz nur den Erwerb der Hypothek oder auch der ihr zugrunde liegenden Forderung bedingt. Fraglich ist demnach, ob eine bloße Sachhaftung oder auch eine persönliche Haftung als Rechtsfolge der Gutgläubigkeit des auf den Grundbuchsstand Vertrauenden anzunehmen ist. Vgl dazu ausf Kundi, Zession 83 ff mwN. 5 Ob 12/68; vgl Aicher/F. Schumacher, Wertpapierrecht 11. Dazu Ertl, MR 1997, 314, der der hM grundsätzlich folgt, jedoch für eine analoge Anwendung des § 367 auf den Erwerb der Werknutzungsbewilligung beim Kauf einer Raubkopie bei einem dazu befugten Gewerbsmann eintritt. Gegen die analoge Anwendung auf den Erwerb von Werknutzungsrechten im Falle eines Mieters eines Datenträgers, auf dem ein Werk gespeichert ist: 4 Ob 57/03s = ecolex 2004/24, 45 (Schumacher). Im übrigen Immaterialgüterrecht gelten vergleichbare Einschränkungen wie für das Urheberrecht nicht: Mayr, ÖJZ 1997, 691, wendet den Gutglaubenserwerb auch auf Diensterfindungen an, stellt jedoch fest, dass die Tatbestandsvoraussetzungen in den seltensten Fällen gegeben sein werden. Entgegen der hA spricht sich Handig, wbl 2010, 209, für einen gutgläubigen Erwerb des Urheberrechtes aus, weil sich dieses zu einem „Wirtschaftsrecht“ entwickelt habe. 3 Ob 186/94 = RdW 1996, 360 (Schumacher).

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§ 367 ABGB

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Die Veräußerung einer Sache durch den Nicht-Eigentümer im eigenen Namen aber mit der Zustimmung des Eigentümers – etwa durch den Vorbehaltskäufer, dem der Vorbehaltsverkäufer die entsprechende Verfügungsermächtigung eingeräumt hat – ist kein Anwendungsfall des § 367. Der Vertrag ist selbstverständlich wirksam und verschafft dem Erwerber ohne Rücksicht auf dessen guten Glauben Eigentum. Der Eigentumserwerb des Dritten basiert auch nicht auf seinem guten Glauben, sondern alleine darauf, dass das bisher vom Verkäufer vorbehaltene Eigentum nunmehr mit dessen Einwilligung auf ihn übertragen wird. Die mit Zustimmung des Vorbehaltseigentümers vorgenommene Weiterveräußerung des Vorbehaltsgutes führt zum Erlöschen des Eigentumsvorbehaltes und damit zur Übertragung freien Eigentums an den Erwerber.17 Nach der Rsp ist es zudem verkehrsüblich, dass der Vorbehaltsverkäufer den Vorbehaltskäufer, der die Ware zum Zwecke der Weiterveräußerung erwirbt, zur Veräußerung der Ware im ordnungsgemäßen Geschäftsbetrieb ermächtigt. Der Käufer soll dadurch in die Lage versetzt werden, sich jene Mittel zu beschaffen, mit denen er seinen Verkäufer befriedigen kann.18

B. Redlichkeit des Erwerbers 3

Nur der redliche Erwerber einer beweglichen Sache wird von § 367 geschützt. Redlichkeit wird vermutet. Es schadet nach § 368 Abs 1 bereits leichte Fahrlässigkeit.19 Zur Beurteilung der Redlichkeit allgemein s §§ 326 ff, beim Erwerb vom Nichtberechtigten s auch § 368.

4

Der gute Glaube besteht nach § 367 in der berechtigten Überzeugung vom Eigentum des Vormannes: Der Erwerber muss demzufolge aus wahrscheinlichen Gründen den Veräußerer für den Eigentümer halten.20 Durch § 368 Abs 1 S 2 wurde klargestellt, dass beim Erwerb von einem Unternehmer im gewöhnlichen Betrieb seines Unternehmens der gute Glaube an die Verfügungsberechtigung des Veräußerers genügt. Ob die Verfügungsbefugnis auch bei den anderen Erwerbsvarianten des § 367 der Bezugspunkt sein kann, wird diskutiert. Einerseits soll das Vertrauen in die Verfügungsbefugnis ausreichen, wenn diese grundsätzlich gegeben ist und lediglich überschritten wurde. Zudem werde der Erwerber geschützt, wenn ein Anscheinsermächtigungstatbestand erfüllt und dem Eigentümer zurechenbar sei.21 Anderseits wird – unter Berufung auf Zeiller – angenommen, dass das Vertrauen in die Verfügungsbefugnis zwar auch zwischen Privaten stets ausreiche, die Anforderungen an den guten Glauben jedoch strenger seien.22 Im Ergebnis sind die praktischen Unterschiede, die sich an die eine oder andere Ansicht knüpfen, jedoch wohl gering.23

5

Nach der hA muss die Gutgläubigkeit vom Abschluss des Titelgeschäfts bis zur Übergabe vorliegen.24 Nach der Ansicht Bollenbergers muss die Redlichkeit hingegen bis zur vollständigen Bezahlung des Kaufpreises gegeben sein (dazu unter C.).25

17 18 19 20 21 22 23 24 25

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F. Bydlinski in Klang IV/22 633 f; 10 Ob 1/07f. 7 Ob 693/87. Vgl Dehn, SWK 133. 1 Ob 706/77. Karner, JBl 2004, 486 (488 ff); Leupold in Klang3 § 367 Rz 40. Spielbüchler in Rummel3 § 367 Rz 7; Holzner, JBl 2004, 401; vgl Zeiller, Commentar II 136 f. So schon Leupold in Klang3 § 367 Rz 40 FN 138. RIS-Justiz RS0010903. Bollenberger, ÖJZ 1995, 651 und 1996, 851. Schwimann/Kodek, ABGB Praxiskommentar, Band 35, LexisNexis

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§ 367 ABGB

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Bei einem Erwerb durch Stellvertretung müssen Vertreter und Vertretener in gutem Glauben sein.26 Bei Kollektivvertretern schadet bereits die Unredlichkeit eines einzelnen Vertreters,27 auch bei Mit- und Wohnungseigentümern soll die Unredlichkeit Einzelner schaden.28

6

C. Entgeltlicher Erwerb Alle drei Alternativtatbestände des § 367 Abs 1 schützen nur den entgeltlichen Erwerber.29 Strittig ist, ob die abstrakte Entgeltlichkeit des Titels ausreicht oder darüber hinaus auch die tatsächliche Zahlung und die bis dahin währende Gutgläubigkeit zu verlangen ist.30 Die überwiegende Lehre und Rsp lässt die abstrakte Entgeltlichkeit des Titelgeschäftes genügen.31 Die Redlichkeit des Erwerbers muss zudem bis zur Übergabe der Sache – und nicht bis zur vollständigen Zahlung des Preises – fortdauern. Nach Bollenberger trete hingegen der gutgläubige Erwerb erst nach der – ebenso gutgläubigen – Zahlung ein.32 Praktische Relevanz kommt der Unterscheidung beim Kreditkauf vom Nichtberechtigten zu. Ausschlaggebend sind teleologische Erwägungen: § 367 nimmt vor allem bei der Vertrauensmannvariante eine Risikoverteilung zu Lasten des Eigentümers vor. Im Hinblick auf eine ausgewogene Lösung des Interessenkonflikts zwischen Eigentümer und redlichem Erwerber ist es dennoch angebracht, den Eigentümer nicht gänzlich aus den Augen zu verlieren. Bis zur tatsächlichen Zahlung ist das Risiko des Erwerbers gering, dem Eigentümer droht hingegen der Verlust seines Eigentums. Erst ab der Zahlung des Kaufpreises trägt der gutgläubige Erwerber das Insolvenzrisiko des Veräußerers und ist somit schutzwürdiger als der wahre Berechtigte, der seine Sache aus den Händen gegeben hat.33 Leupold hält allerdings zu Recht fest, dass sich die Diskussion seit dem HaRÄG 2005 vorerst erübrigt haben dürfte. Der Gesetzgeber hat den Meinungsstand weder in den Materialien erwähnt, noch die Thematik bei der Neufassung des Wortlautes der Bestimmung einfließen lassen. Das Schweigen des Gesetzgebers „spricht“ damit wohl für die hA.34

7

D. Übergabe durch Erklärung als ausreichender Modus? § 367 schützt grundsätzlich den redlichen Erwerber, dem die Sache körperlich übergeben wurde. Eine traditio brevi manu ist dafür nach der Rsp jedenfalls ausreichend.35

26 27 28 29 30 31 32 33 34 35

8

Klang in Klang II2 223; Winner in Rummel/Lukas4 § 367 Rz 2; Holzner in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.04 § 367 Rz 5; ausf und differenziert Iro, Besitzerwerb 168 ff, 258 ff. 7 Ob 117/70. 4 Ob 579/95. Spielbüchler in Rummel3 § 367 Rz 4; Leupold in Klang3 § 367 Rz 43 ff. S dazu grundlegend Bollenberger, ÖJZ 1995, 651 und 1996, 851; ähnlich RdW 1993, 331. RIS-Justiz RS0010903; 2 Ob 144/02v = JAP 2002/2003, 178 (Zeinhofer); Holzner, ÖJZ 1996, 372 und 1997, 499; Spielbüchler, Schuldverhältnis 155 ff. Bollenberger, ÖJZ 1995, 651 und 1996, 851; 2 Ob 188/11 = ÖBA 2013, 516 (Bollenberger). Leupold in Klang3 § 367 Rz 49 f; Bollenberger, ÖJZ 1995, 651 und 1996, 851; 2 Ob 188/11 = ÖBA 2013, 516 (Bollenberger). Leupold in Klang3 § 367 Rz 50. 2 Ob 188/11 = ÖBA 2013, 516 (Bollenberger); eine Einschränkung findet sich bei Klang in Klang II2 226, nach der der Erwerber die Sache seinerzeit vom Veräußerer erhalten haben muss.

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I. Unterschiedliche Positionen der Lehre 9

Ob ein Besitzkonstitut den Vorgaben des § 367 entspricht, ist hingegen umstritten. Frotz setzt voraus, dass der Erwerber vom Veräußerer die tatsächliche Herrschaft an der Sache erlangt.36 Nach F. Bydlinski sei der redliche Erwerber nur dann geschützt, wenn er die Sache wirklich an sich gebracht habe.37 Für Iro spricht hingegen kein Argument gegen die grundsätzliche Berücksichtigung des Besitzkonstitutes als tauglichen Modus, der zum gutgläubigen Erwerb vom Nichtberechtigten führen könne.38 Karner spricht sich für eine differenzierte Lösung aus. Demnach müsse es zumindest beim Erwerb vom Vertrauensmann zu einer tatsächlichen Gewahrsamsänderung kommen, um den gutgläubigen Erwerb zu rechtfertigen.39 Holzner betont daran anschließend, dass sich alle Übergabearten gleichwertig gegenüberstünden und auch § 367 keine Unterscheidung vornehme. Jeder wirksame Modus – auch ein Besitzkonstitut – sei daher für den gutgläubigen Erwerb vom Nichtberechtigten ausreichend.40 Viele der unterschiedlichen Positionierungen der Lehre zur Frage nach der Zulässigkeit des Besitzkonstitutes als Modus, der zum gutgläubigen Mobiliarerwerb führen kann, finden sich auch bei der dahingehenden Beurteilung der Besitzanweisung wieder.41 Stellt man grundsätzlich darauf ab, dass es zu einem Wechsel der Gewahrsame vom Veräußerer an den Erwerber kommen muss, um § 367 Genüge zu tun, so kommt die Besitzanweisung nicht als tauglicher Modus in Betracht.42 Iro sieht hingegen eine Vertrauensgrundlage in einer vom unmittelbaren Inhaber verbal oder faktisch geäußerten Anerkennung des Sachbesitzes des Veräußerers, die von jedem interessierten Erwerber wahrnehmbar ist. Als zusätzliches objektives Erwerbselement bedürfe es der Übergabe der Sache an den Erwerber. Dafür genüge allerdings bereits die „Ausrichtung des Innehabungswillens des Detentors auf den Erwerber“.43 Für Holzner stellt sich konsequenterweise auch bei der Besitzanweisung kein Problem, da § 367 nicht nach Erwerbsarten differenziere.44

II. Begründungen 10

Die jüngere Lehre – insb Karner und Leupold – stellt zur Begründung einer Einschränkung der Erwerbsarten beim gutgläubigen Mobiliarerwerb den Zweck des § 367 in den Vordergrund. Neben dem Schutz des Vertrauens des individuellen Erwerbers wird der Eigentumsverlust mit einer verdichteten Rechtsscheingrundlage, vor allem bei den Alternativen der öffentlichen Versteigerung und des Erwerbs vom Unternehmer, und der Risikozuweisung zu Lasten des Eigentümers

36 37 38 39

40 41 42 43 44

312

Frotz, Kreditsicherungsrecht 154. F. Bydlinski in Klang IV2 556 FN 551. Iro, Besitzerwerb 237 ff, 240. Karner, Mobiliarerwerb 361 ff, 379 ff: Ein redlicher Erwerb bei jeglicher Übergabeform setze einen offenkundigen Besitzbruch voraus. Dieser liegt bei körperlicher Übergabe, unbefugter Weitergabe an Dritte oder ausdrücklicher Aufkündigung des Besitzmittlungsverhältnisses gegenüber dem Eigentümer vor; vgl auch Iro, Sachenrecht6 Rz 6/49; aA Holzner, JBl 2007, 401; ders, JBl 2018, 345. Holzner, JBl 2007, 401; ders, JBl 2018, 345. Krit Holzner, JBl 2018, 345 (352) nach dem bei der Besitzanweisung manche der Argumente, die für die Untauglichkeit des Besitzkonstituts als Modus vorgebracht werden, schon gar nicht griffen. F. Bydlinski in Klang IV2 555 ff. Iro, Besitzerwerb 241 ff. Holzner in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.04 § 367 Rz 3. Schwimann/Kodek, ABGB Praxiskommentar, Band 35, LexisNexis

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§ 367 ABGB

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beim Vertrauensmanntatbestand gerechtfertigt. Unabhängig vom Alternativtatbestand bilde der überindividuelle Verkehrsschutz den Leitgedanken des gutgläubigen Mobiliarerwerbs. 45 Beim Erwerb in einer öffentlichen Versteigerung und von einem Unternehmer im gewöhnlichen Betrieb seines Unternehmens stehen ein gesteigertes Verkehrsschutzbedürfnis sowie der Vertrauensschutz im Zentrum. Das Besitzkonstitut oder die Besitzanweisung könnte folglich zu einem gutgläubigen Erwerb führen. Anderes muss gelten, wenn die Risikozuweisung an den Eigentümer das ausschlaggebende Kriterium des gutgläubigen Mobiliarerwerbes bildet. Bei der Vertrauensmannalternative bedarf es demnach einer tatsächlichen und erkennbaren Gewahrsamsänderung.46 Die am Zweck der Alternativtatbestände des § 367 orientierte Beurteilung durch die Lehre gelangt zu einem ausgewogenen und überzeugenden Ergebnis. Bleibt für den Eigentümer bei der Vertrauensmannvariante alles beim Alten und gibt es keinen Grund zum Misstrauen, sollte er vor einem „heimlichen Gutglaubenserwerb“ geschützt werden.47 Zwar trägt der Eigentümer das Risiko, das damit verbunden ist, dass er seine Sache einem anderen anvertraut hat, doch rechtfertigt das für sich genommen noch nicht den Verlust des Eigentums unter allen Umständen. Dem (ehemaligen) Eigentümer soll eine realistische Chance eingeräumt werden, sich zumindest rechtzeitig schuldrechtlich an seinem Vertrauensmann schadlos zu halten. Diese Chance setzt allerdings voraus, dass der ehemalige Eigentümer seinen Rechtsverlust überhaupt erkennen kann und der Vertrauensmann nicht in der Zwischenzeit insolvent geworden ist.48 Holzner hält dem geschilderten Ansatz entgegen, dass er das vom ehemaligen Eigentümer getragene Insolvenzrisiko des Vertrauensmanns überbetone und zudem von der unrealistischen Prämisse ausgehe, dass dieser eine körperliche Übergabe vom Vertrauensmann an den Erwerber schnell erkenne und sogleich mit Ansprüchen reagieren würde. Des Weiteren werde der Sinn einer Übergabe durch Erklärung, das oft kurzfristige und sinnlose „Hin- und Herschieben“ der Sache zu vermeiden, weginterpretiert. Nicht zuletzt fehle es – so Holzner – an einer gesetzlichen Grundlage für eine Restriktion des § 367 beim Besitzkonstitut und der Besitzanweisung. Das ABGB differenziere, anders als das BGB, nicht nach Erwerbsarten.49

E. Die drei Alternativen I. Öffentliche Versteigerung Da in allen drei Alternativen des § 367 Abs 1 eine objektive Grundlage für den Erwerb vorliegen muss, kann nur eine ordnungsgemäße Versteigerung als „öffentlich“ iS der Bestimmung angesehen werden. Ordnungsgemäß ist eine Versteigerung dann, a) wenn die funktionelle Zuständigkeit des die Versteigerung anordnenden Organs gegeben war, b) die Versteigerung ordnungsgemäß angekündigt worden ist und c) sie ordnungsgemäß durchgeführt worden ist. Nur wenn diese drei Voraussetzungen objektiv erfüllt wurden, kann der redliche Ersteher Eigen-

45 46 47 48 49

11

Grundlegend Karner, Mobiliarerwerb 361 ff, 379 ff; Iro, Sachenrecht6 Rz 6/49; Leupold, Klang3 § 367 Rz 51‒56; dahingehend auch Winner in Rummel/Lukas4 § 367 Rz 6; aA Holzner, JBl 2018, 345. Iro, Sachenrecht6 Rz 6/49; Karner, Mobiliarerwerb 379. So Karner, Mobiliarerwerb 361 ff, 379 ff, 383. Karner, Mobiliarerwerb 366, 379 ff; aA Holzner, JBl 2018, 345 (350). Holzner, JBl 2007, 401; ders, JBl 2018, 345.

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§ 367 ABGB

Zoppel

tum erwerben.50 Alle anderen Verfahrensmängel berühren die Eigentumsübertragung hingegen nicht. Bei Fehlen der Wirksamkeitsvoraussetzungen kommt es nicht darauf an, ob dem Ersteher dies bekannt war oder nicht.51 Gem § 269 EO gilt die erste Alternative von § 367 auch bei einem Verkauf aus freier Hand durch einen Handelsmakler, ein Kreditinstitut, ein Versteigerungshaus oder Vollstreckungsorgan. Nach Iro sind Versteigerungen im Zuge einer verwaltungsbehördlichen Exekution oder durch dazu befugte Personen iSd § 158 GewO und gem § 274 Abs 2 EO auch Internet-Versteigerungen durch Gerichtsvollzieher bzw von diesen bestellten Personen mit entsprechender Gewerbeberechtigung als öffentliche Versteigerungen zu qualifizieren.52 Hingegen können OnlineAuktionen wie zB „eBay“, die nur einen Marktplatz bzw eine Handelsplattform anbieten, nicht unter § 367 subsumiert werden.53 12

Bei rechtskräftiger Aufhebung des Versteigerungsverfahrens ist der Ersteher jedenfalls zur Rückstellung der Sache gegen Ausfolgung des von ihm erlegten Betrages verpflichtet, weil für ihn der rechtliche Grund, die Sache zu behalten, weggefallen ist.54

II. Unternehmer im gewöhnlichen Betrieb seines Unternehmens 13

Seit dem HaRÄG 2005 wird ferner der Erwerb von jedem Unternehmer im gewöhnlichen Betrieb des Unternehmers geschützt.55 Die Einschränkung auf den gewöhnlichen Betrieb soll verhindern, dass der Erwerber einer Sache, die offenbar nichts mit dem regulären Betrieb des Unternehmens zu tun hat, geschützt wird. Der Tatbestand ist auf die Veräußerung von Umlaufvermögen beschränkt und damit nicht auf Hilfs- und Nebengeschäfte wie die Veräußerung von Anlagevermögen bzw das Inventar anwendbar.56

14

§ 367 zweite Alternative verzichtet auf ein Zurechnungselement zum wahren Eigentümer, um die Funktionalität der Märkte zu gewährleisten. Nach Karner müssen daher beide Elemente (die Unternehmereigenschaft als solche und auch der gewöhnliche Betrieb) objektiv vorliegen. Demnach kommt der Erwerb von einem Unternehmer kraft Rechtsform (§ 2 UGB) nur dann in Betracht, wenn dieser tatsächlich ein Unternehmen betreibt.57 Ein Erwerb von einem Scheinunternehmer kann hingegen kein Erwerb iSd § 367 zweite Alternative sein.58 Dies ergibt sich für Karner aus dem allgemeinen Grundsatz, dass der gute Glaube nur die fehlende Berechtigung des Veräußerers, nicht aber die fehlende Rechtsscheinbasis überbrücken könne.59

50 51 52 53 54 55

56 57 58 59

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1 Ob 415/49; vgl dazu Reidinger, JBl 1980, 580; Karner, Mobiliarerwerb 287; ders, RdW 2008, 21. 1 Ob 415/49. Iro, Sachenrecht6 Rz 6/54; vgl auch VfSlg 12.480; zur sog FeilbietungsVO JGS 565 s auch Holoubek/Lang, ecolex 1990, 721. Iro, Sachenrecht6 Rz 6/54. 2 Ob 510/84. In diesem Tatbestand wurden § 366 HGB und die zweite Variante des § 367 aF (befugter Gewerbsmann) zusammengefasst und erweitert, wodurch auch die teilweise bestehenden Divergenzen zwischen den Tatbeständen beseitigt wurden und die Rechtslage insgesamt übersichtlicher gestaltet wurde. Die Anpassung entspricht systematisch dem geänderten personellen Anwendungsbereich des § 1 UGB. Leupold in Klang3 § 367 Rz 64 ff. Vgl aber Schauer in Krejci, RK ABGB §§ 367 und 368 Rz 14. Karner, RdW 2008, 16 (19). Karner, RdW 2008, 16 (19 f); aA Schauer in Krejci, RK ABGB §§ 367 und 368 Rz 14 ff. Schwimann/Kodek, ABGB Praxiskommentar, Band 35, LexisNexis

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§ 367 ABGB

Zoppel

Zu einem gutgläubigen Erwerb vom Unternehmer im gewöhnlichen Betrieb seines Unternehmens kommt es häufig, wenn Waren in einer Absatzkette unter Eigentumsvorbehalt an Händler verkauft werden und diese sich beim Weiterverkauf an den Letztabnehmer nicht an die mit dem Eigentümer vereinbarten Auflagen (zB verlängerter Eigentumsvorbehalt) halten.60 § 367 zweite Alternative schützt sowohl den guten Glauben an das Eigentum als auch das Vertrauen auf die Verfügungsbefugnis des Veräußerers. Selbst die Kenntnis eines Letztabnehmers vom Eigentumsvorbehalt zerstört zumindest nicht zwingend die Redlichkeit.61 Ein strenger Sorgfaltsmaßstab kommt bei unternehmerischen Letztabnehmern zur Anwendung. Unternehmern sind – nach der Rsp – vor allem bei Waren, die häufig unter Eigentumsvorbehalt verkauft werden, Nachforschungen zumutbarer als Verbrauchern.62

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Sicherungsgeschäfte mit Banken sind regelmäßig von einer Verfügungsermächtigung nicht gedeckt. Nach der Rsp ist es demzufolge grob fahrlässig, wenn Kreditinstitute bei Waren, an denen sie Sicherungseigentum begründen wollen, nicht überprüfen, ob diese im Eigentum des Kreditnehmers/Sicherungsgebers stehen.63

III. Vertrauensmann Vertrauensmann iSd § 367 dritte Alternative ist derjenige, dem der Eigentümer die ausschließliche Gewahrsame an der Sache freiwillig übertragen hat.64 Nach der Rsp ist weder die gemeinsame Gewahrsame von Miteigentümern65 noch die gemeinsame Verwahrung von Sachen in einem beiden Mitbewohnern zugänglichen Raum (zB im Familienkreis)66 ein gegenseitiges Anvertrauen. Der Rechtsgrund, der zur Gewahrsamsübertragung geführt hat, ist nicht relevant.67 Vom Vorbehaltskäufer oder Leasingnehmer kann nach § 367 dritte Alternative erworben werden.68 Zu Wohnzwecken überlassene Superädifikate sind ebenfalls anvertraut.69

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Selbst betrügerisches Herauslocken der Sache schadet der Vertrauensmanneigenschaft grundsätzlich nicht. Wer die Sache unter der listigen Vorgabe, sie kaufen und auch bezahlen zu wollen, dem Eigentümer herausgelockt hat, ist demnach trotzdem Vertrauensmann. Wurde eine Sache auf Grundlage eines unwirksamen oder anfechtbaren Vertrages übergeben (zB wegen Nichtigkeit oder sachenrechtlich ex tunc wirkender Anfechtung), so ist § 367 dritte Alternative anwendbar. Das Risiko einer unwirksamen Veräußerung ist vom ehemaligen Eigentümer – sofern er geschäftsfähig war70 – zu tragen, der seine Sache freiwillig aus der Hand gegeben hat, und nicht vom redlichen Verkehr.71 Kein „Anvertrauen“ iSd § 367 liegt hingegen

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60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71

S ausf bei Leupold in Klang3 § 367 Rz 66 f. Vgl 7 Ob 693/87 = JBl 1988, 314 (Czermak); 10 Ob 1/07f. 4 Ob 4/18v; 1 Ob 713/86; grundsätzlich RIS-Justiz RS0080042; Leupold in Klang3 § 367 Rz 66 f. 8 Ob 534/85; 5 Ob 642/89. 6 Ob 549/85. 8 Ob 310/66. 1 Ob 136/35. Vgl Holzner in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.04 § 367 Rz 9. 1 Ob 614/95. 1 Ob 239/51; Redlichkeit muss dabei bis zur Urkundenhinterlegung vorliegen. Welser/Kletečka I15 Rz 1045; zur Sonderproblematik des geschäftsunfähigen Anvertrauenden vgl ausf Leupold in Klang3 § 367 Rz 79–87. Iro, Sachenrecht6 Rz 6/57 mwN.

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§ 367 ABGB

Zoppel

vor, wenn die Änderung der Gewahrsame gewaltsam oder durch Drohung erzwungen wurde. Auch ein vom Vertrauensmann mit dem Verkauf beauftragter Dritter kann im Falle des Selbsteintrittes Eigentümer werden, wenn er dabei redlich vorgegangen ist.72 18

§ 367 dritte Alternative erstreckt sich nicht nur auf den unmittelbaren Vertrauensmann, sondern auch auf dessen Vertrauensmann bzw die Vertrauensmänner-Kette.73

F. Ansprüche des ehemaligen Eigentümers I. gegen den gutgläubigen Erwerber 19

Wer aufgrund eines gutgläubigen Erwerbs eines Dritten nach § 367 sein Eigentum verliert, hat keinen bereicherungsrechtlichen Verwendungsanspruch gegen den redlichen Erwerber. Dieser Ausschluss ergibt sich einerseits daraus, dass § 367 den Ausgleichsanspruch des ehemaligen Eigentümers gegenüber dem Mittelsmann und nicht gegenüber dem gutgläubigen Erwerber anordnet. Anderseits müsste der Erwerber, würde man einen Bereicherungsanspruch zulassen, die erworbene Sache wieder zurückstellen und der gutgläubige Erwerb wäre weitgehend „sinnlos“.74

20

Anderes gilt selbstverständlich, wenn der Erwerber schlechtgläubig war (dann ist er der rei vindicatio oder in deren Fortwirkung einem Anspruch nach § 1041 ausgesetzt). Er wird ferner schadenersatzpflichtig, etwa wenn er die Sache dem Veräußerer zurückstellt, der diese in der Folge weiterveräußert.75

II. gegen den Vertrauensmann 21

Dem ehemaligen Eigentümer, der durch gutgläubigen Erwerb eines Dritten sein Recht verloren hat, kommen gegen seinen „untreuen“ Vertrauensmann Schadenersatz- und Bereicherungsansprüche zu.

III. gegen sonstige Dritte 22

Der ehemalige Eigentümer hat ferner Schaden- und/oder Bereicherungsansprüche gegen den Dieb oder bei Versäumen der Klage nach § 37 EO einen Verwendungsanspruch nach § 1041 gegen den betreibenden Gläubiger bei einer abgeirrten Exekution.76

72 73 74 75 76

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3 Ob 84/54. (Noch offenlassend) ZBl 44/125, 367 mN der älteren L, in der diese Frage noch str war; 8 Ob/264/70; 4 Ob 1596/95; 1 Ob 230/11; Winner in Rummel/Lukas4 § 367 Rz 17; vgl Frotz in FS Kastner 131. So F. Bydlinski, QuHGZ 1981/3, 51; 4 Ob 569/88 = ÖBA 1989, 428 (krit Kerschner); Perner/Spitzer/Kodek, Bürgerliches Recht6 388 f. 3 Ob 303/00f. RIS-Justiz RS0019802; 1 Ob 173/66. Schwimann/Kodek, ABGB Praxiskommentar, Band 35, LexisNexis

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§§ 367, 368 ABGB

Zoppel

G. Lastenfreier Eigentumserwerb kraft guten Glaubens § 367 Abs 2 sieht seit dem HaRÄG 2005 die Möglichkeit eines lastenfreien Eigentumserwerbs vor, sofern der Erwerber die Sache für unbelastet halten durfte. Der gute Glaube bezieht sich somit auf die Lastenfreiheit. Zudem muss eine der drei Alternativvoraussetzungen des § 367 Abs 1 gegeben sein.77 Als Lasten im Sinne dieser Bestimmung ist jedes beschränkte dingliche Recht (wie zB Fruchtgenussrechte) anzusehen.78 Unklar ist, ob § 367 Abs 2 zu einem lastenfreien Erwerb vom Eigentumsvorbehaltsverkäufer führen kann.79 Nach der hL scheitert der gutgläubige lastenfreie Erwerb in dieser Konstellation – im Detail mit unterschiedlichen Begründungen – im Ergebnis regelmäßig.80

23

H. Rückerwerb Nach einhelliger Auffassung muss der dem redlichen Erwerber gem § 367 nachfolgende Erwerber nicht (mehr) gutgläubig sein. Schließlich erwirbt dieser vom Eigentümer.81 Dies gilt nach der überwiegenden Judikatur auch dann, wenn der gutgläubige Erwerber an seinen Vormann (rück)veräußert.82 Dagegen betont Spielbüchler, dass in diesem Fall nicht der „untreue“ Vormann, sondern der ursprüngliche Eigentümer wieder zu seinem Recht kommen sollte. Die vom Gesetzgeber getroffene Interessenabwägung spiele in dieser Fallkonstellation keine Rolle mehr, sodass der (ehemalige) Eigentümer seine Sache wiedererlangen müsse.83 Leupold erwägt eine Einschränkung dieses „automatischen Eigentumsrückfalls“. Dazu solle es nur beim Rückerwerb durch den unredlichen, nichtberechtigten Veräußerer oder den Vertrauensmann des bisherigen Eigentümers kommen. Ein Rückerwerb durch einen redlichen Unternehmer führt nach dieser Ansicht und im Einklang mit der Rsp zum derivativen Eigentumserwerb.84

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§ 368. (1) Der Besitzer ist redlich, wenn er weder weiß noch vermuten muss, dass die Sache nicht dem Veräußerer gehört. Beim Erwerb von einem Unternehmer im gewöhnlichen Betrieb seines Unternehmens genügt der gute Glaube an die Befugnis des Veräußerers, über die Sache zu verfügen. (2) Beweist der Eigentümer, dass der Besitzer aus der Natur der Sache, aus ihrem auffällig geringen Preis, aus den ihm bekannten persönlichen Eigenschaften seines Vormanns, aus dessen Unternehmen oder aus anderen Umständen einen gegründeten Verdacht hätte schöpfen müssen, so hat der Besitzer die Sache dem Eigentümer zu überlassen. Fassung BGBl I 2005/120

77 78 79 80 81 82 83 84

Vgl Winner in Rummel/Lukas4 § 367 Rz 27. Iro, RdW 2006, 675. Vgl Iro, RdW 2006, 676 f. S dazu Holzner in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.04 § 367 Rz 11, vgl zum Meinungsstand dort FN 104; mit anderer Begründung Leupold in Klang3 § 367 Rz 116 f. Spielbüchler, ÖBA 2000, 361; 3 Ob 816/54. 6 Ob 108/98w; vgl hingegen offenlassend 1 Ob 181/04 f. Spielbüchler, ÖBA 2000, 361 ff; Holzner in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.04 § 367 Rz 11. Leupold in Klang3 § 367 Rz 101; vgl auch Winner in Rummel/Lukas4 § 367 Rz 24, der den guten Glauben des Käufers berücksichtigen möchte; dazu krit Holzner in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.04 § 367 FN 93.

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§§ 431, 432 ABGB

Hinteregger

Bei Doppelveräußerung erhält der das Eigentum, der zuerst um die bücherliche Eintragung angesucht hat. Näheres § 440 Rz 16 ff.

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Insbesondere bei Erwerbung a) durch Vertrag § 432. Zu diesem Zwecke muß über das Erwerbungsgeschäft eine beglaubigte Urkunde in der zur Gültigkeit des Geschäftes vorgeschriebenen Form oder eine öffentliche Urkunde ausgefertigt werden.

Literatur Kostner, Form und Inhalt der Legalisierungsklausel, NZ 1968, 170; F. Bydlinski, Zur Schadenshaftung des beglaubigenden Notars, NZ 1974, 145; Feil, Die Umstellung des Grundbuches auf automationsunterstützte Datenverarbeitung (GUG), NZ 1981, 2; Rechberger, Der neue § 31 Abs 1 GBG, NZ 1981, 49; Enzmann, Auswirkungen des neuen § 31 (1) GBG auf Verträge zugunsten Dritter, NZ 1982, 6; Gampl, Veräußerung und Belastung von Kirchenvermögen in rechtsdogmatischer Sicht, JBl 1985, 705; Wagner, Das Geburtsdatum im Beglaubigungsvermerk, NZ 1988, 305; Bittner, Elektronisch unterfertigte Bescheide als Grundbuchsurkunden? NZ 2002, 112; Vatter, Verträge und Urkunden im Rechtsverkehr mit dem Ausland. Beglaubigungsverträge, Rechtshilfe. Systematische Darstellung für alle Länder der Erde. Band I, II und III (Loseblatt-Sammlung); Buric, Apropos Beglaubigung: Der Umgang mit der Unterschrift, NZ 2004, 43; Bittner, Neuere Entwicklungen im Grundbuchsrecht, NZ 2012, 225; Kieweler, Zur Unterfertigung von gebietskörperschaftlichen Grundbuchsurkunden im Bereich der Wohnbauförderung, NZ 2014, 325; Bittner, Nachweis der Vertretungsmacht gegenüber dem Grundbuchsgericht, wobl 2014, 123; P. Bydlinski, Grund- und Einzelfragen des Liegenschaftserwerbs, ausgehend vom mündlichen Grundstückskauf, NZ 2015, 281; Waldhoff, Das österreichische Grundbuchsystem vor dem Hintergrund des Unionsrechts: Überlegungen zum Vorabentscheidungsverfahren in der Rs Piringer, ZfRV 2016, 39; Rechberger, Das Geburtsdatum im Grundbuch ein Déjà-vu, NZ 2017, 1.

Die Einverleibung des Eigentums erfordert eine schriftliche Urkunde über das zugrunde liegende Rechtsgeschäft.1 Es kann sich dabei um eine öffentliche Urkunde (Notariatsakt, exekutionsfähiger Vergleich, Zahlungsauftrag und Rückstandsausweis, sonstiger gerichtlich vollziehbarer Ausspruch einer öffentlichen Behörde – § 33 GBG) oder eine Privaturkunde handeln. Die Urkunde muss in der zu ihrer Gültigkeit vorgeschriebenen Form ausgefertigt sein (§ 26 Abs 1 GBG; vgl § 94 Abs 1 Z 4 GBG). Zu den Formvorschriften vgl §§ 883 ff; § 1 Notariatsaktsgesetz sowie Vor §§ 431–446 Rz 10.

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Die Urkunden müssen im Original vorgelegt werden (§ 87 Abs 1 GBG),2 auch wenn eine Urkunde bei einem früheren Antrag schon vorgelegt wurde und sich bereits eine beglaubigte Abschrift in der Urkundensammlung befindet.3 Liegt die Originalurkunde bereits vor, entweder in den Amtsakten oder in Aufbewahrung oder ist sie einem anderen Gesuch angeschlossen, so genügt es, eine Abschrift beizubringen und anzugeben, wo sich das Original befindet (§ 87

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Zur Wirksamkeit und Verbücherung von mündlich abgeschlossenen Kaufverträgen über Liegenschaften P. Bydlinski, NZ 2015, 281. 5 Ob 119/92 = EvBl 1993/47. Bei gerichtlichen Entscheidungen und Vergleichen ist nicht die Urschrift, sondern die Ausfertigung das Original: 5 Ob 250/15y = NZ 2016/117 (Hoyer). RIS-Justiz RS0104316; zuletzt 5 Ob 37/09s = wobl 2010/7 (Bittner) = NZ 2010, 122 (Hoyer); 5 Ob 61/97z = NZ 1998/407 (Hoyer 93); 5 Ob 254/02t = NZ 2004/24 (Hoyer) etc.

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§ 432 ABGB

Hinteregger

Abs 2 GBG). Für den Fall, dass sich das Original bei einer anderen Behörde befindet s § 88 GBG. Wenn eine Urkunde sich auf eine andere Urkunde bezieht („zusammenhängende Urkunden“), dann ist auch die Vorlage der zweiten Urkunde notwendig, wenn die erste Urkunde nicht alle zur Eintragung erforderlichen Merkmale enthält.4 Bei Verlust der Kaufvertragsurkunde ist ausreichend, dass beide Parteien des Vertrages einvernehmlich und in beglaubigter Form den Inhalt des früher abgeschlossenen Vertrages bekräftigen und bestätigen.5 Zur elektronischen Vorlage von Urkunden s Vor §§ 431–446 Rz 23. 2

Bei Privaturkunden muss die Unterschrift der Parteien gerichtlich oder notariell beglaubigt sein, wobei der Beglaubigungsvermerk bei natürlichen Personen auch das Geburtsdatum enthalten muss (§ 31 Abs 1 GBG). Der Notar- bzw Gerichtsvorbehalt für Unterschriftsbeglaubigungen im Grundbuchsrecht stellt keine Verletzung der europarechtlichen Dienstleistungsfreiheit dar.6 Als Parteien sind jedenfalls die Personen zu verstehen, die bücherliche Rechte abgeben bzw erwerben.7 Beim Vertrag zugunsten Dritter braucht nach allgemeiner Auffassung der Begünstigte den Vertrag weder zu unterschreiben noch muss seine Unterschrift beglaubigt werden.8 Werden mehrere Urkunden anlässlich der Beglaubigung zusammengeheftet, so werden sie dadurch nicht zu einer einzigen Urkunde, sodass jede Urkunde für sich die für die Verbücherung erforderlichen Voraussetzungen hinsichtlich der Unterschriften und ihrer Beglaubigung erfüllen muss.9 § 31 Abs 1 GBG verlangt die Beglaubigung der Unterschrift sowohl der aus dem Vertrag berechtigten als auch belasteten Partei. Auf einem Nachtrag zur Titelurkunde muss die Unterschrift der Parteien nur dann neuerlich beglaubigt werden, wenn dadurch eine Aufsandungserklärung mit neuem Inhalt erforderlich ist. Dies ist nicht der Fall, wenn der Nachtrag nur den Rechtsgrund des Übereignungsgeschäftes (§ 433 Rz 4) bezeichnet.10 Wird die Aufsandungserklärung nicht in der Titelurkunde, sondern in einer eigenen Urkunde abgegeben, so muss die Unterschrift des Erklärenden neuerlich beglaubigt werden (§ 32 Abs 2 GBG). Keine Beglaubigung ist erforderlich für Urkunden, die mit der genehmigenden Erklärung einer Behörde des Bundes oder eines Landes versehen sind, die berufen erscheint, die Interessen desjenigen wahrzunehmen, dessen Recht beschränkt, belastet, aufgehoben oder auf eine

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5 Ob 76/94 = NZ 1995/335 (Hoyer 285); 5 Ob 219/00t; 5 Ob 197/05i = NZ 2006/650 (Hoyer); 5 Ob 40/06b = Zak 2006/397; 5 Ob 110/06x = NZ 2007/87. 5 Ob 197/05i = NZ 2006/650 (Hoyer); 5 Ob 110/06x = NZ 2007/87. EuGH C-342/15, Piringer, ECLI:EU:C:2017:196. Vorabentscheidungsersuchen des 5 Ob 21/15x = ZfRV 2017/15 (Rechberger/Kieweler) = ÖJZ 2017/66 (Brenn) = NZ 2017/60 (Stöger) = AnwBl 2018/22 (Piringer); Waldhoff, ZfRV 2016, 39. Für die Anwendung des verfahrensrechtlichen Parteibegriffs: Rechberger, NZ 1981, 49 (53); für einen spezifisch materiell-rechtlichen Parteibegriff eingeschränkt auf die Parteien des Rechtsgeschäfts: Feil, NZ 1981, 2 (3); Hofmeister in Kralik/Rechberger I/1 48; ders, NZ 1986, 138. Enzmann, NZ 1982, 6; Rechberger in Kralik/Rechberger I/1 107 ff; KG Korneuburg 5 R 230/83 = NZ 1984, 32; LGZ Feldkirch 1a R 55/85 = NZ 1986/69 (zust Hofmeister 138); 5 Ob 182/98w = NZ 2000, 370 (Hoyer); Holzner in Rummel/Lukas4 § 433 Rz 4, verlangt für die Einverleibung allerdings die Annahme durch den Begünstigten. 5 Ob 163/92 = NZ 1994/284. RIS-Justiz RS0121908; zuletzt 5 Ob 136/18p = Zak 2018/638; 5 Ob 36/07s = NZ 2007/66; 5 Ob 114/11t = NZ 2012/782 (Hoyer). Schwimann/Kodek, ABGB Praxiskommentar, Band 35, LexisNexis

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§ 432 ABGB

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andere Person übertragen wird (§ 31 Abs 2 GBG).11 Bei einer Urkunde eines Bundeslandes, die grundbuchsmäßig als Privaturkunde zu werten sei, genügt die Unterfertigung durch das nach der Landesverfassung vertretungsbefugte Organ und die Beifügung des Landessiegels.12 Wird die Urkunde nicht von einem Organ des Landes, sondern von einem Mitarbeiter des Amtes der Landesregierung unterzeichnet, so muss dem Grundbuchsgericht dessen Verfügungsbefugnis urkundlich nachgewiesen werden. Es handelt sich dabei um eine Vollmacht nach § 31 Abs 6 GBG.13 Nicht klar ist, ob diese auch notariell oder gerichtlich beglaubigt sein muss.14 Die Zeichnungsberechtigung eines Organs einer juristischen Person wird üblicherweise bei der notariellen Beglaubigung der Unterschrift bereits mitbestätigt.15 Bestehen begründete Bedenken, kann sie durch den Firmenbuchauszug16 oder durch Bestätigung eines Notars nachgewiesen werden.17 Auch eine elektronische Abfrage des Firmenbuchs durch das Grundbuchsgericht ist zulässig.18 In Tirol19 und Vorarlberg20 kann die Beglaubigung auch durch Legalisatoren erfolgen. Ausländische Urkunden sind als Grundlage bücherlicher Eintragungen dann geeignet, wenn sie den Formerfordernissen der internationalen Beglaubigung (Legalisation) entsprechen. Mit einer solchen Beglaubigung wird die Echtheit der Unterschrift auf dem Dokument, die Eigenschaft, in der der Unterzeichnende gehandelt hat, und die Echtheit des beigefügten Siegels oder Stempels bestätigt. Dadurch kommt der Urkunde im Inland volle Beweiskraft zu. Gem § 31 Abs 3 S 1 GBG ist die Beglaubigung ausländischer Urkunden durch Staatsverträge geregelt. Besteht zwischen Staaten keine staatsvertragliche Regelung, ist die Beglaubigung im diplomatischen Wege, meist in einem mehrstufigen Verfahren, das in Österreich mit der Überbeglaubigung durch das BMEIA endet, durchzuführen (volle diplomatische Beglaubigung).21 Bei diesem Beglaubigungsmodus müssen die Dokumente nach Durchlaufen des innerstaatlichen Beglaubigungsweges im jeweiligen Staat noch zusätzlich durch eine österreichische Behörde diplomatisch überbeglaubigt werden. Diese Überbeglaubigung kann durch die zuständige österreichische Vertretungsbehörde im jeweiligen Staat oder, wenn sich das Dokument bereits in Österreich befindet, durch das

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5 Ob 367/60 = RZ 1961, 88; 5 Ob 134/95 = NZ 1996/360 – Genehmigung des Konkursgerichtes ersetzt Beglaubigung der Unterschrift des Masseverwalters für Ranganmerkungsantrag; Privaturkunden von Gemeinden bedürfen nur dann keiner Beglaubigung, wenn sie mit einer allfälligen bundes- oder landesbehördlichen Genehmigung versehen sind: LGZ Klagenfurt 2 R 290/66 = RPflSlgG 1050; KG Korneuburg 5 R 27/70 = RPflSlgG 1330; LGZ Klagenfurt 2 R 421/72 = RPflSlgG 1478. RIS-Justiz RS0015961; 5 Ob 354/63 = SZ 36/153 (Land). Dies gilt entsprechend für eine Gemeinde: 5 Ob 112/14b = Zak 2014/710 (Stadt mit eigenem Statut). Löschungserklärung nach Wohnbauförderungsrecht: 5 Ob 24/13k = wobl 2014/18 (Kodek) = NZ 2014/117 (Hoyer); Kieweler, NZ 2014, 325; Bittner, wobl 2014, 123; 5 Ob 96/15a = EvBl 2015/156 (Brenn/Verweijen) = NZ 2016/44 (Hoyer) = wobl 2016/47 (Bittner); 5 Ob 261/15s = EvBl-LS 2016/136 (Brenn) = NZ 2017/6 (Hoyer) = wobl 2016/144 (Bittner); 5 Ob 172/18g = immolex 2019/41 (Streller). Kieweler, NZ 2014, 325. Marent/Preisl, Grundbuchsrecht3 117. 5 Ob 7/77 = SZ 50/55; 5 Ob 4/84 = NZ 1984, 64 = RdW 1985, 109 (Rechberger). 5 Ob 116/00w = RdW 2000/654. 5 Ob 50/94 = NZ 1995/323 (Hoyer 96); Hoyer, Anm zu 5 Ob 357/97d, NZ 1998/422. RGBl 1897/77. RGBl 1900/44. Vgl Vatter I 1, 3 f; Weigand in Kodek2 GBG § 31 Rz 56 ff. Eine Liste der Staaten, für deren Urkunden die diplomatische Beglaubigung erforderlich ist, ist auf der Homepage des BMEIA abrufbar.

Schwimann/Kodek, ABGB Praxiskommentar, Band 35, LexisNexis

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§ 432 ABGB

Hinteregger

Legalisierungsbüro im BMEIA erfolgen, wobei im letzteren Fall eine vorherige zusätzliche Beglaubigung durch die Vertretungsbehörde des jeweiligen Staates in Österreich erforderlich ist. Von diesem Beglaubigungsmodus befreit § 31 Abs 3 S 2 GBG Urkunden, die von der österreichischen Vertretungsbehörde, in deren Sprengel die Urkunde errichtet oder beglaubigt worden ist, oder von der inländischen Vertretungsbehörde dieses Staates, in dem die Urkunde errichtet oder beglaubigt worden ist, beglaubigt sind. Ferner kann das BMJ von der diplomatischen Beglaubigung Nachsicht erteilen, wenn die Einholung einer Beglaubigung infolge außergewöhnlicher Verhältnisse unmöglich ist oder doch auf erhebliche Schwierigkeiten stößt (§ 31 Abs 5 GBG) oder wenn weder im ausländischen Staat, der die Urkunde ausgestellt hat, eine österreichische Vertretungsbehörde noch in Österreich eine Vertretungsbehörde des ausländischen Staates besteht (§ 31 Abs 4 GBG). Neben dem GBG sehen auch bilaterale und multilaterale Staatsverträge vom Erfordernis der diplomatischen Beglaubigung ab.22 So genügt für Dokumente aus Vertragsstaaten des Haager Beglaubigungsübereinkommens 1961 (HBÜ)23 eine bloß einstufige Legalisation in Form der sog Apostille, weitere Beglaubigungen werden nicht verlangt. Die Apostille muss dabei der Musterapostille, die im Anhang zum Übereinkommen abgedruckt ist, entsprechen. Die Apostille zertifiziert die Echtheit der Unterschrift, die Eigenschaft, in der der Unterzeichner gehandelt hat, und die Echtheit des Siegels oder Stempels, mit dem die Urkunde versehen ist. Das HBÜ ist aber nur auf öffentliche Urkunden oder solche mit Öffentlichkeitscharakter anzuwenden (Art 1 HBÜ),24 nicht aber auf Privaturkunden. Ausgenommen sind ferner Urkunden der Verwaltungsbehörden, die sich unmittelbar auf den Handelsverkehr oder auf das Zollverfahren beziehen, sowie Urkunden, die von diplomatischen oder konsularischen Vertretern errichtet worden sind (Art 1 HBÜ). Auf Letztere können aber Konsularverträge25 oder das Europäische Beglaubigungsübereinkommen 1968 (EBÜ)26 anzuwenden sein, das allen anderen Beglaubigungsverpflichtungen in Verträgen, Übereinkommen oder Vereinbarungen, also auch dem HBÜ, vorgeht (Art 5 EBÜ). Nach Art 3 EBÜ sind die unter dieses Übereinkommen fallenden Urkunden (Art 2 EBÜ) von jeder Beglaubigung befreit. Daneben existieren noch zahlreiche andere bilaterale oder multilaterale Staatsverträge,27 die Erleichterungen im Beglaubigungswesen gewähren. Solche Staatsverträge gehen dem HBÜ vor, sodass auch die Apostille nicht erforderlich ist. Eine vollständige Befreiung sehen zB Art 1 ff des Staatsvertrages zwischen der österreichisch-ungarischen Monarchie und der Schweiz vom 21. 8. 191628

22 23 24

25 26 27 28

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Vatter I 1. Haager „Übereinkommen zur Befreiung ausländischer öffentlicher Urkunden von der Beglaubigung“ vom 5. 10. 1961, BGBl 1968/27; Durchführungsgesetz: BG 31. 5. 1967, BGBl 1968/28. Die taxative Aufzählung des Art 1 HBÜ erfasst: Schriftstücke der Gerichte und Staatsanwaltschaft, Urkunden der Verwaltungsbehörden, notarielle Urkunden und amtliche Bescheinigungen, die auf Privaturkunden angebracht sind (darunter fallen aber nicht Übersetzungen von allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Gerichtsdolmetschern [vgl 458 BlgNR 11. GP und Erlass des BMJ vom 11. 1. 2001, 32.015/8-I 11/2000]). Ausf dazu Vatter I 83 ff. Europäisches Übereinkommen zur Befreiung der von diplomatischen oder konsularischen Vertretern errichteten Urkunden von der Beglaubigung vom 7. 6. 1968, BGBl 1973/274. Eine systematische Darstellung für die Praxis findet sich bei Vatter I, II und III. Staatsvertrag zwischen der österreichisch-ungarischen Monarchie und der Schweiz über die Beglaubigung der von den öffentlichen Behörden Österreichs oder der Schweiz ausgestellten oder beglaubigten Urkunden vom 21. 8. 1916, RGBl 1917/340 idF BGBl 1957/96, 1975/84 und 1982/398. Schwimann/Kodek, ABGB Praxiskommentar, Band 35, LexisNexis

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§ 432 ABGB

Hinteregger

vor, ebenso für deutsche Urkunden Art 1 ff des Beglaubigungsvertrags vom 21. 6. 192329 oder für Liechtenstein Art 11 f des StV vom 1. 4. 1955.30 Eine detaillierte Länderübersicht unter Angabe der jeweiligen Staatsverträge findet sich bei Vatter II und III sowie auf der Homepage des BMEIA.31 Weitere Erleichterungen oder die Befreiung von der Beglaubigung sind in Spezialnormen enthalten.32 Bei geringfügigen Grundbuchssachen kann die Beglaubigung durch die Mitfertigung der Urkunde durch zwei Zeugen ersetzt werden, wenn Errichtungsort und Buchgericht im selben Gerichtshofsprengel liegen (§ 34 Abs 1 GBG).33 Dies gilt nicht für landtäfliche Urkunden, für Vollmachten und für Urkunden, in denen der Wert nicht bestimmt ist oder in denen die angegebene Summe ohne Zinsen und Nebengebühren den Betrag von 600 Euro übersteigt (§ 34 Abs 2 GBG). Für die Beurkundungsbefugnis des Vermessungsamtes bei der Abschreibung geringwertiger Trennstücke vgl § 13 LTG.

3

Gem § 27 Abs 1 GBG müssen Urkunden einwandfrei lesbar und zur Aufnahme in die Urkundendatenbank (§ 2 Abs 4 GUG) geeignet sein. Die Urkunde darf keine Bedenken gegen ihre Vollständigkeit aufkommen lassen34 und muss frei von sichtbaren Mängeln sein, durch die ihre Glaubwürdigkeit geschwächt wird. Dies gilt vor allem für Ausbesserungen, soweit dadurch eine Unklarheit über den Inhalt des verbücherten Rechts oder der Verdacht nachträglicher Verfälschung der Urkunde hervorgerufen wird. Dies ist etwa der Fall, wenn sich die Unterschriften und der Beglaubigungsvermerk auf einem Teil des Urkundentextes befinden, auch wenn dieser schlechter lesbar ist und es möglich ist, dass der Text auf der für die Herstellung der Urkunde verwendeten Matrize nur mangelhaft gelöscht worden ist.35 Kein sichtbarer Mangel liegt vor, wenn in einer mit Maschine geschriebenen Urkunde der Kaufpreis handschriftlich an dem dafür freigelassenen Platz eingefügt wurde,36 bloße Tippfehler ausgebessert wurden37 oder eine Textstelle kommentarlos gestrichen wurde.38 Urkunden können auch handschriftlich verfasst sein.39 Sichtbare Mängel sind etwa die Ausbesserung des Ausstellungsdatums40 oder Radierungen41 und die Verwendung der Korrektureinrichtung der Schreibmaschine.42 Besteht

4

29 30 31

32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42

Beglaubigungsvertrag zwischen der Republik Österreich und dem deutschen Reich vom 21. 6. 1923, BGBl 1924/139, wiedereingesetzt 1952 (JABl 36). Vertrag zwischen der Republik Österreich und dem Fürstentum Liechtenstein über Rechtshilfe, Beglaubigung, Urkunden und Vormundschaft vom 1. 4. 1955, BGBl 1956/213 idF BGBl 1968/99. Diese enthält außerdem ein Verzeichnis jener Staaten, bei denen aufgrund bilateraler Übereinkommen keine weitere Beglaubigung bzw Apostille erforderlich ist, sowie eine Liste der Länder, die nicht bei bilateralen oder multilateralen Übereinkommen oder dem Haager Beglaubigungsübereinkommen sind (Staaten ohne Vertragsregelung). ZB Art 49 LGVÜ; Art 49 EuGVÜ; Art 58 EuGVVO. S dazu Vatter I 7 und Abschnitt 2. 5 Ob 308/02h = NZ 2004/10 – Löschung eines Veräußerungs- und Belastungsverbots. 5 Ob 250/15y = NZ 2016/117 (Hoyer): Teilausfertigung eines Scheidungsvergleichs. 5 Ob 120/92 = NZ 1994/285. 5 Ob 112/74 = JBl 1975, 324; 5 Ob 316/00g = NZ 2001/515: mit Maschine geschriebener Zusatz bei Vollmachtsurkunde. LGZ Wien 46 R 1149/57 = RPflSlgG 96. 5 Ob 182/98w = NZ 2000, 370 (Hoyer). 5 Ob 112/74 = JBl 1975, 324. LGZ Wien 46 R 1027/78 = RPflSlgG 1862. LGZ Wien 46 R 306/83 = RPflSlgG 2045. LGZ Wien 46 R 743/83 = RPflSlgG 2103.

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§ 432 ABGB

Hinteregger

eine Urkunde aus mehreren Bögen, so müssen sie so geheftet sein, dass kein Bogen unterschoben werden kann (§ 27 Abs 1 GBG).43 5

Einverleibungen gegen Machtgeber aufgrund von Urkunden eines Machthabers bedürfen gem § 31 Abs 6 GBG einer qualifizierten Vollmacht.44 Diese muss entweder auf das bestimmte Geschäft lauten oder nicht früher als drei Jahre vor dem Ansuchen um die Einverleibung ausgestellt sein. Diesfalls genügt gem § 1008 für entgeltliche Veräußerungen eine Gattungsvollmacht,45 für Schenkungen bedarf es auf der Seite des Schenkers auch hier einer Einzelvollmacht. Die Vollmacht muss vor dem Vertragsabschluss ausgestellt sein. Eine erst nachträglich ausgestellte Vollmacht deckt den Vertragsschluss nicht, wenn dieser nicht ausdrücklich ratihabiert wird.46 Die Dreijahresfrist ist vom Tag der Überreichung des Grundbuchsantrags zum Tag der Ausstellung der Vollmacht, nicht der Ausstellung der Urkunde, zurückzurechnen.47 Eine Vollmacht, die auf das bestimmte Geschäft lautet, muss den Gegenstand des Vertrags, die Vertragspartner und bei entgeltlichen Geschäften auch den Preis bezeichnen.48 Für die Begründung von Wohnungseigentum muss außerdem angegeben sein, mit welcher Räumlichkeit das Wohnungseigentum verbunden werden soll.49 Soll die Einverleibung aufgrund einer Privaturkunde erfolgen, muss die Unterschrift des Machtgebers auf der Vollmacht beglaubigt sein.50 Die qualifizierte Vollmacht muss dem Grundbuchsantrag beigelegt werden. Das Rechtsgeschäft selbst kann auch aufgrund einer anderen Vollmacht, die den Erfordernissen des § 31 Abs 6 GBG nicht zu entsprechen braucht, abgeschlossen worden sein.51 Fehlt die qualifizierte Vollmacht, kann nur gem § 85 Abs 3 GBG die Vormerkung bewilligt werden.52 Eine Vorsorgevollmacht oder eine gewählte Erwachsenenvertretung erfüllt das Erfordernis der qualifizierten Vollmacht. Soll die Einverleibung aufgrund einer Privaturkunde erfolgen, muss die Unterschrift des Machtgebers auch auf der Vorsorgevollmacht notariell beglaubigt sein.53

43

44 45 46 47 48 49 50

51 52 53

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LGZ Graz 2 R 136/60 = RPflSlgG 256; zur Art des Heftens und zum Erfordernis der Siegelung: LGZ Salzburg 8 R 183/65 = RPflSlgG 929; LGZ Wien 46 R 498/66 = RPflSlgG 964; 5 Ob 91/03y = NZ 2004/22 (Hoyer) – Scheidungsvergleich: fehlende Heftung schadet nicht, wenn sich aus der Urkunde ihre Vollständigkeit ergibt. ZB 5 Ob 120/92 = NZ 1994/285. 5 Ob 35/95 = NZ 1995/343. LGZ Wien 46 R 206/75 = RPflSlgG 1636. OLG Wien 1 R 520/29 = NZ 1930, 91 und 1 R 372/31 = NZ 1931, 140 (beide noch zu § 31 Abs 2 GBG alt, der nur eine Einjahresfrist vorsah); LGZ Wien 43 R 812/58 = RPflSlgG 109. 5 Ob 221/62 = RPflSlgG 572; 5 Ob 2232/96p = RPflSlgG 2539; LGZ Wien 46 R 206/75 = RPflSlgG 1636. 5 Ob 120/92 = NZ 1994/285. RIS-Justiz RS0106107; zuletzt 5 Ob 172/18g = immolex 2019/41 (Streller) = EvBl 2019/87 (Mondel); 8 Ob 239/73 = NZ 1974, 150; 5 Ob 119/72 = SZ 45/74; bei der Vollmacht einer juristischen Person muss der Beglaubigungsvermerk auch die Geburtsdaten der vertretungsbefugten Organe enthalten: 5 Ob 261/15s = EvBl-LS 2016/136 (Brenn) = wobl 2016/144 (krit Bittner) = NZ 2017/6 (Hoyer); abl Rechberger, NZ 2017, 1. Auch die Finanzprokuratur braucht zur Abgabe von Aufsandungserklärungen eine qualifizierte Vollmacht: 5 Ob 2199/96k = SZ 69/242; 5 Ob 2352/96k = NZ 1999, 343. LGZ Wien 45 R 500/57 = RPflSlgG 58. LGZ Wien 46 R 255/68 = RPflSlgG 1052; 46 R 224/71 = RPflSlgG 1408; 5 Ob 11/03h = ÖBA 2004/1169. 5 Ob 47/13t = wobl 2014/86 (Etzersdorfer); 5 Ob 172/18g = immolex 2019/41 (Streller) = EvBl 2019/87 (Mondel). Schwimann/Kodek, ABGB Praxiskommentar, Band 35, LexisNexis

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§§ 445–447 ABGB

Hinteregger; Hinteregger/Pobatschnig

ordnet. Wohnungseigentum (§ 2 Abs 1 und § 5 Abs 3 WEG 2002) und das Baurecht (§§ 1 und 5 BauRG) können überdies nur an verbücherten Liegenschaften begründet werden.

Form und Vorsichten der Einverleibungen § 446. Auf was Art und mit welchen Vorsichten überhaupt bei Einverleibung dinglicher Rechte vorzugehen sei, ist in den über die Einrichtung der Landtafeln und Grundbücher bestehenden besonderen Anordnungen enthalten. S dazu Vor §§ 431–446 Rz 1.

Sechstes Hauptstück Von dem Pfandrechte Begriff von dem Pfandrechte und Pfande § 447. Das Pfandrecht ist das dingliche Recht, welches dem Gläubiger eingeräumt wird, aus einer Sache, wenn die Verbindlichkeit zur bestimmten Zeit nicht erfüllt wird, die Befriedigung zu erlangen. Die Sache, worauf dem Gläubiger dieses Recht zusteht, heißt überhaupt ein Pfand.

Literatur Wegan, Die Hypothek als akzessorisches Recht, in FS Steinwenter (1958) 152; Mayrhofer, Erweiterter Eigentumsvorbehalt und Sicherungsübereignung, ÖJZ 1969, 197; Hofmeister, Welche Unterschriften muß eine grundbuchsfähige Pfandbestellungsurkunde tragen? NZ 1981, 113; Grillberger, Sicherungsabtretung und Abtretung zahlungshalber, JBl 1983, 574; Hoyer, Sind Sicherungseigentum und Pfandrecht gleich zu behandeln? JBl 1984, 543; Rauscher, Sicherungsübereignung im deutsch-österreichischen Rechtsverkehr, JBl 1985, 321; Zankl, Zur Rechtsnatur des „Flaschenpfandes“, JBl 1986, 493; E. Bydlinski, Zur Sicherungsübereignung verpfändeter Sachen, ÖBA 1988, 788; G. Graf, Die Pflicht des Vermieters zur Veranlagung und Verzinsung der Barkaution, wobl 1990, 88; Fenyves, Die „Vinkulierung“ von Versicherungsforderungen, ÖBA 1991, 13; Kömürcü-Spielbüchler, Die Vinkulierung von Versicherungen (1992); Grassl-Palten, Zur „Vinkulierung“ von Versicherungsverträgen, RdW 1997, 386; Fenyves, Absolute Wirkung der Zahlungssperre aufgrund der Vinkulierung einer Versicherungsforderung? ÖBA 1998, 337; Koziol, Sicherungszession und andere Mobiliarsicherheiten aus rechtsvergleichender Sicht, in Wiegand (Hrsg), Mobiliarsicherheiten (1998) 19; Wolf, Die Kaution im Mietrecht, wobl 1999, 343; Hinteregger, Das Recht der dinglichen Sicherheiten – Reformbedarf vor dem Hintergrund europäischer Rechtsentwicklungen, in FischerCzermak/Hopf/Kathrein/Schauer (Hrsg), ABGB 2011 (2008) 167; Ladon, Die petitio principii zur Vinkulierung von Versicherungsforderungen – nun salonfähig? Zak 2008/38; Kodek, Die Wirkung der Vinkulierung von Versicherungsforderungen im Konkurs, ZIK 2005/175; Gollob-Palten, Quod erat exspectandum: Änderung der Judikatur zur Wirkung der Vinkulierung im Konkurs des Versicherungsnehmers (OGH 7 Ob 228/07s), ZUVO 2008/106, 151; Riss, Sicherung von Gewährleistungsansprüchen in der Insolvenz des Werkunternehmers, ÖBA 2008, 18; Faber, Eigentumsvorbehalt und Publizität, ALJ 2015, 212; Pesek, Berechtigen der Nichterlag oder das Nichtauffüllen der Kaution zur Vertragsauflösung? immolex 2019, 6.

Gliederung

Rz

A. Allgemeines ................................................................................................................... 1 B. Abgrenzung .................................................................................................................... 6 C. Schutz des Pfandrechts ................................................................................................ 10 578

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§ 447 ABGB

Hinteregger/Pobatschnig

A. Allgemeines Das sechste Hauptstück behandelt in den §§ 447–470 das Pfandrecht. § 471 wurde durch die 3. Teilnovelle angefügt und normiert das Zurückbehaltungsrecht. Die Pfandbestellung als schuldrechtliches Titelgeschäft und der Pfandvertrag werden in den §§ 1368‒1374 geregelt. Die Pfandverfolgung und -verwertung, die zwangsweise Pfandrechtsbegründung, der Schutz des Pfandrechts bei Exekutionsführung durch Dritte auf das Vermögen des Pfandschuldners sowie die Pfandvorrangsklage werden in der EO (§§ 15 ff, 87 ff, 249 ff und 290 ff) geregelt. Im GBG (§§ 13 ff, 53 ff und 105 ff) finden sich Bestimmungen über die grundbücherliche Behandlung von Pfandrechten, die Anmerkung von Rangordnung und Rangvorbehalt sowie Sonderregeln für Simultanhypotheken. Die IO (§§ 10 ff, 48, 120, 132, 144 und 222) enthält Bestimmungen über die Behandlung des Pfandrechts in der Insolvenz des Pfandschuldners bzw Pfandgläubigers. Darüber hinaus finden sich im ABGB (§§ 1101, 1358 und 1446), im UGB (§§ 397, 410 und 421) und in einer Reihe weiterer Gesetze verschiedene pfandrechtliche Bestimmungen. Das Handelsrechts-Änderungsgesetz, BGBl I 2005/120 (HaRÄG), das seit 1. 1. 2007 in Kraft ist, brachte für das Pfandrecht eine Reihe von Änderungen im ABGB. Diese betreffen den gutgläubigen Pfandrechtserwerb (§ 456) und die Verwertung von beweglichen Pfandsachen (§§ 460a und 466a–e). Das Unternehmensgesetzbuch (UGB) enthält Neuregelungen betreffend den gutgläubigen Erwerb gesetzlicher Pfandrechte (§ 367 UGB), die Pfandverwertung (§ 368 UGB) und das kaufmännische Zurückbehaltungsrecht (§§ 369 ff UGB). Für die Bestellung und Verwertung von Finanzsicherheiten zwischen bestimmten Finanzmarktteilnehmern gelten die Sonderregeln des Finanzsicherheiten-Gesetzes, BGBl I 2003/117 idF BGBl I 2015/34, das die RL 2002/47/EG1 über Finanzsicherheiten in das österreichische Recht umsetzt.

1

Das Pfandrecht ist ein beschränktes dingliches Recht (§ 308) und hat absolute Wirkung. Es gewährt dem Pfandgläubiger zur Sicherung seiner Forderung ein bevorzugtes Befriedigungsrecht an der Pfandsache. Ein Pfandrecht besteht grundsätzlich nur an fremder Sache, doch gibt es Ausnahmen für das Pfandrecht am Kommissionsgut (§§ 397 ff UGB) und bei nachträglichem Zusammenfall von Sacheigentum und Pfandrecht.2 Infolge der Sicherungsfunktion des Pfandrechts ist dieses vom Bestand der zu sichernden Forderung abhängig (Akzessorietät, § 449 Rz 2). Die Forderung kann gegen den Pfandschuldner oder auch gegen eine dritte Person zustehen.3 Ein Pfandrecht kann nur an einer bestimmten Sache und nur zugunsten einer bestimmten Forderung begründet werden (Spezialitätsgrundsatz, § 448 Rz 3 und § 449 Rz 7). Das Pfand haftet bis zur vollen Befriedigung der Forderung (Grundsatz der ungeteilten Pfandhaftung, § 457 Rz 1 und 3, § 458 Rz 7, § 469 Rz 3). Es gelten weiters das Publizitätsprinzip (§§ 451 ff) sowie bei mehrfacher Verpfändung das Prioritätsprinzip (§ 464 Rz 3 ff; § 29 GBG).

2

Das ABGB kennt einen einheitlichen Pfandbegriff für bewegliche, körperliche Sachen (Hand- oder Faustpfand), Forderungen und unbewegliche Sachen (Hypothek). Nach der Art

3

1 2

3

ABl L 2002/168, 43 geändert durch RL 2009/44/EG, ABl L 2009/146, 37 sowie zuletzt durch RL 2014/59/EU, ABl L 2014/173, 190. § 470 S 2 – forderungsbekleidete Eigentümerhypothek; § 435 Rz 14 – Superädifikat; Erwerb des Pfandrechts durch den Sicherungseigentümer: E. Bydlinski, ÖBA 1988, 804. Zudem soll nach der Rsp auch der Vorbehaltsverkäufer ein exekutives Pfandrecht an der Vorbehaltssache bei aufrechtem Kaufvertrag erwerben können: RIS-Justiz RS0064563, zuletzt 1 Ob 201/01t = SZ 2002/56; obiter auch 3 Ob 127/08k = ÖBA 2009/1544; ebenso Iro6 Rz 9/6 ff. 4 Ob 254/14b = ecolex 2016, 37.

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§ 447 ABGB

Hinteregger/Pobatschnig

der Entstehung wird das Vertragspfand, das exekutive und das gesetzliche Pfandrecht unterschieden (§ 450). 4

Der Pfandgläubiger ist Pfandberechtigter und Forderungsinhaber. Ihm stehen als verpflichtete Personen der Personalschuldner und der Pfandbesteller als Pfand(Real)schuldner gegenüber. Bestellt der Personalschuldner selbst das Pfand, so ist er persönlicher Schuldner und Pfandschuldner in einer Person. Erfolgt die Pfandbestellung für eine fremde Schuld, so liegt ein Fall der Interzession vor (§§ 1368 f). Bei einer Forderungsverpfändung tritt noch der Drittschuldner hinzu. Ausnahmsweise kann es auch eine reine Sachhaftung geben (§ 449 Rz 9).

5

Grundsätzlich steht das Pfandrecht einem bestimmten Gläubiger zu (Einzelpfandrecht). Kollektivpfandrechte zugunsten einer unbenannten Mehrzahl von Pfandgläubigern sind etwa Teilschuldverschreibungen mit hypothekarischer Besicherung (§ 451 Rz 27) und Pfandbriefe (§ 451 Rz 27). Eine gläubigeranonyme Kollektivhypothek kann nach § 157h Abs 3 IO zur Erfüllung eines Sanierungsplans bestellt werden sowie im Wege der Treuhänderhypothek des § 11 Abs 2 BauträgervertragsG, BGBl I 1997/7 idF BGBl I 2013/159.

B. Abgrenzung 6

Kein Pfandrecht ist das exekutive Befriedigungsrecht des betreibenden Gläubigers bei Zwangsverwaltung oder Zwangsversteigerung einer Liegenschaft, das grundsätzlich nur auf Befriedigung in diesem Exekutionsverfahren gerichtet ist.4 Auch durch eine einstweilige Verfügung wird kein Pfandrecht begründet. Diese ist eine Sicherungsmaßnahme, die die gefährdete Partei vor erfüllungsvereitelnden Handlungen des Schuldners schützen soll. Sie gibt dem Gläubiger kein Vorrecht vor anderen Gläubigern und verschafft auch keinen Rang für die Betreibung einer künftigen Zwangsvollstreckung.5

7

Während das Pfandrecht den Pfandschuldner verpflichtet, die Befriedigung des Gläubigers aus der Pfandsache zu dulden, begründet die Reallast (§ 530) eine Leistungspflicht des Inhabers der belasteten Liegenschaft. Die Bestellung einer Reallast darf nicht dazu verwendet werden, um die grundbücherlich für das Pfandrecht gezogenen Schranken (§ 14 GBG) durch die weniger formstrengen Bestimmungen des § 12 GBG zu umgehen.6 Das Retentionsrecht nach § 471 ABGB unterscheidet sich dahingehend vom Pfandrecht, dass ein Herausgabepflichtiger seine fällige Forderung durch Zurückhaltung sichern darf, ohne sich durch Verwertung der Sache befriedigen zu können. Das (unternehmerische) Retentionsrecht gem §§ 369 ff UGB gewährt ein pfandähnliches Befriedigungsrecht.7 Im Unterschied zum Pfandrecht entfaltet es jedoch nur relative Wirkung.8 Zur Rechtsnatur und Verwertung beider Zurückbehaltungsrechte s § 471 Rz 4 ff.

4 5 6 7 8

580

Klang II2 395. RIS-Justiz RS0005044, zuletzt 3 Ob 121/12h = Zak 2012, 422; vgl 3 Ob 49/80 = EvBl 1980/188. 8 Ob 269/69 = SZ 43/13; 5 Ob 28/75 = EvBl 1976/13; RIS-Justiz RS0012178, zuletzt 5 Ob 232/17d = immolex 2018,228 (Richter). Schuhmacher in Straube/Ratka/Rauter (Hrsg), UGB I4 § 369 Rz 1; Harrer, Erhaltungspflichten bei Retention, Pfändung, Verwahrung? in FS Nowotny (2015) 89 (89 ff). Krejci, Unternehmensrecht5 380; Schimka/Zollner in U. Torggler, UGB3 § 369 Rz 6. Schwimann/Kodek, ABGB Praxiskommentar, Band 35, LexisNexis

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§ 447 ABGB

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Eigentumsvorbehalt, Sicherungsübereignung und Sicherungszession sind ebenfalls anerkannte Sicherungsrechte. Sie unterscheiden sich vom Pfandrecht dadurch, dass der Gläubiger hier im Außenverhältnis die volle rechtliche Stellung eines Eigentümers erhält, aber im Innenverhältnis treuhänderisch verpflichtet ist, von dieser Rechtsmacht nur soweit Gebrauch zu machen, wie es zur Sicherung seiner Forderung notwendig ist.9 Sicherungsübereignung und Sicherungsabtretung müssen den pfandrechtlichen Publizitätsvorschriften genügen (§ 451 Rz 1), während dem Vorbehaltsverkäufer eine publizitätslose Sicherheit verschafft wird.10 Die Sicherungszession, nicht aber die Zession zahlungshalber,11 ist nur gültig, wenn sie leicht erkennbar ist, was vor allem durch die Verständigung des Schuldners oder durch die Anbringung von Vermerken in den Büchern des Zedenten erfolgen kann.12 Die Behauptungs- und Beweislast für die Unwirksamkeit einer Sicherungszession trägt im Falle der Bestreitung durch den Schuldner der Zessionar.13 Beim Eigentumsvorbehalt verhindert das pfandrechtliche Publizitätsprinzip die rechtliche Zulässigkeit des erweiterten Eigentumsvorbehalts.14

8

Bei Versicherungsforderungen wird häufig die Vinkulierung als Sicherungsmethode gewählt.15 Diese ist gesetzlich nicht geregelt, sodass sich ihr Inhalt nach der Parteienvereinbarung richtet. Üblicherweise bewirkt sie eine Zahlungssperre zugunsten des Vinkulargläubigers mit der Wirkung, dass Leistungen des Versicherers an den Versicherungsnehmer nur mit dessen Zustimmung möglich sind. Die bloße Vereinbarung einer solchen Zahlungssperre entfaltet aber nur relative Wirkung zwischen den Vertragspartnern und macht eine abredewidrige nachfolgende Abtretung oder Verpfändung der Versicherungsforderung an eine dritte Person nicht unwirksam.16 Anderes gilt natürlich, wenn die Vertragsauslegung zum Ergebnis führt, dass der Vinkulierung bereits die Qualität einer Verpfändung oder Abtretung zukommt.17 Zum Modus § 452 Rz 9. Die rechtliche Beurteilung einer Geldkaution kann je nach Parteienabsicht eine Vertragsstrafe,18 ein echtes Pfand, ein Summenpfand oder ein unregelmäßiges Pfand (pignus irregula-

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MwN Welser/Kletečka I15 Rz 1299 ff; Iro6 Rz 14/10 ff; § 358. 3 Ob 249/18s = JBl 2019, 439 (Ronacher) = Zak 2019, 124 (Lurger); Welser/Kletečka, I15 Rz 1317. 5 Ob 528/82 = JBl 1983, 595; zur Abgrenzung: 3 Ob 246/09m = ecolex 2010/321 (Wall); Grillberger, JBl 1983, 574. § 451 Rz 2 und § 452 Rz 10. Nach einem Teil der Rsp soll ausschließlich der Zessus behauptungs- und beweispflichtig sein: 1 Ob 406/ 97f = RdW 1999, 20 = ÖBA 1999, 334 (krit Karollus); 5 Ob 20/15z = ZIK 2015, 140; dagegen spricht sich im Bestreitungsfall ein anderer Teil der Rsp und ein Teil des Schrifttums für eine Behauptungs- und Beweislast zulasten des Zessionars aus: RIS-Justiz RS0032652, zuletzt 8 Ob 33/13f = SZ 2013/45; Lukas in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.02 § 1392 Rz 3 mwN; s auch § 1392. StRsp seit 1 Ob 40/73 = SZ 46/38; 5 Ob 260/67 = JBl 1969, 389 (Koziol); Bydlinski in Klang IV/22 677 ff; Frotz 197 ff; Mayrhofer, ÖJZ 1969, 198 ff. Fenyves, ÖBA 1991, 13; Schauer, Versicherungsvertragsrecht3 284 ff; Kömürcü-Spielbüchler, Vinkulierung (1992); Grassl-Palten, RdW 1997, 386; Fenyves, ÖBA 1998, 337; Gollob-Palten, ZUVO 2008, 154 ff. RIS-Justiz RS0113295; RS0106149, jeweils zuletzt 7 Ob 44/13s = SZ 2013/85; 7 Ob 304/99b = JBl 2000, 583 im Anschluss an Fenyves, ÖBA 1998, 343 ff; 7 Ob 43/02b = VR 2004/648. Bei Insolvenz des Versicherungsnehmers verliert der Vinkulierungsgläubiger seine Rechte: 7 Ob 228/07s ÖBA 2009/1529; dazu Gollob-Palten, ZUVO 2008, 156 f. In 7 Ob 75/05p = ZIK 2005/147 (krit Kodek, ZIK 2005/175) und 7 Ob 105/06a = VR 2008/789 (krit Ladon, Zak 2008/38) hatte sich der OGH noch für ein Zurückbehaltungsrecht des Vinkulierungsgläubigers ausgesprochen. 7 Ob 2194/96z = ecolex 1997, 84. GlU 12619.

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re) sein.19 Ein echtes Pfand liegt vor, wenn etwa ein Sparbuch20 übergeben wird oder wenn dieselben Münzen und Geldscheine zurückgegeben werden müssen.21 Der Gläubiger erhält hier nur eine vereinfachte Befriedigungsmöglichkeit, da er nach Fälligkeit der Forderung unmittelbar auf das Geld greifen kann. Wird vereinbart, dass der Pfandschuldner das Eigentum am Geld behält und der Gläubiger, wenn er von dem Betrag etwas entnimmt, die gleiche Menge sofort ersetzen muss, besteht ein Summenpfand. Werden gleichartige Pfandsachen verschiedener Verpfänder miteinander vermengt, so erhalten diese Quantitätseigentum (Sammelpfand).22 Das unregelmäßige Pfand wird dadurch gekennzeichnet, dass der Pfandgläubiger durch die Möglichkeit der Vermischung mit eigenem Geld nach § 371 Eigentümer des Geldes wird und dem Pfandbesteller kein dingliches Recht, sondern nur ein schuldrechtlicher Rückforderungsanspruch zusteht. Hier ist nicht das Geld, sondern der Rückforderungsanspruch des Pfandbestellers Gegenstand des Pfandrechts.23 Beim unregelmäßigen Pfand hat der Pfandbesteller keinen Aussonderungsanspruch im Insolvenzverfahren des Gläubigers. Bei der Geldkaution als unregelmäßiges Pfand handelt es sich um eine Pfandbestellung für künftige Forderungen, die dem Pfandgläubiger das Recht gibt, seine Ersatzforderungen gegen den Rückforderungsanspruch des Kautionsbestellers aufzurechnen.24 Dazu bedarf es einer zumindest schlüssigen, gerichtlichen oder außergerichtlichen Aufrechnungserklärung.25 Geldkautionen spielen vor allem im Mietrecht eine große Rolle. Sie sichern den Anspruch des Vermieters auf ordnungsgemäße Rückstellung der Wohnung bei Beendigung des Mietvertrages und stellen einen Deckungsfonds für allfällige auf Seite des Bestandgebers eintretende Vermögensnachteile dar.26 Der Vermieter ist grundsätzlich verpflichtet, die Kaution zu verzinsen und dem Mieter darüber Rechnung zu legen. Die Sicherungsfunktion der Kaution erstreckt sich dann auch auf die Zinsen.27 Der Rückzahlungsanspruch des Mieters ist grundsätzlich mit der Rückstellung des Mietobjekts fällig,28 das Pfandrecht bleibt aber bis zur Endabwicklung der zu si-

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RIS-Justiz RS0010943, zuletzt 2 Ob 2344/96m. RIS-Justiz RS0011300, zuletzt 5 Ob 179/03i = NZ 2004, 310. RIS-Justiz RS0011280, zuletzt 6 Ob 663/89. RIS-Justiz RS0038146, zuletzt 2 Ob 600/49. Ehrenzweig I/22 397 f; Welser/Kletečka I15 Rz 1198; Iro6 Rz 9/12; nach Gschnitzer2 195 liegt darin dagegen ein Fall der Sicherungsübereignung; für eine Übereignung (soweit die Kaution die gesicherte Forderung übersteigt) auch Oberhammer/Domej in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.03 § 448 Rz 11; 1 Ob 135/70 = Miet 22.118; 2 Ob 2344/96m = SZ 69/246; 9 Ob 160/02y = immolex 2003/72; LGZ Wien 38 R 280/00h = Miet 53.046; ein Sparbuch, das vom Kreditinstitut, das zugleich Pfandgläubiger ist, selbst ausgestellt wurde, ist ein unregelmäßiges Pfand: RIS-Justiz RS0011300 (T 2), zuletzt 6 Ob 244/00a = ecolex 2001/204 = ÖBA 2002/1036 (abl Hirsch). Diese sieht darin ein „Pfandrecht an eigener Schuld“ (pignus debiti). Eine Aufrechnung kommt demzufolge nur infrage, wenn der Pfandbesteller auch gleichzeitig Schuldner der gesicherten Forderung ist, nicht aber bei Bestellung des Pfands durch einen Dritten. Zur rechtlichen Einordnung des Haftrücklasses: Riss, ÖBA 2008, 18. RIS-Justiz RS0011282, zuletzt 8 Ob 126/10b = ecolex 2011, 798; 6 Ob 663/89 – nicht bei einem Sparbuch mit Losungswort, dieses ist ein regelmäßiges Pfand. LGZ Wien 38 R 225/00w = Miet 53.045; 41 R 124/06y = Miet 58.034; 41 R 97/07d = Miet 59.040. Es handelt sich beim Vermieterpfandrecht daher auch nicht um Reugeld oder eine Pönale: RIS-Justiz RS0011279, zuletzt 5 Ob 20/15z. 5 Ob 88/85 = JBl 1987, 248; 8 Ob 622/89 = wobl 1990/7; 9 Ob 160/02y = immolex 2003/72; LGZ Wien 41 R 70/05f = Miet 57.039; G. Graf, wobl 1990, 88. 3 Ob 2432/96k = wobl 1997/82; LGZ Wien 48 R 126/90 = Miet 42.021; 38 R 280/00h = Miet 53.046; 41 R 70/05f = Miet 57.039. Schwimann/Kodek, ABGB Praxiskommentar, Band 35, LexisNexis

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§ 447 ABGB

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chernden Vertragsbeziehung aufrecht.29 Bei Veräußerung des Mietobjekts haftet der Erwerber für die Rückzahlung der Kaution (§ 1120: § 2 Abs 1 MRG).30 Dies gilt auch bei Veräußerung eines Miteigentumsanteils.31 Der Vermieter braucht die Kaution aber nicht für Mietrückstände anzugreifen.32 Er hat auch nach Auflösung des Mietvertrages die ihm nach § 465 zustehende Wahl, auf die Kaution zu greifen oder die persönliche Schuld des Mieters durch Klage in Anspruch zu nehmen.33 Das Flaschenpfand wird als Vereinbarung eines Rückverkaufsrechts angesehen.34

C. Schutz des Pfandrechts Der Pfandgläubiger hat gegen den Pfandschuldner bei Verschlechterung der Pfandsache Anspruch auf Gewährleistung und bei Verschulden Anspruch auf Schadenersatz (§ 458). Zufällige Verschlechterungen der Pfandsache gehen insofern zulasten des Pfandgläubigers, als sie seine dingliche Sicherung vermindern. Aus § 458 wird außerdem ein Anspruch des Pfandgläubigers gegenüber dem Pfandschuldner auf Unterlassung pfandverschlechternder Maßnahmen (Devastationsklage), der auch einen Beseitigungsanspruch miteinschließt, abgeleitet. Als Inhaber eines absoluten Rechtes kann der Pfandgläubiger diese Ansprüche auch gegenüber Dritten erheben (zur Frage der Verschuldensabhängigkeit § 458 Rz 5 f). Der Faustpfandgläubiger genießt gegenüber dem Pfandschuldner, wie auch gegenüber dritten Störern, Besitzschutz (§ 339) und kann die entzogene Pfandsache von jedem Dritten herausverlangen. Dies kann auch analog zu § 372 mit der actio publiciana erfolgen. Der Eigentumsklage des Pfandschuldners kann der Faustpfandgläubiger sein Recht zum Besitz entgegenhalten.35 Bei Pfändung der Pfandsache durch einen dritten Gläubiger kann der nicht innehabende Pfandgläubiger seinen Anspruch auf vorzugsweise Befriedigung mit der Pfandvorrechtsklage (§ 258 EO) durchsetzen. In der Insolvenz des Pfandschuldners hat der Pfandgläubiger ein Absonderungsrecht (§§ 11, 48 und 149 IO – Sanierungsplan). Zur Pfandverwertung kann der Gläubiger gegen den Pfandschuldner, der nicht auch Personalschuldner ist, die Pfandrechtsklage bzw bei unbeweglichen Sachen die Hypothekarklage erheben (§ 466). Der Pfandgläubiger haftet dem Pfandschuldner für Beschädigungen oder Verlust aus der Verschuldenshaftung (§ 459). Für Zufall haftet er bei unerlaubtem Gebrauch der Pfandsache sowie bei Afterverpfändung (§ 460).

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LGZ Wien 48 R 110/88 = Miet 40.021; 48 R 322/88 = Miet 40.027; Wolf, wobl 1999, 343. RIS-Justiz RS0105724, zuletzt 8 Ob 76/05t = Miet 57.182. 3 Ob 2432/96k = wobl 1997/82 und den Erwerb durch Zuschlag im Zwangsversteigerungsverfahren: 2 Ob 2344/96 = immolex 1997/42; 9 Ob 160/02y = immolex 2003/72; vgl auch RIS-Justiz RS0105725, zuletzt 9 Ob 31/11s. LGZ Wien 48 R 126/90 = Miet 42.021; 38 R 134/07y = Miet 59.041. In einem solchen Fall kann ein Auflösungstatbestand trotz (Über)Deckung durch ein Pfand gegeben sein: 1 Ob 176/13h = wobl 2014/8. 3 Ob 624/86 = SZ 60/15. § 1071; Zankl, JBl 1986, 493 ff; Wolkerstorfer in Klang3 § 447 Rz 10; aA Binder Rz 11/13, der darin eine Barkaution sieht. RIS-Justiz RS0010919, zuletzt 5 Ob 179/03i = NZ 2004, 310.

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§ 448 ABGB

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Arten des Pfandes § 448. Als Pfand kann jede Sache dienen, die im Verkehre steht. Ist sie beweglich, so wird sie Handpfand, oder ein Pfand in enger Bedeutung genannt; ist sie unbeweglich, so heißt sie eine Hypothek oder ein Grundpfand.

Literatur Wie bei § 447; außerdem Fischer, Kreditsicherung durch Schiffshypothek (1967); Frotz, Kreditsicherungsrecht (1970); Kralik, Bemerkungen zum Veräußerungsverbot und zur Verpfändung nach § 76 GmbHG, in FS Kastner (1972) 215; F. Bydlinski, Probleme des Quantitätseigentums, JBl 1974, 32; Torggler, Zur Verpfändung von GmbH-Geschäftsanteilen, GesRZ 1977, 77, 112; Jelinek, Die Persönlichkeit des Verletzten und das Entstehen des Schmerzengeldanspruchs, JBl 1977, 1; F. Graf, Die Verpfändung von Aktien, GesRZ 1978, 8; P. Bydlinski, Zur Abtretbarkeit der Rechte aus einem Mietverhältnis, JBl 1985, 728; Koziol, Zur Reichweite gesetzlicher Abtretungs- und Verpfändungsverbote, RdW 1986, 262; Iro, Die Abtretung der Hauptmietzinse nach § 42 Abs 2 MRG, ÖBA 1989, 1067; Koziol, Die Übertragung der Rechte aus Kreditverträgen, in FS Ostheim (1990) 147; Harrer-Hörzinger, Zur Rechtsnatur des Darlehens, ÖJZ 1990, 622; Madl, Pfandrecht an Marken, ecolex 1991, 329; Böhler, Die Verpfändung von Sparbüchern (1992); Gamerith, Sind die Rechtsgemeinschaften an Immaterialgüterrechten Gesamthandgemeinschaften? ÖBl 1996, 63; Iro, Sicherungseigentum an einem Warenlager, RdW 1997, 383; Torggler, Zur Verpfändung von Gesellschaftsanteilen, ÖBA 1998, 430; Knoll, Pfändung, Verpfändung und Abtretung von Unterhaltsvorschüssen, RZ 1999, 234; Lang, Patente, Patentanmeldungen und Erfindungen als Kreditsicherungsmittel (1999); Lang, Patente, Patentanmeldungen und Erfindungen als Kreditsicherungsmittel, ecolex 1999, 475; Eicher, Ausgewählte Probleme des Mobiliarpfandrechts (1999); Schwartz, Pfandrechte an Mobilfunkkonzessionen? wbl 2000, 450; Thiele, Verträge über Internet Domains, ecolex 2000, 210; Thiele, Internet-Domain-Namen und Wettbewerbsrecht, in Gruber/Mader (Hrsg), Internet und e-commerce (2000) 75; Thiele, Pfändung von Internet Domains, ecolex 2001, 38; Oberkofler, (Ver)pfändung von InternetDomains – Neue Entwicklungen im Domain-Recht, MR 2001, 185; P. Burgstaller, Internet-Domain – eine pfändbare Sache? RdW 2001, 258; P. Burgstaller, Pfändung von Internet Domains – (k)ein Problem! ecolex 2001, 197; Thiele, Pfändung von Internet-Domains – Triplik zu ecolex 2001, 197, ecolex 2001, 600; Kilches, Exekution auf Internet-Domains, RdW 2001, 390; Jakusch, Exekution auf Internet-Domains, RdW 2001, 580; Thiele, Internet Domains in der Insolvenz, ZIK 2003, 110; Fischer/Gast, Die Verpfändung und Verwertung von Geschäftsanteilen an Personengesellschaften, RdW 2004, 197; Reich-Rohrwig, Verpfändung und Pfändung von OG- und KG-Anteilen, ecolex 2011, 4; Trenker, GmbH-Geschäftsanteile in Exekution und Insolvenz, JBl 2012, 281; Wolkerstorfer, Das Pfandrecht des Unternehmers (2012); G. Koziol, Sicherungsrechte an Immaterialgüterrechten und Register für Mobiliarsicherheiten, in FS Iro (2013) 365; Riede/Fritz, Internet Domains im unternehmerischen Umfeld, ecolex 2014, 114; Schmidt/Andrieu, Der verpfändete Kommanditanteil als Kreditsicherheit, ÖBA 2016, 631; Taufner, Pfandrechtswandlung bei Kapitalgesellschaftsanteilen ‒ Grundlagen und Praxisfälle, ecolex 2016, 789.

Gliederung

Rz

A. Allgemeines ................................................................................................................... 1 B. Arten des Pfandes .......................................................................................................... 4 I. Pfandrecht an beweglichen, körperlichen Sachen ....................................................... 4 II. Hypotheken ............................................................................................................... 7 III. Pfandrecht an Rechten .............................................................................................. 9 C. Pfändungs- und Verpfändungsverbote ......................................................................... 20

A. Allgemeines 1

Aufgrund des weiten Sachbegriffes des § 285 können sowohl körperliche wie unkörperliche Sachen (§ 292) als auch bewegliche wie unbewegliche Sachen (§ 293) verpfändet werden. 584

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§ 472 ABGB

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Siebentes Hauptstück. Von Dienstbarkeiten (Servituten) Begriff des Rechtes der Dienstbarkeit § 472. Durch das Recht der Dienstbarkeit wird ein Eigentümer verbunden, zum Vorteile eines anderen in Rücksicht seiner Sache etwas zu dulden oder zu unterlassen. Es ist ein dingliches, gegen jeden Besitzer der dienstbaren Sache wirksames Recht.

Literatur Lanz, Die Einverleibung von Bestandsrechten und Dienstbarkeiten auf ideellen Liegenschaftsanteilen, NZ 1949, 135; Klang, Die Einverleibung von Bestandrechten und Dienstbarkeiten auf ideellen Liegenschaftsanteilen, NZ 1949, 161; Cholewa, Die dingliche Wirkung von Holzschlägerungs- und Abbaurechten, NZ 1951, 34, 59; Dengler, Wohnungseigentum und Buchservitut, NZ 1952, 120; Orglmeister, Leitungsrechte und Leitungsdienstbarkeiten, NZ 1969, 33; Mayrhofer, Zur Rechtsnatur der „Dauerleihe“ an Museen und ähnlichen Einrichtungen, NZ 1975, 86; Krehan, Die Gedenktafel als Servitut, NZ 1977, 21; Welser, Vertragsauslegung, Gutglaubenserwerb und Freiheitsersitzung bei der Wegeservitut, JBl 1983, 4; Merli, Öffentliche Nutzungsrechte und Gemeingebrauch (1995); Rubin, Offenkundige Wohnungsdienstbarkeiten, ecolex 1998, 545; Battlogg, Rechtsdogmatische Schwachstellen offenkundiger Dienstbarkeiten, NZ 2003, 201.

Die Dienstbarkeit (Servitut) ist das dingliche Recht der beschränkten Nutzung einer fremden Sache. Ob die Parteien eine Dienstbarkeit oder ein obligatorisches (Nutzungs-)Recht vereinbaren wollten, ist durch Auslegung des Vertrages hinsichtlich des verfolgten Zwecks zu beurteilen.1 Im Zweifel ist davon auszugehen, dass eine Servitut und kein obligatorisches Recht eingeräumt wurde.2 Da Dienstbarkeiten per definitionem dingliche Rechte sind, ist die Bezeichnung „obligatorische Dienstbarkeit“, mit der die Rsp3 gelegentlich ein obligatorisches Nutzungsrecht bezeichnet, unzutreffend. Eine nicht verbücherte Benützungsregelung unter Miteigentümern (§ 828 ABGB) begründet grundsätzlich nur obligatorische Rechte, an die Rechtsnachfolger ohne Überbindung dieser Rechte nicht gebunden sind.4

1

Bei unentgeltlicher Überlassung des Gesamtgebrauches eines Grundstücks an einen anderen liegt, sofern die Absicht der Parteien darauf gerichtet ist, dieser Überlassung dingliche Wirkung zu verleihen, eine Dienstbarkeit, sofern sie aber mit obligatorischer Wirkung erfolgen soll, eine Leihe (§§ 971 ff) vor. Die unentgeltliche Einräumung eines beschränkten Gebrauchsrechtes an einem Grundstück ist, wenn sie mit dinglicher Wirkung erfolgt, wiederum Dienstbarkeit,5 ansonsten ein inhaltlich einer Dienstbarkeit entsprechender obligatorischer Nutzungsvertrag oder – nach den Umständen des Falles – eine bloß prekaristische Gestaltung (§ 974).6

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StRsp: SZ 28/68; EvBl 1962/366; 1970/190; Miet 28.110; 29146; JBl 1996, 106; 6 Ob 95/11f = JusGuide 2011/32/3068. 2 Ob 194/05a = bbl 2006/123; s auch § 479 letzter Satz, wonach Abweichungen von der Natur einer Servitut nicht vermutet werden. SZ 44/41; dazu Pfersmann, ÖJZ 1975, 174; JUS 1987/35, 12; VwGH AnwBl 1987/2634; „obligatorisches Fruchtgenussrecht“: EvBl 2000/35, 154, ebenso LGZ Wien 38 R 154/06p = Miet 58.042. 5 Ob 281/08x = NZ 2009/65. Allenfalls ein Fruchtgenussrecht: 7 Ob 142/04i = Miet 56.123. RZ 1960, 29; zur Abgrenzung im Einzelfall, ob eine Servitut, ein obligatorisches Nutzungsrecht oder eine Bittleihe vorliege, s 2 Ob 194/05a = bbl 2006/123.

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§ 472 ABGB

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Dienstbarkeiten können auch entgeltlich sein. Die Gegenleistung gehört in diesem Fall zum Inhalt der Servitut;7 zum entgeltlichen Wohnrecht und zur Abgrenzung zu einem Bestandsvertrag (§§ 1091 ff) s § 521 Rz 5. 2

Das österreichische Sachenrecht sieht eine Eigentümerservitut nicht vor. Eine solche kann daher nicht ins Grundbuch eingetragen werden.8 Eine zugunsten oder zulasten eines Bauberechtigten zu begründende Dienstbarkeit, deren dienendes oder herrschendes Gut eine in dessen Eigentum stehende Nachbarliegenschaft sein soll, ist einer Eigentümerservitut gleichzuhalten.9

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Die Nutzung des dienenden Gutes zum Vorteil eines anderen ist Tatbestandsmerkmal einer Dienstbarkeit (s auch § 473).10 Bei der Beurteilung, ob dieses Utilitätserfordernis erfüllt ist, wird kein strenger Maßstab angelegt.11 Erhöht sich die Bequemlichkeit der Benützung des herrschenden Grundstücks, wird dies für ausreichend erachtet. Dass der Vorteil „jedermann“ zugutekommt, schadet für die Beurteilung als Dienstbarkeit nicht.12 Der Vorteil muss nicht zwangsläufig materieller, sondern kann auch bloß ideeller Natur sein.13 Fehlt das Tatbestandsmerkmal einer bequemeren oder wenigstens vorteilhafteren Benützung des Grundstückes allerdings völlig, kann keine Grunddienstbarkeit im Grundbuch eingetragen werden.14 Nach der Auffassung von Hofmeister können rechtsgeschäftliche Verfügungsbeschränkungen, wie der Verzicht auf die Begründung von Wohnungseigentum, deshalb nicht Inhalt einer Dienstbarkeit sein, weil dadurch die besonderen Voraussetzungen eines dinglichen Belastungs- und Veräußerungsverbotes nach § 364c umgangen werden könnten.15 Rechtsgeschäftliche Verbote wirtschaftlicher Tätigkeit, wie etwa die vertraglichen Verpflichtungen zur Stilllegung eines Betriebes oder zur Vermietung eines Gebäudes nur im Rahmen einer zeitlichen Befristung bzw zu bestimmten Konditionen,16 können nicht Gegenstand einer Dienstbarkeit sein, da diese Verbote nicht auf die Benützung der Liegenschaft selbst, sondern auf eine bestimmte wirtschaftliche Tätigkeit des Verpflichteten, die mit dem herrschenden Grundstück unmittelbar nichts zu tun hat und nur „zufällig“ bei diesem Grundstück ausgeübt

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SZ 28/68; NZ 1977, 44. Zur entgeltlichen Einräumung einer Dienstbarkeit und der damit verbundenen Gebührenpflicht s § 33 TP 9 GebG; s in diesem Zusammenhang auch VwGH 2010/16/0053 = ÖStZB 2011/17, wonach ein Deponievertrag (Lagerung von Aushubmaterial auf einem Grundstück gegen Entgelt) gebührenrechtlich unter § 33 TP 9 GebG subsumiert wird. Zur ertragsteuerlichen Behandlung einer entgeltlichen Dienstbarkeit s VwGH 2006/15/0317, Anm Lenneis = wobl 2011/12. 5 Ob 118/07z = JusGuide 2007/37/5067 = EvBl 2007/165 = Zak 2007/549 = NZ 2007/165 (Anm Hoyer); s auch § 473 Rz 4 (Recht des Miteigentümers, eine Dienstbarkeit an der gemeinschaftlichen Sache zu erwerben); zur „ruhenden Eigentümerservitut“ bei Übereignung einer von zwei Liegenschaften desselben Eigentümers, von denen eine offenkundig der anderen dient bzw weiter dienen soll, s 5 Ob 273/07v = wobl 2008/75, weiters § 480 Rz 3, § 481 Rz 7 und § 526 Rz 2. 5 Ob 6/11f = Zak 2011/237 = bbl 2011/136 = NZ 2011/116. S auch § 473 Rz 6. StRsp: SZ 43/117, dazu Pfersmann, ÖJZ 1974, 227; JBI 1979, 90; EvBl 1979/69; wobl 2001/206, 336, (Anm Call); JBl 2002, 107; EvBl 1966/212; 7 Ob 271/99z = RIS-Justiz RS0113051; 2 Ob 115/12v = RIS-Justiz RS0012162; 6 Ob 114/15f = RIS-Justiz RS0011612 mwN. SZ 60/216. ZB Aufstellen einer Gedenktafel: Krehan, NZ 1977, 21 f. EvBl 2001/90, 389 = NZ 1992/244. NZ 1992, 281. EvBl 2001/90, 389. Schwimann/Kodek, ABGB Praxiskommentar, Band 35, LexisNexis

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wird, abzielen.17 Derartige Vereinbarungen entfalten daher nur obligatorische Wirkungen.18 Allerdings hat die Rsp19 das Recht auf Duldung des Abbruchs von Gebäuden zur Nutzung eines Grundstückes für ein bestimmtes Eisenbahnprojekt als einverleibungsfähige Servitut eingestuft.20 Dienstbarkeiten beruhen grundsätzlich auf einem privatrechtlichen Titel. Gem § 480 kommen als Titel vor allem Rechtsgeschäfte, daneben letztwillige Anordnungen oder Ersitzung infrage. Ausnahmsweise kann ein Richterspruch oder der Bescheid einer Verwaltungsbehörde als Titel für die Begründung einer Dienstbarkeit dienen (s auch § 480 Rz 5).

4

Auch zur Sicherung öffentlich-rechtlicher Zielsetzungen sieht die Rechtsordnung, insb im Bereich der überregionalen Raumplanung, vermehrt den möglichen Einsatz zivilrechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten vor. Demnach ist insb denkbar, durch einen zivilrechtlichen Vertrag zwischen einem Grundeigentümer und einer Gebietskörperschaft Dienstbarkeiten zu begründen, welche den Eigentümer des dienenden Gutes im öffentlichen Interesse zu bestimmten Duldungen oder Unterlassungen (etwa die Unterlassung der Bebauung) verpflichten und zum einen zwar öffentlich-rechtlich determiniert und gewissermaßen Ausfluss des Verwaltungshandelns einer Behörde sind, nach ihrem Inhalt aber eine zivilrechtliche Gestaltung von Rechtsverhältnissen beinhalten, die ausschließlich nach zivilrechtlichen Bestimmungen zu beurteilen sind.21 Eine Sonderstellung nehmen sogenannte Legalservituten ein (s etwa §§ 387 und 422, welche nachbarrechtliche Rücksichtnahmen zum Gegenstand haben; s auch etwa § 33 ForstG; § 111 Abs 4 WRG; § 2 LuftfahrtG). Diese beruhen nicht auf einem privatrechtlichen Titel. Vielmehr hat in diesen Fällen der Eigentümer eines Grundstücks bestimmte Eingriffe unmittelbar aufgrund des Gesetzes bzw kraft öffentlich-rechtlicher Bestimmung zu dulden.22 Legalservituten wirken ähnlich wie Dienstbarkeiten, doch fehlen in der Regel bestimmte berechtigte Subjekte.23 Das Recht zur Inanspruchnahme ist von der Eintragung im Grundbuch unabhängig.24 Dingliche Wirkung entfalten auch die im Verwaltungsverfahren nach dem TKG 200325 von einem Bereitsteller eines Kommunikationsdienstes erzwungenen Leitungsrechte; soweit für solche Leitungsrechte private Liegenschaften in Anspruch genommen werden, bedarf allerdings deren Einräumung einer Entscheidung durch die zuständige Fernmeldebehörde bzw besteht mangels anderweitiger privatrechtlicher Vereinbarungen zwischen Liegenschaftseigentümer und Dienstleistungsbereitsteller (oder über den Inhalt solcher pri-

17 18 19 20 21

22 23 24 25

S 5 Ob 83/09f = NZ 2010/28 = wobl 2011/26; 5 Ob 62/10v = Zak 2010/574 = wobl 2011/27. StRsp; SZ 28/27 = EvBl 1955/166; JBl 1972, 208; NZ 1973, 124; RdW 1992, 270; 5 Ob 130/10v = JusGuide 2011/09/8500 = NZ 2011/56 = ecolex 2011/258 = ÖRPfl 2011/2, 58 = wobl 2011/150. EvBl 2001/77, 348. S auch § 473 Rz 6. S in diesem Zusammenhang Mauerhofer, Wildökologische Korridorplanung in der öffentlich- und zivilrechtlichen Raumordnung, bbl 2008, 49, welcher vor dem Hintergrund der Sicherung „wildökologischer Korridore“ eine Übersicht über die anwendbaren hoheitlichen, nicht vertraglichen Gestaltungsmöglichkeiten einerseits und die mögliche Anwendung von verwaltungsrechtlichem Vertrag bzw Vertragsraumordnung andererseits bietet. 5 Ob 195/11d = immolex-LS 2012/12. Welser/Kletečka, Bürgerliches Recht I15 Rz 1351. 7 Ob 423/55; EvBl 1991/201; JBl 1994, 748 (Anm Diwok); s auch Rz 5. BGBl I 2003/70 idgF.

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vatrechtlichen Vereinbarungen hinaus) das Leitungsrecht, verbunden mit dem Recht auf Erbringung von Kommunikationsdienstleistungen, nicht schon allein von Gesetzes wegen.26 Der VwGH bezeichnet in seiner ständigen Judikatur regulierte agrarische Nutzungsrechte (Einforstungs-, insb Weiderechte) als Rechte mit einer „Doppelnatur“ im Sinne eines öffentlichrechtlichen Charakters mit privatrechtlichen Elementen.27 Sie sind insoweit, als deren Ausübung im Rahmen der diesbezüglichen Grundsatzgesetzgebung28 geregelt ist, dem öffentlichen Recht zuzuordnen.29 Die Eintragung von Einforstungsrechten im Grundbuch hat lediglich deklarative Wirkung.30 Verjährung kommt nur dort in Betracht, wo vom Gesetzgeber ausdrücklich oder im Interpretationswege erschließbar die direkte Anwendung von Verjährungsbestimmungen angeordnet ist.31 Zur Sicherung der Nutzungsrechte und allgemein zur Wahrung des öffentlichen Interesses an einem sowohl dem Berechtigten als auch dem Verpflichteten zuträglichen Bestand an Nutzungsrechten ist die Agrarbehörde berufen. So fallen Streitigkeiten über den Inhalt und die Ausübung dieser Rechte in die Zuständigkeit der Agrarbehörden. Für das Verhältnis des Nutzungsberechtigten zu dritten Störern (hinsichtlich des Rechtes auf Verteidigung des Nutzungsrechtes und auf Geltendmachung von Unterlassungsansprüchen) besteht die Zuständigkeit der Gerichte.32 Keine Dienstbarkeit liegt vor, wenn der Eigentümer bestimmte Eingriffe im Rahmen des Gemeingebrauchs dulden muss (s § 287).33 Kein öffentlich-rechtlicher Gemeingebrauch, sondern eine privatrechtliche Dienstbarkeit ist anzunehmen, wenn Personen – selbst in größerer Zahl – einen Abkürzungsweg benützen, um zu einer Wallfahrtskirche zu gelangen, da in der Benützung des Weges ein Vorteil für den Eigentümer des herrschenden Grundstückes, auf dem sich die Wallfahrtskirche befindet, zu sehen ist.34 Hingegen stellt ein nicht mit dem Eigentum an Grund und Boden verbundenes Fischereirecht – unabhängig von der bescheidmäßigen Zuteilung eines Gewässers als Eigenrevier – kein öffentliches Recht, sondern ein Privatrecht (namentlich eine Grunddienstbarkeit iSd §§ 473 und 477 Z 5; allenfalls auch eine unregelmäßige persönliche Dienstbarkeit iSd § 479) dar, welches nach den allgemeinen Vorschriften über den Besitz und den Erwerb von Privatrechten erworben werden kann.35

26

27 28 29 30 31 32 33 34 35

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3 Ob 125/05m = JBl 2006, 452; s dort auch die Rechtsauffassung des OGH, wonach eine Rahmenvereinbarung, die den Kommunikationsdienstleistungsanbieter zur Verlegung von Leitungen bzw zur Installation diverser technischer Einrichtungen zum Betrieb eines Kabelnetzes in einem Haus der Vertragspartner berechtigt, als Bestandsvertrag iSd §§ 1091 ff zu qualifizieren ist. VwGH 2003/07/0156; 2004/07/0073; 2005/07/0103; s auch 5 Ob 120/08w = JusGuide 2008/51/6240; s auch § 481 Rz 3. Flurverfassungs-Grundsatzgesetz 1951, BGBl 1951/103 (WV) idgF. VwGH 2005/07/0103. VwGH 2004/07/0106; 2009/07/0105; zum Bringungsrecht s 5 Ob 120/08w = JusGuide 2008/51/6240: Bringungsrecht im Grundbuch ersichtlich zu machen. VwGH 2003/07/0156. VwGH 2005/07/0103. Zum öffentlich-rechtlichen Gemeingebrauch vgl insb Merli, Nutzungsrechte 139 ff. Zur Verfassungsmäßigkeit und zum Anwendungsbereich der gesetzlichen Wegefreiheit im Wald s etwa JBl 1996, 454. SZ 41/86. VwGH 2005/03/0084 = RdU-LSK 2010/68; 2005/07/0007. Schwimann/Kodek, ABGB Praxiskommentar, Band 35, LexisNexis

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Dienstbarkeiten werden idR erst durch die Verbücherung erworben (§ 481). Dieser Grundsatz erfährt eine Durchbrechung für ersessene und offenkundige Servituten (s Näheres dazu bei § 481 Rz 3 ff). Legalservituten36 sind zu ihrer Wirksamkeit nicht ins Grundbuch einzutragen;37 sie sind jedoch im Gutbestandsblatt ersichtlich zu machen, wenn ihre Eintragung im Grundbuch ausdrücklich vorgeschrieben ist.38

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Bei der Zwangsversteigerung hat der Ersteher Dienstbarkeiten nach Maßgabe ihres Ranges ohne oder in Anrechnung auf das Meistbot zu übernehmen; dies gilt auch für offenkundige, aber nicht verbücherte und im Versteigerungsedikt nicht enthaltene Dienstbarkeiten.39 Dienstbarkeiten, denen der Vorrang vor dem Befriedigungsrecht eines betreibenden Gläubigers oder einem eingetragenen Pfandrecht zukommt, sind vom Ersteher ohne Anrechnung auf das Meistbot zu übernehmen (§ 150 Abs 1 S 1 EO). Nachfolgende Lasten sind nur insoweit – nämlich gegebenenfalls „in Anrechnung auf das Meistbot“ – zu übernehmen, als sie nach der ihnen zukommenden Rangordnung in der Verteilungsmasse Deckung finden (§ 150 Abs 1 S 2 EO). Abweichungen können sich seit der Exekutionsordnungs-Novelle 200840 für Dienstbarkeiten ergeben, die der leitungsgebundenen Energieversorgung dienen (§ 150 Abs 1a und § 152a EO); s auch § 146 Abs 1 Z 4 EO über die mögliche Abweichung von den gesetzlichen Versteigerungsbedingungen in Ansehung vorrangiger Dienstbarkeiten, wonach diese mit Zustimmung des Berechtigten vom Ersteher nicht oder nur in Anrechnung auf das Meistbot zu übernehmen wären. Der Eigentümer der belasteten Liegenschaft ist verpflichtet, die Nutzung der Sache durch einen anderen zu dulden und/oder es zu unterlassen, die Sache selbst zu nutzen.41 Regelungsinhalt einer Dienstbarkeit ist demnach einerseits, die Nutzung der dienenden Sache iSv aktiven Handlungen des Berechtigten zu dulden (s insb die in §§ 475 und 477 aufgezählten Berechtigungen; dazu gehört aber auch die Duldung von Emissionen, insb Geräuschen, Gerüchen und Dünsten, von einem benachbarten Gasthausbetrieb,42 auch die Duldung von Störungen durch einen Gewerbebetrieb43), sowie andererseits, die Nutzung der dienenden Sache im Sinne einer Beschränkung der Befugnisse, welche sonst mit dem Eigentum an der dienenden Sache verbunden sind, zu unterlassen (dabei handelt es sich insb um privatrechtliche Baubeschränkungen,44 s vor allem § 476).

6

Im Unterschied zur Reallast (§ 530) sind Dienstbarkeiten im Allgemeinen nicht mit einer Verpflichtung des Eigentümers zu einem aktiven Tun verbunden.45 Dienstbarkeiten können aber reallastartige Nebenverpflichtungen beinhalten.46

36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46

S Rz 4. 7 Ob 423/55; EvBl 1991/201; JBl 1994, 748 (Anm Diwok). S § 7 Abs 2 AllgGAG; s auch 5 Ob 195/11d = immolex-LS 2012/12. 2 Ob 108/13s = immolex 2015/69; s auch § 481 Rz 9. EO-Nov 2008, BGBl I 2008/37. S auch § 482. NZ 1991/211. SZ 43/117. ZB EvBl 2001/77, 348; s auch die sog „Cottage-Servitut“ SZ 36/66; EvBl 1972/245; NZ 1992, 276/244 (Anm Hofmeister 281); vgl § 476 Rz 2. 7 Ob 175/13f = immolex 2015/43 (Anm zur Unterscheidung Hagen). SZ 50/61; 7 Ob 125/10y = JusGuide 2011/19/8751 = NZ 2011/84 = ecolex 2011/41 = bbl 2011/61; 7 Ob 175/ 13f = Zak 2014/280; 5 Ob 100/15i = RZ 2016, 67; Weiteres bei § 482.

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§§ 472, 473 ABGB

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Auch die Erhaltung der dienstbaren Sache obliegt gem § 483 grundsätzlich dem Berechtigten. In den folgenden Fällen trifft allerdings den Eigentümer des dienenden Gutes die Verpflichtung zur (Mit-)Erhaltung der dienstbaren Sache: bei entsprechender Parteienvereinbarung, bei der Mitbenützung der dienstbaren Sache (s § 483), bei den Servituten nach § 487 und beim Gebrauchsrecht (s § 508). 7

Gegenstand einer Dienstbarkeit können vor allem unbewegliche Sachen sein.47 Aber auch bewegliche Sachen können Gegenstand einer Dienstbarkeit sein.48 Dienstbarkeiten können auch am öffentlichen Gut erworben werden,49 insb durch Ersitzung.50

Einteilung der Dienstbarkeiten in Grunddienstbarkeiten und persönliche; § 473. Wird das Recht der Dienstbarkeit mit dem Besitze eines Grundstückes zu dessen vorteilhafteren oder bequemeren Benützung verknüpft; so entsteht eine Grunddienstbarkeit; außer dem ist die Dienstbarkeit persönlich. 1

Nach der Person des Berechtigten unterscheidet man zwischen den in § 478 aufgezählten persönlichen Dienstbarkeiten, welche darauf abzielen, einer bestimmten Person einen Vorteil zu verschaffen, und den Grunddienstbarkeiten, durch die dem Eigentümer einer bestimmten Liegenschaft das Recht zu deren vorteilhafteren oder bequemeren Benützung eingeräumt wird.1 Ihrem Inhalt nach typische Grunddienstbarkeiten können aber ausnahmsweise als unregelmäßige (irreguläre) Dienstbarkeit einer bestimmten Person eingeräumt werden.2 Gleichermaßen ist es möglich, eine persönliche Dienstbarkeit zugunsten eines herrschenden Grundstücks zu begründen und in das Grundbuch einzutragen.3 Umfänglich gleiche Servituten können sowohl als Realservitut wie auch als Personalservitut nebeneinander im Grundbuch eingetragen werden.4

2

Das Recht aus einer regulären Grunddienstbarkeit steht dem jeweiligen Eigentümer des herrschenden Grundstücks zu. Daher ist die Eintragung unbestimmter Personen als Berechtigte in das Grundbuch unzulässig,5 die Einräumung einer Grunddienstbarkeit zugunsten der Rechtsnachfolger des Eigentümers der herrschenden Liegenschaft aber wirksam.6 Bei Teilung des herrschenden Grundstücks bestehen Grunddienstbarkeiten mangels gegenteiliger Verein-

47

48 49 50 1 2 3 4 5 6

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Zur Belastung von ideellen Teilen eines Grundstückes s § 485 Rz 6 f; s auch die Belastung von ideellen Teilen eines Grundstücks durch ein Fruchtgenussrecht bei § 509 Rz 4. Zum Erlöschen einer räumlich beschränkten Grunddienstbarkeit durch Teilung des belasteten Grundstücks s § 847. Dies trifft jedenfalls bei der Dienstbarkeit des Fruchtgenussrechtes zu; s diesbezüglich § 509 Rz 2. ZB Wegerechte: EvBl 1961/296; JBl 1982, 32 (Iro). Vgl Merli 352 ff; Beispiele aus der Rsp: SZ 45/39 = JBl 1973, 143 (Anm Reindl); SZ 50/53; 50/91; JBl 1979, 427; SZ 59/50; s auch § 480 Rz 10. EvBl 1980/173. Näheres zur unregelmäßigen (irregulären) Dienstbarkeit bei § 479. NZ 1993, 237/274 (Anm Hofmeister 242) = JBl 1993, 580; s auch hiezu bei § 479. RIS-Justiz RS0115305 mwN. EvBl 1952/90. EvBl 1960/211; zur Erwerbungsart (Eintragung ins Grundbuch) s auch § 481. Schwimann/Kodek, ABGB Praxiskommentar, Band 35, LexisNexis

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